TE Lvwg Erkenntnis 2021/8/6 LVwG-M-35/001-2021

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Veröffentlicht am 06.08.2021
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Entscheidungsdatum

06.08.2021

Norm

B-VG Art130 Abs1 Z2
SPG 1991 §38a

Text

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich hat durch Mag. Dr. Goldstein als Einzelrichter über eine auf Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG gestützte Beschwerde der Frau A, vertreten durch B, Rechtsanwältin in ***, im Zusammenhang mit einer Amtshandlung (Betretungs- und Annäherungsverbot) durch Organe der Polizeiinspektion *** – zurechenbar der Bezirkshauptmannschaft Mödling – am 3. Mai 2021 in ***, ***, zu Recht erkannt:

1.   Der Beschwerde, die Beschwerdeführerin sei durch die Anordnung des Betretungs- und Annäherungsverbots in ihren Rechten verletzt worden, wird gemäß § 28 Abs. 6 VwGVG keine Folge gegeben.

2.   Die Beschwerdeführerin hat dem Bund (Bundesminister für Inneres) gemäß § 35 VwGVG iVm der VwG-Aufwandersatzverordnung, BGBl. II 2013/517, € 887,20 (Vorlage-, Schriftsatz- und Verhandlungsaufwand) binnen zwei Monaten ab Zustellung bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

3.   Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig (§ 25a VwGG).

Entscheidungsgründe:

1.   Zum Beschwerdevorbringen:

Mit Schriftsatz vom 6. Mai 2021 erhob die Beschwerdeführerin, vertreten durch ihre ausgewiesene Rechtsvertretung, eine auf Art 130 Abs. 1 Z 2 B-VG gestützte Beschwerde gegen den Ausspruch eines auf § 38a SPG gestützten Betretungs- und Annäherungsverbotes betreffend ihren Wohnsitz am 3. Mai 2021.

Sie brachte vor, dass es am Abend des 3. Mai 2021 zu einem lautstarken Streit mit ihrem Sohn C gekommen sei, weil dieser zu wenig für eine Schularbeit gelernt und sein Zimmer nicht entsprechend ordentlich gehalten habe.

Ihr ehemaliger Gatte, welcher aufgrund der Scheidung in einer schlechten psychischen Verfassung und auch eifersüchtig sei, habe den Streit genutzt, um der Beschwerdeführerin zu schaden und sie zu demütigen indem er die Polizei rief, die dann in der Folge das Betretungs- und Annäherungsverbot für die ehemalige Ehewohnung aussprach.

Es sei nicht ersichtlich, auf welche bestimmten Tatsachen sich das Betretungsverbots- und Annäherungsverbot stütze, zumal eine lautstarke Auseinandersetzung zwischen Mutter und Sohn keineswegs unüblich sei und Themen, wie schlechte schulische Leistungen und unaufgeräumte Zimmer, häufig zu Streitereien führen, jedoch keine Gefährdungsprognose zu begründen vermögen. Es habe keinen Eingriff in die körperliche Integrität und keine Drohungen seitens der Beschwerdeführerin gegeben. Es habe auch keine Spuren einer gewalttätigen Auseinandersetzung gegeben. Sämtliche Indikatoren hätten gegen die Wahrscheinlichkeit eines gefährlichen Angriffes gesprochen.

Die Aussagen der Söhne, wonach ihre Mutter aggressiv wäre und zum Monster werden würde, wenn ein Streit im Gange ist, hätten den einschreitenden Organen offenbar genügt, um ein Betretungsverbot auszusprechen, obwohl diese Umstände nicht einmal das Einschreiten der Behörde bedürften.

Der Umstand, dass in der Vergangenheit bereits ein Betretungsverbot erlassen wurde, rechtfertige keinesfalls den neuerlichen Ausspruch, vor allem, da es bereits aktenkundig sei, dass der ehemalige Gatte die Situation, die damals zu einem Betretungsverbot geführt hat, falsch interpretiert habe.

Weil die Zulässigkeit eines Betretungsverbotes ex ante zu beurteilen sei, hätte das vergangene Betretungsverbot nicht einmal als Indiz für ein neuerliches Betretungsverbot herangezogen werden dürfen.

