TE Bvwg Erkenntnis 2021/8/25 W272 1258051-3

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 25.08.2021
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Entscheidungsdatum

25.08.2021

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z4
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §7 Abs1 Z1
AsylG 2005 §7 Abs1 Z2
AsylG 2005 §7 Abs4
AsylG 2005 §8 Abs1 Z2
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z3
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

Spruch


W272 1258051-3/32E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. BRAUNSTEIN als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Russische Föderation, vertreten durch RA Mag. Leopold Zechner, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Niederösterreich, Außenstelle St. Pölten, vom 20.04.2020, Zl. XXXX zu Recht:

A)

I. Die Beschwerde gegen die Spruchpunkte I., II., III, IV., und V. des angefochtenen Bescheides wird als unbegründet abgewiesen.

II. Der Beschwerde gegen Spruchpunkt VI. des angefochtenen Bescheides wird stattgegeben, und dieser ersatzlos behoben.

III. Der Spruchpunkt VII. wird mit der Maßgabe abgeändert, dass er zu lauten hat:

„Gemäß § 55 Abs. 2 FPG beträgt die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Enthaftung.“

B)

Die Revision ist gem. Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer (in weiterer Folge BF), ein Staatsangehöriger der Russischen Föderation und der tschetschenischen Volksgruppe zugehörig, stellte am 06.02.2004 im Familienverband einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.

2. Mit Bescheid des Bundesasylamts vom 29.12.2004 zur Zahl XXXX wurde sein Asylerstreckungsantrag abgewiesen.

3. Mit Bescheid des Unabhängigen Bundesasylsenats vom 30.11.2006 zur Zahl XXXX wurde der Berufung stattgegeben und dem BF gemäß § 11 Abs. 1 AsylG 2005 (in der Folge AsylG) durch Erstreckung Asyl gewährt und festgestellt, dass ihm kraft Gesetzes Flüchtlingseigenschaft zukommt.

4. Am 28.11.2012 fand eine mündliche Verhandlung vor dem Asylgerichtshof über die Wiederaufnahme des Verfahrens beziehungsweise die Aberkennung der Flüchtlingseigenschaft statt.

5. Mit Aktenvermerk vom 29.11.2012 stellte der Asylgerichtshof fest, dass keine Erschleichung des zuerkannten Status des Asylberechtigten stattgefunden habe und es daher zu keiner Wiederaufnahme des Verfahrens komme.

6. Im Sommer 2013 reiste der BF auf dem Bundesgebiet aus und hielt sich bis Dezember 2013, wo er wieder in Österreich einreiste, in Syrien auf.

7. Mit Urteil des Landesgerichtes XXXX vom 27.03.2015, rechtskräftig am 31.03.2015, wurde der BF wegen schwerem Betrug nach §§ 146, 147 Abs. 2 StGB zu einer Freiheitsstrafe von sieben Monaten verurteilt, die unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde.

8. Am 09.04.2018 wurde gegen den BF ein Aberkennungsverfahren eingeleitet.

9. Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen XXXX vom 03.09.2018, rechtskräftig am 18.12.2018 nach Urteil des Oberlandesgericht Graz, XXXX , wurde der BF wegen des versuchten Widerstandes gegen die Staatsgewalt nach den §§ 15, 269 Abs. 1 StGB und dem Vergehen der versuchten schweren Körperverletzung nach den §§ 15, 83 Abs. 1, 84 Abs. 2 StGB gemäß dem ersten Strafsatz des § 269 Abs. 1 StGB zu einer Geldstrafe von 480 Tagessätzen zu je EUR 15,00, im Uneinbringlichkeitsfalle 240 Tage Ersatzfreiheitsstrafe verurteilt. Die Strafe des BF wurde in der Berufung herabgesetzt.

10. Am 28.05.2019 fand eine niederschriftliche Einvernahme unter Beiziehung einer Dolmetscherin für die russische Sprache vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge BFA) statt, bei der der BF zunächst angab, es gehe ihm körperlich und psychisch gut, er sei nicht in ärztlicher Behandlung und nehme keine Medikamente. Er spreche Russisch, Tschetschenisch und Deutsch. Seine Deutschkenntnisse würde er als normal einschätzen. Er gehöre der Volksgruppe der Tschetschenen an und der Glaubensrichtung des Islam an. In seinem Herkunftsland seien noch Großeltern, Onkel, Tanten und deren Familien aufhältig, er habe sie vor 16 Jahren zum letzten Mal gesehen und habe er auch gar keinen Kontakt zu ihnen. Sein Vater halte sich derzeit in der Türkei auf. Er stehe nicht in Kontakt zu ihm, habe das jedoch vor eineinhalb Jahren von seinem Bruder XXXX erfahren.

Zu seinem Syrienaufenthalt im Jahr 2013 befragt, erklärte der BF, sein Vater habe ihn gebeten, ihn in die Türkei zu bringen. Dort habe er das Fahrzeug des BF ausgeborgt und gemeint, er würde in ein paar Tagen zurückkommen. Ein paar Tage später seien Männer zu ihm ins Hotel gekommen und hätten ihm gesagt, sein Vater wolle ihn sehen. Er sei mit den Männern mitgegangen und habe beim Stützpunkt dann seinen Vater getroffen. Erst dort sei ihm gesagt worden, dass er in Syrien sei und habe man ihm seinen Pass abgenommen. Nach zwei oder drei Monaten habe er versucht zu flüchten, sei aber angehalten worden. Zur Strafe habe er für die Männer im Lager kochen und Wäsche waschen müssen. Er sei zwar in einem Ausbildungslager gewesen aber nicht an der Waffe geschult worden. Dazu sei er auch gar nicht fähig gewesen, da er eine Schnittwunde zwischen den Zehen gehabt habe, die ständig geeitert habe. Deshalb habe er starke Schmerzen im ganzen Bein gehabt. Er habe seine Mutter kontaktiert und ihr über WhatsApp Aufnahmen aus Syrien geschickt, die sie in weiterer Folge dem Polizisten XXXX übermittelt habe. Als er bei seinem zweiten Fluchtversuch wieder erwischt worden sei, habe er sich eine Maschinenpistole an den Kopf gesetzt und mit Selbstmord gedroht. Sein Vater habe ihm dann seinen Pass und 1.000 US-Dollar gegeben und man habe ihn gehen lassen.

Befragt, ob es für ihn infrage kommen würde auf dem Gebiet des Islamischen Staates zu leben, gab der BF an, nein, er wolle in Österreich leben und arbeiten. Er habe keinen einzigen tschetschenischen Freund in Österreich und sei seit seiner Rückkehr aus Syrien kein einziges Mal in der Moschee gewesen. Er bete auch nicht und sei nur schwach religiös.

Vor sieben oder acht Monaten seien Leute von Kadyrow bei seinem Onkel mütterlicherseits gewesen. Er sollte dem BF ausrichten, dass er am Bahnhof in Graz ein Video machen und ihnen schicken soll, in dem er sich entschuldigt nach Syrien gegangen zu sein. Sein Onkel habe dies dann seiner Mutter mitgeteilt. Seitdem seien diese Leute nicht mehr bei seinem Onkel gewesen. Er selbst und seine Mutter seien nie direkt von Kadyrow-Leuten kontaktiert worden. Würde er nach Tschetschenien oder Russland zurückgeschickt werden, würde man ihn wegen seinem Vater oder weil er in Syrien gewesen sei, einsperren. Er sorge sich auch in Österreich um seine Sicherheit, da viele Tschetschenen nach Österreich kommen.

Zu seinem Leben in Österreich ab er an, die Hauptschule und das Polytechnikum besucht zu haben. Er habe eine Ausbildung als Schweißer und sei berufstätig. Er sei seit 2015 nach traditionellem Recht verheiratet und habe eine dreijährige Tochter. Mit seiner ersten Frau habe er zwei Kinder, mit sieben und zehn Jahren, die jedes zweite Wochenende bei ihm verbringen. Im Bundesgebiet seien noch seine Mutter, seine sechs Geschwister und zwei Onkel väterlicherseits samt Familien aufhältig.

Der BF verzichtete ausdrücklich auf die Länderfeststellungen zur Russischen Föderation.

Vorgelegt wurden: Gehaltsabrechnungen Januar – März 2019;
2x Zertifikat Schweißer vom 03.04.2017;
Ambulanzkarte der Unfallchirurgie, Universitätsklinikum Graz;
Versicherungsdatenauszug, Stand 22.05.2019;
Lebenslauf;
Dienstvertrag vom 11.01.2019;

11. Mit Bescheid des BFA vom 31.05.2019 wurde dem Vater des BF der zuerkannte Status des Asylberechtigten gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 aberkannt und gemäß § 7 Abs. 4 AsylG festgestellt, dass ihm die Flüchtlingseigenschaft kraft Gesetzes nicht mehr zukomme (Spruchpunkt I.). Gemäß § 8 Abs. 1 Z 2 AsylG werde ihm der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuerkannt (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigenden Gründen wurde ihm gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 4 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 3 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und festgestellt, dass die Abschiebung in die Russische Föderation gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V.). Die Frist für die freiwillige Ausreise betrage gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt VI.). In Spruchpunkt VII. wurde gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 6 FPG ein unbefristetes Einreiseverbot erlassen.

Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass er sich seit dem Jahr 2013 in Syrien aufhalte und sich einer Terrormiliz angeschlossen habe. Dieses Verhalten stelle eine Beteiligung an Verbrechen gegen die Menschlichkeit dar und stelle er ferner eine Gefahr für die Sicherheit der Republik Österreich dar.

12. Seit 04.07.2019 befindet sich der BF in Strafhaft.

13. Am 24.07.2019 übermittelte das Landesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung Steiermark einen Aktenvermerk, aus dem hervorgeht, dass nicht bekannt sei, dass die Mutter des BF vor rund sieben oder acht Monaten von Kadyrow-Anhängern mittels WhatsApp kontaktiert worden sei und der BF sich öffentlich für seinen Aufenthalt entschuldigen solle. Das Verwandte in der Heimat von Kadyrow-Männern aufgesucht worden seien, sei ebenso wenig bekannt.

Mitgeschickt wurden die verfassten Niederschriften vom 07.08.2013, 14.08.2013, 09.09.2013 und 27.09.2013 zu den Befragungen der Mutter des BF während seines Aufenthalts in Syrien.

14. Am 04.09.2019 fand eine niederschriftliche Einvernahme der Freundin des BF als Zeugin vor dem BFA statt.

15. Mit Bescheid des BFA vom 20.04.2020, zugestellt am 24.04.2020, wurde dem BF der am 30.11.2006 zuerkannte Status des Asylberechtigten gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 und 2 AsylG 2005 (im der Folge AsylG) aberkannt und gemäß § 7 Abs. 4 AsylG festgestellt, dass ihm die Flüchtlingseigenschaft kraft Gesetzes nicht mehr zukommt (Spruchpunkt I.). Der Status des subsidiär Schutzberechtigten wurde dem BF gemäß § 8 Abs. 1 Z 2 AsylG nicht zuerkannt (Spruchpunkt II.), ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gegen den BF wurde gemäß § 10 Abs. 1 Z 4 AsylG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung erlassen (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt V.). In Spruchpunkt VI. wurde gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 Z 1, 6 und 9 FPG ein unbefristetes Einreiseverbot erlassen. Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG beträgt die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft (Spruchpunkt VII.).

Begründend führte das BFA im Wesentlichen aus, dass der BF sich im Rahmen des syrischen Bürgerkriegs einer islamistischen Terrormiliz angeschlossen und zumindest unter dem Begriff der sonstigen Beteiligung an dem Wirken dieser Miliz, in vollem Bewusstsein der Taten dieser Miliz teilgenommen habe. Der Vater des BF habe eine Verfolgung aufgrund der damaligen Umstände im Herkunftsstaat glaubhaft geltend gemacht. Es stehe jedoch unzweifelhaft fest, dass sich die maßgeblichen Umstände im Herkunftsstaat seit der Asylgewährung im Jahr 2006 nachhaltig und dauerhaft geändert hätten. Das BFA geht davon aus, dass sich der BF durch seine Beteiligung an einer islamistischen Terrororganisation eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit schuldig gemacht habe. Die Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung müsse als besonders gefährliche Form der Kriminalität gelten. Der Tatbestand des § 6 Abs. 1 Z 3 AsylG sei als erfüllt anzusehen und stelle der BF eine Gefahr für die Sicherheit der Republik Österreich dar. Die Gefahr der Existenzgefährdung bei einer Rückkehr könne nicht erkannt werden. Der BF habe zudem einen Teil seines Lebens in Tschetschenien verbracht, verfüge über ein verwandtschaftliches Netz und spreche sowohl tschetschenisch als auch russisch. Überdies sei er gesund und arbeitsfähig. Es sei nicht davon auszugehen, dass die Beziehung des BF zu seinen in Österreich aufhältigen Familienangehörigen, seinen Kindern oder seiner zweiten Ehefrau (traditionell) hinreichend stark ausgeprägt seien. Die behauptete enge Beziehung zu seiner Freundin und den Kindern werde durch die derzeitige Untersuchungshaft bzw. Strafhaft relativiert. Die Behörde habe alleine aufgrund des über zehn Jahre dauernden Aufenthalt im Bundesgebiet kein besonders schützenswertes Privatleben bzw. keine außerordentliche Integration erkennen können. Zum Einreiseverbot wurde ausgeführt, der BF sei zweimal verurteilt worden und nach Syrien ausgereist, um dort auf der Seite einer terroristischen Vereinigung zu kämpfen. Es könne davon ausgegangen werden, dass der BF Gewalt als legitimes Mittel zur Zweckerreichung sieht. Es gehe von ihm eine massive Gefährdung des öffentlichen Interesses an der Verhinderung von weiteren terroristischen Straftaten aus. Die Behörde könne nach Betrachtung und Abwägung des bisherigen Gesamtverhaltens des BF keine positive Zukunftsprognose treffen.

16. Mit Schriftsatz vom 14.05.2020 erhob der BF vollumfänglich das Rechtsmittel der Beschwerde und führte aus, dass der BF seit 16 Jahren Asylberechtigter in Österreich sei. Er sei hier sozialisiert worden, habe die Schule absolviert und spreche perfekt Deutsch. Er sei verheiratet und habe drei minderjährige Kinder im Bundesgebiet. Der BF sei zwar rechtskräftig verurteilt worden, aber nie wegen der Begehung eines Kapitalverbrechens. Zudem bereue er seine Taten und sei ihm das Unrecht seiner Handlungen bewusst. Die Lage in seinem Herkunftsstaat habe sich nicht geändert und stehe fest, dass der BF befürchten müsse, Opfer etwaiger gegen ihn persönlich gerichteter Verfolgungshandlungen zu werden.

17. Mit Urteil des LG für Strafsachen XXXX zu XXXX vom 20.05.2020, rechtskräftig am 20.01.2021 nach Urteil des Oberlandesgericht XXXX zu GZ XXXX , wurde der BF wegen dem Verbrechen der terroristischen Vereinigung nach § 278b Abs. 2 StG, dem Verbrechen der kriminellen Organisation nach § 278a StGB und dem Verbrechen der Ausbildung für terroristische Zwecke nach § 278e Abs. 2 StGB nach dem Strafsatz des § 278b Abs. 2 StGB zu einer Zusatzfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt.

18. Mit Beschwerdenachreichung vom 03.06.2020 wurde ausgeführt, dass die Asylaberkennung gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 AsylG eine Gefährdungsprognose erfordere, bei der neben allfälligen Verurteilungen auf die Art und Schwere der zugrundeliegenden Straftaten und auf das sich daraus ergebende Persönlichkeitsbild abzustellen sei. Ob diese Voraussetzungen beim Vater des BF vorliegen sei für dieses Verfahren ohne Relevanz. Auf den BF selbst treffen diese Voraussetzungen nicht zu. Der BF habe sich nur kurze Zeit und ohne aktive Kampfbeteiligung in Syrien aufgehalten und liege dieser Aufenthalt schon mehr als sechs Jahre zurück. Seit seiner Rückkehr nach Österreich sei der BF in keiner Weise einschlägig in Erscheinung getreten. Es gehe von ihm keine Gefahr für die öffentliche Ordnung und Sicherheit aus. Einer Asylaberkennung des Vaters habe keine Bindungswirkung für den BF. Der BF habe mehr als die Hälfte seines Lebens in Österreich verbracht, sei hier wirtschaftlich und sozial integriert und gehe bzw. sei einer geregelten Beschäftigung nachgegangen. Der Vater des BF habe eine führende Stellung bei einer Splittergruppe einer terroristischen Vereinigung in Syrien eingenommen und es sei als notorisch vorauszusetzen, dass nahe Familienangehörige derartiger Personen in der Russischen Föderation besonderen Repressalien ausgesetzt seien. Die Verhängung eines unbefristeten Einreiseverbots sei jedenfalls unzulässig, weil wiederum darauf zu verweisen sei, dass die hier gegenständliche Sachverhaltskonstellation mehr als sechs Jahre zurückliege, das anhängig gewesene Strafverfahren ursprünglich bereits eingestellt worden sei und das behauptete Naheverhältnis des BF zu einer terroristischen Gruppierung jedenfalls nicht vorliege. Da das ursprünglich bereits eingestellte Strafverfahren des BF wiederaufgenommen worden sei, befinde sich der BF nun in Untersuchungshaft. Eine Aufhebung sei nicht zu erwarten und sei deswegen die Frist für die freiwillige Ausreise nicht binnen 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung, sondern binnen 14 Tagen ab Verbüßung einer allfälligen im Rahmen des oben angeführten Strafverfahrens verhängten Freiheitsstrafe festzulegen.

