TE Bvwg Erkenntnis 2021/8/4 W169 2215121-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 04.08.2021
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Entscheidungsdatum

04.08.2021

Norm

AsylG 2005 §10 Abs3
AsylG 2005 §56
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §52
FPG §53 Abs1
FPG §53 Abs2
FPG §55

Spruch


W169 2215121-2/2E
W169 2215119-2/2E

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Barbara MAGELE als Einzelrichterin über die Beschwerde von 1.) XXXX , geb. XXXX und 2.) XXXX , geb XXXX , beide StA. Bangladesch, vertreten durch RA Dr. Gregor KLAMMER, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 21.04.2021, Zlen. 1.) 1062174908-200942327 und 2.) 1166549804-210330124, zu Recht erkannt:

A)

I. Die Beschwerde der Erstbeschwerdeführerin wird gemäß §§ 10 Abs. 3, 56 AsylG 2005 idgF, § 9 BFA-VG idgF und §§ 52, 53 Abs. 1 iVm Abs. 2, 55 FPG idgF als unbegründet abgewiesen.

II. Die Beschwerde der Zweitbeschwerdeführerin wird gemäß § 4 Abs. 1 Z 2 und 3 iVm § 8 AsylG-DV 2005 idgF, §§ 10 Abs. 3, 58 Abs. 10 und 11 AsylG 2005 idgF, § 9 BFA-VG idgF und §§ 52, 53 Abs. 1 iVm Abs. 2, 55 FPG idgF als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Die Erstbeschwerdeführerin, eine Staatsangehörige von Bangladesch, reiste auf Grundlage eines ihr erteilten D-Visums zur Abholung eines Aufenthaltstitels, gültig vom 15.06.2015 bis 14.10.2015, legal in das österreichische Bundesgebiet ein und nahm am 22.06.2015 eine Wohnsitzmeldung vor. Am 09.07.2015 wurde ihr von der Magistratsabteilung 35 der Stadt Wien ein einjähriger Aufenthaltstitel „Studierende“ gewährt, welcher am 10.07.2016 um ein weiteres Jahr verlängert wurde.

2. Der Ehemann der Erstbeschwerdeführerin, ebenfalls ein Staatsangehöriger von Bangladesch, reiste ebenso auf Basis eines ihm erteilten D-Visums zur Abholung eines Aufenthaltstitels, gültig vom 10.06.2016 bis 09.10.2016, legal in das österreichische Bundesgebiet ein und nahm am 08.07.2016 eine Wohnsitzmeldung vor. Am 21.06.2016 wurde ihm von der Magistratsabteilung 35 der Stadt Wien ein einjähriger Aufenthaltstitel „Familieneigenschaft“ gewährt.

3. Am 18.08.2017 wurde die Zweitbeschwerdeführerin als gemeinsame Tochter der Erstbeschwerdeführerin und ihres Ehemannes in Wien geboren.

4. Mit Bescheid der Magistratsabteilung 35 der Stadt Wien vom 07.05.2018 wurde ein erneuter Verlängerungsantrag der Erstbeschwerdeführerin mangels Studienerfolgs rechtskräftig abgewiesen. Mit Bescheiden derselben Behörde vom selben Tag wurde der Verlängerungsantrag ihres Ehemannes sowie der Erstantrag der Zweitbeschwerdeführerin auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Familieneigenschaft“ ebenso rechtskräftig abgewiesen.

5. Die Erstbeschwerdeführerin, ihr Ehemann und die Zweitbeschwerdeführerin stellten am 30.05.2018 Anträge auf internationalen Schutz und wurden am selben Tag durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt.

6. Am 07.11.2018 wurden die Erstbeschwerdeführerin und ihr Ehemann vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl niederschriftlich einvernommen.

7. Mit Bescheiden vom 18.01.2019 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl diese Anträge auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung der Status von Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung der Status von subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Bangladesch (Spruchpunkt II.) ab. Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 wurden den Beschwerdeführern nicht erteilt. Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurden gegen die Beschwerdeführer Rückkehrentscheidungen gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen. Darüber hinaus wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass ihre Abschiebung nach Bangladesch gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt III.) und ausgesprochen, dass gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG die Frist für die freiwillige Ausreise jeweils zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt IV.).

8. Mit Schriftsatz vom 15.02.2019 erhoben die Erstbeschwerdeführerin, ihr Ehemann und die Zweitbeschwerdeführerin gegen diese Bescheide wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit und Mangelhaftigkeit des Verfahrens Beschwerde.

9. Nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 31.01.2020 wies das Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnissen vom 13.02.2020, Zlen. W195 2215120-1/11E, W195 2215121-1/10E und W195 2215119-1/11E, diese Beschwerde vollinhaltlich als unbegründet ab.

