TE Bvwg Erkenntnis 2021/7/5 W105 2154420-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 05.07.2021
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Entscheidungsdatum

05.07.2021

Norm

AsylG 2005 §7 Abs1
AsylG 2005 §7 Abs4
AsylG 2005 §8 Abs1 Z2
BFA-VG §9 Abs2
BFA-VG §9 Abs3
B-VG Art133 Abs4
FPG §52
FPG §55 Abs1
FPG §58 Abs2
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2
VwGVG §31 Abs1

Spruch


W105 2154420-2/8E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

1.

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Harald BENDA als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 27.10.2020, Zahl: XXXX , beschlossen:

A)

Das Verfahren wird wegen Zurückziehung der Beschwerde gegen Spruchpunkt I. und II. des anfechtungsgegenständlichen Bescheides gemäß §§ 28 Abs. 1, 31 Abs. 1 VwGVG eingestellt.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

2.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Harald BENDA als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Afghanistan, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 27.10.2020, Zahl: XXXX , zu Recht erkannt:

A)

I. Der Beschwerde hinsichtlich Spruchpunkt IV. des angefochtenen Bescheides wird stattgegeben mit der Maßgabe, dass Spruchpunkt IV. zu lauten hat: "Die Erlassung einer Rückkehrentscheidung wird gemäß § 52 FPG iVm § 9 Abs. 2 und 3 BFA-VG auf Dauer für unzulässig erklärt und wird XXXX gemäß §§ 54 Abs. 1 Z 1 und Abs. 2 iVm 55 Abs. 1 und 58 AsylG der Aufenthaltstitel "Aufenthaltsberechtigung plus" für die Dauer von zwölf Monaten erteilt."

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang und Sachverhalt:

1. Der Beschwerdeführer (BF), ein Staatsangehöriger Afghanistans, stellte am 30.12.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz in Österreich.

2. Im Rahmen der erstniederschriftlichen Einvernahme vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes bezog sich der Antragsteller zentral darauf, dass ein namhaft gemachter Bruder ca. vier Jahre lang als Security bei den Amerikanern gearbeitet habe. Die Taliban, die im Herkunftsdorf an der Macht gewesen seien, hätten den in Rede stehenden Bruder mehrmals aufgefordert, aufzuhören für die Amerikaner zu arbeiten und seien sie bedroht worden. Der Antragsteller sei einmal für drei Tage verschleppt und verprügelt worden, habe aber flüchten können. Ein weiterer (namhaft gemachter) Bruder sei von den Taliban verschleppt worden und sei er seither abgängig und seien der Antragsteller und dessen Bruder in der Folge geflüchtet.

3. Im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA, belangte Behörde) gab der Antragsteller zentral zu Protokoll, dass einer seiner Brüder für die Amerikaner gearbeitet habe und sei am 05.01.2014 ein Talib zu ihnen nach Hause gekommen und habe zum Vater gesagt, dass sie erfahren hätten, dass sein Bruder für die Amerikaner arbeite und habe er gemeint, dass dieser deren Waffen und Sprengstoffe „hineinschmuggeln“ sollte. Der Vater habe dies abgelehnt. Am 07.09.2015 seien die Taliban neuerlich gekommen und hätten den Antragsteller mitgenommen, ihm die Augen verbunden, ihn eingesperrt und geschlagen. Drei Tage sei er an einem ihm unbekannten Ort festgehalten worden und habe er am vierten Tag fliehen können.

