TE Bvwg Erkenntnis 2021/7/27 W195 2176013-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 27.07.2021
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Entscheidungsdatum

27.07.2021

Norm

AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §58 Abs10
AsylG-DV 2005 §4
BFA-VG §9 Abs2
B-VG Art133 Abs4

Spruch


W195 2176013-2/3E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Vizepräsident Dr. Michael Sachs über die Beschwerde des XXXX StA. Bangladesch, vertreten durch XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 20.05.2021, XXXX zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Artikel 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I.1. vorhergehender Verfahrensgang

I.1.1. Der Beschwerdeführer (nachfolgend: BF), ein Staatsangehöriger aus Bangladesch und der bengalischen Volksgruppe sowie der sunnitischen Religionsgemeinschaft zugehörig, stellte nach illegaler Einreise in das österreichische Bundesgebiet am 12.08.2014 einen Antrag auf internationalen Schutz.

I.1.2. Im Rahmen der Erstbefragung nach dem AsylG durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes am Folgetag der Antragstellung gab der BF persönliche Verfolgung durch einen Nachbarn wegen politischen Engagements zu Protokoll.

I.1.3. Im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (nachfolgend: BFA) präzisierte der BF sein Vorbringen.

I.1.4. Mit Eingabe vom 02.07.2015 brachte der BF Bescheinigungsmittel zu seinem Ausreisegrund in Vorlage. Ferner beantragte der BF diese Unterlagen in das Asylverfahren aufzunehmen und gegebenenfalls Recherchen im Heimatland anzustellen.

I.1.5. Am 28.09.2015 richtete das BFA zum Verfahren des BF - in Entsprechung des Antrages des BF - eine Anfrage an die Staatendokumentation, um die vom BF geschilderten Ereignisse unter Berücksichtigung der vorgelegten Bescheinigungsmittel einer näheren Überprüfung zu unterziehen. Am 11.04.2016 langte die entsprechende Antwort ein.

I.1.6. Mit Schreiben vom 12.09.2017 brachte der BF ein XXXX Niveau A2 und eine Bescheinigung über den Besuch eines 16stündigen Erst-Hilfe-Grundkurses in Vorlage.

I.1.7. Am 04.10.2017 wurde der BF erneut vor dem BFA niederschriftlich einvernommen. Neben Fragen zu seinem Fluchtgrund, speziell zum angeblich in Bangladesch gegen ihn laufenden Verfahren, wurden dem BF Fragen zu seinem Leben in Österreich sowie seiner Integration gestellt. Des Weiteren wurde dem BF das Rechercheergebnis der Staatendokumentation vom 11.04.2016 zur Kenntnis gebracht, woraufhin der BF erwiderte: „Bei der Recherche muss ein Fehler unterlaufen sein. Das kann nicht sein. Wenn ich nicht XXXX bin, wer sonst. Gibt es ein Foto von dem Anderen, der ausgibt, ich zu sein?“

Anschließend gab der BF zu Protokoll, dass er eine Geburtsurkunde vorlegen könne. Befragt, ob er einen Reisepass habe oder jemals besessen habe, führte der BF aus, dass man diesen in Bangladesch nicht benötige und dann lasse man dies nicht ausstellen. Eine Identitätskarte habe er sich nicht ausstellen lassen.

I.1.8. Mit Bescheid des BFA vom 19.10.2017 wurde der Antrag des BF auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen. Gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG wurde der Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Bangladesch abgewiesen. Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG wurde nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass dessen Abschiebung nach Bangladesch gemäß § 46 FPG zulässig sei. Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung.

Dem Fluchtvorbringen wurde die Glaubwürdigkeit versagt. In der rechtlichen Beurteilung wurde begründend dargelegt, warum der vom BF vorgebrachte Sachverhalt keine Grundlage für eine Subsumierung unter den Tatbestand des § 3 AsylG biete und warum auch nicht vom Vorliegen einer Gefahr iSd § 8 Abs. 1 AsylG ausgegangen werden könne. Zudem wurde ausgeführt, warum ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt wurde, weshalb gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt wurde, dass dessen Abschiebung nach Bangladesch gemäß § 46 FPG zulässig sei. Ferner wurde erläutert, weshalb die Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage.

I.1.9. Gegen den Bescheid des BFA erhob der BF Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht.

I.1.10. Nach weiteren Erhebungen durch das Bundesverwaltungsgericht bestätigte dieses mit Erkenntnis vom 23.06.2020, XXXX , den Bescheid des BFA.

Konkret stellte das BVwG fest:

„2.1.1. Zur Person des Beschwerdeführers und dessen Fluchtgründen:

Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger aus Bangladesch, gehört der Volksgruppe der Bengalen an und ist sunnitischen Glaubens.

