TE OGH 2021/9/28 2Ob157/20g

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Veröffentlicht am 28.09.2021
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Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Veith als Vorsitzenden und den Hofrat Dr. Musger, die Hofrätin Dr. Solé sowie die Hofräte Dr. Nowotny und Mag. Pertmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei 1. M***** GmbH und 2. T***** M*****, beide vertreten durch Dr. Herbert Pochieser, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Verband der Versicherungsunternehmen Österreichs, Wien 3, Schwarzenbergplatz 7, vertreten durch Dr. Elisabeth Messner, Rechtsanwältin in Wien, wegen (erstklagende Partei) 33.124,73 EUR sA sowie (zweitklagende Partei) 11.124,59 EUR sA und Feststellung (Streitwert: 500 EUR), über den Rekurs der erstklagenden Partei (Rekursinteresse: 32.200 EUR) gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 8. Juni 2020, GZ 12 R 96/19d-64, womit infolge Berufung der erstklagenden Partei das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 30. Juli 2019, GZ 24 Cg 52/17v-57, teilweise aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

1. Der Antrag der erstklagenden Partei auf Anberaumung einer mündlichen Rekursverhandlung wird abgewiesen.

2. Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben und die Rechtssache wird zur neuerlichen Entscheidung über die Berufung der erstklagenden Partei an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Kosten im Verfahren über die Berufung der erstklagenden Partei.

Text

Begründung:

[1]            Am 4. 11. 2013 wurde der vom Zweitkläger gelenkte Klein-LKW Chevrolet Silverado LCT der erstklagenden Partei bei einer Kollision mit einem in Deutschland zugelassenen Sattelzug beschädigt. Der Unfall ereignete sich in Österreich. Das Verschulden trifft den Lenker des Beklagtenfahrzeugs, für den die beklagte Partei einzustehen hat.

[2]            Das Klagsfahrzeug war im Jahr 2008 aus den USA importiert und in Österreich einzelgenehmigt worden, wobei auch einige Umbauten vorgenommen werden mussten. Es wies zum Unfallszeitpunkt 60.000 km auf und verfügte über einen Aufbau mit zweitüriger Doppelkabine (extended cab) sowie eine lange Ladefläche (long bed). Außerdem war es mit diversen Extras ausgestattet. Da es nach dem Unfall nicht mehr fahrtüchtig war, musste ein anderes Fahrzeug als Ersatz angeschafft werden. Ein dem Klagsfahrzeug gleichwertiges Fahrzeugmodell ist weder in Österreich noch in Deutschland erhältlich. In den USA wäre ein mit dem Klagsfahrzeug in Motorisierung, Karosserieform und Ausstattung vergleichbares Fahrzeug unmittelbar nach dem Unfall erhältlich gewesen. Um ein vergleichbares Fahrzeug wiederbeschaffen zu können, müsste ein Gebrauchtfahrzeug in den USA gekauft, importiert und einzeltypisiert werden.

[3]            Gegenstand des Rechtsmittelverfahrens ist nur mehr die Höhe des der erstklagenden Partei zu ersetzenden Fahrzeugschadens.

[4]            Die erstklagende Partei begehrte zuletzt 33.124,73 EUR sA an Schadenersatz. Sie brachte vor, das Fahrzeug habe im Unfallszeitpunkt einen Wiederbeschaffungswert von 62.220 EUR gehabt, da es sich um ein eigens aus den USA importiertes und durch Extras und Umbauten umfangreich verändertes Fahrzeug gehandelt habe. Infolge einer im Verlauf des Prozesses geleisteten Zahlung der beklagten Partei in Höhe von 30.000 EUR hafte der Anspruch auf Ersatz des Fahrzeugschadens mit 32.220 EUR sA aus. Dazu kämen weitere Schäden im Gesamtbetrag von 904,73 EUR.