Entscheidend sei stets, dass aufgrund der Gesamtheit die Prognose ableitbar ist, dass ein gefährlicher Angriff auf Leben, Gesundheit und Freiheit einer gefährdeten Person bevorstehe; aufgrund des sich den einschreitenden Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes bietenden Gesamtbildes müsse sohin eine Wahrscheinlichkeit zu erwarten sein, dass ein gefährlicher Angriff im genannten Sinn durch die wegzuweisende Partei bevorsteht. Streitereien und Beschimpfungen unter der Schwelle eines gefährlichen Angriffes würden daher nicht ausreichen.

Das als aufgebrachtes oder aggressives Verhalten der Beschwerdeführerin bezeichnete Verhalten gäbe keinen Hinweis auf einen bevorstehenden gefährlichen Angriff gegen eines der im § 38a SPG genannten Rechtsgüter.

 

Die Behörde habe überdies die Anordnung des Betretungs- und Annäherungsverbotes nicht überprüft.

Die Beschwerdeführerin beantragte den angefochtenen Akt unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt für rechtswidrig zu erklären sowie den Ersatz der Pauschalkosten gemäß § 35 VwGVG zuzusprechen.

2.   Zum durchgeführten Ermittlungsverfahren:

Mit Schreiben vom 14. Mai 2021 wurde die belangte Behörde eingeladen, binnen drei Wochen ab Zustellung hierzu eine Gegenschrift zu erstatten und dem Landesverwaltungsgericht Niederösterreich die bezughabenden Akten vorzulegen.

In ihrer Gegenschrift führte die belangte Behörde unter gleichzeitiger Vorlage der Akten aus, dass die Anordnung des Betretungs- und Annäherungsverbotes nicht aufgehoben worden sei, weil die einschreitenden Polizeibeamten vor Ort festgestellt hätten, dass sich die Beschwerdeführerin mit dem Sohn C in dessen Zimmer verbarrikadiert habe und nach der Öffnung der Zimmertüre Anzeichen eines

vorherigen heftigen Streits wahrgenommen worden seien.

Sie verwies auf die Aussagen der gefährdeten Parteien, wonach die Beschwerdeführerin häufig Aggressionsausbrüche hätte und schnell die Fassung verlieren würde. Weiters verwies die belangte Behörde auf einschlägige, bekannte Vorfälle und Amtshandlungen.

Die belangte Behörde beantragte die die Maßnahmenbeschwerde als

unbegründet abzuweisen und Ersatz des Vorlage- und Schriftsatzaufwandes.

Am 19. Juli 2021 fand eine öffentliche mündliche Verhandlung statt, in welcher die Beschwerdeführerin, ihr Ex-Mann, ihr Sohn C sowie sämtliche der einschreitenden Exekutivorgane einvernommen worden sind. Ebenso nahmen an der Verhandlung zwei Vertreter der belangten Behörde teil und beantragten den Ersatz der Pauschalkosten gemäß § 35 VwGVG.

Anschließend wurden dem Landesverwaltungsgericht Niederösterreich seitens der Polizeiinspektion *** weitere Aktenbestandteile über vorangehende Amtshandlungen übermittelt, welche der Beschwerdeführerin zu Handen ihrer ausgewiesenen Rechtsvertretung zur Kenntnis und allfälligen Stellungnahme übermittelt worden sind.

3.   Feststellungen und Beweiswürdigung:

3.1   Zum Vorfall am 3. Mai 2021

Die Beschwerdeführerin war mit der gefährdeten Partei D bis 15. März 2021 verheiratet. Der Ehe entstammen zwei Kinder, C, geboren am *** und E, geboren am ***. Die Beschwerdeführerin lebte am 3. Mai 2021 mit D und den zwei Söhnen in der ehelichen Wohnung in ***, ***. Die Beschwerdeführerin und D haben das gemeinsame Sorgerecht für diese Kinder.