19. Am 23.03.2021 fand eine mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht statt.

Vorgelegt wurden: Zeitungsartikel über die aktuelle Lage in Tschetschenien;
Geburtsurkunden der Kinder des BF;
Einstellungszusage vom 31.12.2020;
Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 03.09.2020

20. Am 08.04.2021 übermittelte das BVT eine Stellungnahme zu dem BF, indem bekanntgegeben wurde, dass der BF und sein Bruder nach Rückkehr nach Österreich keinen Kontakt zu Personen hatte, welche in einem Zusammenhang mit einer terroristischen Vereinigung stehen. Der BF war auch sonst in staatspolizeilicher Hinsicht für das BVT nicht auffällig. Es bestehe keine Gefahr aus staatspolizeilicher Sicht. Es liegen keine Informationen vor, wonach der BF oder seine Brüder in Österreich wegen ihrer angeblichen Tätigkeit in Syrien kontaktiert oder gar bedroht worden wären.

21. Am 11.05.2021 fand eine zweite mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht statt.

Vorgelegt wurden: Schulnachricht der 6. Schulstufe (2004/2005);
Hubstaplerschein 2011;
AMS Bestätigung für Modulare Schweißausbildung;
Zertifikat für eine Schweißerausbildung

22. Mit Schreiben vom 18.05.2021 teilte das BVT mit, dass zwei Personen, welche sich zurzeit vermutlich in Tschetschenien aufhalten, verdächtig seien, telefonischen Kontakt mit dem BF, seinem Bruder und seiner Mutter aufgenommen und diese aufgefordert zu haben, ein Entschuldigungsvideo wegen seines Aufenthalts in Syrien zu machen. Die Mutter des BF sei auch aufgefordert worden mit ihren beiden Söhnen nach Tschetschenien zurückzukommen, tue sie dies nicht, würde man auch in Österreich nach ihnen suchen. Des Weiteren sei eine WhatsApp-Sprachnachricht an die Mutter des BF mit den Worten „Bald wird ihn jemand töten und so wie ein Vieh/Hund rauswerfen“ gesendet worden.

23. Am 31.05.2021 wurde dem BVwG eine Einvernahme der Mutter des BF bei der LPD Steiermark, Schwester und Bruder des BF bei der LPD Wien übermittelt. Das BVT gab zur Einschätzung der Gefährdungslage wieder, dass die bekanntgegebenen Nummern, von welchen die Drohungen ausgesprochen worden wäre, aus der Region Tschetschenien zuzuordnen sind. Die beiden Rufnummern sind Handynummern und ein Bezug zum FSP oder sonstigen tschetschenischen oder russischen Behörden konnte dadurch nicht festgestellt werden, es handelt sich um allgemeine Telefonanbieter. Auffällig sei der zeitliche Zusammenhang mit dem Verfahren vor dem BVwG, so habe es in 15 Jahren lediglich zwei nachgewiesene Fälle von Einflussnahme gegeben. Alle anderen seien nicht nachvollziehbar gewesen.

24. Am 09.06.2021 erfolgte die Möglichkeit der Abgabe einer Stellungnahem zu Punkt 23. Seitens des BF langte keine Stellungnahme ein.

25. Am 11.06.2021 langte eine Stellungnahme des BFA beim BVwG ein, in welcher zur behaupteten Bedrohung des BF zusammengefasst vorgebracht wurde, dass sich aus den Angaben des BF und seiner Familienangehörigen kein stimmiges Gesamtbild hinsichtlich der Drohungen von tschetschenischer oder russischer Seite ergebe. Die Datumsangaben seien schwammig und vage. Der BF behaupte zwar, dass er im Jahr 2015 Kontakt mit diesen Personen aufgenommen habe, habe aber keine Nachweise vorlegen können. Für die Behörde stehe fest, dass es keine Bedrohung oder Kontaktaufnahme seitens tschetschenischer oder russischer Sicherheitskräfte mit dem BF im Jahr 2015 gegeben habe. Es entstehe der Eindruck, dass die Familienangehörigen des BF alles versuchen, um eine Rückkehrentscheidung zu verhindern, indem eine fiktive Bedrohungslage inszeniert werde. Auch die vorgelegten WhatsApp-Nachrichten könnten von jeder beliebigen Person mit einer russischen Handynummer verschickt worden sein. Alle bis auf eine Sprachnachricht seien äußerst neutral und höflich formuliert und werde lediglich versucht, Informationen auszutauschen oder zu erlangen.

Vorgelegt wird: Anfragebeantwortung der Staatendokumentation über die Verfolgung von Personen in der Russischen Föderation, die wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Organisation verurteilt wurden; Haftstrafe bereits verbüßt vom 03.09.2020;

Das Bundesverwaltungsgericht hat wie folgt erwogen:

1. Feststellungen:

Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest. Auf Grundlage des Vorverfahrens zur Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, der Beschwerde gegen den angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, der im Verfahren vorgelegten Dokumente und Schriftstücke, der Einsichtnahme in den bezughabenden Verwaltungsakt sowie der Einsichtnahme in das Zentrale Melderegister, das Zentrale Fremdenregister und Strafregister, sowie der mündlichen Verhandlung, werden folgende Feststellungen getroffen und der Entscheidung zugrunde gelegt:

1.1 Zur Person des Beschwerdeführers:

Der volljährige Beschwerdeführer führt den Namen XXXX , ist am XXXX XXXX geboren, Staatsangehöriger der Russischen Föderation sowie Zugehöriger der Volksgruppe der Tschetschenen und Moslem. Der BF besuchte zwei Jahre eine Hauptschule in seinem Herkunftsland. In Österreich besuchte er die Hauptschule und das Polytechnikum. Er absolvierte eine Ausbildung zum Schweißer. Er spricht Tschetschenisch, Russisch und auch gutes Deutsch.

Der Beschwerdeführer reiste spätestens am 06.02.2004 in das Bundesgebiet ein und stellte im Familienverfahren einen Antrag auf internationalen Schutz. Der Beschwerde gegen den abweisenden Bescheid des Bundesasylamtes vom 29.12.2004 zur Zahl XXXX wurde mit Bescheid des UBS vom 30.11.2006 zur Zahl XXXX stattgeben und dem BF gemäß § 11 Abs. 1 AsylG durch Erstreckung Asyl gewährt, weil der Berufung seines Vaters mit Bescheid Zl. XXXX stattgegeben wurde. Da keinerlei Anhaltspunkte vorlagen, wonach dem Vater ein Familienleben mit dem BF in einem anderen Staat möglich wäre, war dem BF durch Erstreckung Asyl zu gewähren.

Das BFA leitete gegen den BF ein Aberkennungsverfahren ein und erkannte mit dem gegenständlichen Bescheid den Status des Asylberechtigten ab.

Der Beschwerdeführer ist gesund, er leidet an keinen lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankungen und ist arbeitsfähig.

Der Beschwerdeführer hat Arbeits- bzw. Berufserfahrung in Österreich, nämlich bei:

?         XXXX Personal Service GmbH als Arbeiter am 24.06.2019

?         XXXX GmbH als Arbeiter von 01.10.2018 bis 31.12.2018

?         XXXX Personalservice GmbH als Arbeiter von 19.06.2017 bis 21.09.2018 und von 14.01.2019 bis 14.06.2019

?         XXXX als geringfügig Beschäftigter von 25.05.2016 bis 10.06.2016

?         XXXX als geringfügig Beschäftigter von 01.03.2016 bis 14.04.2016

?         XXXX als Arbeiter von 01.01.2016 bis 14.02.2016

?         XXXX als geringfügig Beschäftigter von 27.06.2014 bis 31.07.2014

?         XXXX als geringfügig Beschäftigter von 28.03.2014 bis 13.05.2014

?         XXXX als Arbeiter von 11.06.2014 bis 17.06.2014 und von 01.06.2013 bis 31.07.2013

?         XXXX als Arbeiter von 01.06.2012 bis 31.05.2013

?         XXXX Personalbereitstellungs- GmbH als Arbeiter von 19.03.2012 bis 24.03.2012 und von 01.03.2012 bis 02.03.2012

?         XXXX Personaldienste GmbH als Arbeiter von 10.06.2010 bis 14.06.2010

?         XXXX als geringfügig Beschäftigter von 12.10.2009 bis 16.02.2010

?         XXXX Personalbereitstellung Gesellschaft m.b.H. als Arbeiter von 07.01.2009 bis 03.04.2009

Der BF wurde dreimal rechtskräftig strafrechtlich verurteilt:

Die erste Verurteilung erfolgte am 27.03.2015 durch das Landesgericht XXXX . Der BF hat am 04.04.2013 in XXXX Verfügungsberechtigte der Santander Consumer Bank GmbH durch Täuschung über Tatsachen, nämlich seiner Zahlungsfähigkeit und Zahlungswilligkeit zu einer Handlung, nämlich zur Gewährung eines Kredites für den Ankauf eines PKW in der Höhe von EUR 23.990,00 verleitet, wodurch diese einen Vermögensschaden erlitten hat. Er hat dadurch das Vergehen des schweren Betruges nach den §§ 146, 147 Abs. 2 StGB begangen. Der BF wurde zu einer bedingten Freiheitsstrafe von sieben Monaten unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren verurteilt. Als mildernd wurden das Geständnis und die Unbescholtenheit des BF, als erschwerend die achtfache Übersteigung der Qualifikationsgrenze gewertet.