Im Rahmen des erstinstanzlichen Ermittlungsverfahrens des ebenfalls in Österreich internationalen Schutz beantragenden Bruders des Antragstellers bezog sich dieser zentral darauf, vier Jahre lang als Security-Mitarbeiter für US-Truppen in Afghanistan gearbeitet zu haben. Im Jänner 2014 sei bereits seine Familie von Taliban aufgesucht worden und habe man seinem Vater mitgeteilt, dass die Taliban erfahren hätten, dass er für die Amerikaner arbeite. In diesem Zusammenhang sei dem Vater vorgehalten worden, der Antragsteller könne Sprengstoff bzw. Angehörige der Taliban „hineinschmuggeln“. In weiterer Folge entzog sich der Antragsteller einem Taliban-Checkpoint auf der Straße und teilte er diesen Vorfall den amerikanischen Behörden mit. Daraufhin sei einer seiner Brüder (ie. der nunmehrige Beschwerdeführer) von den Taliban mitgenommen und für drei Tage von den Taliban festgehalten worden. Diesem sei dann die Flucht gelungen. Der Bruder des Antragstellers und er selbst hätten sodann zeitnah Afghanistan verlassen. Konkretisierend führte der Bruder des Antragstellers auf Nachfrage im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl an, er habe etwa ein Jahr lang direkt für die US Armee gearbeitet und in weiterer Folge für ein Unternehmen, das für die US-Truppen Personal bereitgestellt habe.

Im Rahmen des erstinstanzlichen Ermittlungsverfahrens legte der Bruder des Antragstellers umfangreiche Unterlagen zum Nachweis seines Vorbringens – darunter Bestätigungen der US-Armee in Afghanistan sowie einen Arbeitsvertrag vor. Sein Vorbringen bekräftigte er weiters mit der Vorlage von Originalfotos.

4. Mit Bescheid vom 07.04.2017 wies das BFA den Antrag des BF auf internationalen Schutz sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 idgF (Spruchpunkt I.) als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG ab (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem BF gemäß § 57 AsylG nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG idgF wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG idgF erlassen, unter einem gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt III.), sowie gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG eine Frist von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung für die freiwillige Ausreise gesetzt (Spruchpunkt IV.).
Begründend wurde zur Versagung des Status des Asylberechtigten im Wesentlichen ausgeführt, dass das Vorbringen des Antragstellers zum Gang der Ereignisse nicht glaubhaft sei.

5. Dagegen richtete sich eine fristgerecht erhobene Beschwerde, worin im Wesentlichen darauf verwiesen wird, dass der Bruder des Antragstellers vier Jahre lang als Security für die amerikanische Armee gearbeitet habe und er selbst, sowie auch sein Bruder, bedroht sowie er persönlich drei Tage von den Taliban verschleppt und misshandelt worden sei. Ein weiterer (namhaft gemachter) Bruder sei ebenfalls von den Taliban verschleppt worden und seitdem verschollen. Die Behörde habe ihr Verfahren insofern mit Mangelhaftigkeit behaftet, als sie es gänzlich unterlassen habe, sich mit den wesentlichen Fragen auseinanderzusetzen, insbesondere mit der Gefährdungssituation von Familienmitgliedern ehemaliger Angestellter des amerikanischen Militärs. Außerdem hätte das Bundesamt hinsichtlich der Talibanaktivitäten in der Provinz Paktia ermitteln müssen, um das Fluchtvorbringen des Beschwerdeführers auf Plausibilität hin zu überprüfen. Hinsichtlich eines Bestehens einer sogenannten innerstaatlichen Fluchtalternative habe der Antragsteller nicht Stellung nehmen können. Im Weiteren verwies der Beschwerdeführer zentral drauf, dass sowohl er als auch sein Bruder in dessen eigenem Asylverfahren gleichbleibend über die Hintergründe und die Tätigkeit des Bruders für die US-Armee sowie die daraus erwachsenen Folgen berichtet hätten. Des Weiteren habe die Erstbehörde in Bezug auf die Bewertung des Vorbringens als unglaubwürdig nicht weiter nachgefragt und so nicht herausfinden können, dass die Wohnverhältnisse nicht mit einem europäischen Haus vergleich bar seien, sondern würden hiebei in Afghanistan die Wohnräume weit von der Eingangstüre entfernt liegen. Auch sei die beschriebene Toilette nicht mit europäischen Toiletten in einer europäischen Wohnung vergleichbar. Weitere aufgetretene Ungenauigkeiten hinsichtlich eines bestimmten Datums würden an der Gesamtglaubwürdigkeitsbetrachtung nichts ändern.