[5]            Die beklagte Partei wendete ein, der Neuwert des Fahrzeugs habe 33.000 USD betragen, sodass der geltend gemachte Schadenersatzbetrag weit überhöht sei. Es sei jedenfalls nur der gemeine Wert zu ersetzen, weil dem Lenker des Beklagtenfahrzeugs kein grobes Verschulden anzulasten sei. Die erstklagende Partei habe nicht einmal behauptet, dass sie ein gleiches Ersatzfahrzeug angeschafft habe, sodass evident sei, dass eine Ersatzabsicht im Hinblick auf ein gleiches Fahrzeug nicht bestehe. Ein Zuspruch über das Ausmaß des objektiven Minderwerts hinaus, also ein bloß fiktiver Ersatz, komme daher nicht in Betracht.

[6]            Das Erstgericht wies das Klagebegehren der erstklagenden Partei ab. Es stellte noch fest:

[7]            Unter Berücksichtigung des Alters und der Laufleistung des Fahrzeugs ist in den USA mit einem Kaufpreis von ca 25.000 EUR zu rechnen. Zuzüglich Transportkosten, Zollabgaben, Hinzurechnung der Umsatzsteuer in Höhe von 20 %, der erforderlichen Adaptierungs- und Umbaukosten und der Typisierungskosten ergibt sich ein zu erwartender Wiederbeschaffungswert in Österreich von 50.000 EUR brutto. Feststellungen über die konkreten Reparaturkosten konnten nicht getroffen werden. Es liegt ein technischer Totalschaden vor, weil Ersatzteile zeitaufwändig aus den USA zu beschaffen wären und auch diese Kosten nicht kalkulierbar sind. Der Restwert des Klagsfahrzeugs beträgt brutto 5.800 EUR. Das Fahrzeug war im Ankaufsjahr 2008 inklusive Umbaukosten mit einem Gesamtbetrag von 38.363 EUR brutto als Anlagevermögen in die Buchhaltung der erstklagenden Partei aufgenommen worden. Dieser Wert würde entsprechend der Nutzung einen Zeitwert zum Unfallszeitpunkt von ca 26.000 EUR brutto ergeben.

[8]            Rechtlich vertrat das Erstgericht die Ansicht, beim geltend gemachten Fahrzeugschaden handle es sich um einen Totalschaden, da eine Reparatur des beschädigten Fahrzeugs unmöglich bzw unwirtschaftlich erscheine. Der konkrete Fall sei vor allem dadurch gekennzeichnet, dass bereits für eine Reparatur Ersatzteile aus dem Ausland kostenaufwändig beigeschafft werden müssten und der Aufwand daher nicht abschätzbar sei. Mangels eines auf dem europäischen Fahrzeugmarkt erhältlichen gleichwertigen Fahrzeugs sei auch die Ermittlung des Wiederbeschaffungswerts nicht möglich. Da beim Geschädigten durch den Schadenersatz keine Bereicherung stattfinden dürfe, könne im vorliegenden Fall nicht der rechnerisch mit 50.000 EUR angesetzte Wiederbeschaffungswert des Fahrzeugs herangezogen werden. Vielmehr sei der Berechnung des Schadenersatzanspruchs, der sich aus dem Buchwert des Klagsfahrzeugs im Anlagevermögen der erstklagenden Partei ergebende Bruttozeitwert von 26.000 EUR, abzüglich des Restwerts von 5.800 EUR brutto, heranzuziehen. Somit ergebe sich ein Schadenersatzanspruch der erstklagenden Partei für den Fahrzeugschaden in Höhe von 20.200 EUR. Im Hinblick auf die während des Verfahrens erfolgte Zahlung von 30.000 EUR hafte kein weiterer Anspruch der erstklagenden Partei aus.

[9]            Das von der erstklagenden Partei gegen die Abweisung des Anspruchs auf Ersatz des restlichen Fahrzeugschadens von 32.220 EUR sA angerufene Berufungsgericht hob das erstinstanzliche Urteil in diesem Umfang auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurück. Es sprach aus, dass der Rekurs an den Obersten Gerichtshof zulässig sei.

