TE Bvwg Erkenntnis 2021/9/16 W159 2183865-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 16.09.2021
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Entscheidungsdatum

16.09.2021

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z5
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §9 Abs1 Z1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z4
FPG §52 Abs9
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs3 Z1
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3
VwGVG §28 Abs2

Spruch


W159 2183865-2/35E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Dr. Clemens KUZMINSKI als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX , Staatsangehöriger von Somalia, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 07.06.2019, Zl. XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 10.11.2020 zu Recht erkannt:

A)

In Erledigung der Beschwerde wird der bekämpfte Bescheid gemäß § 9 Abs. 1 Z 1 und Abs. 2 Z 3 AsylG ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Der Vater des Beschwerdeführers reiste am 18.08.2010 illegal nach Österreich ein und stellte einen Antrag auf internationalen Schutz. Dem Vater des Beschwerdeführers wurde der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt, der Antrag auf Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten wurde abgewiesen.

Der Beschwerdeführer, ein somalischer Staatsangehöriger und dem Clan der Hawiye angehörig, stellte am 14.12.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich im Familienverfahren. Der Beschwerdeführer gab bei der Erstbefragung an, keine eigenen Fluchtgründe zu besitzen und denselben Schutzumfang wie sein Vater zu beantragen. Dem Beschwerdeführer wurde mit Bescheid vom 31.10.2017 der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt. Das Bundesverwaltungsgericht wies am 18.06.2018 den Antrag auf Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten aufgrund nicht glaubhafter Fluchtgründe ab.

Am 25.02.2019 wurde eine Niederschrift im Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Rahmen der Einleitung zur Aberkennung des subsidiären Schutzes aufgenommen. Es wurde dargetan, dass der Beschwerdeführer mit rechtskräftigem Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 25.04.2019, XXXX zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 18 Monaten, davon zwölf Monate bedingt, unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren, verurteilt wurde.

Der Beschwerdeführer wurde darüber informiert, dass aufgrund seiner Straftaten ein Aberkennungsverfahren eingeleitet worden sei. Die Einvernahme solle dazu dienen, den entscheidenden Sachverhalt festzustellen und ob eine Rückkehr nach Somalia möglich sei oder nicht.

Der Beschwerdeführer gab an, sich gesund zu fühlen, in keiner Therapie zu stehen und keine Medikamente zu nehmen. Er sei ledig, hätte keine Freundin oder Lebensgefährtin und keine Kinder. Seine Eltern und seine Geschwister würden sich in Österreich aufhalten. In Somalia würden seine Großeltern und sein Onkel aufhalten. Sein Onkel würde in Mogadischu leben und er würde mit ihm im Kontakt stehen.

Mit angefochtenem Bescheid, wurde der zuerkannte Status des subsidiär Schutzberechtigten vom 31.10.2017, gemäß § 9 Abs. 2 AsylG 2005, von Amts wegen aberkannt (Spruchpunkt I.) und die befristete Aufenthaltsberechtigung wurde gemäß § 9 Abs. 4 AsylG 2005 entzogen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigenden Gründen gem. § 57 AsylG 2005 wurde dem Beschwerdeführer nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Es wurde gem. § 10 Abs. 1 Z 5 AsylG 2005 iVm § 9 BFA VG eine Rückkehrentscheidung gem. § 52 Abs. 2 Z 4 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.), die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung aus dem österreichischen Bundesgebiet nach Somalia gem. § 9 Abs. 2 AsylG 2005 iVm § 52 Abs. 9 FPG für unzulässig erklärt (Spruchpunkt V.) und die Frist für die freiwillige Ausreise gem. § 55 Abs. 1 bis 3 FPG mit 14 Tagen an Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt VI.) Gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 3 „Ziffer 0“ FPG gegen den Beschwerdeführer ein Einreiseverbot in der Dauer von sechs Jahren erlassen (Spruchpunkt VII).

Beweiswürdigend führte das BFA aus, dass die für die Aberkennung des subsidiären Schutzes tragenden Gründe sich aus dem Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien ergeben. Der Beschwerdeführer sei wegen des Verbrechens des schweren gewerbsmäßigen Diebstahls teils durch Einbruch nach §§ 127, 129 Abs. 1 Z 3, 130 Abs. 2 2. Fall, 17 StGB, des Vergehens der Urkundenunterdrückung nach § 229 Abs. 1 StGB und des Vergehens der Entfremdung unbarer Zahlungsmittel nach § 241e Abs. 3 StGB rechtskräftig verurteilt worden. Das reumütige Geständnis, sowie der bisherige Lebenswandel und der teilweise Versuch hätten sich mildernd bei der Urteilsfindung ausgewirkt, allerdings seien die Gewerbsmäßigkeit und die Tatwiederholung innerhalb eines relativ kurzen Zeitraumes und das Zusammentreffen von einem Verbrechen und zweier Vergehen als erschwerend durch das erkennende Gericht zu bewerten gewesen. Die Abschiebung in seinen Heimatstaat sei nicht möglich, weil er über kein nennenswertes familiäres bzw. soziales Netzwerk zugreifen könne, sowie eine Gefährdung aufgrund der zu diesem Zeitpunkt vorherrschenden Dürre nicht ausgeschlossen sei.

Mit Ausnahme des Spruchpunkts V. wurde dieser Bescheid fristgerecht vom Beschwerdeführer, vertreten durch die XXXX , im vollen Umfang angefochten. Das ausschließliche Abstellen der Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten auf ein Verbrechen sei aufgrund der EuGH Judikatur nicht mehr zulässig. Die belangte Behörde hätte zu prüfen gehabt, ob die Straftat, die der Beschwerdeführer begangen habe, so schwer sei, dass sie zur Zurückweisung seines Antrags auf internationalen Schutz führen müsste. Der EuGH und der VwGH fordere die Auseinandersetzung mit der Schwere der Straftat. Zudem sei die Erlassung eines Einreiseverbotes in der Dauer von sechs Jahren sei zu lange Bemessen.

Mit hg. Erkenntnis vom 10.10.2019, XXXX wurde die Beschwerde gegen die Spruchpunkte I., II. und III. des Bescheides als unbegründet abgewiesen (Spruchpunkt A I.), de Beschwerde gegen Spruchpunkt IV. nach § 9 Abs. 2 AsylG 2005 mit der Maßgabe stattgegeben, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in seinen Herkunftsstaat unzulässig sei (Spruchpunkt A II.), die mit der Rückkehrentscheidung verbundenen Spruchpunkte ersatzlos behoben (Spruchpunkt A III.) und die Revision für nicht zulässig erklärt (Spruchpunkt B).

Einer seitens des BFA gegen Spruchpunkte A II. und A III. erhobenen Amtsrevision gab der VwGH mit Erkenntnis vom 28.01.2020, Ra 2019/01/0406, statt und behob das Erkenntnis im angefochtenen Umfang.

Einer seitens des Beschwerdeführers gegen Spruchpunkt A I. erhobenen Revision gab der VwGH mit Erkenntnis vom 20.08.2020, Ra 2019/19/0522, statt und behob das Erkenntnis im angefochtenen Umfang.

Der Verwaltungsgerichtshof begründete dies wie folgt:

„Vorauszuschicken ist, dass aus dem angefochtenen Erkenntnis nicht klar hervorgeht, ob das BVwG die Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten auf den Aberkennungstatbestand der Z 2 oder jenen der Z 3 des § 9 Abs. 2 AsylG 2005 (oder auf beide Tatbestände) gestützt hat.