Die Behörde erster Instanz hätte feststellen können, dass eine mit Vernunft begabte Person in der Situation des Beschwerdeführers ebenfalls wohlbegründete Furcht vor asylrechtlich relevanter Verfolgung in Afghanistan habe. Der Beschwerdeführer sei aufgrund der Tätigkeit seines Bruders als ehemaliger Mitarbeiter des amerikanischen Militärs verfolgt. Die GFK-Relevanz ergebe sich einerseits aufgrund der Zugehörigkeit des Beschwerdeführers zur sozialen Gruppe der Familie, andererseits aufgrund einer von der den Taliban unterstellten politischen bzw. religiösen Gesinnung. In diesem Zusammenhang verwies der Beschwerdeführer auf mehrere in ähnlichen Fällen ergangene Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts sowie auf die UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender. So gehöre der Beschwerdeführer aufgrund seiner Eigenschaft als Familienangehöriger eines ehemaligen Mitarbeiters des amerikanischen Militärs zu einer Risikogruppe, für welche, abhängig vom Einzelfall, eine Asylgewährung wahrscheinlich sei. So treffe ihn bei dem angeführten Risikoprofil die Vergeltungsmaßnahme der Verfolger gemäß dem Prinzip der Sippenhaft. Insbesondere seien davon Verwandte […], von Regierungsmitarbeitern und Mitglieder der afghanischen nationalen Sicherheitskräfte […] berührt. So führe UNHCR in den dargestellten Richtlinien unter anderem an, dass, je nach Umständen des Einzelfalls, auch Familienangehörige und andere Mitglieder des Haushaltes von Personen mit dem angegebenen Risikoprofil (Personen, die tatsächlich oder vermeintlich mit der Regierung oder mit der internationalen Gemeinschaft einschließlich der internationalen Streitkräfte verbundenen Personen) aufgrund ihrer Verbindung mit der gefährdeten Person internationalen Schutzes bedürfen.

6. Mit Schreiben vom 28.05.2019 erstattete der BF im Wege seiner rechtsfreundlichen Vertretung eine Stellungnahme zur aktuellen Berichtslage in Afghanistan, worin näher auf das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation vom 29.06.2018 sowie auf die UNHCR-Richtlinien vom 30.08.2018 eingegangen wurde. Unter einem brachte der BF Bestätigungen hinsichtlich seiner Integrationsbemühungen vor (Sprachzertifikate bis A2, Teilnahme an verschiedenen Kursen, darunter ÖIF Werte- und Orientierungskurs, ua. sowie zur sportlichen Integration im Rahmen eines Sportvereins, sowie eine Reihe von Unterstützungserklärungen und Medienberichte).

7. Am 29.05.2019 fand eine öffentliche mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht in der Angelegenheit der Antragstellung auf internationale Schutzgewährung des Bruders des Antragstellers statt, in welcher eine ergänzende Sachverhaltserhebung des Verfahrens des Bruders hinsichtlich seiner Glaubwürdigkeit durchgeführt wurde.

Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 12.06.2019, XXXX , wurde dem Bruder des Antragstellers internationaler Schutz gewährt.

8. Im Rahmen der abgeführten öffentlichen mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht vom 10.10.2019 wurde dem Beschwerdeführer Gelegenheit geboten, neuerlich auf seine Fluchtmotive Bezug zu nehmen und wurde versucht durch gezielte Einvernahme den Wahrheitsgehalt der Angaben des Antragstellers näher zu ergründen.

Im Rahmen des Beschwerderechtsgespräches wurden weitere Länderdokumentationsunterlagen in Form von Berichten zu Aufbau und Struktur der Taliban sowie der nachrichtendienstlichen Tätigkeit der Taliban in Afghanistan in das Verfahren eingeführt.

