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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)Norm
AsylG 2005 §18 Abs1Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Thienel, die Hofrätin Mag. Rossmeisel und den Hofrat Dr. Himberger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Gnilsen, in der Revisionssache des X Y, vertreten durch Dr. Eva Jana Messerschmidt, Rechtsanwältin in 1010 Wien, Freyung 6/7/2, (Einvernehmensrechtsanwalt gemäß § 14 EIRAG: Dr. Christian Schmaus, Rechtsanwalt in 1060 Wien, Chwallagasse 4/11) gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 23. Juni 2021, W226 2220270-1/13E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger der Russischen Föderation und Angehöriger der tschetschenischen Volksgruppe, stellte am 6. Dezember 2005 seinen ersten Antrag auf internationalen Schutz in Österreich, der wegen Zuständigkeit der Slowakei gemäß § 5 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) zurückgewiesen wurde. Der in der Folge in der Slowakei gestellte neuerliche Asylantrag blieb erfolglos, sodass der Revisionswerber in seinen Heimatstaat zurückkehrte. Im Jahr 2011 stellte er einen Asylantrag in Polen, dessen Erledigung er nicht abwartete, und im Jahr 2012 einen weiteren in Frankreich, der negativ entschieden wurde. Im Februar 2014 kehrte der Revisionswerber daher wiederum in seinen Heimatstaat zurück.
2 Schließlich reiste der Revisionswerber erneut illegal ins Bundesgebiet ein und stellte am 23. Dezember 2014 einen weiteren Antrag auf internationalen Schutz nach dem AsylG 2005. Diesen begründete er im Wesentlichen damit, dass er als Mitglied der tschetschenischen Volksgruppe verfolgt werde, wobei er unter anderem vorbrachte, im Jahr 2008 entführt worden zu sein und dass sein Haus im Jahr 2013 in Brand gesteckt worden sein soll.
3 Bereits während seines Aufenthalts in Österreich im Jahr 2005 kam der Revisionswerber über seine hier aufhältige Tante mit einer weiteren russischen Staatsangehörigen in Kontakt, der der Status der Asylberechtigten zukommt. Er lernte diese im Jahr 2013 oder 2014 über Skype besser kennen und heiratete sie im Jänner und Februar 2015 in Österreich zunächst nach muslimischen Recht und dann standesamtlich.
4 Mit Bescheid vom 17. Mai 2019 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Revisionswerbers auf internationalen Schutz vollinhaltlich ab, erteilte ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass seine Abschiebung in die Russische Föderation zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise legte die Behörde mit vierzehn Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.
5 Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 23. Juni 2021 als unbegründet ab und sprach aus, dass die Erhebung einer Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
6 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
7 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
8 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
9 Zu ihrer Zulässigkeit wird in der Revision vorgebracht, das angefochtene Erkenntnis werde im Hinblick auf die Anforderungen an die Begründungspflicht der Verwaltungsgerichte nicht der höchstgerichtlichen Rechtsprechung gerecht, das Bundesverwaltungsgericht sei angesichts des Beschwerdeinhaltes und der Ergänzungsbedürftigkeit des Sachverhaltes von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur amtswegigen Ermittlungspflicht abgewichen und das angefochtene Erkenntnis leide an einer Aktenwidrigkeit. Zudem sei das Bundesverwaltungsgericht in Bezug auf die Beurteilung der Schutzfähigkeit der Ehe im Lichte des Art. 8 EMRK von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen. Außerdem fehle es zur Frage, ob eine Ehe mittels moderner Kommunikationsmittel aufrechterhalten bzw. dies den Betroffenen im Einzelfall zugemutet werden kann, an Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes.
10 Der Revisionswerber bringt zunächst vor, das Bundesverwaltungsgericht hätte angesichts der Tatsache, dass die Ehefrau des Revisionswerbers die Tochter eines tschetschenischen Brigadegenerals sei, bei der Einvernahme der Ehefrau des Revisionswerbers weitere Fragen zu ihrer Familie stellen, ihren Asylakt beiziehen und in weiterer Folge entsprechende Länderberichte einholen müssen. Es hätte demnach ermittelt werden müssen, ob asylrelevante Verfolgungshandlungen wegen (unterstellter) politischer Gesinnung auch gegenüber (angeheirateten) Familienmitgliedern als Nachfluchtgründe wohlbegründet sein können.
11 Der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner Rechtsprechung betont, dass dem Vorbringen des Asylwerbers zentrale Bedeutung zukommt. Das geht auch aus § 18 Abs. 1 AsylG 2005 deutlich hervor, wonach das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl und das Bundesverwaltungsgericht in allen Stadien des Verfahrens von Amts wegen darauf hinzuwirken haben, dass die für die Entscheidung erheblichen Angaben gemacht oder lückenhafte Angaben über die zur Begründung des Antrages geltend gemachten Umstände vervollständigt, die Beweismittel für diese Angaben bezeichnet oder die angebotenen Beweismittel ergänzt und überhaupt alle Aufschlüsse gegeben werden, welche zur Begründung des Antrages notwendig erscheinen. Diese Pflicht bedeutet aber nicht, ohne entsprechendes Vorbringen des Asylwerbers oder ohne sich aus den Angaben konkret ergebende Anhaltspunkte jegliche nur denkbaren Lebenssachverhalte ergründen zu müssen (vgl. VwGH 19.5.2020, Ra 2020/14/0163, mwN). Die Frage, ob das Bundesverwaltungsgericht im Rahmen seiner amtswegigen Ermittlungspflichten weitere Ermittlungsschritte setzen muss, unterliegt einer einzelfallbezogenen Beurteilung. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung läge insoweit nur dann vor, wenn die Beurteilung grob fehlerhaft erfolgt wäre (vgl. VwGH 12.3.2021, Ra 2020/14/0546, mwN).
