Entscheidungsdatum
26.08.2021Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z3Spruch
W272 2213567-1/12E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Alois BRAUNSTEIN, MBA, als Einzelrichterin über die Beschwerde der XXXX , geb. XXXX , StA Russische Föderation, vertreten durch RA Mag. Nikolaus RAST, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 18.12.2018, ZI. XXXX , zu Recht:
A) Die Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG als unbegründet abgewiesen.
B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1.1. Die Beschwerdeführerin, eine Staatsangehörige der Russischen Föderation und Angehörige der tschetschenischen Volksgruppe, reiste unter Umgehung der Grenzkontrollen in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 19.11.2012 einen Antrag auf internationalen Schutz und wies sich dabei mit ihrem russischen Inlandsreisepass aus.
1.2. Bei der Erstbefragung am selben Tag durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab die Beschwerdeführerin befragt zu ihren Fluchtgründen im Wesentlichen an, dass sie schwer krank sei und seit ca. einem Jahr an TBC leide. Außerdem sei ihr Schwager getötet worden und ihr Ehemann sei im Frühjahr zweimal von den russischen Behörden mitgenommen sowie geschlagen und zu ihrem Schwager befragt worden. Es seien auch mehrere junge Männer aus ihrem Dorf mitgenommen. Der Hauptgrund ihrer Ausreise sei ihr schlechter Gesundheitszustand, sie fühle sich sehr schwach und befürchte an ihrer Erkrankung zu sterben.
1.3. Die Beschwerdeführerin wurde am 03.12.2015 vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in Folge: Bundesamt) niederschriftlich einvernommen. Die Beschwerdeführerin gab dabei an, dass es ihr gesundheitlich jetzt gut gehe und legte aktuelle Befunde vor. Vor ihrer Flucht habe sie in Dagestan im Dorf XXXX gelebt, wo auch ihre Eltern, eine Schwester sowie ein Bruder und Onkeln aufhältig seien. Eine andere Schwester lebe ebenfalls in Dagestan und ihr anderer Bruder sei im Juni 2015 illegal auch nach Österreich gekommen, weil er die gleiche Krankheit wie die Beschwerdeführerin habe. Ihre Mutter sei ebenfalls in Österreich behandelt worden und dann wieder zurückgereist, ein Onkel und zwei Cousins seien an der Erkrankung gestorben. Von ihrem Ehemann sei sie seit drei Jahren nach muslimischen Ritus geschieden und ihre fünfjährige Tochter lebe bei ihrem Ex-Mann in Dagestan. In Österreich sei sie 10 Monate hindurch im Spital gewesen. Zu ihren Fluchtgründen befragt gab sie zusammengefasst an, dass vor 10, 15 Jahren ihr Onkel umgebracht worden sei, ein anderer Onkel sei verhaftet worden, aber vor 3-4 Jahren entlassen worden. Danach sei nichts mehr gewesen. Die Beschwerdeführerin sei wegen ihrer Krankheit ausgereist, weil sie in Dagestan nicht richtig bzw. falsch medizinisch behandelt worden sei. Ihre Mutter habe sie gepflegt und dabei angesteckt. Auf Nachfrage sei ihr Ex-Schwager im Jahr 2009 umgebracht worden. Zu ihrem Ex-Mann habe sie keinen Kontakt und sie wisse nicht wie es ihrer Tochter gehe.
1.4. Eine zweite niederschriftliche Einvernahme erfolgte am 04.04.2017. Ergänzend gab die Beschwerdeführerin an, dass es ihrer Familie in Dagestan so wie früher gehe, ihre Mutter nehme nach Bedarf Medikamente und ihr Vater sei Bauarbeiter. Ihr Bruder sei nach Österreich geflüchtet, weil er krank geworden sei und Probleme, wie viele andere Jugendliche bekommen habe. Dies sei alles nach ihrer letzten Einvernahme geschehen. Männer mit Masken haben ihren Bruder im Jahr 2015 mitgenommen und geschlagen. Er sei deshalb krank geworden und nach 3 Tagen habe ihr Vater ihren Bruder aus der Haft geholt und nach Österreich geschickt, wo er gut medizinisch behandelt worden sei. Auf Vorhalt des Bundesamtes, dass ihr Bruder dazu widersprüchliche Angaben gemacht habe, führte die Beschwerdeführerin aus, dass sie wegen regelmäßiger Medikamenteneinnahme das Datum eventuell vergessen habe. Im Falle einer Rückkehr in die Russischen Föderation könne die Beschwerdeführerin wieder krank werden und es bestehe für sie Lebensgefahr.
Im Rahmen der Einvernahme legte die Beschwerdeführerin einen ärztlichen Befund, ein Diplom A2 und ein Empfehlungsschreiben vor.
1.5. Am 04.05.2017 übermittelte die Beschwerdeführerin eine Stellungnahme und legte weitere Integrationsunterlagen vor. Sie führte zusammengefasst aus, dass sie an Tuberkulose leide, bereits in ihrer Heimat schwer erkrankt sei und ebenso fast ihre gesamte Familie an dieser Erkrankung leide. Die medizinische Versorgung sei in Dagestan unzureichend gewesen und durch die Behandlung in Österreich sei es gelungen die Tuberkuloseerkrankung unter Kontrolle zu bringen. Die Beschwerdeführerin befürchte im Falle einer Rückkehr nach Dagestan erneut an Tuberkulose zu erkranken und es sei ihr zumindest der Status einer subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen. Außerdem versuche die Beschwerdeführerin sich in die österreichische Gesellschaft zu integrieren und besuche Deutsch-Kurse und putze regelmäßig Böden sowie Sanitäreinrichtungen beim Samariterbund.
1.6. Die Beschwerdeführerin wurde am 04.10.2018 erneut vom Bundesamt niederschriftlich einvernommen. Dabei gab sie zusammengefasst an, dass sich ihr Gesundheitszustand seit der letzten Einvernahme verbessert habe. Sie habe regelmäßig Kontakt zu ihren Familienmitgliedern (Eltern, ein Bruder, zwei Schwestern) in Dagestan, es gehe ihnen gut. Ihre Mutter sei für ein Jahr ebenfalls in Österreich zur Tuberkulosebehandlung gewesen und jetzt geheilt. Ein Onkel und ein Cousin seien an Tuberkulose verstorben. In der Russischen Föderation habe sie die Schule abgeschlossen und die pädagogische Hochschule absolviert, aber sei nicht berufstätig gewesen. Sie habe ein Kind und sei geschieden. Ihre Tochter lebe beim Ex-Mann in Dagestan und sei acht Jahre alt; es gehe ihr gut. Eine Tuberkulosebehandlung sei zwar in Russland möglich, aber sei für die Beschwerdeführerin zu teuer gewesen und in Dagestan sei die Behandlung nicht gut. Sie sei nicht in irgendeiner Weise bedroht worden.
1.7. Das Bundesamt wies den Antrag der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz mit Bescheid vom 18.12.2018 (zugestellt am 21.12.2018) sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten (Spruchpunkt I.), als auch bezüglich des Status der subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II.) ab. Unter einem erteilte es ihr keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen (Spruchpunkt III.), erließ eine Rückkehrentscheidung gegen sie (Spruchpunkt IV.) und stellte fest, dass ihre Abschiebung in die Russische Föderation zulässig ist (Spruchpunkt V.). Es räumte ihr eine Frist zur freiwilligen Ausreise von zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung ein (Spruchpunkt VI.).