9. Im Nachhang zur abgeführten Beschwerdeverhandlung bezog der Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 24.10.2019 schriftlich Stellung und führte er hierin zentral an, dass er mit entscheidungsrelevanter Wahrscheinlichkeit im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan abermals ins Visier der Taliban geraten würde. In diesem Zusammenhang verwies der Antragsteller auf die Berichte von UNHCR und EASO sowie ua auf gutachterliche Stellungnahmen des Afghanistan Experten Dr. Rasuly, wonach Taliban in Gebieten, die sie beherrschen würden, auch Familienmitglieder einer Person, die den Aufforderungen der Taliban nicht nachgekommen sei und aus der Herrschaft Region der Taliban stamme, bestrafen würden. Auf eine aktuelle Entscheidung des erkennenden Gerichtes in einem ähnlich gelagerten Sachverhaltsfall wurde verwiesen. Der Antragsteller sei aufgrund seiner Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Familie mit entscheidungsrelevante Wahrscheinlichkeit Verfolgungshandlungen durch die Taliban ausgesetzt. Aufgrund der drohenden Verfolgungsgefahr durch die Taliban, dem großen Einflussbereich dieser auf dem gesamten afghanischen Staatsgebiet sowie der katastrophalen Sicherheitslage stehe dem Beschwerdeführer überdies keine zumutbare Innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung. Auch der von der belangten Behörde ins Verfahren eingeführte Bericht von Landinfo bezüglich des Nachrichtendienstes der Taliban bestätige die hohe Verfolgungsgefahr von Familienangehörigen von Personen, die aufgrund ihrer Tätigkeit für die Sicherheitskräfte ins Visier der Taliban geraten seien.

10. Mit Erkenntnis vom 29.10.2019, XXXX wurde der Beschwerde des BF stattgegeben und diesem gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des Asylberechtigten zuerkannt (Spruchpunkt I.), festgestellt, dass diesem kraft Gesetzes die Flüchtlingseigenschaft zukommt (Spruchpunkt II.) und wurde dem BF eine befristete Aufenthaltsberechtigung als Asylberechtigter für drei Jahre erteilt (Spruchpunkt III). Begründend wurde durch das erkennende Gericht ausgeführt, dass letztlich durch die Vielschichtigkeit und Vielfältigkeit sowie Detailqualität vom Wahrheitsgehalt der Angaben des BF ausgegangen werde. Das Vorbringen sei als glaubhaft anzuerkennen.

11. Mit Bescheid vom 27.10.2020 Zahl: XXXX wurde dem Beschwerdeführer der zuerkannte Status des Asylberechtigten gem. § 7 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 von Amts wegen aberkannt (Spruchpunkt I.) und diesem der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuerkannt (Spruchpunkt II.), ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde dem Beschwerdeführer gem. § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Weiters wurde gem. § 10 Abs. 1 Z 5 AsylG iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gem. § 52 Abs. 2 Z 4 Fremdenpolizeigesetz (FPG) erlassen (Spruchpunkt IV.), festgestellt, dass die Abschiebung gem. § 46 FPG nach Afghanistan zulässig ist (Spruchpunkt V.) und die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung beträgt (Spruchpunkt VI.).

Begründend wurde von der belangten Behörde ausgeführt, dass die vormalig festgestellte „wohlbegründete Furcht vor Verfolgung“ des BF nunmehr nicht gegeben sei. Der BF sei von 06.09.2020 bis 06.10.2020 nach Kabul, Afghanistan, ausgereist und habe damit zu erkennen gegeben, kein vorrangiges Ziel mehr für die Taliban zu sein. Es sei nicht verkannt worden, dass kurzfristige Aufenthalte im Heimatstaat per se keine Unterschutzstellung iSd Art. 1 Abschnitt C Z1 GFK darstellen würden, dennoch liege ein Endigungsgrund iSd Art. 1 Abschnitt C Z5 GFK vor, da die Umstände aufgrund derer dem BF der Status des Asylberechtigten zuerkannt wurde, nicht mehr bestehen würden. Der BF sei keiner aktuellen und individuellen Verfolgung iSd GFK ausgesetzt.

12. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde.

13. Im Rahmen der mündlichen Beschwerdeverhandlung vor dem BVwG am 09.06.2021 zog der BF über seinen rechtsfreundlichen Vertreter die Beschwerde hinsichtlich der Spruchpunkte I. und II. des anfechtungsgegenständlichen Bescheides zurück.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Verfahrensgang und Sachverhalt ergeben sich aus dem dem Bundesverwaltungsgericht vorliegenden Verwaltungsakt des Beschwerdeführers und insbesondere auch aus der mündlichen Verhandlung vor dem BVwG am 09.06.2021.