12 Angesichts dessen, dass der Revisionswerber weder vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl noch in seiner Beschwerde oder sonst vor dem Bundesverwaltungsgericht angegeben hat, eine Verfolgung aufgrund seiner Eheschließung mit der Tochter eines ehemaligen Brigadegenerals zu befürchten, ist eine grob fehlerhafte Vorgehensweise des Bundesverwaltungsgerichtes, das diesem Aspekt nicht weiter nachgegangen ist, nicht ersichtlich.
13 Soweit sich die Revision auf Ermittlungsmängel und fehlende Feststellungen insbesondere betreffend das Vorbringen zu einer Verschleppung im Jahr 2008, einem Brand des Elternhauses im Jahr 2013 und einer Verschleppung eines Cousins im Jahr 2013 stützt, bekämpft die Revision der Sache nach die Beweiswürdigung des Bundesverwaltungsgerichtes. Dieses hat sich nämlich mit diesem Vorbringen auseinandersetzt und als Ergebnis dessen die Feststellung getroffen, dass die diesbezüglichen Angaben des Revisionswerbers dem Sachverhalt nicht zugrunde gelegt werden.
14 Weder vermag die Revision in diesem Zusammenhang aufzuzeigen, dass die Beweiswürdigung im Revisionsfall unvertretbar gewesen wäre (vgl. zum diesbezüglichen Prüfmaßstab im Revisionsverfahren VwGH 3.9.2021, Ra 2020/14/0282, mwN), noch zeigt sie die Relevanz dieser und weiterer behaupteter Ermittlungsmängel auf, zumal sie nicht darstellt, zu welchem Ergebnis die vermissten Ermittlungen auf Feststellungebene geführt hätten (vgl. zur erforderlichen Relevanzdarstellung bei der Behauptung von Verfahrensmängeln etwa VwGH 19.7.2021, Ra 2021/14/0230, mwN).
15 Weiters wendet sich die Revision gegen die im Rahmen der Erlassung der Rückkehrentscheidung erfolgte Interessenabwägung nach § 9 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG). Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalls in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung im Sinn des Art. 8 EMRK jedoch im Allgemeinen - wenn sie auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgt und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel (vgl. VwGH 3.9.2021, Ra 2020/14/0282, mwN).
16 Das Bundesverwaltungsgericht führte eine umfassende Interessenabwägung durch und berücksichtigte dabei die für und gegen den Revisionswerber sprechenden entscheidungswesentlichen Umstände. Hinsichtlich des Familienlebens des Revisionswerbers mit seiner in Österreich aufhältigen und asylberechtigten Ehefrau ist auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen, wonach eine Trennung von Familienangehörigen, mit denen ein gemeinsames Familienleben im Herkunftsland nicht zumutbar ist, dann für gerechtfertigt erachtet wird, wenn dem öffentlichen Interesse an der Vornahme einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme insgesamt ein sehr großes Gewicht beizumessen ist, wie dies insbesondere bei Straffälligkeit des Fremden oder bei einer von Anfang an beabsichtigten Umgehung der Regeln über den Familiennachzug der Fall ist (vgl. VwGH 18.3.2021, Ra 2020/14/0184, mwN).
17 Im vorliegenden Fall geht eine derartige Umgehungsabsicht aus dem Erkenntnis deutlich hervor. So stützt es sich ausdrücklich darauf, dass der Revisionswerber mit seiner späteren Ehefrau bereits während seines Aufenthalts in Frankreich besprochen habe, dass er nach seiner Rückkehr nach Tschetschenien dann als Asylsuchender zu ihr nach Österreich kommen solle, und darauf, dass sein Aufenthalt in Tschetschenien (nach negativer Entscheidung in Frankreich) nur dazu diene, nach dem Dublin-System in Österreich einen zulässigen Asylantrag stellen zu können. Das Bundesverwaltungsgericht hielt auch ausdrücklich fest, dass eine missbräuchliche Asylantragstellung (im Vergleich zur Antragstellung nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz) keinen Vorteil bringen solle.
18 Soweit die Revision Feststellungsmängel zum Beginn und Verlauf der Beziehung des Revisionswerbers zu seiner nunmehrigen Ehefrau geltend macht, ist sie darauf zu verweisen, dass das Bundesverwaltungsgericht die vermissten Feststellungen getroffen hat.
19 Im Übrigen zeigt die Revision - im Hinblick auf die oben wiedergegebene Rechtsprechung zur möglichen Rechtfertigung der Trennung von Familienangehörigen bei einem sehr großen Gewicht des öffentlichen Interesses an der Vornahme einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme - weder mit dem Vorbringen, das Familienleben sei bereits vor der Eheschließung und damit nicht erst während des unsicheren Aufenthaltsstatus entstanden, noch mit der aufgeworfenen Frage, ob ein Eheleben nach der Trennung über moderne Kommunikationsmittel aufrecht erhalten werden könne, auf, dass das Bundesverwaltungsgericht die Interessenabwägung in unvertretbarer Weise vorgenommen hätte.
20 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher zurückzuweisen.
Wien, am 15. Oktober 2021
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021140240.L00Im RIS seit
11.11.2021Zuletzt aktualisiert am
23.11.2021