TE Bvwg Erkenntnis 2021/7/4 W195 2224260-3

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Veröffentlicht am 04.07.2021
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Entscheidungsdatum

04.07.2021

Norm

AsylG 2005 §58 Abs10
B-VG Art133 Abs4

Spruch


W195 2224260-3/2E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Vizepräsidenten Dr. Michael SACHS als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX geb. XXXX StA. Bangladesch, vertreten durch XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 01.06.2021, XXXX zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.




Text


Entscheidungsgründe:

I. bisheriger Verfahrensgang:

I.1.1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF), ein Staatsangehöriger von Bangladesch, stellte am 31.05.2019 einen Antrag auf internationalen Schutz. Als Fluchtgrund gab der BF politische Gründe an.

I.1.2. Mit Bescheid vom 29.08.2019 wies das BFA den Antrag des BF auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Bangladesch (Spruchpunkt II.) ab. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 wurde dem BF nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.). Darüber hinaus wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung nach Bangladesch gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt V.) und ausgesprochen, dass gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VI.).

I.1.3. Mit Schriftsatz vom 26.09.2019 wurde dieser Bescheid seitens des durch einen Rechtsanwalt vertretenen BF wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung und Verletzung von Verfahrensvorschriften zur Gänze angefochten.

I.1.4. Nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 09.06.2020 wies das Bundesverwaltungsgericht mit Entscheidung vom 15.06.2020, XXXX , die Beschwerde als unbegründet ab.

I.1.5. Der Verfassungsgerichtshof der Republik Österreich wies in weiterer Folge die Behandlung der vom rechtsanwaltlich vertretenen BF eingebrachten Beschwerde mit Beschluss vom 22.09.2020, E 2662/2020-7, ab.

I.1.6. Der Verwaltungsgerichtshof der Republik Österreich wies die vom rechtsanwaltlich vertretenen BF eingebrachte außerordentliche Revision mit Beschluss vom 21.12.2020, Ra 2020/14/0530-7, zurück.

I.1.7. Am 02.01.2021 wurde der BF in Schubhaft genommen.

I.1.8. Am 03.01.2021 wurde dem BF nachweislich zur Kenntnis gebracht, dass ihm die Abschiebung bevorstünde.

I.1.9. Am 04.01.2021 verhinderte der BF am Flughafen nach der Sicherheitskontrolle seine unbegleitete Abschiebung.

I.1.10. Am 04.01.2021 erfolgte eine Einvernahme vor dem BFA, im Zuge dessen der BF einen neuerlichen Asylantrag stellte. Der BF verweigerte die Unterschrift am Einvernahmeprotokoll. Der BF war nicht ausreisewillig.

Das BFA stellte dem BF einen begründeten Aktenvermerk nach § 40 Abs 5 BFA-VG zu und hielt die Anhaltung des BF aufrecht. Im Aktenvermerk begründete das BFA nachvollziehbar, dass der BF den Folgeantrag in Missbrauchsabsicht, ausschließlich um seine Abschiebung zu verhindern bzw. zu verzögern, gestellt hat.

I.1.11. Am 05.01.2021 erfolgte die Erstbefragung des BF in Hinblick auf den neuen Asylantrag. Dabei führte der BF aus, dass es ein Strafverfahren gegen den BF gäbe, welches darauf beruhe, dass sein Zwillingsbruder –als Zeuge – vor Ort in Bangladesch angegeben habe, dass der BF eine „Sabotage“ verursacht habe und der BF deswegen strafrechtlich verfolgt werde. Dies sei Teil eines politisch motivierten Strafverfahrens gegen den BF. Darüber hinaus gäbe der BF nunmehr bekannt, dass er homosexuell sei, er in Bangladesch zwei Freunde hatte und seine Sexualität in Österreich problemlos ausleben könne. Er befürchte jedoch, dass er wegen seiner Sexualität von den Moslems getötet werde.

I.1.12. Mit Verfahrensanordnung vom 11.01.2021 wurde dem Antragsteller vom BFA mitgeteilt, dass beabsichtigt sei, den Antrag auf internationalen Schutz wegen entschiedener Sache im Sinne des § 68 AVG zurückzuweisen und den faktischen Abschiebeschutz durch mündlichen Bescheid gemäß § 12a Abs 2 AsylG aufzuheben.

I.1.13. Am 12.01.2021 brachte der rechtsfreundliche Vertreter des BF einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 AsylG ein.