Nach § 9 Abs. 2 Z 2 AsylG 2005 hat eine Aberkennung stattzufinden, wenn der Fremde eine Gefahr für die Allgemeinheit oder für die Sicherheit der Republik Österreich darstellt. Ob der Fremde eine Gefahr für die Allgemeinheit oder für die Sicherheit der Republik Österreich darstellt, erfordert eine Gefährdungsprognose. Dabei ist das Gesamtverhalten des Fremden in Betracht zu ziehen und auf Grund konkreter Feststellungen eine Beurteilung dahin vorzunehmen, ob und im Hinblick auf welche Umstände die Annahme gerechtfertigt ist, der Fremde stelle eine Gefahr für die Allgemeinheit oder für die Sicherheit der Republik Österreich dar. Strafgerichtliche Verurteilungen des Fremden sind daraufhin zu überprüfen, inwieweit sich daraus nach der Art und Schwere der zugrunde liegenden Straftaten und der Tatumstände der Schluss auf die Gefährlichkeit des Fremden für die Allgemeinheit oder die Sicherheit der Republik Österreich ziehen lässt (vgl. VwGH 14.3.2019, Ra 2018/20/0387, mwN).

Eine solche, auf konkreten Feststellungen beruhende Gefährdungsprognose enthält das angefochtene Erkenntnis, das lediglich ohne nähere Begründung davon ausgeht, der Revisionswerber werde sich nicht an den Werten des österreichischen Rechtsstaates orientieren, nicht.

Eine Aberkennung des subsidiären Schutzes nach § 9 Abs. 2 Z 3 AsylG 2005 kann nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht allein darauf gestützt werden, dass der Mitbeteiligte wegen eines Verbrechens rechtskräftig verurteilt worden ist. Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 6. November 2018, Ra 2018/18/0295, vor dem Hintergrund des Urteils des EuGH vom 13. September 2018, Ahmed, C-369/17, näher erläutert hat, ist bei der Anwendung des § 9 Abs. 2 Z 3 AsylG 2005 jedenfalls auch eine Einzelfallprüfung durchzuführen, ob eine „schwere Straftat“ im Sinne des Art. 17 Abs. 1 lit. b der Statusrichtlinie vorliegt. Dabei ist die Schwere der fraglichen Straftat zu würdigen und eine vollständige Prüfung sämtlicher besonderer Umstände des jeweiligen Einzelfalls vorzunehmen. Bei dieser einzelfallbezogenen Würdigung sind auch die konkret verhängte Strafe und die Gründe für die Strafzumessung zu berücksichtigen.

Die Revision bringt zu Recht vor, dass das BVwG seiner Entscheidung zwar die vom Landesgericht für Strafsachen Wien verhängte Strafe und die herangezogenen besonderen Milderungs- und Erschwerungsgründe zu Grunde gelegt, jedoch keine vollständige Einzelfallprüfung vorgenommen hat. Vielmehr hätte das BVwG - gegebenenfalls nach Vorlage des Strafaktes - etwa auch die Höhe des entstandenen Sachschadens und die Gründe für die bedingte Nachsicht eines Teils der Strafe (vgl. die Voraussetzungen des § 43a Abs. 3 iVm. § 43 Abs. 1 StGB) zu berücksichtigen gehabt (vgl. EuGH C-369/17, Rn. 56). Wie das BVwG zu der Prognose gelangt, der Revisionswerber werde sich nicht an den Werten des österreichischen Rechtsstaates orientieren, begründet das Verwaltungsgericht nicht.

Für das fortzusetzende Verfahren wird das BVwG zu beachten haben, dass § 9 Abs. 1 und 2 AsylG 2005 folgendes Prüfschema festlegen: Nach § 9 Abs. 1 AsylG 2005 ist vorrangig zu klären, ob eine Aberkennung des subsidiären Schutzes nach dieser Gesetzesstelle vorzunehmen ist. Das ist dann der Fall, wenn zumindest einer der in § 9 Abs. 1 Z 1 bis 3 AsylG 2005 vorgesehenen Aberkennungstatbestände vorliegt. Ist der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht schon aus den Gründen des § 9 Abs. 1 AsylG 2005 abzuerkennen, so hat eine Aberkennung nach § 9 Abs. 2 AsylG 2005 auch dann zu erfolgen, wenn zumindest einer der in § 9 Abs. 2 Z 1 bis 3 AsylG 2005 vorgesehenen Aberkennungstatbestände gegeben ist (vgl. VwGH 17.10.2019, Ro 2019/18/0005).

Das angefochtene Erkenntnis war daher im angefochtenen Umfang gemäß § 42 Abs. 2 Z 3 VwGG wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufzuheben.“

Das Bundesverwaltungsgericht führte am 10.11.2020 eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung durch, zu der der Beschwerdeführer mit XXXX , erschien. Das BFA nahm an der Beschwerdeverhandlung nicht teil. Dabei gab der Beschwerdeführer soweit wesentlich zu Protokoll, er habe die meiste Zeit in Mogadischu gelebt, er wisse nur, dass er sieben Jahre in Äthiopien gelebt habe. Der Vater habe die Familie aus seinen Einkünften als Kleiderhändler versorgt. Dass er einen Onkel in Mogadischu habe, habe er vor dem BFA nicht vorgebracht. Der Beschwerdeführer wohne mit seinem Bruder in gemeinsamen Haushalt, mit seinen anderen Familienangehörigen habe der Beschwerdeführer keinen Kontakt. Auf Vorhalt, dass seine Schwester vor dem Verhandlungssaal sitze, behauptete er, sie nur anzurufen.

Der Beschwerdeführer sei auf seinen Bruder angewiesen, weil er zB. nicht kochen könne. Der Beschwerdeführer sei mehrmals bei Ärzten gewesen, weil er psychische Probleme habe. Er nehme ein Schlafmittel, ein Mittel gegen Kopfschmerzen und ein Antidepressivum. In Österreich mache der Beschwerdeführer nichts. Er sitze meistens zuhause. Er sei fünfmal in einem Deutschkurs gewesen, aber er vergesse alles. In Österreich lebe der Beschwerdeführer von der XXXX , er habe in Österreich noch nicht gearbeitet. Er sei ledig und habe keine Kinder. Er habe viele Somalier als Freunde. In Vereinen sei er nicht. Zu seiner Delinquenz gab er an, er könne sich nicht erinnern. Er glaube schon, dass er so etwas getan habe. Wenn er nicht krank wäre, hätte er so etwas nicht getan. Der Beschwerdeführer konsumiere keine Drogen und trinke keinen Alkohol.

Im Falle einer Rückkehr fürchte der Beschwerdeführer, getötet zu werden. Er habe dort niemanden, bei dem er wohnen könne oder der ihn schützen könne. ZB. könne ihn die Al Shabaab töten. Die Nachbarn des Beschwerdeführers seien Al-Shabaab-Mitglieder.

Die Sicherheitslage in Somalia sei nach wie vor schlecht. Der Beschwerdeführer könne dort kein normales Leben führen. Er kenne dort niemanden. Seine ganze Familie sei in Österreich. Er habe Angst, getötet zu werden.

Mit Schriftsatz vom 01.12.2020 erstattete der Beschwerdeführer durch seinen Vertreter eine Stellungnahme, in der sich neben Ausführungen zur Situation in Somalia Relativierungen der Delinquenz des Beschwerdeführers finden.

Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 04.01.2021, Zahl W XXXX wurde der Beschwerde gegen Spruchpunkt VII. des angefochtenen Bescheides mit der Maßgabe stattgegeben, dass die Dauer des Einreiseverbotes gemäß § 53 FPG auf die Dauer von drei Jahren herabgesetzt wird. Im Übrigen wurde die Beschwerde gegen die Spruchpunkte I. bis VI. des angefochtenen Bescheides abgewiesen.