Das Bundesamt führte begründend aus, dass eine gegen die Beschwerdeführerin gerichtete Verfolgung in ihrem Heimatstaat nicht feststellbar sei. Die Beschwerdeführerin sei aufgrund ihres Gesundheitszustandes und um ihre Krankheit behandeln zu lassen aus der Russischen Föderation ausgereist. Sie leide an keiner lebensbedrohlichen Krankheit die einer Rückkehr in ihr Heimatland entgegenstehe und auch ihre TBC Erkrankung sei in der Russischen Föderation behandelbar. In den Einvernahmen habe die Beschwerdeführerin gleichbleibend im Wesentlichen vorgebracht wegen der Behandlung ihrer Krankheit aus der Russischen Föderation ausgereist zu sein und habe zu keinem Zeitpunkt eine individuelle Bedrohung angeführt und sei auch für die Behörde seine solche nicht ersichtlich. Demnach sei im Fall der Beschwerdeführerin nicht von einer asylrelevanten Verfolgung im Falle ihrer Rückkehr auszugehen. Die TBC-Erkrankung der Beschwerdeführerin habe sich in den letzten Jahren deutlich verbessert und sei mit Verweis auf die Länderfeststellungen in der Russischen Föderation grundsätzlich behandelbar und liege deshalb kein Grund für die Gewährung von subsidiären Schutz vor. Schließlich verfüge die Beschwerdeführerin weder über ein Privat- noch über ein Familienleben in Österreich, welches ihren weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet rechtfertigen würde.
1.8. Gegen diesen Bescheid erhob die Beschwerdeführerin mit Schriftsatz vom 18.01.2019 (eingebracht am 18.01.2019) fristgerecht Beschwerde. Darin brachte sie im Wesentlichen vor, dass aus den Länderfeststellungen hervorgehe, dass Gewalt gegen Frauen in der Region im Nordkaukasus weiterhin ein zentrales Thema sei. Die belangte Behörde habe es unterlassen, die Beschwerdeführerin näher zu ihrer Situation bei einer Rückkehr als geschiedene Frau zu befragen, weil sie aus einer muslimischen Familie stamme, sei eine Befragung dahingehend von Relevanz gewesen. Das Verfahren sei deshalb mangelhaft. Außerdem leide die Beschwerdeführerin an einer TBC-Erkrankung und befinde sich in Österreich in medizinischer Behandlung. Die belangte Behörde habe in diesen Zusammenhang dem Erfordernis der Prüfung, ob ein tatsächlicher Zugang der Beschwerdeführerin zu den Behandlungsmöglichkeiten gegeben sei, nicht genügend getan und habe verabsäumt, auf die Einwände der Beschwerdeführerin, die Behandlung außerhalb Dagestans sei zu teuer, einzugehen, insbesondere, weil auch in den Länderfeststellungen von „faktischen Zuzahlungen“ für medizinische Behandlung die Rede sei. Es fehle demnach an einer näheren Auseinandersetzung sowie Begründung, weshalb die belangte Behörde im Fall der Beschwerdeführerin von der Möglichkeit der Behandlung der TBC ausgehe und ob Zuzahlungen sie von einer Behandlung ausschließen würden. Bei einer Rückkehr sei die Beschwerdeführerin wieder der Gefahr ausgesetzt, dass sich ihr Gesundheitszustand maßgeblich verschlechtere sowie in eine prekäre Situation gerate. Eine Abschiebung bedeute für die Beschwerdeführerin eine reale Gefahr der Verletzung von Art. 3 EMRK.
Integrationsunterlagen und medizinische Befunde wurden der Beschwerde als Beilage hinzugefügt.
1.9. Das Bundesamt legte dem Bundesverwaltungsgericht mit Schreiben vom 21.01.2019 die Beschwerde samt zugehörigem Verwaltungsakt vor.
1.10. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 17.08.2021 eine öffentliche, mündliche Verhandlung unter Beiziehung eines Dolmetschers für die Sprache Russisch durch, an der die Beschwerdeführerin und ihr Rechtsberater als gewillkürter Vertreter teilnahmen, aber kein Vertreter der belangten Behörde. Vorgelegt wurden zwei Einstellungszusagen. Eine Stellungnahme zu den eingeführten Länderberichten wurde nicht abgegeben.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat über die – zulässige – Beschwerde erwogen:
1. Feststellungen:
Der entscheidungsrelevante Sachverhalt steht fest. Auf Grundlage der Beschwerde gegen den angefochtenen Bescheid des Bundesamtes, der im Verfahren vorgelegten Dokumente, der Einsichtnahme in den bezughabenden Verwaltungsakt, der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht sowie der Einsichtnahme in das Zentrale Melderegister, das Zentrale Fremdenregister und Strafregister werden folgende Feststellungen getroffen und der Entscheidung zugrunde gelegt:
1.1. Zur Person der Beschwerdeführerin:
1.1.1. Die Identität der Beschwerdeführerin steht fest. Sie ist volljährig, Staatsangehörige der Russischen Föderation, Angehörige der tschetschenischen Volksgruppe und bekennt sich zum muslimischen Glauben. Sie ist ledig und hat ein Kind. Sie spricht Russisch und Tschetschenisch auf muttersprachlichen Niveau, sowie ein wenig Deutsch. Dass die Beschwerdeführerin auch Türkisch spricht konnte nicht festgestellt werden.
1.1.2. Die Beschwerdeführerin wurde am XXXX in der Russischen Föderation, Teilrepublik Dagestan, Bezirk XXXX , Ort XXXX geboren und lebte dort bis zur Ausreise im Jahr 2012 mit ihren Eltern und Geschwistern in einem Privathaus. Sie besuchte dort die Grundschule und studierte danach 5 Jahre lang Geschichte an der Universität in Dagestan. Vor ihrer Heirat ist ihr Vater, der auf der Baustelle arbeitet, für ihren Lebensunterhalt aufgekommen. Nach der Heirat nach muslimischen Ritus ca. im Jahr 2008 sorgte ihr Ehemann für den Lebensunterhalt. Die Beschwerdeführerin war nicht berufstätig, aber machte eine Praxis in der Schule.
Die Beschwerdeführerin ist mittlerweile wieder geschieden (nach muslimischen Ritus) und hat eine elfjährige Tochter, die die 5. Klasse der Schule in XXXX besucht und bei ihrem Ex-Mann wohnt. Mit ihrem Ex-Mann hat die Beschwerdeführerin keinen Kontakt mehr, dieser heiratet erneut. Mit ihrer Tochter hat sie ca. einmal im Monat über Telefon, Skype, WhatsApp, usw. Kontakt, wenn sich die Tochter bei der Mutter der Beschwerdeführerin befindet.
1.1.3. Die Beschwerdeführerin hat insgesamt zwei Schwestern namens XXXX sowie zwei Brüder namens XXXX . Ihre Eltern leben weiterhin im Familienhaus im Heimatort der Beschwerdeführerin sowie eine Schwester und ein Bruder sind ebenfalls im gleichen Ort aufhältig. Die andere Schwester wohnt in XXXX , Dagestan. Der andere Bruder, XXXX reiste im Jahr 2015 nach Österreich, lebt aktuell aber nicht mehr im Bundesgebiet und sein genauer Aufenthalt ist unbekannt. Das Bundesverwaltungsgericht stellte mit Beschluss vom 25.08.2021 das Asylverfahren ihres Bruders ein. Ihre zwei Schwestern und ihr Bruder XXXX sind verheiratet. Ihre Mutter verkauft Obst am Markt und ihr Vater arbeitet auf Baustellen sowie ihr Bruder XXXX und die Ehemänner ihrer Schwestern sind auch berufstätig. Die Beschwerdeführerin steht auch von Österreich aus in regelmäßigen Kontakt mit ihren Verwandten, insbesondere mit ihre Mutter und ihren Schwestern.
Die Mutter der Beschwerdeführerin war noch vor der Beschwerdeführerin zur Behandlung einer Tuberkuloseerkrankung in Österreich aufhältig, reiste nach erfolgreicher medizinischer Behandlung zurück in die Russische Föderation.
1.1.4. Die Beschwerdeführerin leidet an keiner schwerwiegenden oder lebensbedrohenden Krankheit. Sie erkrankte bereits in der Russischen Föderation an Tuberkulose und wurde dort behandelt. Ebenso war die Beschwerdeführerin wegen ihrer Tuberkuloseerkrankung in Österreich in stationärer Behandlung, aber diese ist aktuell ausbehandelt und geheilt. Sie muss noch ca. 2-3 Mail im Jahr zur Kontrolle mit einem Röntgen und nimmt aktuell auch diesbezüglich keine Medikamente ein.