I.1.14. Der in Schubhaft genommene BF legte gegen die Schubhaft Beschwerde ein, welche somit zur mündlichen Verhandlung vor dem Richter der Gerichtsabteilung XXXX des Bundesverwaltungsgerichtes am 19.01.2021 führte.

Wie dem Bezug habenden Gerichtsakt zu entnehmen ist, wurde in der Verhandlung der rechtsanwaltlich vertretene BF zu seinen Lebensumständen und zum Fluchtvorbringen umfassend befragt.

Danach entschied das Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 19.01.2021 (mündlich) bzw. 04.02.2021 (schriftlich), Zl 2238523, dass die Beschwerde des BF als unbegründet abzuweisen ist und dass die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorliegen.

Zusammengefasst wurde in der Begründung ausgeführt, dass der BF im Zuge der mündlichen Verhandlung nicht glaubhaft machen konnte, dass die Stellung des Folgeantrages nicht lediglich der Verhinderung der Abschiebung diente.

In der weiteren Befragung musste der BF einräumen, dass er im Jahr 2017 freiwillig nach Bangladesch einreiste, obwohl der „Fluchtgrund“ seiner Homosexualität bereits zum damaligen Zeitpunkt bestanden habe und sich weder gesellschaftlich noch gesetzlich wesentliche Änderungen seit 2009 ergeben hätten.

Zum Fluchtgrund des vorgelegten Haftbefehls wurde in der Verhandlung festgehalten, dass die Daten (zB Rechtsgrundlage, Formularnummer), welche bei einem Haftbefehl üblicherweise auf der ersten Seite stehen, gegeben sind, jedoch die Rückseite fehle, auf der sich der Name des Richters mit dem Gerichtsstempel sowie die Unterschrift des Richters befinden.

Weiters führte der BF aus, dass er auch nach seinem seinerzeitigen Asylantrag gearbeitet habe, nämlich ca. ein Jahr lang in der Zeitungszustellung, und dies unter einem anderen, falschen Namen.

I.1.15. Daraufhin erfolgte am 25.01.2021 eine neuerliche Einvernahme des BF vor dem BFA.

Am Ende der Einvernahme erging der mündlich verkündete Bescheid des BFA, welcher in der Niederschrift aufgenommen wurde. Damit wurde der faktische Abschiebeschutz gemäß § 12 AsylG gemäß § 12a Abs 2 AsylG aufgehoben.

Unter Darlegung des bisherigen Verfahrensganges und der Beweismittel, welche bereits dem BVwG vorlagen, wurde – auch unter Berücksichtigung der aktuellen Länderberichte einschließlich der Situation durch die Corona-Pandemie – festgehalten, dass das Vorbringen des BF hinsichtlich eines Haftbefehls gegen ihn, ausgelöst durch die Aussagen des Zwillingsbruders, keinesfalls glaubhaft seien. Es sei dies lediglich der Versuch einer Steigerung seines Vorbringens und habe sich bereits das BVwG rechtskräftig mit dem Vorbringen auseinander gesetzt.

Hinsichtlich der Vorbringens der Homosexualität des BF führte das BFA beweiswürdigend aus, dass ein derartiges Vorbringen bisher nicht erfolgte, obwohl es dem BF bewusst sein musste, welche Bedeutung ein derartiges Vorbringen im Asylverfahren haben könnte. Der BF habe auch im Vorverfahren vor dem BVwG angegeben, dass er in Österreich ohne Beziehung sei. Sowohl der VwGH als auch der VfGH würden die Glaubhaftmachung des Vorbringens verlangen. Eine derartige Glaubhaftmachung sei nicht gelungen, insbesondere, weil der BF im gesamten bisherigen Verfahren keinerlei Andeutungen in Richtung einer Homosexualität anführte. Die erforderliche, zumindest die „zumutbare“ Mitwirkungspflicht des BF sei nicht gegeben gewesen, es sei daher auch nicht das nunmehrige Vorbringen glaubwürdig, es gäbe keinen nachvollziehbaren wahren Kern der Aussagen des BF.

I.1.16. Am 25.01.2021 legte das BFA die Niederschrift vom 25.01.2021 dem BVwG elektronisch vor und langte der dazugehörende vollständige Papierakt am 27.01.2021 im BVwG ein.

I.1.17. Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 28.01.2021, 2224260-2, wurde die Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes bestätigt.

I.1.18. Am 25.02.2021 erfolgte die Abschiebung nach Bangladesch.

