TE Bvwg Erkenntnis 2021/8/6 W256 2178573-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 06.08.2021
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Entscheidungsdatum

06.08.2021

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §34 Abs3
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1 Z1
AsylG 2005 §8 Abs4
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

Spruch


W256 2178573-1/51E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag. Caroline KIMM als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , StA Somalia, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 30. Oktober 2017, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung, zu Recht:

A) I. Die Beschwerde wird hinsichtlich Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides als unbegründet abgewiesen.

II. Der Beschwerde wird hinsichtlich Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheides stattgegeben und dem Beschwerdeführer gemäß § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 der Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Somalia zuerkannt.

III. Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 wird dem Beschwerdeführer eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter für ein Jahr erteilt.

IV. Die Spruchpunkte III-IV des angefochtenen Bescheids werden ersatzlos behoben.

B) Die Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer, ein somalischer Staatsangehöriger, stellte am 19. April 2016 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (im Folgenden: AsylG 2005).

Am selben Tag fand vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes die Erstbefragung statt. Dabei führte er zu seinen Fluchtgründen befragt (wortwörtlich wiedergegeben) Folgendes an: „Ich bin vor den Al-Shabaab Rebellen in meinem Land geflohen. Dort wo ich wohne gab es auch französisches Militär. Die Rebellen beschuldigten mich deshalb ein Spion für die Franzosen zu sein. Sie haben mich angerufen und mir gesagt ich solle mich nicht einmischen sonst werde ich umgebracht. Deswegen habe ich meine Heimat verlassen. Das sind alle meine Fluchtgründe.“

Der Beschwerdeführer wurde am 24. Oktober 2017 durch ein Organ der belangten Behörde einvernommen. Darin führte er zu seinem gesundheitlichen Zustand befragt u.a. aus, dass er an Asthma leide, diesbezüglich derzeit aber weder in ärztlicher Behandlung stehe, noch Medikamente einnehme. Die in Österreich 2019 diagnostizierte offene Tuberkulose sei mittlerweile ausgeheilt. Zu seinen Fluchtgründen befragt, führte der Beschwerdeführer aus, er habe seinen Onkel in der Bäckerei unterstützt und in diesem Zusammenhang Soldaten im Stützpunkt mit Semmeln beliefert. Eines Tages seien sowohl sein Onkel, als auch er telefonisch von Al Shabaab bedroht und sein Onkel schlussendlich auch getötet worden. Der Beschwerdeführer habe daraufhin die Arbeit in der Bäckerei übernommen und sei er in weiterer Folge erneut von Al-Shabaab angerufen und schließlich auch von einem Koranlehrer persönlich bedroht worden. Konkret sei der Beschwerdeführer von Al Shabaab aufgefordert worden, etwas in den Stützpunkt zu bringen, woraufhin er den Koranlehrer im Stützpunkt verraten habe. Nachdem der Koranlehrer aus diesem Grund verhaftet worden sei, sei er von Al Shabaab gesucht worden und habe er schlussendlich Somalia verlassen.

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde den Antrag auf internationalen Schutz ab, erteilte keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Somalia zulässig sei. Begründend führte die belangte Behörde im Wesentlichen aus, dass der Beschwerdeführer keine asylrelevante Verfolgung glaubhaft habe machen können. Der Beschwerdeführer leide an Asthma, benötige diesbezüglich derzeit aber keine Behandlung. Dem Beschwerdeführer sei es daher als arbeitsfähigen Mann zumutbar, im Falle der Rückkehr selbst für sein Auskommen zu sorgen. Auch stehe ihm mit Mogadischu eine innerstaatliche Fluchtalternative offen und könne er auf die Unterstützung seiner Familie zurückgreifen.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde.

Die belangte Behörde legte die Beschwerde samt dem Verwaltungsakt dem Bundesverwaltungsgericht vor.

Mit Schreiben vom 22. Jänner 2019 teilte der Beschwerdeführer dem Bundesverwaltungsgericht mit, dass das Wohnhaus seiner Familie kurz vor Weihnachten durch eine Explosion zerstört worden sei. Seine Ehefrau und seine Tochter hätten sich nicht im Wohnhaus aufgehalten und hätten daher überlebt. Dennoch habe der Beschwerdeführer die Absicht gehabt, nach Somalia zurückzukehren, habe dies aber nun wieder verworfen.

Mit Schreiben vom 14. August 2018 teilte die Rechtsvertretung des Beschwerdeführers dem Bundesverwaltungsgericht mit, dass sich der Beschwerdeführer nicht mehr in Österreich aufhalte und der derzeitige Aufenthaltsort nicht bekannt sei.

Daraufhin wurde das Verfahren mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 21. August 2019, W256 2178573-1/10E gemäß § 24 Abs 2 AsylG 2005 eingestellt und nach neuerlicher Meldung des Beschwerdeführers im Bundesgebiet mit Beschluss vom 22. Dezember 2020, W256 2178573-1/13Z wieder fortgesetzt.

Mit Schreiben vom 22. Dezember 2020 wurde den Parteien u.a. das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 17. September 2019, letzte Kurzinformation eingefügt am 20. November 2019 zum Parteiengehör übermittelt. Weiters wurde der Beschwerdeführer dazu aufgefordert, ergänzende Angaben, insbesondere zu seinem aktuellen Gesundheitszustand zu tätigen und dazu Unterlagen dem Bundesverwaltungsgericht vorzulegen.

In seiner Stellungnahme vom 25. Jänner 2021 teilte der Beschwerdeführer dem Bundesverwaltungsgericht mit, dass er sich zurzeit in der Psychiatrischen Abteilung des Universitätsklinikums XXXX und zwar bereits zum dritten Mal befinde. Die Ungewissheit seines Aufenthaltes und seine familiären Sorgen würden den Beschwerdeführer belasten, weshalb er – um nicht eine Gefahr für sich oder andere darzustellen – stationär aufgenommen werden musste.

Eine Abfrage aus dem Zentralen Melderegister vom 15. März 2021 brachte hervor, dass der Beschwerdeführer über keine aufrechte Meldung im Bundesgebiet verfügt.

Über Aufforderung des Bundesverwaltungsgerichts teilte die Rechtsvertretung des Beschwerdeführers mit E-Mail vom 26. März 2021 mit, dass der Beschwerdeführer nicht auffindbar und sein Aufenthaltsort unbekannt sei.

Daraufhin wurde das Verfahren mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 29. März 2021, W256 2178573-1/24E neuerlich gemäß § 24 Abs 2 AsylG 2005 eingestellt und nach neuerlicher Meldung des Beschwerdeführers im Bundesgebiet mit Beschluss vom 13. April 2021, W256 2178573-1/28Z wieder fortgesetzt.

Mit der Ladung zur mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht wurde den Parteien das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 21. März 2021 zum Parteiengehör übermittelt. Weiters wurde der Beschwerdeführer dazu aufgefordert, Angaben zu seinem aktuellen Gesundheitszustand und seiner Integration in Österreich zu tätigen und allenfalls ergänzende Unterlagen dem Bundesverwaltungsgericht vorzulegen.

Mit E-Mail vom 28. Mai 2021 wurden dem Bundesverwaltungsgericht vom Beschwerdeführer diverse ärztliche Unterlagen in Bezug auf den Beschwerdeführer, welche u.a. die Alkoholsucht des Beschwerdeführers belegen würden, übermittelt. Weiters wurde die ACCORD Anfragebeantwortung zu Somalia: Umgang mit psychisch kranken Personen; Zugang zu Behandlung von psychischen Erkrankungen; Umgang mit alkoholabhängigen Personen und Gefährdung; Behandlungsmöglichkeiten von Alkoholabusus vom 19. April 2021 (im Folgenden: ACCORD) vorgelegt.

Dazu wurde der belangten Behörde Parteiengehör eingeräumt.

Vor dem Bundesverwaltungsgericht wurde durch die erkennende Richterin in der gegenständlichen Rechtssache am 1. Juni 2021 eine öffentlich mündliche Verhandlung durchgeführt. Darin führte die Rechtsvertretung des Beschwerdeführers aus, dass es dem Beschwerdeführer seit dem Tod der Schwiegermutter im Jahr 2018 psychisch sehr schlecht gehe, weil sich seine Frau und das Kind nun alleine ohne Schutz der Schwiegermutter in Somalia befinden würden. Der Beschwerdeführer sei alkoholkrank. Er habe vor der Verhandlung zwar keinen Alkohol konsumiert, dies aber nur deshalb, weil der Verein das organisiert habe. Der Beschwerdeführer sei am Tag vor der Verhandlung von jemandem von der Notschlafstelle abgeholt und in den Zug gesetzt worden. In Wien sei er vom Verein aus dem Zug geholt und zu einer Vertrauensperson gebracht worden. Am Tag der Verhandlung habe diese Vertrauensperson ihn zu Gericht gebracht, sonst wäre er wahrscheinlich nie dort angekommen. Unter einem wurde auf die ACCORD Anfragebeantwortung vom 19. April 2021 in Bezug auf die Lage von Leuten mit psychischer Erkrankung in Somalia hingewiesen. Daraus gehe hervor, dass Personen mit psychischer Erkrankung stigmatisiert und aus der Gesellschaft ausgeschlossen werden. Ohne Entzug und ohne Therapie werde es dem Beschwerdeführer schwerfallen, seine Alkoholkrankheit zu verbergen. Er könne daher mit keiner Unterstützung durch seinen Clan rechnen und befände sich daher in einer existenzbedrohenden Notlage.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

zur Person

Der – im Kopf genannte – Beschwerdeführer besitzt die somalische Staatsangehörigkeit (Verhandlungsschrift, Seite 5).