1.1.5. Die Beschwerdeführerin ist arbeitsfähig und in Österreich strafrechtlich unbescholten.
1.2. Zu den Fluchtgründen der Beschwerdeführerin:
1.2.1. Die Beschwerdeführerin war und ist keiner konkreten und individuell gegen sie gerichteten Verfolgung oder Bedrohung wegen der Ermordung ihres Schwagers ausgesetzt. Die Beschwerdeführerin ist in ihrem Herkunftsstaat nicht vorbestraft, war dort nie inhaftiert, war kein Mitglied einer politischen Partei oder sonstigen Gruppierung, sie hat sich nicht politisch oder journalistisch betätigt und hatte keine Probleme mit staatlichen Einrichtungen oder Behörden im Herkunftsland. Die Beschwerdeführerin hat die Russische Föderation weder aus Furcht vor Eingriffen in die körperliche Integrität, noch wegen Lebensgefahr verlassen. Sie reiste nach Österreich, um sich hier medizinisch behandeln zu lassen.
Bei einer Rückkehr in die Russische Föderation droht der Beschwerdeführerin individuell und konkret weder Lebensgefahr noch ein Eingriff in ihre körperliche Integrität durch russische Behörden, durch ihre Familie oder durch andere Personen.
1.2.2. Der Beschwerdeführerin droht in der Russischen Föderation weder eine Zwangsheirat noch eine Verfolgung wegen ihrer Eigenschaft als Frau noch wegen der Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der alleinstehenden oder geschiedenen Frauen. Ihr droht im Falle der Rückkehr in die Russische Föderation auch keine Verfolgung wegen ihrer Volksgruppen- und/oder Religionszugehörigkeit.
1.2.3. Ferner droht der Beschwerdeführerin im Falle der Rückkehr in die Russische Föderation wegen ihres Antrags auf internationalen Schutz in Österreich und/oder wegen ihres mehrjährigen Aufenthalts außerhalb der Russische Föderation weder Verfolgung noch sonst psychische oder physische Gewalt.
1.3. Zu einer möglichen Rückkehr der Beschwerdeführerin in ihren Herkunftsstaat:
1.3.1. Die Beschwerdeführerin kann nach Dagestan oder auch an einen anderen Ort in der Russischen Föderation außerhalb Dagestans zB nach Saratov, Moskau, Omsk, Stawropol oder Wladiwostok zurückkehren.
Die Beschwerdeführerin könnte im Falle ihrer Rückkehr wieder bei ihren Eltern wohnen, wie sie es vor ihrer Ausreise aus der Russischen Föderation tat.
1.3.2. Sie verfügt über ein familiäres Netz in ihrem Heimatstaat, das sie früher bereits unterstützt hat, ist arbeitsfähig und gesund. Sie lebte ihr gesamtes Leben vor der Einreise nach Österreich in der Russischen Föderation und spricht perfekt Russisch und Tschetschenisch. Sie schloss in ihrem Herkunftsstaat die Grundschule ab und absolvierte ein fünfjähriges Hochschulstudium. Sie verfügt mit der Praxis in der Schule in der Russischen Föderation und den Reinigungstätigkeiten sowie Remunerationstätigkeiten in Österreich auch über Arbeitserfahrung. Die Beschwerdeführerin kann nach der Rückkehr ihren Lebensunterhalt durch Erwerbsarbeit sichern und wird in keine existenzgefährdende Notlage geraten bzw. es wird ihr nicht die notdürftigste Lebensgrundlage entzogen. Sie läuft nicht Gefahr, grundlegende und notwendige Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung sowie Unterkunft nicht befriedigen zu können und in eine ausweglose Situation zu geraten. Überdies kann sie auf das staatliche Sozialsystem oder auf die Unterstützung ihrer Familie zurückgreifen.
Die Beschwerdeführerin ist mit den russischen und tschetschenischen sowie dagestanischen Gepflogenheiten vertraut und wurde mit diesen sozialisiert. Sie lebt auch in Österreich weiterhin im tschetschenischen Umfeld.
1.3.3. Im Falle der Abschiebung in den Herkunftsstaat ist die Beschwerdeführerin nicht in ihrem Recht auf Leben gefährdet, der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen oder von der Todesstrafe bedroht.
Kontrollen wegen ihrer ausgeheilten Tuberkulose sind auch in der Russischen Föderation möglich. Die Beschwerdeführerin leidet an keiner lebensbedrohenden physischen oder psychischen und zudem im Herkunftsstaat nicht behandelbaren Erkrankung und es besteht bei der Überstellung keine Gefahr, dass sie in einen lebensbedrohenden Zustand gerät oder sich ihr Zustand lebensgefährlich verschlechtert.
Sie gehört auch keiner COVID-19-Risikogruppe an.
1.4. Zur Situation der Beschwerdeführerin in Österreich:
1.4.1. Die Beschwerdeführerin stellte nach ihrer Einreise in das österreichische Bundesgebiet unter Umgehung der Grenzkontrollen am 19.11.2012 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz. Sie reiste mit dem Zug von Moskau nach Polen und nach ein paar Tagen weiter bis nach Österreich. Das Bundesamt wies den Antrag auf internationalen Schutz mit Bescheid vom 18.12.2018 sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten, als auch bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation ab. Unter einem erteilte es keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen die Beschwerdeführerin eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass die Abschiebung der Beschwerdeführerin in die Russische Föderation zulässig ist. Dagegen erhob die Beschwerdeführerin rechtzeitig das Rechtsmittel der Beschwerde. Seit Zulassung dieses Verfahrens am 11.11.2014 verfügt sie über ein vorläufiges Aufenthaltsrecht im Rahmen des Asylverfahrens. Sie verfügte nie über ein Aufenthaltsrecht außerhalb des Asylverfahrens.
1.4.2. Die Beschwerdeführerin hat grundlegende Deutschkenntnisse und die Integrationsprüfung zu Sprachkompetenz sowie Werte- und Orientierungswissen für das Niveau A2 positiv absolviert. Außerdem machte sie einen Computerkurs. Sonstige Aus- und Fortbildungen absolvierte die Beschwerdeführerin nicht und ist nicht Mitglied in einem Verein.
Die Beschwerdeführerin hat bis auf die Familie ihres verstorbenen Cousins keine Verwandten in Österreich und führt hier keine Lebenspartnerschaft. Die Familie ihres Cousins besucht sie regelmäßig und hilft im Haushalt oder bei der Kinderbetreuung. Es besteht aber kein Abhängigkeitsverhältnis. Ein Onkel der Beschwerdeführerin war bis vor zwei Jahren auch in Österreich aufhältig, um seine Tuberkuloseerkrankung behandeln zu lassen.
Sie hat auch in Österreich Freunde aus der Russischen Föderation, aber auch Kontakt zu Österreicherinnen, zu einer Albanerin und Araberin. Sie lebt mit zwei tschetschenischen Asylwerberinnen in einem gemeinsamen Haushalt. Es besteht über Besuche hinaus zu ihren Bekannten kein besonderes Naheverhältnis, vielmehr besteht zum Teil ein dienstliches Verhältnis (putzen bei Freundinnen gegen Entgelt). Die Beschwerdeführerin hilft einer älteren Dame regelmäßig im Haushalt sowie auch zwei anderen österreichischen Bekannten.
In ihrer Freizeit trifft die Beschwerdeführerin manchmal verschiedene Bekannte oder befreundete Frauen, die sie in Österreich bei den Deutschkursen, im Grundversorgungsquartier, beim Einkaufen oder in der Nachbarschaft kennenlernte. Mit ihren tschetschenischen Freundinnen besucht sie gerne kulturelle Sehenswürdigkeiten, verschiedene Museen oder geht Spazieren oder in Kaffeehäuser sowie Restaurants.
