Entscheidungsdatum
11.08.2021Norm
AsylG 2005 §5Spruch
W144 2244986-1/3E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Andreas HUBER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , XXXX , StA der Türkei, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 20.07.2021, Zl. XXXX , zu Recht erkannt:
A) Die Beschwerde wird gemäß § 5 AsylG 2005 und § 61 FPG als unbegründet abgewiesen.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang
Der Beschwerdeführer (BF) ist Staatsangehöriger der Türkei und hat am 31.05.2021 im Bundesgebiet den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz gestellt.
Der Beschwerde liegen folgende Verwaltungsverfahren zugrunde:
Im Rahmen seiner Erstbefragung vom 01.06.2021 durch die LPD Niederösterreich gab der BF im Wesentlichen an, dass er vor vier Tagen mittels eines Schleppers von der Türkei über unbekannte Länder nach Österreich gereist sei. Vormals habe er ein Visum für Schweden gehabt, er habe sich dort 15 Monate lang aufgehalten. Das Visum von Schweden sei für zwei Jahre gültig gewesen. Nach den 15 Monaten in Schweden sei er mit diesem Visum nach Österreich eingereist, habe aber nach 6 Monaten, da sein Visum abgelaufen war, Österreich wieder verlassen. Ein neuerlicher Visaantrag sei abgelehnt worden; er habe sich in die Türkei zurückbegeben müssen.
Ein Informationsersuchen des BFA an die schwedische Dublin-Behörde vom 07.06.2021, ergab mit Antwortschreiben der schwedischen Behörde vom 10.06.2021, dass der BF am 01.07.2017 einen elektronischen Antrag für eine Arbeitserlaubnis in Schweden gestellt hatte. Am 30.10.2017 sei ihm von Schweden eine befristete Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis, gültig vom 30.10.2017 bis 30.10.2019 erteilt worden.
Das BFA richtete sodann am 15.06.2021 unter Hinweis auf Art. 12 Abs. 4 der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates (Dublin III-VO), ein Aufnahmeersuchen an Schweden. Schweden hat seine Zuständigkeit und die Rückübernahme des BF letztlich im Remonstrationsverfahren durch ausdrückliche Mitteilung vom 08.07.2021 akzeptiert.
Im Rahmen seiner niederschriftlichen Einvernahme vor dem BFA am 20.07.2021 gab der BF im Wesentlichen zu Protokoll, dass er an keinen Krankheiten leide uns keine Medikamente benötige. Er habe in Österreich keine Familienangehörigen, jedoch eine Partnerin, bei welcher er in XXXX lebe; seine Partnerin sei Bosnierin, sie habe ein fünfjähriges Aufenthaltsrecht. Er kenne seine Gefährtin von einem früheren Aufenthalt in Österreich. Nach seinem Aufenthalt in Österreich sei er in die Türkei zurückgekehrt. Konkret sei er im November 2019 in die Türkei zurückgefahren, sei dort zwei Jahre geblieben und vor zwei Monaten erneut nach Österreich gekommen. Die Frage, ob er seinen Aufenthalt in der Türkei irgendwie belegen könne, beantwortete der BF mit: „Nein“. Die Kommunikation mit seiner Partnerin habe er brieflich auf Deutsch und Türkisch aufrechterhalten.
In der Folge wurde versucht, die Behauptung des BF, dass er in der Türkei gewesen sei zu verifizieren, und wurde der BF konkret gefragt, ob er etwa auf Facebook und WhatsApp aktiv sei. Der BF hat angegeben, dass er sowohl Facebook als auch WhatsApp verwende, jedoch sind bei einer entsprechenden Nachschau keine Einträge, Fotos, etc. gefunden worden, welche einen Aufenthalt des BF in der Zeit zwischen 2019 und 2021 belegen würden.
Das BFA wies sodann den Antrag auf internationalen Schutz ohne in die Sache einzutreten mit Bescheid vom 20.07.2021 gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurück und sprach aus, dass Schweden zur Prüfung des Antrags zuständig sei. Gleichzeitig wurde die Außerlandesbringung des BF gemäß § 61 Abs. 1 FPG idgF angeordnet und festgestellt, dass demzufolge gemäß § 61 Abs. 2 FPG seine Abschiebung nach Schweden zulässig sei.
Die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens, die Sachverhaltsfeststellungen sowie die Beweiswürdigung zur Lage im Mitgliedstaat wurden im angefochtenen Bescheid im Wesentlichen folgendermaßen zusammengefasst (unkorrigiert):
„Zur Lage im Mitgliedsstaat:
COVID-19-Situation
Derzeit herrscht weltweit die als COVID-19 bezeichnete Pandemie. COVID-19 wird durch das Corona-Virus SARS-CoV-2 verursachte. In Schweden wurden bisher 1.094.287 Fälle von mit diesem Corona-Virus infizierten Personen nachgewiesen, wobei 14.646 Personen verstorben sind und 9.647.534 Impfdosen verabreicht wurden.
Quellen: https://coronavirus.jhu.edu/map.html, abgerufen am 20.07.2021.
Wie gefährlich der Erreger SARS-CoV-2 ist, kann derzeit noch nicht genau beurteilt werden. Man geht aber von einer Sterblichkeitsrate von bis zu drei Prozent aus, wobei v.a. alte Menschen und immungeschwächte Personen betroffen sind.
Quellen: https://www.sozialministerium.at/Informationen-zum-Coronavirus/Coronavirus---Haeufig-gestellte-Fragen.html, abgerufen am 20.07.2021.
Allgemeines zum Asylverfahren
Es existiert ein rechtsstaatliches Asylverfahren mit gerichtlicher Beschwerdemöglichkeit (Migrationsverket o.D.; vgl. AIDA 3.2017, USDOS 2.2017 für weitere Informationen siehe dieselben Quellen).
Quellen:
- AIDA – Asylum Information Database (3.2017): Country Report: Sweden, http://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_se_2016update.pdf, Zugriff 16.2.2018
- Migrationsverket (o.D.): Protection and asylum in Sweden, https://www.migrationsverket.se/English/Private-individuals/Protection-and-asylum-in-Sweden.html, Zugriff 16.2.2018
- USDOS – US Department of State (3.3.2017): Country Report on Human Rights Practices 2016 – Sweden,
https://www.ecoi.net/de/dokument/1395739.html, Zugriff 16.2.2018
Dublin-Rückkehrer
Dublin-Rückkehrer in Schweden haben Zugang zum Asylverfahren laut Dublin-III-VO. Auch haben sie Zugang zu Versorgung wie andere Asylwerber auch. Eine Ausnahme bilden hierbei lediglich Rückkehrer mit bereits vorhandener abschließend negativer Entscheidung bis zur Effektuierung dieser Entscheidung (Migrationsverket 19.9.2016).
Wenn ein Dublin-Rückkehrer nach Schweden kommt, werden neue Asylanträge auf jeden Fall entgegengenommen. Wenn eine frühere Entscheidung in der Zwischenzeit rechtskräftig geworden ist, werden entsprechende Maßnahmen gesetzt (EASO 24.10.2017).