Er stammt aus der Region Hiraan, XXXX (Verhandlungsschrift, Seite 6) und hat dort bis zu seiner Ausreise mit seinem Onkel, seiner Lebensgefährtin und seiner minderjährigen Tochter gelebt (Verhandlungsschrift, Seite 7).

Seine Lebensgefährtin und seine Tochter leben derzeit in Mogadischu. Diese finanzieren sich ihren Lebensunterhalt durch Betteln bzw. durch finanzielle Unterstützungen des Beschwerdeführers. Der Beschwerdeführer steht mit diesen in Kontakt (Verhandlungsschrift Seite 7 und 13). Ansonsten verfügt der Beschwerdeführer aktuell über keine Angehörigen in Somalia (Verhandlungsschrift, Seite 7ff).

Der Beschwerdeführer gehört dem Clan der Hawiye-Hawadle an (angefochtener Bescheid, Seite 28; Verhandlungsschrift, Seite 6).

Er hat 9 Jahre die Schule besucht und als Hilfsarbeiter in der Bäckerei seines Onkels gearbeitet (angefochtener Bescheid, Seite 7; Verhandlungsschrift, Seite 6).

Er ist seit seiner Antragsstellung im Bundesgebiet aufhältig (Protokoll der Erstbefragung, Seite 2; angefochtener Bescheid, Seite 7).

Der Beschwerdeführer leidet an einer psychischen Störung durch Alkohol sowie einer psychotischen Störung, weshalb er Medikamente einnimmt und bereits auch mehrmals in stationärer Behandlung im Krankenhaus war (im Verfahren vorgelegte ärztliche Bestätigungen in Zusammenhalt mit den Angaben der Rechtsvertretung im Rahmen der mündlichen Verhandlung).

Außerdem leidet der Beschwerdeführer an der chronischen Lungenerkrankung, Asthma, wobei er diesbezüglich derzeit weder in ärztlicher Behandlung steht, noch Medikamente einnimmt (Verhandlungsschrift. Seite 5). Die in Österreich 2019 diagnostizierte offene Tuberkulose ist mittlerweile ausgeheilt (vorgelegte ärztliche Unterlagen).

Ansonsten ist der Beschwerdeführer gesund (angefochtener Bescheid, Seite 4; Verhandlungsschrift, Seite 11).

Er wird im Rahmen der Grundversorgung versorgt (Auszug aus dem Grundversorgungssystem vom 4. August 2021). Zudem ist er strafgerichtlich unbescholten (Strafregisterauszug vom 4. August 2021).

zur Lage in Somalia

Das Gebiet von Somalia ist faktisch zweigeteilt, nämlich in: a) die somalischen Bundesstaaten; und b) Somaliland, einen 1991 selbst ausgerufenen unabhängigen Staat, der international nicht anerkannt wird. Während Süd-/Zentralsomalia seit dem Zusammenbruch des Staates 1991 immer wieder von gewaltsamen Konflikten betroffen war und ist, hat sich der Norden des Landes unterschiedlich entwickelt (LIB, Seite 10).

Somalia ist damit zwar kein failed state mehr, bleibt aber ein fragiler Staat. Die vorhandenen staatlichen Strukturen sind sehr schwach, es gibt keine flächendeckende effektive Staatsgewalt. Die Regierung verfügt kaum über eine Möglichkeit, ihre Politik und von ihr beschlossene Gesetze im Land durch- bzw. umzusetzen (LIB, Seite 11).

Zwischen Nord- und Süd-/Zentralsomalia sind gravierende Unterschiede bei den Zahlen zu Gewalttaten zu verzeichnen. Auch das Maß an Kontrolle über bzw. Einfluss auf einzelne Gebiete variiert. Während Somaliland die meisten der von ihm beanspruchten Teile kontrolliert, ist die Situation in Puntland und – in noch stärkerem Ausmaß – in Süd-/Zentralsomalia komplexer. In Mogadischu und den meisten anderen großen Städten hat al Shabaab keine Kontrolle, jedoch eine Präsenz. Dahingegen übt al Shabaab über weite Teile des ländlichen Raumes Kontrolle aus (LIB, Seite 24).

zur Lage in Hiiraan:

Die Macht der Regierung von HirShabelle ist auf Teile von Middle Shabelle bzw. Jowhar beschränkt. Sie hat phasenweise Einfluss entlang der Straße von Jowhar nach Mogadischu. Zudem kann HirShabelle auch in Belet Weyne – beschränkt – Einfluss ausüben. Insgesamt sind bei den Verwaltungen von HirShabelle und Belet Weyne Verbesserungen zu verzeichnen.

Al Shabaab untergräbt auch weiterhin die Sicherheit in HirShabelle, ihre Aktivitäten im Bundesstaat haben sich intensiviert, die Zahl an Sprengstoffanschlägen auf AMISOM und somalische Armee hat sich erhöht. Zudem hat die Gruppe erfolgreich wesentliche Versorgungsrouten unterbrochen. So hat sich etwa die Sicherheitslage entlang der Straße Jowhar - Buulo Barde - Belet Weyne wieder verschlechtert, die Straße gilt nicht als durchgehend sicher. Bewohner von Buulo Barde beklagten sich im Feber 2021, dass ihr Bezirk von al Shabaab abgeriegelt worden ist.

Hiiraan: Belet Weyne, Buulo Barde, Jalalaqsi und Maxaas befinden sich unter Kontrolle von Regierungskräften und AMISOM (PGN 2.2021, S.1). Die beiden erstgenannten Städte können hinsichtlich einer Anwesenheit von (staatlichem) Sicherheitspersonal und etablierter Verwaltung als konsolidiert erachtet werden. Im Nordwesten Hiiraans ist al Shabaab nur in geringer Stärke präsent. Vor allem der Bereich entlang der somalisch-äthiopischen Grenze ist aktuell als sicher anzusehen. Wesentliche Teile von Hiiraan befinden sich hingegen unter Kontrolle von al Shabaab – vor allem die Gebiete westlich der Straße Jalalaqsi – Belet Weyne (LIB, Seite 45ff).

Mogadischu:

Noch vor zehn Jahren kontrollierte al Shabaab die Hälfte der Stadt, die gleichzeitig Schauplatz heftiger Grabenkämpfe war. Heute hingegen ist Mogadischu unter Kontrolle von Regierung und AMISOM. Generell hat sich die Lage für die Zivilbevölkerung in den vergangenen Jahren aber verbessert. Die Regierung unternimmt einiges, um die Sicherheit in der Stadt zu verbessern. Die Kapazitäten der Sicherheitsbehörden in Mogadischu haben sich verbessert, sie können nunmehr Gebiete kontrollieren, in welchen al Shabaab zuvor ungehindert agieren konnte (LIB, Seite 41).

Insgesamt ist die Sicherheitslage in Mogadischu ständigen Änderungen unterworfen (LIB, Seite 41).

Einerseits reicht die in Mogadischu gegebene Stärke der unterschiedlichen Sicherheitskräfte weiterhin nicht aus, um eine flächendeckende Präsenz sicherzustellen. Andererseits bietet die Stadt für al Shabaab alleine aufgrund der dichten Präsenz von Behörden und internationalen Organisationen viele attraktive Ziele. Innerhalb der Stadt hat sich die Sicherheit zwar verbessert, al Shabaab kann aber nach wie vor Anschläge durchführen – wenngleich die Durchführung schwierigerer geworden ist. Täglich kommt es zu Zwischenfällen in Zusammenhang mit al Shabaab (LIB, Seite 41 f).

Es gilt als höchst unwahrscheinlich, dass al Shabaab die Kontrolle über Mogadischu zurückerlangt. In Mogadischu besteht kein Risiko, von al Shabaab zwangsrekrutiert zu werden. Bei einem Abzug von AMISOM aus Mogadischu droht hingegen die Rückkehr von al Shabaab (LIB, Seite 42).

Al Shabaab ist im gesamten Stadtgebiet präsent, das Ausmaß ist aber sehr unterschiedlich. Dabei handelt es sich um eine verdeckte Präsenz und nicht um eine offen militärische. Relevante Verwaltungsstrukturen gelten als von al Shabaab unterwandert. Die Gruppe kann weiterhin ins Stadtgebiet infiltrieren und auch größere Anschläge durchführen (LIB, Seite 42).