Am Abend des 3. Mai 2021 kam es zu einem lautstarken Streit zwischen der Beschwerdeführerin und ihrem Sohn C. Dieser war aufgrund mangelnden Schlafes in der Nacht zuvor müde und wollte sich nach der Schule zunächst für eine Stunde schlafen legen. Seine Mutter bestand jedoch darauf, dass er sofort für die Schule lernt und auch sein Zimmer aufräumt, welches unordentlich war. Die Beschwerdeführerin schrie und der Streit schaukelte sich über ca. 20 Minuten immer mehr auf. C wollte daraufhin – wie er dies bereits bei anderen Streiten getan hat – zwecks Deeskalation des Streites die Wohnung verlassen. Die Beschwerdeführerin hat sich jedoch in den Weg gestellt, ihn am Arm gepackt und die Zimmertüre versperrt, sodass sie gemeinsam mit ihrem Sohn in dessen Zimmer eingesperrt war. Im Zuge des Streits hat die Beschwerdeführerin Schulunterlagen ihres Sohnes aus dem Fenster geworfen, wobei auch ein Blumentopf im inneren des Zimmers zerbrochen ist. D hat die Polizei verständigt, nachdem die Beschwerdeführerin die Zimmertür von innen zugesperrt hat.

Daraufhin sind vier Exekutivorgane der Polizeiinspektion *** mit 2 Streifenwagen bei der Wohnung der Beschwerdeführerin eingetroffen und haben die Schulunterlagen im Innenhof der Wohnhausanlage wahrgenommen. Zwei der Exekutivorgane waren bereits bei einem vorangehenden Vorfall in der Wohnung der Beschwerdeführerin. Beim ihrem Eintreffen hatte D seinen jüngeren Sohn E auf dem Arm. Beide wirkten auf die Exekutivbeamten schockiert und ängstlich.

F hat daraufhin an der Kinderzimmertür angeklopft und sich als Polizist zu erkennen gegeben. Die Beschwerdeführerin steckte daraufhin einen Schlüssel an und sperrte die Türe auf. F sah daraufhin Kleidungsstücke und Schulunterlagen sowie einen zerbrochenen Blumentopf auf dem Boden liegen. Die Beschwerdeführerin machte auf ihn einen ruhigen Eindruck, während C auf ihn eher ängstlich und eingeschüchtert wirkte. Auch auf den hierbei ebenso anwesenden G wirkte die Beschwerdeführerin ruhig und gelassen, während C für ihn eher verstört wirkte.

Daraufhin wurden die Beschwerdeführerin, C sowie D und E getrennt voneinander befragt. Hierbei wurde der oben beschriebene Streit im Wesentlichen von allen Beteiligten bestätigt.

Darüber hinaus gab C an, dass die Beschwerdeführerin wütend wurde und schnell die Fassung verliere. Sie sei gegenüber ihm sowie seinem Vater sehr aggressiv, sodass es 2-3 Mal pro Woche zu Aggressionsausbrüchen komme. Sein jüngerer Bruder sei deswegen schon traumatisiert. Die Beschwerdeführerin sei eine sehr gute Schauspielerin, die alles verharmlose und sich als Opfer darstelle.

E gab an, dass seine Mutter viel mit seinem Bruder und seinem Vater streiten würde und führte wörtlich aus: „Wenn sie mit meinem Bruder streitet, wird sie zum Monster.“

D gab an, dass seine Ex-Frau sehr aufbrausend sei, wegen Kleinigkeiten zu streiten anfange und herumschreit. Er habe versucht, sie zu beruhigen, aber sie habe ihn nur beschimpft. Sie hätten alle Angst vor der Beschwerdeführerin. Weiters informierte er die einschreitenden Exekutivorgane über frühere Vorfälle vom 23. März 2020 sowie am 12. August 2016, im Rahmen derer es zu gefährlichen Drohungen, Handgreiflichkeiten sowie einem Zwischenfall mit einer Axt gekommen sei.

Dies war den einschreitenden Exekutivorganen F sowie H bereits bekannt, zumal sie am 23. März 2020 im Rahmen der diesbezüglichen Amtshandlung in der Wohnung der Beschwerdeführerin anwesend waren und D hierbei auch den Vorfall vom 12. August 2016 dargelegt hat.

Die einschreitenden Exekutivorgane haben anschließend an die getrennte Befragung den Sachverhalt besprochen und waren allesamt der Ansicht, dass der gegenständliche Streit bereits zu einem gewissen Grad eskaliert sei und in Hinblick auf die bekannten Vorfälle aus der Vergangenheit nicht ausgeschlossen werden konnte, dass der Streit weiter derart eskaliert, dass es zu einem gefährlichen Angriff kommt. Den Umstand, dass die Beschwerdeführerin ruhig wirkte, betrachteten die einschreitenden Exekutivorgane unter Berücksichtigung der Angaben des D, wonach seine Mutter eine sehr gute Schauspielerin sei, die alles verharmlose und sich als Opfer darstelle.