Die zweite Verurteilung erfolgte am 03.09.2018 durch das Landesgericht für Strafsachen XXXX , XXXX . Der BF hat am 29.03.2018 in XXXX Beamte mit Gewalt an einer Fahrzeugkontrolle und Identitätsfeststellung des BF sowie an der Festnahme des BF, mithin an Amtshandlungen zu hindern versucht, indem er gegen den ausgestreckten Arm eines Beamten einschlug und in der Folge versuchte, sich aus den Festhaltegriffen der beiden ihn zurückhaltenden Beamten gewaltsam loszureißen und diese Beamte wegen der Vollziehung ihrer Aufgaben am Körper zu verletzen versucht. Er hat hierdurch das Vergehen des versuchten Widerstandes gegen die Staatsgewalt nach den §§ 15, 269 Abs. 1 StGB und das Vergehen der versuchten schweren Körperverletzung nach den §§ 15, 83 Abs. 1, 84 Abs. 2 StGB begangen. Der BF wurde gemäß § 269 Abs. 1 StGB zu einer bedingten Freiheitsstrafe von zehn Monaten, unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren verurteilt. Als mildernd wurde gewertet, dass es bei beiden Tathandlungen beim Versuch geblieben ist, als erschwerend das Zusammentreffen von zwei Vergehen und die Angriffe auf zwei Beamte. Zudem ergibt sich aus der Vorabstrafung das kein ordentlicher Lebenswandel vorliegt.

Einer dagegen erhobenen Berufung wegen des Ausspruches über die Strafe wurde mit Urteil des Oberlandesgerichts XXXX vom 18.12.2018, XXXX , Folge gegeben, der Strafausspruch aufgehoben und über den BF gemäß dem ersten Strafsatz des § 269 Abs. 1 StGB unter Anwendung der §§ 28 Abs. 1, 37 Abs. 1 StGB eine Geldstrafe von 480 Tagessätzen zu je EUR 15,00, im Uneinbringlichkeitsfall 240 Tage Ersatzfreiheitsstrafe verhängt. Das Oberlandesgericht stellte fest, dass die im angefochtenen Urteil verhängte Strafe geringfügig überhöht war und keine spezialpräventiven Gründe gegen die Verhängung einer Geldstrafe anstelle einer bedingt nachgesehenen Freiheitsstrafe entgegenstehen.

Die dritte Verurteilung erfolgte am 20.05.2020 durch das Landesgericht XXXX Der BF hat XXXX und andernorts im Zeitraum vom 15.07.2013 bis November 2013, sich als Mitglied an einer terroristischen Vereinigung, nämlich an der aus der terroristischen Vereinigung Islamischer Staat im Irak hervorgegangenen terroristischen Vereinigung Jabhat al Nusra Front und weiteren, von dieser beeinflussten Splittergruppen, somit an einem auf längere Zeit angelegten Zusammenschluss von mehr als zwei Personen, der darauf ausgerichtet ist, dass von einem oder mehreren Mitgliedern dieser Vereinigung mehrere terroristische Straftaten, und zwar Morde, Körperverletzungen, schwere Nötigungen und schwere Sachbeschädigungen begangen werden, welche Taten geeignet sind, eine schwere oder längere Zeit anhaltende Störung des öffentlichen Lebens oder eine schwere Schädigung des Wirtschaftslebens herbeizuführen und die mit dem Vorsatz begangen werden, die Bevölkerung auf schwerwiegende Weise einzuschüchtern, öffentliche Stellen oder internationale Organisationen zu Handlungen, Duldungen oder Unterlassungen zu nötigen und die politischen, verfassungsrechtlichen, wirtschaftlichen und sozialen Grundstrukturen eines Staates ernsthaft zu erschüttern oder zu zerstören, im Rahmen der kriminellen Ausrichtung dieser terroristischen Vereinigung in dem Wissen beteiligt, dass sie dadurch diese terroristische Vereinigung und deren strafbaren Handlungen, nämlich deren Ziel der Errichtung eines nach radikal islamistischen Grundsätzen ausgerichteten, als Kalifat bezeichneten, Gottesstaates auf Grundlage der als islamisches Recht bezeichneten Scharia und deren zur Erreichung dieses Ziels als erforderlich angesehenen terroristischen Straftaten nach § 278c Abs. 1 StGB fördern, indem der BF mit zwei PKWs von Wien über den Landweg nach Istanbul reiste, sich vor Ort seiner Kontaktperson anschloss und mit dieser und der Unterstützung von Schleppern mit ihren PKWs über die grüne Grenze nach Syrien fuhr sowie vor Ort in Syrien mit Kalaschnikow-Gewehren ausgestattet für die Lager der terroristischen Vereinigung Wachdienste hielt, Sporttrainings absolvierte, für die Mitglieder der terroristischen Vereinigung wusch und kochte und sich im Gebrauch von Waffen zur Begehung terroristischer Straftaten unterweisen und in gefechtsrelevanter Taktik schulen ließ. Das der BF an Kampfhandlungen teilnahm, konnte nicht festgestellt werden. Der BF stellte zudem den von ihm in XXXX erworbenen und zu der Ausreise nach Syrien verwendeten PKW der terroristischen Vereinigung als Vermögenswert bereit und ließ sich in diversen Posen für Propagandazwecke fotografieren. Der BF hat sich durch die oben dargestellten Tathandlungen als Mitglied an einer auf längere Zeit angelegten unternehmensähnlichen Verbindung einer größeren Zahl von Personen, die, wenn auch nicht ausschließlich, auf die wiederkehrende und geplante Begehung schwerwiegender strafbarer Handlungen, die das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die Freiheit oder das Vermögen bedrohen, oder schwerwiegender strafbarer Handlungen im Bereich der sexuellen Ausbeutung von Menschen, der Schlepperei oder des unerlaubten Verkehrs mit Kampfmitteln, Kernmaterial und radioaktiven Stoffen, gefährlichen Abfällen, Falschgeld oder Suchtmitteln ausgerichtet ist, die dadurch eine Bereicherung im großen Umfang anstrebt und die andere zu korrumpieren oder einzuschüchtern oder sich auf besondere Weise gegen Strafverfolgungsmaßnahmen abzuschirmen versucht, im Rahmen der kriminellen Ausrichtung dieser kriminellen Organisation in dem Wissen beteiligt, dass die dadurch die oben genannte Vereinigung und deren strafbare Handlungen, nämlich deren Ziel der Errichtung eines nach radikal islamistischen Grundsätzen ausgerichteten, als Kalifat bezeichneten, Gottesstaates auf Grundlage der als islamisches Recht bezeichneten Scharia und deren zur Erreichung dieses Ziels als erforderlich angesehenen terroristischen Straftaten nach § 278c Abs. 1 StGB fördern. Weiters ließ sich der BF in der Herstellung oder im Gebrauch von Sprengstoff, Schuss- oder sonstigen Waffen oder schädlichen oder gefährlichen Stoffen oder in einer anderen, ebenso schädlichen oder gefährlichen spezifisch zur Begehung einer terroristischen Straftat nach § 278c Abs. 1 Z 1 bis 9 oder 10 StGB geeigneten Methode oder einem solchen Verfahren unterweisen, um eine solche terroristische Straftat unter Einsatz der erworbenen Fähigkeiten zu begehen, indem er sich im Umgang mit der Waffe einschulen ließ und an einer Taktikschulung (Hinlegen-Schießen-Verstecken) teilnahm. Der BF hat hierdurch das Verbrechen der terroristischen Vereinigung nach § 278b Abs. 2 StGB, das Verbrechen der kriminellen Organisation nach § 278a StGB und das Verbrechen der Ausbildung für terroristische Zwecke nach § 278e Abs. 2 StGB begangen. Er wurde hierfür unter Bedachtnahme auf das Urteil des Landesgerichts XXXX , GZ XXXX , nach dem Strafsatz des § 278b Abs. 2 StGB zu einer Zusatzfreiheitsstrafe von zweieinhalb Jahren verurteilt. Mildernd wurden der bisherige ordentliche Lebenswandel und der Beitrag zur Wahrheitsfindung, erschwerend das Zusammentreffen dreier Verbrechen mit einem Vergehen gewertet. Das Landesgericht führte aus, dass die Angaben des BF, auch wenn er sich nicht reumütig geständig zeigte, wesentlich zur Klärung des Sachverhalts beigetragen hat. Zudem konnte aus spezialpräventiven Gründen von der Verhängung einer höheren Sanktion Abstand genommen werden, da sich der BF glaubwürdig, von seiner damaligen Ideologie abgewandt hat.