Die Identität des Antragstellers konnte mangels Vorlage von geeigneten Dokumenten nicht festgestellt werden.

Aufgrund der Angaben des Beschwerdeführers zu seinem Herkunftsstaat, sowie des Umstandes, dass der Antragsteller für Bangladesch gebräuchliche Sprachen spricht sowie aufgrund seiner Kenntnisse über Bangladesch ist festzustellen, dass es sich bei ihm um einen Staatsangehörigen aus Bangladesch handelt.

Der von ihm vorgebrachte Ausreisegrund (Bedrohung und Verfolgung durch einen politischen Gegner und die Polizei in Zusammenhang mit ihm fälschlicherweise unterstellten Straftaten) wird mangels Glaubwürdigkeit des diesbezüglichen Vorbringens nicht festgestellt. Es kann sohin nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer aus Gründen der GFK asylrelevant verfolgt bzw. dessen Leben bedroht wurde beziehungsweise dies im Falle einer Rückkehr nach Bangladesch mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit eintreffen könnte.

Es konnten im konkreten Fall auch keine stichhaltigen Gründe für die Annahme festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer Gefahr liefe, in Bangladesch einer unmenschlichen Behandlung oder Strafe oder der Todesstrafe bzw. einer sonstigen konkreten individuellen Gefahr unterworfen zu werden.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Falle der Rückkehr nach Bangladesch in eine existenzgefährdende Notsituation geraten würde.

Im Entscheidungszeitpunkt konnte auch keine sonstige aktuelle Gefährdung des Beschwerdeführers in seinem Heimatland festgestellt werden.

Der Beschwerdeführer leidet weder an einer schweren körperlichen noch an einer schweren psychischen Erkrankung.

Der Beschwerdeführer verbrachte den Großteil seines Lebens im Herkunftsstaat. Der BF wohnte mit seiner Mutter, seiner Ehegattin, seinen zwei Söhnen und seiner Tochter in einem gemeinsamen Haushalt. Der BF erhielt in Bangladesch eine mehrjährige Schulausbildung. Er ging vor seiner Ausreise aus Bangladesch einer selbständigen Beschäftigung - Handel mit Sand und Baustoffen - nach. Seine Mutter, seine Ehegattin, seine zwei Söhne, seine Tochter und seine Schwester leben nach wie vor in Bangladesch. Der BF verließ Bangladesch erstmals im Juli 2012 und kehrte nach einem beinahe einjährigen Aufenthalt in Griechenland im Juni 2013 nach Bangladesch zurück. Der BF verließ Anfang Juni 2014 Bangladesch erneut und reiste in der Folge Mitte August 2014 illegal in das österreichische Bundesgebiet ein.

Der private und familiäre Lebensmittelpunkt des BF befindet sich in Bangladesch. In Österreich halten sich keine Verwandten des BF auf.

Der Beschwerdeführer verfügt über Deutschkenntnisse, die es ihm erlauben, eine einfache Unterhaltung in deutscher Sprache zu führen. Er besucht(e) in Österreich Deutschkurse und hat zuletzt am 06.06.2017 eine Deutschprüfung auf dem Niveau A2 erfolgreich absolviert.

Er verfügt über einen gewissen Freundes- und Bekanntenkreis im Inland. Er knüpfte normale soziale Kontakte. Unterstützungserklärungen brachte er nicht in Vorlage.

Der BF befindet sich seit seiner Antragstellung laufend in der Grundversorgung und lebt von staatlicher Unterstützung bzw. Unterstützung durch die Caritas. Der BF war bzw. ist gegenwärtig nicht legal erwerbstätig. Es konnte nicht festgestellt werden, dass der BF in Österreich selbsterhaltungsfähig ist. Der BF verfügt weder über eine Einstellungszusage noch über einen gültigen arbeitsrechtlichen Vorvertrag.

Er ist als voll erwerbsfähig anzusehen, etwaige gesundheitliche Einschränkungen des Beschwerdeführers sind nicht aktenkundig. Er leistet keine offizielle ehrenamtliche Tätigkeit und ist - abgesehen von einer passiven Mitgliedschaft beim Roten Kreuz - kein Mitglied in einem Verein.

Es konnten keine maßgeblichen Anhaltspunkte für die Annahme einer umfassenden und fortgeschrittenen Integration des BF in Österreich in sprachlicher, beruflicher und gesellschaftlicher Hinsicht festgestellt werden, welche die öffentlichen Interessen an einer Aufenthaltsbeendigung überwiegen würden.

Er hat mit Ausnahme seines früheren Aufenthaltes in Griechenland und seines nunmehrigen Aufenthaltes in Österreich sein gesamtes Leben in Bangladesch verbracht, wo er sozialisiert wurde und wo sich nach wie vor seine nächsten Verwandten aufhalten.

