Entscheidungsdatum
08.06.2021Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z5Spruch
W241 2200481-1/11E
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. HAFNER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch die BBU GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 30.05.2018, Zl. 1045592600/180512413, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 18.05.2021 zu Recht:
A)
I. Der Beschwerde wird stattgegeben und die Spruchpunkte I., III., IV., V. und VI. des angefochtenen Bescheides werden ersatzlos behoben.
II. Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides wird dahingehend abgeändert, dass dem Antrag vom 26.03.2018 auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 stattgegeben und die befristete Aufenthaltsberechtigung von XXXX als subsidiär Schutzberechtigter um zwei Jahre verlängert wird.
B)
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Der Beschwerdeführer (in der Folge BF), ein Staatsangehöriger Afghanistans, stellte im österreichischen Bundesgebiet am 17.11.2014 einen Antrag auf internationalen Schutz.
2. Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge BFA) vom 19.05.2015 wurde der Antrag bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen und dem BF der Status eines subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 AsylG zuerkannt. Eine befristete Aufenthaltsberechtigung wurde gemäß § 8 Abs. 4 AsylG bis zum 19.05.2016 erteilt.
Begründend wurde ausgeführt, dass aufgrund der instabilen Sicherheitslage in der Heimatprovinz des BF Ghor eine Rückkehr derzeit nicht möglich sei.
3. Die befristete Aufenthaltsberechtigung des BF wurde mit Bescheid vom 11.05.2016 bis zum 19.05.2018 verlängert.
4. Der BF beantragte am 26.03.2018 die Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung.
5. In einer Einvernahme durch das BFA am 30.05.2018 gab der BF an, dass seine Mutter und seine Geschwister weiterhin in der Provinz Ghor leben würden. Ein Onkel lebe noch in Afghanistan, ein Onkel und eine Tante im Iran. Er befinde sich derzeit im ersten Lehrjahr zum Friseur.
6. In der Folge wurde dem BF mit gegenständlichem Bescheid vom 30.05.2018 der mit Bescheid vom 19.05.2015 zuerkannte Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 9 Abs. 1 AsylG von Amts wegen aberkannt (Spruchpunkt I.). Der Antrag auf Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung vom 26.03.2018 wurde gemäß § 8 Abs. 4 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.), gemäß § 10 Abs. 1 Z 5 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 4 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.). Ferner wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V.) und gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt VI.).
Zu den Gründen für die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten wurde festgestellt:
„Die Gründe für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten liegen nicht mehr vor. Ihre subjektive Lage hat sich im Vergleich zum seinerzeitigen Entscheidungszeitpunkt, als Ihnen subsidiärer Schutz gewährt wurde, geändert. Eine aktuelle bzw. individuelle Furcht vor Verfolgung in Afghanistan brachten Sie nicht vor. In Ihrem Fall besteht eine taugliche innerstaatliche Fluchtalternative. Sie können Ihren Lebensunterhalt in Kabul bestreiten und würden ebendort Arbeitsmöglichkeiten vorfinden.“
Beweiswürdigend wurde ausgeführt:
„Sie gaben im Rahmen Ihrer Einvernahme vor dem BFA am 30.05.2018 in Bezug auf Ihr Heimatland Afghanistan keine aktuellen bzw. individuellen Fluchtgründe zu Protokoll. Vielmehr gaben Sie dezidiert zu Protokoll, dass Sie keine speziellen Befürchtungen bei einer Rückkehr in Ihr Heimatland haben (siehe Einvernahme-Protokoll Seite 5).
Ihnen wurde mit Bescheid vom 19.05.2015 der Status des subsidiär Schutzberechtigten lediglich zuerkannt, weil Sie damals (zum Entscheidungszeitpunkt) minderjährig waren und darüber hinaus über keine familiären Anknüpfungspunkte in Ihrem Herkunftsland verfügt haben wollen; aufgrund dessen ist die Behörde davon ausgegangen, dass Sie im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan einer realen Gefahr im Sinne des Art. 3 EMRK ausgesetzt gewesen wären.