Eine dagegen erhobene Berufung des BF wurde vom Oberlandesgericht XXXX nicht Folge gegeben. Hingegen wurde der Berufung der Staatsanwaltschaft Folge gegeben und die über den BF verhängte Zusatzfreiheitsstrafe auf drei Jahre erhöht. Das Oberlandesgericht führte aus, dass eine Erhöhung der Zusatzfreiheitsstrafe insbesondere der hohe soziale Störwert der Taten sowie generalpräventive Erwägungen erforderlich machten.

Der BF befindet sich seit dem 04.07.2019 in Haft. Die Verurteilungen des BF beruhen nicht auf der gleichen schädlichen Neigung. Zwischen den ersten beiden und der letzten Tathandlungen verhielt sich der BF fünf Jahre lang wohl.

Der BF reiste im Sommer 2013 gemeinsam mit seinem Vater und seinem Bruder über die Türkei nach Syrien um sich einer terroristischen Vereinigung anzuschließen und kehrte am 03.12.2013 nach Österreich zurück. Dass er in Syrien an Kampfhandlungen teilgenommen hat, konnte nicht festgestellt werden. Der BF hat seit seiner Rückkehr nach Österreich keine Kontakte mehr zu Personen, die in einem Zusammenhang mit einer terroristischen Vereinigung stehen. Es konnte nicht festgestellt werden, dass der BF eine Gefährdung aus staatspolizeilicher Sicher für Österreich darstellt.

Der BF ist in Tschetschenien aufgewachsen und hat dort die Schule besucht. Er kennt die tschetschenische Kultur, sowie die kulturellen und sozialen Gegebenheiten in der Russischen Föderation.

Der BF hat noch Verwandte in Tschetschenien, nämlich Großeltern, Onkel, Tanten und deren Familien. Vor seinem Haftantritt hatte er regelmäßig Kontakt zu einer seiner Tanten.

Der BF kritisierte zu keinem Zeitpunkt die Anhänger des derzeitigen Präsidenten Ramsan Achmatowitsch Kaydrow und trat auch nicht gegen diesen auf.

Der BF hat familiäre Anknüpfungspunkte in Österreich, nämlich seine Mutter, drei seiner Brüder, zwei Onkel väterlicherseits, eine Tante mütterlicherseits und Cousins und Cousinen. Seine Schwester und ein Bruder leben in Deutschland. Der BF hat regelmäßig Kontakt zu seinen Geschwistern und seiner Mutter. Ein finanzielles Abhängigkeitsverhältnis oder ein gemeinsamer Haushalt besteht zu keinem seiner Verwandten. Zu seinem Vater hatte er 2013 das letzte Mal Kontakt.

Der BF konsumiert manchmal am Wochenende Drogen, ist jedoch nicht drogenabhängig.

Der BF ist seit 2014 mit XXXX liiert und seit 2015 nach islamischem Recht mit ihr verheiratet. Eine diesbezügliche Urkunde wurde nicht vorgelegt. Im Februar 2019 ging die Ehe auseinander, eine Wiederverheiratung fand Anfang Juni 2019 statt. Ein gemeinsamer Haushalt bestand von 2016 bis ungefähr Februar 2019, wo es zu einer mindestens dreimonatigen Trennung kam und liegt aufgrund der andauernden Haft des BF auch im Entscheidungszeitpunkt nicht vor. Eine intensive Beziehung zwischen dem BF und seiner Freundin konnte nicht festgestellt werden.

Der BF hat drei Sorgepflichten. Zwei Töchter mit seiner früheren Freundin XXXX die er seit er in Haft nur einmal gesehen hat und eine Tochter mit seiner jetzigen Freundin, die er regelmäßig sieht, wenn sie ihn im Gefängnis besuchen. Auch zur seiner früheren Freundin hat er keinen regelmäßigen Kontakt.

Abgesehen von Arbeitskollegen hat der BF keinen regelmäßigen Kontakt zu Österreichern und auch sonst keine Freunde.

1.2 zur Situation im Fall einer Rückkehr des BF in sein Herkunftsland:

Die Umstände für die Zuerkennung von Asyl und Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft haben sich wesentlich geändert.

Es wird festgestellt, dass der BF im Fall einer Rückkehr in die Russische Föderation aus Gründen der Volksgruppenzugehörigkeit, der Rasse, Religion, Nationalität, der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner politischen Ansichten von staatlicher Seite oder von Seiten Dritter keiner Gefährdung ausgesetzt ist. Weiters liegen keine stichhaltigen Gründe vor, dass er konkret Gefahr liefe, im Herkunftsstaat aktuell der Folter, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Strafe bzw. der Todesstrafe unterworfen zu werden.

Weiters kann nicht festgestellt werden, dass der BF aufgrund der Tatsache, dass er sich in Europa bzw. Österreich aufgehalten hat, deshalb in der Russischen Föderation einer Verfolgung ausgesetzt wäre.

Es wird festgestellt, dass der BF im Falle seiner Rückkehr in die Russische Föderation in keine existenzgefährdende Notlage geraten würde und ihm die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen wäre. Die Verwandten des BF in der Russischen Föderation könnten ihn nach einer Rückkehr im Bedarfsfall anfänglich unterstützen. Zudem könnte er auch Unterstützung durch seine in Österreich lebenden Familienangehörigen erhalten.

Es ist dem BF möglich und zumutbare sich in anderen Städten in der Russischen Föderation außerhalb der Teilrepublik Tschetschenien wie Moskau oder andere große Städte als innerstaatliche Fluchtalternative wahrzunehmen. Die wirtschaftlich stärkeren Metropolen und Regionen in Russland bieten trotz der derzeitigen Wirtschaftskrise und vorhandener Coronapandemie bei vorhandener Arbeitswilligkeit entsprechende Chancen auch für russische Staatsangehörige aus den Kaukasusrepubliken (Tschetschenien).

Es ist ihm möglich ohne Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft befrieden zu können, bzw. ohne in eine ausweglose bzw. existenzbedrohende Situation zu geraten, zu leben. Der BF hat Zugang zu Sozialbeihilfen, Krankenversicherung und medizinischer Versorgung. Es ist dem Beschwerdeführer möglich nach anfänglichen Schwierigkeiten in seinem Herkunftsland Fuß zu fassen und dort ein Leben ohne unbillige Härten zu führen, wie es auch andere Landsleute führen können. Da der BF keine gesundheitlichen Einschränkungen hat und keine Vorerkrankungen ist nicht davon auszugehen, dass der BF durch eine etwaige Erkrankung an das COVID-19 Virus eine schwere Erkrankung oder gar den Tod erleiden würde.

Der BF hat keine individuellen gefahrenerhöhenden Umstände aufgezeigt, die unter Beachtung seiner persönlichen Situation innewohnenden Umstände eine Gewährung von subsidiären Schutz auch bei einem niedrigen Grad willkürlicher Gewalt angezeigt hätte.

1.3. Zum Herkunftsstaat:

Zur Situation im Herkunftsland wird von den vom Bundesverwaltungsgericht ins Verfahren eingeführten Länderinformationen zur Russischen Föderation bzw. Tschetschenien ausgegangen (Auszug Gesamtaktualisierung, Version 3 vom 11.06.2021):

Covid-19-Situation

Letzte Änderung: 18.05.2021

Russland ist von Covid-19 landesweit stark betroffen. Regionale Schwerpunkte sind Moskau und St. Petersburg (AA 15.2.2021). Aktuelle und detaillierte Zahlen bietet unter anderem die Weltgesundheitsorganisation WHO (https://covid19.who.int/region/euro/country/ru). Die Regionalbehörden in der Russischen Föderation sind für Maßnahmen zur Eindämmung von Covid-19 zuständig, beispielsweise betreffend Mobilitätseinschränkungen, medizinische Versorgung und soziale Maßnahmen (RAD 15.2.2021; vgl. CHRR 12.3.2021). Die Maßnahmen der Regionen sind unterschiedlich, richten sich nach der epidemiologischen Situation in der jeweiligen Region und ändern sich laufend (WKO 9.3.2021; vgl. AA 15.2.2021). Es herrscht eine soziale Distanzierungspflicht für öffentliche Plätze und öffentliche Verkehrsmittel. Der verpflichtende Mindestabstand zwischen Personen beträgt 1,5 Meter (WKO 9.3.2021).

