TE Bvwg Erkenntnis 2021/6/29 W171 2175279-2

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Veröffentlicht am 29.06.2021
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Entscheidungsdatum

29.06.2021

Norm

AsylG 2005 §58 Abs10
B-VG Art133 Abs4

Spruch


W171 2175279-2/3E

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Gregor MORAWETZ, MBA über die Beschwerde des XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch Dr. Peter Lechenauer und Dr. Margit Swozil Rechtsanwälte, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 24.03.2021, Zl. XXXX , zu Recht:

A) Die Beschwerde wird gemäß § 58 Abs. 10 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.

B) Die ordentliche Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1.1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF), ein Staatsangehöriger Afghanistans, reiste illegal in das Bundesgebiet ein und stellte am 07.09.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz, der mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) vom 10.10.2017 sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II.) abgewiesen wurde. Weiters wurde eine Rückkehrentscheidung erlassen und eine Frist für die freiwillige Ausreise gesetzt (Spruchpunkte III.-IV.).

1.2. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts (im Folgenden: BVwG) vom 12.04.2019, XXXX , wurde die Beschwerde des BF hinsichtlich Spruchpunkt I. dieses Bescheids als unbegründet abgewiesen (Spruchpunkt A.I.) und dem BF nach § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt A.II.). Dem BF wurde eine befristete Aufenthaltsberechtigung bis zum 12.04.2020 erteilt und der angefochtene Bescheid in den übrigen Spruchpunkten ersatzlos behoben (Spruchpunkte A.III. und A.IV).

1.3. Aufgrund der außerordentlichen Revision des BFA hob der Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 23.10.2019, XXXX das angefochtene Erkenntnis in seinen Spruchpunkten A.II., A.III. und A.IV. wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften auf.

1.4. Mit Erkenntnis des BVwG vom 18.06.2020, XXXX , zugestellt am 24.06.2020, wurde die Beschwerde hinsichtlich der Spruchpunkte II. – IV. des Bescheids als unbegründet abgewiesen.

1.5. Mit Urteil eines Landesgerichts vom 09.09.2020 wurde der BF wegen des Verbrechens der versuchten schweren Körperverletzung nach den §§ 15 Abs. 1, 84 Abs. 4 StGB zu einer bedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von 12 Monaten verurteilt.

1.6. Der BF stellte am 21.09.2020 einen Erstantrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK.

1.7. Mit Schreiben vom 25.09.2020 forderte das BFA den BF auf, binnen einer Woche ab Zustellung darin angegebene Urkunden vorzulegen und eine Stellungnahme zu angeführten Fragen abzugeben.

1.8. In der am 06.10.2020 beim BFA eingelangten Stellungnahme verwies der BF im Wesentlichen auf seinen mehr als 5-jährigen Aufenthalt sowie seine Integrationsbemühungen und legte diverse Urkunden, unter anderem eine Unterschriftenliste mit Telefonnummern, vor.

1.9. Aus der an die Landespolizeidirektion Salzburg übermittelten Sachverhaltsdarstellung des BFA vom 08.10.2020 geht hervor, dass sich in der vorgelegten Liste des BF eine Vielzahl prominenter Personen, wie Minister, Opernsängerinnen oder Kronenzeitung-Kolumnisten, befänden und verschiedene der Nummern bei einem Anrufversuch nicht funktioniert hätten. Außerdem würden das ähnliche Schriftbild und eine gewisse Ähnlichkeit der Unterschriften auffallen.

1.10. Weitere Urkunden legte der BF am 20.10.2020 vor, welche aufgrund der Übermittlung per Fax teilweise nicht lesbar waren. Mit E-Mail vom selben Tag forderte das BFA den BF auf, diese Urkunden im Original vorzulegen.

1.11. Mit Urteil eines Bezirksgerichts vom 08.03.2021 wurde der Beschwerdeführer – infolge der unter Pkt. 1.9. erwähnten Sachverhaltsdarstellung – wegen des Vergehens der Fälschung eines Beweismittels gemäß § 293 Abs. 1 und 2 StGB zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu EUR 8,00 (gesamt: EUR 320,00), für den Fall der Uneinbringlichkeit zu einer Ersatzfreiheitsstrafe von 20 Tagen, verurteilt.