Es ist daher davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer im Falle seiner Rückkehr wieder bei Verwandten wohnen wird können. Davon abgesehen ist der Beschwerdeführer als arbeitsfähig und -willig anzusehen. Der Beschwerdeführer spricht Bengali, Urdu und ein bisschen Englisch.

Er ist strafgerichtlich unbescholten.

Des Weiteren liegen die Voraussetzungen für die Erteilung einer „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ nicht vor und ist die Erlassung einer Rückkehrentscheidung geboten. Es ergibt sich aus dem Ermittlungsverfahren überdies, dass die Zulässigkeit der Abschiebung des BF nach Bangladesch festzustellen ist.“

I.1.11. Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes erwuchs in Rechtskraft.

I.1.12. Der Antrag des BF auf Gewährung einer Verfahrenshilfe zur Erhebung einer Beschwerde gegen die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes wurde mit Beschluss des Verfassungsgerichtshofes vom 24.08.2020, E 2650/2020-4, wegen Aussichtslosigkeit abgewiesen.

I.2. Zum vorliegenden Verfahren:

I.2.1. Am 29.10.2020, somit lediglich knapp zwei Monate nach dem unter I.1.12. dargelegten Beschluss des Verfassungsgerichtshofes, stellte der BF einen Antrag auf Ausstellung eines Aufenthaltstitels, weil sich der BF seit über fünf Jahren im Bundesgebiet aufhalte.

Es hätten sich „maßgebliche Änderungen“, nämlich eine „Intensivierung seiner sozialen Integration sowie seiner beruflichen Integration in Österreich“ ergeben.

Der BF würde einer „legalen Tätigkeit als Zeitungszusteller“ nachgehen und er habe die Deutschprüfung A2 abgelegt. Konkrete, darüber hinausgehende Integrationsschritte sind dem Antrag nicht zu entnehmen.

Der BF könne jedoch weder Reisepass noch Geburtsurkunde vorlegen, weil der BF „ohne (Reise-)Dokumente nach Österreich gekommen „sei und er „Mangels solcher Dokumente … keine Möglichkeit [habe], sich etwa über eine Botschaft welche zu besorgen.“ Es wurde deshalb der Zusatzantrag gestellt, die Heilung des Mangels vom Erfordernis von Reisepass und der Geburtsurkunde zuzulassen.

I.2.2. Am 05.11.2020 erließ das BFA an den gewillkürten Vertreter des BF, den Verein „ XXXX “, einen Verbesserungsauftrag. Der BF wurde darin aufgefordert, innerhalb einer Frist von drei Wochen einen Reisepass, eine Geburtsurkunde, gegebenenfalls auch eine Heiratsurkunde (jeweils in Übersetzung) vorzulegen.

Im Falle der Nichtvorbringung könne der BF auch um Heilung ansuchen. Diesbezüglich sei jedoch nachzuweisen, dass eine Beschaffung nicht möglich sei.

I.2.3. Am 10.03.2021 gab der nunmehrige Vertreter, XXXX , die Vertretung des BF bekannt unter gleichzeitiger Bekanntgabe der Auflösung der Vertretung durch den Verein „ XXXX “, und ersuchte um Akteneinsicht.

I.2.4. Nach erfolgter Aktenübermittlung erstattete der BF, vertreten durch den genannten RA, am 12.04.2021 eine Stellungnahme und Urkundenvorlage. In der Stellungnahme wurde eingangs ausgeführt, dass der BF den „im August 2020 ausgestellten Reisepass“ leider verloren habe. Er habe „ca. Ende Februar/Anfang März 2021 bemerkt, dass ich den Reisepass nicht mehr habe. Eine Verlustanzeige habe ich bis jetzt noch nicht gemacht, da ich vermute, dass der Reisepass bei einem Freund in der Wohnung auf der Couch liegengeblieben ist, als ich dort zu Besuch war. Da dieser jedoch für 6 Wochen im Ausland ist, konnte ich bis jetzt noch nicht in dessen Wohnung danach suchen. Sollte nach seiner Rückkehr der Reisepass tatsächlich nicht auffindbar sein, werde ich selbstverständlich eine Verlustanzeige machen und dann um einen neuen Reisepass bei der Botschaft ansuchen.“

Der Vollständigkeit halber erwähnte der BF, dass er von dem Verbesserungsauftrag vom 05.11.2020 durch seinen Vertreter nichts erfahren habe.

Unabhängig vom Verlust des Reisepasses bemerkte der BF, dass er eine mit Bild versehene E-Card habe und den BFA-Ausweis. Es würde somit seine Identität zweifelsfrei feststehen. Die belangte Behörde werde deshalb ersucht, den beantragten Aufenthaltstitel zu gewähren.