Die Zahl größerer Anschläge und Operationen in der Hauptstadt hat abgenommen. Trotzdem ermordet al Shabaab immer noch regelmäßig Menschen in Mogadischu. Üblicherweise zielt al Shabaab mit größeren [mitunter komplexen] Angriffen auf Vertreter des Staates [„officials“], Gebäude und Fahrzeuge der Regierung, Hotels, Geschäfte, Militärfahrzeuge und -Gebäude sowie Soldaten von Armee und AMISOM. Nach anderen Angaben sind v.a. jene Örtlichkeiten betroffen, die von der ökonomischen und politischen Elite als Treffpunkte verwendet werden – z.B. Restaurants und Hotels (LIB, Seite 42).

Nicht alle Teile von Mogadischu sind bezüglich Übergriffen von al Shabaab gleich unsicher. Ein ausschließlich von der Durchschnittsbevölkerung frequentierter Ort ist kein Ziel der al Shabaab. Die Hauptziele von al Shabaab befinden sich in den inneren Bezirken: militärische Ziele, Regierungseinrichtungen und das Flughafenareal. Die meisten Anschläge richten sich gegen Villa Somalia, Mukarama Road, Bakara-Markt, die Flughafenstraße und Regierungseinrichtungen. Die Außenbezirke hingegen werden von manchen als die sichersten Teile der Stadt erachtet, da es dort so gut wie nie zu größeren Anschlägen kommt. Allerdings kommt es dort öfter zu gezielten Tötungen (LIB, Seite 42).

Al Shabaab greift Zivilisten nicht spezifisch an. Diese leiden auf zwei Arten an der Gewalt durch al Shabaab: Einerseits sind jene einem erhöhten Risiko ausgesetzt, die in Verbindung mit der Regierung stehen oder von al Shabaab als Unterstützer der Regierung wahrgenommen werden. Andererseits besteht für Zivilisten das Risiko, bei Anschlägen zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein und so zum Kollateralschaden von Sprengstoffanschlägen und anderer Gewalt zu werden (LIB, Seite 43).

zu Al Shabaab

Al Shabaab ist eine radikalislamistische, mit der al Qaida affiliierte Miliz. Die Gruppe ist weiterhin eine gut organisierte und einheitliche Organisation mit einer strategischen Vision: der Eroberung Somalias. Allerdings wandelt sich al Shabaab langsam zu einer mafiösen Entität, bei der das Eintreiben von „Steuern“ über den bewaffneten Kampf gestellt wird (LIB, Seite 57).

Die Menschen auf dem Gebiet von al Shabaab sind einer höchst autoritären und repressiven Herrschaft unterworfen. Die Gruppe versucht, alle Aspekte des öffentlichen und privaten Lebens der Menschen zu kontrollieren. Die mit der Nichtbefolgung strenger Vorschriften verbundenen harten Bestrafungen haben ein generelles Klima der Angst geschaffen. Dadurch kann al Shabaab die Bevölkerung kontrollieren, rekrutieren, Gebiete kontrollieren, Steuern eintreiben und ihre Gesetze durchsetzen (LIB, Seite 57).

Al Shabaab hat zwar insgesamt nicht an Stärke verloren und ist nach wie vor in der Lage, Friedens- und Staatsbildung zu hemmen. Trotz ihrer Fähigkeit zu stören und zu zerstören, stellt al Shabaab aber nicht länger eine existentielle Bedrohung für die somalische Regierung dar (LIB, Seite 58).

Al Shabaab wurde zwar aus den meisten Städten vertrieben, bleibt aber auf dem Land in herausragender Position. Zudem schränkt sie regionale sowie Kräfte des Bundes auf städtischen Raum ein, ohne dass diese die Möglichkeit hätten, sich zwischen den Städten frei zu bewegen. Al Shabaab kontrolliert Gebiete in den Regionen Lower Juba und Gedo [Jubaland]; Bakool, Bay und Lower Shabelle [SWS]; Hiiraan und Middle Shabelle [HirShabelle]; Galgaduud und Mudug [Galmudug]. Die Region Middle Juba wird zur Gänze von al Shabaab kontrolliert (LIB, Seite 59).

Gemäß einer Quelle hält al Shabaab in ihrem Gebiet vor allem in Städten und größeren Dörfern eine permanente Präsenz aufrecht. Abseits davon operiert al Shabaab in kleinen, mobilen Gruppen und zielt damit in erster Linie auf das Einheben von Steuern ab und übt Einfluss aus. Eine andere Quelle erklärt, dass, auch wenn es dort keine permanenten Stationen gibt, die Polizei von al Shabaab regelmäßig auch entlegene Gebiete besucht. Nominell ist die Reichweite der al Shabaab in Süd-/Zentralsomalia unbegrenzt. Sie ist in den meisten Landesteilen offen oder verdeckt präsent. Die Gruppe ist in der Lage, überall zuzuschlagen, bzw. kann sie sich auch in vielen Gebieten Süd-/Zentralsomalias frei bewegen (LIB, Seite 59).

Zwangsrekrutierungen von Al Shabaab kommen ausschließlich in Gebieten unter Kontrolle der al Shabaab vor. So gibt es etwa in Mogadischu keine Zwangsrekrutierungen durch die al Shabaab (LIB, Seite 94).

Al Shabaab verfügt über die Kapazitäten, menschliche Ziele – auch in Mogadischu – aufzuspüren. Unklar ist allerdings, für welche Personen al Shabaab bereit ist, diese Kapazitäten auch tatsächlich aufzuwenden. Außerdem unterliegt auch al Shabaab den Clandynamiken. Die Gruppe ist bei der Zielauswahl an gewisse Grenzen gebunden. Durch die Verbindungen mit unterschiedlichen Clans ergeben sich automatisch Beschränkungen (LIB, Seite 152).

zur Versorgungslage

Die somalische Wirtschaft hat mit dem dreifachen Schock aus Covid-19, einer Heuschreckenplage und Überschwemmungen zu kämpfen. Eine der Triebfedern der wirtschaftlichen Entwicklung ist und bleibt die Diaspora – etwa durch Investitionen [v. a. in Mogadischu und anderen Städten]. Remissen stabilisieren auch weiterhin Haushalte und Betriebe. Diese Rückflüsse sind 2020 im Vergleich zu 2019 noch einmal gestiegen, nach Angaben einer anderen Quelle sind sie aufgrund der Pandemie zurückgegangen. Zahlreiche Agenturen der UN [etwa UN-Habitat, UNICEF, UNHCR] sind tatkräftig dabei, das Land wiederaufzubauen (LIB, Seite 168).

Allerdings war das Wirtschaftswachstum schon in besseren Jahren für die meisten Somalis zu gering, als dass sich ihr Leben dadurch verbessern hätte können, die Bevölkerung wuchs schneller als das BIP. Das Pro-Kopf-Einkommen beträgt 500 US-Dollar. Zusätzlich bleibt die somalische Wirtschaft im Allgemeinen weiterhin fragil. Dies hängt mit der schmalen Wirtschaftsbasis zusammen. Die Mehrheit der Bevölkerung ist von Landwirtschaft und Fischerei abhängig und dadurch externen und Umwelteinflüssen besonders ausgesetzt (LIB, Seite 168).

Es gibt kein nationales Mindesteinkommen. In einer von Jahrzehnten des Konflikts zerrütteten Gesellschaft hängen die Möglichkeiten des Einzelnen generell sehr stark von seinem eigenen und vom familiären Hintergrund sowie vom Ort [Stadt-Land- und Nord-Süd-Gefälle] ab. Generell zeigt vor allem die urbane Ökonomie in Somalia – allen voran in Mogadischu – eine Erholung. Es gibt einen Bau-Boom. Supermärkte, Restaurants und Geschäfte werden eröffnet. Alleine der Telekom-Konzern Hormuud Telecom hat in den vergangenen Jahren tausende Arbeitsplätze geschaffen und beschäftigt heute mehr als 20.000 Frauen und Männer. In Puntland und Teilen Südsomalias – insbesondere Mogadischu – boomt der Bildungsbereich (LIB, Seite 169).