Wen das Asylverfahren eines Dublin-Rückkehrers in Schweden noch läuft, wird er entsprechend untergebracht und das Verfahren beschleunigten geführt. Dublin-Rückkehrer mit einer rechtskräftig negativen Entscheidung in Schweden können zur Außerlandesbringung geschlossen untergebracht werden (AIDA 3.2017).
Wenn ein Dublin-Rückkehrer mit negativer Asylentscheidung gemäß ärztlichem Attest gesundheitlich nicht für die Außerlandesbringung geeignet ist, wird diese ausgesetzt. Solange der Betreffende bei der Asylbehörde registriert ist, hat er das Recht auf Unterbringung. Im Falle einer Nicht-Registrierung bei der Asylbehörde, ist die Gemeinde, in welcher der Antragssteller seinen Wohnsitz hat, für die Unterbringung zuständig (Migrationsverket 3.1.2018).
Quellen:
- AIDA – Asylum Information Database (3.2017): Country Report: Sweden, http://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_se_2016update.pdf, Zugriff 16.2.2018
- EASO – European Asylum Support Office (24.10.2017): EASO Query. Subject: Access to Procedures and Reception Conditions for persons transferred back from another Member State of the Dublin regulation, per E-Mail
- Migrationsverket (3.1.2018): Anfragebeantwortung, per E-Mail
- Migrationsverket (19.9.2016): Anfragebeantwortung, per E-Mail
Non-Refoulement
In Übereinstimmung mit EU-Recht verweigert Schweden Personen Asyl, welche bereits in einem anderen EU-Land oder einem Staat mit dem ein entsprechendes Abkommen existiert, registriert wurden. Eine Ausnahme stellt Griechenland dar (USDOS 3.3.2017).
Quellen:
- USDOS – US Department of State (3.3.2017): Country Report on Human Rights Practices 2016 – Sweden,
https://www.ecoi.net/de/dokument/1395739.html, Zugriff 16.2.2018
Versorgung
Asylwerber haben in Schweden generell Zugang zu Versorgung. Im Falle von Folgeanträgen besteht jedoch nur ein eingeschränktes Recht darauf. Wenn Antragssteller über eigene finanzielle Mittel verfügen, müssen sie diese zuerst aufbrauchen. Asylwerber erhalten in der Regel eine monatliche finanzielle Unterstützung/Gutscheine, die deutlich niedriger ist als die Sozialhilfe für schwedische Staatsangehörige. Das monatliche Taschengeld für Asylwerber beträgt in einem Unterbringungszentrum mit Verpflegung zwischen 60 und 76,50 Euro. Im Falle einer privaten Unterkunft liegt es zwischen 194 und 225 Euro. Für besondere Ausgaben (z.B. Winterkleidung, Brillen, teilweise auch zur Deckung medizinischer Kosten) kann eine Sonderzulage beantragt werden. Asylwerber haben nach Erfüllung bestimmter Kriterien Zugang zum Arbeitsmarkt, ohne dass es für sie eine Arbeitsgenehmigung erforderlich wäre (AIDA 3.2017).
Quellen:
- AIDA – Asylum Information Database (3.2017): Country Report: Sweden, http://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_se_2016update.pdf, Zugriff 16.2.2018
Unterbringung
Die schwedische Asylbehörde bietet bei Bedarf kostenlose Unterbringungsmöglichkeiten während des Asylverfahrens an. Auch private Unterbringung bei Freunden oder Verwandten ist möglich. Individuelle Bedürfnisse werden nach Möglichkeit berücksichtigt. Familien werden immer getrennt von anderen Asylwerbern und in eigenen Zimmern untergebracht (AIDA 3.2017).
Die schwedische Asylbehörde verfügt in 290 Gemeinden über diverse Unterbringungsmöglichkeiten, in denen Ende 2016 63.063 Asylwerber beherbergt wurden. Dabei handelt es sich meist um angemietete Privathäuser und -wohnungen. 35.449 Asylwerber haben 2016 eine private Unterkunft gehabt und 24.196 Personen befanden sich aufgrund ihrer Schutzbedürftigkeit oder aus anderen Gründen in speziellen Unterbringungszentren (AIDA 3.2017).
Quellen:
- AIDA – Asylum Information Database (3.2017): Country Report: Sweden, http://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_se_2016update.pdf, Zugriff 16.2.2018
Medizinische Versorgung
Asylwerber haben das Recht auf medizinische Nothilfe, sowie unaufschiebbare medizinische und zahnmedizinische Versorgung (Migrationsverket 14.12.2017). Weiters schreibt das Gesetz über die medizinische Versorgung von Ausländern ohne Aufenthaltsberechtigung vor, dass das schwedische Gesundheitssystem für alle Personen, unabhängig von deren Aufenthaltstitel, eine medizinische Versorgung in folgenden Fällen zur Verfügung zu stellen hat: unaufschiebbare Behandlung, Gesundheitsfürsorge für Mütter, Abtreibung und Nachbehandlung, Verhütungsberatung, Verschreibung von Medikamenten in den aufgezählten Fällen und ärztliche Untersuchung (Migrationsverket 5.1.2018).
Alle Asylwerber erhalten auch die Möglichkeit einer Gesundenuntersuchung. Wer nicht Schwedisch spricht, hat das Recht auf einen Übersetzer. Für bestimmte medizinische Leistungen und Rezepte ist je nach Art eine gewisse Gebühr zu bezahlen (Migrationsverket 14.12.2017; vgl. AIDA 3.2017). Diese Gebühren werden für Personen über 18 Jahren staatlich subventioniert. Wenn innerhalb von sechs Monaten Medikamentenkosten von 400 SEK überschritten werden, besteht die Möglichkeit eine Kostenrückerstattung für den überschreitenden Betrag zu beantragen. Kinder unter 18 Jahren sind in der medizinischen Versorgung mit schwedischen Staatsbürgern gleichgestellt (5.1.2018).
MedCOI bearbeitet grundsätzlich keine medizinischen Anfragen zu EU-Mitgliedsstaaten, da die medizinischen Mitarbeiter von MedCOI (Ärzte) davon ausgehen, dass medizinische Behandlungsmöglichkeiten in der EU generell in ausreichendem Maße verfügbar sind. Ausnahmen von dieser Regel sind nur in sehr spezifischen Einzelfällen möglich (MedCOI 14.12.216).
Quellen:
- AIDA – Asylum Information Database (3.2017): Country Report: Sweden, http://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_se_2016update.pdf, Zugriff 16.2.2018
- Migrationsverket (14.12.2017): Health care for asylum seekers, https://www.migrationsverket.se/English/Private-individuals/Protection-and-asylum-in-Sweden/While-you-are-waiting-for-a-decision/Health-care.html, Zugriff 16.2.2018
- Migrationsverket (3.1.2018): Anfragebeantwortung, per E-Mail
- MedCOI – Medical Country of Origin Information (14.12.2016): Auskunft MedCOI, per E-Mail
A) Beweiswürdigung
Die Behörde gelangt zu obigen Feststellungen aufgrund folgender Erwägungen:
[ … ]
? Betreffend die Feststellungen zur Begründung des Dublin-Tatbestands:
[ … ]
? Sie wurden auch im Rahmen des Parteiengehörs dazu befragt, Sie konnten aber keinerlei Beweismittel - trotz des mit 2 Jahren eher längeren Aufenthalts - vorlegen. Auch eine Nachschau auf Ihrer Facebook-Seite brachte keine Erkenntnisse dazu. Auffällig ist, dass Sie auch von selbst kein Angebot machten, etwas vorzulegen bzw. nachzureichen. So haben Sie auch nicht angegeben, dass Sie Zeit brauchen würden, um Beweise vorlegen zu können. Dadurch bestätigt sich die Annahme der Behörde, dass – wie der Behörde aus vielen anderen Fällen gut bekannt – auch Sie versuchen durch einen behaupteten Drittstaatsaufenthalt von mehr als 3 Monaten eine Dublin-Zuständigkeit zu durchbrechen und ein inhaltliches Verfahren in Ihrem Wunschland Österreich zu erzwingen.