2. Rechtliche Beurteilung:

Zu 1.

Spruchteil A)

Der Verwaltungsgerichtshof hat in seiner Entscheidung vom 29.04.2015, Zl. Fr 2014/20/0047, bezüglich der rechtswirksamen Beschwerdezurückziehung im Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht Folgendes ausgeführt:

"Aus den Bestimmungen des § 28 Abs. 1 und § 31 Abs. 1 VwGVG geht hervor, dass das Verwaltungsgericht in jenem Fall, in dem das Verfahren - hier: das Beschwerdeverfahren - einzustellen ist, eine Entscheidung in der Rechtsform des Beschlusses zu treffen hat (vgl. in diesem Sinn - bezogen auf § 50 VwGVG und die Einstellung eines Verwaltungsstrafverfahrens - auch das hg. Erkenntnis vom 30. September 2014, RA 2014/02/0045). Gemäß § 31 Abs. 1 VwGVG erfolgen nämlich die Entscheidungen und Anordnungen eines Verwaltungsgerichts durch Beschluss, soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist. § 28 Abs. 1 VwGVG nimmt die Einstellung des Verfahrens, wozu jedenfalls die Einstellung des Beschwerdeverfahrens zu zählen ist, von der Erledigung mittels Erkenntnis ausdrücklich aus. Aus diesen Bestimmungen ergibt sich aber auch, dass eine bloß formlose Beendigung (etwa durch Einstellung mittels Aktenvermerkes) eines nach dem VwGVG vom Verwaltungsgericht geführten Verfahrens nicht in Betracht kommt. Handelt es sich doch bei der Entscheidung eines Verwaltungsgerichts, ein bei ihm anhängiges Verfahren nicht weiterzuführen, um eine Entscheidung iSd § 31 Abs. 1 VwGVG (vgl. zur Bejahung der Notwendigkeit der Fällung eines Beschlusses über die Verfahrenseinstellung auch Fuchs in Fister/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren, § 28 VwGVG Anm 5 und § 31 VwGVG, Anm 5, sowie Schmid in Eder/Martschin/Schmid, Das Verfahren der Verwaltungsgerichte, § 28 VwGVG Anm K 3 und § 31 VwGVG Anm K2).

Allerdings legt § 28 Abs. 1 VwGVG nicht fest, wann das Verfahren einzustellen ist, sodass insoweit auf die diese Frage regelnden Vorschriften (unter Bedachtnahme auf die dazu ergangene Rechtsprechung) abzustellen ist (vgl. zu ausdrücklich im VwGVG angeordneten Konstellationen, in denen eine Verfahrenseinstellung vorzunehmen ist, § 16 Abs. 1 und § 43 Abs. 1 VwGVG).

Bezogen auf nach dem AVG geführte Berufungsverfahren ist davon auszugehen, dass - auch ohne diesbezügliche ausdrückliche gesetzliche Anordnung - eine Verfahrenseinstellung (ua.) dann vorzunehmen ist, wenn die Berufung rechtswirksam zurückgezogen wurde (vgl. Hengstschläger/Leeb, AVG § 66 Rz 56). Nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes hat diese Auffassung auch für das von Verwaltungsgerichten geführte Beschwerdeverfahren Platz zu greifen (vgl. Fuchs in Fister/Fuchs/Sachs, Verwaltungsgerichtsverfahren, § 28 VwGVG Anm 5; die Einstellung in Beschlussform im Fall der Zurückziehung der Beschwerde bejahend auch Götzl/Gruber/Reisner/Winkler, Das neue Verfahrensrecht der Verwaltungsgerichte § 28 VwGVG Rz 7, Schmied/Schweiger, Das Verfahren vor den Verwaltungsgerichten erster Instanz S 112, Grabenwarter/Fister, Verwaltungsverfahrensrecht und Verwaltungsgerichtsbarkeit4 S 232, Hengstschläger/Leeb, AVG², § 13 Rz 42, Hauer, Gerichtsbarkeit des öffentlichen Rechts³ Rz 191)."