I.2.5. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid des BFA vom 20.05.2021 wurde der Antrag auf Mängelbehebung abgewiesen, der Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus besonders berücksichtigungswürdigen Gründen abgewiesen und eine Rückkehrentscheidung erlassen. Festgestellt wurde die Zulässigkeit der Abschiebung nach Bangladesch, eine 14 tägige Frist für die freiwillige Ausreise gewährt sowie ein auf zwei Jahre befristetes Einreiseverbot erlassen.

Zur Begründung der Entscheidung setzte sich das BFA nach Darstellung des Verfahrensganges und der Beweiswürdigung umfassend mit dem Vorbringen des BF auseinander. Der BF verfüge über kein dauerhaftes Aufenthaltsrecht. Der BF gehe zwar einer selbständigen Beschäftigung nach und sei sozialversichert, aber seine Beschäftigung sei illegal. Sein Aufenthalt sei unrechtmäßig.

Zu seinem Familien- und Privatleben rief das BFA in Erinnerung, dass der BF verheiratet sei und seine Ehefrau als auch seine drei Kinder in Bangladesch leben. Auch seine sonstigen Verwandten wären in Bangladesch, in Österreich befänden sich keine Verwandten.

Ein besonderes Privatleben konnte seinen Schilderungen nicht entnommen werden. Ein absolvierter Deutschkurs auf dem Niveau A2 sei kein ausreichender Grund für einen Hinweis auf eine besonders gelungene Integration. Eine integrative Verfestigung sei nicht feststellbar.

Da der BF seiner bisherigen Rückkehrverpflichtung nicht nachgekommen sei, zeige sein Verhalten, dass er die aufenthaltsrechtlichen Bestimmungen ignoriere und versuche, eigene Regeln aufzustellen. Es müsse deshalb ein befristetes Einreiseverbot ausgesprochen werden, um die Rückführungsrichtlinie umzusetzen. Nach Darstellung der Situation im Heimatland und der rechtlichen Beurteilung kam die belangte Behörde zu dem Schluss, dass die Erteilung eines Aufenthaltstitels nicht in Betracht komme.

I.2.6. Gegen diese Entscheidung wendet sich die vorliegende Beschwerde des rechtsfreundlich vertretenen BF vom 25.06.2021.

Die belangte Behörde habe das Verfahren äußerst ungenügend und mangelhaft durchgeführt. Es seien Verfahrensvorschriften missachtet worden, insbesondere im Beweisverfahren.

Die Behörde würde davon ausgehen, dass die Identität des BF nicht geklärt sei. Dazu führe der BF aus, dass er bereits im April 2021 mitgeteilt habe, er vermute, seinen Reisepass bei einem Freund in der Wohnung verloren zu haben. Es sei nicht nachvollziehbar, wieso diese Behauptung eine Schutzbehauptung sein solle. Darüber hinaus habe der BF seine Identität mittels E-Card nachweisen können.

In der kurzen Beschwerde geht der BF auch darauf ein, dass ihm sein damaliger Vertreter, nämlich der genannte Verein, ihn nicht über den Verbesserungsauftrag informiert habe. Der BF habe angegeben, dass er, falls der Reisepass nicht mehr auftauchen würde, von sich einen neuen Reisepass bei der Botschaft beantragen würde. Die Behörde habe dieses Vorbringen offenbar ignoriert.

Zuletzt führte der BF aus, dass er krankenversichert sei und als selbständiger Zeitungsausträger arbeite. Es sei eine Scheinbegründung, dass er auf dem Arbeitsmarkt nicht Fuß fassen konnte, weil er eben ohne Niederlassungsbewilligung nicht arbeiten dürfe. Der BF verfüge über ein Einkommen und verfüge über eine ortsübliche Unterkunft.

Es werde deshalb die Aufhebung des Bescheides und Zuerkennung eines Aufenthaltstitels ersucht.


II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

II.1. Feststellungen:

Die bisherigen Feststellungen im rechtskräftig abgeschlossenen Verfahren vor dem BVwG zu Zl 2176013-1 vom 23.06.2020 (s. I.1.10) werden grundsätzlich als weiterhin gegeben angesehen. Dies insbesondere zu seinem bisherigen Lebens- und Ausbildungsweg, seinem Familienstand, seiner Ehefrau und seinen drei Kindern in Bangladesch.

Der BF hat am 29.10.2020 einen Antrag auf Ausstellung eines Aufenthaltstitels gestellt.

Der BF hat dem Verbesserungsauftrag, welcher an seine gewillkürte Vertretung erging, nicht zeitgerecht entsprochen, und keinen Nachweis über seine Identität vorgelegt. Die Verantwortung hinsichtlich der gewillkürten Vertretung hat der BF gegen sich gelten zu lassen.