[ … ]
? Betreffend die Feststellungen zur Lage im Mitgliedsstaat:
? Die Feststellungen zum Mitgliedstaat basieren auf einer Zusammenstellung der Staatendokumentation des BFA. Diese ist gemäß § 5 BFA-G zur Objektivität verpflichtet und unterliegt der Beobachtung eines Beirates. Es ist daher davon auszugehen, dass alle zitierten Unterlagen von angesehenen staatlichen und nichtstaatlichen Einrichtungen stammen, ausgewogen zusammengestellt wurden und somit keine Bedenken bestehen, sich darauf zu stützen.
? Die Länderfeststellungen ergeben sich aus den zitierten, unbedenklichen Quellen. Bezüglich der von der erkennenden Behörde getätigten Feststellungen zur allgemeinen Situation im Mitgliedstaat ist festzuhalten, dass diese Kenntnisse als notorisch vorauszusetzen sind. Gemäß § 45 Absatz 1 AVG bedürfen nämlich Tatsachen, die bei der Behörde offenkundig sind (so genannte „notorische“ Tatsachen; vergleiche Walter/Thienel, Verwaltungsverfahrensgesetze 13-MSA1998-89) keines Beweises. „Offenkundig“ ist eine Tatsache dann, wenn sie entweder „allgemein bekannt“ (notorisch) oder der Behörde im Zuge ihrer Amtstätigkeit bekannt und dadurch „bei der Behörde notorisch“ (amtsbekannt) geworden ist; „allgemein bekannt“ sind Tatsachen, die aus der alltäglichen Erfahrung eines Durchschnittsmenschen – ohne besondere Fachkenntnisse – hergeleitet werden können (VwGH 23.01.1986, 85/02/0210; vergleiche auch Fasching; Lehrbuch 2 Rz 853). Zu den notorischen Tatsachen zählen auch Tatsachen, die in einer Vielzahl von Massenmedien in einer der Allgemeinheit zugänglichen Form über Wochen hin im Wesentlichen gleichlautend und oftmals wiederholt auch für einen Durchschnittsmenschen leicht überprüfbar publiziert wurden, wobei sich die Allgemeinnotorietät nicht auf die bloße Verlautbarung beschränkt, sondern allgemein bekannt ist, dass die in den Massenmedien verbreiteten Tatsachen auch der Wahrheit entsprechen.
? Zur Aktualität der Quellen, die für die Feststellungen herangezogen wurden, wird angeführt, dass diese, soweit sich die erkennende Behörde auf Quellen älteren Datums bezieht, aufgrund der sich nicht geänderten Verhältnisse nach wie vor als aktuell bezeichnet werden können.
? Konkret gefragt zu einer möglichen Überstellung nach Schweden gaben Sie im Rahmen des Parteiengehörs an, dass Sie nicht nach Schweden zurückkehren möchten, dies hätten Sie sonst ohnehin machen können. Sie möchten jetzt lieber hier in Österreich bleiben. Konkrete Gründe gegen eine Überstellung führten Sie nicht an.
? Aufgrund der Aktenlage, Ihren Angaben und den Länderberichten konnte kein derartiger Sachverhalt festgestellt werden, der einen Selbsteintritt in das Asylverfahren durch den österreichischen Staat begründen würde.
? Sie werden darauf hingewiesen, dass sich Asylwerber im Zuge der Feststellung des für das Asylverfahren zuständigen Dublinstaates nicht jenen Mitgliedstaat aussuchen können, der ihren persönlichen Präferenzen am besten entspricht. Es ist auch auf den Hauptzweck der VO (EU) Nr. 604/2013 zu verweisen, wonach eine im Allgemeinen von individuellen Wünschen der Asylwerber losgelöste Zuständigkeitsregelung zu treffen ist (vgl. dazu in einem ähnlich gelagerten Fall Erkenntnis des AGH vom 13.03.2013, Zl. S2 433.030-1/2013/3E).
? Die Feststellungen zur Pandemie ergeben sich aus dem Amtswissen sowie die konkreten Daten aus den Angaben der Johns Hopkins University in Baltimore, USA, die ausführlich Daten rund um die Pandemie sammelt, auswertet und zur Verfügung stellt.
? Die Feststellungen zum Virus SARS-CoV-2 ergeben sich aus den vom Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz als oberste Gesundheitsbehörde veröffentlichte Informationen.
? Im Ergebnis sind somit keine Gründe hervorgekommen, die annehmen lassen würden, dass eine Überstellung nach Schweden Ihre Menschenrechte gefährden würde.“
Es folgte im angefochtenen Bescheid die rechtliche Beurteilung zu den beiden Spruchpunkten. Der Antrag auf internationalen Schutz sei zurückzuweisen, weil Art. 12 Abs. 4 Dublin III-VO formell erfüllt (und implizit sohin Schweden) für die Prüfung des Antrages zuständig) sei. Ein im besonderen Maße substantiiertes, glaubhaftes Vorbringen betreffend das Vorliegen außergewöhnlicher Umstände, die die Gefahr einer Verletzung der GRC oder der EMRK im Falle einer Überstellung des BF ernstlich für möglich erscheinen lassen, sei im Verfahren nicht hervorgekommen. Der im Spruch genannte Staat sei bereit, den BF einreisen zu lassen und seinen Antrag auf internationalen Schutz zu prüfen. Eine hinreichende Wahrscheinlichkeit einer Gefahr der Verletzung der EMRK oder eine systematische notorische Verletzung fundamentaler Menschenrechte seien in Schweden nicht zu erkennen. Die Regelvermutung des § 5 Abs. 3 AsylG treffe zu und es habe sich kein Anlass für die Ausübung des Selbsteintrittsrechts gemäß Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO ergeben. Weiters lägen keine ausreichenden humanitären Gründe gem. Art. 16 und 17 Abs. 2 leg.cit. vor. Die Ausweisung des BF stelle mangels berücksichtigungswürdiger familiärer Bindungen in Österreich und dem Umstand, dass seine Aufenthaltsdauer im Bundesgebiet als zu kurz zu bezeichnen sei, keine Verletzung von Art. 8 EMRK dar.