[10]           Das Berufungsgericht äußerte bei Behandlung der Beweisrüge Bedenken gegen die auf dem Gutachten eines Sachverständigen beruhenden Feststellungen zu den Adaptierungs- und Umbaukosten sowie zu den Kosten der Typisierung (nicht aber zu jenen über Kaufpreis und Transportkosten), die es für erörterungsbedürftig hielt. Die Sache wäre daher noch nicht spruchreif, wäre für die Höhe des Schadenersatzanspruchs auf den Wiederbeschaffungswert abzustellen. Dies sei jedoch nicht der Fall. Die beklagte Partei habe vorgebracht, dass die erstklagende Partei gar nicht die Absicht habe, wieder ein gleiches Fahrzeug anzuschaffen. Dies sei von der erstklagenden Partei nicht bestritten worden und sei daher der rechtlichen Beurteilung als unstrittig zugrundezulegen. Demnach entstehe der erstklagenden Partei kein Wiederbeschaffungsaufwand. Wenn aber der Geschädigte weder Reparatur noch Beschaffung einer Ersatzsache, also keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (Naturalrestitution) wünsche, stehe ihm bloßer Wertersatz nach dem Verkaufswert der Sache zu. Da die erstklagende Partei die Anschaffung eines ihrem bei dem Unfall beschädigten Fahrzeug gleichwertigen Ersatzfahrzeugs gar nicht anstrebe, sei ein schützenswertes Interesse am Ersatz der geltend gemachten (einen rein fiktiven Aufwand darstellenden) Wiederbeschaffungskosten zu verneinen. Ihr tatsächlicher Schaden bestehe in jenem Wert, den das Fahrzeug zum Unfallszeitpunkt (bzw unmittelbar davor) in ihrem Vermögen repräsentiert habe. Dieser komme in jenem Preis zum Ausdruck, den die erstklagende Partei bei einem Verkauf des Fahrzeugs erzielen hätte können. Im fortgesetzten Verfahren werde zu ermitteln sein, welchen Verkaufspreis das Fahrzeug im November 2013 vor dem Unfall gehabt habe. Der der erstklagenden Partei zustehende Schadenersatzanspruch ergebe sich sodann aus der Differenz zwischen dem Verkaufswert vor dem Unfall und dem Restwert.

[11]     Das Berufungsgericht ließ den Rekurs an den Obersten Gerichtshof zur Frage zu, ob der Eigentümer eines Kraftfahrzeugs, an dem bei einem Verkehrsunfall Totalschaden eingetreten sei, vom Haftpflichtigen Schadenersatz in Höhe der Differenz zwischen Wiederbeschaffungswert und Wrackwert oder nur in Höhe der Differenz zwischen Verkaufswert und Wrackwert verlangen könne, wenn feststehe, dass er nicht beabsichtige, das beschädigte Fahrzeug durch ein gleichwertiges Fahrzeug zu ersetzen.

[12]     Gegen diese Entscheidung richtet sich der Rekurs der erstklagenden Partei mit dem Antrag, eine mündliche Rekursverhandlung anzuberaumen und den angefochtenen Beschluss als nichtig aufzuheben, hilfsweise ihn dahin abzuändern, dass dem Klagebegehren (im noch streitverfangenen Umfang) stattgegeben werde. Als weitere Eventualanträge werden (weitere) Aufhebungsanträge gestellt.

[13]     Die beklagte Partei beantragt in ihrer Rekursbeantwortung, den Rekurs zurückzuweisen, hilfsweise ihm nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[14]           Der Rekurs ist zulässig, weil das Berufungsgericht von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Ermittlung der objektiven Wertminderung bei der Beschädigung von Kraftfahrzeugen abgewichen ist. Er ist im Sinne einer Aufhebung der zweitinstanzlichen Entscheidung auch berechtigt.

[15]           Die erstklagende Partei macht geltend, das Berufungsverfahren sei nichtig, weil das Berufungsgericht das Vorbringen der beklagten Partei, wonach eine Absicht zur Anschaffung eines gleichwertigen Ersatzfahrzeugs nicht bestehe, berücksichtigt habe, obwohl der dieses enthaltende Schriftsatz an die erstklagende Partei nicht zugestellt worden sei. Das Berufungsgericht habe überdies zu Unrecht eine dahingehende Außerstreitstellung der erstklagenden Partei angenommen. Es habe sich bei Behandlung der Beweisrüge mit dem von der erstklagenden Partei vorgelegten Privatgutachten, das zu anderen Ergebnissen als der gerichtlich bestellte Sachverständige gekommen sei, nicht ausreichend auseinandergesetzt. Bei der Ermittlung des Austauschwerts des beschädigten Fahrzeugs sei der Ankaufswert, somit jener Betrag heranzuziehen, um den es im Verkehr angeschafft werden könne.

