TE Vwgh Erkenntnis 2021/10/7 Ra 2021/21/0152

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Veröffentlicht am 07.10.2021
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Index

10/07 Verwaltungsgerichtshof
40/01 Verwaltungsverfahren

Norm

VwGG §42 Abs2 Z1
ZustG §13 Abs3

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulzbacher und den Hofrat Dr. Pfiel als Richter sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterin, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Eraslan, über die Revision des H E, vertreten durch Mag. Volkan Kaya, Rechtsanwalt in 1100 Wien, Senefeldergasse 11/1E, gegen den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 15. März 2021, L508 2239530-1/5E, betreffend Zurückweisung einer Beschwerde als verspätet (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1        Mit Bescheid vom 18. November 2020 erließ das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) gegen den Revisionswerber, einen türkischen Staatsangehörigen, gemäß § 52 Abs. 4 FPG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung und stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG in die Türkei zulässig sei. Darüber hinaus erließ das BFA gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1 FPG ein auf die Dauer von drei Jahren befristetes Einreiseverbot.

2        Da der Revisionswerber bei einem Zustellversuch am 30. November 2020 in seiner Wohnung an einer Adresse in Wien 16 nicht angetroffen werden konnte, wurde dieser Bescheid am selben Tag beim Zustellpostamt hinterlegt (Beginn der Abholfrist: auch am 30. November 2020). Dort behob ihn der Revisionswerber am 21. Dezember 2020 und er brachte dagegen mit am 14. Jänner 2021 zur Post gegebenem Schriftsatz Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) ein.

3        Über Verspätungsvorhalt des BVwG vom 15. Februar 2021 erstattete der anwaltlich vertretene Revisionswerber am 8. März 2021 eine Stellungnahme. Darin brachte er unter Stellung von entsprechenden Beweisanträgen (zusammengefasst) vor, er habe sich auf Grund einer Erkrankung in der Zeit vom 30. November bis zum 21. Dezember 2020, als er sich auch im Krankenstand befand, bei einem näher bezeichneten Freund, der ihn versorgt und sich um ihn gekümmert habe, in dessen Wohnung an einer Adresse in Wien 12 aufgehalten. Erst am 21. Dezember 2020 sei er in seine eigene Wohnung zurückgekehrt, wo er die Hinterlegungsanzeige vorgefunden und das Schriftstück noch am selben Tag behoben habe. Gemäß § 17 Abs. 3 ZustG sei die Zustellung erst an dem der Rückkehr an die Abgabestelle folgenden Tag innerhalb der Abholfrist wirksam geworden, sodass sich die Beschwerde als rechtzeitig erweise.

4        Mit dem angefochtenen Beschluss vom 15. März 2021 wies das BVwG die Beschwerde gemäß § 7 Abs. 4 VwGVG als verspätet zurück. Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach das BVwG aus, dass die Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

5        Dazu vertrat das BVwG in seiner Begründung die Ansicht, die vom Revisionswerber geltend gemachte Ortsabwesenheit von seinem Wohnsitz infolge Betreuungsbedarfs könnte lediglich im Rahmen eines Wiedereinsetzungsverfahrens von rechtlicher Relevanz sein; ein Antrag auf Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Beschwerdefrist sei aber nicht gestellt worden. Ein der Verspätungsannahme entgegenstehender Sachverhalt sei nicht behauptet worden. Der angefochtene Bescheid des BFA vom 18. November 2020 sei somit am 30. November 2020 ordnungsgemäß zugestellt worden und mit Ablauf der - am 28. Dezember 2020 endenden - vierwöchigen Beschwerdefrist in Rechtskraft erwachsen. Die erst nach Ablauf dieser Frist erhobene Beschwerde erweise sich daher als verspätet und sei somit gemäß § 7 Abs. 4 VwGVG zurückzuweisen.

6        Gegen diesen Beschluss richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision, über die der Verwaltungsgerichtshof nach Aktenvorlage und Durchführung eines Vorverfahrens - eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen hat:

7        Die Revision erweist sich, wie sich aus den weiteren Ausführungen ergibt, entgegen dem gemäß § 34 Abs. 1a erster Satz VwGG nicht bindenden Ausspruch des BVwG unter dem Gesichtspunkt des Art. 133 Abs. 4 B-VG als zulässig; sie ist auch berechtigt.

8        Gemäß § 17 Abs. 3 letzter Satz ZustG gelten hinterlegte Dokumente nicht als zugestellt, wenn sich ergibt, dass der Empfänger im Sinne des § 13 Abs. 3 ZustG wegen Abwesenheit von der Abgabestelle nicht rechtzeitig vom Zustellvorgang Kenntnis erlangen konnte, doch wird die Zustellung an dem der Rückkehr an die Abgabestelle folgenden Tag innerhalb der Abholfrist wirksam, an dem das hinterlegte Dokumente behoben werden könnte.

9        Mit dem Vorbringen, sich während seines Krankenstandes drei Wochen lang nicht in seiner Wohnung aufgehalten zu haben, hat der Revisionswerber eine mit einem Krankenhausaufenthalt (vgl. dazu etwa VwGH 20.9.2001, 2001/11/0130) vergleichbare Abwesenheit von der Abgabestelle im Sinn der erwähnten Bestimmung geltend gemacht. Die Dauer der behaupteten Abwesenheit war auf der Grundlage der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes (siehe dazu die Zusammenfassung der Vorjudikatur in VwGH 25.6.2015, Ro 2014/07/0107, Punkt 3. und 4. der Entscheidungsgründe, und daran anknüpfend etwa VwGH 1.9.2021, Ro 2019/03/0027, Rn. 8 bis 11, jeweils mwN) im Übrigen jedenfalls ausreichend lang, um einer rechtzeitigen Kenntnis vom Zustellvorgang entgegenzustehen.

10       Der angefochtene Beschluss, in dem die Regelung des letzten Satzes des § 17 Abs. 3 ZustG außer Acht und das in Rn. 3 wiedergegebene Vorbringen zur dreiwöchigen Ortsabwesenheit, bei dessen Zutreffen die Zustellung des Bescheides vom 18. November 2020 durch Hinterlegung am 30. November 2020 nicht wirksam und die Beschwerde rechtzeitig gewesen wäre, aufgrund unrichtiger rechtlicher Beurteilung ungeprüft gelassen wurde, war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufzuheben.

11       Von der Durchführung der in der Revision beantragten mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 4 und 5 VwGG abgesehen werden.

12       Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am 7. Oktober 2021

Schlagworte

Verfahrensbestimmungen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021210152.L00

Im RIS seit

11.11.2021

Zuletzt aktualisiert am

11.11.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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