Ihre subjektive Lage hat sich jedoch im Vergleich zum seinerzeitigen Entscheidungszeitpunkt dahingehend geändert, indem Ihnen nun eine IFA (innerstaatliche Fluchtalternative) mit Kabul zur Verfügung steht, umso mehr Sie nunmehr volljährig sind, demnach auch auf sich alleine gestellt Ihren Lebensunterhalt bestreiten können. Gerade darin liegt der Unterschied zum Entscheidungszeitpunkt, als Ihnen subsidiärer Schutz gewährt wurde. Damals konnte Ihnen nicht zugemutet werden, die schwierigen Bedingungen in Zusammenhang mit den Möglichkeiten, den Lebensunterhalt zu bestreiten, in Kauf zu nehmen. Freilich ist die Einschätzung diesbezüglich bei Erwachsenen anders als bei Kindern zu treffen, die erhöhten Schutzbedarf haben und deshalb auch zu Recht erhöhten Schutz genießen.
Dass Sie den Lebensunterhalt in Kabul bestreiten könnten, ist einerseits eindeutig den diesbezüglichen Länderinformationen zu entnehmen und andererseits machten Sie im Rahmen Ihres Verfahrens glaubhaft, dass Sie über Arbeitserfahrung als Maurer und Schafhirte verfügen, sich im ersten Lehrjahr zur Ausbildung als Friseur befinden und zudem gesund seien. Überdies ist nochmals anzumerken, dass Sie bereits volljährig sind und es Ihnen nun zuzumuten ist, dass Sie auch unter durchaus schweren Bedingungen am Arbeitsmarkt nach einer Beschäftigung suchen und möglicherweise durch das Verrichten von Gelegenheitsarbeiten Ihren Lebensunterhalt bestreiten könnten. Zudem verfügen Sie über familiäre Anknüpfungspunkte in Afghanistan. Darüber hinaus könnten Sie selbstverständlich im Falle der Rückkehr zum einen von Ihren im Iran aufhältigen Familienangehörigen (zumindest) finanzielle Unterstützung erwarten, zumal der Geldtransfer zwischen Iran und Afghanistan aufgrund des funktionierenden Bankenwesens möglich ist, und zum anderen - wie den Feststellungen zum Herkunftsland klar hervorgeht - zum Zwecke des Bestreitens des Lebensunterhaltes Unterstützungen, insbesondere in Zusammenhang mit einer Rückkehr, vom UNHCR oder IOM in Anspruch nehmen.
Zudem geht der Länderinformation klar hervor, dass Kabul gefahrlos über den Luftweg zu erreichen ist.“
7. Gegen diesen Bescheid wurde fristgerecht Beschwerde erhoben.
8. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 18.05.2021 eine mündliche Verhandlung durch, zu der die belangte Behörde entschuldigt nicht erschien.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Im Bescheid des BFA vom 19.05.2015 wurde ausdrücklich festgestellt, dass aufgrund der instabilen Sicherheitslage in der Heimatprovinz des BF Ghor für den BF als Zivilperson eine reale Gefahr einer ernsthaften individuellen Bedrohung des Lebens nicht ausreichend ausgeschlossen werden könne. Die Zumutbarkeit der Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative wurde nicht geprüft, sondern offenbar von einer existentiellen Gefährdung des BF im gesamten Staatsgebiet Afghanistans ausgegangen.
Eine Verlängerung des Status des subsidiär Schutzberechtigten durch das BFA erfolgte am 11.05.2016 (für zwei Jahre).
Die gegenständliche Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten durch das Bundesamt wurde auf die nunmehr bestehende innerstaatliche Fluchtalternative in Kabul, die bessere Berufserfahrung des BF sowie seine Volljährigkeit gestützt.
Es kann nicht festgestellt werden, dass sich die subjektive Situation des BF im Hinblick auf Berufserfahrung und Volljährigkeit deutlich und nachhaltig verändert bzw. verbessert hätte.