Hiezu wurde erwogen:

[16]     1. Die Durchführung einer mündlichen Rekursverhandlung ist in den Fällen des § 519 Abs 1 Z 2 ZPO in analoger Anwendung des § 509 Abs 2 ZPO zwar möglich (RS0122288), im vorliegenden Fall aber jedenfalls entbehrlich, sodass der diesbezügliche Antrag der Rekurswerberin abzuweisen war.

[17]     2. Mit dem Rekurs gegen einen Aufhebungsbeschluss kann auch allein dessen Begründung angefochten werden und zwar auch von jener Partei, aufgrund deren Rechtsmittel die Aufhebung erfolgt ist; Grund dafür ist, dass das Erstgericht im fortgesetzten Verfahren an die dem Beschluss zugrunde liegende Rechtsansicht gebunden ist (RS0007094).

[18]           3. Sowohl der Schriftsatz der beklagten Partei vom 4. 5. 2017 (ON 13) als auch das Ergänzungsgutachten des kraftfahrzeugtechnischen Sachverständigen vom 16. 7. 2017, das der erstklagenden Partei am 19. 7. 2017 zugestellt wurde und zu dem sie sich in der Folge auch schriftlich geäußert hat, wurden in der Tagsatzung vom 14. 2. 2018 in Anwesenheit des Klagevertreters verlesen. Schon deshalb liegt die behauptete Nichtigkeit wegen Verletzung des rechtlichen Gehörs nicht vor.

[19]           4. Das Berufungsgericht hat sich eingehend mit den Abweichungen zwischen dem Gutachten des vom Erstgericht bestellten Sachverständigen und dem von der erstklagenden Partei vorgelegten Privatgutachten auseinandergesetzt. Angelegenheiten der Beweiswürdigung sind ausschließlich von den Tatsacheninstanzen zu behandeln und können nicht an den Obersten Gerichtshof herangetragen werden (vgl RS0043371). Dazu gehört auch die Beurteilung der Vollständigkeit und Schlüssigkeit eines Sachverständigengutachtens (vgl RS0113643 [T1, T7]). Auch die Frage, welche Bedeutung die Tatsacheninstanzen einem von einer Partei vorgelegten Privatgutachten beigemessen haben, betrifft die in dritter Instanz nicht angreifbare Beweiswürdigung (vgl RS0043291 [T3]). Diese Rechtsmittelbeschränkung kann auch nicht dadurch umgangen werden, dass ein unerwünschtes Ergebnis der Behandlung der Beweisrüge als Mangel des Berufungsverfahrens releviert wird (vgl 1 Ob 14/20w; RS0043371 [T28]). Mittels Rechtsrüge wären die Gutachtensergebnisse nur bekämpfbar, wenn dabei ein Verstoß gegen zwingende Denkgesetze oder zwingende Gesetze des sprachlichen Ausdrucks unterlaufen wäre (vgl RS0043404). Solche Verstöße zeigt die Rekurswerberin jedoch nicht auf. Auf die aufgrund der vom Obersten Gerichtshof nicht geteilten Rechtsansicht des Berufungsgerichts nicht zur Gänze erledigte Beweisrüge wird noch zurückzukommen sein (siehe Punkt 8.).

[20]           5. Dem Umstand, ob die erstklagende Partei vor hat, ein vergleichbares Fahrzeug zu erwerben, kommt keine rechtliche Relevanz zu (dazu sogleich). Ob insoweit die Voraussetzungen für die Annahme eines schlüssigen Geständnisses iSv § 267 ZPO vorlagen, kann daher dahinstehen.