Rechtlich begründend wurde insbesondere ausgeführt, dass der Beschwerdeführer von einem Strafgericht wegen einem gewerbsmäßig begangenen Verbrechen und zweier Vergehen verurteilt wurde und eine Strafdrohung von bis zu fünf Jahren vorgesehen sei. Aufgrund dieser Strafdrohung stelle die herangezogene Norm der § 130 Abs. 2 StGB eindeutig ein Verbrechen im Sinne des § 17 StGB dar, wenn auch die Strafbemessung mit einer Freiheitsstrafe von 18 Monaten, davon 12 Monate bedingt nachgesehen, eher im unteren Bereich der möglichen fünf Jahre Freiheitsstrafe angesiedelt sei, könne das Bundesverwaltungsgericht nicht übersehen, dass der Beschwerdeführer eine Vielzahl an Spinden aufgebrochen habe, was schließlich auf eine entsprechende kriminelle Energie hindeute und sei daher die Verurteilung vom 25.04.2019 geeignet eine Aberkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten zu begründen. Hinsichtlich einer Rückkehrentscheidung wurde ausgeführt, dass der Beschwerdeführer trotz seines Aufenthaltes von beinahe fünf Jahren kaum integriert sei und daher eine Rückkehrentscheidung im vorliegenden Fall geboten und nicht unverhältnismäßig erscheine. Da im vorliegenden Fall der Beschwerdeführer der Status des subsidiär Schutzberechtigten nach § 9 Abs. 2 Z 3 AsylG aberkannt worden sei, habe die Feststellung zu erfolgen, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers nach Somalia unzulässig sei. Gemäß § 53 Abs. 1 FPG könne vom Bundesamt mit einer Rückkehrentscheidung mit Bescheid ein Einreiseverbot erlassen werden. Hinsichtlich der Dauer des Einreiseverbotes wurde noch einmal auf das Verbrechen des gewerbsmäßigen Diebstahls, teils durch Einbruch und das Vergehen der Urkundenunterdrückung und der Entfremdung unbarer Zahlungsmittel hingewiesen. Aufgrund des Umstandes, dass sich das Strafgericht bei der ausgesprochenen Strafe im unteren Bereich des Strafrahmens bewegt habe und der Beschwerdeführer starke Bindungen an seine in Österreich rechtmäßig aufhältigen Familienangehörigen aufweise, sei das Einreiseverbot auf eine Dauer von drei Jahren herabzusetzen gewesen.

Gegen dieses Erkenntnis erhob der Beschwerdeführer, vertreten durch XXXX Revision an den Verwaltungsgerichtshof. Dieser behob mit Erkenntnis vom 13.07.2021 das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtwidrigkeit seines Inhaltes und begründete dies, wie folgt:

„Bei der Erlassung der Ersatzentscheidung gemäß § 63 Abs. 1 VwGG sind die Verwaltungsgerichte an die vom Verwaltungsgerichtshof in seinem aufhebenden Erkenntnis geäußerte Rechtsanschauung gebunden; eine Ausnahme bildet der Fall einer wesentlichen Änderung der Sach- und Rechtslage. Erfolgte die Aufhebung einer angefochtenen Entscheidung, weil es das Verwaltungsgericht unterlassen hat, die für die Beurteilung des Rechtsfalles wesentlichen Tatsachenfeststellungen zu treffen, so besteht die Herstellung des der Rechtsanschauung des Verwaltungsgerichtshofes entsprechenden Rechtszustandes darin, dass das Verwaltungsgericht jene Ergänzungen des Ermittlungsverfahrens durchführt und die Feststellungen trifft, die eine erschöpfende Beurteilung des maßgebenden Sachverhaltes ermöglichen (vgl. VwGH 1.3.2018, Ra 2017/19/0425, mwN).

Begründend führte der Verwaltungsgerichtshof in seinem Vorerkenntnis vom 20. August 2020, Ra 2019/19/0522, unter anderem aus:

„Die Revision bringt zu Recht vor, dass das BVwG seiner Entscheidung zwar die vom Landesgericht für Strafsachen Wien verhängte Strafe und die herangezogenen besonderen Milderungs- und Erschwerungsgründe zu Grunde gelegt, jedoch keine vollständige Einzelfallprüfung vorgenommen hat. Vielmehr hätte das BVwG - gegebenenfalls nach Vorlage des Strafaktes - etwa auch die Höhe des entstandenen Sachschadens und die Gründe für die bedingte Nachsicht eines Teils der Strafe (vgl. die Voraussetzungen des § 43a Abs. 3 iVm. § 43 Abs. 1 StGB) zu berücksichtigen gehabt (vgl. EuGH C-369/17, Rn. 56). Wie das BVwG zu der Prognose gelangt, der Revisionswerber werde sich nicht an den Werten des österreichischen Rechtsstaates orientieren, begründet das Verwaltungsgericht nicht.“

Diesen Vorgaben ist das BVwG im Hinblick auf die im Rahmen der Einzelfallprüfung nach § 9 Abs. 2 Z 3 AsylG 2005 zu treffenden Feststellungen nicht nachgekommen.“

Im fortgesetzten Verfahren räumt das Bundesverwaltungsgericht dem Beschwerdeführer zu Handen seines ausgewiesenen Vertreters das Parteiengehör zu dem nunmehr aktuellen Länderinformationsblatt für Somalia unter Setzung einer Frist von zwei Wochen zur Abgabe einer Stellungnahme ein. Von dieser Möglichkeit machte der Beschwerdeführer durch seinen ausgewiesenen Vertreter Gebrauch. Zunächst wurde dazu ausgeführt, dass eine Rückführung noch immer unzulässig sei und dass sich an den tatsächlichen Verhältnissen seit der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten nichts geändert habe. Der Beschwerdeführer lebe nach wie vor mit einem seiner Brüder in einer Wohnung, welchen er zur Bewältigung des Alltages benötige. Er selbst sei nicht in der Lage, seinen Alltag ohne Unterstützung seiner Familie zu bewältigen.

Weiters wurde rechtlich darauf hingewiesen, dass bei der Prüfung, ob eine „schwere Straftat“ im Sinne Artikel 17 Abs. 1 lit. b der Status-Richtlinie vorliege, insbesondere zu berücksichtigen sei die Art der Straftat, die verursachten Schäden, die Form des zur Verfolgung herangezogenen Verfahrens und die Art der Strafmaßnahme. Beispielsweise seien schwere Straftaten Mord, Vergewaltigung, bewaffneter Raub, schwere Brandstiftung und Drogenhandel. Der Beschwerdeführer sei jedoch wegen keiner schweren Straftat verurteilt worden und sei auch zu berücksichtigen, dass die vom Beschwerdeführer begangenen Taten nur deshalb zu einem Verbrechen geworden seien, weil vom Strafgericht Gewerbsmäßigkeit angenommen worden sei und laut Strafantrag die erlangte Beute insgesamt nur XXXX Euro betrage und sei der verursachte Schaden daher deutlich unter der ersten Wertgrenze von 5.000,-- Euro. Auch habe sich die verhängte Freiheitsstrafe von 18 Monaten im unteren Drittel des Strafrahmens bewegt und sei ihm auch der größere Teil der Freiheitsstrafe, nämlich zwei Drittel unter Setzung einer Probezeit bedingt nachgesehen worden und dass insgesamt nur eine minderschwere Straftat vorliege und überdies der Beschwerdeführer seit über zwei Jahren nicht mehr straffällig geworden sei. Es wird daher beantragt, den angefochtenen Bescheid zur Gänze zu beheben.