1.12. Mit E-Mail vom 24.03.2021 teilte die Finanzpolizei, Amt für Betrugsbekämpfung, dem BFA mit, dass die Arbeitgeber des BF angewiesen worden seien, den BF beim Sozialversicherungsträger abzumelden und von einer weiteren Beschäftigung im Betrieb abzusehen.

1.13. Mit dem angefochtenen Bescheid vom 24.03.2021 wies das BFA den Antrag des BF auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK vom 21.09.2020 gemäß § 58 Abs. 10 AsylG zurück.

Begründend wurde ausgeführt, dass mit Bescheid vom 10.10.2017 eine Rückkehrentscheidung gegen den BF erlassen worden sei. Seit deren Rechtskraft am 24.06.2020 habe sich keine maßgebliche Änderung im Privat- und Familienleben ergeben.

1.14. Mit Schreiben vom 28.04.2021 erhob der BF Beschwerde und brachte darin im Wesentlichen vor, die Möglichkeit einer schriftlichen Stellungnahme reiche zur Beurteilung der Intensität der privaten und familiären Bindungen des BF keinesfalls aus. Im Zuge einer Einvernahme hätte der BF angeben können, dass er seit 6 Jahren genug Freunde in Österreich habe. Eine Rücküberführung wäre ein unangemessener Eingriff in das Recht auf Verbot der Folter und Achtung des Privat- und Familienlebens.

1.15. Das BFA legte am 29.04.2021 die Beschwerde samt Behördenakt vor.

1.16. Mit Urkundenvorlage vom 04.05.2021 legte der BF eine Strafregisterbescheinigung, eine Lohn-/Gehaltsabrechnung von März 2021 sowie vier „Bestätigungen“ vor.

1.17. Mit Schreiben vom 05.05.2021 erstattete das BFA eine Stellungnahme zu den vom BF vorgelegten Urkunden. Darin verwies es darauf, dass die vorgelegte Strafregisterbescheinigung datiert vom 31.08.2020 und somit vor Eintritt der Rechtskraft der Verurteilungen ausgestellt worden sei. Außerdem habe der BF mit den beigelegten vier Unterstützungserklärungen in Summe elf vollkommen identische und gleichlautende, vorgefertigte Erklärungen vorgelegt. Das BFA hege daher Zweifel, dass der BF tatsächlich mit allen 11 unterfertigten Personen regelmäßig gute Gespräche über Telefon führe. Da es sich um vorgefertigte Schriftstücke handle, lasse sich daraus keinesfalls die tatsächliche Beziehung zum BF ableiten.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Der Beschwerdeführer ist ein Staatsangehöriger Afghanistans, der am 07.09.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz stellte. Er hält sich zumindest seit dem Tag seiner Antragstellung durchgehend im österreichischen Bundesgebiet auf.

1.2. Der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz wurde vom Bundesamt mit Bescheid vom 10.10.2017 sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan abgewiesen. Unter einem wurde dem Beschwerdeführer ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt und gegen ihn eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei. Schließlich wurde ihm für die freiwillige Ausreise aus dem österreichischen Bundesgebiet eine Frist von 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung gewährt.

1.3. Die dagegen eingebrachte Beschwerde wurde mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 12.04.2019, XXXX hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten sowie – nach Behebung der weiteren Spruchpunkte durch den Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 23.10.2019, XXXX – mit Erkenntnis Bundesverwaltungsgerichts vom 18.06.2020, GZ: XXXX , zugestellt am 24.06.2020, auch bezüglich der übrigen Spruchpunkte als unbegründet abgewiesen.

1.4. Der Beschwerdeführer hat trotz dieser rechtskräftigen Entscheidung das Bundesgebiet der Republik Österreich nicht verlassen und hält sich somit seit Ablauf der ihm für die freiwillige Ausreise gewährten Frist, sohin seit 09.07.2020 rechtswidrig in Österreich auf.

1.5. Aus dem begründeten Antragsvorbringen des Beschwerdeführers gemäß § 55 AsylG 2005 geht im Vergleich zur bestehenden rechtskräftigen Rückkehrentscheidung vom 24.06.2020 ein im Hinblick auf die Berücksichtigung des Privat- und Familienlebens gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG geänderter Sachverhalt, der eine ergänzende oder neue Abwägung gemäß Art. 8 EMRK erforderlich macht, nicht hervor.