Das Bundesverwaltungsgericht traf dabei zur Person der Beschwerdeführer, ihren Familienverhältnissen und ihren Lebensumständen in Österreich folgende (zur besseren Lesbarkeit um die Angabe der Aktenseiten bereinigten) Feststellungen (BF 1: der Ehemann der nunmehrigen Erstbeschwerdeführerin; BF 2: die nunmehrige Erstbeschwerdeführerin; BF 3: die nunmehrige Zweitbeschwerdeführerin):

„Die Beschwerdeführer sind Staatsangehörige von Bangladesch und der Volksgruppe der Bengalen sowie der sunnitischen Glaubensgemeinschaft zugehörig. Ihre Muttersprache ist Bengali. Der BF 1 und die BF 2 sind seit 2011 miteinander verheiratet, die unmündige BF 3 ist ihre gemeinsame Tochter.

Der BF 1 ist im Ort XXXX geboren und hat dort gewohnt. Er hat in seinem Heimatland von 1987–1992 eine Grundschule und von 1992–1997 eine Hauptschule besucht. In Bangladesch hat der BF 1 einen Handel betrieben. Die BF 2 wurde im Ort XXXX geboren und hat zuletzt in XXXX gelebt. Sie hat in Bangladesch 1989–1994 die Grundschule, 1994–1999 die Hauptschule, 1999–2001 die AHS und 2003–2010 die Universität Dhaka zum Studium der Soziologie besucht und nach legaler Einreise in das österreichische Bundesgebiet 2015–2016 die Universität Wien zum Vorstudienlehrgang besucht.

In Bangladesch halten sich die Mutter, fünf Schwestern sowie Tanten und Onkel des BF 1 sowie die Mutter der Vater, zwei Schwestern und ein Bruder der BF 2 auf. Zwischen dem BF 1 und seinen in Bangladesch aufhältigen Familienangehörigen besteht aufrechter regelmäßiger Kontakt, nicht hingegen zur Familie der BF2.

Die BF 2 ist am 20.06.2015 legal in das Bundesgebiet eingereist. Der BF 1 reiste am 07.07.2016 legal mit einem Visum in das österreichische Bundesgebiet ein. Die BF 2 brachte im August 2017 in Wien die BF 3 zur Welt.

Sämtliche Beschwerdeführer sind in die Grundversorgung einbezogen.

Außerhalb der Kernfamilie befinden sich keine Verwandten in Österreich. Weder der BF 1 noch die BF 2 gehen aktuell in Österreich einer Beschäftigung nach, die BF 2 hat in einem chinesischen und einem iranischen Restaurant in der Küche gearbeitet. Sie sind in keinen Vereinen oder sonstigen Organisationen tätig und haben sich nicht ehrenamtlich engagiert; sie leben im Familienverband im gemeinsamen Haushalt.

Der BF 1 und die BF 2 verfügen über geringe, aber zur Verständigung ausreichende Deutschkenntnisse.

Die Beschwerdeführer sind gesund.“

In rechtlicher Hinsicht tätigte das Bundesverwaltungsgericht unter Verweis auf zahlreiche höchstgerichtliche Judikate zum Privat- und Familienleben insbesondere folgende Ausführungen:

„Die Dauer des Aufenthaltes der Eltern der Familie im Bundesgebiet seit Juni 2015 bzw. Juli 2016 ist als relativ kurz zu bezeichnen und wird weiter dadurch relativiert, dass der Aufenthalt bloß aufgrund der vorläufigen Aufenthaltsberechtigungen als Asylwerber rechtmäßig war. Dies musste dem BF1 und der BF2 bewusst gewesen sein, weswegen eingegangene Bindungen im Bundesgebiet nicht schwer wiegen. Überdies ist der Aufenthalt auch keineswegs als derart lang zu bezeichnen, dass dieser ausreichend ins Gewicht fallen könnte.

Was den BF 1 und die BF 2 betrifft, hat bereits das BFA in den angefochtenen Bescheiden u.a. zutreffenderweise ausgeführt, dass sie über keine nennenswerten privaten Anknüpfungspunkte im Bundesgebiet verfügen. Sie haben im Bundesgebiet keine nennenswerten integrativen Bemühungen gezeigt oder soziale Kontakte in einem nennenswerten Ausmaß geschlossen, weshalb von einer verfestigten und gelungenen Eingliederung der Beschwerdeführer in die österreichische Gesellschaft nicht ausgegangen werden kann (vgl. dazu auch die beweiswürdigenden Ausführungen unter II.2.1.).

Der BF1 und die BF2 haben den Großteil ihrer bisherigen Leben in Bangladesch verbracht, sind dort aufgewachsen, haben Schulausbildungen absolviert, die BF2 war auf einer Universität und sie haben dort ihre Sozialisation erfahren. In Bangladesch leben zahlreiche Verwandte des BF1, zu denen aufrechter Kontakt besteht. Es ist daher nicht erkennbar, inwiefern sich die Beschwerdeführer im Falle ihrer Rückkehr bei der Wiedereingliederung in die dortige Gesellschaft unüberwindbaren Hürden gegenübersehen könnten. Daher ist im Vergleich von einer deutlich stärkeren Bindung der Beschwerdeführer zu ihrem Heimatland auszugehen.