Einerseits wird berichtet, dass die Arbeitsmöglichkeiten für Flüchtlinge, Rückkehrer und andere vulnerable Personengruppen limitiert sind. So berichten Personen, die aus Kenia in Orte in Süd-/Zentralsomalia zurückgekehrt sind, über mangelnde Beschäftigungsmöglichkeiten. Andererseits wird ebenso berichtet, dass die besten Jobs oft an Angehörige der Diaspora fallen – etwa wegen besserer Sprachkenntnisse. Gerade um eine bessere Arbeit zu erhalten, ist man aber auch auf persönliche Beziehungen und das Netzwerk des Clans angewiesen. Dementsprechend schwer tun sich IDPs, wenn sie vor Ort über kein Netzwerk verfügen; meist sind sie ja nicht Mitglieder der lokalen Gemeinde. Männer, die vom Land in Städte ziehen, stehen oft vor der Inkompatibilität ihrer landwirtschaftlichen Kenntnisse mit den vor Ort am Arbeitsmarkt gegebenen Anforderungen. Die Zugezogenen tun sich schwer, eine geregelte Arbeit zu finden; außerdem wird der Umstieg von Selbstständigkeit auf abhängige Hilfsarbeit oft als Demütigung und Erniedrigung gesehen. Darum müssen gerade IDPs aus ländlichen Gebieten in die Lage versetzt werden, neue Fähigkeiten zu erlernen, damit sie etwa am informellen Arbeitsmarkt oder als Kleinhändler ein Einkommen finden. Dies geschieht auch teilweise. Generell finden Männer unter anderem auf Baustellen, beim Graben, Steinebrechen, Schuhputzen oder beim Khatverkauf eine Arbeit. Ein Großteil der Tätigkeiten ist sehr anstrengend und mitunter gefährlich. Außerdem wird von Ausbeutung und Unterbezahlung berichtet (LIB, Seite 169 f).

Die Arbeitslosenquote ist landesweit, wobei es zu konkreten Zahlen unterschiedlichste Angaben gibt (LIB, Seite 170 f).

Die Mehrheit der Bevölkerung lebt von Subsistenzwirtschaft, sei es als Kleinhändler, kleine Viehzüchter oder Bauern. Zusätzlich stellen Remissen für viele Menschen und Familien ein Grundeinkommen dar. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung ist direkt oder indirekt von der Viehzucht abhängig. Die große Masse der werktätigen Männer und Frauen arbeitet in Landwirtschaft, Viehzucht und Fischerei [62,8 %]. Der nächstgrößere Anteil an Personen arbeitet als Dienstleister oder im Handel [14,1 %]. 6,9 % arbeiten in bildungsabhängigen Berufen [etwa im Gesundheitsbereich oder im Bildungssektor], 4,8 % als Handwerker, 4,7 % als Techniker, 4,1 % als Hilfsarbeiter und 2,3 % als Manager (LIB, Seite 174).

Studien darüber, wie Menschen in Mogadischu ihren Lebensunterhalt bestreiten, haben sich auf die am meisten vulnerablen Gruppen der Stadt konzentriert: auf IDPs und Arme [urban poor]. Für diese Gruppen ist es charakteristisch, dass sie humanitäre Unterstützung erhalten. Sie stellen etwa 20 % der Bevölkerung von Mogadischu. Diese Gruppen profitieren nur zu einem äußerst geringen Anteil von Remissen [2 % der Befragten; somalische Gesamtbevölkerung: 30 %] (LIB, Seite 174).

In einer Studie von IOM aus dem Jahr 2016 gaben arbeitslose Jugendliche [14-30 Jahre] an, in erster Linie von der Familie in Somalia [60 %] und von Verwandten im Ausland [27 %] versorgt zu werden. Insgesamt ist das traditionelle Recht [Xeer] ein soziales Sicherungsnetz, eine Art der Sozial- und Unfall-bzw. Haftpflichtversicherung. Die Mitglieder des Qabiil [diya-zahlende Gruppe; auch Jilib] helfen sich bei internen Zahlungen – z. B. bei Krankenkosten – und insbesondere bei Zahlungen gegenüber Außenstehenden aus. Neben der Kernfamilie scheint der Jilib [Anm.: untere Ebene im Clansystem] maßgeblich für die Abdeckung von Notfällen verantwortlich zu sein. Wenn eine Person Unterstützung braucht, dann wendet sie sich an den Jilib oder – je nach Ausmaß – an untere Ebenen [z.B. Großfamilie]. Erweiterte Familie und Clan stellen also das grundlegende soziale Sicherheitsnetz dar (LIB, Seite 174).

Laut Schätzungen überweist die Diaspora pro Jahr ca. 1,3 Milliarden bzw. 20 % des BIP. Wie erwähnt, sind für viele Haushalte Remissen aus der Diaspora eine unverzichtbare Einnahmequelle. Sie ermöglichen größeren Teilen der Bevölkerung den Lebensuntererhalt, und damit Wasser, Gesundheitsleistungen, Bildung und Strom zu finanzieren. Diese Remissen, die bis zu 40 % eines durchschnittlichen Haushaltseinkommens ausmachen, tragen also wesentlich zum sozialen Sicherungsnetz bei und fördern die Resilienz der Haushalte. Städtische Haushalte erhalten viel eher regelmäßige monatliche Remissen, dort sind es 72 %. Die durchschnittliche Höhe der monatlichen Überweisungen beträgt 229 US-Dollar. IDPs bekommen verhältnismäßig weniger oft Remissen. Auch die Bevölkerung in Südsomalia – und hier v. a. im ländlichen Raum – empfängt verhältnismäßig weniger Geld als jene in Somaliland oder Puntland. Ein Grund dafür ist, dass dort ein höherer Anteil marginalisierter Gruppen und ethnischer Minderheiten beheimatet ist. Vorerst wurde geschätzt, dass die Remissen aufgrund der Covid-19-Pandemie 2020 um 17 % zurückgehen würden. Schließlich waren sie aber 2020 noch einmal höher als schon 2019 (LIB, Seite 175).

Die humanitären Bedürfnisse bleiben weiter hoch, angetrieben vom anhaltenden Konflikt, von politischer und wirtschaftlicher Instabilität und regelmäßigen Klimakatastrophen sowie der dreifachen Belastung durch Covid-19, Heuschrecken und Überflutungen. Die Grundversorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln ist in weiten Landesteilen nicht gewährleistet. Periodisch wiederkehrende Dürreperioden mit Hungerkrisen wie auch Überflutungen, zuletzt auch die Heuschreckenplage, die äußerst mangelhafte Gesundheitsversorgung sowie der mangelhafte Zugang zu sauberem Trinkwasser und das Fehlen eines funktionierenden Abwassersystems machen Somalia zum Land mit dem fünftgrößten Bedarf an internationaler Nothilfe weltweit. Covid-19 hat die bereits bestehende Krise nur noch verschlimmert. Es fügt sich ein in die Krisen der schlimmsten Heuschreckenplage seit 25 Jahren, schweren Überflutungen mit zeitweise 650.000 Vertriebenen, dem mancherorts andauernden Konflikt und vorangehenden Jahren der Dürre. Insgesamt gelten rund 2,6 Millionen Menschen als im Land vertrieben, 3,5 Millionen können auch nur die grundlegendste Nahrungsversorgung nicht sicherstellen. Die Aussicht für das Jahr 2021 ist düster, die Gesamtzahl der auf Hilfe angewiesenen Menschen wird von 5,2 Millionen im Jahr 2020 auf 5,9 Millionen steigen (LIB, Seite 177).

Seit dem Jahr 2000 hat Somalia 19 schwere Überschwemmungen und 17 Dürren durchgemacht. Das ist dreimal so viel wie im Zeitraum 1970-1990. Im Jahr 2017 stand Somalia nach einer schweren Dürre am Rand einer Hungersnot. 2019 gab es nach einer ungewöhnlichen Gu-Regenzeit die schlechteste Ernte seit der Hungersnot im Jahr 2011 (LIB, Seite 177).

Doch auch die Gu-Regenzeit [April-Juni] 2020 sorgte für Überschwemmungen. Erneut waren in 39 Bezirken 1,3 Millionen Menschen betroffen, ca. 500.000 wurden vertrieben. Bei saisonalen Überflutungen im September 2020 wurden erneut 630.000 Menschen vertrieben. Dies betraf v. a. die Bezirke Merka, Afgooye, Balcad, Jowhar und Jalalaqsi. Bei den Überschwemmungen im April-Juni 2020 wurden Felder zerstört. Im September 2020 wurden bei Überschwemmungen mehr als 1.320 Quadratkilometer bewirtschaftetes Land verwüstet. Insgesamt wurden 2020 alleine im Bundesstaat HirShabelle fast 1.500 Quadratkilometer Ackerland zerstört (LIB, Seite 177 f).

Im Jahr 2020 war Somalia von der größten Heuschreckenplage seit 25 Jahren betroffen, die Bundesregierung rief den nationalen Notstand aus. Zumindest Anfang 2020 blieben die durch Heuschrecken verursachten Schäden begrenzt und lokal. Die damals am meisten betroffenen Gebiete waren Somaliland, Puntland und Galmudug. Die Gu-Regenfälle 2020 haben dafür gesorgt, dass die Heuschrecken erneut ideale Brutbedingungen vorfinden. Die FAO und die Regierung hatten vorsorglich 437 Quadratkilometer mit Bio-Pestiziden besprühen lassen. Später im Jahr wurden neuerlich 396 Quadratkilometer in Somaliland, Puntland und Galmudug besprüht. Damit wurden rund 90.000 Tonnen Nahrung gesichert. Luft- und Bodenoperationen gegen die Plage werden fortgesetzt. Trotzdem hat sich die Plage auch in die zentralen und südlichen Landesteile verbreitet. Insgesamt sind rund 3.000 Quadratkilometer und 700.000 Menschen betroffen. Humanitäre Organisationen unterstützten 25.900 agro-pastorale Haushalte, davon rd. 7.500 mit Geld. Jedenfalls werden die Heuschrecken noch bis mindestens Mitte 2021 eine ernste Bedrohung für Weide und Ernte darstellen. Anfang Feber 2021 wurde dann auch von der somalischen Regierung ein diesbezüglicher Notstand ausgerufen. Diesmal betrifft die Plage eher den Süden des Landes (LIB, Seite 178).