Die regierungseigene Covid-19-Homepage gibt Auskunft über die vom russischen Gesundheitsministerium empfohlenen Covid-19-Medikamente, nämlich Favipiravir, Hydroxychloroquin, Mefloquin, Azithromycin, Lopinavir/Ritonavir, rekombinantes Interferon-beta-1b und Interferon-alpha, Umifenovir, Tocilizumab, Sarilumab, Olokizumab, Canakinumab, Baricitinib und Tofacitinib. Der in Moskau entwickelte Covid-19-Krankenhausbehandlungsstandard umfasst folgende vier Komponenten: Antivirale Therapie, Antithrombose-Medikation, Sauerstoffmangelbehebung und Prävention/Behandlung von Komplikationen. Auf Anordnung des Arztes wird Patienten ein Pulsoxymeter ausgehändigt (Gerät zur Messung des Blutsauerstoffsättigungsgrades). Die medizinische Covid-Versorgung erfolgt für die Bevölkerung kostenlos (CHRR o.D.a).

Folgende Impfstoffe wurden in der Russischen Föderation entwickelt: Gam-COVID-Vac ('Sputnik V'), EpiVacCorona, CoviVac und Ad5-nCoV (CHRR o.D.b). Mittlerweile sind in der Russischen Föderation drei heimische Impfstoffe zugelassen (Sputnik V, EpiVacCorona und CoviVac). Groß angelegte klinische Studien gibt es bisher nicht (DS 20.2.2021; vgl. RFE/RL 21.2.2021). Impfungen erfolgen kostenlos (Mos.ru o.D.). In Moskau wurden bisher mehr als 700.000 Personen geimpft (Mos.ru 8.3.2021). Obwohl Russland als weltweit erstes Land seinen Covid-Impfstoff Sputnik V registrierte, haben die Impfungen effizient gerade erst begonnen (DS 12.2.2021). Bisher wurden in der Russischen Föderation in etwa 2,2 Millionen Personen (ca. 1,5% der Bevölkerung) geimpft bzw. erhielten zumindest eine der zwei Teilimpfungen (RFE/RL 21.2.2021).

Für die Einreise nach Russland wird grundsätzlich ein COVID-19-Testergebnis (PCR) benötigt. Russische Staatsbürger müssen bei der Grenzkontrolle keinen COVID-Test vorlegen, dieser muss jedoch spätestens drei Tage nach der Einreise nachgeholt werden. Russische Staatsbürger, die nach der Einreise ein positives Testergebnis erhalten, müssen sich in Quarantäne begeben. Die Ausreise aus Russland ist bis auf unbestimmte Zeit eingeschränkt und nur in bestimmten Ausnahmefällen möglich. Die internationalen Flugverbindungen wurden teilweise wieder aufgenommen. Direktflüge zwischen Österreich und Russland werden derzeit ein- bis zweimal wöchentlich von Austrian Airlines und Aeroflot angeboten. Russische Inlandsflüge wurden während der ganzen Pandemiezeit aufrecht erhalten (WKO 9.3.2021). Der internationale Zugverkehr – mit Ausnahme der Strecke zwischen Russland und Belarus - und der Fährverkehr sind eingestellt (AA 15.2.2021).

Staatliche Unterstützungsmaßnahmen für die russische Wirtschaft sind unterschiedlich und an viele Bedingungen gebunden. Zu den ersten staatlichen Hilfsmaßnahmen zählten Kredit-, Miet- und Steuerstundungen (ausgenommen Mehrwertsteuer), Sozialabgabenreduktion sowie Kreditgarantien und zinslose Kredite. Später kamen Steuererleichterungen sowie direkte Zuschüsse dazu. Viele der Maßnahmen sind nur für kleine und mittlere Unternehmen oder bestimmte Branchen zugänglich und haben einen zweckgebundenen Charakter (beispielsweise gebunden an Gehaltszahlungen oder Arbeitsplatzerhalt) (WKO 9.3.2021). Die Regierung bietet Exporteuren Hilfe an, die Möglichkeit eines Konkursmoratoriums, zinslose Kredite für Gehaltsauszahlungen usw. (CHRR o.D.c). Jänner bis Oktober 2020 ist die Industrieproduktion pandemiebedingt um 3,1% zurückgegangen. Besonders die Rohstoffproduktion ist um 6,6% gefallen, während die verarbeitende Industrie mit 0,3% praktisch stagnierte. Die im Jahr 2020 sehr stark fallenden Ölpreise waren unter anderem eine Auswirkung der Covid-19-Pandemie und mit einem globalen Nachfragerückgang verbunden und führten zu einer Rubelabwertung von 25%. Nach leichter Erholung verlor der Rubel unter anderem wegen der anhaltenden geringen Rohstoffnachfrage Mitte 2020 erneut an Wert und lag Anfang Dezember bei ca. 90 Rubel je Euro (WKO 12.2020). Das Realwachstum des Bruttoinlandsprodukts betrug im Jahr 2020 -3,1%. Im Vergleich dazu betrug der entsprechende Wert im Jahr 2019 2%. Die öffentliche Verschuldung betrug im Jahr 2020 17,8% des Bruttoinlandsprodukts (2019: 12,4%) (WIIW o.D.).

Moskau:

In Moskau herrscht an öffentlichen Orten eine Masken- und Handschuhpflicht. Das Tragen von Masken auf Straßen wird empfohlen. Kultur- und Bildungsveranstaltungen dürfen stattfinden, wenn maximal 50% der Zuschauerplätze belegt sind. Bürgern über 65 Jahren und chronisch Kranken wird Selbstisolierung empfohlen (CHRR 12.3.2021; vgl. WKO 9.3.2021, AA 15.2.2021). Empfohlen wird Fernarbeit für mindestens 30% der Mitarbeiter. Am Arbeitsplatz sind vorgeschriebene Hygienevorschriften (unter anderem Temperaturmessungen, Mund- und Handschutz, Desinfektionsmittel, Mindestabstand etc.) einzuhalten (WKO 9.3.2021). Gemäß dem Moskauer Bürgermeister verbessert sich die Pandemielage in Moskau. Ein Großteil der Einschränkungen wurde aufgehoben. Gastronomiebetriebe sind wieder geöffnet. Für Schüler höherer Klassen und Studierende findet nun wieder Präsenzunterricht statt (Mos.ru 7.3.2021; vgl. Mos.ru 8.3.2021, LM 8.2.2021, Russland Analysen 19.2.2021). In der Oblast [Gebiet] Moskau wurde die Mehrzahl der wegen Covid geltenden Einschränkungen zurückgenommen. Einzig Massenveranstaltungen bleiben fast ausnahmslos verboten (Russland Analysen 19.2.2021).

St. Petersburg:

Auch in St. Petersburg herrscht an öffentlichen Orten eine Masken- und Handschuhpflicht. Die für gastronomische Betriebe geltenden Beschränkungen der Öffnungszeiten wurden aufgehoben. Kulturveranstaltungen dürfen stattfinden, wenn maximal 75% der Zuschauerplätze belegt sind. Empfohlen wird Fernarbeit für mindestens 30% der Mitarbeiter. Für über 65-Jährige und chronisch Kranke sind Selbstisolierung und Fernarbeit verpflichtend (CHRR 12.3.2021; vgl. Gov.spb 5.3.2021, WKO 9.3.2021, Russland Analysen 8.2.2021).

Tschetschenien:

An öffentlichen Orten wird das Tragen von Masken empfohlen. Für über 65-Jährige und chronisch Kranke ist Selbstisolierung vorgesehen (CHRR 12.3.2021; vgl. Chechnya.gov 10.2.2021, Ria.ru 10.2.2021, KMS 10.2.2021). Bisher wurden mehr als 19.000 Personen geimpft (Chechnya.gov 26.2.2021). Mitarbeitern staatlich finanzierter Organisationen in Tschetschenien wurde mit Entlassung gedroht, sollten sie die Covid-Impfung verweigern. Bewohner in Tschetschenien berichten, ihnen seien Sanktionen angedroht worden, sollten sie sich nicht impfen lassen (CK 23.1.2021). Reisebeschränkungen wurden aufgehoben (Ria.ru 10.2.2021; vgl. Chechnya.gov 10.2.2021, KMS 10.2.2021).