Der zur Entscheidung berufene Einzelrichter forderte in der Folge den gesamten Strafakt des Landesgerichtes für Strafsachen Wien ein, studierte diesen sorgfältig und ließ Kopien von wesentlichen Aktenbestandteilen anfertigen. Dabei fällt auf, dass im Abschlussbericht des Kriminalreferates XXXX vom 06.02.2019 das Verhalten des Beschwerdeführers wohl als kooperativ, aber nicht altersangepasst, sondern eher kindisch angesehen worden sei. Bei der Beschuldigtenvernehmung des genannten Kriminalrefereates vom gleichen Datum führte der Beschwerdeführer aus, dass er so wenig Geld bekomme, er wohl wisse, dass es nicht gut sei, so etwas zu tun, aber es tue ihm nicht leid…

In der Beschuldigteneinvernahme der polizeilichen Verbindungsstelle in der JA Wien Josefstadt vom 21.02.2019 führte der Beschwerdeführer hingegen aus, dass er eigentlich genug Geld gehabt habe, um zu leben.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat wie folgt festgestellt und erwogen:

1. Feststellungen:

Feststellungen zur Person des Beschwerdeführers:

Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger von Somalia, der Volksgruppe der Hawiye zugehörig sowie moslemischen Glaubens. Er stammt aus Mogadischu

Die Eltern und die Geschwister des Beschwerdeführers halten sich mit Status von subsidiär Schutzberechtigen in Österreich auf, der sehr einfach wirkende Beschwerdeführer hat eine starke Bindung zu ihnen. Er ist nicht in der Lage, den Alltag ohne sie zu bewältigen.

Der Beschwerdeführer leidet an chronischen Kopfschmerzen, Insomnie, Antriebslosigkeit und depressiver Stimmung und weist weiters eine augenscheinliche Intelligenzminderung auf.

Es handelt sich hiebei um eine schwere depressive Episode mit psychotischen Symptomen. Darüber hinaus leidet der Beschwerdeführer an rezidivierenden Infekten.

Der Beschwerdeführer ist am 14.12.2016 in Österreich eingereist und hat lediglich die Deutschprüfung A1 abgelegt. Der Beschwerdeführer wohnt mit seinem Bruder in gemeinsamen Haushalt. Er lebt nach wie vor von der Grundversorgung.

Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 25.04.2019, XXXX , wurde der Beschwerdeführer zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von 18 Monaten verurteilt, wobei zwölf Monate unter Setzung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurden.

Der Verurteilung lag folgendes zugrunde: Der Beschwerdeführer hat

A.       gewerbsmäßig angeführte fremde bewegliche Sachen in einem EUR 5.000 nicht übersteigenden Wert, mit dem Vorsatz, sich durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern,

I.       weggenommen und zwar

a.       durch Öffnen von Spinden mit widerrechtlich erlangten Schlüsseln am 02.02.2019 in vier Fällen,

b.       durch Aufbrechen einer Sperrvorrichtung, indem er die Vorhangschlösser der Spinde gewaltsam öffnete

c.       am 04.12.2018 von einem Opfer Bargeld

d.       am 16. und 17.11.2018, 14.12.2018. und 30.01.2019 sowie zu nicht mehr feststellbaren Tatzeitpunkten Bargeld und Schlüssel von mind. 21 Opfern,

II.      wegzunehmen versucht und zwar

1.       am 04.02.2019 durch Aufbrechen einer Sperrvorrichtung einem nicht mehr ausforschbaren Opfer, indem er an einem Spind mit einer Schere hantierte;

2.       am 16.11,2018 Verfügungsberechtigten eines Unternehmens zwei Parfums in nicht mehr festzustellendem Werte, indem er diese in seiner Jackentasche versteckte und den Kassabereich passieren wollte, ohne zu bezahlen;

B.       im Zuge der unter A.I.d. angeführten Straftat eine Urkunde, über die er nicht verfügen durfte, nämlich einen Ausweis eines nicht mehr ausforschbaren Opfers, mit dem Vorsatz, zu verhindern, dass diese im Rechtsverkehr zum Beweis eines Rechtes, eines Rechtsverhältnisses oder einer Tatsache gebraucht werden, unterdrückt;

C.        anlässlich der zu A.I.d. angeführten Straftat ein unbares Zahlungsmittel, nämlich eine Bankomatkarte eines nicht mehr ausforschbaren Opfers, über die er nicht verfügen durfte, mit dem Vorsatz, dessen Verwendung im Rechtsverkehr zu verhindern, unterdrückt.

Dadurch hat er folgende strafbare Handlungen begangen:

Zu A.   das Verbrechen des schweren gewerbsmäßigen Diebstahls teils durch Einbruch nach

§§ 127, 129 Abs. 1 Z 3, 130 Abs. 2 2. Fall, 15 StGB;

Zu B.   das Vergehen der Urkundenunterdrückung nach § 229 Abs. 1 StGB;

Zu C.   das Vergehen der Entfremdung unbarer Zahlungsmittel nach § 241 e Abs. 3 StGB

Für die Strafbemessungsgründe mildernd war das reumütige Geständnis, der bisher ordentliche Lebenswandel, teilweise ist es beim Versuch geblieben.

Für die Strafbemessungsgründe erschwerend war die Tatwiederholung innerhalb der Gewerbsmäßigkeit innerhalb eines relativ kurzen Zeitraumes, Zusammentreffen von einem Verbrechen und zweier Vergehen. Das Gericht begründete die Verhängung des unbedingten Teils der Haftstrafe mit der Vielzahl von Fakten, die bedingte Nachsicht der Strafe mit den bisherigen ordentlichen Lebenswandel. Der eingetretene Sachschaden beträgt rund 1.500,- Euro.

Zu Somalia wird Folgendes verfahrensbezogen festgestellt:

Politische Lage

Süd-/Zentralsomalia, Puntland

Letzte Änderung: 07.07.2021

Hinsichtlich der meisten Tatsachen ist das Gebiet von Somalia faktisch zweigeteilt, nämlich in: a) die somalischen Bundesstaaten; und b) Somaliland, einen 1991 selbst ausgerufenen unabhängigen Staat, der international nicht anerkannt wird (AA 18.4.2021, S. 4f). Während Süd/Zentralsomalia seit dem Zusammenbruch des Staates 1991 immer wieder von gewaltsamen Konflikten betroffen war und ist, hat sich der Norden des Landes unterschiedlich entwickelt (BS 2020, S. 4).

Staatlichkeit: Somalia hat bei der Bildung eines funktionierenden Bundesstaates Fortschritte erzielt (UNSC 15.5.2019, Abs. 78), staatliche und regionale Regierungsstrukturen wurden etabliert (ISS 28.2.2019). Somalia hat in den vergangenen Jahren auf vielen Gebieten große Fortschritte erzielt. Der Staat ist etwa bei Steuereinnahmen effektiver geworden. Junge Somalis und Angehörige der Diaspora sind in der Zivilgesellschaft aktiv, und Mogadischu selbst hat sich stark verändert (BBC 18.1.2021). Somalia ist damit zwar kein failed state mehr, bleibt aber ein fragiler Staat. Die vorhandenen staatlichen Strukturen sind sehr schwach, es gibt keine flächendeckende effektive Staatsgewalt (AA 18.4.2021, S. 4f). Die Regierung verfügt kaum über eine Möglichkeit, ihre Politik und von ihr beschlossene Gesetze im Land durch- bzw. umzusetzen

(FH 3.3.2021a, C1). Das Land befindet sich immer noch mitten im Staatsbildungsprozess (BS 2020, S. 33). Die Regierung ist bei der Umsetzung von Aktivitäten grundsätzlich stark von internationalen Institutionen und Geberländern abhängig (FH 3.3.2021a, C1). Eigentlich sollte die Bundesregierung auch die Übergangsverfassung noch einmal überarbeiten, novellieren und darüber ein Referendum abhalten. Dieser Prozess ist weiterhin nicht abgeschlossen (USDOS 30.3.2021, S. 23). Generell sind drei entscheidende Punkte abzuarbeiten: die Überarbeitung der Verfassung; der Aufbau der föderalen Architektur; und die Entwicklung eines angemessenen Wahlsystems. Der Stillstand zu Anfang des Jahres 2021 ist das Ergebnis des Versagens der Regierung Farmaajo, auch nur einen dieser Punkte zu lösen (ECFR 16.2.2021).

