TE Vwgh Beschluss 2021/10/15 Ra 2021/19/0353

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Veröffentlicht am 15.10.2021
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
19/05 Menschenrechte
41/02 Asylrecht
41/02 Passrecht Fremdenrecht

Norm

BFA-VG 2014 §9 Abs2
BFA-VG 2014 §9 Abs3
B-VG Art133 Abs4
MRK Art8
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Büsser sowie den Hofrat Dr. Faber und die Hofrätin Dr. Funk-Leisch als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Seiler, über die Revision des A M S, vertreten durch Mag. Dr. Bernhard Rosenkranz, Rechtsanwalt in 5020 Salzburg, Plainstraße 23, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 9. August 2021, L504 2148826-1/17E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Der Revisionswerber, ein irakischer Staatsangehöriger, stellte am 30. Mai 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.

2        Mit Bescheid vom 8. Februar 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Revisionswerbers ab, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung in den Irak zulässig sei, und legte eine Frist für die freiwillige Ausreise fest.

3        Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

4        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

5        Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

6        Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

7        Die Revision wendet sich zur Begründung ihrer Zulässigkeit gegen die Rückkehrentscheidung. Der Revisionswerber halte sich bereits seit sechs Jahren in Österreich auf, was sein privates Interesse am Verbleib in Österreich erhöhe. Er habe diese Zeit genützt, um sich sozial und beruflich zu integrieren, habe einen großen Freundes- und Bekanntenkreis aufgebaut und spreche Deutsch auf Niveau A2. Das BVwG hätte die Inanspruchnahme der staatlichen Grundversorgung dahingehend relativieren müssen, dass der Revisionswerber in dieser Zeit den Pflichtschulabschluss gemacht habe, wodurch er sich Zugang zum Arbeitsmarkt sowie zu weiteren Ausbildungsmöglichkeiten verschafft habe. Die festgestellte Verwaltungsübertretung (rechtswidrige Einreise in das Bundesgebiet) erhöhe das Gewicht der öffentlichen Interessen an der Erlassung einer Rückkehrentscheidung nicht. Ein privates Interesse am Verbleib des Revisionswerbers in Österreich liege auch aufgrund seiner Nierenerkrankung und seiner Probleme beim Harnlassen vor. Die Gesundheitsversorgung im Irak sei erodiert. Aufgrund seines sechsjährigen Aufenthaltes in Österreich habe er die Umbrüche in seinem Herkunftsort Kirkuk nicht miterlebt und wisse nur wenig über seine Angehörigen im Irak. Im Fall einer Rückkehr würde er daher nicht auf ein ihm vertrautes soziales Milieu treffen.

8        Die Beurteilung, ob die Erlassung einer Rückkehrentscheidung einen unverhältnismäßigen Eingriff in die nach Art. 8 EMRK geschützten Rechte eines Fremden darstellt, hat unter Bedachtnahme auf alle Umstände des Einzelfalles stattzufinden. Dabei muss eine gewichtende Abwägung des öffentlichen Interesses an einer Aufenthaltsbeendigung mit den gegenläufigen privaten und familiären Interessen des Fremden, insbesondere unter Berücksichtigung der in § 9 Abs. 2 BFA-VG genannten Kriterien und unter Einbeziehung der sich aus § 9 Abs. 3 BFA-VG ergebenden Wertungen, in Form einer Gesamtbetrachtung vorgenommen werden (vgl. VwGH 19.5.2021, Ra 2021/19/0047, mwN).

9        Das persönliche Interesse nimmt zwar grundsätzlich mit der Dauer des bisherigen Aufenthalts des Fremden zu. Die bloße Aufenthaltsdauer ist freilich nicht allein maßgeblich, sondern es ist anhand der jeweiligen Umstände des Einzelfalles vor allem zu prüfen, inwieweit der Fremde die in Österreich verbrachte Zeit dazu genützt hat, sich sozial und beruflich zu integrieren (vgl. VwGH 3.3.2021, Ra 2021/19/0023, mwN).

10       Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK im Allgemeinen - wenn kein revisibler Verfahrensmangel aufgezeigt wird und sie in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel (vgl. etwa VwGH 24.2.2021, Ra 2021/19/0017, mwN).

11       Das BVwG hat - nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung - im Rahmen der Interessenabwägung alle entscheidungswesentlichen und auch die zugunsten des Revisionswerbers sprechenden Umstände berücksichtigt, insbesondere auch dessen Deutschkenntnisse, sein ehrenamtliches Engagement, verschiedene Integrationsbemühungen, die Aufenthaltsdauer und seine soziale Vernetzung im Bundesgebiet.

12       Soweit die Revision vorbringt, die Verfahrensdauer von mehr als sechs Jahren erhöhe das private Interesse des Revisionswerbers an einem Verbleib in Österreich, ist darauf zu verweisen, dass einer überlangen Verfahrensdauer lediglich dann Relevanz für den Verfahrensausgang zukäme, wenn sich während der Verfahrensdauer schützenswerte familiäre oder private Interessen herausgebildet hätten (vgl. VwGH 12.3.2021, Ra 2020/19/0440, mwN). Dass dies hier der Fall wäre, zeigt die Revision nicht auf.

13       Darüber hinaus hat auch nach der auf Art. 8 EMRK abstellenden (aus der Rechtsprechung des EGMR übernommenen) Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes im Allgemeinen kein Fremder ein Recht, in seinem aktuellen Aufenthaltsstaat zu verbleiben, bloß um dort medizinisch behandelt zu werden, und zwar selbst dann nicht, wenn er an einer schweren Krankheit leidet. Dass die Behandlung im Zielstaat nicht gleichwertig, schwerer zugänglich oder kostenintensiver ist, fällt nicht entscheidend ins Gewicht, solange es grundsätzlich Behandlungsmöglichkeiten im Zielland gibt. Der Verwaltungsgerichtshof hat diesbezüglich auch schon festgehalten, dass es einem Fremden obliegt, substantiiert darzulegen, auf Grund welcher Umstände eine bestimmte medizinische Behandlung für ihn notwendig sei und dass diese nur in Österreich erfolgen könnte. Denn nur dann wäre ein sich daraus (allenfalls) ergebendes privates Interesse im Sinn des Art. 8 EMRK an einem Verbleib in Österreich - auch in seinem Gewicht - beurteilbar (vgl. VwGH 17.11.2020, Ra 2019/19/0308, mwN).

14       Das BVwG hat sich mit dem Gesundheitszustand des Revisionswerbers auseinandergesetzt und festgestellt, dass dessen Erkrankung aktuell lediglich mit Schmerzmitteln behandelt werde, und dass eine medizinische Behandlung seiner Erkrankung auch im Irak möglich sei. Diesen Feststellungen tritt die Revision mit dem bloßen Vorbringen, die Gesundheitsversorgung im Irak sei auf Grund der COVID-19-Pandemie erordiert, nicht substantiiert entgegen.

15       Vor diesem Hintergrund zeigt die Revision insgesamt nicht auf, dass die Interessenabwägung fallbezogen unvertretbar wäre.

16       In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG ohne weiteres Verfahren zurückzuweisen.

Wien, am 15. Oktober 2021

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021190353.L00

Im RIS seit

11.11.2021

Zuletzt aktualisiert am

11.11.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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