I.2. Gegenständliches Verfahren:

I.2.1. Am 12.01.2021 stellte der rechtsfreundlich vertretene BF einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 AsylG (s. I.1.13).

I.2.2. Am 25.02.2021 erfolgte die Abschiebung des BF nach Bangladesch.

I.2.3. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid des BFA vom 01.06.2021 wurde der Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art 8 EMRK gemäß § 58 Abs. 10 AsylG zurückgewiesen. Begründend führte das BFA aus, dass gegen den BF bereits eine rechtskräftige Rückkehrentscheidung bestanden habe und eine neuerliche Antragstellung innerhalb eines Jahres bei (im wesentlichen unveränderter Sach- und Rechtslage) zurückzuweisen sei.

I.2.4. Gegen diese Entscheidung wendet sich die vorliegende, vom Rechtsanwalt des BF eingebrachte Beschwerde an das BVwG. Nach zusammengefasster Darstellung des bisherigen Verfahrensverlaufes – allerdings ohne Hinweis auf die Entscheidungen des VfGH und des VwGH – vermeint die Beschwerde, dass das BFA eine Entscheidung ohne ausreichende Berücksichtigung des Integrationsgrades des BF getroffen habe. Die Zurückweisung des Antrages würde einen unverhältnismäßigen Eingriff in das Privat- und Familienleben des BF bedeuten. Das Ermittlungsverfahren sei dermaßen mangelhaft geführt worden, dass eine mündliche Verhandlung unvermeidbar sei. Auch seien die Länderfeststellungen nicht adäquat berücksichtigt worden.

Aus diesen Gründen beantragte der rechtsfreundliche Vertreter des BF die Durchführung einer mündlichen Verhandlung, die Behebung des angefochtenen Bescheides und Zuerkennung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art 8 EMRK, die Feststellung der Unzulässigkeit der Abschiebung nach Bangladesch auf Dauer und in eventu die Zurückverweisung der Angelegenheit gemäß § 28 Abs 3 VwGVG.

Darüber hinaus stellte der Anwalt mit dem Beschwerdeantrag vom 22.06.2021 auch den Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung. Begründend wird ausgeführt, dass im Falle der Nichtgewährung der BF nach Bangladesch abgeschoben werden könnte.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

II.1. Feststellungen:

Der unter I.1. dargelegte Sachverhalt wird auf Grund der rechtskräftig abgeschlossenen Vorverfahren festgestellt.

Der volljährige BF ist Staatsangehöriger von Bangladesch und der Volksgruppe der Bengalen sowie der sunnitischen Glaubensgemeinschaft zugehörig. Seine Muttersprache ist Bengali. Seine Identität steht fest.

Der BF wurde in der Stadt XXXX in der Provinz XXXX geboren, ist dort aufgewachsen und hat auch zuletzt dort gewohnt.

Der BF ist ledig und hat keine Kinder. Seine Eltern, zwei Brüder, die Frau seines ältesten Bruders und deren Tochter halten sich in Bangladesch auf. Darüber hinaus sind Onkel des BF mit deren Familien in Bangladesch aufhältig, ein Cousin und dessen Ehefrau in Österreich.

Gegen den BF lag bereits vor dem Antrag auf Erlangung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art 8 EMRK eine rechtskräftige Rückkehrentscheidung vor. Darüber hinaus wurde der faktische Abschiebeschutz behoben und auch die Rechtsmäßigkeit der Verhängung der Schubhaft bestätigt.

Der BF kehrte am 25.02.2021 im Rahmen einer Abschiebung in sein Herkunftsland Bangladesch zurück.

II.2. Beweiswürdigung:

II.2.1. Beweis wurde erhoben durch den vorgelegten Administrativakt, insbesondere den Bescheid des BFA vom 01.06.2021 sowie die Beschwerde des anwaltlich vertretenen BF, sowie die rechtskräftig entschiedenen Vorverfahren, insbesondere die Gerichtsakten des BVwG zu W195 2224260-1, W195 2224260-2 und zu W278 2238523-1 sowie die Entscheidungen des VfGH zu E 2662/2020 und des VwGH zu Ra 2020/14/0530.

Hinsichtlich der Feststellungen zur Staatsangehörigkeit des BF sowie zu seiner Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit und seiner Muttersprache wird den bereits im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen des BFA gefolgt, an denen sich im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht keine Zweifel ergeben haben, zumal diese Feststellungen, die auf den im Verfahren vor dem BFA getätigten eigenen Angaben des BF gründen, im vorliegenden Beschwerdeschriftsatz auch nicht beanstandet wurden.