Gegen diesen am 23.07.2021 zugestellten Bescheid richtete sich die fristgerecht erhobene Beschwerde des BF, mit welcher er im Wesentlichen geltend machte, dass der BF in Schweden ein „Arbeitsvisum“ innehatte, weshalb die „6-Monats-Regel“ des Art. 12 Abs. 4 Dublin III-VO zur Anwendung komme. Dieses Visum sei jedenfalls seit mehr als sechs Monaten abgelaufen. Des Weiteren habe sich der BF zwischenzeitig außerhalb des Hoheitsgebietes der Mitgliedstaaten aufgehalten. Vor dem Hintergrund des stets gleichbleibenden Vorbringens des BF zu seinem Aufenthalt in der Türkei bzw. seiner diesbezüglichen Rückreise scheine die Beweiswürdigung des BFA, die dem diesbezüglichen Vorbringen die Glaubwürdigkeit abspreche, weil der BF keine Belege über seinen Auslandsaufenthalt vorlegen konnte, „als zu wenig“. Die Behörde hätte nach dem Amtswegigkeitsprinzip ermitteln müssen, ob der BF zwischenzeitig das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten verlassen habe.
Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Festgestellt wird zunächst der dargelegte Verfahrensgang.
Festgestellt wird weiters, dass der BF im Besitz eines schwedischen, mit einer Arbeitsbewilligung verbundenen Aufenthaltstitels, für den Gültigkeitszeitraum 30.10.2017 bis 30.10.2019 war.
Besondere, in der Person des Antragstellers gelegene Gründe, welche für eine reale Gefahr des fehlenden Schutzes vor Verfolgung in Schweden sprechen, liegen nicht vor.
Das Bundesverwaltungsgericht schließt sich den Feststellungen des angefochtenen Bescheides zur Lage im Mitgliedstaat an.
Die BF leidet an keinen Krankheiten.
Der BF hat im Bundesgebiet Anknüpfungspunkte durch eine Freundin, die jedoch keine österreichische Staatsangehörige ist. Er lebt mit dieser seit 10.06.2021 im gemeinsamen Haushalt.
Nicht festgestellt werden kann hingegen, dass sich der BF nach seiner ursprünglichen Einreise ins Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten im Jahr 2017 und vor seiner Antragstellung im Bundesgebiet zwischenzeitlich ca. 2 Jahre lang in der Türkei aufgehalten hat.
2. Beweiswürdigung:
Die Feststellungen zum Verfahrensgang und zu seinem schwedischen Aufenthaltstitel ergeben sich aus dem Akt des BFA und insbesondere der diesbezüglichen Mitteilung der schwedischen Behörden.
Dem Einwand in der Beschwerde, dass es sich dabei um ein „Visum“ gehandelt habe, sodass die 6-Monatsregel des Art. 12 Abs. 4 Dublin III-VO zur Anwendung gelange, kann nicht gefolgt werden. Schon aus dem Antwortschreiben der schwedischen Behörden ergibt sich, dass ausdrücklich von einer Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis gesprochen wird und nicht bloß von einem Visum, etwa im Sinne eines einheitlichen Visums C (Schengen-Visum). Der BF war unzweifelhaft im Besitz eines 2-jährigen Aufenthaltstitels und nicht bloß eines Visums im Sinne der genannten Bestimmung.
Die Feststellungen zur gesundheitlichen und familiären Situation der BF ergeben sich aus seinem Vorbringen.
Die Negativfeststellung bzw. bezüglich seiner Rückreise in die Türkei und des behaupteten zweijährigen dortigen Aufenthaltes vor seiner Einreise nach Österreich ergibt sich aus der Erwägung, dass der BF in keinster Weise in der Lage war, einen Aufenthalt außerhalb des Hoheitsgebietes der Mitgliedstaaten belegen zu können, was jedoch angesichts des dermaßen langen Zeitraum seines behaupteten Drittstaatsaufenthalts nach menschlichem Ermessen leicht möglich sein hätte müssen.
Es kann dem BFA dabei – entgegen den Beschwerdeeinwendungen – nicht unterstellt werden, dass es diesbezüglich nicht versucht hätte, Beweismittel zu erheben: Vielmehr hat das BFA aus eigenem vorgeschlagen, dass der BF etwa über Facebook- oder WhatsApp-Nachrichten bzw. Fotos seinen Aufenthalt in der Türkei belegen könnte. Nach menschlichem Ermessen erscheint nicht nachvollziehbar, dass eine Person nicht in der Lage wäre, keinen einzigen (!) Hinweis über einen so langen Zeitraum von ca. zwei Jahren, der sich aus diesen neuen Medien und einem Mobiltelefon ergeben würde, darzutun. Weiters behauptete der BF, dass er in telefonischem Kontakt zu seinem Schlepper gestanden sei, „jetzt aber keine Nummern mehr von diesem habe“. Auch diese Angaben stützen die Erwägung, dass die Rückreise und der Aufenthalt außerhalb des Hoheitsgebietes der Mitgliedstaaten nicht der Wahrheit entspricht. Weiters gab der BF an, dass er keinerlei Angaben über die von ihm durchreisten Länder habe machen können, wobei er bei konkreter Nachfrage erklärte, dass er sich im Schlepper-Lkw sowohl im Führerhaus als auch auf der Ladefläche aufgehalten habe. Auch dies scheint nach menschlichem Ermessen nicht glaubhaft, da zu erwarten wäre, dass sich der BF in der Fahrerkabine beim Fahrer sehr wohl nach seiner Reiseroute und den gerade durchreisten Länder erkundigt hätte. Bei einer Gesamtbetrachtung der Angaben des BF ist ihm daher nicht gelungen, eine Rückreise in die Türkei und einen dortigen zweijährigen Aufenthalt glaubhaft zu machen.
Die Gesamtsituation des Asylwesens im zuständigen Mitgliedstaat resultiert aus den umfangreichen und durch aktuelle Quellen belegten Länderfeststellungen des angefochtenen Bescheides, welche auf alle entscheidungsrelevanten Fragen eingehen.
Das Bundesamt hat im angefochtenen Bescheid neben Ausführungen zur Versorgungslage von Asylwerbern in Frankreich auch Feststellungen zur schwedischen Rechtslage und Vollzugspraxis von asyl- und fremdenrechtlichen Bestimmungen (darunter konkret auch im Hinblick auf „Dublin-Rückkehrer“) samt dem dortigen jeweiligen Rechtsschutz im Rechtsmittelwege getroffen. Das Bundesverwaltungsgericht schließt sich den oben wiedergegebenen Erwägungen zur Beweiswürdigung an.
Der BF hat auch keine Umstände geltend gemacht, wonach er in Schweden etwa in seinen Rechten gemäß Art. 2 oder 3 EMRK konkret gefährdet wäre.
3. Rechtliche Beurteilung:
Das Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) ist im vorliegenden Fall in der Fassung BGBl. I Nr. 24/2016 anzuwenden. Die maßgeblichen Bestimmungen lauten:
„§ 5 (1) Ein nicht gemäß §§ 4 oder 4a erledigter Antrag auf internationalen Schutz ist als unzulässig zurückzuweisen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder auf Grund der Dublin-Verordnung zur Prüfung des Asylantrages oder des Antrages auf internationalen Schutz zuständig ist. Mit der Zurückweisungsentscheidung ist auch festzustellen, welcher Staat zuständig ist. Eine Zurückweisung des Antrages hat zu unterbleiben, wenn im Rahmen einer Prüfung des § 9 Abs. 2 BFA-VG festgestellt wird, dass eine mit der Zurückweisung verbundene Anordnung zur Außerlandesbringung zu einer Verletzung von Art. 8 EMRK führen würde.