Gegenüber der Beschwerdeführerin wurde daher ein Betretungsverbot hinsichtlich der gemeinsamen Wohnung in ***, ***, samt einem Bereich im Umkreis von 100 Metern um die Wohnung, verbunden mit dem Verbot der Annäherung an die Gefährdeten D, C und E im Umkreis von hundert Metern angeordnet.

Im Zuge der Amtshandlung gab die Beschwerdeführerin an, dass D drei Tage zuvor versucht habe, Suizid zu begehen. Bereits zuvor teilte D den Exekutivorganen von sich aus mit, dass er vor einigen Tagen schon mit den Gedanken gespielt hat, sich das Leben zu nehmen, weil er die Eskapaden mit seiner Frau nicht mehr aushalte. Diesen Gedanken hätte er aber schnell wieder verworfen, weil er seine Kinder liebe und für diese da sein möchte. Einen Suizidversuch habe es nicht gegeben. Zum Zeitpunkt der Amtshandlung konnten von den einschreitenden Exekutivorganen keinerlei Anzeichen der Gefahr einer Selbst- oder Gemeingefährdung wahrgenommen werden. Die Kinder gaben an, dass sie beim Vater bleiben wollen und C gab über Befragung an, dass der Vater auf jeden Fall in der Lage sei, sich um die Kinder zu kümmern.

Die Anordnung des Betretungs- und Annäherungsverbotes wurde von der Bezirkshauptmannschaft Mödling am 4. Mai 2021 überprüft und entschieden, dass dieses nicht aufgehoben wird. Von dieser Entscheidung wurde die Polizeiinspektion *** am selben Tag informiert und der Auftrag erteilt, die Einhaltung des Betretungsverbotes zu überprüfen.

3.2   Zu früheren Vorfällen

D hat am 23. März 2020 die Polizei verständigt, weil er von der Beschwerdeführerin mit einem Messer bedroht worden sei. Im Rahmen der Amtshandlung gab er an, dass ihn die Beschwerdeführerin am Hals gewürgt und ihm Kratzer am Nacken zugefügt habe. C sei dann dazwischen und habe die Beschwerdeführerin von D weggezogen. Daraufhin sei die Beschwerdeführerin in die Küche gegangen und habe gemeint, dass sie ihn umbringen will. C habe seiner Mutter dann das Messer weggenommen, weil sie sich selbst verletzen wollte. Die Beschwerdeführerin wurde in weiterer Folge im Universitätsklinikum *** untergebracht. Bereits am Vortag habe ihn die Beschwerdeführerin in den linken Oberarm gebissen, wobei eine kleinen Wunde fotografisch festgehalten wurde und sei es hierbei auch zu einer Morddrohung durch die Beschwerdeführerin gekommen.

Im Rahmen dieser Amtshandlung gab D weiters an, dass die Beschwerdeführerin im August 2016 in der Slowakei mit einer Axt eine Tür eingeschlagen habe, hinter der sich D versteckt hatte. Er sei daraufhin aus dem Fenster geflüchtet und die Beschwerdeführerin habe gedroht, ihn und die zwei Kinder umzubringen. Der Sachverhalt sei von der slowakischen Polizei aufgenommen worden, jedoch habe D die Anzeige zurückgezogen, damit die Beschwerdeführerin nicht verhaftet werde. Im Rahmen der öffentlichen mündlichen Verhandlung vor dem Landesverwaltungsgericht Niederösterreich legte der Zeuge D eine beglaubigte Übersetzung aus dem slowakischen der Bescheinigung über eine Anzeige bei der Polizeiinspektion *** vor.

Die Beschwerdeführerin gab ihm Rahmen der Amtshandlung am 23. März 2020 an, dass sie aufgrund der lang anhaltenden Streitereien für einen kurzen Moment die Beherrschung verloren habe und deswegen so ausgerastet sei. Sie stehe zu dem was sie getan habe und wolle sich helfen lassen.

Durch die Organe der Polizeiinspektion *** wurde daraufhin ein Betretungsverbot gegen die Beschwerdeführerin angeordnet.