2. Beweiswürdigung:

2.1. Die Feststellung in Bezug auf das rechtskräftig abgeschlosse Verfahren über den Antrag des BF auf internationalen Schutz und jene, dass sich der BF seit zumindest 07.09.2015, davon seit 09.07.2020 rechtwidrig, durchgehend im Bundesgebiet aufhält, können aufgrund der unbestrittenen Aktenlage getroffen werden. Hinweise darauf, dass der BF nach der rechtskräftig negativen Entscheidung über seinen Antrag auf internationalen Schutz und der damit einhergehenden rechtskräftigen Rückkehrentscheidung das österreichische Bundesgebiet verlassen hätte oder sonst über eine Berechtigung zum Aufenthalt in Österreich verfügen würde, sind weder aus der Antragstellung auf Erteilung eines Aufenthaltstitels noch aus dem Beschwerdevorbringen hervorgekommen.

2.2. Der Beschwerdeführer behauptete weder in seinem Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels, noch in seiner Stellungnahme (welche die darauf abzielende Frage 1 des BFA unbeantwortet lies), den Urkundenvorlagen oder der Beschwerde eine (wesentliche) Änderung seit der Rechtskraft der Entscheidung des BVwG am 24.06.2020, sondern verwies unter Vorlage zahlreicher Urkunden bloß pauschal auf seine Aufenthaltsdauer, seine Integrationsbemühungen und seine Freunde in Österreich.

2.3. Die seit der Rechtskraft der Rückkehrentscheidung verstrichene Zeit alleine ist für eine maßgebliche Sachverhaltsänderung nicht ausreichend (vgl. dazu die rechtl. Beurteilung). Weiters wurden geschlossene Freundschaften bereits im Erkenntnis des BVwG vom 18.06.2020 berücksichtigt.

2.4. Die vom BF angesprochene gute Integration in Österreich ist in Anbetracht der innerhalb des letztes Jahres ergangenen Verurteilungen nicht nachvollziehbar:

2.4.1. So wurde der BF im September 2020 wegen des Verbrechens der schweren Körperverletzung nach den §§ 15 Abs. 1, 84 Abs. 4 StGB zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 12 Monaten verurteilt, weil er infolge eines religiösen Streits versuchte, mit einem Stanleymesser einem Arbeitskollegen einen Schnitt in dessen linke Halsregion zu versetzen. Dieses Verhalten zeigt, dass der BF grundlegende Werte der österreichischen Gesellschaft, nämlich die verfassungsrechtlich geschützte Glaubens- sowie Meinungsäußerungsfreiheit, missachtet.

2.4.2. Weiters wurde der BF im März 2021 wegen des Vergehens der Fälschung eines Beweismittels gemäß § 293 Abs. 1 und 2 StGB zu einer unbedingten Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu EUR 8,00 (gesamt: EUR 320,00) verurteilt, weil er Unterstützungserklärungen samt Unterschriften und nicht existierenden Telefonnummern von 42 Personen herstellte und dem BFA vorlegte, um im Zuge des gegenständlichen Verfahrens beim BFA ein angebliches Interesse von 42 Personen an seinem Verbleib in Österreich vorzutäuschen. Der BF nahm somit sogar strafgesetzwidriges Verhalten in Kauf, um seinen weiteren Aufenthalt in Österreich zu erwirken.

2.4.3. Zusammenfassend stehen diese Verurteilungen der Annahme entgegen, dass im letzten Jahr eine solche maßgebliche Änderung der Integration des BF stattgefunden habe, die im Rahmen einer Abwägung nach Art. 8 EMRK zu einem anderen Ergebnis führen könnte.

2.5. Aber auch aus den vorgelegten Urkunden lässt sich eine solche wesentliche Änderung nicht ableiten:

2.5.1. Diesbezüglich ist zunächst festzuhalten, dass sich eine Vielzahl der Urkunden auf einen Zeitraum vor Juni 2020 beziehen und damit keine nachträglichen Änderungen begründen können. Außerdem betrefft der Großteil der Urkunden ehrenamtliche Tätigkeiten, Arbeitsnachweise, Unterstützungserklärungen sowie nicht über B1-Niveau hinausgehende Deutschkurse und -prüfungen, welche bereits in der seit 24.06.2020 rechtskräftigen Entscheidung des BVwG berücksichtigt wurden.