1.4.3. Die Beschwerdeführerin bezieht seit Beginn ihres Aufenthalts im Bundesgebiet Leistungen aus der Grundversorgung und lebt mit zwei anderen tschetschenischen Asylwerberinnen in einer Wohngemeinschaft. Sie ging in Österreich keiner legalen Erwerbstätigkeit aus. Sie arbeitete ehrenamtlich im Grundversorgungsquartier (Reinigungsarbeiten) und gegen Aufwandsentschädigungen, die sie nicht versteuert hilft sie verschiedenen Frauen im Haushalt oder beim Wohnungsputz. Selbsterhaltungsfähig ist sie nicht. Die zwei vorgelegten Einstellungsschreiben sind „Gefälligkeitsschreiben“.
1.4.4. Die Beschwerdeführerin ist keine begünstigte Drittstaatsangehörige und es kommt ihr kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zu. Ihr Aufenthalt im Bundesgebiet war nie geduldet. Sie war weder Zeuge oder Opfer von strafbaren Handlungen noch sonst Opfer von Gewalt.
1.5. Die allgemeine Lage in der Russischen Föderation stellt sich im Übrigen wie folgt dar:
Länderinformation der Staatendokumentation zur Russischen Föderation aus dem COI-CMS (Country of Origin Information-Content Management System) vom 10.06.2021-Version 3:
1.5.1. Politische Lage
Die Russische Föderation hat ca. 143 Millionen Einwohner (GIZ 1.2021c; vgl. CIA 5.2.2021). Russland ist eine Präsidialdemokratie mit föderativem Staatsaufbau (GIZ 1.2021a; vgl. EASO 3.2017). Der Präsident verfügt über weitreichende exekutive Vollmachten, insbesondere in der Außen- und Sicherheitspolitik (GIZ 1.2021a; vgl. EASO 3.2017, AA 21.10.2020c). Er ernennt auf Vorschlag der Staatsduma den Vorsitzenden der Regierung, die stellvertretenden Vorsitzenden und die Minister, und entlässt sie (GIZ 1.2021a). Wladimir Putin ist im März 2018 bei der Präsidentschaftswahl mit 76,7% im Amt bestätigt worden (Standard.at 19.3.2018; vgl. FH 4.3.2020). Die Wahlbeteiligung lag der russischen Nachrichtenagentur TASS zufolge bei knapp 67% und erfüllte damit nicht ganz die Erwartungen der Präsidialadministration (Standard.at 19.3.2018). Putins wohl stärkster Widersacher Alexej Nawalny durfte nicht bei der Wahl kandidieren. Er war zuvor in einem von vielen als politisch motiviert eingestuften Prozess verurteilt worden und rief daraufhin zum Boykott der Abstimmung auf, um die Wahlbeteiligung zu drücken (Presse.at 19.3.2018; vgl. FH 3.3.2021). Oppositionelle Politiker und die Wahlbeobachtergruppe Golos hatten mehr als 2.400 Verstöße gezählt, darunter mehrfach abgegebene Stimmen und die Behinderung von Wahlbeobachtern. Wähler waren demnach auch massiv unter Druck gesetzt worden, an der Wahl teilzunehmen. Auch die Wahlkommission wies auf mutmaßliche Manipulationen hin (Tagesschau.de 19.3.2018). Wahlbetrug ist weit verbreitet, was insbesondere im Nordkaukasus deutlich wird (BTI 2020). Präsident Putin kann dem Ergebnis zufolge nach vielen Jahren an der Staatsspitze weitere sechs Jahre das Land führen (Tagesschau.de 19.3.2018; vgl. OSCE/ODIHR 18.3.2018).
Die Verfassung wurde per Referendum am 12.12.1993 mit 58% der Stimmen angenommen. Sie garantiert die Menschen- und Bürgerrechte. Das Prinzip der Gewaltenteilung ist zwar in der Verfassung verankert, jedoch verfügt der Präsident über eine Machtfülle, die ihn weitgehend unabhängig regieren lässt. Er ist Oberbefehlshaber der Streitkräfte, trägt die Verantwortung für die Innen- und Außenpolitik und kann die Gesetzesentwürfe des Parlaments blockieren. Die Regierung ist dem Präsidenten untergeordnet, der den Premierminister mit Zustimmung der Staatsduma ernennt. Das Zweikammerparlament, bestehend aus Staatsduma und Föderationsrat, ist in seinem Einfluss stark beschränkt. Am 15. Januar 2020 hat Putin in seiner jährlichen Rede zur Lage der Nation eine Neuordnung des politischen Systems vorgeschlagen und eine Reihe von Verfassungsänderungen angekündigt. Dmitri Medwedjew hat den Rücktritt seiner Regierung erklärt. Sein Nachfolger ist der Leiter der russischen Steuerbehörde Michail Mischustin. In dem neuen Kabinett sind 15 von 31 Regierungsmitgliedern ausgewechselt worden (GIZ 1.2021a). Die Verfassungsänderungen ermöglichen Wladimir Putin, für zwei weitere Amtszeiten als Präsident zu kandidieren (GIZ 1.2021a; vgl. FH 3.3.2021), dies gilt aber nicht für weitere Präsidenten (FH 3.3.2021). Die Volksabstimmung über eine umfassend geänderte Verfassung fand am 1. Juli 2020 statt, nachdem sie aufgrund der Corona-Pandemie verschoben worden war. Bei einer Wahlbeteiligung von ca. 65% der Stimmberechtigten stimmten laut russischer Wahlkommission knapp 78% für und mehr als 21% gegen die Verfassungsänderungen. Neben der sogenannten Nullsetzung der bisherigen Amtszeiten des Präsidenten, durch die der amtierende Präsident 2024 und theoretisch auch 2030 zwei weitere Male kandidieren darf, wird das staatliche Selbstverständnis der Russischen Föderation in vielen Bereichen neu definiert. Der neue Verfassungstext beinhaltet deutlich sozialere und konservativere Inhalte als die Ursprungsverfassung aus dem Jahre 1993 (GIZ 1.2021a). Nach dem Referendum kam es zu Protesten von einigen hundert Personen in Moskau. Bei dieser nicht genehmigten Demonstration wurden 140 Personen festgenommen. Auch in St. Petersburg gab es Proteste (MDR 16.7.2020).
Der Föderationsrat ist als 'obere Parlamentskammer' das Verfassungsorgan, das die Föderationssubjekte auf föderaler Ebene vertritt. Er besteht aus 178 Abgeordneten (GIZ 1.2021a): Jedes Föderationssubjekt entsendet je einen Vertreter aus Exekutive und Legislative in den Föderationsrat. Die Staatsduma mit 450 Sitzen wird für fünf Jahre gewählt (GIZ 1.2021a; vgl. AA 21.10.2021c). Es gibt eine Fünfprozentklausel (GIZ 1.2021a).
Zu den wichtigen Parteien der Russischen Föderation gehören: die Regierungspartei Einiges Russland (Jedinaja Rossija) mit 1,9 Millionen Mitgliedern; Gerechtes Russland (Sprawedliwaja Rossija) mit 400.000 Mitgliedern; die Kommunistische Partei der Russischen Föderation (KPRF) mit 150.000 Mitgliedern, welche die Nachfolgepartei der früheren KP ist; die Liberaldemokratische Partei (LDPR) mit 185.000 Mitgliedern, die populistisch und nationalistisch ausgerichtet ist; die Wachstumspartei (Partija Rosta), die sich zum Neoliberalismus bekennt; Jabloko, eine demokratisch-liberale Partei mit 55.000 Mitgliedern; die Patrioten Russlands (Patrioty Rossii), links-zentristisch mit 85.000 Mitgliedern und die Partei der Volksfreiheit (PARNAS), eine demokratisch-liberale Partei mit 58.000 Mitgliedern (GIZ 1.2021a). Die Zusammensetzung der Staatsduma nach Parteimitgliedschaft gliedert sich wie folgt: Einiges Russland (343 Sitze), Kommunistische Partei Russlands (42 Sitze), Liberaldemokratische Partei Russlands (39 Sitze), Gerechtes Russland (23 Sitze), Vaterland-Partei (1 Sitz), Bürgerplattform (1 Sitz) (RIA Nowosti 23.9.2016; vgl. Global Security 21.9.2016, FH 3.3.2021). Die sogenannte Systemopposition stellt die etablierten Machtverhältnisse nicht in Frage und übt nur moderate Kritik am Kreml (SWP 11.2018). Die nächste Duma-Wahl steht im Herbst 2021 an (Standard.at 1.1.2021).