Die Beschwerdeführer haben in einer Gesamtschau kein besonderes Maß an persönlicher, sozialer und wirtschaftlicher Integration dargetan. Die geltend gemachten Interessen an einem Verbleib im Bundesgebiet reichen jedenfalls nicht aus, um unter dem Gesichtspunkt von Art. 8 EMRK von Rückkehrentscheidungen Abstand zu nehmen.“

10. Die dagegen erhobene außerordentliche Revision der Erstbeschwerdeführerin, ihres Ehemannes und der Zweitbeschwerdeführerin wurde mit Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs vom 31.08.2020, Ra 2020/19/0016 bis 0118-8, zurückgewiesen.

In Bezug auf die Beurteilung des Privat- und Familienlebens führte der Verwaltungsgerichtshof unter anderem wie folgt aus:

„Insofern die Revisionen zutreffend rügen, dass nicht sämtliche Aspekte bei der Interessenabwägung gewürdigt wurden, fehlt diesem Vorbringen die Relevanz. Auch unter Einbeziehung der in den Revisionen zusätzlich vorgebrachten Umstände, wie etwa eine Einstellungszusage, Erwerbstätigkeiten, Besuch eines B1-Kurses, Unterstützungsschreiben eines Österreichers, Kursanmeldung für eine Taxischule, vermögen die Revisionen nicht aufzuzeigen, dass die Beurteilung des BVwG im Ergebnis unzutreffend wäre. Angesichts dessen, dass die Aufenthaltsdauer in Österreich weniger als fünf Jahre beträgt - auch wenn diese teilweise auf befristeten Aufenthaltstiteln beruhte - vermögen die Revisionen fallbezogen nicht darzulegen, dass ein derart außergewöhnliches Ausmaß an Integration vorliegt, das nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes in solchen Fällen ein Überwiegen der privaten Interessen über die öffentlichen Interessen bewirken würde (vgl. etwa VwGH 30.6.2020, Ra 2020/20/0207).“

11. Die (nunmehrige) Erstbeschwerdeführerin stellte am 02.10.2020 beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl postalisch einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „in besonders berücksichtigungswürdigen Fällen“ gemäß § 56 AsylG 2005. Begründend führte die Erstbeschwerdeführerin im Wesentlichen aus, sich seit dem Jahr 2015 durchgehend im Bundesgebiet aufgehalten zu haben, die deutsche Sprache zu beherrschen und sozial integriert zu sein, wohingegen sie keinen Kontakt mehr zu ihren Angehörigen in Bangladesch habe.

Dem Antrag beigelegt wurden drei Empfehlungsschreiben vom 30.01.2019, 14.09.2020 und 15.09.2020, ein Ausbildungsvertrag zwischen der Erstbeschwerdeführerin und der FH Campus Wien vom 12.12.2019 über den Besuch des dreijährigen Bachelorstudiums „Gesundheits- und Krankenpflege“, ein diesbezüglicher Vertrag über die Studienförderung zwischen der Erstbeschwerdeführerin und dem Wiener Gesundheitsverbund vom 20.07.2020, ein Studienausweis, eine Praktikumsbestätigung beim Wiener Gesundheitsverbund im Ausmaß von 120 Stunden im Ausbildungsjahr 2020, eine Bestätigung des Studienerfolgs vom 07.09.2020, eine Inskriptionsbestätigung für das Wintersemester 2020/21, eine Meldebestätigung vom 02.10.2019, eine Geburtsurkunde aus Bangladesch, eine Bestätigung der gemeinnützigen Tätigkeit der Erstbeschwerdeführerin bei der Interface Wien GmbH vom 26.08.2019, ein Zeugnis des ÖSD zur Integrationsprüfung auf dem Niveau A2 vom 03.12.2018, ein Zertifikat der VHS Wien über den Besuch eines Deutschkurses auf dem Niveau B1 vom 18.03.2019 sowie ein Informationsblatt über einen nicht näher definierten Deutschkurs ab Oktober 2020 für den Ehemann der Erstbeschwerdeführerin.

12. Mit Schreiben vom selben Tag forderte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl die Erstbeschwerdeführerin auf, binnen vier Wochen ab Zustellung ein gültiges Reisedokument im Original und in Kopie samt Übersetzung, eine Geburtsurkunde oder ein gleichzuhaltendes Dokument im Original, einen Nachweis der ortsüblichen Unterkunft, einen Nachweis der Krankenversicherung und einen Nachweis über einen Rechtsanspruch auf Unterhalt vorzulegen, ansonsten der Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 58 Abs. 11 AsylG 2005 zurückgewiesen werde.

13. Mit Schreiben vom 27.10.2020 gab die Erstbeschwerdeführerin bekannt, dass ihr Reisepass bereits bei der Stellung des Antrags auf internationalen Schutz sichergestellt worden sei. Sie absolviere ein Studium der Gesundheits- und Krankenpflege und fürchte sich derzeit vor einer Rückkehr nach Bangladesch. Zudem wäre auch für die Zweitbeschwerdeführerin eine Rückkehr dorthin im Augenblick schwierig, zumal die Bildungsmöglichkeiten für Mädchen nachlassen würden.