(2) Gemäß Abs. 1 ist auch vorzugehen, wenn ein anderer Staat vertraglich oder auf Grund der Dublin-Verordnung dafür zuständig ist zu prüfen, welcher Staat zur Prüfung des Asylantrages oder des Antrages auf internationalen Schutz zuständig ist.
(3) Sofern nicht besondere Gründe, die in der Person des Asylwerbers gelegen sind, glaubhaft gemacht werden oder beim Bundesamt oder beim Bundesverwaltungsgericht offenkundig sind, die für die reale Gefahr des fehlenden Schutzes vor Verfolgung sprechen, ist davon auszugehen, dass der Asylwerber in einem Staat nach Abs. 1 Schutz vor Verfolgung findet.
§ 10 (1) Eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz ist mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn
1. der Antrag auf internationalen Schutz gemäß §§ 4 oder 4a zurückgewiesen wird,
2. der Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 5 zurückgewiesen wird,
…
und in den Fällen der Z 1 und 3 bis 5 von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 nicht erteilt wird sowie in den Fällen der Z 1 bis 5 kein Fall der §§ 8 Abs. 3a oder 9 Abs. 2 vorliegt.
§ 9 Abs. 1 und 2 BFA-VG idF BGBl. I Nr. 144/2013 lautet:
„§ 9 (1) Wird durch eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen, so ist die Erlassung der Entscheidung zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist.
(2) Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:
1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war,
2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens,
3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens,
4. der Grad der Integration,
5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden,
6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit,
7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts,
8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren,
9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.“
§ 61 FPG 2005 idF BGBl. I Nr. 24/2016 lautet:
„§ 61 (1) Das Bundesamt hat gegen einen Drittstaatsangehörigen eine Außerlandesbringung anzuordnen, wenn
1. dessen Antrag auf internationalen Schutz gemäß §§ 4a oder 5 AsylG 2005 zurückgewiesen wird oder nach jeder weiteren, einer zurückweisenden Entscheidung gemäß §§ 4a oder 5 AsylG 2005 folgenden, zurückweisenden Entscheidung gemäß § 68 Abs. 1 AVG oder
2. …
(2) Eine Anordnung zur Außerlandesbringung hat zur Folge, dass eine Abschiebung des Drittstaatsangehörigen in den Zielstaat zulässig ist. Die Anordnung bleibt binnen 18 Monaten ab Ausreise des Drittstaatsangehörigen aufrecht.
(3) Wenn die Durchführung der Anordnung zur Außerlandesbringung aus Gründen, die in der Person des Drittstaatsangehörigen liegen, eine Verletzung von Art. 3 EMRK darstellen würde und diese nicht von Dauer sind, ist die Durchführung für die notwendige Zeit aufzuschieben.
(4) Die Anordnung zur Außerlandesbringung tritt außer Kraft, wenn das Asylverfahren gemäß § 28 AsylG 2005 zugelassen wird.“
Die maßgeblichen Bestimmungen der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates („Dublin III-VO“) zur Ermittlung des zuständigen Mitgliedstaates lauten:
„KAPITEL II
ALLGEMEINE GRUNDSÄTZE UND SCHUTZGARANTIEN
Art. 3
Verfahren zur Prüfung eines Antrags auf internationalen Schutz
(1) Die Mitgliedstaaten prüfen jeden Antrag auf internationalen Schutz, den ein Drittstaatsangehöriger oder Staatenloser im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats einschließlich an der Grenze oder in den Transitzonen stellt. Der Antrag wird von einem einzigen Mitgliedstaat geprüft, der nach den Kriterien des Kapitels III als zuständiger Staat bestimmt wird.
(2) Lässt sich anhand der Kriterien dieser Verordnung der zuständige Mitgliedstaat nicht bestimmen, so ist der erste Mitgliedstaat, in dem der Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde, für dessen Prüfung zuständig.
Erweist es sich als unmöglich, einen Antragsteller an den zunächst als zuständig bestimmten Mitgliedstaat zu überstellen, da es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller in diesem Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Artikels 4 der EU–Grundrechtecharta mit sich bringen, so setzt der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat, die Prüfung der in Kapitel III vorgesehenen Kriterien fort, um festzustellen, ob ein anderer Mitgliedstaat als zuständig bestimmt werden kann.
Kann keine Überstellung gemäß diesem Absatz an einen aufgrund der Kriterien des Kapitels III bestimmten Mitgliedstaat oder an den ersten Mitgliedstaat, in dem der Antrag gestellt wurde, vorgenommen werden, so wird der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat der zuständige Mitgliedstaat.
(3) Jeder Mitgliedstaat behält das Recht, einen Antragsteller nach Maßgabe der Bestimmungen und Schutzgarantien der Richtlinie 32/2013/EU in einen sicheren Drittstaat zurück- oder auszuweisen.
KAPITEL III
KRITERIEN ZUR BESTIMMUNG DES ZUSTÄNDIGEN MITGLIEDSTAATS
Art. 7
Rangfolge der Kriterien
(1) Die Kriterien zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats finden in der in diesem Kapitel genannten Rangfolge Anwendung.
(2) Bei der Bestimmung des nach den Kriterien dieses Kapitels zuständigen Mitgliedstaats wird von der Situation ausgegangen, die zu dem Zeitpunkt gegeben ist, zu dem der Antragsteller seinen Antrag auf internationalen Schutz zum ersten Mal in einem Mitgliedstaat stellt.
(3) Im Hinblick auf die Anwendung der in den Artikeln 8, 10 und 6 (Anmerkung: gemeint wohl 16) genannten Kriterien berücksichtigen die Mitgliedstaaten alle vorliegenden Indizien für den Aufenthalt von Familienangehörigen, Verwandten oder Personen jeder anderen verwandtschaftlichen Beziehung des Antragstellers im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats, sofern diese Indizien vorgelegt werden, bevor ein anderer Mitgliedstaat dem Gesuch um Aufnahme- oder Wiederaufnahme der betreffenden Person gemäß den Artikeln 22 und 25 stattgegeben hat, und sofern über frühere Anträge des Antragstellers auf internationalen Schutz noch keine Erstentscheidung in der Sache ergangen ist.
Art. 12
Ausstellung von Aufenthaltstiteln oder Visa
(1) Besitzt der Antragsteller einen gültigen Aufenthaltstitel, so ist der Mitgliedstaat, der den Aufenthaltstitel ausgestellt hat, für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig.
(2) Besitzt der Antragsteller ein gültiges Visum, so ist der Mitgliedstaat, der das Visum erteilt hat, für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig, es sei denn, dass das Visum im Auftrag eines anderen Mitgliedstaats im Rahmen einer Vertretungsvereinbarung gemäß Artikel 8 der Verordnung (EG) Nr. 810/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 über einen Visakodex der Gemeinschaft ( 1 ) erteilt wurde. In diesem Fall ist der vertretene Mitgliedstaat für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig.