Russland ist eine Föderation, die aus 85 Föderationssubjekten (einschließlich der international nicht anerkannten Annexion der Republik Krim und der Stadt föderalen Ranges Sewastopol) mit unterschiedlichem Autonomiegrad besteht. Die Föderationssubjekte (Republiken, Autonome Gebiete, Autonome Kreise, Gebiete, Regionen und Föderale Städte) verfügen über jeweils eine eigene Legislative und Exekutive (GIZ 1.2021a; vgl. AA 21.10.2020c). Die Gouverneure der Föderationssubjekte werden auf Vorschlag der jeweils stärksten Fraktion der regionalen Parlamente vom Staatspräsidenten ernannt. Dabei wählt der Präsident aus einer Liste dreier vorgeschlagener Kandidaten den Gouverneur aus (GIZ 1.2021a).
Es gibt acht Föderationskreise (Nordwestrussland, Zentralrussland, Südrussland, Nordkaukasus, Wolga, Ural, Sibirien, Ferner Osten), denen jeweils ein Bevollmächtigter des Präsidenten vorsteht. Der Staatsrat der Gouverneure tagt unter Leitung des Präsidenten und gibt der Exekutive Empfehlungen zu aktuellen politischen Fragen und zu Gesetzesprojekten. Nach der Eingliederung der Republik Krim und der Stadt Sewastopol in die Russische Föderation wurde am 21.3.2014 der neunte Föderationskreis Krim gegründet. Die konsequente Rezentralisierung der Staatsverwaltung führt seit 2000 zu politischer und wirtschaftlicher Abhängigkeit der Regionen vom Zentrum. Diese Tendenzen wurden bei der Abschaffung der Direktwahl der Gouverneure in den Regionen und der erneuten Unterordnung der regionalen und kommunalen Machtorgane unter das föderale Zentrum („exekutive Machtvertikale“) deutlich (GIZ 1.2021a).
Bei den in einigen Regionen stattgefundenen Regionalwahlen am 8.9.2019 hat die Regierungspartei Einiges Russland laut Angaben der Wahlleitung in den meisten Regionen ihre Mehrheit verteidigt. Im umkämpften Moskauer Stadtrat verlor sie allerdings viele Mandate (Zeit Online 9.9.2019). Hier stellt die Partei nur noch 25 von 45 Vertretern, zuvor waren es 38. Die Kommunisten, die bisher fünf Stadträte stellten, bekommen 13 Sitze. Die liberale Jabloko-Partei bekommt vier und die linksgerichtete Partei Gerechtes Russland drei Sitze (ORF 18.9.2019). Die beiden letzten Parteien waren bisher nicht im Moskauer Stadtrat vertreten. Zuvor sind zahlreiche Oppositionskandidaten von der Wahl ausgeschlossen worden, was zu den größten Protesten seit Jahren geführt hat (Zeit Online 9.9.2019), bei denen mehr als 1.000 Demonstranten festgenommen wurden (Kleine Zeitung 28.7.2019). Viele von den Oppositionskandidaten haben zu einer 'smarten Abstimmung' aufgerufen. Die Bürgersollten Jeden wählen – nur nicht die Kandidaten der Regierungspartei. Bei den für die russische Regierung besonders wichtigen Gouverneurswahlen gewannen die Kandidaten der Regierungspartei überall (Zeit Online 9.9.2019).
Neben den bis Juli 2021 verlängerten wirtschaftlichen Sanktionen wegen des andauernden Ukraine-Konfliktes (Presse.com 10.12.2020) haben sich die EU-Außenminister wegen der Inhaftierung des Kremlkritikers Alexej Nawalny auf neue Russland-Sanktionen geeinigt. Die Strafmaßnahmen umfassen Vermögenssperren und EU-Einreiseverbote gegen Verantwortliche für die Inhaftierung Nawalnys (Cicero 22.2.2021).
Quellen:
? AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (21.10.2020c): Russische Föderation – Politisches Portrait, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/russischefoederation-node/politisches-portrait/201710, Zugriff 16.2.2021
? BTI - Bertelsmann Transformation Index (2020): BTI 2020 Country Report, Russia, https://bti-project.org/content/en/downloads/reports/country_report_2020_RUS.pdf, Zugriff 17.2.2021
? CIA – Central Intelligence Agency [USA] (5.2.2020): The World Factbook, Central Asia: Russia, https://www.cia.gov/the-world-factbook/countries/russia/, Zugriff 16.2.2021
? Cicero (22.2.2021): EU bringt wegen Nawalny neue Russland-Sanktionen auf den Weg, https://www.cicero.de/aussenpolitik/vermoegenssperren-einreiseverbote-eu-alexej-nawalny-russland-sanktionen, Zugriff 24.2.2021
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? Presse.com (19.3.2018): Putin: "Das russische Volk schließt sich um Machtzentrum zusammen", https://diepresse.com/home/ausland/aussenpolitik/5391213/Putin_Das-russische-Volk-schliesst-sich-um-Machtzentrum-zusammen, Zugriff 10.3.2020
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? Standard.at (1.1.2021): Was 2021 außenpolitisch auf uns zukommt, https://www.derstandard.at/story/2000122723655/was-2021-aussenpolitisch-auf-uns-zukommt, Zugriff 5.3.2021
? Tagesschau.de (19.3.2018): Klarer Sieg für Putin, https://www.tagesschau.de/ausland/russland-wahl-putin-101.html, Zugriff 10.3.2020
? Zeit Online (9.9.2019): Russische Regierungspartei gewinnt Regionalwahlen, https://www.zeit.de/politik/ausland/2019-09/russland-kreml-partei-sieg-regionalwahlen-moskau, Zugriff 10.3.2020
Dagestan
Dagestan ist mit ungefähr drei Millionen Einwohnern die größte kaukasische Teilrepublik und wegen seiner Lage am Kaspischen Meer für Russland strategisch wichtig. Dagestan ist das ethnisch vielfältigste Gebiet des Kaukasus (ACCORD 13.1.2020). Dagestan ist hinsichtlich persönlicher Freiheiten bessergestellt als Tschetschenien (AA 2.2.2021), bleibt allerdings eine der ärmsten Regionen Russlands (AA 13.2.2019).
Was das politische Klima betrifft, gilt die Republik Dagestan im Vergleich zu Tschetschenien noch als relativ liberal. Die Zivilgesellschaft ist hier stärker vertreten als in Tschetschenien (SWP 4.2015) und wird nicht ganz so ausgeprägt kontrolliert wie in Tschetschenien (AA 2.2.2021). Ebenso existiert – anders als in der Nachbarrepublik – zumindest eine begrenzte Pressefreiheit. Die ethnische Diversität stützt ein gewisses Maß an politischem Pluralismus und steht autokratischen Herrschaftsverhältnissen entgegen (SWP 4.2015). Auch die Menschenrechtslage in Dagestan ist grundsätzlich besser als im benachbarten Tschetschenien (AA 2.2.2021), obwohl auch dort mit der Bekämpfung des islamistischen Untergrunds zahlreiche Menschenrechtsverletzungen durch lokale und föderale Sicherheitsbehörden einhergehen (AA 2.2.2021; vgl. SWP 4.2015). Im Herbst 2017 setzte Präsident Putin ein neues Republiksoberhaupt ein. Mit dem Fraktionsvorsitzenden der Staatspartei Einiges Russland in der Staatsduma und ehemaligen hohen Polizeifunktionär Wladimir Wassiljew wurde das zuvor behutsam gepflegte Gleichgewicht der Ethnien ausgehebelt. Der Kreml hatte länger schon damit begonnen, ortsfremde Funktionäre in die Regionen zu entsenden; im Nordkaukasus hatte er davon jedoch Abstand genommen. Wassiljew ist ein altgedienter Funktionär und einer, der durch den Zugriff Moskaus auf Dagestan – und nicht in Abgrenzung von der Zentralmacht – Ordnung, Sicherheit und wirtschaftliche Prosperität herstellen soll (NZZ 12.2.2018; vgl. ÖB Moskau 6.2020). Die Änderung sollte der 'Clan-Aristokratie' in der von korrupten Eliten geprägten Region entgegenwirken und war Teil einer breiteren Anstrengung zur Korruptionsbekämpfung. Problematisch stellt sich jedoch die fehlende Verbindung zwischen der nunmehrigen politischen Elite und der Bevölkerung dar (ÖB Moskau 6.2020). Der Nachfolger Wassilews ist seit Oktober 2020 Sergej Melikow. Dieser war davor Vertreter der Region Stawropol im Föderationsrat (Russland Analysen 5.10.2020).