Da das gegenständliche Beschwerdeverfahren mit der Zurückziehung der Beschwerde gegen den angefochtenen Bescheid endgültig rechtskräftig entschieden wurde, ist das Beschwerdeverfahren - nach der oben wiedergegebenen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes - mit Beschluss einzustellen.

Zu Spruchteil B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes 1985, BGBl. Nr. 10/85 in der Fassung BGBl. I Nr. 122/2013 (in Folge: VwGG) hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Das Bundesverwaltungsgericht hat unter A) einerseits ausgeführt, dass die Zurückziehung der Beschwerde unter Rückgriff auf die Rechtsprechung des VwGH zur Zurückziehung der Berufung zulässig ist und dass dies andererseits nach dem klaren Wortlaut des Gesetzes in Beschlussform zu ergehen hat. Insoweit trifft das Gesetz selbst eine klare Anordnung, sodass diesbezüglich eine Rechtsfrage nicht offen und die Revision daher unzulässig ist (vgl. OGH vom 22.03.1992, 5Ob105/90).

Zu 2.)

Spruchteil A)

Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig:

Der unbescholtene Beschwerdeführer hält sich seit seiner Antragstellung im Dezember 2015 – somit seit mehr als 5,5 Jahren – im Bundesgebiet auf und hat sich in diesem Zeitraum von Beginn an um eine umfassende Integration bemüht. In dieser Zeit entwickelte der Beschwerdeführer ein schützenswertes Privatleben in Österreich, von welchem sich das erkennende Gericht insbesondere im Rahmen der am 09.06.2021 zuletzt abgehaltenen mündlichen Verhandlung zu überzeugen vermochte.

Die vorgelegten Bescheinigungsmittel bescheinigen eine sozial vielfältige Vernetzung und Integration des Beschwerdeführers in die österreichische Gesellschaft.

Nach beruflichen Tätigkeiten als Wachorgan bei einem Reinigungs- und Sicherheitsdienst im Jahr 2020 ist der BF nunmehr seit 10.12.2020 als Arbeitnehmer bei der Firma XXXX ( XXXX ) in einem aufrechten Arbeitsverhältnis tätig wo er gute Arbeitsleistung erbringt. Auch die zahlreichen, dem Verwaltungs- und Gerichtsakt beigelegten Integrationsnachweise und Empfehlungsschreiben bezeugen, dass der BF um eine Integration, Verbesserung seiner Sprachkenntnisse und Selbsterhaltungsfähigkeit äußerst bemüht ist und laut den vorgelegten Beweismitteln ein freundlicher, am Kontakt mit Österreichern interessierter und hilfsbereiter junger Mann mit Arbeitseifer ist. Vor diesem Hintergrund kann davon ausgegangen werden, dass der Beschwerdeführer seinen Lebensunterhalt künftig unabhängig von staatlichen Unterstützungsleistungen bestreiten kann.

Der Beschwerdeführer unterhält neben seinen zahlreichen freundschaftlichen Beziehungen zu Österreichern auch ein schützenswertes Privatleben zu seinem asylberechtigten und in Österreich lebenden Bruder.

Der Beschwerdeführer hat die bisher in Österreich verbrachte Zeit erfolgreich genutzt, um sich in vielerlei Hinsicht in die österreichische Gesellschaft zu integrieren. So finden sich auf der im Akt einliegenden Unterstützungsliste zahlreiche Unterschriften zugunsten des Beschwerdeführers. Er besuchte Deutschkurse und spricht inzwischen fließend Deutsch - verfügt über ein offizielles Sprachzertifikat zum Niveau B1 (ÖIF) – und ist stets um die weitere Verbesserung seiner Deutschkenntnisse bemüht. Er hat zudem ernsthafte Bemühungen unternommen um den österreichischen Pflichtschulabschluss nachzuholen und hat diesen bislang auch – bis auf eine letzte Teilprüfung aus Mathematik – absolviert. Er hat sich einen Freundeskreis in Österreich aufgebaut und betreibt in seiner Freizeit einen Mannschaftssport wo er von seinen Kollegen sehr geschätzt wird. Durch die Bemühungen des Beschwerdeführers, sich durch legale Arbeit die Mittel zu seinem Unterhalt zu beschaffen sowie seine bisherigen – von Erfolg gekrönten – Bemühungen betreffend den Erwerb der deutschen Sprache, hat der Beschwerdeführer deutlich zum Ausdruck gebracht, dass er seine Integration hier in Österreich intensiv betreibt und auch bereits von einem ausreichenden Grad an Integration ausgegangen werden kann. Der BF hinterließ insbesondere auch im Rahmen der abgeführten öffentlichen mündlichen Verhandlung vor dem BVwG am 09.06.2021 einen positiven Eindruck durch seine guten Sprachkenntnisse und sein konstruktives Mitwirken an der Sachverhaltsfeststellung.