Die Sicherheits- und Versorgungslage in Afghanistan hat sich – in einer Gesamtbetrachtung des Landes – seit 2015 weder substanziell noch nachhaltig verbessert.
2. Beweiswürdigung:
Die Feststellungen zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten am 19.05.2015 und zur Verlängerung am 11.05.2016 stützen sich auf die Aktenlage.
Das BFA führt im angefochtenen Bescheid aus, dass dem BF subsidiärer Schutz aufgrund seiner damaligen Minderjährigkeit und seiner fehlenden familiären Anknüpfungspunkte zuerkannt worden sei. Das ist jedoch nicht korrekt, im Bescheid vom 19.05.2015 finden sich keine Ausführungen zur Minderjährigkeit des BF. Zum damaligen Zeitpunkt verfügte der BF (wie auch zum Zeitpunkt der Erlassung des gegenständlichen Bescheids) auch noch über familiäre Anknüpfungspunkte in seiner Heimatprovinz Ghor. Die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten stützte sich vielmehr ausschließlich auf die instabile Sicherheitslage in Ghor.
Der angefochtene Bescheid enthält jedoch keine konkreten Ausführungen, inwiefern sich die subjektive Lage des BF oder die allgemeine Sicherheits- und Versorgungslage gegenüber dem Zeitpunkt der Zuerkennung des subsidiären Schutzes am 19.05.2015 und der Verlängerung der Aufenthaltsberechtigung am 11.05.2016 maßgeblich und nachhaltig verändert hätten. Ein Vergleich zwischen der Sicherheits- und Versorgungslage in den Jahren 2015 und 2016 und der aktuellen Situation fand nicht statt. Vielmehr wurde eine gänzliche Neubewertung des Sachverhalts vorgenommen, ohne auf die Gründe für die Zuerkennung subsidiären Schutzes oder die Situation in Afghanistan im Jahr 2015 einzugehen.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu Spruchteil A):
3.1. Zu Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides:
3.1.1. Gemäß § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG ist einem Fremden der Status des subsidiär Schutzberechtigten von Amts wegen mit Bescheid abzuerkennen, wenn die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten (§ 8 Abs. 1 AsylG) nicht oder nicht mehr vorliegen.
Bei richtlinienkonformer Interpretation des § 9 Abs. 1 Z 1 erster Fall AsylG kommt eine Aberkennung des Status des subsidiären Schutzes im Lichte des Art. 19 der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (in der Folge: Statusrichtlinie) nur bei Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen der „falschen Darstellung“, des „Verschweigens von Tatsachen“ oder der „Verwendung gefälschter Dokumente, die für die Zuerkennung des subsidiären Schutzes ausschlaggebend“ waren, in Betracht (Böckmann-Winkler/Lipphart-Kirchmeir in Schrefler-König/Szymanski, Fremdenpolizei- und Asylrecht § 9 AsylG 2005, E5). Im gegenständlichen Fall ergeben sich jedoch aus dem angefochtenen Bescheid keinerlei Anhaltspunkte dahingehend, dass eines dieser Tatbestandsmerkmale vorliegt. Das BFA konnte in seinen begründenden Ausführungen nicht dartun, dass die Aberkennung im Sinne des § 9 Abs. 1 Z 1 erster Fall AsylG zu Recht erfolgt wäre.
Nach dem mit „Aberkennung, Beendigung oder Ablehnung der Verlängerung des subsidiären Schutzstatus“ übertitelten Art. 19 Abs. 1 Statusrichtlinie erkennen die Mitgliedstaaten den zuerkannten subsidiären Schutz ab, bzw. beenden diesen oder lehnen seine Verlängerung ab, wenn die betreffende Person gemäß Art. 16 Statusrichtlinie nicht länger Anspruch auf subsidiären Schutz erheben kann.