Die Identität des BF konnte festgestellt werden. Die Feststellungen zur Herkunft des BF, seiner absolvierten Schulausbildung, seinem Familienstand und seinen in Bangladesch aufhältigen Familienangehörigen legte ebenso bereits das BFA dem angefochtenen Bescheid zu Grunde, diese decken sich mit dem vom BF im Verfahren mehrfach übereinstimmend gemachten Angaben und wurden im Beschwerdeschriftsatz nicht bestritten.

Dass der BF über private Anknüpfungspunkte in Österreich in nennenswertem Ausmaß verfügt, war seinen diesbezüglich getätigten – allgemeinen - Angaben nicht zu entnehmen.

Der BF hat keine wesentliche Änderung der Sach- und Rechtslage gegenüber den früheren Verfahren ausreichend und glaubwürdig dargelegt.

Auch dem Beschwerdeschriftsatz lassen sich keine darüber hinausgehenden substantiierten Ausführungen dahingehend entnehmen. Ebenso wurden im Laufe des Verfahrens keine weiteren Stellungnahmen abgegeben bzw. Unterlagen vorgelegt, aus denen anderes hervorgehen würde und sind die Ausführungen der belangten Behörde, wonach der BF im Bundesgebiet über keine relevanten privaten Anknüpfungspunkte verfügt, nicht zu beanstanden.

II.3. Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gegenständlich liegt somit Einzelrichterzuständigkeit vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichts ist durch das VwGVG geregelt (§ 1 leg. cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes - AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

§ 1 BFA-VG bestimmt, dass dieses Bundesgesetz allgemeine Verfahrensbestimmungen beinhaltet, die für alle Fremden in einem Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, vor Vertretungsbehörden oder in einem entsprechenden Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht gelten. Weitere Verfahrensbestimmungen im AsylG und FPG bleiben unberührt.

§ 16 Abs. 6 und § 18 Abs. 7 BFA-VG bestimmen, dass §§ 13 Abs. 2 bis 5 und 22 VwGVG nicht anzuwenden sind.

Gemäß § 9 Abs. 2 FPG und § 7 Abs. 1 Z 1 BFA-VG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Entscheidungen (Bescheide) des BFA. Somit ist das Bundesverwaltungsgericht für die Entscheidung zuständig.

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist. Gemäß § 31 Abs. 1 VwGVG erfolgen die Entscheidungen und Anordnungen durch Beschluss, soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist.

II.3.1. Zu A) I.:

Der BF kehrte Ende Februar 2021 in seinem Herkunftsland Bangladesch zurück.

Die vom BFA mit Bescheid vom 01.06.2021 vorgenommene Beurteilung (vor diesem Zeitpunkt) ist insoweit theoretischer Natur, als der BF sich nicht mehr im Bundesgebiet aufhält und daher die Beurteilung des Privat- und Familienlebens auch den Zeitraum (seit Februar 2021) zu umfassen hätte.

Wie das BFA rechtsrichtig darstellte, ist bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG insbesondere zu berücksichtigen: die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war (Z 1), das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens (Z 2), die Schutzwürdigkeit des Privatlebens (Z 3), der Grad der Integration (Z 4), die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden (Z 5), die strafgerichtliche Unbescholtenheit (Z 6), Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts (Z 7), die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren (Z 8) und die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist (Z 9).

Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist gemäß § 9 Abs. 3 BFA-VG jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§ 45 oder §§ 51 ff. NAG) verfügen, unzulässig wäre.

Nach Art. 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff in die Ausübung des Rechts auf Privat- und Familienleben nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutze der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

Ob eine Verletzung des Rechts auf Schutz des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK vorliegt, hängt nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte sowie des Verfassungs- und Verwaltungsgerichtshofes jeweils von den konkreten Umständen des Einzelfalles ab. Die Regelung erfordert eine Prüfung der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit des staatlichen Eingriffes; letztere verlangt eine Abwägung der betroffenen Rechtsgüter und öffentlichen Interessen. In diesem Sinn wird eine Ausweisung nicht erlassen werden dürfen, wenn ihre Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden schwerer wiegen würden als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von ihrer Erlassung.