[21]     6. Die Beurteilung des Schadenersatzanspruchs richtet sich nach österreichischem Recht (Art 3 und Art 8 HStVÜ). Danach ist zur Ermittlung der objektiven Wertminderung des beschädigten Fahrzeugs der Wiederbeschaffungswert heranzuziehen:

[22]           6.1 Wurde eine Sache völlig zerstört und beruhte das Verhalten des Schädigers – wie in dritter Instanz unstrittig auch im vorliegenden Fall – auf leichter Fahrlässigkeit, so ist nach § 1332 ABGB der gemeine Wert der Sache zu ersetzen. Dieser besteht iSd § 305 ABGB in dem zu schätzenden Nutzen, den die Sache mit Rücksicht auf Zeit und Ort gewöhnlich und allgemein leistet, in der Regel also im Verkehrswert (RS0113651). Der Austauschwert bestimmt sich nach jenem Betrag, um den die Sache im Verkehr wieder angeschafft werden kann. Dazu ist nach der Rechtsprechung auf den Einkaufswert und nicht auf den Verkaufswert abzustellen, weil der Geschädigte vorrangig in die Lage versetzt werden soll, sich eine entsprechende Sache wieder anzuschaffen (8 Ob 43/17g; 10 Ob 27/16t; 1 Ob 143/04t; 1 Ob 54/03b; vgl RS0010075; RS0031865). Dass es dabei auf die tatsächliche Absicht einer Ersatzbeschaffung ankommen soll, geht aus diesen Entscheidungen nicht hervor. Auch in der Entscheidung 5 Ob 65/16v hielt der Oberste Gerichtshof an diesen Grundsätzen fest, jedoch war dort bei der Ermittlung des Wiederbeschaffungswerts für abhanden gekommene Kunstwerke (Bilder) zu berücksichtigen, dass dafür lediglich ein „Verkäufermarkt“ bestand, weshalb der bei Auktionen zu erzielende Preis als ausschlaggebend erachtet wurde.

[23]           6.2 Das Erstgericht hat die unbekämpfte Feststellung getroffen, es liege ein „technischer“ Totalschaden vor. Das Tatsachensubstrat dieser Feststellung liegt darin, dass die Instandsetzung – etwa wegen fehlender Ersatzteile – technisch nicht mehr möglich ist (vgl Wielke/Pfeffer, Handbuch des Verkehrsunfalls II³ Rz 403). Die Streitteile wenden sich auch nicht gegen die darauf gegründete Ansicht des Berufungsgerichts, am beschädigten Klagsfahrzeug sei (rechtlich) ein Totalschaden eingetreten. In einem solchen Fall besteht nach ständiger Rechtsprechung die vom Schädiger zu ersetzende objektive Wertminderung aus der Differenz zwischen dem Wiederbeschaffungswert in unbeschädigtem Zustand (idR Ankaufswert bei einem seriösen Gebrauchtfahrzeughändler; RS0010075 [T2]) und dem Verkaufswert des Wracks. Ob der Geschädigte die Absicht hat, ein gleichwertiges Ersatzfahrzeug anzuschaffen, wird dabei ebenfalls nicht als entscheidend angesehen (vgl 10 Ob 27/16t; 2 Ob 18/13f ua). Selbst in jenen Fällen, in denen ein Reparaturkostenvorschuss mangels Reparaturabsicht nicht zusteht (vgl zuletzt 2 Ob 150/20b; 1 Ob 105/19a; vgl RS0022844), wird der Ermittlung der dann höchstens zu ersetzenden objektiven Wertminderung des beschädigten Fahrzeugs der Wiederbeschaffungswert zugrunde gelegt (vgl 2 Ob 249/08v).