(3) Besitzt der Antragsteller mehrere gültige Aufenthaltstitel oder Visa verschiedener Mitgliedstaaten, so sind die Mitgliedstaaten für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz in folgender Reihenfolge zuständig:
a) der Mitgliedstaat, der den Aufenthaltstitel mit der längsten Gültigkeitsdauer erteilt hat, oder bei gleicher Gültigkeitsdauer der Mitgliedstaat, der den zuletzt ablaufenden Aufenthaltstitel erteilt hat;
b) der Mitgliedstaat, der das zuletzt ablaufende Visum erteilt hat, wenn es sich um gleichartige Visa handelt;
c) bei nicht gleichartigen Visa der Mitgliedstaat, der das Visum mit der längsten Gültigkeitsdauer erteilt hat, oder bei gleicher Gültigkeitsdauer der Mitgliedstaat, der das zuletzt ablaufende Visum erteilt hat.
(4) Besitzt der Antragsteller nur einen oder mehrere Aufenthaltstitel, die weniger als zwei Jahre zuvor abgelaufen sind, oder ein oder mehrere Visa, die seit weniger als sechs Monaten abgelaufen sind, aufgrund deren er in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats einreisen konnte, so sind die Absätze 1, 2 und 3 anwendbar, solange der Antragsteller das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten nicht verlassen hat.
Besitzt der Antragsteller einen oder mehrere Aufenthaltstitel, die mehr als zwei Jahre zuvor abgelaufen sind, oder ein oder mehrere Visa, die seit mehr als sechs Monaten abgelaufen sind, aufgrund deren er in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats einreisen konnte, und hat er die Hoheitsgebiete der Mitgliedstaaten nicht verlassen, so ist der Mitgliedstaat zuständig, in dem der Antrag auf internationalen Schutz gestellt wird.
(5) Der Umstand, dass der Aufenthaltstitel oder das Visum aufgrund einer falschen oder missbräuchlich verwendeten Identität oder nach Vorlage von gefälschten, falschen oder ungültigen Dokumenten erteilt wurde, hindert nicht daran, dem Mitgliedstaat, der den Titel oder das Visum erteilt hat, die Zuständigkeit zuzuweisen. Der Mitgliedstaat, der den Aufenthaltstitel oder das Visum ausgestellt hat, ist nicht zuständig, wenn nachgewiesen werden kann, dass nach Ausstellung des Titels oder des Visums eine betrügerische Handlung vorgenommen wurde.
Art. 13
Einreise und/oder Aufenthalt
(1) Wird auf der Grundlage von Beweismitteln oder Indizien gemäß den beiden in Artikel 22 Absatz 3 dieser Verordnung genannten Verzeichnissen, einschließlich der Daten nach der Verordnung (EU) Nr. 603/2013 festgestellt, dass ein Antragsteller aus einem Drittstaat kommend die Land-, See- oder Luftgrenze eines Mitgliedstaats illegal überschritten hat, so ist dieser Mitgliedstaat für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig. Die Zuständigkeit endet zwölf Monate nach dem Tag des illegalen Grenzübertritts.
(2) Ist ein Mitgliedstaat nicht oder gemäß Absatz 1 dieses Artikels nicht länger zuständig und wird auf der Grundlage von Beweismitteln oder Indizien gemäß den beiden in Artikel 22 Absatz 3 genannten Verzeichnissen festgestellt, dass der Antragsteller — der illegal in die Hoheitsgebiete der Mitgliedstaaten eingereist ist oder bei dem die Umstände der Einreise nicht festgestellt werden können — sich vor der Antragstellung während eines ununterbrochenen Zeitraums von mindestens fünf Monaten in einem Mitgliedstaat aufgehalten hat, so ist dieser Mitgliedstaat für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig.
Hat sich der Antragsteller für Zeiträume von mindestens fünf Monaten in verschiedenen Mitgliedstaaten aufgehalten, so ist der Mitgliedstaat, wo er sich zuletzt aufgehalten hat, für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz zuständig.
KAPITEL IV
ABHÄNGIGE PERSONEN UND ERMESSENSKLAUSELN
Artikel 16
Abhängige Personen
(1) Ist ein Antragsteller wegen Schwangerschaft, eines neugeborenen Kindes, schwerer Krankheit, ernsthafter Behinderung oder hohen Alters auf die Unterstützung seines Kindes, eines seiner Geschwister oder eines Elternteils, das/der sich rechtmäßig in einem Mitgliedstaat aufhält, angewiesen oder ist sein Kind, eines seiner Geschwister oder ein Elternteil, das/der sich rechtmäßig in einem Mitgliedstaat aufhält, auf die Unterstützung des
Antragstellers angewiesen, so entscheiden die Mitgliedstaaten in der Regel, den Antragsteller und dieses Kind, dieses seiner Geschwister oder Elternteil nicht zu trennen bzw. sie zusammenzuführen, sofern die familiäre Bindung bereits im Herkunftsland bestanden hat, das Kind, eines seiner Geschwister oder der Elternteil in der Lage ist, die abhängige Person zu unterstützen und die betroffenen Personen ihren Wunsch schriftlich kundgetan haben.
(2) Hält sich das Kind, eines seiner Geschwister oder ein Elternteil im Sinne des Absatzes 1 rechtmäßig in einem anderen Mitgliedstaat als der Antragsteller auf, so ist der Mitgliedstaat, in dem sich das Kind, eines seiner Geschwister oder ein Elternteil rechtmäßig aufhält, zuständiger Mitgliedstaat, sofern der Gesundheitszustand des Antragstellers diesen nicht längerfristig daran hindert, in diesen Mitgliedstaat zu reisen. In diesem Fall, ist der Mitgliedstaat, in dem sich der Antragsteller aufhält, zuständiger Mitgliedstaat. Dieser Mitgliedstaat kann nicht zum Gegenstand der Verpflichtung gemacht werden, d s Kind, eines
seiner Geschwister oder ein Elternteil in sein Hoheitsgebiet zu verbringen.
(3) Der Kommission wird die Befugnis übertragen gemäß Artikel 45 in Bezug auf die Elemente, die zur Beurteilung des Abhängigkeitsverhältnisses zu berücksichtigen sind, in Bezug auf die Kriterien zur Feststellung des Bestehens einer nachgewiesenen familiären Bindung, in Bezug auf die Kriterien zur Beurteilung der Fähigkeit der betreffenden Person zur Sorge für die abhängige Person und in Bezug auf die Elemente, die zur Beurteilung einer längerfristigen Reiseunfähigkeit zu berücksichtigen sind, delegierte Rechtsakte zu erlassen.
(4) Die Kommission legt im Wege von Durchführungsrechtsakten einheitliche Bedingungen für Konsultationen und den Informationsaustausch zwischen den Mitgliedstaaten fest. Diese
Durchführungsrechtsakte werden nach dem in Artikel 44 Absatz 2 genannten Prüfverfahren erlassen.
Art. 17
Ermessensklauseln
(1) Abweichend von Artikel 3 Absatz 1 kann jeder Mitgliedstaat beschließen, einen bei ihm von einem Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen gestellten Antrag auf internationalen Schutz zu prüfen, auch wenn er nach den in dieser Verordnung festgelegten Kriterien nicht für die Prüfung zuständig ist.