2.5.2. Diesem Erkenntnis ist zu entnehmen, dass der BF über gute Deutschkenntnisse verfüge, die Deutschprüfung auf B1-Niveau positiv absolviert habe, gemeinnützige Tätigkeiten im Seniorenwohnhaus und der Gemeinde geleistet habe, an Kursen des Roten Kreuzes teilgenommen habe und Dolmetschertätigkeiten ausgeübt habe. Außerdem wurden die Begründung etwaiger Freundschaften, der Besuch von Kursen, der Erwerb von Zertifikaten sowie vorgelegte Empfehlungsschreiben in die Abwägung einbezogen. Weiters wird darauf verwiesen, dass der Ausübung einer Beschäftigung sowie einer etwaigen Einstellungszusage keine wesentliche Bedeutung zukäme (vgl. BVwG 18.06.2020, XXXX , S. 67f).

2.5.3. Hinsichtlich der vorgelegten Unterstützungserklärungen ist zunächst auf die bereits erfolgte Berücksichtigung der Empfehlungsschreibungsschreiben in der soeben wiedergegebenen Entscheidung zu verweisen. Darüber hinaus ist bezüglich der dem BFA vorgelegten Liste an Unterstützungserklärungen die oben erwähnte strafgerichtliche Verurteilung zu beachten. Wie das BFA zutreffend anmerkte, fällt außerdem betreffend sieben der mit der Beschwerde sowie die vier mit der Urkundenvorlage vom 04.05.2021 eingebrachten „Bestätigungen“ auf, dass deren am Computer vorgeschriebener Inhalt exakt gleich lauten, weshalb diesbezüglich Bedenken an der Intensität der Beziehungen zu den jeweiligen Personen bestehen. Insgesamt kann daher auch unter Beachtung der sonstigen vorgelegten Schreiben von Bekannten des BF nicht von einer relevanten Änderung in diesem Zusammenhang ausgegangen werden.

2.5.4. Betreffend die erwerbsmäßigen Beschäftigungen des BF ist ferner anzuführen, dass der BF sich seit 09.07.2020 rechtswidrig in Österreich aufhielt und über keine Arbeitserlaubnis in Österreich verfügte. Die Finanzpolizei forderte daher dessen Arbeitgeber auf, den BF bei den Sozialversicherungsträgern abzumelden und von einer weiteren Beschäftigung im Betrieb abzusehen. Zumal im Erkenntnis des BVwG vom 18.06.2020 bereits darauf hingewiesen wurde, dass die Ausübung einer Beschäftigung keine wesentliche Bedeutung zukäme, kann die Erwerbsmäßigkeit des BF angesichts der fehlenden Arbeitserlaubnis keine zu seinen Gunsten zu berücksichtigende Änderung begründen.

2.5.5. Auch die Vorlage der während seines rechtswidrigen Aufenthalts in Österreich erlangten zusätzlichen Bescheinigungen über seine Integrationsbemühungen in die österreichische Gesellschaft vermögen keine maßgebliche Änderung in Bezug auf das vom Beschwerdeführer im rechtskräftigen Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 26.08.2019 festgestellte entfaltete Privatleben iSd Art. 8 EMRK aufzuzeigen.

2.5.6. Ein vorgelegter Patientenbrief vom 04.12.2018 diagnostiziert Folgendes: „F43.1 Anpassungsstörung DD depressive Episode“, „F13.2 low-dose BDZ-Abhängigkeit“ und „chronische Kopfschmerzen“. Es kann daher auch aus dem vom Beschwerdeführer vorgelegten ärztlichen Attest vom 05.10.2020, nachdem er unter Schlafstörungen, Depressionen, Anspannungszuständen, Unruhe und Konzentrationsschwierigkeiten leide, keine berücksichtigungswürdige Änderung abgeleitet werden.

2.6. Folglich konnte auf Grundlage des Vorbringens des Beschwerdeführers in Zusammenschau mit den von ihm vorgelegten Unterlagen kein geänderter Sachverhalt im Hinblick auf sein Privat- und Familienleben, der eine ergänzende oder neue Abwägung erforderlich machten würde, festgestellt werden.