Anfang 2018 wurden in der Hauptstadt Dagestans, Machatschkala, der damalige Regierungschef Abdussamad Gamidow, zwei seiner Stellvertreter und ein kurz vorher abgesetzter Minister von föderalen Kräften verhaftet und nach Moskau gebracht. Ihnen wird vorgeworfen, sie hätten eine organisierte kriminelle Gruppierung gebildet, um die wirtschaftlich abgeschlagene und am stärksten von allen russischen Regionen am Tropf des Zentralstaats hängende Nordkaukasus-Republik auszubeuten. Kurz zuvor waren bereits der Bürgermeister von Machatschkala und der Stadtarchitekt festgenommen worden (NZZ 12.2.2018; vgl. Standard.at 5.2.2018).
Quellen:
? AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (2.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2045865/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Russischen_F%C3%B6deration_%28Stand_Oktober_2020%29%2C_02.02.2021.pdf, Zugriff 23.2.2021
? ACCORD – Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation (13.1.2020): Themendossier Sicherheitslage in Dagestan & Zeitachse von Angriffen, https://www.ecoi.net/de/dokument/2022550.html, Zugriff 17.2.2021
? Russland Analysen (5.10.2020): Chronik: 28. September – 10. Oktober 2020, https://www.laender-analysen.de/russland-analysen/chronik?c=russland&d1=2020-09-28&d2=2020-10-10&t=&o=50&l=50&x=0#eintraege, Zugriff 10.3.2021
? Dekoder (24.5.2016): Nicht-System-Opposition, https://www.dekoder.org/de/gnose/nicht-system-opposition, Zugriff 10.3.2020
? NZZ – Neue Zürcher Zeitung (12.2.2018): Durchgreifen in Dagestan: Moskau räumt im Nordkaukasus auf, https://www.nzz.ch/international/moskau-raeumt-im-nordkaukasus-auf-ld.1356351?reduced=true, Zugriff 10.3.2020
? ÖB Moskau – Österreichische Botschaft Moskau [Österreich] (6.2020): Asylländerbericht Russische Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2046141/RUSS_%C3%96B_Bericht_2020_06.pdf, Zugriff 17.2.2021
? Standard.at (5.2.2018): Regierungsspitze in russischer Teilrepublik Dagestan festgenommen, https://www.derstandard.at/story/2000073692298/regierungsspitze-in-russischer-teilrepublik-dagestan-festgenommen, Zugriff 10.3.2020
? SWP – Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2015): Dagestan: Russlands schwierigste Teilrepublik, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/studien/2015_S08_hlb_isaeva.pdf, Zugriff 10.3.2020
1.5.2. Sicherheitslage
Wie verschiedene Anschläge mit zahlreichen Todesopfern in den letzten Jahren gezeigt haben, kann es in Russland, auch außerhalb der Kaukasus-Region, zu Anschlägen kommen (AA 7.4.2021a; vgl. GIZ 1.2021d, EDA 7.4.2021). Die russischen Behörden halten ihre Warnung vor Anschlägen aufrecht und rufen weiterhin zu besonderer Vorsicht auf (AA 7.4.2021a; vgl. EDA 7.4.2021). Trotz verschärfter Sicherheitsmaßnahmen kann das Risiko von Terrorakten nicht ausgeschlossen werden. Die russischen Sicherheitsbehörden weisen vor allem auf eine erhöhte Gefährdung durch Anschläge gegen öffentliche Einrichtungen und größere Menschenansammlungen hin (Untergrundbahn, Bahnhöfe und Züge, Flughäfen etc.) (EDA 7.4.2021).
Russland tritt als Protagonist internationaler Terrorismusbekämpfung auf und begründet damit seinen Militäreinsatz in Syrien. Vom Beginn des zweiten Tschetschenienkriegs 1999 bis ins Jahr 2013 sah es sich mit 75 größeren Terroranschlägen auf seinem Staatsgebiet konfrontiert, die Hunderte Zivilisten das Leben kosteten. Verantwortlich dafür war eine über Tschetschenien hinausgehende Aufstandsbewegung im Nordkaukasus. Die gewaltsamen Zwischenfälle am Südrand der Russischen Föderation gingen 2014 um 46% und 2015 um weitere 51% zurück. Auch im Global Terrorism Index, der die Einwirkung des Terrorismus je nach Land misst, spiegelt sich diese Entwicklung wider. Nach der Militärintervention in Syrien Ende September 2015 erklärte der sogenannte Islamische Staat (IS) Russland den Dschihad und übernahm die Verantwortung für den Abschuss eines russischen Passagierflugzeugs über dem ägyptischen Sinai mit 224 Todesopfern (SWP 4.2017). Seitdem war der Kampf gegen die Terrormiliz zu einer Parole russischer Außen- und Sicherheitspolitik geworden, auch wenn der russische Militäreinsatz in Syrien gewiss nicht nur von diesem Ziel bestimmt ist, sondern die Großmachtrolle Russlands im Mittleren Osten stärken sollte (SWP 4.2017; vgl. Deutschlandfunk 29.9.2020). Der Einsatz in Syrien ist der größte und längste Auslandseinsatz des russischen Militärs seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion. Zunächst sollten nur die Luftstreitkräfte die syrische Armee unterstützen. Bodentruppen wurden erst später und in geringerem Maße mobilisiert - in Form von Spezialeinheiten und schließlich am Ende des Feldzugs als Militärpolizei. Es gab auch Berichte über den Einsatz privater paramilitärischer Strukturen (DW 29.9.2020). Hier ist vor allem die 'Gruppe Wagner' zu nennen. Es handelt sich hierbei um einen privaten russischen Sicherheitsdienstleister, der nicht nur in Syrien, sondern auch in der Ukraine und in Afrika im Einsatz ist. Mithilfe solcher privaten Sicherheitsdienstleister lässt sich die Zahl von Verlusten des regulären russischen Militärs gering halten (BPB 8.2.2021), und der teure Einsatz sorgt dadurch in der russischen Bevölkerung kaum für Unmut (DW 29.9.2020).
In den letzten Jahren rückte eine weitere Tätergruppe in Russland ins Zentrum der Medienaufmerksamkeit, nämlich Islamisten aus Zentralasien. Die Zahl der Zentralasiaten, die beim sog. IS kämpften, wurde auf einige Tausend geschätzt (Deutschlandfunk 28.6.2017). Erst im Oktober 2020 wurden bei Spezialoperationen zentralasiatische Dschihadisten in Südrussland getötet und weitere in Moskau und St. Petersburg festgenommen (SN 15.10.2020).