Die Verhältnismäßigkeit einer Rückkehrentscheidung ist dann gegeben, wenn der Konventionsstaat bei seiner aufenthaltsbeendenden Maßnahme einen gerechten Ausgleich zwischen dem Interesse des Fremden auf Fortsetzung seines Privat- und Familienlebens einerseits und dem staatlichen Interesse auf Verteidigung der öffentlichen Ordnung andererseits, also dem Interesse des Einzelnen und jenem der Gemeinschaft als Ganzes gefunden hat. Dabei variiert der Ermessensspielraum des Staates je nach den Umständen des Einzelfalles und muss in einer nachvollziehbaren Verhältnismäßigkeitsprüfung in Form einer Interessenabwägung erfolgen.

Bei dieser Interessenabwägung sind – wie in § 9 Abs. 2 BFA-VG unter Berücksichtigung der Judikatur der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts ausdrücklich normiert wird – insbesondere die Art und Dauer des bisherigen Aufenthalts und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war, das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens, die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, der Grad der Integration des Fremden, die Bindungen zum Heimatstaat, die strafgerichtliche Unbescholtenheit, Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts, die Frage, ob das Privat- und Familienleben in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren sowie die Frage zu berücksichtigen, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist (VfSlg. 18.224/2007, 18.135/2007; VwGH 26.06.2007, 2007/01/0479; 26.01.2006, 2002/20/0423).

Vom Begriff des „Familienlebens“ in Art. 8 EMRK ist nicht nur die Kernfamilie von Eltern und (minderjährigen) Kindern umfasst, sondern z.B. auch Beziehungen zwischen Geschwistern (EKMR 14.03.1980, Appl. 8986/80, EuGRZ 1982, 311) und zwischen Eltern und erwachsenen Kindern (EKMR 06.10.1981, Appl. 9202/80, EuGRZ 1983, 215). Dies allerdings nur unter der Voraussetzung, dass eine gewisse Beziehungsintensität vorliegt. Es kann nämlich nicht von vornherein davon ausgegangen werden, dass zwischen Personen, welche miteinander verwandt sind, immer auch ein ausreichend intensives Familienleben iSd Art. 8 EMRK besteht, vielmehr ist dies von den jeweils gegebenen Umständen, von der konkreten Lebenssituation abhängig. Der Begriff des „Familienlebens“ in Art. 8 EMRK setzt daher neben der Verwandtschaft auch andere, engere Bindungen voraus; die Beziehungen müssen eine gewisse Intensität aufweisen. So ist etwa darauf abzustellen, ob die betreffenden Personen zusammengelebt haben, ein gemeinsamer Haushalt vorliegt oder ob sie (finanziell) voneinander abhängig sind (vgl. VwGH 26.01.2006, 2002/20/0423; 08.06.2006, 2003/01/0600; 26.01.2006, 2002/20/0235, worin der Verwaltungsgerichtshof feststellte, dass das Familienleben zwischen Eltern und minderjährigen Kindern nicht automatisch mit Erreichen der Volljährigkeit beendet wird, wenn das Kind weiter bei den Eltern lebt).

Der BF ist mittlerweile nicht mehr im Bundesgebiet aufhältig und führt er in Österreich kein Familienleben.

Die aufenthaltsbeendende Maßnahme könnte daher allenfalls lediglich in das Privatleben des BF eingreifen. Unter dem „Privatleben“ sind nach der Rechtsprechung des EGMR persönliche, soziale und wirtschaftliche Beziehungen, die für das Privatleben eines jeden Menschen konstitutiv sind, zu verstehen (vgl. Sisojeva u.a. gg. Lettland, EuGRZ 2006, 554). In diesem Zusammenhang komme dem Grad der sozialen Integration des Betroffenen eine wichtige Bedeutung zu.

Für den Aspekt des Privatlebens spielt zunächst die zeitliche Komponente im Aufenthaltsstaat eine zentrale Rolle, wobei die bisherige Rechtsprechung keine Jahresgrenze festlegt, sondern eine Interessenabwägung im speziellen Einzelfall vornimmt (vgl. dazu Chvosta, Die Ausweisung von Asylwerbern und Art. 8 MRK, in ÖJZ 2007, 852 ff.). Die zeitliche Komponente spielt jedoch insofern eine zentrale Rolle, da – abseits familiärer Umstände – eine von Art. 8 EMRK geschützte Integration erst nach einigen Jahren im Aufenthaltsstaat anzunehmen ist (vgl. Thym, EuGRZ 2006, 541). Der Verwaltungsgerichtshof geht in seinem Erkenntnis vom 26.06.2007, 2007/10/0479, davon aus, dass „der Aufenthalt im Bundesgebiet in der Dauer von drei Jahren […] jedenfalls nicht so lange ist, dass daraus eine rechtlich relevante Bindung zum Aufenthaltsstaat abgeleitet werden könnte“.

