Index
E3L E02100000Norm
BFA-VG 2014 §9Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulzbacher und den Hofrat Dr. Pfiel als Richter sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterin, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Eraslan, über die Revision des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 26. Februar 2021, G307 2239656-1/8E, betreffend die Behebung eines befristeten Aufenthaltsverbotes (mitbeteiligte Partei: B B, vertreten durch Rast & Musliu, Rechtsanwälte in 1080 Wien, Alser Straße 23/14), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Der Bund hat dem Mitbeteiligten Aufwendungen in der Höhe von 1.106,40 € binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Der 1997 geborene Mitbeteiligte, ein niederländischer Staatsangehöriger, reiste gemeinsam mit seinen Eltern am 30. Juli 2010 nach Österreich ein. Die Bescheinigung seines Rechts auf Daueraufenthalt als EWR-Bürger wurde ihm am 2. November 2017 ausgestellt.
2 Mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien als Jugendschöffengericht vom 3. Juli 2019 erging gegen den Mitbeteiligten wegen der Verbrechen der terroristischen Vereinigung nach § 278b Abs. 2 StGB und der kriminellen Organisation nach § 278a StGB eine bedingt nachgesehene siebzehnmonatige Freiheitsstrafe, weil er sich als Mitglied an der terroristischen Vereinigung Islamic State (IS) wissentlich beteiligt hatte, indem er am 30. Oktober 2017 ein Flugticket von Wien nach Istanbul kaufte, um einer IS-Anhängerin unter einer Alias-Identität die Reise nach Syrien zur Unterstützung des IS, dem sie sich anschließen wollte, zu ermöglichen, und er ihr dieses Ticket in der Folge zukommen ließ.
3 Mit Bescheid vom 20. Jänner 2021 erließ das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) gegen den Mitbeteiligten mit Bezug auf das dieser strafgerichtlichen Verurteilung zugrundeliegende Verhalten gemäß § 67 Abs. 1 und 2 FPG ein auf die Dauer von zehn Jahren befristetes Aufenthaltsverbot. Gemäß § 70 Abs. 3 FPG erteilte es keinen Durchsetzungsaufschub und erkannte einer Beschwerde gegen dieses Aufenthaltsverbot gemäß § 18 Abs. 3 BFA-VG die aufschiebende Wirkung ab.
4 Infolge dessen wurde der Mitbeteiligte am 19. Februar 2021 in die Niederlande abgeschoben.
5 Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 26. Februar 2021 gab das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) einer gegen den Bescheid vom 20. Jänner 2021 erhobenen Beschwerde des Mitbeteiligten statt und behob diesen Bescheid (ersatzlos). Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach das BVwG aus, dass die Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
6 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Amtsrevision des BFA, über die der Verwaltungsgerichtshof ein Vorverfahren durchgeführt hatte, in dessen Rahmen der Mitbeteiligte eine Revisionsbeantwortung erstattete.
7 Die Revision erweist sich als unzulässig.
8 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes die Revision (nur) zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
9 An den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes nach § 25a Abs. 1 VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision nicht gebunden (§ 34 Abs. 1a VwGG). Zufolge § 28 Abs. 3 VwGG hat allerdings die außerordentliche Revision gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird. Im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe hat der Verwaltungsgerichtshof dann die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG zu überprüfen (§ 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG).
10 Die Amtsrevision geht bei der diesbezüglichen Begründung von der Prämisse aus, das BVwG habe das Aufenthaltsverbot deshalb für nicht gerechtfertigt erachtet, weil der Mitbeteiligte den Gefährdungsmaßstab des fünften Satzes des § 67 Abs. 1 FPG („nachhaltige und maßgebliche Gefährdung der öffentlichen Sicherheit der Republik Österreich“) nicht erfülle. Die daran anknüpfenden Ausführungen des BFA zielen darauf ab, dass dieser erhöhte Gefährdungsmaßstab vom BVwG nicht heranzuziehen gewesen wäre, sondern lediglich der geringere, für daueraufenthaltsberechtigte EWR-Bürger zur Anwendung gelangende Maßstab des § 66 Abs. 1 letzter Satzteil FPG („schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit“).
11 Diese Auffassung gründet das BFA einerseits darauf, dass das unionsrechtliche Aufenthaltsrecht des Mitbeteiligten mit Begehung der in Rede stehenden Straftat nach rund siebenjährigem Aufenthalt im Bundesgebiet beendet worden und somit kein ununterbrochener rechtmäßiger Aufenthalt von zehn Jahren vorgelegen sei. Außerdem sei die Aufenthaltsdauer durch die Untersuchungshaft des Mitbeteiligten [vom 17. April 2018 bis zum 3. Juli 2019] unterbrochen worden. Hätte das BVwG aber neben der Straftat in seine Beurteilung auch einbezogen, dass der Mitbeteiligte bereits im Jahr 2015 durch eine Reise in die Türkei „in staatspolizeilicher Hinsicht in Erscheinung getreten sei und regelmäßig in der radikal-islamistischen Szene verkehrt habe“, was sich etwa durch den regelmäßigen Besuch „einer einschlägigen Moschee“ und den Konsum von IS-Propagandavideos manifestiert habe, hätte jedenfalls der Gefährdungsmaßstab des § 66 Abs. 1 letzter Satzteil FPG, aber auch derjenige des § 67 Abs. 1 fünfter Satz FPG als erfüllt angesehen werden müssen.