Dagestan:

An öffentlichen Orten herrscht Maskenpflicht. Einstweilen dürfen keine Massenveranstaltungen stattfinden. Für über 65-Jährige und chronisch Kranke wird Selbstisolierung empfohlen (CHRR 12.3.2021). Es finden Massenimpfungen statt, und verwendet wird der Impfstoff Sputnik V (E-dag.ru 23.2.2021). Bisher wurden mehr als 18.000 Personen (2,4%) geimpft (E-dag.ru 12.3.2021).

Politische Lage

Letzte Änderung: 26.05.2021

Die Russische Föderation hat ca. 143 Millionen Einwohner (GIZ 1.2021c; vgl. CIA 5.2.2021). Russland ist eine Präsidialdemokratie mit föderativem Staatsaufbau (GIZ 1.2021a; vgl. EASO 3.2017). Der Präsident verfügt über weitreichende exekutive Vollmachten, insbesondere in der Außen- und Sicherheitspolitik (GIZ 1.2021a; vgl. EASO 3.2017, AA 21.10.2020c). Er ernennt auf Vorschlag der Staatsduma den Vorsitzenden der Regierung, die stellvertretenden Vorsitzenden und die Minister, und entlässt sie (GIZ 1.2021a). Wladimir Putin ist im März 2018 bei der Präsidentschaftswahl mit 76,7% im Amt bestätigt worden (Standard.at 19.3.2018; vgl. FH 4.3.2020). Die Wahlbeteiligung lag der russischen Nachrichtenagentur TASS zufolge bei knapp 67% und erfüllte damit nicht ganz die Erwartungen der Präsidialadministration (Standard.at 19.3.2018). Putins wohl stärkster Widersacher Alexej Nawalny durfte nicht bei der Wahl kandidieren. Er war zuvor in einem von vielen als politisch motiviert eingestuften Prozess verurteilt worden und rief daraufhin zum Boykott der Abstimmung auf, um die Wahlbeteiligung zu drücken (Presse.at 19.3.2018; vgl. FH 3.3.2021). Oppositionelle Politiker und die Wahlbeobachtergruppe Golos hatten mehr als 2.400 Verstöße gezählt, darunter mehrfach abgegebene Stimmen und die Behinderung von Wahlbeobachtern. Wähler waren demnach auch massiv unter Druck gesetzt worden, an der Wahl teilzunehmen. Auch die Wahlkommission wies auf mutmaßliche Manipulationen hin (Tagesschau.de 19.3.2018). Wahlbetrug ist weit verbreitet, was insbesondere im Nordkaukasus deutlich wird (BTI 2020). Präsident Putin kann dem Ergebnis zufolge nach vielen Jahren an der Staatsspitze weitere sechs Jahre das Land führen (Tagesschau.de 19.3.2018; vgl. OSCE/ODIHR 18.3.2018).

Die Verfassung wurde per Referendum am 12.12.1993 mit 58% der Stimmen angenommen. Sie garantiert die Menschen- und Bürgerrechte. Das Prinzip der Gewaltenteilung ist zwar in der Verfassung verankert, jedoch verfügt der Präsident über eine Machtfülle, die ihn weitgehend unabhängig regieren lässt. Er ist Oberbefehlshaber der Streitkräfte, trägt die Verantwortung für die Innen- und Außenpolitik und kann die Gesetzesentwürfe des Parlaments blockieren. Die Regierung ist dem Präsidenten untergeordnet, der den Premierminister mit Zustimmung der Staatsduma ernennt. Das Zweikammerparlament, bestehend aus Staatsduma und Föderationsrat, ist in seinem Einfluss stark beschränkt. Am 15. Januar 2020 hat Putin in seiner jährlichen Rede zur Lage der Nation eine Neuordnung des politischen Systems vorgeschlagen und eine Reihe von Verfassungsänderungen angekündigt. Dmitri Medwedjew hat den Rücktritt seiner Regierung erklärt. Sein Nachfolger ist der Leiter der russischen Steuerbehörde Michail Mischustin. In dem neuen Kabinett sind 15 von 31 Regierungsmitgliedern ausgewechselt worden (GIZ 1.2021a). Die Verfassungsänderungen ermöglichen Wladimir Putin, für zwei weitere Amtszeiten als Präsident zu kandidieren (GIZ 1.2021a; vgl. FH 3.3.2021), dies gilt aber nicht für weitere Präsidenten (FH 3.3.2021). Die Volksabstimmung über eine umfassend geänderte Verfassung fand am 1. Juli 2020 statt, nachdem sie aufgrund der Corona-Pandemie verschoben worden war. Bei einer Wahlbeteiligung von ca. 65% der Stimmberechtigten stimmten laut russischer Wahlkommission knapp 78% für und mehr als 21% gegen die Verfassungsänderungen. Neben der sogenannten Nullsetzung der bisherigen Amtszeiten des Präsidenten, durch die der amtierende Präsident 2024 und theoretisch auch 2030 zwei weitere Male kandidieren darf, wird das staatliche Selbstverständnis der Russischen Föderation in vielen Bereichen neu definiert. Der neue Verfassungstext beinhaltet deutlich sozialere und konservativere Inhalte als die Ursprungsverfassung aus dem Jahre 1993 (GIZ 1.2021a). Nach dem Referendum kam es zu Protesten von einigen hundert Personen in Moskau. Bei dieser nicht genehmigten Demonstration wurden 140 Personen festgenommen. Auch in St. Petersburg gab es Proteste (MDR 16.7.2020).

Der Föderationsrat ist als 'obere Parlamentskammer' das Verfassungsorgan, das die Föderationssubjekte auf föderaler Ebene vertritt. Er besteht aus 178 Abgeordneten (GIZ 1.2021a): Jedes Föderationssubjekt entsendet je einen Vertreter aus Exekutive und Legislative in den Föderationsrat. Die Staatsduma mit 450 Sitzen wird für fünf Jahre gewählt (GIZ 1.2021a; vgl. AA 21.10.2021c). Es gibt eine Fünfprozentklausel (GIZ 1.2021a).

Zu den wichtigen Parteien der Russischen Föderation gehören: die Regierungspartei Einiges Russland (Jedinaja Rossija) mit 1,9 Millionen Mitgliedern; Gerechtes Russland (Sprawedliwaja Rossija) mit 400.000 Mitgliedern; die Kommunistische Partei der Russischen Föderation (KPRF) mit 150.000 Mitgliedern, welche die Nachfolgepartei der früheren KP ist; die Liberaldemokratische Partei (LDPR) mit 185.000 Mitgliedern, die populistisch und nationalistisch ausgerichtet ist; die Wachstumspartei (Partija Rosta), die sich zum Neoliberalismus bekennt; Jabloko, eine demokratisch-liberale Partei mit 55.000 Mitgliedern; die Patrioten Russlands (Patrioty Rossii), links-zentristisch mit 85.000 Mitgliedern und die Partei der Volksfreiheit (PARNAS), eine demokratisch-liberale Partei mit 58.000 Mitgliedern (GIZ 1.2021a). Die Zusammensetzung der Staatsduma nach Parteimitgliedschaft gliedert sich wie folgt: Einiges Russland (343 Sitze), Kommunistische Partei Russlands (42 Sitze), Liberaldemokratische Partei Russlands (39 Sitze), Gerechtes Russland (23 Sitze), Vaterland-Partei (1 Sitz), Bürgerplattform (1 Sitz) (RIA Nowosti 23.9.2016; vgl. Global Security 21.9.2016, FH 3.3.2021). Die sogenannte Systemopposition stellt die etablierten Machtverhältnisse nicht in Frage und übt nur moderate Kritik am Kreml (SWP 11.2018). Die nächste Duma-Wahl steht im Herbst 2021 an (Standard.at 1.1.2021).

Russland ist eine Föderation, die aus 85 Föderationssubjekten (einschließlich der international nicht anerkannten Annexion der Republik Krim und der Stadt föderalen Ranges Sewastopol) mit unterschiedlichem Autonomiegrad besteht. Die Föderationssubjekte (Republiken, Autonome Gebiete, Autonome Kreise, Gebiete, Regionen und Föderale Städte) verfügen über jeweils eine eigene Legislative und Exekutive (GIZ 1.2021a; vgl. AA 21.10.2020c). Die Gouverneure der Föderationssubjekte werden auf Vorschlag der jeweils stärksten Fraktion der regionalen Parlamente vom Staatspräsidenten ernannt. Dabei wählt der Präsident aus einer Liste dreier vorgeschlagener Kandidaten den Gouverneur aus (GIZ 1.2021a).