Regierung: Die Präsidentschaftswahl fand im Feber 2017 statt. Die beiden Parlamentskammern wählten den früheren Premierminister Mohamed Abdullahi Mohamed „Farmaajo“ zum Präsidenten (AA 18.4.2021, S. 6; vgl. ÖB 3.2020, S. 2; USDOS 30.3.2021, S. 1/23). Seine Wahl wurde als fair und transparent erachtet (USDOS 30.3.2021, S. 1). Premierminister Hassan Ali Kheyre wurde mit einem Misstrauensvotum des Parlaments am 25.7.2020 seines Amtes enthoben (UNSC 13.8.2020, Abs. 5). Im September 2020 wurde Mohamed Hussein Roble als neuer Premierminister angelobt (UNSC 13.11.2020, Abs. 6). Seit Feber 2021 regiert Farmaajo ohne Mandat, seine Amtszeit ist abgelaufen (TNH 20.5.2021). Insgesamt verfügt die Regierung in der eigenen Bevölkerung und bei internationalen Partnern nur über wenig Glaubwürdigkeit. Das Vertrauen in den Staat ist gering (BS 2020, S. 34/40).

Parlament: Die beiden Kammern des Parlaments wurden mittels indirekter Wahlen durch ausgewählte Älteste Anfang 2017 besetzt (USDOS 30.3.2021, S. 1/23). Über 14.000 Wahlmänner und -frauen waren an der Wahl der 275 Abgeordneten beteiligt (AA 18.4.2021, S. 6; vgl. USDOS 30.3.2021, S. 23). Beide Häuser wurden also in indirekten Wahlen besetzt, das Unterhaus nach Clanzugehörigkeit. Die Wahlen zu beiden Häusern wurden generell als von Korruption durchsetzt und geschoben erachtet (USDOS 30.3.2021, S. 1/23). Sie wurden von Schmiergeldzahlungen, Einschüchterungen, Stimmenkauf und Manipulation begleitet (BS 2020, S. 11). Dieses Wahlsystem ist zwar noch weit von einer Demokratie entfernt und unterstreicht die Bedeutung der politischen Elite (BS 2020, S. 20). Trotz allem waren die Parlamentswahlen ein bemerkenswerter demokratischer Fortschritt (AA 18.4.2021, S. 6; vgl. BS 2020, S. 20). Insgesamt erfolgte die Zusammensetzung des Unterhauses entlang der 4.5-Formel, wonach den vier Hauptclans jeweils ein Teil der Sitze zusteht, den kleineren Clans und Minderheiten zusammen ein halber Teil (USDOS 30.3.2021, S. 26f; vgl. ÖB 3.2020, S. 3; BS 2020, S. 11). Auch die Regierung ist entlang dieser Formel organisiert (ÖB 3.2020, S. 3). Insgesamt wird das Parlament durch Stimmenkauf entwertet, und es hat auf die Tätigkeiten von Präsident und Premierminister wenig Einfluss (BS 2020, S. 20).

Demokratie: Seit 1969 wurde in Somalia keine Regierung mehr direkt gewählt (FP 10.2.2021).

Somalia ist keine Wahldemokratie und hat auch keine strikte Gewaltenteilung, auch wenn die

Übergangsverfassung eine Mehrparteiendemokratie und Gewaltenteilung vorsieht (BS 2020, S. 11/15). Es gibt keine freien und fairen Wahlen auf Bundes- (USDOS 30.3.2021, S. 23f) und auch keine allgemeinen Wahlen auf kommunaler oder regionaler Ebene. Politische Ämter wurden seit dem Sturz Siad Barres 1991 entweder erkämpft oder unter Ägide der internationalen Gemeinschaft hilfsweise unter Einbeziehung nicht demokratisch legitimierter traditioneller Strukturen (v.a. Clanstrukturen) vergeben (AA 18.4.2021, S. 6). 2016 und 2017 konnten mit der Gründung der Bundesstaaten und einem relativ demokratischen Machtwechsel wichtige Weichen in Richtung Demokratisierung, legitimer Staatsgewalt und Föderalismus gestellt werden (AA 18.4.2021, S. 4). Die errungenen Fortschritte wurden von der Regierung Farmaajo allerdings weitgehend rückgängig gemacht (ECFR 16.2.2021).

Für 2021 vorgesehene Wahlen wurden zuerst verschoben (UNSC 13.8.2020, Abs. 7), bis es im September 2020 hinsichtlich des Prozederes zu einer Einigung mit den Bundesstaaten kam. Das vereinbarte Modell entsprach in etwa jenem von 2016. Dabei werden von Ältesten, Bundesstaaten und Vertretern der Zivilgesellschaft Wahldelegierte ausgesucht, welche wiederum die einzelnen Parlamentsabgeordneten wählen. Pro Abgeordnetem sollen 101 Wahlmänner und -Frauen ausgewählt werden (2016: 51). Statt der National Independent Electoral Commission soll die Wahl von sogenannten Electoral Implementation Committees (EIC) umgesetzt werden. Die Abgeordneten zum Oberhaus werden von den Parlamenten der Bundesstaaten ausgewählt (UNSC 13.11.2020, Abs. 2f; vgl. FP 10.2.2021). Neben einem 25köpfigen EIC des Bundes sollte zusätzlich in jedem Bundesstaat ein eigenes elfköpfiges EIC eingesetzt werden (UNSC 13.11.2020, Abs. 21). Dieses Modell war von allen relevanten politischen Stakeholdern, von Parteien und Vertretern der Zivilgesellschaft vereinbart und vom Bundesparlament ratifiziert worden (UNSC 13.11.2020, Abs. 88).

Aktuelle Politische Lage: Allerdings hatte sich um die Bestellung der Mitglieder dieser EICs ein neuer Konflikt entsponnen (FP 10.2.2021). Präsident Farmaajo war schließlich nicht in der Lage, sich mit Ahmed Madobe, Präsident von Jubaland, und Said Deni, Präsident von Puntland, auf die Umsetzung des im September 2020 vereinbarten Fahrplans für Neuwahlen zu einigen (IP 12.2.2021; vgl. FP 10.2.2021). Und so ist das Mandat des Parlaments im Dezember 2020 ausgelaufen (SG 8.2.2021), jenes von Präsident Farmaajo formell am 8.2.2021 (IP 12.2.2021; vgl. ECFR 16.2.2021). Damit verfügte Somalia im Feber 2021 plötzlich über keine legitime Regierung mehr, und Präsident Farmaajo weigerte sich sein Amt abzugeben (ECFR 16.2.2021).