12 Bei diesen Ausführungen verkennt das BFA allerdings den Inhalt des angefochtenen Erkenntnisses. Richtig ist zwar, dass das BVwG zunächst Judikatur des Gerichtshofes der Europäischen Union und des Verwaltungsgerichtshofes zu Art. 28 Abs. 3 lit. a der Freizügigkeitsrichtlinie bzw. zu § 67 Abs. 1 fünfter Satz FPG referierte. In den anschließenden fallbezogenen Erwägungen hielt das BVwG dem entsprechend auch fest, dass sich der Mitbeteiligte „zum Zeitpunkt des Ergehens der Ausweisungsverfügung“ rund zehneinhalb Jahre im Bundesgebiet aufgehalten habe. Allerdings wird dann vom BVwG in tragender Weise davon ausgegangen, dass der Mitbeteiligte im Jahr 2015 wegen seines bereits fünf Jahre übersteigenden, durchgehenden und rechtmäßigen Aufenthalts in Österreich das Daueraufenthaltsrecht iSd § 53a NAG erworben habe und demzufolge wird im Weiteren nur darauf abgestellt, dass gegen den Mitbeteiligten der für daueraufenthaltsberechtigte EWR-Bürger heranzuziehende Prüfungsmaßstab des § 66 Abs. 1 letzter Satzteil FPG zur Anwendung komme. Demnach sei gegen den Mitbeteiligten „als grundsätzlich unionsrechtlich aufenthaltsberechtigten EWR-Bürger“ die Erlassung eines Aufenthaltsverbotes „gemäß § 67 Abs. 1 FPG iVm § 66 Abs. 1 letzter Satzteil FPG“ nur zulässig, wenn auf Grund seines persönlichen Verhaltens davon ausgegangen werden könne, dass die öffentliche Ordnung oder Sicherheit durch seinen Verbleib im Bundesgebiet schwerwiegend gefährdet wäre, wobei die Gefährdung tatsächlich, erheblich und gegenwärtig vorliegen müsse.
Der Entscheidungsbegründung lässt sich aber nicht entnehmen, das BVwG sei der Auffassung, dieser Gefährdungsmaßstab wäre im vorliegenden Fall nicht erfüllt. Anders als die Amtsrevision meint, findet sich jedenfalls keine Aussage zu der Frage, ob das BVwG den erhöhten Gefährdungsmaßstab nach dem fünften Satz des § 67 Abs. 1 FPG für verwirklicht ansah. Das BVwG kann im Zusammenhang mit der übrigen Begründung, in der auf den niedrigeren Gefährdungsmaßstab des § 66 Abs. 1 letzter Satzteil FPG abgestellt wurde, somit nur dahin verstanden werden, dass diese Frage offengelassen wurde (vgl. allerdings VwGH 29.9.2020, Ra 2020/21/0112, Rn. 13, mwN, wo für den - auch hier gegebenen - Fall der Erfüllung der Tatbestandsvoraussetzungen des § 67 Abs. 3 Z 2 FPG das Vorliegen einer Gefährdung nach § 67 Abs. 1 fünfter Satz FPG als indiziert erachtet wurde).
13 Der - wenn auch insoweit nur rudimentären - Begründung des BVwG (vgl. Seite 19 des angefochtenen Erkenntnisses) lässt sich hingegen noch mit der erforderlichen Deutlichkeit entnehmen, dass es das Aufenthaltsverbot nur wegen der zugunsten des Mitbeteiligten vorgenommenen Interessenabwägung nach § 9 BFA-VG für unverhältnismäßig erachtete. Es verwies nämlich - als das öffentliche Interesse relativierend - darauf, dass der Mitbeteiligte als junger Erwachsener erstmalig zu einer ausschließlich bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe verurteilt worden sei. Darüber hinaus führte das BVwG als das private und familiäre Interesse verstärkend ins Treffen, dass sich der Mitbeteiligte seit seinem zwölften Lebensjahr durchgehend und rechtmäßig in Österreich aufgehalten und hier die Pflichtschule beendet habe. Seine Eltern, Geschwister und seine Großmutter seien gleichfalls langjährig in Österreich aufhältig und hätten mit dem Mitbeteiligten bis zu dessen Abschiebung im gemeinsamen Haushalt gelebt.
14 Vor diesem Hintergrund gehen die in Rn. 10 und 11 zusammengefasst wiedergegebenen, allein auf die Gefährdungsprognose bezogenen Ausführungen in der Amtsrevision ins Leere und erweisen sich als fallbezogen nicht relevant. Die das angefochtene Erkenntnis nach dem Gesagten entscheidungswesentlich tragende Interessenabwägung wird in der Amtsrevision aber gar nicht angesprochen; insbesondere wird nicht geltend gemacht, dass diese unvertretbar wäre (vgl. im Übrigen zum möglichen Gesinnungswandel durch eine altersmäßige Persönlichkeitsentwicklung VwGH 29.9.2020, Ra 2020/21/0126, Rn. 23, mwN).
15 Der Amtsrevision gelingt es nach dem Gesagten somit nicht, eine maßgebliche grundsätzliche Rechtsfrage iSd Art. 133 Abs. 4 B-VG aufzuzeigen. Sie war daher gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG mit Beschluss zurückzuweisen.
16 Der Kostenzuspruch gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 7. Oktober 2021
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021210122.L00Im RIS seit
11.11.2021Zuletzt aktualisiert am
12.11.2021