Es gibt acht Föderationskreise (Nordwestrussland, Zentralrussland, Südrussland, Nordkaukasus, Wolga, Ural, Sibirien, Ferner Osten), denen jeweils ein Bevollmächtigter des Präsidenten vorsteht. Der Staatsrat der Gouverneure tagt unter Leitung des Präsidenten und gibt der Exekutive Empfehlungen zu aktuellen politischen Fragen und zu Gesetzesprojekten. Nach der Eingliederung der Republik Krim und der Stadt Sewastopol in die Russische Föderation wurde am 21.3.2014 der neunte Föderationskreis Krim gegründet. Die konsequente Rezentralisierung der Staatsverwaltung führt seit 2000 zu politischer und wirtschaftlicher Abhängigkeit der Regionen vom Zentrum. Diese Tendenzen wurden bei der Abschaffung der Direktwahl der Gouverneure in den Regionen und der erneuten Unterordnung der regionalen und kommunalen Machtorgane unter das föderale Zentrum („exekutive Machtvertikale“) deutlich (GIZ 1.2021a).

Bei den in einigen Regionen stattgefundenen Regionalwahlen am 8.9.2019 hat die Regierungspartei Einiges Russland laut Angaben der Wahlleitung in den meisten Regionen ihre Mehrheit verteidigt. Im umkämpften Moskauer Stadtrat verlor sie allerdings viele Mandate (Zeit Online 9.9.2019). Hier stellt die Partei nur noch 25 von 45 Vertretern, zuvor waren es 38. Die Kommunisten, die bisher fünf Stadträte stellten, bekommen 13 Sitze. Die liberale Jabloko-Partei bekommt vier und die linksgerichtete Partei Gerechtes Russland drei Sitze (ORF 18.9.2019). Die beiden letzten Parteien waren bisher nicht im Moskauer Stadtrat vertreten. Zuvor sind zahlreiche Oppositionskandidaten von der Wahl ausgeschlossen worden, was zu den größten Protesten seit Jahren geführt hat (Zeit Online 9.9.2019), bei denen mehr als 1.000 Demonstranten festgenommen wurden (Kleine Zeitung 28.7.2019). Viele von den Oppositionskandidaten haben zu einer 'smarten Abstimmung' aufgerufen. Die Bürgersollten Jeden wählen – nur nicht die Kandidaten der Regierungspartei. Bei den für die russische Regierung besonders wichtigen Gouverneurswahlen gewannen die Kandidaten der Regierungspartei überall (Zeit Online 9.9.2019).

Neben den bis Juli 2021 verlängerten wirtschaftlichen Sanktionen wegen des andauernden Ukraine-Konfliktes (Presse.com 10.12.2020) haben sich die EU-Außenminister wegen der Inhaftierung des Kremlkritikers Alexej Nawalny auf neue Russland-Sanktionen geeinigt. Die Strafmaßnahmen umfassen Vermögenssperren und EU-Einreiseverbote gegen Verantwortliche für die Inhaftierung Nawalnys (Cicero 22.2.2021).

Tschetschenien

Letzte Änderung: 26.05.2021

Die Einwohnerzahl Tschetscheniens liegt bei ca. 1,5 Millionen. Laut Aussagen des Republikoberhauptes Ramsan Kadyrow sollen rund 600.000 Tschetschenen außerhalb der Region leben – die Hälfte davon in der Russischen Föderation, die andere Hälfte im Ausland. Experten zufolge hat ein Teil von ihnenTschetschenien während der Kriege nach dem Zerfall der Sowjetunion verlassen, beim anderen Teil handelt es sich um Siedlungsgebiete außerhalb Tschetscheniens. Diese entstanden bereits vor über einem Jahrhundert, teilweise durch Migration aus dem Russischen in das Osmanische Reich, und zwar über Anatolien bis in den arabischen Raum. Was die Anzahl von Tschetschenen in anderen russischen Landesteilen anbelangt, so ist es aufgrund der öffentlichen Datenlage schwierig, verlässliche Aussagen zu treffen (ÖB Moskau 6.2020).

In Tschetschenien gilt Ramsan Kadyrow als Garant Moskaus für Stabilität. Mit Duldung der russischen Staatsführung hat er in der Republik ein autoritäres Herrschaftssystem geschaffen, das vollkommen auf seine eigene Person ausgerichtet ist und weitgehend außerhalb des föderalen Rechtsrahmens funktioniert (ÖB Moskau 6.2020; vgl. AA 2.2.2021, FH 3.3.2021). Fraglich bleibt auch die föderale Kontrolle über die tschetschenischen Sicherheitskräfte, deren faktische Loyalität vorrangig dem Oberhaupt der Republik gilt. Ramsan Kadyrow wurde bei den Wahlen vom 18. September 2016 laut offiziellen Angaben bei hoher Wahlbeteiligung mit überwältigender Mehrheit für eine weitere Amtszeit von fünf Jahren gewählt. Unabhängige Medien berichteten über Unregelmäßigkeiten bei den Wahlen, in deren Vorfeld Human Rights Watch über massive Druckausübung auf Kritiker des derzeitigen Machthabers berichtet hatte. Das tschetschenische Oberhaupt bekundet immer wieder seine absolute Loyalität gegenüber dem Kreml (ÖB Moskau 6.2020). In Tschetschenien regiert Kadyrow unangefochten autoritär. Gegen vermeintliche Extremisten und deren Angehörige, aber auch gegen politische Gegner, wird rigoros vorgegangen (ÖB Moskau 6.2020; vgl. AA 2.2.2021). Um die Kontrolle über die Republik zu behalten, wendet Kadyrow unterschiedliche Formen von Gewalt an, wie z.B. Entführungen, Folter und außergerichtliche Tötungen (FH 3.3.2021; vgl. AA 2.2.2021). Dies kann manchmal auch außerhalb Russlands stattfinden. Kadyrow wird verdächtigt, die Ermordung von unliebsamen Personen, die ins Ausland geflohen sind, angeordnet zu haben (FH 3.3.2021).

Während der mittlerweile über zehn Jahre andauernden Herrschaft des amtierenden Republikführers Ramsan Kadyrow gestaltete sich Tschetscheniens Verhältnis zur Russischen Föderation ambivalent. Einerseits ist Kadyrow bemüht, die Zugehörigkeit der Republik zu Russland mit Nachdruck zu bekunden, tschetschenischen Nationalismus mit russischem Patriotismus zu verbinden, Russlands Präsidenten in der tschetschenischen Hauptstadt Grosny als Staatsikone auszustellen und sich als „Fußsoldat Putins“ zu präsentieren. Andererseits hat er das Föderationssubjekt Tschetschenien so weit in einen Privatstaat verwandelt, dass in der Umgebung des russischen Präsidenten die Frage gestellt wird, inwieweit sich die von Wladimir Putin ausgebaute 'föderale Machtvertikale' dorthin erstreckt. Zu Kadyrows Eigenmächtigkeit gehört auch eine Außenpolitik, die sich vor allem an den Mittleren Osten und die gesamte islamische Welt richtet. Kein anderer regionaler Führer beansprucht eine vergleichbare, über sein eigenes Verwaltungsgebiet und die Grenzen Russlands hinausreichende Rolle. Kadyrow inszeniert Tschetschenien als Anwalt eines russischen Vielvölker-Zusammenhalts, ist aber längst zum 'inneren Ausland' Russlands geworden. Deutlichster Ausdruck dieser Entwicklung ist ein eigener Rechtszustand, in dem islamische und gewohnheitsrechtliche Regelungssysteme sowie die Willkür des Republikführers in Widerspruch zur Gesetzgebung Russlands geraten (SWP 3.2018).

Ein Abkommen von September 2018 über die Abtretung von umstrittenem Territorium von Inguschetien an Tschetschenien hatte politische Unruhen in Inguschetien zur Folge (ÖB Moskau 12.2019). Der Konflikt um die Grenzziehung flammt immer wieder auf. Im März 2019 wurden Proteste in Inguschetien gewaltsam aufgelöst, wobei manche Teilnehmer körperlich gegen die Polizei Widerstand leisteten. 33 Personen wurden festgenommen (HRW 14.1.2020). Die Proteste hatten außerdem den Rücktritt des inguschetischen Präsidenten Junus-bek Jewkurow im Juni 2019 zur Folge (ÖB Moskau 12.2019). Jewkurows Nachfolger ist Machmud-Ali Kalimatow (NZZ 29.6.2019).

Sicherheitslage

Letzte Änderung: 26.05.2021

Wie verschiedene Anschläge mit zahlreichen Todesopfern in den letzten Jahren gezeigt haben, kann es in Russland, auch außerhalb der Kaukasus-Region, zu Anschlägen kommen (AA 7.4.2021a; vgl. GIZ 1.2021d, EDA 7.4.2021). Die russischen Behörden halten ih

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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