14. Am 15.01.2021 wurde die Erstbeschwerdeführerin durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl niederschriftlich einvernommen. Darin gab sie im Wesentlichen zunächst an, gesund zu sein und keine Medikamente zu nehmen. Sie studiere im zweiten Semester und wolle ihr Studium hier beenden. Es gebe in Österreich viele hilfsbedürftige, ältere Menschen, die sie unterstützen wolle. Sie habe zur Aufnahme ihres Studiums ihre (asylrechtliche) Aufenthaltsberechtigungskarte vorgelegt. Außerdem besuche die Zweitbeschwerdeführerin den Kindergarten in Österreich und spreche mehr Deutsch als ihre Muttersprache. Ihr Erststudium, für welches sie 2015 eingereist sei, habe sie nicht abschließen können, da es in einer fremden Sprache (gemeint: Deutsch) geführt wurde. Als sie die Sprachkurse besucht habe, sei sie schwanger geworden und es sei ihr gesundheitlich sehr schlecht gegangen, weshalb sie nicht weiterstudieren habe können. Die Erstbeschwerdeführerin wolle nicht nach Bangladesch zurückkehren, da die Zweitbeschwerdeführerin dort nicht zur Schule gehen könne und in Lebensgefahr wäre. Die Erstbeschwerdeführerin sie weiterhin verheiratet. In Bangladesch würden ihre Mutter, zwei Schwestern und ein Bruder leben, mit denen sie keinen Kontakt habe. Sie habe in Bangladesch eine 17-jährige Bildung genossen und ein Universitätsstudium abgeschlossen. Danach habe sie für eine NGO gearbeitet. Sie sei seit ihrer Einreise im Jahr 2015 im Bundesgebiet aufhältig. Sie habe in Österreich neben ihrem Ehemann und ihrer Tochter zwei österreichische Freunde. Sie wohne in einer 36m² großen Wohnung und zahle EUR 600,- Miete. Sie erhalte ein Stipendium in Höhe von EUR 300,- monatlich. Die Familie erhalte zudem EUR 830,- von der Caritas (Grundversorgung). Die Erstbeschwerdeführerin sei Mitglied beim Roten Kreuz und bei der bengalisch-österreichischen Gesellschaft. Die Erstbeschwerdeführerin wolle nach Studienabschluss in Österreich arbeiten. Die Zweitbeschwerdeführerin solle hier zur Schule gehen und ein gutes und sicheres Leben führen können. Die Erstbeschwerdeführerin könne nicht nach Bangladesch zurück, da es ein muslimisches Land sei, in dem die Bildung für Frauen limitiert sei und diese diskriminiert werden würden. Die deutsche Sprache würde ihr in Bangladesch nicht weiterhelfen. Außerdem sei ihr Leben dort in Gefahr und es mangle an Sicherheit.

Im Rahmen der Einvernahme legte die Erstbeschwerdeführerin eine Bestätigung des Studienerfolges vom 23.12.2020 vor.

15. Am 25.01.2021 stellte die Erstbeschwerdeführerin als gesetzliche Vertreterin der Zweitbeschwerdeführerin für diese einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK gemäß § 55 AsylG 2005. Begründend wurde ausgeführt, dass die Zweitbeschwerdeführerin seit ihrer Geburt in Österreich lebe, ihre Eltern hier habe, einen Kindergarten besuche und ihr Lebensmittelpunkt sich in Österreich befinde. Sie sei nie in Bangladesch gewesen und spreche die Sprache nicht gut, weshalb im Falle einer Rückkehr beträchtliche Schwierigkeiten bei der sprachlichen und kulturellen Integration bestünden. Sie würde dem dortigen Unterricht nicht nachkommen und hätte keine großen Bildungsmöglichkeiten. Gestellt werde der Antrag auf Heilung des Mangels der Vorlage des Reisepasses gemäß § 4 Abs. 1 Z 2 und 3 AsylG-DV 2005, da die bengalische Botschaft bislang keinen Reisepass ausgestellt habe.

Dem Antrag beigelegt wurden die österreichische Geburtsurkunde der Zweitbeschwerdeführerin und eine Vereinbarung vom 04.09.2020 über ihren halbtägigen Kindergartenbesuch.

16. Am 28.01.2021 langten beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl Bestätigungen der Caritas über den monatlichen Bezug von Leistungen aus der Grundversorgung durch die Erstbeschwerdeführerin für den Zeitraum 01.10.2020 bis 28.02.2021, bestehend aus einem Verpflegungsgeld in Höhe von EUR 530,- und einem Mietzuschuss in Höhe von EUR 300,-, ein.