In der darauffolgen Vernehmung auf der Polizeiinspektion *** am 14. April 2021 gab die Beschwerdeführerin hinsichtlich des Vorfalls am 23. März 2020 an, dass die Kratzer am Hals ein Versehen im Rahmen einer Umarmung gewesen seien und keine Verletzungsabsicht bestanden habe. D habe sie danach bei seiner Abwehrbewegung heftig an beiden Unterarmen gepackt, sodass diese am nächsten Tag mit Hämatomen versehen gewesen seien.

Der Streit sei dann immer weitergegangen und sie habe in einer Kurzschlussreaktion ein Küchenmesser in die Hand genommen und gesagt, dass sie sich am liebsten umbringen würde, damit es endlich aufhört. Sie habe D zu keiner Zeit mit dem Messer bedroht. Sie sei jedoch im Laufe des Streits mehrmals auf ihn losgegangen und habe ihn wahrscheinlich auch ein paarmal mit Schlägen am Körper getroffen. Er habe sie nicht geschlagen, aber weiter provoziert und ausgelacht.

Zum Vorfall im August 2016 gab die Beschwerdeführerin im Rahmen der polizeilichen Vernehmung an, dass ihre Ehe von Anfang an immer wieder durch Streitigkeiten gekennzeichnet war und der Streit an diesem Abend so heftig gewesen sei, dass sie die Wohnzimmertüre in ihrem Ferienhaus eingetreten habe. Es sei ein heftiger Streit gewesen, bei dem es auch zu Handgreiflichkeiten beiderseits gekommen sei, aber es sei keine Axt oder dergleichen involviert gewesen.

Die Polizeiinspektion *** übermittele einen Abschlussbericht wegen fortgesetzter Gewaltausübung und gefährlicher Drohung durch die Beschwerdeführerin an die Staatsanwaltschaft ***. Diese verständigte die Polizeiinspektion mit Schreiben vom 18. November 2020 davon, dass von der Verfolgung der Beschwerdeführerin wegen gefährlicher Drohung (§ 107 Abs. 1 StGB) und Körperverletzung (§ 83 Abs. 1 StGB) gemäß § 204 Abs. 1 StPO nach außergerichtlichem Tatausgleich zurückgetreten wurde.

Am 21. Dezember 2020 meldete die Beschwerdeführerin auf der Polizeiinspektion *** in ***, dass D sie bedroht und gesagt habe, dass er ihr bereits vor einem Jahr den Kopf abschneiden hätte sollen und ihr Blut noch trinken werde. D wurde daraufhin von einem (an den übrigen Amtshandlungen nicht beteiligten) Organ der Polizeiinspektion *** als Beschuldigter einvernommen und bestritt den Vorwurf. Das Strafverfahren wurde von der Staatsanwaltschaft *** eingestellt, weil das strafbare Verhalten nicht mit der für ein Strafverfahren erforderlichen Sicherheit nachweisbar war.

4.   Beweiswürdigung:

Sämtliche Feststellungen sind als unstrittig anzusehen bzw. handelt es sich um persönliche Eindrücke und Vorbringen der beteiligten Personen. Überwiegend ergeben sich die Feststellungen aus den im wesentlichen übereinstimmenden Angaben sämtlicher Beteiligter im Rahmen der öffentlichen mündlichen Verhandlung sowie aus den vorgelegten Dokumenten der belangten Behörde sowie der Polizeiinspektion ***.

5.   Erwägungen:

Im Rahmen eines Maßnahmenbeschwerdeverfahrens ist Gegenstand der Prüfung durch das Verwaltungsgericht alleine, ob der angefochtene Verwaltungsakt für rechtswidrig zu erklären ist (VwGH 04.12.2020, Ra 2019/01/0163). Ausgehend von diesem Prozessgegenstand ist jene Sach- und Rechtslage maßgebend, die im Zeitpunkt der Setzung des Verwaltungsaktes bestand (VwGH 24.11.2015, Ra 2015/05/0063). Zu berücksichtigen sind nur solche Sachverhaltselemente, die dem einschreitenden Organ bei Anwendung der im Hinblick auf den Zeitfaktor zumutbaren Sorgfalt bekannt sein mussten (ex ante-Betrachtung aus dem Blickwinkel des einschreitenden Organs; VwGH 05.12.2017, Ra 2017/01/0373; 25.01.1990, 89/16/0163; 06.08.1998, 96/07/0053). Im Ergebnis ist daher zu prüfen, ob die einschreitenden Organe in zumindest vertretbarer Weise das Vorliegen der Voraussetzungen für ihr Einschreiten annehmen durften (VwGH 04.12.2020, Ra 2019/01/0163; 24.11.2015, Ra 2015/05/0063; 20.10.1994, 94/06/0119).