Der BF hat keinen begründeten Antrag auf Heilung nach § 4 Abs 1 Z 3 AsylG-DV eingebracht, weil er nicht nachgewiesen hat, dass ihm die Beschaffung eines Nachweises nicht möglich oder nicht zumutbar ist.

Der BF hat – nach seinen aktuellen Ausführungen - einen Deutschkurs auf dem Niveau A2 absolviert. Festgestellt wird, dass der BF bereits am 06.06.2017 das XXXX auf dem Niveau A2 erlangte und dies bereits im Erkenntnis des BVwG vom 23.06.2020 gewürdigt worden war.

Der BF behauptet sehr allgemein, seit dem Zeitpunkt des 23.06.2020 Integrationsschritte gesetzt zu haben, welche er jedoch nicht näher ausführte oder konkretisierte, geschweige denn bewies.

Festgestellt wird, dass der BF bereits im vorhergegangenen, rechtskräftigen Verfahren keinen Beweis seiner Identität erbrachte und auf Grund des Berichtes der Staatendokumentation davon ausgegangen werden musste, dass die Identität des BF nicht mit XXXX ident ist; die Namensangabe sowie das Geburtsdatum wurden lediglich zur Verfahrensidentität herangezogen.

Es wird festgestellt, dass der BF hinsichtlich des Besitzes eines Reisepasses der Volksrepublik Bangladesch jedenfalls widersprüchlich ist. Der BF behauptet, dass er ohne Dokumente nach Österreich gekommen sei und er „Mangels solcher Dokumente … keine Möglichkeit [habe], sich etwa über die Botschaft welche zu besorgen“ (Stellungnahme vom 29.10.2020), während er nach seiner Stellungnahme vom 12.04.2021 „im August 2020 einen Reisepass von der Botschaft der Volksrepublik Bangladesch erhalten“ habe.

Der Verbleib dieses Reisepasses bleibt im Dunkeln. Der BF vermeint, er habe den Reisepass bei einem Bekannten auf der Couch liegen gelassen und dieser sei für sechs Wochen ortsabwesend (Stellungnahme vom 12.04.2021).

Festgestellt wird, dass der BF (Stellungnahme vom 12.04.2021) behauptet, er würde – sollte der Reisepass nach sechs Wochen nicht auffindbar sein – selbstverständlich von sich aus eine Verlustanzeige machen und dann um einen neuen Reisepass bei der Botschaft ansuchen.

Festgestellt wird, dass der BF – auch nach Ablauf dieser sechs Wochen – weder den (auf der Couch vergessenen) Reisepass von August 2020, eine Verlustanzeige, einen neuen Reisepass oder eine nachvollziehbare Dokumentation vorlegte, weshalb ihm die Vorlage eines (neuen) Reisepasses nicht möglich ist (Feststellung zum Heilungsantrag und zur Identität).

Festgestellt wird, dass weder eine E-Card (mit Foto) als auch ein vom BFA- ausgegebener Ausweis keine (internationale) Identitätsfeststellung ermöglichen, sondern diese Dokumente lediglich zur Verfahrensidentität herangezogen werden.

Der BF geht einer Beschäftigung als „selbstständiger Zeitungszusteller“ im Auftrag der PDW Zustellservice GmbH nach. Diese Beschäftigung ist illegal. Im Gewerberegister GISA war am 20.05.2021 keine positive Eintragung ersichtlich.

Der BF hat die österreichische Gesetzgebung und Rechtslage nicht respektiert, indem er nicht der bestehenden Ausreiseverpflichtung nachgekommen ist.

II.2. Beweiswürdigung:

II.2.1. Zur Person des BF, seinen Familienverhältnissen und seinen Lebensumständen in Österreich:

Beweis wurde erhoben durch den Administrativakt, insbesondere den Antrag auf Zuerkennung eines Aufenthaltstitels (samt Beilagen), den angefochtenen Bescheid des BFA vom 20.05.2021, sowie der Beschwerde des rechtsanwaltlich vertretenen BF. Zur Kenntnis genommen wurden die Stellungnahmen des BF im Rahmen des bisherigen Verfahrens.

Beweis wurde weiters erhoben durch aktuelle Auskünfte aus den diversen Registern, insbesondere dem zentralen Melderegister, dem GISA und dem Strafregister.

Als Beweismittel wurde auch auf die rechtskräftige Entscheidung und dem Gerichtsakt zum Vorverfahren, XXXX , zurückgegriffen sowie auf die Entscheidung des VfGH (zu Zl E 2650/2020-4).

Wie bereits der Begründung des angefochtenen Bescheides zu entnehmen ist, hat der BF kurz nach der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofes einen Antrag auf Zuerkennung eines Aufenthaltstitels eingebracht.