Die Präsidenten von Puntland und Jubaland (FP 10.2.2021; vgl. Sahan 22.2.2021) sowie eine Allianz aus 14 Präsidentschaftskandidaten, darunter die ehemaligen Präsidenten Hassan Sheikh Mohamed und Sharif Sheikh Ahmed, haben Farmaajo danach nicht mehr als Präsidenten anerkannt (Sahan 9.2.2021b; vgl. IP 12.2.2021, FP 10.2.2021). Somalia stürzte in eine schwere Verfassungs- und politische Krise (Sahan 9.2.2021a). Dabei hat das Versagen, einen Kompromiss zu finden, nicht nur den demokratischen Prozess unterminiert, es hat die Sicherheit Somalias vulnerabel gemacht (FP 10.2.2021). Denn al Shabaab hat sich die politische Krise zu Nutzen gemacht und die Angriffe seit Anfang 2021 verstärkt (IP 12.2.2021).

Ende Feber und Anfang März 2021 wurden neuerliche Verhandlungen über eine Umsetzung des beschlossenen Wahlsystems angesetzt – auf Druck der internationalen Gemeinschaft (AMISOM 3.3.2021; vgl. UNSOM 2.3.2021). Die Verhandlungen verliefen ohne Ergebnis. Daraufhin hat das parlamentarische Unterhaus ein Gesetz verabschiedet, mit welchem die Legislaturperiode des Parlaments und auch die Amtszeit des Präsidenten um zwei Jahre verlängert wurden. Das National Salvation Forum - eine Allianz der Präsidentschaftskandidaten und der Präsidenten von Puntland und Jubaland - hat diesen Vorgang scharf zurückgewiesen. In der Folge kam es in Mogadischu zwischen Kräften der Regierung und Kräften der Opposition am 25.4.2021 zu Kampfhandlungen. Am 1.5.2021 wurde das Gesetz schließlich vom Parlament zurückgezogen und man kehrte zum Abkommen vom September 2020 zurück. Neuer Verantwortlicher für die Umsetzung der Wahlen ist nun Premierminister Roble. Dieser hat in Verhandlungen mit der Allianz der Präsidentschaftskandidaten am 5.5.2021 eine Einigung zur Entflechtung [Disengagement] bzw. zum Rückzug der jeweiligen bewaffneten Kräfte in ihre Stützpunkte erzielt (UNSC 19.5.2021, Abs. 3-11). Ende Mai 2021 wurden - nach enormem nationalen und internationalen Druck - Verhandlungen wieder aufgenommen. Maßgeblich verantwortlich dafür war wieder Premierminister Roble (TNH 20.5.2021). Am 27.5.2021 wurde eine Einigung verkündet, demnach sollen die Wahlen im Sommer 2021 stattfinden (BAMF 31.5.2021). Nach neueren Angaben sind die Präsidentschaftswahlen für den 10.10.2021 angesetzt (TSD 29.6.2021). Nun stolpert das Land also in Richtung eines stark verzögerten und komplexen Wahlvorganges, der wieder von Clanältesten getragen werden wird (BBC 31.5.2021). Derweil höhlt al Shabaab den immer noch angeschlagenen Staat in Somalia aus (ACCORD 31.5.2021, S. 8).

Föderalisierung: Auch wenn die Entscheidung zur Föderalisierung umstritten war, und die Umsetzung von Gewalt begleitet wurde, konnten neue Bezirks- und Regionalverwaltungen etabliert werden. Neben Puntland wurden in den letzten Jahren vier neue Bundesstaaten geschaffen: Galmudug, Jubaland, South-West State (SWS) und HirShabelle. Somaliland wird als sechster Bundesstaat erachtet (BS 2020, S. 10; vgl. AI 13.2.2020, S. 13). Offen sind noch der finale Status und die Grenzen der Hauptstadtregion Benadir/Mogadischu (Banadir Regional Administration/BRA) (AI 13.2.2020, S. 13). Die Bildung der Bundesstaaten erfolgte im Lichte der Clanbalance: Galmudug und HirShabelle für die Hawiye; Puntland und Jubaland für die Darod; der SWS für die Rahanweyn; Somaliland für die Dir. Allerdings finden sich in jedem Bundesstaat Clans, die mit der Zusammensetzung ihres Bundesstaates unzufrieden sind, weil sie plötzlich zur Minderheit wurden (BFA 8.2017, S. 55f).

Grundsätzlich gibt es politische Uneinigkeit über die Frage, ob Bundesstaaten semi-autonom sein sollen oder ob mehr Macht bei der Bundesregierung zentralisiert sein soll (ISS 15.12.2020). Zahlreiche Befugnisse wurden nicht geklärt. Das betrifft die Verteidigung, welche militärischen Truppen und Polizeieinheiten vor Ort eingesetzt werden können, die Frage der Ressourcenverteilung, die Verteilung von internationalen Hilfsgeldern. Auch Entwicklungszusammenarbeitsprojekte werden über die Zentralregierung in Mogadischu abgewickelt, und die Verteilung auf die Regionen ist strittig, ebenso die Fragen, wer welche „Hoheiten“ über welche Verträge hat (ACCORD 31.5.2021, S. 4).

Generell versuchte Farmaajo die Macht wieder zu zentralisieren (TNYT 14.4.2021). Dass in vier der fünf Bundesstaaten im Zeitraum 2018-2019 eine neue Führung gewählt werden sollte, sah die Bundesregierung als Chance, sich durch die Platzierung loyaler Präsidenten Einfluss zu verschaffen. Dementsprechend mischte sich die Bundesregierung in die Wahlen ein (HIPS 2020, S.1/4ff; vgl. ECFR 16.2.2021). So hat etwa der Geheimdienst NISA die Zusammensetzung von Wahlversammlungen manipuliert (TNYT 14.4.2021). Zudem hat sie Truppen entsendet, um die politische Kontrolle zu erlangen (ECFR 16.2.2021). Die Präsidenten von HirShabelle, dem SWS und von Galmudug gelten nunmehr als der somalischen Bundesregierung freundlich gesinnt (Sahan 11.2.2021b). Schließlich hat Farmaajo Somalia aber an den Rand eines institutionellen Kollaps’ geführt (ECFR 16.2.2021).

Bei der Auseinandersetzung zwischen Bundesregierung und Bundesstaaten kommt u. a. die Krise am Golf zu tragen: Der Konflikt zwischen den Vereinten Arabischen Emiraten (VAE) – unterstützt von Saudi-Arabien – und Katar – unterstützt von der Türkei – wurde auch nach Somalia exportiert und trägt dort erheblich zur Vertiefung der Spaltung bei (BS 2020, S. 41). Zudem leidet AMISOM an den Spannungen zwischen der Bundesregierung und dem Nachbarland Kenia sowie am Konflikt in Äthiopien – beide Staaten sind Truppensteller (ISS 15.12.2020).