Art. 16 Abs. 1 Statusrichtlinie sieht vor, dass ein Drittstaatsangehöriger oder Staatenloser keinen Anspruch auf subsidiären Schutz mehr hat, wenn die Umstände, die zur Zuerkennung des subsidiären Schutzes geführt haben, nicht mehr bestehen oder sich in einem Maße verändert haben, dass ein solcher Schutz nicht mehr erforderlich ist. Nach Abs. 2 leg. cit. berücksichtigen die Mitgliedstaaten bei Anwendung des oben zitierten Abs. 1, ob sich die Umstände so wesentlich und nicht nur vorübergehend verändert haben, dass die Person, die Anspruch auf subsidiären Schutz hat, tatsächlich nicht länger Gefahr läuft, einen ernsthaften Schaden zu erleiden.
Damit stellt § 9 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall AsylG in richtlinienkonformer Interpretation auf eine Änderung der Umstände ab, die so wesentlich und nicht nur vorrübergehend ist, dass die Person, die Anspruch auf subsidiären Schutz hatte, tatsächlich nicht länger Gefahr läuft, einen ernsthaften Schaden zu erleiden.
Diese maßgeblichen Sachverhaltsänderungen können nicht immer (allein) in Änderungen im Herkunftsland, sondern auch entscheidungswesentlich in der persönlichen Situation des Schutzberechtigten gelegen sein. Dabei sind nicht isoliert nur jene Sachverhaltsänderungen zu berücksichtigen, die zeitlich nach der zuletzt erfolgten Bewilligung der Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung eingetreten sind, sondern es dürfen im Rahmen der bei der Beurteilung vorzunehmenden umfassenden Betrachtung bei Hinzutreten neuer Umstände alle für die Entscheidung maßgeblichen Elemente einbezogen werden, selbst wenn sie sich vor der Verlängerung der befristeten Aufenthaltsberechtigung ereignet haben (vgl. VwGH 27.05.2019, Ra 2019/14/0153).
Nach ständiger Judikatur verlangt der „Wegfall der Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status“ im Sinne der zweiten Variante („nicht mehr“ vorliegen) eine substanzielle und nachhaltige Änderung des entscheidungsrelevanten Sachverhalts, der zu eben dieser Zuerkennung geführt hat. Ob man denselben Sachverhalt (allenfalls) bereits zum Zeitpunkt der erstmaligen Statusgewährung rechtlich anders hätte beurteilen können, ist hingegen ebenso ohne Relevanz wie der Verweis auf eine Änderung (höchst-)gerichtlicher Entscheidungstendenzen. Die Beweislast für den Wegfall der Voraussetzungen sowie die Darlegung des substanziell und nachhaltig geänderten entscheidungsrelevanten Sachverhalts trifft aufgrund der Amtswegigkeit des Verfahrens zur Gänze das Bundesamt.
Bei der Beurteilung einer Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ist hinsichtlich der Beurteilung des entscheidungsrelevanten Sachverhalts und des Wegfalls der Voraussetzungen aber nicht nur der ursprüngliche (Zuerkennungs-)Bescheid oder eine entsprechende gerichtliche Entscheidung zu berücksichtigen, sondern auch die Begründung allfälliger bereits erfolgter Verlängerungen des Status. Das Bundesamt ist in diesem Zusammenhang aber nicht bei jeder neuerlichen Verlängerungsprüfung gänzlich frei in seiner Beurteilung des Sachverhalts, sondern an seine bisherigen rechtskräftigen Entscheidungen (und allenfalls solche des Gerichts) gebunden. Insbesondere kann eine Aberkennung von subsidiärem Schutz ohne zusätzliche entscheidungsrelevante Faktoren nicht auf Veränderungen des entscheidungsrelevanten Sachverhalts (gegenüber jenem bei erstmaliger Zuerkennung) gestützt werden, die – obwohl dem Bundesamt bereits bekannt – bisherigen Verlängerungen des Status nicht entgegengestanden sind.