Die Deyr-Regenzeit 2020 (Oktober-Dezember) setzte um drei bis vier Wochen zu spät ein. Insgesamt blieb Deyr unterdurchschnittlich – und dies v. a. in den meisten Gebieten Nordsomalias. Dort herrscht leichte bis moderate Dürre. Vor allem die Regionen Sanaag, Bari, Nugaal und Mudug sind von Wassermangel betroffen. In Zentralsomalia fiel mehr Regen als üblich. Trotzdem wird für 2021 eine Dürre erwartet (LIB, Seite 178).

Im November 2020 hat der Zyklon Gati Puntland getroffen und auch Teile Somalilands erreicht. Dies war der stärkste Zyklon in der Region, seit es Aufzeichnungen gibt. Der Zyklon brachte doppelt so starke Niederschläge, wie in einem Jahr durchschnittlich üblich. Dutzende puntländische Ortschaften und auch ein Teil von Bossaso wurden überschwemmt Infrastruktur, Häuser und 120 Fischerboote wurden beschädigt oder zerstört, 7.500 Stück Vieh getötet. 120.000 Menschen waren betroffen, 42.000 wurden temporär vertrieben. 78.000 Betroffenen wurde von humanitären Organisationen Hilfe geleistet (LIB, Seite 178).

In Südsomalia wird die Ernte nach der Deyr-Regenzeit um 20% niedriger ausfallen, als üblich. Im Norden viel die Gu/Karan-Ernte im November 2020 um 58% niedriger aus, als im langjährigen Durchschnitt. Die Heuschreckenplage hat signifikant zum Ernterückgang beigetragen (LIB, Seite 178).

Rund 77 % der Bevölkerung müssen mit weniger als 1,9 US-Dollar pro Tag auskommen – insbesondere in ländlichen Gebieten und IDP-Lagern. Nach anderen Angaben leben 69% der Bevölkerung in Armut, nach wieder anderen Angaben sind es 73 %. 43 % werden als extrem arm eingestuft. Es gibt viele IDPs und Kinder, die auf der Straße leben und arbeiten. Generell sind somalische Haushalte aufgrund von Naturkatastrophen, Epidemien, Verletzung oder Tod für Notsituationen anfällig. Mangelnde Bildung, übermäßige Abhängigkeit von landwirtschaftlichem Einkommen, hohe Arbeitslosigkeit, geringer Wohlstand und große Haushaltsgrößen tragen weiter dazu bei. 60 % der Somali sind zum größten Teil von der Viehzucht abhängig, 23% sind Subsistenz-Landwirte. Zwei Drittel der Bevölkerung leben im ländlichen Raum. Sie sind absolut vom Regen abhängig. In den vergangenen Jahren haben Frequenz und Dauer von Dürren zugenommen. Deswegen wurde auch die Kapazität der Menschen, derartigen Katastrophen zu begegnen, reduziert (LIB, Seite 179).

Versorgungslage / IPC: [IPC = Integrated Phase Classification for Food Security; 1-moderat bis 5-Hungersnot] Die Zahl an Menschen, die in ganz Somalia stark oder sehr stark von Lücken in der Nahrungsmittelversorgung betroffen sind [IPC 3 und höher], ist von 1,3 Millionen Anfang 2020 auf 1,6 Millionen Anfang 2021 angewachsen. Weitere 2,5 Millionen Menschen leiden ebenfalls an Problemen bei der Nahrungsmittelversorgung [IPC 2] (LIB, Seite 179).

Die meisten ländlichen Gebiete fallen im Zeitraum Jänner-März 2021 unter IPC 2, jene in den Regionen [geographische Einteilung nach IPC] Togdheer agro-pastoral, East Golis pastoral [Sanaag] und Coastal Deeh pastoral sowie Middle Shabelle riverine und Lower Juba riverine fallen in IPC 3. Dahingegen befinden sich Southern Inland pastoral [Hiiraan, Shabelle, Bakool, Bay und Juba] sowie Juba Cattle pastoral in IPC 1. Die meisten armen Stadtbewohner [„urban poor“] sowie IDPs finden sich in IPC 2; die IDPs in Burco, Laascaanood, Bossaso, Garoowe, Qardho und Baidoa in IPC 3 (LIB, Seite 179).

Szenario für April-Juni 2021 – wohlgemerkt bei ausbleibender humanitärer Hilfe: Während die städtische Bevölkerung [Ausnahme Kismayo bei IPC 3] und die meisten ländlichen Gebiete weitgehend in IPC 2 verharren werden, finden sich die meisten IDPs sowie einige über ganz Somalia verteilte, ländliche Gebiete in IPC 3 wieder. Lediglich Southern Inland pastoral [Teile von Hiiraan, Lower und Middle Shabelle, Bakool, Bay sowie Lower und Middle Juba] bleiben in IPC 1. Insgesamt wären dann 2,7 Millionen Menschen in ganz Somalia von IPC 3 oder IPC 4 sowie 2.9 Millionen von IPC 2 betroffen (LIB, Seite 179).

Die Mehrheit der IDPs in städtischen Gebieten sind arm und haben nur eingeschränkte Reserven und Einkommensmöglichkeiten. Sie sind stark von externer humanitärer Hilfe abhängig. Sie, sowie Teile der armen Stadtbevölkerung [urban poor] werden bis Mitte 2021 vor moderaten bis großen Lücken bei der Nahrungsmittelversorgung stehen (LIB, Seite 179).

Besorgniserregend ist die Unter- und Mangelernährung in folgenden Gebieten bzw. bei folgenden Gruppen: Shabelle und Juba riverine; Southern Inland pastoral [Ceel Barde]; Xudur Stadt; Bay agropastoral; Bezirke Belet Weyne, Jalalaqsi, Buulo Barde; Matabaan; IDPs in Xudur, Baidoa, Mogadischu, Bossaso, Garoowe und Galkacyo; Hawd pastoral [zentrale Regionen] (LIB, Seite 186).

zur Versorgungslage in Mogadischu

Die Stadt Mogadischu wird auf der IPC-Food-Insecurity-Lagekarte für den Zeitraum Jänner 2020 bis März 2021 als IPC-2 Kategorie bewertet (LIB, Seite 181).

Ein von der Bundesregierung und Hilfsorganisationen neu aufgelegter Somalia Humanitarian Response Plan [HRP] hat drei Millionen Menschen notwendige lebenserhaltende Unterstützung zukommen lassen. Die Kosten werden mit über einer Milliarde US-Dollar beziffert. Alleine im Mai 2020 erreichte die Nahrungsmittelhilfe 2,3 Millionen von auf Hilfe angewiesene Personen; im Juni waren es 1,8 Millionen. Hilfe erreichte im Dezember 2020 rund 2,3 Millionen Menschen. Im Zeitraum Juli-Dezember 2020 erreichten humanitäre Organisationen durchschnittlich 1,8 Millionen Menschen pro Monat mit Nahrungsmittelhilfe. Diese Hilfe hat stärkere Unsicherheit bei der Nahrungsmittelversorgung und eine höhere Rate an Unterernährung verhindert. Für Mogadischu gibt es ein spezielles Sicherheitsnetz, das von der Regierung gemeinsam mit dem World Food Programme betrieben wird. Dieses erreicht seit Juli 2018 monatlich 125.000 Menschen (LIB, Seite 186).

Die humanitäre Unterstützung für Somalia ist eine der am besten finanzierten humanitären Maßnahmen weltweit. Hilfsprojekte von internationalen Organisationen oder NGOs erreichen in der Regel nicht alle Bedürftigen. Allerdings kann aufgrund großer internationaler humanitärer Kraftanstrengungen und einer zunehmenden Professionalisierung der humanitären Hilfe bei den regelmäßig wiederkehrenden Dürren sowie Überschwemmungen inzwischen weitgehend verhindert werden, dass es zu Hungertoten kommt. In der Regel erreichen humanitäre Organisationen die Menschen. Im November 2020 hatten Organisationen der Nahrungsmittelhilfe beispielsweise die Erreichung von 2,1 Millionen Menschen angestrebt; erreicht wurden schließlich 1,9 Millionen. Aufgrund von Behinderungen beim Zugang zu den Menschen konnten in diesem Monat etwa nur 3% der Menschen in Middle Shabelle und niemand in Middle Juba erreicht werden. In Benadir konnten – aufgrund von Finanzierungsausfällen – nur 22% erreicht werden. Im Kampf gegen Unterernährung stoßen die Organisationen auf Probleme bei der Erreichbarkeit von Menschen in Middle Juba, dem Bezirk Tayeeglow [Bakool], Sablaale [Lower Shabelle] und Adan Yabaal [Middle Shabelle] (LIB, Seite 186 f).