Gemäß § 38a Abs. 1 SPG in der hier maßgeblichen Fassung des Gewaltschutzgesetzes 2019, BGBl I 2019/105, sind die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes ermächtigt, einem Menschen, von dem auf Grund bestimmter Tatsachen, insbesondere wegen eines vorangegangenen gefährlichen Angriffs, anzunehmen ist, dass er einen gefährlichen Angriff auf Leben, Gesundheit oder Freiheit begehen werde (Gefährder), das Betreten einer Wohnung, in der ein Gefährdeter wohnt, samt einem Bereich im Umkreis von hundert Metern zu untersagen (Betretungsverbot). Mit dem Betretungsverbot verbunden ist das Verbot der Annäherung an den Gefährdeten im Umkreis von hundert Metern (Annäherungsverbot). Dabei ist dem Gefährder der Verbotsbereich nach Abs. 1 zur Kenntnis zu bringen (Abs. 2 Z 1) und ist dann, wenn das Betretungsverbot eine vom Gefährder bewohnte Wohnung betrifft, besonders darauf Bedacht zu nehmen, dass dieser Eingriff in sein Privatleben die Verhältnismäßigkeit (§ 29) wahrt (Abs. 3).

Auf Grund des sich den einschreitenden Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes bietenden Gesamtbildes muss mit einiger Wahrscheinlichkeit zu erwarten sein, dass ein gefährlicher Angriff im genannten Sinn durch den Wegzuweisenden bevorstehe. Bei dieser Prognose ist vom Wissensstand des Beamten im Zeitpunkt des Einschreitens auszugehen (VwGH 04.12.2020, Ra 2019/01/0163 mwN).

Das Verwaltungsgericht hat zu beurteilen, ob die eingeschrittenen Organe vertretbar annehmen konnten, dass ein vom Gefährder ausgehender gefährlicher Angriff auf Leben, Gesundheit oder Freiheit bevorsteht (VwGH 04.12.2020, Ra 2019/01/0163; 21.12.2000, 2000/01/0003, mit Verweis auf VwGH 29.7.1998, 97/01/0448).

Dafür ist ein vorangegangener gefährlicher Angriff nicht notwendig, bildet aber ex lege ein Indiz für einen möglicherweise bevorstehenden gefährlichen Angriff auf Leben, Gesundheit oder Freiheit. Die Gefahrenprognose iSd § 38a Abs. 1 SPG setzt somit weder einen solchen Angriff voraus, noch ist allein aus dem Umstand, dass es zu keinem gefährlichen Angriff des Gefährders gekommen ist, auf das Nichtvorliegen einer hinreichenden Gefahr zu schließen. Angesichts des inhärenten Präventivcharakters kann allerdings kein Zweifel bestehen, dass nach den jeweiligen Umständen etwa auch Aggressionshandlungen unter der Schwelle eines gefährlichen Angriffs oder in der Vergangenheit liegende Gewaltakte als „bestimmte Tatsachen“ iSd § 38a Abs. 1 SPG in Frage kommen können (VwGH 04.12.2020, Ra 2019/01/0163; 24.2.2004, 2002/01/0280, mwN). So kann auch die Anwendung von Gewalt in Form „bloßer“ Misshandlungen ohne Verletzungserfolg, wie etwa Stoßen, Niederwerfen, Fußtritte, auf ein erhöhtes Aggressionspotential hinweisen und im Zusammenhang mit dem sich den Beamten bietenden Gesamtbild die Prognose eines drohenden gefährlichen Angriffs begründen. Bei der Gesamtsituation beim Einschreiten der Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes bei Ausspruch des Betretungsverbots weist der Gesetzgeber auf die maßgeblichen Umstände „Verhältnis von gefährdeter Person und Gefährder, bekannte Gefahrenmomente“ hin (VwGH 04.12.2020, Ra 2019/01/0163 unter Hinweis auf die Erläuterungen zu § 38a SPG in RV 1151 BlgNR 25. GP, 3). Auch das Erscheinungsbild der gefährdeten Personen stellt eine bestimmte Tatsache dar, und kann, je nachdem wie es sich den Beamten darbietet (z.B. verängstigter Eindruck), allein oder in Verbindung mit anderen Tatsachen eine Gefährlichkeitsprognose begründen (Helm in Eisenberger/Ennöckl/Helm, Die Maßnahmenbeshwerde2 S 169; siehe auch VwGH 04.12.2020, Ra 2019/01/0163).