3.1.2. Im vorliegenden Fall stellte das BFA hinsichtlich der Sachverhaltsänderung im Wesentlichen darauf ab, dass dem BF nunmehr eine innerstaatliche Fluchtalternative in Kabul zur Verfügung stehe und dieser in Österreich mittlerweile weitere Berufserfahrung erworben habe.
Maßstab für die Frage einer wesentlichen und nicht nur vorübergehenden Änderung der Umstände ist die rechtskräftige Entscheidung des BFA vom 19.05.2015, mit welchem dem BF der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde. Das BFA begründete die Gewährung von subsidiärem Schutz an den BF mit der instabilen Sicherheitslage in seiner Herkunftsprovinz Ghor. Darüber hinaus gehende Erwägungen – insbesondere hinsichtlich des allfälligen Vorliegens innerstaatlicher Fluchtalternativen, der Minderjährigkeit des BF oder seiner familiären Anknüpfungspunkte in Afghanistan – sind nicht ersichtlich, doch ergibt sich aufgrund der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten, dass das Bundesamt offenbar nicht vom Offenstehen innerstaatlicher Fluchtalternativen ausging, andernfalls es nicht zur Zuerkennung dieses Status kommen hätte können.
Wie bereits dargelegt, wurde eine wesentliche und nachhaltige Veränderung im Sinne einer Verbesserung der Sicherheitslage in Afghanistan vom BFA nicht aufgezeigt. Zur Argumentation des BFA, dass dem BF nunmehr eine innerstaatliche Fluchtalternative in Kabul zur Verfügung stehe, ist darauf zu verweisen, dass der Verwaltungsgerichtshof jüngst im Zusammenhang mit der Refoulement-Beurteilung nach § 52 Abs. 9 FPG ausgesprochen hat, dass eine maßgebliche Sachverhaltsänderung nicht schon per se in der neueren Judikatur zu vergleichbaren Fällen erblickt werden kann (vgl. VwGH 24.01.2019, Ro 2018/21/0011).
Im Übrigen hat sich die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes und des Verfassungsgerichtshofes seit dem Jahr 2016 zur Frage der Gewährung von subsidiärem Schutz von gesunden, alleinstehenden, erwachsenen, männlichen afghanischen Staatsangehörigen geändert. Dies kann jedoch nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes nicht dazu führen, dass ohne tatsächlich veränderter (iSv verbesserter) Länderberichtslage bzw. ohne maßgebliche Änderung der persönlichen Umstände des BF von nicht mehr vorliegenden Vorrausetzungen für die Gewährung von subsidiärem Schutz iSd § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG gesprochen werden kann.
Wie bereits dargelegt trifft das Bundesamt im Zusammenhang mit der Anwendung des § 9 AsylG, der ausschließliche Amtswegigkeit vorsieht, die alleinige Beweislast und Begründungspflicht. Das Bundesamt hat damit seine Entscheidung schlüssig zu argumentieren und den entscheidungsrelevanten Sachverhalt entsprechend zu belegen. Anders als in einem Antragsverfahren betreffend internationalen Schutz beantragt der BF nicht die Zuerkennung eines spezifischen Schutzstatus, sondern wehrt sich ausschließlich gegen die Aberkennung eines solchen, der im zuvor seitens der Republik rechtskräftig zuerkannt worden ist. Für einen derart massiven Eingriff in einen rechtskräftigen Schutzstatus trifft die Behörde eine dementsprechend umfassende Ermittlungs- und Begründungspflicht die schon aus Rechtsschutzgründen nicht auf die Beschwerdeinstanz ausgelagert werden darf. Das BFA at jedoch im vorliegenden Fall keine Prüfung der Voraussetzungen der Aberkennung vorgenommen, sondern vielmehr eine gänzliche Neubewertung des Sachverhalts, ausgehend von der aktuellen Berichtslage und Judikatur, vorgenommen. Mit diesem Vorgehen hat das BFA jedoch die Rechtslage verkannt.