[24]           6.3 Diese gefestigte Rechtsprechung ist in Teilen der Lehre auf Kritik gestoßen. Dem Abstellen auf den Wiederbeschaffungswert liege das Integritätsinteresse des Geschädigten zugrunde, der in die Lage versetzt werden solle, sich eine entsprechende Sache wieder anzuschaffen. Dies sei aber nur dann gerechtfertigt, wenn der Geschädigte auch den Willen habe, sich eine Ersatzsache zu beschaffen. Wünsche er weder Reparatur noch Beschaffung einer Ersatzsache, also keine „Naturalrestitution“, stehe bloßer Wertersatz zu, der sich nach dem Verkaufswert der Sache im Zeitpunkt der Schädigung richte (Koziol, Haftpflichtrecht4 677 f; Hinteregger in Klete?ka/Schauer, ABGB-ON1.05 § 1332 Rz 3; dieselbe, Die Berechnung des Kfz-Schadens aus juristischer Perspektive, ZVR 2014, 480 [487]; Karner, Sachschadenersatz in Österreich, ZVR 2010, 476 [477]; Huber, Fragen der Schadensberechnung² [1995] 156 ff; derselbe, Aktuelle Fragen des Sachschadens [Teil II], ÖJZ 2005/12; Reischauer in Rummel³ § 1332 Rz 14). Wenn dem Geschädigten an der Restitution des Nutzungspotentials der beschädigten oder zerstörten Sache nicht mehr gelegen sei, führe die Bemessung seines Ersatzanspruchs durch Zubilligung eines dann bloß fiktiven Wiederbeschaffungswerts zu einer Überkompensation. Denn der Geschädigte könne durch das schädigende Ereignis den Sach- in einen Geldwert umwandeln, der ihm ohne dieses nicht zukäme. Würde er ohne schädigendes Ereignis das Kraftfahrzeug veräußern, bekäme er lediglich den Händlereinkaufspreis. War dem Geschädigten an der Sache nur noch als Bestandteil seines Vermögens gelegen, sei der Ermittlung des objektiven Werts der Veräußerungswert zugrunde zu legen (ausführlich Huber, Fragen der Schadensberechnung 156 ff; derselbe, Aktuelle Fragen des Sachschadens [Teil II], ÖJZ 2005/12).

[25]           6.4 Dem ist im Sinne der überzeugenden Ausführungen von Apathy (Aufwendungen zur Schadensbeseitigung [1979] 83 ff) entgegen zu halten, dass der Ersatz nach dem Wiederbeschaffungswert keine Berechnung eines konkreten Schadens bedeutet, sondern die objektiv-abstrakte Ermittlung des Werts der beschädigten oder zerstörten Sache. Der Gedanke, dass der Geschädigte in die Lage versetzt werden soll, sich einen Ersatzgegenstand anzuschaffen, ist im Zusammenhang mit der Schadensberechnung nach § 1332 ABGB nicht dahin zu verstehen, dass eine reale Naturalherstellung beabsichtigt sei. Der Geschädigte soll lediglich objektiv-abstrakt, also rechnerisch, so gestellt werden, als wäre ihm kein Nachteil entstanden. Daher kommt es darauf an, welchen Wert die beschädigte oder zerstörte Sache typischer Weise und ohne Rücksicht auf die konkreten Verhältnisse für einen vergleichbaren Geschädigten im Zeitpunkt der Schädigung hat. Ist der Geschädigte weder Produzent der Sache oder Wiederverkäufer (Händler; vgl dazu 10 Ob 27/16t [Händlereinkaufswert]), besteht für ihn der gewöhnliche Nutzen im Regelfall in deren Gebrauch. Das Wertinteresse des Geschädigten bemisst sich in einem solchen Fall danach, was er aufzubringen hat, um sich den Gebrauch dieser Sache zu verschaffen. Es ist dies der Wiederbeschaffungswert. Der (idR niedrigere) Verkaufspreis entspricht hingegen nicht dem gewöhnlichen Nutzen der Sache und dem so verstandenen Wertinteresse des Geschädigten (vgl auch Apathy, Rezension von Huber, Fragen der Schadensberechnung [1993], JBl 1994, 495 [496]).

[26]           6.5 Auch nach nochmaliger Prüfung sieht der erkennende Senat, insbesondere aufgrund der nach wie vor überzeugenden Überlegungen Apathys, keinen Anlass, von der erörterten und gefestigten Rechtsprechung abzugehen, wonach bei Vorliegen eines (wirtschaftlichen oder „technischen“) Totalschadens die auf die Beschaffung einer gleichwertigen Ersatzsache gerichtete Absicht des Geschädigten keine Voraussetzung für die Abrechnung des Schadens nach dem Wiederbeschaffungswert (abzüglich eines allfälligen Restwerts) ist.