Quellen:

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•        ACCORD - Austrian Centre for Country of Origin & Asylum Research and Documentation / Höhne, Markus / Bakonyi, Jutta (31.5.2021): Somalia - Al-Schabaab und Sicherheitslage; Lage von Binnenvertriebenen und Rückkehrer·innen [sic]; Schutz durch staatliche und nicht-staatliche Akteure; Dokumentation zum COI-Webinar mit Markus Höhne und Jutta Bakonyi am 5. Mai 2021, https: //www.ecoi.net/en/file/local/2052555/20210531_COI-Webinar+Somalia_ACCORD_Mai+2021.pdf , Zugriff 28.6.2021

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•        BAMF - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (31.5.2021): Briefing Notes,https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Behoerde/Informationszentrum/BriefingNotes/202

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•        BBC - BBC News (18.1.2021): Somali concern at US troop withdrawal, https://www.bbc.com/news /world-africa-55677077 , Zugriff 3.2.2021

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•        Sahan - Sahan / Keydmedia (9.2.2021b): The Somali Wire Issue No. 78, per e-Mail, Originallink auf

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Banadir Regional Administration (BRA; Mogadischu)

Letzte Änderung: 07.07.2021

Noch vor zehn Jahren kontrollierte al Shabaab die Hälfte der Stadt, die gleichzeitig Schauplatz heftiger Grabenkämpfe war (BBC 18.1.2021). Heute hingegen ist Mogadischu unter Kontrolle von Regierung und AMISOM (PGN 2.2021, S. 1f). Generell hat sich die Lage für die Zivilbevölkerung in den vergangenen Jahren aber verbessert (FIS 7.8.2020, S. 4). Die Regierung unternimmt einiges, um die Sicherheit in der Stadt zu verbessern. So wurden etwa 20 zusätzliche Checkpoints errichtet und im Zeitraum November 2019 bis Jänner 2020 190 gezielte Sicherheitsoperationen durchgeführt (UNSC 13.2.2020, Abs. 18). Die Kapazitäten der Sicherheitsbehörden in Mogadischu haben sich verbessert, sie können nunmehr Gebiete kontrollieren, in welchen al Shabaab zuvor ungehindert agieren konnte (FIS 7.8.2020, S. 20). Im Jahr 2019 hat die Einrichtung neuer Checkpoints, die Besetzung dieser Kontrollpunkte mit frischen Truppen, die regelmäßigere Auszahlung des Soldes und die Rotation der Mannschaften zur Moral und Effizienz der Sicherheitskräfte und damit zur Verbesserung der Sicherheitslage in Mogadischu beigetragen. Al Shabaab kann weniger Material und Operateure nach Mogadischu schleusen (FIS 7.8.2020, S. 9f). Die Checkpoints haben also die Sicherheit verbessert (BMLV 25.2.2021).

Auch die Militäroperation Badbaado in Lower Shabelle hat die Fähigkeiten von al Shabaab, Sprengsätze herzustellen und nach Mogadischu zu transportieren, wesentlich vermindert (HIPS 2021, S. 20).

Allerdings werden solche Maßnahmen nicht permanent aufrecht erhalten; werden sie aber vernachlässigt, steigt auch wieder die Zahl an Anschlägen durch al Shabaab (FIS 7.8.2020, S. 9f). Die Checkpoints wurden teilweise wieder abgebaut (BMLV 25.2.2021). Zudem haben Teile der Sicherheitskräfte seit Monaten keinen Sold erhalten, im Feber 2021 hielten sich Soldaten in Mogadischu an den Bewohnern schadlos (SG 8.2.2021). In Mogadischu kommt es immer wieder auch zu Auseinandersetzungen der somalischen Sicherheitskräfte untereinander, bei denen nicht selten auch Unbeteiligte zu Schaden kommen (AA 3.12.2020). Insgesamt ist die Sicherheitslage in Mogadischu ständigen Änderungen unterworfen (FIS 7.8.2020, S. 4). So kam es etwa im Zuge der politischen Krise im Feber und dann wieder im April 2021 zu bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen der Bundesregierung loyalen Kräften einerseits und oppositionellen Kräften andererseits (UNSC 19.5.2021, Abs. 20f). Im Zuge dieser Krise haben sich unterschiedliche Fraktionen unterschiedliche Teile von Mogadischu „gesichert“ (BBC 31.5.2021). Hawiyemilizen der Opposition - zum Teil Soldaten der somalischen Armee - hatten große Teile der Stadt unter Kontrolle genommen, rund 200.000 Menschen haben die Stadt verlassen (TNH 20.5.2021). Anfang Mai 2021 wurden rund drei Viertel der Stadt von der Opposition kontrolliert (Sahan 5.5.2021) während sich die in der Stadt befindlichen Farmaajo-loyalen Kräfte maßgeblich aus - irregulären - Einheiten der NISA zusammensetzten (Sahan 4.5.2021).

Einerseits reicht die in Mogadischu gegebene Stärke der unterschiedlichen Sicherheitskräfte weiterhin nicht aus, um eine flächendeckende Präsenz sicherzustellen (BMLV 25.2.2021). Andererseits bietet die Stadt für al Shabaab alleine aufgrund der dichten Präsenz von Behörden und internationalen Organisationen viele attraktive Ziele (NLMBZ 3.2019, S. 23). Innerhalb der Stadt hat sich die Sicherheit zwar verbessert, al Shabaab kann aber nach wie vor Anschläge durchführen – wenngleich die Durchführung schwierigerer geworden ist (BMLV 25.2.2021). Täglich kommt es zu Zwischenfällen in Zusammenhang mit al Shabaab (FIS 7.8.2020, S. 5).

Es gilt als höchst unwahrscheinlich, dass al Shabaab die Kontrolle über Mogadischu zurückerlangt. In Mogadischu besteht kein Risiko, von al Shabaab zwangsrekrutiert zu werden. Aus einigen Gegenden flüchten junge Männer sogar nach Mogadischu, um sich einer möglichen (Zwangs-)Rekrutierung zu entziehen (BMLV 25.2.2021).

Bei einem Abzug von AMISOM aus Mogadischu droht hingegen die Rückkehr von al Shabaab (ICG 27.6.2019, S. 5; vgl. BBC 18.1.2021, BMLV 25.2.2021).

Geographische Situation: Al Shabaab ist im gesamten Stadtgebiet präsent, das Ausmaß ist aber sehr unterschiedlich (LIFOS 3.7.2019, S. 25f; vgl. BMLV 25.2.2021). Dabei handelt es sich um eine verdeckte Präsenz und nicht um eine offen militärische. Relevante Verwaltungsstrukturen gelten als von al Shabaab unterwandert (BMLV 25.2.2021). Die Gruppe kann weiterhin ins Stadtgebiet infiltrieren und auch größere Anschläge durchführen (UNSC 19.5.2021, Abs. 15). In Mogadischu betreibt al Shabaab nahezu eine Schattenregierung: Betriebe werden eingeschüchtert und „besteuert“ und eigene Gerichte sprechen Recht (BBC 18.1.2021). Jedenfalls verfügt al Shabaab über großen Einfluss in Mogadischu (FIS 7.8.2020, S.7) und ist in der Lage, nahezu im gesamten Stadtgebiet verdeckte Operationen durchzuführen bzw. Steuern und Abgaben einzuheben (FIS 7.8.2020, S. 13; vgl. BBC 23.11.2020). In den Außenbezirken hat al Shabaab größeren Einfluss, auch die Unterstützung durch die Bevölkerung ist dort größer (FIS 7.8.2020, S. 6f/12; vgl. BMLV 25.2.2021).

Anschläge und Attentate: Mogadischu bleibt ein Hotspot terroristischer Gewalt (ACCORD 31.5.2021, S. 11/14). Al Shabaab ermordet dort immer noch regelmäßig Menschen (BBC 23.11.2020). Üblicherweise zielt al Shabaab mit größeren (mitunter komplexen) Angriffen auf

Vertreter des Staates [„officials“], Gebäude und Fahrzeuge der Regierung, Hotels, Geschäfte,

Militärfahrzeuge und -Gebäude sowie Soldaten von Armee und AMISOM (LIFOS 3.7.2019, S. 23f). Nach anderen Angaben sind v.a. jene Örtlichkeiten betroffen, die von der ökonomischen und politischen Elite als Treffpunkte verwendet werden – z.B. Restaurants und Hotels (BS 2020, S. 14).