Es ist nicht Aufgabe des zur Überprüfung berufenen Verwaltungsgerichts, handwerkliche Fehler einer Behörde und Begründungsmängel eines Bescheides in einem amtswegigen Verfahren zu sanieren. Der Wortlaut des § 9 Abs. 1 Z 1 AsylG verlangt unmissverständlich den Wegfall entscheidungsrelevanter Sachverhaltselemente, weshalb dieser Wegfall auch nachvollziehbar darzulegen und zu begründen ist.
Nach der Rechtsprechung des VwGH ist „die zu entscheidende Angelegenheit“ im Verfahren über die Beschwerde gegen einen Bescheid, mit dem dem BF der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt wurde, die Aberkennung des subsidiären Schutzstatus an sich und damit sämtliche in § 9 Abs. 1 und 2 AsylG vorgesehenen Prüfschritte und Aussprüche (VwGH 17.10.2019, Ro 2019/18/0005). Demnach ist das Bundesverwaltungsgericht nicht lediglich auf den Aberkennungstatbestand des § 9 Abs. 1 Z 1 erster Fall AsylG beschränkt, sondern hat vielmehr alle Hinweise auf das Vorliegen der Voraussetzungen eines der Aberkennungstatbestände des § 9 Abs. 1 und Abs. 2 AsylG aufzugreifen.
Das BFA hat sohin mit seinen Ausführungen entgegen richtlinienkonformer Interpretation des § 9 Abs. 1 Z 1 erster Fall AsylG und § 9 Abs. 1 Z 1 zweiter Fall AsylG eine maßgebliche Änderung der Umstände, die zur Zuerkennung des subsidiären Schutzes im Bescheid des BFA vom 19.05.2015 bzw. seit dem Bescheid vom 11.05.2016, mit dem die befristete Aufenthaltsberechtigung verlängert wurde, geführt haben, nicht dargetan. Die Voraussetzungen für die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten liegen sohin gegenständlich nicht vor. Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides über die amtswegige Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten war daher ersatzlos zu beheben.
3.2. Zu den Spruchpunkten III. bis VI. des angefochtenen Bescheides:
Nachdem mit gegenständlichem Erkenntnis Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides – mit welchem dem BF der Status des subsidiär Schutzberechtigten aberkannt wurde – ersatzlos behoben wurde, waren auch die weiteren, damit verbundenen Aussprüche (Spruchpunkte III. bis VI.) ersatzlos zu beheben, zumal sie schon infolge der Behebung der amtswegigen Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ihre rechtliche Grundlage verlieren.
3.3. Zu Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides:
Nach § 8 Abs. 4 AsylG ist die gleichzeitig mit der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannte Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter im Falle des weiteren Vorliegens der Voraussetzungen über Antrag des Fremden für jeweils zwei weitere Jahre zu verlängern.
Da nicht festgestellt werden konnte, dass sich die Gründe, aufgrund derer dem BF der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt wurde, nachhaltig und wesentlich geändert hätten, wie oben bereits dargelegt wurde, liegen die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten an den BF weiterhin vor. In Stattgabe der Beschwerde hinsichtlich Spruchunkt II. des angefochtenen Bescheides war sohin die befristete Aufenthaltsberechtigung des BF auf zwei weitere Jahre zu verlängern.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen. Nach Art. 133 Abs. 4 erster Satz B-VG idF BGBl. I Nr. 57/2019 ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Im vorliegenden Fall ist die ordentliche Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung abhängt. Denn das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu den einzelnen Spruchpunkten des angefochtenen Bescheides wiedergegeben.
Schlagworte
Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten Aberkennungstatbestand § 9 Abs. 1 befristete Aufenthaltsberechtigung Behebung der Entscheidung ersatzlose Teilbehebung Rückkehrentscheidung behoben Rückkehrsituation Sicherheitslage Verlängerung Versorgungslage wesentliche ÄnderungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2021:W241.2200481.1.00Im RIS seit
10.11.2021Zuletzt aktualisiert am
10.11.2021