Festzuhalten ist auch, dass der Beschwerdeführer über die gesamte Zeit hindurch unbescholten geblieben und strafrechtlich nicht in Erscheinung getreten ist, wobei die strafgerichtliche Unbescholtenheit allein die persönlichen Interessen eines Fremden am Verbleib in Österreich gemäß der verwaltungsgerichtlichen Judikatur nicht entscheidend zu verstärken vermag (vgl. VwGH 25.2.2010, 2010/0018/0029).

Berücksichtigt man all diese Aspekte, so überwiegen im Rahmen einer Gesamtbetrachtung im Entscheidungszeitpunkt die aus den erwähnten Umständen in ihrer Gesamtheit erwachsenden privaten Interessen des Beschwerdeführers am Verbleib im österreichischen Bundesgebiet und an der Fortführung seines bestehenden Privatlebens in Österreich die öffentlichen Interessen an der Aufenthaltsbeendigung zugunsten eines geordneten Fremdenwesens. Eine Rückkehrentscheidung gegen den Beschwerdeführer würde sich daher zum maßgeblichen aktuellen Entscheidungszeitpunkt – vor dem Hintergrund der guten Integrationsbemühungen und der längeren Aufenthaltsdauer von mehr als fünfeinhalb Jahren - als unverhältnismäßig im Sinne von Art. 8 Abs. 2 EMRK erweisen.

Das Bundesverwaltungsgericht geht davon aus, dass die drohende Verletzung des Privatlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend, sondern auf Dauer sind. Die Rückkehrentscheidung würde daher unverhältnismäßig in das Privatleben des Beschwerdeführers eingreifen und war daher gemäß § 9 Abs. 3 BFA-VG auszusprechen, dass die Rückkehrentscheidung gegen den Beschwerdeführer auf Dauer unzulässig ist.

Erteilung eines Aufenthaltstitels „Aufenthaltsberechtigung plus“:

Im gegenständlichen Fall hat der BF durch Absolvierung des ÖIF Deutsch B1- Sprachnachweises das gemäß § 55 Abs. 1 Z 2 gebotene Modul I der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 Integrationsgesetz (IntG) BGBl. 68/2017 erfüllt, zudem ist dieser über die Geringfügigkeitsgrenze hinaus erwerbstätig und bezieht ein monatliches Einkommen in der Höhe von zumindest EUR 1.600,-. Demgemäß ergibt sich, dass der BF seine Selbsterhaltungsfähigkeit jedenfalls wiedererlangen kann. Dem Beschwerdeführer ist daher eine „Aufenthaltsberechtigung plus“ gemäß § 55 Abs. 1 AsylG 2005 zu erteilen.

Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hat dem Beschwerdeführer den Aufenthaltstitel gemäß § 58 Abs. 7 AsylG 2005 auszufolgen, der Beschwerdeführer hat hieran gemäß § 58 Abs. 11 AsylG 2005 mitzuwirken. Der Aufenthaltstitel gilt gemäß § 54 Abs. 2 AsylG 2005 zwölf Monate lang, beginnend mit dem Ausstellungsdatum.


Schlagworte

Aberkennung des Status des Asylberechtigten Aufenthaltsberechtigung plus Deutschkenntnisse Einreiseverbot geänderte Verhältnisse individuelle Verhältnisse Integration non refoulement Pandemie private Interessen Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig strafrechtliche Verfolgung Voraussetzungen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W105.2154420.2.00

Im RIS seit

09.11.2021

Zuletzt aktualisiert am

09.11.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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