3. Rechtliche Beurteilung:

Zu A) Abweisung der Beschwerde:

3.1. Der begehrte Aufenthaltstitel ist in § 55 AsylG 2005 normiert:

"Aufenthaltstitel aus Gründen des Art. 8 EMRK

§ 55. (1) Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine "Aufenthaltsberechtigung plus" zu erteilen, wenn

1. dies gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist und

2. der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 Integrationsgesetz (IntG), BGBl. I Nr. 68/2017, erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (§ 5 Abs. 2 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG), BGBl. Nr. 189/1955) erreicht wird.

(2) Liegt nur die Voraussetzung des Abs. 1 Z 1 vor, ist eine "Aufenthaltsberechtigung" zu erteilen."

Nach § 58 Abs. 10 AsylG 2005 sind Anträge gemäß § 55 als unzulässig zurückzuweisen, wenn gegen den Antragsteller eine Rückkehrentscheidung rechtskräftig erlassen wurde und aus dem begründeten Antragsvorbringen im Hinblick auf die Berücksichtigung des Privat- und Familienlebens gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG ein geänderter Sachverhalt, der eine ergänzende oder neue Abwägung gemäß Art. 8 EMRK erforderlich macht, nicht hervorgeht.

3.2. Die Zurückweisung nach § 58 Abs. 10 AsylG 2005 ist jener wegen entschiedener Sache nachgebildet, sodass die diesbezüglichen - zu § 68 Abs. 1 AVG entwickelten - Grundsätze herangezogen werden können (vgl. VwGH 26.06.2020, Ra 2017/22/0183). Demnach ist eine Sachverhaltsänderung dann wesentlich, wenn sie den Schluss zulässt, dass nunmehr - unter Bedachtnahme auf die damals als maßgebend erachteten Erwägungen - eine andere Beurteilung jener Umstände, die den Grund für die seinerzeitige rechtskräftige Entscheidung gebildet haben, nicht von vornherein als ausgeschlossen gelten kann. Die Erlassung eines inhaltlich anders lautenden Bescheids muss zumindest möglich sein (vgl. VwGH 13.09.2011, 2011/22/0035 bis 0039). Im Hinblick darauf liegt ein maßgeblich geänderter Sachverhalt, der einer Antragszurückweisung gemäß § 58 Abs. 10 AsylG 2005 entgegensteht, nicht erst dann vor, wenn der neue Sachverhalt konkret dazu führt, dass der beantragte Aufenthaltstitel zu erteilen ist. Eine maßgebliche Sachverhaltsänderung ist vielmehr schon dann gegeben, wenn die geltend gemachten Umstände nicht von vornherein eine neue Beurteilung aus dem Blickwinkel des Art. 8 MRK ausgeschlossen erscheinen lassen (vgl. VwGH 23.01.2020, Ra 2019/21/0356; 22.07.2011, 2011/22/0127). Wesentlich für die Prüfung sind jene Umstände, die bis zum erstinstanzlichen Zurückweisungsbescheid eingetreten sind (vgl. VwGH 10.12.2013, 2013/22/0362).

Da das Verfahren nach § 58 Abs. 10 AsylG 2005 jenem der Zurückweisung wegen entschiedener Sache nachgebildet ist, ist Sache des vorliegenden Beschwerdeverfahrens im Sinne des § 28 Abs. 2 VwGVG die Frage, ob das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zu Recht den Antrag auf Erteilung des begehrten Aufenthaltstitels zurückgewiesen hat, die Behörde also auf Grundlage des von ihr zu berücksichtigenden Sachverhalts (in Hinblick auf das begründete Antragsvorbringen) zu Recht davon ausgegangen ist, dass im Vergleich zur rechtskräftig entschiedenen Rückkehrentscheidung keine wesentliche Änderung der maßgeblichen Umstände in Hinblick auf Art. 8 EMRK eingetreten ist.

3.3. Im vorliegenden Fall wurde gegen den Beschwerdeführer mit dem seine Beschwerde als unbegründet abweisenden Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 18.06.2020, GZ: XXXX , rechtskräftig seit 24.06.2020, eine Rückkehrentscheidung erlassen.

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hatte daher zu prüfen, ob sich seit 24.06.2020 eine maßgebliche Veränderung im Privat- und Familienleben des Beschwerdeführers gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK ergab.