Quellen:
? AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (7.4.2021a): Russische Föderation: Reise- und Sicherheitshinweise, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/russischefoederation-node/russischefoederationsicherheit/201536#content_0 , Zugriff 7.4.2021
? BPB - Bundeszentrale für politische Bildung [Deutschland] (8.2.2021): Analyse: Söldner im Dienst autoritärer Staaten: Russland und China im Vergleich, https://www.bpb.de/internationales/europa/russland/analysen/327198/soeldner-im-dienst-autoritaerer-staaten, Zugriff 8.4.2021
? Deutschlandfunk (28.6.2017): Anti-Terrorkampf in Dagestan. Russische Methoden, https://www.deutschlandfunk.de/anti-terrorkampf-in-dagestan-russische-methoden.724.de.html?dram:article_id=389824, Zugriff 7.4.2021
? Deutschlandfunk (29.9.2020): An Russland kommt im Nahen Osten niemand mehr vorbei, https://www.deutschlandfunk.de/fuenf-jahre-russischer-militaereinsatz-in-syrien-an.724.de.html?dram:article_id=484951, Zugriff 8.4.2021
? DW - Deutsche Welle (29.9.2020): Russland im Syrien-Krieg: Gekommen, um zu bleiben, https://www.dw.com/de/russland-im-syrien-krieg-gekommen-um-zu-bleiben/a-55096554, Zugriff 8.4.2021
? EDA – Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten [Schweiz] (7.4.2021): Reisehinweise für Russland, https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/vertretungen-und-reisehinweise/russland/reisehinweise-fuerrussland.html#par_textimage, Zugriff 7.4.2021
? GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH [Deutschland] (2.2020d): Russland, Alltag, https://www.liportal.de/russland/alltag/#c18170, Zugriff 7.4.2021
? SN - Salzburger Nachrichten (15.10.2020): Terrorzelle in Russland ausgeschaltet, https://www.sn.at/politik/weltpolitik/terrorzelle-in-russland-ausgeschaltet-94250941, Zugriff 8.4.2021
? SWP – Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2017): Russland und der Nordkaukasus im Umfeld des globalen Jihadismus, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2017A23_hlb.pdf, Zugriff 7.4.2021
Nordkaukasus
Die Sicherheitslage im Nordkaukasus hat sich verbessert, wenngleich das nicht mit einer nachhaltigen Stabilisierung gleichzusetzen ist (ÖB Moskau 6.2020; vgl. AA 2.2.2021). In internationalen sicherheitspolitischen Quellen wird die Lage im Nordkaukasus mit dem Begriff 'low level insurgency' umschrieben (SWP 4.2017).
Ein Risikomoment für die Stabilität in der Region ist die Verbreitung des radikalen Islamismus. Innerhalb der extremistischen Gruppierungen verschoben sich etwa ab 2014 die Sympathien zur regionalen Zweigstelle des sogenannten Islamischen Staates (IS), der mittlerweile das Kaukasus-Emirat praktisch vollständig verdrängt hat. Dabei sorgen nicht nur Propaganda und Rekrutierung des sogenannten IS im Nordkaukasus für Besorgnis der Sicherheitskräfte. So wurden Mitte Dezember 2017 im Nordkaukasus mehrere Kämpfer getötet, die laut Angaben des Anti-Terrorismuskomitees dem sogenannten IS zuzurechnen waren. Das rigide Vorgehen der Sicherheitskräfte, aber auch die Abwanderung islamistischer Kämpfer in die Kampfgebiete in Syrien und in den Irak, haben dazu geführt, dass die Gewalt im Nordkaukasus in den vergangenen Jahren deutlich zurückgegangen ist. 2018 wurde laut dem Inlandsgeheimdienst FSB die Anzahl terroristisch motivierter Verbrechen mehr als halbiert. Auch 2019 nahm die Anzahl bewaffneter Vorfälle im Vergleich zum Vorjahr weiter ab. Jedoch stellt ein Sicherheitsrisiko für Russland die Rückkehr terroristischer Kämpfer nordkaukasischer Provenienz aus Syrien und dem Irak dar. Laut diversen staatlichen und nicht-staatlichen Quellen ist davon auszugehen, dass die Präsenz militanter Kämpfer aus Russland in den Krisengebieten Syrien und Irak mehrere Tausend Personen umfasste. Gegen IS-Kämpfer, die aus den Krisengebieten im Nahen Osten nach Russland zurückkehren, wird gerichtlich vorgegangen (ÖB Moskau 6.2020).
Als Epizentrum der Gewalt im Kaukasus galt lange Zeit Tschetschenien. Die Republik ist in der Topographie des bewaffneten Aufstands mittlerweile aber zurückgetreten; angeblich sind dort nur noch kleinere Kampfverbände aktiv. Dafür kämpften Tschetschenen in zunehmender Zahl an unterschiedlichen Fronten außerhalb ihrer Heimat – etwa in der Ostukraine sowohl aufseiten pro-russischer Separatisten als auch auf der ukrainischen Gegenseite sowie in Syrien und im Irak (SWP 4.2015). In Tschetschenien konnte der Kriegszustand überwunden und ein Wiederaufbau eingeleitet werden. In einem Prozess der 'Tschetschenisierung' wurde die Aufstandsbekämpfung im zweiten Tschetschenienkrieg an lokale Sicherheitskräfte delegiert, die sogenannten Kadyrowzy. Diese auf den ersten Blick erfolgreiche Strategie steht aber kaum für eine nachhaltige Befriedung (SWP 4.2017).
Die russische Teilrepublik Dagestan im Nordkaukasus gilt seit einigen Jahren als Brutstätte von Terrorismus. Mehr als 1.000 Kämpfer aus dem Land sollen sich dem sog. Islamischen Staat in Syrien und im Irak angeschlossen haben. Terroristen aus Dagestan sind auch in anderen Teilen Russlands und im Ausland aktiv. Viele Radikale aus Dagestan sind außerdem in den Nahen Osten ausgereist. In den Jahren 2013 und 2014 brachen ganze salafistische Familien dorthin auf. Die russischen Behörden halfen den Radikalen damals sogar bei der Ausreise. Vor den Olympischen Spielen in Sotschi wollte Russland möglichst viele Gefährder loswerden (Deutschlandfunk 28.6.2017). Den russischen Sicherheitskräften werden schwere Menschenrechtsverletzungen bei der Durchführung der Anti-Terror-Operationen in Dagestan vorgeworfen. Das teils brutale Vorgehen der Sicherheitsdienste, gekoppelt mit der noch immer instabilen sozialwirtschaftlichen Lage in Dagestan, schafft wiederum weiteren Nährboden für die Radikalisierung innerhalb der dortigen Bevölkerung (ÖB Moskau 6.2020). Laut dem Leiter des dagestanischen Innenministeriums gab es bei der Bekämpfung des Aufstands in Dagestan einen Durchbruch. Die Aktivitäten der Gruppen, die in der Republik aktiv waren, sind seinen Angaben zufolge praktisch komplett unterbunden worden. Nach acht Mitgliedern des Untergrunds, die sich Berichten zufolge im Ausland verstecken, wird gefahndet. Trotzdem besteht laut Analysten und Journalisten weiterhin die Möglichkeit von Anschlägen durch einzelne Täter (ACCORD 13.1.2020).
[Anmerkung Staatendokumentation:] Bitte vergleichen Sie hierzu auch alle Kapitel zur Allgemeinen Menschenrechtslage (einschließlich der Kapitel zu Tschetschenien, Dagestan und Dschihadistische Kämpfer und ihre Unterstützer, Kämpfer des ersten und zweiten Tschetschenien-Krieges, Kritiker allgemein).