Aufgrund von Covid-19 hat z.B. die Hilfsorganisation CARE ihre work-for-cash-Programme ausgesetzt. Als Ersatz wird Hilfsbedürftigen das Geld auch ohne Arbeit auf ihr Mobiltelefon überwiesen. 84.000 Menschen nehmen dies in Anspruch. Die Europäische Kommission hat aufgrund der Heuschreckenplage weitere 5,8 Millionen Euro für Geldtransfers an Betroffene zur Verfügung gestellt (LIB, Seite 187).

Al Shabaab und andere nichtstaatliche Akteure behindern die Leistung humanitärer Hilfe und die Lieferung von Hilfsgütern an vulnerable Bevölkerungsteile – speziell in Süd-/Zentralsomalia (LIB, Seite 188).

Es gibt kein öffentliches Wohlfahrtssystem, keinen sozialen Wohnraum und keine Sozialhilfe. Soziale Unterstützung erfolgt entweder über islamische Wohltätigkeitsorganisationen, NGOs oder den Clan. Wohnungs- und Arbeitsmarkt sowie Armutsminderung liegen im privaten Sektor. Das eigentliche soziale Sicherungsnetz ist die erweiterte Familie, der Subclan oder der Clan. Sie bieten oftmals für Personen, deren Unterhalt und Überleben in Gefahr ist, zumindest einen rudimentären Schutz. Eine weitere Hilfestellung bieten Remissen aus dem Ausland. Remissen sind im Zuge der Covid-19-Pandemie zurückgegangen. Eine Erhebung im November und Dezember 2020 hat gezeigt, dass 22% der städtischen, 12% der ländlichen und 6% der IDP-Haushalte Remissen beziehen. Die Mehrheit der Empfänger berichtete von Rückgängen von über 10% (LIB, Seite 188).

Generell stellt in Krisenzeiten [etwa Hungersnot 2011 und Dürre 2016/17] die Hilfe durch Freunde oder Verwandte die am meisten effiziente und verwendete Bewältigungsstrategie dar. Neben Familie und Clan helfen also auch andere soziale Verbindungen – seien es Freunde, geschlechtsspezifische oder Jugendgruppen, Bekannte, Berufsgruppen oder religiöse Bünde. Meist ist die Unterstützung wechselseitig. Über diese sozialen Netzwerke können auch Verbindungen zwischen Gemeinschaften und Instanzen aufgebaut werden, welche Nahrungsmittel, medizinische Versorgung oder andere Formen von Unterstützung bieten. Auch für IDPs stellen solche Netzwerke die Hauptinformationsquelle dar, wo sie z.B. Unterkunft und Nahrung finden können. Generell ist es auch üblich, Kinder bei engen oder fernen Verwandten unterzubringen, wenn eine Familie diese selbst nicht erhalten kann. 22% der bei einer Studie befragten IDP-Familien haben Kinder bei Verwandten, 28% bei institutionellen Pflegeeinrichtungen [7%] untergebracht. Weitere 28% schicken Kinder zum Essen zu Nachbarn (LIB, Seite 188).

In der somalischen Gesellschaft – auch bei den Bantu – ist die Tradition des Austauschs von Geschenken tief verwurzelt. Mit dem traditionellen Teilen werden in dieser Kultur der Gegenseitigkeit bzw. Reziprozität Verbindungen gestärkt. Folglich wurden auch im Rahmen der Dürre 2016/17 die über Geldtransfers zur Verfügung gestellten Mittel und Remissen mit Nachbarn, Verwandten oder Freunden geteilt – wie es die Tradition des Teilens vorsah (LIB, Seite 189).

Die hohe Anzahl an IDPs zeigt aber, dass manche Clans nicht in der Lage sind, der Armut ihrer Mitglieder entsprechend zu begegnen. Vor allem, wenn Menschen in weit von ihrer eigentlichen Clan-Heimat entfernte Gebiete fliehen, verlieren sie zunehmend an Rückhalt und setzen sich größeren Risiken aus. Eine Ausnahme davon bilden Migranten, die ihren Familien und Freunden mit Remissen helfen können (LIB, Seite 189).

IDPs:

Schon vor dem Jahr 2016 gab es – v.a. in Süd-/Zentralsomalia – mehr als 1,1 Millionen IDPs. Viele davon waren im Zuge der Hungersnot 2011 geflüchtet und danach nicht mehr in ihre Heimat zurückgekehrt. Weitere 1,6 Millionen sind ab 2016 hinzugekommen, auch sie sind in erster Linie wegen der Dürre geflohen. Die Zahl an IDPs beträgt ca. 2,6 Millionen. Alleine 630.000 waren [Stand September 2020] durch Überflutungen vertrieben worden. Die meisten Menschen [69%] flohen im Zeitraum Juli-Dezember 2020 aufgrund von Überflutungen, weitere 14% wegen eines Mangels an Lebensgrundlage. Nur 14% flohen wegen Unsicherheit oder Konflikten (LIB, Seite 163).

Die somalische Regierung und Somaliland arbeiten mit dem UNHCR und IOM zusammen, um IDPs, Flüchtlinge, Rückkehrer und Asylwerber zu unterstützen. Der UNHCR setzt sich für den Schutz von IDPs ein und gewährt etwas an finanzieller Unterstützung (LIB, Seite 163).

Rechtswidrige Zwangsräumungen, die IDPs und die arme Stadtbevölkerung betrafen, bleiben ein großes Problem. Zwischen Jänner und August 2020 wurden dadurch mehr als 100.000 Menschen vertrieben, in den ersten zehn Monaten 2019 waren es 220.000. Bewohner von Lagern leben daher in ständiger Ungewissheit, da sie immer eine Zwangsräumung befürchten müssen. Die Mehrheit der IDPs zog in der Folge in entlegene und unsichere Außenbezirke von Mogadischu, wo es lediglich eine rudimentäre bzw. gar keine soziale Grundversorgung gibt, und sie unter äußerst schlechten Bedingungen leben (LIB, Seite 164).

IDPs sind andauernden schwerwiegenden Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt, ihre besondere Schutzlosigkeit und Hilfsbedürftigkeit werden von allerlei nichtstaatlichen – aber auch staatlichen – Stellen ausgenutzt und missbraucht. Schläge, Vergewaltigungen, Abzweigung von Nahrungsmittelhilfen, Bewegungseinschränkung und Diskriminierung aufgrund von Clanzugehörigkeit sind an der Tagesordnung; es kommt auch zu Vertreibungen und sexueller Gewalt. Dies trifft in erster Linie Bewohner von IDP-Lagern – in Mogadischu v.a. jene IDPs, die nicht über Clanbeziehungen in der Stadt verfügen. Weibliche IDPs sind hinsichtlich einer Vergewaltigung besonders gefährdet. 2018 betrafen 80 % der gemeldeten Fälle geschlechtsspezifischer Gewalt IDPs. Zu den Tätern gehören bewaffnete Männer und Zivilisten. Für IDPs in Lagern gibt es keinen Rechtsschutz, und es gibt in Lagern auch keine Polizisten, die man im Notfall alarmieren könnte (LIB, Seite 164 f).

In Mogadischu sind die Bedingungen für IDPs in Lagern hart. Oft fehlt es dort an simplen Notwendigkeiten, wie etwa Toiletten. Landesweit fehlen in 80 % der IDP-Lager Wasserstellen – v.a. in Benadir, dem SWS und Jubaland. Die Rate an Unterernährung ist hoch, der Zugang zu grundlegenden Diensten eingeschränkt. Es mangelt ihnen zumeist an Zugang zu genügend Lebensmitteln und akzeptablen Unterkünften. Allerdings ist der Zustand von IDP-Lagern unterschiedlich. Während die neueren meist absolut rudimentär sind, verfügen ältere Lager üblicherweise über grundlegende Sanitär-, Gesundheits- und Bildungseinrichtungen (LIB, Seite 165).

Die EU unterstützte über das Programm RE-INTEG Rückkehrer, IDPs und Aufnahmegemeinden. Dafür wurden 50 Millionen Euro zur Verfügung gestellt. Die Weltbank stellt für fünf Jahre insgesamt 112 Millionen US-Dollar zur Verfügung. Mit diesem Geld soll die städtische Infrastruktur verbessert werden, wovon sowohl autochthone Stadtbewohner als auch IDPs profitieren sollen. Andere Programme für nachhaltige Lösungen werden von UN-HABITAT, dem Norwegian Refugee Council und der EU finanziert oder geführt (LIB, Seite 165).