Nicht alle Teile von Mogadischu sind bezüglich Übergriffen von al Shabaab gleich unsicher. Ein ausschließlich von der Durchschnittsbevölkerung frequentierter Ort ist kein Ziel der al Shabaab (BMLV 25.2.2021). Die Hauptziele von al Shabaab befinden sich in den inneren Bezirken: militärische Ziele, Regierungseinrichtungen und das Flughafenareal (FIS 7.8.2020, S. 8). Die meisten Anschläge richten sich gegen Villa Somalia, Mukarama Road, Bakara-Markt, die Flughafenstraße und Regierungseinrichtungen (LIFOS 3.7.2019, S. 25f; vgl. FIS 7.8.2020, S. 25). Die Außenbezirke hingegen werden von manchen als die sichersten Teile der Stadt erachtet, da es dort so gut wie nie zu größeren Anschlägen kommt. Allerdings kommt es dort öfter zu gezielten Tötungen (FIS 7.8.2020, S. 6f/12).

Zivilisten: Generell unterstützt die Zivilbevölkerung von Mogadischu nicht die Ideologie von al Shabaab. Am Stadtrand ist die Unterstützung größer, die meisten Bewohner haben al Shabaab gegenüber aber eine negative Einstellung. Sie befolgen die Anweisungen der Gruppe nur deshalb, weil sie Repressalien fürchten. Al Shabaab agiert wie eine Mafia: Sie droht jenen mit ernsten Konsequenzen, welche sich Wünschen der Gruppe entgegensetzen (FIS 7.8.2020, S. 14f). Al Shabaab greift Zivilisten nicht spezifisch an (LIFOS 3.7.2019, S. 25). Diese leiden auf zwei Arten an der Gewalt durch al Shabaab: Einerseits sind jene einem erhöhten Risiko ausgesetzt, die in Verbindung mit der Regierung stehen oder von al Shabaab als Unterstützer der Regierung wahrgenommen werden (LIFOS 3.7.2019, S. 42). Andererseits besteht für Zivilisten das Risiko, bei Anschlägen zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein und so zum Kollateralschaden von Sprengstoffanschlägen und anderer Gewalt zu werden (LIFOS 3.7.2019, S. 25/42; vgl. FIS 7.8.2020, S. 24ff).

Bewegungsfreiheit: Auch wenn Mogadischu von Sicherheitskräften und AMISOM geschützt wird, kann al Shabaab indirekt Kontrolle ausüben. Dadurch wird die Mobilität der Stadtbewohner im Alltag eingeschränkt (LIFOS 3.7.2019, S. 21). Die Menschen wissen um diese Gefahr bestimmter Örtlichkeiten und versuchen daher, diese zu meiden. Sie bewegen sich in der Stadt, vermeiden aber unnötige Wege. Für viele Bewohner der Stadt ist die Instabilität Teil ihres Lebens geworden. Sie versuchen, Gefahren auszuweichen, indem sie Nachrichten mitverfolgen und sich gegenseitig warnen (FIS 7.8.2020, S. 25f). Zudem gibt es in Mogadischu mehrere hundert Straßensperren und Kontrollpunkte von Armee, Polizei und NISA. Einige davon sind permanent eingerichtet, andere werden mobil eingerichtet. Ob Gebühren oder illegale Abgaben verlangt werden, ist unklar (FIS 7.8.2020, S. 22f). Diese Checkpoints schränken die Bewegungsfreiheit mehr ein, als es die Bedrohung durch al Shabaab tut (BMLV 25.2.2021). Jedenfalls gehen die Sicherheitskräfte an derartigen Sperren mittlerweile verantwortungsvoller vor, die Situation hat sich verbessert. Es liegen keine Informationen vor, wonach es dort zu schweren Vergehen oder Übergriffen kommen würde (FIS 7.8.2020, S. 22f).

Die Gewaltkriminalität in der Stadt ist hoch. Monatlich sterben mehrere Menschen bei Raubüberfällen oder aus anderen Gründen verübten Morden (FIS 7.8.2020, S. 19).

Bei manchen Vorfällen ist unklar, von wem oder welcher Gruppe die Gewalt ausgegangen ist; Täter und Motiv bleiben unbekannt. Es kommt zu Rachemorden zwischen Clans, zu Gewalt aufgrund wirtschaftlicher Interessen oder aus politischer Motivation. Lokale Wirtschaftstreibende haben in der Vergangenheit auch schon al Shabaab engagiert, um Auftragsmorde durchzuführen (FIS 7.8.2020, S. 5). Gleichzeitig haben die Bewohner eine hohe Hemmschwelle, um sich an die Polizei zu wenden. Das Vertrauen ist gering (FIS 7.8.2020, S. 15/20; vgl. BMLV 25.2.2021). Die Fähigkeit der Behörden, bei kleineren Delikten wie etwa Diebstahl zu intervenieren, ist derart gering, dass Menschen keinen Nutzen darin sehen, Anzeige zu erstatten. Hat eine Person Angst vor al Shabaab, dann kann ein Hilfesuchen bei der Polizei – aufgrund der Unterwanderung selbiger – die Gefahr noch verstärken. Die Polizei ist auch nicht in der Lage, Menschen bei gegebenen Schutzgeldforderungen seitens al Shabaab zu unterstützen (FIS 7.8.2020, S. 15/20).

Die Kapazitäten des sogenannten Islamischen Staates sind in Mogadischu sehr beschränkt (FIS 7.8.2020, S. 18).

Vorfälle: 2020 waren die Bezirke Dayniile (28 Vorfälle), Dharkenley (35), Hodan (39) und Yaqshiid (22), in geringerem Ausmaß die Bezirke Hawl Wadaag (17), Heliwaa (14), Karaan (18) und Wadajir/Medina (19) von Gewalt betroffen. Zivilisten waren 2020 v.a. in den Bezirken Dharkenley, Hawl Wadaag, Hodan, in geringerem Ausmaß in Dayniile (15 Vorfälle), Dharkenley (16), Hodan (18) und Yaqshiid (12) von gegen sie gerichteter Gewalt betroffen (ACLED - siehe Tabelle weiter unten).

In Benadir/Mogadischu lebten einer Schätzung im Jahr 2014 zufolge ca. 1,65 Millionen Menschen (UNFPA 10.2014, S. 31f). Im Vergleich dazu meldete die ACLED-Datenbank im Jahr 2019 insgesamt 134 Zwischenfälle, bei welchen gezielt Zivilisten getötet wurden (Kategorie „violence against civilians“). Bei 120 dieser 134 Vorfälle wurde jeweils ein Zivilist oder eine Zivilistin getötet. Im Jahr 2020 waren es 96 derartige Vorfälle (davon 86 mit je einem Toten). Die Zahl an Zwischenfällen mit Todesopfern (meist ein Todesopfer) in der Region Benadir entwickelte sich in den vergangenen Jahren folgendermaßen (es bleibt zu berücksichtigen, dass es je nach Kontrolllage und Informationsbasis zu over- bzw. under-reporting kommen kann; die Zahl der Todesopfer wird aufgrund der Schwankungsbreite bei ACLED nicht berücksichtigt):

Quelle: (ACLED 2016) (ACLED 2017) (ACLED 2019) (ACLED 2020) (ACLED 2021)

Dabei handelte es sich laut ACLED Datenbank bei folgenden Fällen um „Violence against Civilians“ (es handelt sich hierbei jedoch um keine exakten Zahlen, daACLED einige Unschärfen aufweist; auch „normale“ Morde sind inkludiert):

Quelle: (ACLED 2016) (ACLED 2017) (ACLED 2019) (ACLED 2020) (ACLED 2021)

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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