3.4. Zur Frage, ob vom Beschwerdeführer in seinem erneuten Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 AsylG 2005 Gründe geltend gemacht wurden, die eine maßgebliche Änderung des der Rückkehrentscheidung zu Grunde liegenden Sachverhaltes im Hinblick auf die Berücksichtigung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK und § 9 Abs. 2 BFA-VG bewirkt haben, verweist der Beschwerdeführer auf die Dauer seines bisherigen Aufenthalts in Österreich.

Nach der Rechtsprechung des VwGH bewirkt der Zeitablauf zwischen der Rückkehrentscheidung und der Abweisung der Anträge auf Erteilung von Aufenthaltstiteln von ungefähr zwei Jahren und zehn Monaten noch keine maßgebliche Sachverhaltsänderung. Der "relativ geringe zeitliche Abstand" von ungefähr zwei Jahren (vgl. VwGH 22.07.2011, 2011/22/0138 bis 0141), aber auch ein etwas mehr als zweieinhalbjähriger Zeitablauf (vgl. VwGH 15.12.2011, 2010/21/0228), ist für sich allein noch keine maßgebliche Sachverhaltsänderung, die eine Neubeurteilung iSd. Art. 8 MRK erforderlich macht (vgl. VwGH 29.03.2021, Ra 2017/22/0196).

Dazu ist fallbezogen festzuhalten, dass gegen den Beschwerdeführer seit 24.06.2020 eine rechtskräftige Rückkehrentscheidung besteht und seit Erlassung dieser Entscheidung für die Annahme eines geänderten Sachverhalts kein Raum bleibt, sodass eine ergänzende oder neue Abwägung gemäß Art. 8 EMRK - wie von der belangten Behörde zu Recht angenommen - für den Zeitraum zwischen der Erlassung der Rückkehrentscheidung und dem Antrag auf einen Aufenthaltstitel nach § 55 AsylG nicht erforderlich war.

Daran vermag auch das Faktum nichts zu ändern, dass sich die Aufenthaltsdauer des Beschwerdeführers nach Rechtskraft der Rückkehrentscheidung durch den (illegalen) Verbleib im Bundesgebiet um rund ein Jahr verlängert hat.

Hervorzuheben ist in diesem Kontext, dass sich der Beschwerdeführer seines unsicheren (und illegalen) Aufenthalts seit Ablauf der ihm gewährten Frist zur freiwilligen Ausreise iZm der gegenüber ihm rechtskräftig erlassenen Rückkehrentscheidung nach Afghanistan bewusst war und sohin einem allfällig entstandenen Privat- und Familienleben ohnehin ein entsprechend geringes Gewicht zuzumessen wäre. Dies gilt umso mehr für Integrationsaspekte, die erst nach einer rechtskräftigen Rückkehrentscheidung entstanden sein mögen, welche - wie im vorliegenden Fall - durch sein beharrliches illegales Verbleiben im Bundesgebiet seit 09.07.2020 weiter vermindert werden, zumal diese verwaltungsrechtliche Delinquenz einen gewichtigen Verstoß gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere (auch) im Bereich des Asyl, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts, darstellt, die eine Aufenthaltsbeendigung als dringend geboten erscheinen lassen (vgl. VwGH 31.10.2002, 2002/18/0190).

Die belangte Behörde ist daher zu Recht davon ausgegangen, dass der Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005 gemäß § 58 Abs. 10 AsylG 2005 zurückzuweisen war.

3.5. In Bezug auf den in der Beschwerde vorgebrachten Einwand, dass die Möglichkeit einer schriftlichen Stellungnahme zur Beurteilung der Intensität seiner privaten und familiären Bindungen in Österreich keinesfalls ausreichend seien und sich die belangte Behörde einen persönlichen Eindruck und ein Bild vom Leben des Beschwerdeführers in Österreich hätte machen müssen, ist darauf zu verweisen, dass das österreichische Verwaltungsverfahrensrecht keinen Anspruch auf eine mündliche Verfahrensführung kennt, sondern das Recht auf Gehör auch schriftlich gewährt werden kann (vgl. Kolonovits/Muzak/Stöger, Verwaltungsverfahrensrecht10 (2014), RZ 268).