Dieser Antrag stützt sich im Wesentlichen auf die Absolvierung eines Deutschkurses auf dem Niveau A2 sowie der behaupteten, nicht konkretisierten Integration des BF. Da der BF bereits im vorhergegangenen Verfahren ein XXXX vom 06.06.2017 vorlegte, ist kein weiterer Integrationsfortschritt hinsichtlich seiner Sprachkenntnisse belegt.

Der BF hat keine Dokumente vorgelegt, welche seine Identität bestätigen. Der BF hat (durch seine gewillkürte Vertretung) die Frist zur Verbesserung seines Antrages (3 Wochen ab 05.11.2020) verstreichen lassen und auch zu einem späteren Zeitpunkt sich hinsichtlich seines Reisepasses in Widersprüche verstrickt (siehe widersprüchliche Stellungnahmen vom 29.10.2020 sowie 12.04.2021), die er bis zum heutigen Tag nicht aufgeklärt hat, obwohl er dazu mehr als ausreichend (bzw. erforderliche „sechs Wochen“) Zeit gehabt hätte. Die Aussage in der Beschwerde vom 25.06.2021, die belangte Behörde hätte mit ihrer Entscheidung dem BF „die Möglichkeit genommen, den Reisepass noch vorzulegen“, ist schlichtweg kalendarisch, mathematisch und rechtlich falsch und hätte der BF auch noch in der Beschwerde konkrete, aktuelle Nachweise vorlegen können, was er jedoch nicht tat.

Bereits in der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes vom 23.06.2020 wurde eine Rückkehrentscheidung getroffen, welche auch die Abwägung des Familien- und Privatlebens des BF beinhaltete. Ein besonderer Aufenthaltstitel wurde damals nicht gewährt und hat sich seit diesem Zeitpunkt offensichtlich auch keine wesentliche Änderung ergeben, wie dies bereits in der Entscheidung des BFA vom 20.05.2021 dokumentiert wurde.

Welche angeblich verstärkten Integrationsschritte der BF seit der letzten rechtskräftigen Entscheidung von Juni 2020 gesetzt hat, um einen neuerlichen Antrag zu rechtfertigen, wird mit keinem Wort dargelegt. Diesbezüglich ist festzuhalten, dass es dem in Österreich, wenn auch illegal lebenden BF zumutbar ist, konkrete Beweise vorzulegen.

Der BF hat auch keinen neuen Sachverhalt hinsichtlich der vom BFA getroffenen Rückkehrentscheidung vorgebracht oder behauptet. Das BVwG konnte somit von den seinerzeit getroffenen Feststellungen in der Entscheidung vom 23.06.2020 ausgehen.

Lediglich der Hinweis auf die Absolvierung eines Deutschkurses (welcher bereits im vorhergegangenen Verfahren beweiswürdigend berücksichtigt wurde) mag ein Indiz für ein Integrationsbemühen des BF darstellen; eine weitere Sprachfortbildung wurde hingegen weder behauptet noch belegt.

Zu seiner (illegalen) Beschäftigung und der angeblichen Selbsterhaltungsfähigkeit wird darauf hingewiesen, dass eine Registerauskunft im GISA (20.05.2021) keinen positiven Treffer erbrachte.

Dass der BF offensichtlich auch die Rechtsordnung insgesamt nicht so genau nimmt ergibt sich weiters daraus, dass er nicht innerhalb der angeordneten Zeit das österreichische Bundesgebiet verlassen hat.

Da kein neuer Sachverhalt, der entscheidungsrelevant wäre, vorliegt, konnte auch von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen werden, weil eine ergänzende oder neue Abwägung geänderter Tatsachen im Sinne des Art 8 EMRK nicht erforderlich ist.

Die Abweisung des Antrages sowie die (neuerliche) Rückkehrentscheidung durch das BFA ist letztlich eine Entscheidung, welche zu Recht erfolgte.

Gemäß § 58 Abs 10 AsylG sind Anträge gemäß § 55 als unzulässig zurückzuweisen, wenn gegen den Antragsteller eine Rückkehrentscheidung rechtskräftig erlassen wurde und aus dem begründeten Antragsvorbringen im Hinblick auf die Berücksichtigung des Privat- und Familienlebens gemäß § 9 9 Abs 2 BFA-VG ein geänderter Sachverhalt, der eine ergänzende oder neue Abwägung gemäß Art 8 EMRK erforderlich macht, nicht hervorgeht.

Da der BF, gegen den bereits eine konkrete rechtskräftige Rückkehrentscheidung besteht, in seinem gesamten Vorbringen keinen geänderten Sachverhalt vorbrachte, der eine ergänzende oder neue Abwägung gemäß Art 8 EMRK erforderlich macht, ist dem Antrag gemäß § 55 AsylG zu Recht keine Folge gegeben worden.

Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG insbesondere zu berücksichtigen: 1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war, 2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens, 3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, 4. der Grad der Integration, 5. die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden, 6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit, 7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts, 8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren und 9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

Über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist gemäß § 9 Abs. 3 BFA-VG jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht (§ 45 oder §§ 51 ff NAG) verfügen, unzulässig wäre.

Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Gemäß Art. 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutz der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

Ob eine Verletzung des Rechts auf Schutz des Privat- und Familienlebens im Sinne des
Art. 8 EMRK vorliegt, hängt nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte sowie des Verfassungs- und Verwaltungsgerichtshofes jeweils von den konkreten Umständen des Einzelfalles ab. Die Regelung erfordert eine Prüfung der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit des staatlichen Eingriffes; letztere verlangt eine Abwägung der betroffenen Rechtsgüter und öffentlichen Interessen. In diesem Sinn wird eine Ausweisung nicht erlassen werden dürfen, wenn ihre Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden schwerer wiegen würden als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von ihrer Erlassung.

Die Verhältnismäßigkeit einer Rückkehrentscheidung ist dann gegeben, wenn der Konventionsstaat bei seiner aufenthaltsbeendenden Maßnahme einen gerechten Ausgleich zwischen dem Interesse des Fremden auf Fortsetzung seines Privat- und Familienlebens einerseits und dem staatlichen Interesse auf Verteidigung der öffentlichen Ordnung andererseits, also dem Interesse des Einzelnen und jenem der Gemeinschaft als Ganzes gefunden hat. Dabei variiert der Ermessensspielraum des Staates je nach den Umständen des Einzelfalles und muss in einer nachvollziehbaren Verhältnismäßigkeitsprüfung in Form einer Interessenabwägung erfolgen.

Bei dieser Interessenabwägung sind - wie in § 9 Abs. 2 BFA-VG unter Berücksichtigung der Judikatur der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts ausdrücklich normiert wird - insbesondere die Art und Dauer des bisherigen Aufenthalts und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war, das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens, die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, der Grad der Integration des Fremden, die Bindungen zum Heimatstaat, die strafgerichtliche Unbescholtenheit, Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts, die Frage, ob das Privat- und Familienleben in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren sowie die Frage zu berücksichtigen, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

Vom Begriff des "Familienlebens" in Art. 8 EMRK ist nicht nur die Kernfamilie von Eltern und (minderjährigen) Kindern umfasst, sondern z. B. auch Beziehungen zwischen Geschwistern (EKMR 14.03.1980, Appl. 8986/80, EuGRZ 1982, 311) und zwischen Eltern und erwachsenen Kindern (EKMR 06.10.1981, Appl. 9202/80, EuGRZ 1983, 215). Dies allerdings nur unter der Voraussetzung, dass eine gewisse Beziehungsintensität vorliegt. Es kann nämlich nicht von vornherein davon ausgegangen werden, dass zwischen Personen, welche miteinander verwandt sind, immer auch ein ausreichend intensives Familienleben iSd Art. 8 EMRK besteht, vielmehr ist dies von den jeweils gegebenen Umständen, von der konkreten Lebenssituation abhängig. Der Begriff des "Familienlebens" in Art. 8 EMRK setzt daher neben der Verwandtschaft auch andere, engere Bindungen voraus; die Beziehungen müssen eine gewisse Intensität aufweisen. So ist etwa darauf abzustellen, ob die betreffenden Personen zusammengelebt haben, ein gemeinsamer Haushalt vorliegt oder ob sie (finanziell) voneinander abhängig sind.

Der BF hat keine Verwandten in Österreich. Vielmehr hat der BF eine Ehefrau und drei Kinder in Bangladesch. Der BF hat nicht behauptet oder dargelegt, dass sich sein Verhältnis zu seiner Familie – gegenüber dem Status vom 23.06.2020 – wesentlich geändert habe.

Seine Ausweisung bildet daher jedenfalls keinen unzulässigen Eingriff in das Recht auf Schutz des Familienlebens. Die aufenthaltsbeendende Maßnahme könnte daher allenfalls lediglich in das Privatleben des BF eingreifen. Unter dem Privatleben sind nach der Rechtsprechung des EGMR persönliche, soziale und wirtschaftliche Beziehungen, die für das Privatleben eines jeden Menschen konstitutiv sind, zu verstehen (vgl. Sisojeva ua gg. Lettland, EuGRZ 2006, 554). In diesem Zusammenhang komme dem Grad der sozialen Integration des Betroffenen eine wichtige Bedeutung zu.