Der Mitgliedstaat, der gemäß diesem Absatz beschließt, einen Antrag auf internationalen Schutz zu prüfen, wird dadurch zum zuständigen Mitgliedstaat und übernimmt die mit dieser Zuständigkeit einhergehenden Verpflichtungen. Er unterrichtet gegebenenfalls über das elektronische Kommunikationsnetz DubliNet, das gemäß Artikel 18 der Verordnung (EG) Nr. 1560/2003 eingerichtet worden ist, den zuvor zuständigen Mitgliedstaat, den Mitgliedstaat, der ein Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats durchführt, oder den Mitgliedstaat, an den ein Aufnahme- oder Wiederaufnahmegesuch gerichtet wurde.
Der Mitgliedstaat, der nach Maßgabe dieses Absatzes zuständig wird, teilt diese Tatsache unverzüglich über Eurodac nach Maßgabe der Verordnung (EU) Nr. 603/2013 mit, indem er den Zeitpunkt über die erfolgte Entscheidung zur Prüfung des Antrags anfügt.
(2) Der Mitgliedstaat, in dem ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt worden ist und der das Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats durchführt, oder der zuständige Mitgliedstaat kann, bevor eine Erstentscheidung in der Sache ergangen ist, jederzeit einen anderen Mitgliedstaat ersuchen, den Antragsteller aufzunehmen, aus humanitären Gründen, die sich insbesondere aus dem familiären oder kulturellen Kontext ergeben, um Personen jeder verwandtschaftlichen Beziehung zusammenzuführen, auch wenn der andere Mitgliedstaat nach den Kriterien in den Artikeln 8 bis 11 und 16 nicht zuständig ist. Die betroffenen Personen müssen dem schriftlich zustimmen.
Das Aufnahmegesuch umfasst alle Unterlagen, über die der ersuchende Mitgliedstaat verfügt, um dem ersuchten Mitgliedstaat die Beurteilung des Falles zu ermöglichen.
Der ersuchte Mitgliedstaat nimmt alle erforderlichen Überprüfungen vor, um zu prüfen, dass die angeführten humanitären Gründe vorliegen, und antwortet dem ersuchenden Mitgliedstaat über das elektronische Kommunikationsnetz DubliNet, das gemäß Artikel 18 der Verordnung (EG) Nr. 1560/2003 eingerichtet wurde, innerhalb von zwei Monaten nach Eingang des Gesuchs. Eine Ablehnung des Gesuchs ist zu begründen.
Gibt der ersuchte Mitgliedstaat dem Gesuch statt, so wird ihm die Zuständigkeit für die Antragsprüfung übertragen.
KAPITEL V
PFLICHTEN DES ZUSTÄNDIGEN MITGLIEDSTAATS
Artikel 18
Pflichten des zuständigen Mitgliedstaats
(1) Der nach dieser Verordnung zuständige Mitgliedstaat ist verpflichtet:
a) einen Antragsteller, der in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag gestellt hat, nach Maßgabe der Artikel 21, 22 und 29 aufzunehmen;
b) einen Antragsteller, der während der Prüfung seines Antrags in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag gestellt hat oder der sich im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats ohne Aufenthaltstitel aufhält, nach Maßgabe der Artikel 23, 24, 25 und 29 wieder aufzunehmen;
c) einen Drittstaatsangehörigen oder einen Staatenlosen, der seinen Antrag während der Antragsprüfung zurückgezogen und in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag gestellt hat oder der sich ohne Aufenthaltstitel im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats aufhält, nach Maßgabe der Artikel 23, 24, 25 und 29 wieder aufzunehmen;
d) einen Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen, dessen Antrag abgelehnt wurde und der in einem anderen Mitgliedstaat einen Antrag gestellt hat oder der sich im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats ohne Aufenthaltstitel aufhält, nach Maßgabe der Artikel 23, 24, 25 und 29 wieder aufzunehmen.
(2) Der zuständige Mitgliedstaat prüft in allen dem Anwendungsbereich des Absatzes 1 Buchstaben a und b unterliegenden Fällen den gestellten Antrag auf internationalen Schutz oder schließt seine Prüfung ab.
Hat der zuständige Mitgliedstaat in den in den Anwendungsbereich von Absatz 1 Buchstabe c fallenden Fällen die Prüfung nicht fortgeführt, nachdem der Antragsteller den Antrag zurückgezogen hat, bevor eine Entscheidung in der Sache in erster Instanz ergangen ist, stellt dieser Mitgliedstaat sicher, dass der Antragsteller berechtigt ist, zu beantragen, dass die Prüfung seines Antrags abgeschlossen wird, oder einen neuen Antrag auf internationalen Schutz zu stellen, der nicht als Folgeantrag im Sinne der Richtlinie 2013/32/EU behandelt wird. In diesen Fällen gewährleisten die Mitgliedstaaten, dass die Prüfung des Antrags abgeschlossen wird.
In den in den Anwendungsbereich des Absatzes 1 Buchstabe d fallenden Fällen, in denen der Antrag nur in erster Instanz abgelehnt worden ist, stellt der zuständige Mitgliedstaat sicher, dass die betreffende Person die Möglichkeit hat oder hatte, einen wirksamen Rechtsbehelf gemäß Artikel 46 der Richtlinie 2013/32/EU einzulegen.
KAPITEL VI
AUFNAHME- UND WIEDERAUFNAHMEVERFAHREN
Art. 20
Einleitung des Verfahrens
(1) Das Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats wird eingeleitet, sobald in einem Mitgliedstaat erstmals ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt wird.
(2) Ein Antrag auf internationalen Schutz gilt als gestellt, wenn den zuständigen Behörden des betreffenden Mitgliedstaats ein vom Antragsteller eingereichtes Formblatt oder ein behördliches Protokoll zugegangen ist. Bei einem nicht in schriftlicher Form gestellten Antrag sollte die Frist zwischen der Abgabe der Willenserklärung und der Erstellung eines Protokolls so kurz wie möglich sein.
(3) Für die Zwecke dieser Verordnung ist die Situation eines mit dem Antragsteller einreisenden Minderjährigen, der der Definition des Familienangehörigen entspricht, untrennbar mit der Situation seines Familienangehörigen verbunden und fällt in die Zuständigkeit des Mitgliedstaats, der für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz dieses Familienangehörigen zuständig ist, auch wenn der Minderjährige selbst kein Antragsteller ist, sofern dies dem Wohl des Minderjährigen dient. Ebenso wird bei Kindern verfahren, die nach der Ankunft des Antragstellers im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten geboren werden, ohne dass ein neues Zuständigkeitsverfahren für diese eingeleitet werden muss.
(4) Stellt ein Antragsteller bei den zuständigen Behörden eines Mitgliedstaats einen Antrag auf internationalen Schutz, während er sich im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats aufhält, obliegt die Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats dem Mitgliedstaat, in dessen Hoheitsgebiet sich der Antragsteller aufhält. Dieser Mitgliedstaat wird unverzüglich von dem mit dem Antrag befassten Mitgliedstaat unterrichtet und gilt dann für die Zwecke dieser Verordnung als der Mitgliedstaat, bei dem der Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde.