Die Behörde kann gemäß § 39 Abs. 2 AVG zwar eine mündliche Verhandlung durchführen, ist dazu jedoch im Allgemeinen nicht verpflichtet. Es steht grundsätzlich im Ermessen der Behörde, eine mündliche Verhandlung durchzuführen (vgl. VwGH 04.04.2002, 2002/08/0062). Ein Recht auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung im Sinne von §§ 40 bis 44 AVG kann dem BF gemäß § 39 Abs. 2 AVG aber nur zukommen, wenn die zur Anwendung kommenden Verwaltungsvorschriften dies ausdrücklich anordneten. Hinsichtlich dieser Rechtslage bestehen im vorliegenden Zusammenhang auch keine Bedenken im Lichte des Art. 6 EMRK (vgl. VwGH 03.10.2008, 2005/10/0078 zum Oö. NatSchG 2001; vgl auch VwGH 25.04.2014, 2011/10/0008 zum NÖ SHG 2000). Ob eine mündliche Verhandlung durchgeführt wird, kann vielmehr die Behörde im Einzelfall unter Beachtung der Regelungen des AVG bestimmen. Sie hat sich dabei von Rücksichten auf möglichste Zweckmäßigkeit, Raschheit, Einfachheit und Kostenersparnis leiten zu lassen (§ 39 Abs 2 AVG; vgl. VwGH 30.06.2011, 2010/07/0060 zum WRG 1959).

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl räumte dem BF mit Schreiben vom 25.09.2020 Parteiengehör ein bzw. forderte ihn mit diesem Schreiben binnen zwei Wochen zur Beantwortung von konkreten Fragen auf. Dass dem anwaltlich vertretenen BF die verfahrensrechtliche Bedeutung des ihm damit gewährten Parteiengehörs nicht bewusst bzw. ihm keine Möglichkeit zur Vorbereitung, Überlegung und entsprechenden Formulierung seiner Stellungnahme geboten worden wäre, hat der anwaltlich vertretene BF weder in seiner Stellungnahme vom 06.10.2020 noch in seiner Beschwerde vom 28.04.2021 behauptet. Vielmehr nahm der Beschwerdeführer mit Schreiben vom 06.10.2020 schriftlich Stellung zu den an ihn gerichteten Fragen und übermittelte dem BFA zugleich diverse Unterlagen im Zusammenhang mit der Beantwortung dieser Fragen. Dass sich das BFA bei der Erlassung des angefochtenen Bescheides auf andere Beweismittel, die dem Beschwerdeführer nicht zugänglich gemacht worden wären, gestützt hätte, wird in der Beschwerde ebenso nicht vorgebracht. Das BVwG vermag daher keine Verletzung des Parteiengehörs erkennen, weil der BF statt einer persönlichen Anhörung im Wege der schriftlichen Stellungnahme befragt wurde und dies den Grundsätzen der Zweckmäßigkeit, Raschheit, Einfachheit und Kostenersparnis entsprach.

Die Beschwerde war demnach spruchgemäß abzuweisen.

3.6. Zum Entfall der mündlichen Verhandlung:

Im Zusammenhang mit einer Zurückweisung gemäß § 58 Abs. 10 AsylG 2005 ist die Bestimmung des § 21 Abs. 7 BFA-VG 2014 nicht einschlägig, sondern die Frage nach dem zulässigen Unterbleiben einer Verhandlung auf Basis des § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG 2014 zu beurteilen. Demnach kann eine Verhandlung (unter anderem) dann entfallen, wenn der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag zurückzuweisen ist (vgl. VwGH 29.03.2021, Ra 2017/22/0196).

Da das BFA zutreffenderweise den verfahrenseinleitenden Antrag zurückwies und keine weitere Klärung des Sachverhalts erforderlich war, konnte trotz entsprechenden Antrags des BF eine mündliche Verhandlung entfallen.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen. Nach Art. 133 Abs. 4 erster Satz B-VG idF BGBl. I Nr. 51/2012 ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Im vorliegenden Fall ist die ordentliche Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung abhängt. Denn das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu den einzelnen Spruchpunkten des angefochtenen Bescheides wiedergegeben.

Schlagworte

Aufenthaltstitel individuelle Verhältnisse Interessenabwägung mangelnder Anknüpfungspunkt öffentliche Interessen strafrechtliche Verurteilung Voraussetzungen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W171.2175279.2.00

Im RIS seit

09.11.2021

Zuletzt aktualisiert am

09.11.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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