17. Am 29.01.2021 gab die Erstbeschwerdeführerin eine Stellungnahme ab, wonach sie ihr Studium zielstrebig verfolge und vor dem Hintergrund eines massiven Personalmangels in Bereich der Pflege ihr Verbleib in Österreich von wirtschaftlichem Nutzen für den Staat wäre. Die Zweitbeschwerdeführerin besuche den Kindergarten, habe viele Freunde und spreche sehr gut Deutsch, weshalb eine Rückkehr auch sie schwer treffen würde. Hinzu komme die in Bangladesch bestehende Gewalt gegen Frauen und junge Mädchen sowie die in diesem Bereich herrschende Straflosigkeit.

18. Mit dem nunmehr angefochten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl wurde der Antrag der Erstbeschwerdeführerin auf Erteilung eines Aufenthaltstitels in besonders berücksichtigungswürdigen Fällen vom 02.10.2020 gemäß § 56 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.), gemäß § 10 Abs. 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG gegen sie eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 3 FPG erlassen (Spruchpunkt II.), gemäß § 52 Abs. 9 FPG die Zulässigkeit der Abschiebung der Erstbeschwerdeführerin nach Bangladesch festgestellt (Spruchpunkt III.), gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG eine Frist von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung zur freiwilligen Ausreise gewährt (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 2 FPG gegen die Erstbeschwerdeführerin ein auf die Dauer von zwei Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt V.).

Begründend wurde ausgeführt, dass die Erstbeschwerdeführerin die Voraussetzungen für die Erteilung des beantragten Aufenthaltstitels nicht erfülle. Sie halte sich zwar zum Zeitpunkt der Antragstellung nachweislich seit fünf Jahren durchgängig im Bundesgebiet auf, wobei mindestens die Hälfte davon rechtmäßig gewesen sei. Auch erfülle sie das Modul 1 der Integrationsvereinbarung (§ 56 Abs. 1 Z 1 bis 3 AsylG 2005). Jedoch lägen die weiteren Erteilungsvoraussetzungen des § 60 Abs. 2 AsylG 2005 nicht vor, da ihr Aufenthalt mangels Erwerbseinkommens bereits zum Entscheidungszeitpunkt die Gebietskörperschaften finanziell belaste. Zudem finanziere die Erstbeschwerdeführerin auch ihre Krankenversicherung und ihre Unterkunft lediglich durch die Grundversorgung. Darüber hinaus lägen keine berücksichtigungswürdigen Gründe vor, aus denen ein Aufenthaltstitel zu erteilen wäre. Ein Eingriff in das Familienleben liege nicht vor, die Aufenthaltsdauer überschreite nur unwesentlich jene von fünf Jahren und es bestünden keine nennenswerten integrativen Aspekte. Der Antrag gemäß § 56 AsylG 2005 sei daher abzuweisen. Der Erlassung einer Rückkehrentscheidung stehe folglich ihr Recht auf Achtung des Privat- oder Familienlebens nicht entgegen. Angesichts der rechtskräftigen Abweisung ihres Antrages auf internationalen Schutz ergebe sich die Zulässigkeit einer Abschiebung der Erstbeschwerdeführerin nach Bangladesch. Die Frist für die freiwillige Ausreise von vierzehn Tagen ergebe sich aus § 55 FPG, da besondere Umstände, die die Erstbeschwerdeführerin bei der Regelung ihrer persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen habe, nicht vorlägen. Schließlich sei ein zweijähriges Einreiseverbot zu erlassen gewesen, da die Erstbeschwerdeführerin beharrlich ihre Ausreiseverpflichtung missachte und keine eigenen Unterhaltsmittel nachweisen könne.

Mit dem ebenso angefochtenen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl wurde der Antrag auf Mängelheilung der Zweitbeschwerdeführerin vom 25.01.2021 gemäß § 4 Abs. 1 Z 2 und 3 iVm § 8 AsylG-DV 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.). Weiters wurde der Antrag der Zweitbeschwerdeführerin auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK vom 25.01.2021 gemäß § 58 Abs. 10 und 11 AsylG 2005 zurückgewiesen (Spruchpunkt II.), gemäß § 10 Abs. 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG gegen sie eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 3 FPG erlassen (Spruchpunkt III.), gemäß § 52 Abs. 9 FPG die Zulässigkeit der Abschiebung der Zweitbeschwerdeführerin nach Bangladesch festgestellt (Spruchpunkt IV.), gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG eine Frist von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung zur freiwilligen Ausreise gewährt (Spruchpunkt IV.) und gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 2 FPG gegen die Zweitbeschwerdeführerin ein auf die Dauer von zwei Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt V.).