Rückkehrer:

Rund die Hälfte der vom UNHCR seit 2014 bei ihrer Rückkehr nach Somalia unterstützten Haushalte geben an, nicht über genügend Einkommen zu verfügen. Für 24% stellt humanitäre Hilfe das Haupteinkommen dar. 48% sind von Einkommen aus Taglöhnerarbeit oder Kleinhandel abhängig, 15% betätigen sich als Landwirte. Insgesamt leben von diesen Rückkehrern nur 19% in IDP-Lagern. Nach anderen Angaben ist Somalia auf eine Rückkehr von Flüchtlingen in großem Ausmaß nicht vorbereitet, und es kann davon ausgegangen werden, dass sich erheblicher Teil der Rückkehrer als IDPs wiederfinden wird (LIB, Seite 191).

Der Jilib [Anm.: untere Ebene im Clansystem] ist unter anderem dafür verantwortlich, Mitglieder in schwierigen finanziellen Situationen zu unterstützen. Das traditionelle Recht (Xeer) bildet hier ein soziales Sicherungsnetz, eine Art der Sozial- und Unfallversicherung. Wenn eine Person Unterstützung braucht, dann wendet sie sich an den Jilib oder – je nach Ausmaß – an untere Ebenen [z.B. Großfamilie]. Eine erfolgreiche Rückkehr und Reintegration kann in erheblichem Maße von der Clanzugehörigkeit bzw. von lokalen Beziehungen der rückkehrenden Person abhängig sein. Rückkehrer ohne Clan oder Familienverbindungen am konkreten Ort der Rückkehr finden sich ohne Schutz in einer Umgebung wieder, in der sie oftmals als Fremde angesehen werden. Auch in Mogadischu sind Freundschaften und Clannetzwerke sehr wichtig. Zur Aufnahme kleinerer oder mittelgroßer wirtschaftlicher Aktivitäten ist aber kein Netzwerk notwendig. Insgesamt herrschen am Arbeitsmarkt Nepotismus und Korruption (LIB, Seite 191 f).

In das europäische Programm zur freiwilligen Rückkehr ERRIN [European Return and Reintegration Network] wurde mit November 2019 auch die Destination Somalia aufgenommen. Umgesetzt wird das Programm vor Ort von der Organisation IRARA [International Return and Reintegration Assistance] mit Büro in Mogadischu. Das Programm umfasst – neben den direkt von Österreich zur Verfügung gestellten Mitteln – pro Rückkehrer 200 Euro Bargeld sowie 2.800 Euro Sachleistungen. Letztere umfassen [je nach Wunsch des Rückkehrers] eine vorübergehende Unterbringung, medizinische und soziale Unterstützung, Beratung in administrativen und rechtlichen Belangen, Unterstützung bei der Gründung eines Kleinunternehmens sowie schulische und berufliche Bildung. Neben Mogadischu hat IRARA Standorte in Kismayo, Baidoa und Belet Weyne. Laut IRARA werden nicht nur freiwillige Rückkehrer, sondern auch abgewiesene Asylwerber, irreguläre Migranten, unbegleitete Minderjährige und andere vulnerable Gruppen unterstützt und vom Programm abgedeckt. Bei Ankunft bietet IRARA Abholung vom Flughafen; Unterstützung bei der Weiterreise; temporäre Unterkunft [sieben Tage]; medizinische Betreuung; Grundversorgung. Zur Reintegration wird ein maßgeschneiderter Plan erstellt, der folgende Maßnahmen enthalten kann: soziale, rechtliche und medizinische Unterstützung; langfristige Unterstützung bei der Unterkunft; Bildung; Hilfe bei der Arbeitssuche; Berufsausbildung; Unterstützung für ein Start-up; Unterstützung für vulnerable Personen [IRARA o.D.a] (LIB, Seite 192).

Das ebenfalls von der EU finanzierte Programm REINTEG bietet freiwilligen Rückkehrern – je nach Bedarf – medizinische und psycho-soziale Unterstützung; Bildung für Minderjährige; Berufstraining und Ausbildung, um ein Kleinunternehmen zu starten; die Grundlage für eine Arbeit, die ein eigenes Einkommen bringt; und Unterstützung bei Unterkunft und anderen grundlegenden Bedürfnissen. Durchschnittlich waren die REINTEG-Rückkehrer zwei Jahre lang weg aus Somalia. Für Rückkehrer im REINTEG-Programm hat IOM im Mai 2020 eine Hotline eingerichtet. Rückkehrer melden sich dort, um etwa Fragen hinsichtlich der Zeitpläne zur ökonomischen Reintegration beantwortet zu bekommen, oder um hinsichtlich ihrer Mikro-Unternehmen oder auch z.B. für psycho-soziale oder medizinische Unterstützung anzusuchen. Nachdem schon im Jahr 2019 in Hargeysa erfolgreich ein Rückkehrer-Komitee für REINTEG eingerichtet worden war, wurde ein solches 2020 auch in Mogadischu gebildet. Die ebenfalls aus Rückkehrern zusammengesetzten Komitees unterstützen Rückkehrer nach ihrer Ankunft. Sie teilen Informationen und Netzwerke und stellen Kontakt zu relevanten Organisationen und Reintegrationsprojekten her (LIB, Seite 192 f).

Der Zugang zu einer Unterkunft oder zu Bildung wird von Rückkehrern im REINTEG-Programm als problematisch beschrieben. Der Immobilienmarkt in Mogadischu boomt, die Preise sind gestiegen. In den „besseren“ Bezirken der Stadt, wo es größere Sicherheitsvorkehrungen gibt – z.B. Waaberi, Medina, Hodan oder das Gebiet am Flughafen – kostet die Miete eines einfachen Raumes mit 25m² 50-100 US-Dollar pro Monat. Am Stadtrand – z.B. in Heliwaa oder am Viehmarkt – sind die Preise leistbarer. Der Kubikmeter Wasser wird um 1-1,5 US-Dollar verkauft. Es gibt keine eigenen Lager für Rückkehrer, daher siedeln sich manche von ihnen in IDP-Lagern an. Vom Returnee Management Office [RMO] der somalischen Immigrationsbehörde kann gegebenenfalls eine Unterkunft und ein inner-somalischer Weiterflug organisiert und bezahlt werden, die Rechnung ist vom rückführenden Staat zu begleichen. Generell mahnen Menschenrechtsorganisationen, dass sich Rückkehrer in einer prekären Situation befinden und die Grundvoraussetzungen für eine freiwillige Rückkehr nicht gewährleistet sind. Grundsätzlich braucht es zur Anmietung eines Objektes einen Bürgen, der vor Ort bekannt ist. Dies ist i.d.R. ein Mann. Für eine alleinstehende Frau gestaltet sich die Wohnungssuche dementsprechend schwierig, dies ist kulturell unüblich und wirft unter Umständen Fragen auf (LIB, Seite 193).

Prinzipiell gestaltet sich die Rückkehr für Frauen schwieriger als für Männer. Eine Rückkehrerin ist auf die Unterstützung eines Netzwerks angewiesen, das in der Regel enge Familienangehörige – geführt von einem männlichen Verwandten – umfasst. Für alleinstehende Frauen ist es mitunter schwierig, eine Unterkunft zu mieten oder zu kaufen. Auch für Angehörige von Minderheiten – etwa den Bantus – gestaltet sich eine Rückkehr schwierig. Ein Mangel an Netzwerken schränkt z.B. den Zugang zu humanitärer Hilfe ein. Für eine weibliche Angehörige von Minderheiten, die weder Aussicht auf familiäre noch Clanunterstützung hat, stellt eine Rückkehr tatsächlich eine Bedrohung dar (LIB, Seite 193).

Medizinische Versorgung:

Die medizinische Versorgung ist im gesamten Land äußerst mangelhaft. Die Infrastruktur bei der medizinischen Versorgung ist minimal und beschränkt sich meist auf Städte und sichere Gebiete. Die Ausrüstung reicht nicht, um auch nur die grundlegendsten Bedürfnisse der Bevölkerung ausreichend abdecken zu können. Es mangelt an Personal für die medizinische Versorgung. Besonders akut ist der Mangel an Psychiatern, an Technikern für medizinische Ausrüstung und an Anästhesisten. Am größten aber ist der Mangel an einfachen Ärzten (LIB, Seite 199 f).

Nach anderen Angaben gibt es in ganz Somalia 11 öffentliche und 50 andere Spitäler. In Mogadischu gibt es 4 öffentliche und 46 andere Gesundheitszentren. Jedenfalls müssen Patienten oft lange Wegstrecken zurücklegen, um an medizinische Versorgung zu gelangen. In Mogadischu gibt es mindestens zwei Spitäler, die für jedermann zugänglich sind. In manchen Spitälern kann bei Notlage über die Ambulanzgebühr verhandelt werden. Im Gegensatz zu Puntland werden in Süd-/Zentralsomalia Gesundheitseinrichtungen vorwiegend von internationalen NGOs unter Finanzierung von Gebern betrieben (LIB, Seite 200).