Für den Aspekt des Privatlebens spielt die zeitliche Komponente im Aufenthaltsstaat eine zentrale Rolle, wobei die bisherige Rechtsprechung keine Jahresgrenze festlegt, sondern eine Interessenabwägung im speziellen Einzelfall vornimmt (vgl. dazu Chvosta, Die Ausweisung von Asylwerbern und Art. 8 MRK, in ÖJZ 2007, 852 ff.). Die zeitliche Komponente spielt jedoch insofern eine zentrale Rolle, da – abseits familiärer Umstände – eine von Art. 8 EMRK geschützte Integration erst nach einigen Jahren im Aufenthaltsstaat anzunehmen ist (vgl. Thym, EuGRZ 2006, 541). Der Verwaltungsgerichtshof geht in seinem Erkenntnis vom 26.06.2007, 2007/10/0479, davon aus, dass „der Aufenthalt im Bundesgebiet in der Dauer von drei Jahren […] jedenfalls nicht so lange ist, dass daraus eine rechtlich relevante Bindung zum Aufenthaltsstaat abgeleitet werden könnte“.

Was den BF betrifft, ist – nochmals - festzuhalten, dass sich dieser zwar seit Jahren im Bundesgebiet aufhält. Der BF verfügt über Deutschkenntnisse auf dem Niveau A2. Er ist derzeit ohne legale Beschäftigung. Der BF hat einige Integrationsschritte gesetzt, von einer verfestigten Eingliederung in die österreichische Gesellschaft, verstärkt seit der letzten Beurteilung durch das BVwG vom 23.06.2020, ist aber nicht auszugehen, weil der BF diesbezüglich keinerlei Konkretisierungen vorbrachte oder belegte. Zudem musste sich der BF bei allen seinen Integrationsbemühungen seines unsicheren Aufenthaltsstatus und damit auch der Vorläufigkeit seiner Integrationsschritte bewusst sein.

Der BF hat den Großteil seines bisherigen Lebens in Bangladesch verbracht, ist dort aufgewachsen. Neben seiner Familie halten sich auch seine engeren und entfernteren Verwandten in Bangladesch auf. Der BF verfügt nach wie vor über ein familiäres und soziales Netzwerk. Beim BF ist daher von einer stärkeren Bindung des BF zu seinem Heimatland auszugehen.

Der BF hat in einer Gesamtschau – auch seit der Entscheidung des BVwG vom Juni 2020 - kein besonderes Maß an persönlicher, sozialer und wirtschaftlicher Integration dargetan. Die Interessen des BF an einem Verbleib im Bundesgebiet reichen nicht aus, um unter dem Gesichtspunkt von Art. 8 EMRK von einer Rückkehrentscheidung Abstand zu nehmen.

Dass der BF strafrechtlich unbescholten ist, vermag weder sein persönliches Interesse an einem Verbleib in Österreich zu verstärken noch das öffentliche Interesse an der aufenthaltsbeendenden Maßnahme entscheidend abzuschwächen (VwGH 25.02.2010, 2009/21/0070; 13.10.2011, 2009/22/0273; 19.04.2012, 2011/18/0253).

Insgesamt betrachtet ist daher davon auszugehen, dass die Interessen BF an einem Verbleib im Bundesgebiet gegenüber dem öffentlichen Interesse an der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Bestimmungen aus der Sicht des Schutzes der öffentlichen Ordnung, dem nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ein hoher Stellenwert zukommt, in den Hintergrund treten.

Die Zuerkennung eines Aufenthaltstitels wurde somit seitens des BFA zu Recht zurückgewiesen.

Das BFA hat aber auch bei der umfassenden Prüfung der Rückkehrentscheidung keine offensichtlichen Verfahrensfehler oder Begründungsmängel aufzuweisen. Die in der Beschwerde angesprochenen Punkte sind unbegründete Stehsätze ohne Substanz und ohne konkrete Vorhaltung.

Der BF hat vielmehr durch sein beharrliches, rechtswidriges Verhalten des Verbleibens im Bundesgebiet zu erkennen gegeben, dass er sich nicht der Rechtsordnung unterwirft. Es ist daher vom BFA zu Recht auch die Einreisebeschränkung ausgesprochen worden, welche auf zwei Jahre befristet wurde. Diese Maßnahme ist hinsichtlich der Dauer nicht unverhältnismäßig.

II.3.3. Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen. Die maßgebliche Rechtsprechung wurde bei den Erwägungen zu den einzelnen Spruchpunkten des angefochtenen Bescheides ausführlich wiedergegeben.

Schlagworte

Antragsteller Aufenthaltstitel Ausreise Heilung individuelle Verhältnisse Interessenabwägung mangelnder Anknüpfungspunkt öffentliche Interessen Voraussetzungen Wegfall der Gründe

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W195.2176013.2.00

Im RIS seit

09.11.2021

Zuletzt aktualisiert am

09.11.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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