Begründend führte die belangte Behörde aus, dass die Zweitbeschwerdeführerin nicht begründet und nachgewiesen habe, weshalb ihr von der bengalischen Botschaft kein Reisepass ausgestellt werde. Der Antrag auf Mängelheilung sei daher abzuweisen. Der Antrag auf Erteilung des Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK sei erstens mangels eines seit dem rechtskräftigen Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts maßgeblich geänderten Sachverhaltes (§ 58 Abs. 10 AsylG 2005) und zweitens wegen Verletzung der Mitwirkungspflicht infolge Nichtvorlage eines gültigen Reisedokumentes (§ 58 Abs. 11 AsylG 2005) zurückzuweisen. Der Erlassung einer Rückkehrentscheidung stehe folglich ihr Recht auf Achtung des Privat- oder Familienlebens nicht entgegen. Angesichts der rechtskräftigen Abweisung ihres Antrages auf internationalen Schutz ergebe sich die Zulässigkeit einer Abschiebung der Zweitbeschwerdeführerin nach Bangladesch. Die Frist für die freiwillige Ausreise von vierzehn Tagen ergebe sich aus § 55 FPG, da besondere Umstände, die die Zweitbeschwerdeführerin bei der Regelung ihrer persönlichen Verhältnisse zu berücksichtigen habe, nicht vorlägen. Schließlich sei ein zweijähriges Einreiseverbot zu erlassen gewesen, da die Zweitbeschwerdeführerin beharrlich ihre Ausreiseverpflichtung missachte und keine eigenen Unterhaltsmittel nachweisen könne. Zwar könne der Zweitbeschwerdeführerin altersbedingt ihr Verhalten nicht vorgeworfen werden, es stehe jedoch fest, dass die Konsequenzen eines Fehlverhaltens der Obsorgeberechtigten Teil des allgemeinen Lebensrisikos minderjähriger Kinder sei. Auch stelle das Einreiseverbot keine Bestrafung schuldhaften Verhaltens dar, sondern sei eine Maßnahme zur Abwendung von Gefahren.

19. Gegen diese Bescheide erhoben die Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde und wurde nach Wiederholung des Sachverhaltes insbesondere ausgeführt, dass die Erstbeschwerdeführerin mit ihrem Studium „fast fertig“ sei. Aufgrund ihres Ausbildungsvertrages würde sie nach Beendigung ihres Studiums bereits über einen Arbeitsplatz verfügen, weshalb sie keiner Gebietskörperschaft zur Last fallen würde. Es sei unverständlich, weshalb sie angesichts des Personalmangels im Bereich der Gesundheits- und Krankenpflege nicht bleiben dürfe. Zudem stelle die Erstbeschwerdeführerin und jedenfalls die Zweitbeschwerdeführerin keine Gefahr für die öffentliche Ordnung oder Sicherheit dar, weshalb das erlassene Einreiseverbot aufzuheben sei. Beantragt wurde die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen (Sachverhalt):

1.1. Zur Person der Beschwerdeführer:

Die Identität der Beschwerdeführer steht fest. Sie sind Staatsangehörige von Bangladesch, gehören der Religionsgemeinschaft der sunnitischen Muslime und der Volksgruppe der Bengalen an.

Die Erstbeschwerdeführerin wurde im Ort XXXX geboren und hat zuletzt in XXXX gelebt. Sie ist volljährig und im erwerbsfähigen Alter. Sie spricht Bengali sowie mittelmäßig Deutsch und Englisch. Sie hat in Bangladesch von 1989 bis 2001 die Schule und von 2003 bis 2010 die Universität Dhaka zum Studium der Soziologie besucht. In Bangladesch leben die Mutter, zwei Schwestern und ein Bruder der Erstbeschwerdeführerin, zu denen sie keinen Kontakt hält. Die Erstbeschwerdeführerin ist mit dem bengalischen Staatsangehörigen XXXX , geb XXXX , verheiratet, der in Bangladesch von 1987 bis 1997 die Schule besucht und dort einen Handel betrieben hat. In Bangladesch halten sich dessen Mutter, fünf Schwestern sowie Tanten und Onkeln auf, mit denen regelmäßiger Kontakt besteht.

Die Zweitbeschwerdeführerin ist die in Österreich geborene minderjährige Tochter der Erstbeschwerdeführerin und ihres Ehemannes. Sie spricht altersgemäß Bengali und Deutsch.

Die Beschwerdeführer sind gesund und strafgerichtlich unbescholten.

Die Erstbeschwerdeführerin reiste am 20.06.2015 legal in das Bundesgebiet ein. Sie verfügte vom 09.07.2015 bis zum 07.05.2018, als ein erneuter Verlängerungsantrag mangels Studienerfolgs abgewiesen wurde, über einen Aufenthaltstitel „Studierende“. Der Erstantrag der Zweitbeschwerdeführerin sowie ein Verlängerungsantrag des Ehemannes der Erstbeschwerdeführerin auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Familienangehörige“ wurden mit Bescheiden vom selben Tag abgewiesen. Die Erstbeschwerdeführerin, ihr Ehemann und die Zweitbeschwerdeführerin kamen ihrer Ausreiseverpflichtung nicht nach, sondern stellten am 30.05.2018 Anträge auf internationalen Schutz, welche mit Bescheiden des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 18.01.2019 abgewiesen wurden. Unter einem wurde eine Rückkehrentscheidung erlassen. Die dagegen eingebrachten Beschwerden wurden mit Erkenntnissen des Bundesverwaltungsgerichts vom 13.02.2020, Zlen. W195 2215120-1/11E, W195 2215121-1/10E und W195 2215119-1/11E, als unbegründet abgewiesen. Die dagegen eingebrachte außerordentliche Revision wurde mit Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs vom 31.08.2020, Ra 2020/19/0016 bis 0118-8, zurückgewiesen.