Außerdem ist nach der bisherigen Rechtsprechung auch auf die Besonderheiten der aufenthaltsrechtlichen Stellung von Asylwerbern Bedacht zu nehmen, zumal das Gewicht einer aus dem langjährigen Aufenthalt in Österreich abzuleitenden Integration dann gemindert ist, wenn dieser Aufenthalt lediglich auf unberechtigte Asylanträge zurückzuführen ist (vgl. VwGH 17.12.2007, 2006/01/0216 mwN).

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat in seiner langjährigen Rechtsprechung zu Ausweisungen Fremder wiederholt ausgesprochen, dass die EMRK Fremden nicht das Recht auf Einreise und Aufenthalt in einem bestimmten Land garantiert und die Konventionsstaaten im Allgemeinen nicht verpflichtet sind, die Wahl des Aufenthaltslandes durch Einwanderer zu respektieren und auf ihrem Territorium die Familienzusammenführung zu gestatten. Dennoch könne in einem Fall, der sowohl die Achtung des Familienlebens, als auch Fragen der Einwanderung betrifft, der Umfang der staatlichen Verpflichtung, Familienangehörigen von im Staat ansässigen Personen Aufenthalt zu gewähren, – je nach der Situation der Betroffenen und dem Allgemeininteresse – variieren (vgl. z.B. EGMR 05.09.2000, 44328/98, Solomon v. Niederlande; 09.10.2003, 48321/99, Slivenko v. Lettland; 22.04.2004, 42703/98, Radovanovic v. Österreich; 31.01.2006, 50435/99, da Silva und Hoogkamer v. Niederlande; 31.07.2008, 265/07, Darren Omoregie ua v. Norwegen).

Die Dauer des durchgehenden Aufenthaltes des BF im Bundesgebiet seit Juli 2017 (insgesamt seit 27.02.2015, mit Unterbrechung) ist als relativ kurz zu bezeichnen. Die Aufenthaltszeiträume zuvor wurden nur aufgrund befristeter Aufenthaltstitel (beendet am 09.04.2018) begründet und war seine Aufenthaltsberechtigung als Asylwerber (seit 31.05.2019) bis zu seiner Abschiebung im Februar 2021 auch nur eine vorübergehende, was dem BF bewusst gewesen sein musste, weswegen eingegangene Bindungen im Bundesgebiet nicht schwer wiegen. Überdies ist der Aufenthalt auch keineswegs als derart lang zu bezeichnen, dass dieser ausreichend ins Gewicht fallen könnte.

Mittlerweile ist der BF nicht mehr im Bundesgebiet aufhältig und führt auch kein Privatleben in Österreich.

Zusammengefasst ist die Entscheidung des BFA hinsichtlich der Zurückweisung des Antrages auf Erlangung eines Aufenthaltstitels gemäß Art 8 EMRK nicht entgegenzutreten. Der BF ist seit Februar 2021 nicht mehr in Österreich aufhältig und wurde er nach Bangladesch zu Recht abgeschoben. Die Erlangung eines Aufenthaltstitels gemäß Art 8 EMRK ist somit nicht gegeben.

Dem Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung hinsichtlich der vorliegenden Beschwerde war im Hinblick auf die getroffene Entscheidung in der Hauptsache und der Tatsache, dass sich der BF bereits in Bangladesch befindet, nicht zu folgen.

Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung war Abstand zu nehmen, nicht nur in Folge der Ortsabwesenheit des BF, sondern auch deshalb, weil keine neuen wesentlichen Sachverhaltselemente zu erwarten waren und bei einer Beurteilung lediglich einer Rechtsfrage – konkret die formelle Zurückweisung des Antrages wegen entschiedener Sache – eine mündliche Verhandlung nicht zwingend erforderlich ist.

II.3.2. Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu den einzelnen Spruchpunkten des angefochtenen Bescheides ausführlich wiedergegeben.

Schlagworte

Aufenthaltstitel Ausreise individuelle Verhältnisse Interessenabwägung mangelnder Anknüpfungspunkt öffentliche Interessen Voraussetzungen Wegfall der Gründe

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W195.2224260.3.00

Im RIS seit

09.11.2021

Zuletzt aktualisiert am

09.11.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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