Schließlich ist bei der Gefährdungsprognose insbesondere zu beachten, dass nach der Intention des Gesetzgebers die sicherheitspolizeiliche Intervention bereits greifen soll, bevor eine strafrechtlich relevante Handlung gesetzt wird. Nur so kann der Zweck des § 38a SPG als vorbeugende Schutzmaßnahme Sinn ergeben (VwGH 04.12.2020, Ra 2019/01/0163).

Im konkreten Fall legten die einschreitenden Beamten ihrer Gefährdungsprognose mehrere Tatsachen zugrunde, aufgrund derer sie in einer Gesamtbetrachtung anhand der in der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes vorgegebenen Leitlinien vertretbar annehmen konnten, dass ein gefährlicher Angriff durch die Beschwerdeführerin mit einiger Wahrscheinlichkeit bevorstehe.

Zum einen machten sämtliche der gefährdeten Parteien auf die einschreitenden Beamten einen ängstlichen sowie einen eingeschüchterten bzw. aufgelösten oder schockierten Eindruck. Weiters gab es diverse Anzeichen, auf Grund derer die einschreitenden Beamten von einer bereits eingetretenen Eskalation des Streites ausgegangen sind. So wurden einerseits die von der Beschwerdeführerin aus dem Fenster geworfenen Schulunterlagen wahrgenommen – welche bei einer rationalen Betrachtung in Hinblick auf den Anlass des Streites zur Verbesserung der schulischen Leistung wohl im Kinderzimmer belassen werden sollten – und lag auch ein zerbrochener Blumentopf auf dem Boden. Als ungewöhnlich wurde auch die versperrte Türe zum Kinderzimmer wahrgenommen. Zudem wurde den einschreitenden Exekutivorganen mitgeteilt, dass die „gewöhnliche“ Deeskalationstaktik des C in der Form des Verlassens der Wohnung dieses Mal nicht erfolgreich war. Sehr prägnant erschien den einschreitenden Exekutivorganen auch die Aussage des jüngeren Sohnes E, wonach die Beschwerdeführerin zum Monster werde, wenn sie mit seinem älteren Bruder streitet. Schließlich mussten die Exekutivorgane auf Grund der Angaben der betroffenen davon ausgehen, dass sich die Streite bzw. Aggressionsausbrüche der Beschwerdeführerin seit der Scheidung wenige Monate zuvor zu häufen begonnen haben.

Von besonderer Bedeutung ist auch, dass die einschreitenden Exekutivorgane gemäß der zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch zurecht die ihnen bekannten Vorfälle aus der Vergangenheit berücksichtigt haben. Entgegen dem Vorbringen der Beschwerdeführerin sind im Rahmen der ex-ante Betrachtung nämlich sämtliche Sachverhaltselemente zu berücksichtigen, die den einschreitenden Organen bekannt waren. Im vorliegenden Fall ist zweifelsfrei dokumentiert, dass zwei der einschreitenden Beamten bereits im Rahmen der Amtshandlung am 23. März 2020 in der Wohnung der Beschwerdeführerin anwesend waren und hierbei auch über den Vorfall im August 2016 gesprochen worden ist. Weiters haben die einschreitenden Exekutivorgane im Rahmen der öffentlichen mündlichen Verhandlung glaubhaft dargelegt, dass ihnen die vorangegangene Amtshandlung noch in Erinnerung war und sie diese im Rahmen der Gefährdungsprognose berücksichtigt haben.

Im Zuge dieser Vorfälle ist die Beschwerdeführerin laut eigenen Angaben am 23. März 2020 mehrmals auf D losgegangen und hat ihn ein paarmal mit Schlägen am Körper getroffen bzw. hat sie im August 2016 eine Tür eingetreten und kam es ebenfalls zu Handgreiflichkeiten. Laut Angaben von D kam es hierbei am 23. März 2020 zu einer gefährlichen Drohung mit einem Messer gegen ihn selbst, bzw. zu einer gefährlichen Drohung gegen die Kinder im August 2016 und sei bei diesem Vorfall auch eine Axt involviert gewesen.