Die Erstbeschwerdeführerin, ihr Ehemann und die Zweitbeschwerdeführerin kamen ihrer damit verbundenen Ausreiseverpflichtung seither nicht nach und halten sich seit Februar 2020 unrechtmäßig im Bundesgebiet auf.

Die Erstbeschwerdeführerin stellte am 02.10.2020 den gegenständlichen Erstantrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels in besonders berücksichtigungswürdigen Fällen gemäß § 56 AsylG 2005. Die Zweitbeschwerdeführerin stellte am 25.01.2021 den ebenso verfahrensgegenständlichen Erstantrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK gemäß § 55 AsylG 2005 und verband diesen mit einem Antrag auf Heilung des Mangels der Vorlage eines Reisepasses gemäß § 4 Abs. 1 Z 2 und 3 AsylG-DV, da die bengalische Botschaft bislang keinen Reisepass ausgestellt habe.

Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 21.04.2021 wurde der Antrag der Erstbeschwerdeführerin auf Erteilung eines Aufenthaltstitels in besonders berücksichtigungswürdigen Fällen vom 02.10.2020 gemäß § 56 AsylG 2005 abgewiesen, gemäß § 10 Abs. 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG gegen sie eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 3 FPG erlassen, gemäß § 52 Abs. 9 FPG die Zulässigkeit der Abschiebung der Erstbeschwerdeführerin nach Bangladesch festgestellt, gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG eine Frist von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung zur freiwilligen Ausreise gewährt und gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 2 FPG gegen die Erstbeschwerdeführerin ein auf die Dauer von zwei Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen.

Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 21.04.2021 wurde der Antrag auf Mängelheilung der Zweitbeschwerdeführerin vom 25.01.2021 gemäß § 4 Abs. 1 Z 2 und 3 iVm § 8 AsylG-DV 2005 abgewiesen. Weiters wurde der Antrag der Zweitbeschwerdeführer auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 9 EMRK vom 25.01.2021 gemäß § 58 Abs. 10 und 11 AsylG 2005 zurückgewiesen, gemäß § 10 Abs. 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG gegen sie eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 3 FPG erlassen, gemäß § 52 Abs. 9 FPG die Zulässigkeit der Abschiebung der Zweitbeschwerdeführerin nach Bangladesch festgestellt, gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG eine Frist von 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung zur freiwilligen Ausreise gewährt und gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 2 FPG gegen die Zweitbeschwerdeführerin ein auf die Dauer von zwei Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen.

Die Erstbeschwerdeführerin, ihr Ehemann und die Zweitbeschwerdeführerin leben in einer etwa 36m² großen Mietwohnung im gemeinsamen Haushalt. Die Miete beträgt etwa EUR 600,-. Die Familie bezieht aus der Grundversorgung des Landes Wien ein monatliches Verpflegungsgeld von EUR 530,- und einen Mietzuschuss von EUR 300,-. Die Erstbeschwerdeführerin hat am 12.12.2019 mit der FH Campus Wien einen Ausbildungsvertrag über den Besuch des dreijährigen Bachelorstudiums „Gesundheits- und Krankenpflege“ abgeschlossen und am 12.02.2020 dieses Studium aufgenommen. Sie hat zudem am 10.08.2020 einen Fördervertrag mit dem Wiener Gesundheitsverbund über ein Stipendium in Gesamthöhe von EUR 9.000,- in Verbindung mit der Verpflichtung, nach Beendigung des Studiums ein dreijähriges Dienstverhältnis zur Stadt Wien als Mitarbeiterin in der Gesundheits- und Krankenpflege einzugehen, abgeschlossen. Die Erstbeschwerdeführerin hat am 03.12.2018 die Integrationsprüfung auf dem Niveau A2 bestanden und vom 10.12.2018 bis 18.03.2019 an einem Deutschkurs auf dem Niveau B1 teilgenommen. Im Sommer 2019 hat sie beim Projekt „Summer School 2019“ der Interface Wien GmbH gemeinnützig mitgearbeitet. Sie ist Mitglied beim Roten Kreuz und bei der bengalisch-österreichischen Gesellschaft. Sie war zwischen Juli 2015 und März 2017 eine Woche als Arbeiterin und insgesamt etwa ein Jahr als geringfügig beschäftigte Arbeiterin erwerbsgemeldet. Sie hat zwei österreichische Freunde. Neben ihrem Ehemann und der Zweitbeschwerdeführerin hat sie keine Verwandtschaft in Österreich. Die Zweitbeschwerdeführerin besucht den Kindergarten und hat altersentsprechende Freundschaften geschlossen.