Allerdings sind die öffentlichen Krankenhäuser mangelhaft ausgestattet, was Ausrüstung/medizinische Geräte, Medikamente, ausgebildete Kräfte und Finanzierung angeht. Dabei ist der Standard von Spitälern außerhalb Mogadischus erheblich schlechter. Speziellere medizinische Versorgung – etwa Chirurgie – ist nur eingeschränkt verfügbar – in öffentlichen Einrichtungen fast gar nicht, unter Umständen aber in privaten. So werden selbst am Banadir Hospital – einem der größten Spitäler des Landes, das über vergleichsweise gutes Personal verfügt und auch Universitätsklinik ist – nur einfache Operationen durchgeführt. Relativ häufig müssen daher Patienten von öffentlichen Einrichtungen an private verwiesen werden (LIB, Seite 201).

Die Primärversorgung wird oftmals von internationalen Organisationen bereitgestellt und ist für Patienten kostenfrei. Allerdings muss manchmal für Medikamente bezahlt werden. Private Einrichtungen, die spezielle Leistungen anbieten, sind sehr teuer. Zusätzlich kann man sich auch an Gesundheitseinrichtungen wenden, die von UN-Agenturen betrieben werden. Bei privaten Einrichtungen sind alle Kosten zu bezahlen. Es gibt keine Krankenversicherung (LIB, Seite 201).

Grundlegende Medikamente sind verfügbar, darunter solche gegen die am meisten üblichen Krankheiten sowie jene zur Behandlung von Diabetes, Bluthochdruck, Epilepsie und von Geschwüren. Auch Schmerzstiller sind verfügbar. In den primären Gesundheitszentren ländlicher Gebiete kann es bei Medikamenten zur Behandlung chronischer Krankheiten zu Engpässen kommen. Nach anderen Angaben kommt es in Krankenhäusern allgemein immer wieder zu Engpässen bei der Versorgung mit Medikamenten, Verbands- und anderen medizinischen Verbrauchsmaterialien (LIB, Seite 203).

Es gibt in ganz Süd-/Zentralsomalia und Puntland nur einen Psychiater, elf Sozialarbeiter für psychische Gesundheit sowie 19 Pflegekräfte. Folgende psychiatrische Einrichtungen sind bekannt. An psychiatrischen Spitälern gibt es nur zwei, und zwar in Mogadischu; daneben gibt es drei entsprechende Abteilungen an anderen Spitälern und vier weitere Einrichtungen. Dabei gibt es eine hohe Rate an Personen mit posttraumatischer Belastungsstörung. Psychische Probleme werden durch den bestehenden Konflikt und den durch Instabilität, Arbeits- und Hoffnungslosigkeit verursachten Stress gefördert. Schätzungen zufolge sind 30% der Bevölkerung betroffen, die absolute Zahl wird mit 1,9 Millionen Betroffenen beziffert. Psychisch Kranken haftet meist ein mit Diskriminierung verbundenes Stigma an. Nach wie vor ist das Anketten psychisch Kranker eine weit verbreitete Praxis. Dies gilt selbst für psychiatrische Einrichtungen – etwa in Garoowe (LIB, Seite 202).

Psychische Krankheiten: Die Verfügbarkeit ist hinsichtlich der Zahl an Einrichtungen, qualifiziertem Personal und geographischer Reichweite unzureichend. Auch die Verfügbarkeit psychotroper Medikamente ist nicht immer gegeben, das Personal im Umgang damit nicht durchgehend geschult (LIB, Seite 203).

Auch in einem Bericht von UNHCR aus dem Jahr 2016 wird auf die mangelhafte Infrastruktur und die wenigen Fachkräfte für die Behandlung von psychischen Krankheiten verwiesen. Viele private Kliniken würden von Psychiatern aus der Diaspora geleitet, die sich nur einige Wochen im Jahr vor Ort aufhalten würden und ansonsten an Gesundheitsbedienstete ohne formale Qualifikation übergeben würden (ACCORD).

Von mehreren Quellen wird als problematische häufig angewandte Behandlungsmethode das Anketten von Patient·innen beschrieben: Schon die WHO-Studie von 2010 bezieht sich auf das Anketten als eine nicht unübliche Behandlungsmethode für Patient·innen. Die Anwendung von Ketten gegenüber psychisch beeinträchtigten Personen sei unabhängig vom Geschlecht sowohl in städtischen als auch in ländlichen Gebieten verbreitet, so der WHO-Bericht. In vielen Einrichtungen zur psychischen Gesundheitsversorgung werde die Praxis als lokal akzeptierte medizinische Behandlung angewendet. Die Anwendung von Ketten werde als alternative Medizin angesehen. Es sei üblich, dass betroffene Personen nicht nur während einer “akuten Krise” angekettet seien, sondern wochen-, monate- oder sogar lebenslang. Die italienische NGO Gruppo per le Relazioni Transculturali (GRT) sei auf Patient·innen getroffen, die ununterbrochen seit acht Jahren in Ketten gelegen seien oder zusammengerechnet dreizehn Jahre ihres Lebens. Der Bericht von UNHCR zur psychischen Gesundheit/Krankheit aus dem Jahr 2016 beschreibt das Verfahren ausführlich (ACCORD).

Markus Höhne teilte mit, dass ihm Massimiliano Reggi, ein italienischer Psychiater und der Hauptautor der oben erwähnten UNHCR-Studie, im Jänner 2020 bestätigt habe, dass die Infrastruktur für die psychiatrische Versorgung in Somalia immer noch sehr einfach sei und dass aggressive Patienten nach wie vor (in Krankenhäusern oder zu Hause in der Familie) regelmäßig angekettet würden (Höhne, 8. April 2021). In seinem Jahresbericht zur Menschenrechtslage vom März 2021 (Berichtszeitraum 2020) erwähnt das US-Außenministerium, dass es wegen der fehlenden öffentlichen Gesundheitsinfrastruktur nur wenige Dienste zur Unterstützung oder Bildung für Personen mit psychischen Behinderungen gegeben habe. Es sei weit verbreitet, dass solche Personen an einen Baum gekettet oder innerhalb ihrer Häuser festgehalten würden (USDOS, 30. März 2021, Section 6). Auch ein Artikel im Magazin Borgen aus dem Jahr 2018 beschäftigt sich ausführlich mit dem Thema (ACCORD).

Behandlung von Alkoholabusus und Umgang mit alkoholabhängigen Menschen

Markus Höhne erklärt in seiner E-Mail-Auskunft, dass sowohl staatliches als auch islamisches Recht, das in Somalia die Grundlage der Rechtsauffassung in weiten Teilen der Gesellschaft darstellt, den Konsum von Alkohol verbieten. Auch moralisch gesehen gelte Alkoholkonsum als extrem verwerflich. Wer Alkohol konsumiert, schließe sich selbst aus der somalischen Gesellschaft aus. Djibril Ibrahim Handuleh, ein somalischer Arzt und Psychiater, habe in einem Telefongespräch mit Markus Höhne im April 2021 betont, dass, wer in Somalia als Alkoholkonsument bekannt ist, als „sozial gestorben“ gelte. Gleichzeitig gebe es Möglichkeiten, einen alkoholabhängigen Menschen in großen Krankenhäusern des Landes einem professionellen Entzug zu unterziehen. Die Kosten dafür umfassen die stationäre Aufnahme (ca. 5-10 USD), die Übernachtungskosten (ca. 5 USD/Nacht) sowie Essen und Medizin. Insofern würde ein einmonatiger Krankenhausaufenthalt zum Alkoholentzug circa 200 USD kosten. Jibril Handuleh habe allerdings betont, dass ein hohes Rückfallrisiko bestehe. In Somalia gebe es keine soziale Infrastruktur, die ehemals Alkoholabhängigen hilft, die Abstinenz durchzuhalten. Es gebe keine „Anonymen Alkoholiker“ oder dergleichen. Auf dem „Schwarzmarkt“ seien alkoholische Getränke zu erwerben. Insofern bedarf es einer besonderen Anstrengung der Verwandten eines alkoholabhängigen Menschen, um ihn/sie vor einem Rückfall zu bewahren. Dies werde auch durch das somalische Sprichwort illustriert „Nin waalan toolkii baa u fayow“ („Die Heilung für einen Verrückten ist seine Familie“). (ACCORD).

Zur aktuell vorliegenden Pandemie aufgrund des Corona-Virus:

COVID-19 ist eine durch das Corona-Virus SARS-CoV-2 verursachte Viruserkrankung, die erstmals im Jahr 2019 in Wuhan/China festgestellt wurde und sich seither weltweit verbreitet (https://www.sozialministerium.at/Informationen-zum-Coronavirus/Coronavirus---Fachinformationen.html.).

Nach dem aktuellen

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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