[27]           7. Bei der Ermittlung des Wiederbeschaffungswerts ist auf den Wohnort des Geschädigten abzustellen:

[28]           7.1 Für den Wiederbeschaffungswert kommt es auf die Marktverhältnisse am Wohnort (Sitz) des Geschädigten an (2 Ob 249/08v; 8 Ob 3/86; Hinteregger in Klete?ka/Schauer, ABGB-ON1.05 § 1332 Rz 3). Maßgeblich ist daher jener Betrag, der am Wohnort des Geschädigten aufgewendet werden muss, um sich eine gleichwertige Sache zu beschaffen.

[29]           7.2 Dabei ist nicht entscheidend, ob in Österreich ein gleichwertiges Ersatzfahrzeug erworben werden kann. Besteht die Möglichkeit, ein solches Fahrzeug im Ausland zu erwerben, ist maßgeblich, welche Kosten am Wohnort des Geschädigten dafür aufgewendet werden müssen (8 Ob 3/86).

[30]           7.3 Im vorliegenden Fall war ein dem Klagsfahrzeug gleichwertiges Fahrzeugmodell zwar weder in Österreich noch in Deutschland erhältlich, wohl aber in den USA. Das Ersatzfahrzeug müsste – wie schon seinerzeit das Klagsfahrzeug – in den USA erworben und nach Österreich eingeführt werden. Der Wiederbeschaffungswert richtet sich daher nach dem Ankaufspreis eines vergleichbaren Fahrzeugs in den USA. Schon dieser hat sich nach einem Fahrzeug mit vergleichbarer (Sonder-)Ausstattung zu richten (2 Ob 11/96; RS0030404). Hinzu kommen noch die Transportkosten und die für eine Zulassung in Österreich erforderlichen Adaptierungs-/Umbaukosten sowie die Typisierungskosten. Ebenso sind jene Abgaben zu ersetzen, die bei einer Einfuhr eines gleichwertigen Fahrzeugs nach Österreich – hier für eine Unternehmerin wie die klagende Partei – anfallen würden (vgl 8 Ob 3/86 [Zoll]).

[31]           8. Damit sind aber – entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts – die diesbezüglichen Feststellungen des Erstgerichts entscheidungsrelevant. Insoweit blieb die Beweisrüge jedoch teilweise unerledigt. Dies führt zur Aufhebung in die zweite Instanz:

[32]           8.1 Das Berufungsgericht äußerte bei Behandlung der Beweisrüge Bedenken gegen die auf dem Gutachten des vom Erstgericht bestellten Sachverständigen beruhenden Feststellungen zu den Adaptierungs- und Umbaukosten sowie zu den Kosten der Typisierung, weil es das Gutachten im Hinblick auf die davon abweichenden Ergebnisse eines Privatgutachtens für erörterungsbedürftig hielt.

[33]           8.2 Hat das Berufungsgericht aufgrund der in der Berufung vorgetragenen Beweisrüge Zweifel an den vom Erstgericht getroffenen Feststellungen, muss es selbst im Rahmen einer Beweiswiederholung und allenfalls einer Beweisergänzung die Sachgrundlagen der Entscheidung schaffen (RS0040132 [T2]), soweit das Erstgericht eine bekämpfte Feststellung beweiswürdigend begründet hat (2 Ob 198/16f; 2 Ob 241/16d). Zweifelt das Berufungsgericht am Wert der vom Erstgericht genannten Beweismittel, insbesondere an der Schlüssigkeit eines Sachverständigengutachtens, hat es eine Beweiswiederholung bzw -ergänzung durchzuführen und gegebenenfalls andere Feststellungen zu treffen (2 Ob 200/17a).

[34]           8.3 Das Berufungsgericht wird daher die Beweisrüge auch betreffend die Adaptierungs- und Umbaukosten sowie die Kosten der Typisierung wie erörtert zu erledigen haben. Der der erstklagenden Partei zu ersetzende Fahrzeugschaden ergibt sich dann aus der Differenz zwischen Wiederbeschaffungswert und Wrackwert (siehe Punkt 6.2 und Punkt 7.3).

[35]     9. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 52 Abs 1 ZPO.

Textnummer

E133043

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2021:0020OB00157.20G.0928.000

Im RIS seit

10.11.2021

Zuletzt aktualisiert am

20.12.2021
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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