Insofern die Beschwerdeführerin vorbringt, dass es bereits aktenkundig sei, dass D die Situation, die im März 2020 zu einem Betretungsverbot geführt hat, falsch interpretiert habe, entspricht dies nicht den Tatsachen. Die Staatsanwaltschaft *** ist von der Verfolgung der Beschwerdeführerin wegen gefährlicher Drohung (§ 107 Abs. 1 StGB) und Körperverletzung (§ 83 Abs. 1 StGB) gemäß § 204 Abs. 1 StPO nach außergerichtlichem Tatausgleich zurückgetreten. Voraussetzung für ein solches Vorgehen ist gemäß § 204 Abs. 1 iVm § 198 Abs. 1 StPO, dass eine Einstellung des Verfahrens nach den §§ 190 bis 192 nicht in Betracht kommt und die Beschuldigte bereit ist, für die Tat einzustehen. Es ist daher keineswegs aktenkundig, dass D die Situation falsch interpretiert habe. Vielmehr hatten die einschreitenden Exekutivorgane auf Grund der ihnen zur Verfügung stehenden Informationen davon auszugehen, dass die gefährliche Drohung mit dem Messer sowie die Körperverletzung tatsächlich stattgefunden haben.

Für den gegenständlichen Fall ist ausschlaggebend, dass die einschreitenden Exekutivorgane auf Grund dieser Vorfälle (auch unabhängig von den jeweils als erwiesen angenommenen Details) jedenfalls vertretbar von einem entsprechend erhöhten Aggressionspotential der Beschwerdeführerin (vgl. VwGH 04.12.2020, Ra 2019/01/0163) sowie einer erhöhten Wahrscheinlichkeit der Eskalation ausgehen konnten.

Auch wenn die einschreitenden Organe ihre Gefährdungsprognose dahingehend formulierten, dass ein gefährlicher Angriff „nicht ausgeschlossen werden konnte“, haben sie in einer Gesamtschau der dargelegten Umstände und Tatsachen mit hinreichender Deutlichkeit dargelegt, dass mit der erforderlichen "einigen" Wahrscheinlichkeit zu erwarten war, dass ein gefährlicher Angriff durch die Beschwerdeführerin bevorstehe (vgl. VwGH 22.06.2018, Ra 2018/01/0285). Damit lagen die Voraussetzungen für die Anordnung eines Betretungs- und Annäherungsverbotes nach § 38a Abs. 1 SPG vor und war die Beschwerde abzuweisen.

6.   Zu den Kosten:

Gemäß § 35 Abs. 1 VwGVG hat die obsiegende Partei im Verfahren über Beschwerden wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt Anspruch auf den Ersatz ihrer Aufwendungen durch die unterlegene Partei. Wenn die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt für rechtswidrig erklärt wird, dann ist der Beschwerdeführer gemäß § 35 Abs. 2 VwGVG die obsiegende und die Behörde die unterlegene Partei. Wenn die Beschwerde abgewiesen wird, ist gemäß § 35 Abs. 3 VwGVG die Behörde die obsiegende und der Beschwerdeführer die unterlegene Partei.

Im vorliegenden Fall ergibt sich, dass die Beschwerdeführerin als unterlegene Partei zu betrachten und zur Kostentragung zu verpflichten ist. Neben dem Vorlageaufwand (€ 57,40) war daher der Schriftsatz- (€ 368,80) sowie der Verhandlungsaufwand (€ 461,--) zuzuerkennen.

7.   Zur Unzulässigkeit der ordentlichen Revision:

Die ordentliche Revision ist nicht zulässig, da im gegenständlichen Verfahren keine Rechtsfrage zu lösen war, der im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil die Entscheidung nicht von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Vielmehr erfolgte die durchgeführte rechtliche Beurteilung anhand der jeweils zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes.

Schlagworte

Maßnahmenbeschwerde; Amtshandlung; Betretungsverbot; Annäherungsverbot; Gefährlichkeitsprognose;

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:LVWGNI:2021:LVwG.M.35.001.2021

Zuletzt aktualisiert am

09.11.2021
Quelle: Landesverwaltungsgericht Niederösterreich LVwg Niederösterreic, http://www.lvwg.noe.gv.at
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