Der Antragsteller wird schriftlich von dieser Änderung des die Zuständigkeit prüfenden Mitgliedstaats und dem Zeitpunkt, zu dem sie erfolgt ist, unterrichtet.
(5) Der Mitgliedstaat, bei dem der erste Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde, ist gehalten, einen Antragsteller, der sich ohne Aufenthaltstitel im Hoheitsgebiet eines anderen
Mitgliedstaats aufhält oder dort einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat, nachdem er seinen ersten Antrag noch während des Verfahrens zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats zurückgezogen hat, nach den Bestimmungen der Artikel 23, 24, 25 und 29 wieder aufzunehmen, um das Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats zum Abschluss zu bringen.
Diese Pflicht erlischt, wenn der Mitgliedstaat, der das Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats abschließen soll, nachweisen kann, dass der Antragsteller zwischenzeitlich das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten für mindestens drei Monate verlassen oder in einem anderen Mitgliedstaat einen Aufenthaltstitel erhalten hat.
Ein nach einem solchen Abwesenheitszeitraum gestellter Antrag im Sinne von Unterabsatz 2 gilt als neuer Antrag, der ein neues Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats auslöst.
Art. 21
Aufnahmegesuch
(1) Hält der Mitgliedstaat, in dem ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde, einen anderen Mitgliedstaat für die Prüfung des Antrags für zuständig, so kann er so bald wie möglich, auf jeden Fall aber innerhalb von drei Monaten nach Antragstellung im Sinne von Artikel 20 Absatz 2, diesen anderen Mitgliedstaat ersuchen, den Antragsteller aufzunehmen.
Abweichend von Unterabsatz 1 wird im Fall einer Eurodac- Treffermeldung im Zusammenhang mit Daten gemäß Artikel 14 der Verordnung (EU) Nr. 603/2013 dieses Gesuch innerhalb von zwei Monaten nach Erhalt der Treffermeldung gemäß Artikel 15 Absatz 2 jener Verordnung gestellt. Wird das Gesuch um Aufnahme eines Antragstellers nicht innerhalb der in Unterabsätzen 1 und 2 niedergelegten Frist unterbreitet, so ist der Mitgliedstaat, in dem der Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde, für die Prüfung des Antrags zuständig.
(2) Der ersuchende Mitgliedstaat kann in Fällen, in denen der Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde, nachdem die Einreise oder der Verbleib verweigert wurde, der Betreffende wegen illegalen Aufenthalts festgenommen wurde oder eine Abschiebungsanordnung zugestellt oder vollstreckt wurde, eine dringende Antwort anfordern. In dem Gesuch werden die Gründe genannt, die eine dringende Antwort rechtfertigen, und es wird angegeben, innerhalb welcher Frist eine Antwort erwartet wird. Diese Frist beträgt mindestens eine Woche.
(3) In den Fällen im Sinne der Unterabsätze 1 und 2 ist für das Gesuch um Aufnahme durch einen anderen Mitgliedstaat ein Formblatt zu verwenden, das Beweismittel oder Indizien gemäß den beiden in Artikel 22 Absatz 3 genannten Verzeichnissen und/oder sachdienliche Angaben aus der Erklärung des Antragstellers enthalten muss, anhand deren die Behörden des ersuchten Mitgliedstaats prüfen können, ob ihr Staat gemäß den in dieser Verordnung definierten Kriterien zuständig ist. Die Kommission legt im Wege von Durchführungsrechtsakten einheitliche Bedingungen für die Erstellung und Übermittlung von Aufnahmegesuchen fest. Diese Durchführungsrechtsakte werden gemäß dem in Artikel 44 Absatz 2 genannten Prüfverfahren erlassen.
Art. 22
Antwort auf ein Aufnahmegesuch
(1) Der ersuchte Mitgliedstaat nimmt die erforderlichen Überprüfungen vor und entscheidet über das Gesuch um Aufnahme eines Antragstellers innerhalb von zwei Monaten, nach Erhalt des Gesuchs.
(2) In dem Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats werden Beweismittel und Indizien verwendet.
(3) Die Kommission legt im Wege von Durchführungsrechtsakten die Erstellung und regelmäßige Überprüfung zweier Verzeichnisse, in denen die sachdienlichen Beweismittel und Indizien gemäß den in den Buchstaben a und b dieses Artikels festgelegten Kriterien aufgeführt sind, fest. Diese Durchführungsrechtsakte werden gemäß dem in Artikel 44 Absatz 2 genannten Prüfverfahren erlassen.
a) Beweismittel:
i) Hierunter fallen förmliche Beweismittel, die insoweit über die Zuständigkeit nach dieser Verordnung entscheiden, als sie nicht durch Gegenbeweise widerlegt werden;
ii) Die Mitgliedstaaten stellen dem in Artikel 44 vorgesehenen Ausschuss nach Maßgabe der im Verzeichnis der förmlichen Beweismittel festgelegten Klassifizierung Muster der verschiedenen Arten der von ihren Verwaltungen verwendeten Dokumente zur Verfügung;
b) Indizien:
i) Hierunter fallen einzelne Anhaltspunkte, die, obwohl sie anfechtbar sind, in einigen Fällen nach der ihnen zugebilligten Beweiskraft ausreichen können;
ii) Ihre Beweiskraft hinsichtlich der Zuständigkeit für die Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz wird von Fall zu Fall bewertet.
(4) Das Beweiserfordernis sollte nicht über das für die ordnungsgemäße Anwendung dieser Verordnung erforderliche Maß hinausgehen.
(5) Liegen keine förmlichen Beweismittel vor, erkennt der ersuchte Mitgliedstaat seine Zuständigkeit an, wenn die Indizien kohärent, nachprüfbar und hinreichend detailliert sind, um die Zuständigkeit zu begründen.
(6) Beruft sich der ersuchende Mitgliedstaat auf das Dringlichkeitsverfahren gemäß Artikel 21 Absatz 2, so unternimmt der ersuchte Mitgliedstaat alle Anstrengungen, um die vorgegebene Frist einzuhalten. In Ausnahmefällen, in denen nachgewiesen werden kann, dass die Prüfung eines Gesuchs um Aufnahme eines Antragstellers besonders kompliziert ist, kann der ersuchte Mitgliedstaat seine Antwort nach Ablauf der vorgegebenen Frist erteilen, auf jeden Fall ist die Antwort jedoch innerhalb eines Monats zu erteilen. In derartigen Fällen muss der ersuchte Mitgliedstaat seine Entscheidung, die Antwort zu einem späteren Zeitpunkt zu erteilen, dem ersuchenden Mitgliedstaat innerhalb der ursprünglich gesetzten Frist mitteilen.
(7) Wird innerhalb der Frist von zwei Monaten gemäß Absatz 1 bzw. der Frist von einem Monat gemäß Absatz 6 keine Antwort erteilt, ist davon auszugehen, dass dem Aufnahmegesuch stattgegeben wird, was die Verpflichtung nach sich zieht, die Person aufzunehmen und angemessene Vorkehrungen für die Ankunft zu treffen.
Zu A)
1. Zu Spruchpunkt I.