Im Jahr 2020 liegt die Gesamtopferzahl des Konfliktes im gesamten Nordkaukasus [Anm.: durch Addieren aller verfügbaren Quartals- und Monatsberichte von Caucasian Knot] bei 56 Personen, davon wurden 45 getötet und 11 verwundet. 42 der Getöteten gehören bewaffneten Gruppierungen an, alle anderen Getöteten und Verwundeten sind den Exekutivkräften zuzurechnen. In Tschetschenien sind im Jahr 2020 insgesamt 18 Personen getötet und zwei verwundet worden. 15 der Getöteten gehören bewaffneten Gruppierungen an, alle anderen Getöteten und Verwundeten sind den Exekutivkräften zuzurechnen. In Dagestan sind im Jahr 2020 insgesamt neun Personen getötet und eine verwundet worden. Alle Getöteten gehören bewaffneten Gruppierungen an, die verwundete Person ist den Exekutivkräften zuzurechnen. Drei Getötete gab es in Kabardino-Balkarien und einen Getöteten in Inguschetien (Caucasian Knot 2.7.2020a, Caucasian Knot 2.7.2020b, Caucasian Knot 27.10.2020, Caucasian Knot 24.12.2020, Caucasian Knot 20.2.2021).
Quellen:
? AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (2.2.2021): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Russischen Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2045865/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%BCber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Russischen_F%C3%B6deration_%28Stand_Oktober_2020%29%2C_02.02.2021.pdf, Zugriff 8.4.2021
? ACCORD – Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation (19.6.2019): Themendossier Sicherheitslage in Dagestan, Zeitachse von Angriffen, https://www.ecoi.net/de/laender/russische-foederation/themendossiers/sicherheitslage-in-dagestan-zeitachse-von-angriffen/#Toc489358424, Zugriff 9.4.2021
? Caucasian Knot (2.7.2020a): In January 2020, there were no victims of armed conflict in Northern Caucasus, https://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/51356/, Zugriff 8.4.2021
? Caucasian Knot (2.7.2020b): In February and March 2020, four people fell victim to armed conflict in Northern Caucasus, https://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/51357/, Zugriff 8.4.2021
? Caucasian Knot (27.10.2020): In Quarter 2 of 2020, 11 people suffered in armed conflict in Northern Caucasus, https://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/52582/, Zugriff 8.4.2021
? Caucasian Knot (24.12.2020): 15 people suffered in armed conflict in Northern Caucasus in Q3 2020, https://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/53177/, Zugriff 8.4.2021
? Caucasian Knot (20.2.2021): In Quarter 4 of 2020, 26 persons fell victim to armed conflict in North Caucasus, https://www.eng.kavkaz-uzel.eu/articles/53738/, Zugriff 8.4.2021
? Deutschlandfunk (28.6.2017): Anti-Terrorkampf in Dagestan. Russische Methoden, https://www.deutschlandfunk.de/anti-terrorkampf-in-dagestan-russische-methoden.724.de.html?dram:article_id=389824, Zugriff 9.4.2021
? ÖB Moskau - Österreichische Botschaft Moskau [Österreich] (6.2020): Asylländerbericht Russische Föderation, https://www.ecoi.net/en/file/local/2046141/RUSS_%C3%96B_Bericht_2020_06.pdf, Zugriff 8.4.2021
? SWP – Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2015): Dagestan: Russlands schwierigste Teilrepublik, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/studien/2015_S08_hlb_isaeva.pdf, Zugriff 9.4.2021
? SWP – Stiftung Wissenschaft und Politik (4.2017): Russland und der Nordkaukasus im Umfeld des globalen Jihadismus, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/aktuell/2017A23_hlb.pdf, Zugriff 8.4.2021
1.5.3. Rechtsschutz / Justizwesen
Es gibt in der Russischen Föderation Gerichte für Verfassungs-, Zivil-, Verwaltungs- und Strafrecht. Es gibt den Verfassungsgerichtshof, den Obersten Gerichtshof, föderale Gerichtshöfe und die Staatsanwaltschaft. Die Staatsanwaltschaft ist verantwortlich für Strafverfolgung und hat die Aufsicht über die Rechtmäßigkeit der Handlungen von Regierungsbeamten. Strafrechtliche Ermittlungen werden vom Ermittlungskomitee geleitet (EASO 3.2017). Die russischen Gerichte sind laut Verfassung unabhängig, allerdings kritisieren sowohl internationale Gremien (EGMR – Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, EuR – Europäischer Rat) als auch nationale Organisationen (Ombudsperson, Menschenrechtsrat) regelmäßig Missstände im russischen Justizwesen. Einerseits kommt es immer wieder zu politischen Einflussnahmen auf Prozesse, andererseits beklagen viele Bürger die schleppende Umsetzung von Urteilen bei zivilrechtlichen Prozessen (ÖB Moskau 6.2020). Der Judikative mangelt es auch an Unabhängigkeit von der Exekutive, und berufliches Weiterkommen in diesem Bereich ist an die Einhaltung der Präferenzen des Kremls gebunden (FH 3.3.2021). Auch Korruption ist im Justizsystem ein Problem (EASO 3.2017, BTI 2020)
Das russische Justizsystem ist institutionell abhängig von den Untersuchungsbeamten, die häufig die Urteile bestimmen. Politisch wichtige Fälle werden vom Kreml überwacht, und Richter haben nicht genug Autonomie, um den Ausgang zu bestimmen (ÖB Moskau 6.2020). Die Personalkommission des Präsidenten und die Vorsitzenden des Gerichts kontrollieren die Ernennung und Wiederernennung der Richter des Landes, die eher aus dem Justizsystem befördert werden, als unabhängige Erfahrungen als Anwälte zu sammeln. Änderungen der Verfassung, die im Jahr 2020 verabschiedet wurden, geben dem Präsidenten die Befugnis, mit Unterstützung des Föderationsrates, Richter am Verfassungsgericht und am Obersten Gerichtshof zu entfernen, was die ohnehin mangelnde Unabhängigkeit der Justiz weiter schädigt (FH 3.3.2021).
In Strafprozessen kommt es nur sehr selten zu Freisprüchen der Angeklagten. Am 1. Oktober 2019 trat eine Reform des russischen Gerichtswesens in Kraft, mit der eigene Gerichte für Berufungs-und Kassationsverfahren geschaffen wurden sowie die Möglichkeit von Sammelklagen eingeführt wurde. Wenngleich diese Reformen ein Schritt in die richtige Richtung sind, bleiben grundlegende Mängel des russischen Gerichtswesens bestehen (z.B. de facto „Schuldvermutung“ im Strafverfahren, informelle Einflussnahme auf die Richter etc.). Laut einer Umfrage des Lewada-Zentrums über das Vertrauen der Bevölkerung in die staatlichen Institutionen von Ende 2018, rangieren die Gerichte, die Staatsanwaltschaft und die Polizei eher im unteren Bereich. 33% der Befragten zweifeln daran, dass man den Gerichten vertrauen kann, 25% sind überzeugt, dass die Gerichte das Vertrauen der Bevölkerung nicht verdienen, und nur 28% geben an, ihnen zu vertrauen. Der Kampf der Justiz gegen Korruption steht mitunter im Verdacht einer Instrumentalisierung aus wirtschaftlichen bzw. politischen Gründen (ÖB Moskau 6.2020).
2010 ratifizierte Russland das 14. Zusatzprotokoll der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), das Änderungen im Individualbeschwerdeverfahren vorsieht. Das 6. Zusatzprotokoll über die Abschaffung der Todesstrafe ist zwar unterschrieben, wurde jedoch nicht ratifiziert. Der russische Verfassungsgerichtshof (VfGH) hat jedoch das Moratorium über die Todesstrafe im Jahr 2009 bis zur Ratifikation des Protokolls verlängert, sodass die Todesstrafe de facto abgeschafft ist. Auch das Römer Statut des Internationalen Strafgerichtshofs wurde von Russland nicht ratifiziert. Spannungsgeladen ist das Verhältnis der russischen Justiz zu den Urteilen des EGMR. Moskau sieht im EGMR ein politisiertes Organ, das zur Untergrabung der Souveränität Russlands missbraucht werde (ÖB Moskau 6.2020). Im Juli 2015 stellte der russische Verfassungsgerichtshof klar, dass bei einer der russischen Verfassung widersprechenden Konventionsauslegung seitens des EGMR das russische Rechtssystem aufgrund der Vorrangstellung des Grundgesetzes gezwungen sein wird, auf die buchstäbliche Befolgung der En