Die Erteilungsvoraussetzungen für den Aufenthalt in besonders berücksichtigungswürdigen Fällen gemäß § 56 AsylG 2005 liegen für die Erstbeschwerdeführerin nicht vor. Seit dem Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 13.02.2020 ist keine maßgebliche Änderung des Privat- und Familienlebens der Zweitbeschwerdeführerin eingetreten. Die Zweitbeschwerdeführerin legte bis dato keinen Reisepass vor.

1.2. Zur Situation im Herkunftsstaat wird Folgendes festgehalten:

1. COVID-19

Die COVID-Krise trifft Bangladesch sehr hart, nachdem am 8.3.2020 die ersten Fälle nachgewiesen wurden. Die Regierung verhängte ab dem 22.3.2020 einen umfassenden Lockdown, der jedoch de facto immer brüchig war und einmal mehr und einmal weniger eingehalten wurde. Am 30.5.2020 wurde der Lockdown wieder aufgehoben, da eine weiter Fortsetzung wirtschaftlich nicht mehr vertretbar war (ÖB 9.2020). Die bangladeschische Regierung hat im April 2020 Hilfspakete mit einem Volumen in Höhe von 12 Milliarden USD beschlossen. Die Konjunkturmaßnahmen zielen unter anderem auf eine Stützung von für die Wirtschaft bedeutende Industriezweige wie die Textil- und Bekleidungsherstellung sowie den Agrar- und Nahrungsmittelsektor ab (GTAI 21.9.2020a). Im Zuge der COVID-Krise 2020 verloren nach Schätzungen 5 der Bangladesh Economic Association etwa 36 Mio. Menschen während des Lockdowns ihre Arbeit, 25 Mio. rutschen zurück in die absolute Armut (ÖB 9.2020).

Das ohnehin schwache Gesundheitssystem Bangladeschs ist mit der Pandemie völlig überlastet (ÖB 9.2020). Durch die Coronakrise gerät das seit Jahrzehnten unterfinanzierte staatliche Gesundheitswesen in Bangladesch enorm unter Druck und die Versorgung von Covid-19-Patienten stößt an ihre Grenzen (GTAI 21.9.2020b). So sind landesweit nur etwas mehr als knapp 1.000 Intensivbetten verfügbar (GTAI 21.9.2020; vgl. WKO 4.2020). Davon sind 400 für die Behandlung von Patienten mit schweren Atemwegserkrankungen ausgerüstet. Während es in der Hauptstadt Dhaka 400 Intensivbetten gibt, stehen in 47 der insgesamt 64 Verwaltungsbezirke überhaupt keine zur Verfügung (GTAI 21.9.2020).

Eine weitere Problemstellung für das Land stellen die zahlreichen Rückkehrer aus den Ländern des Nahen Ostens dar. Auf Grund der beengten Arbeits- und Lebensverhältnissen in den Gastländern sind diese Arbeiter besonders von Ansteckungen mit dem Virus betroffen. Darum, aber auch wegen des mit COVID verbundenen weltweiten Wirtschaftsabschwungs, schicken vor allem die Staaten des Nahen Osten tausende Arbeiter wieder zurück nach Bangladesch. Viele bringen so das Virus auf ihrem Heimweg mit ins Land. Da viele Migranten aus Bangladesch im Nahen Osten im Zuge der COVID-Krise ihre Arbeit verloren haben und ausgewiesen wurden, ist in den kommenden Jahren mit einem vermehrten Aufkommen von AsylwerberInnen aus Bangladesch in (West-)Europa zu rechnen (ÖB 9.2020).

Quellen:

?        GTAI - Germany Trade and Invest (21.9.2020a): Covid-19: Maßnahmen der Regierung, https://www.gtai.de/gtai-de/trade/specials/special/bangladesch/covid-19-massnahmen-der-regierung-260866; Zugriff 5.11.2020

?        GTAI - Germany Trade and Invest (21.9.2020b): Covid-19: Gesundheitswesen in Bangladesch: https://www.gtai.de/gtai-de/trade/specials/special/bangladesch/bangladeschs-wirtschaft-behauptet-sich-trotz-coronakrise-260868; Zugriff 5.11.2020

?        ÖB – Österreichische Botschaft Neu Delhi (9.2020): Asylländerbericht Bangladesch

?        WKO – Wirtschaftskammer Österreich (25.4.2020): Coronavirus: Situation in Bangladesch, https://www.wko.at/service/aussenwirtschaft/coronavirus-info-bangladesch.html; Zugriff 8.5.2020

2. Sicherheitslage

Der Hass zwischen den politischen Parteien, insbesondere Awami League (AL) und die Bangladesch National Party (BNP), ist für den größten Teil an Gewalt im Land verantwortlich (ACLED 9.11.2018). Die regierende Awami-Liga (AL) hat ihre politische Macht durch die nachhaltige Einschüchterung der Opposition, wie auch jener mit ihr verbündet geltenden Kräfte, sowie der kritischen Medien und Stimmen in der Zivilgesellschaft ausgebaut (FH 2020). Beide Parteien sind – gemeinsam mit unidentifizierten bewaffneten Gruppen – in Vandalismus und gewalttätige Auseinandersetzungen verwickelt und greifen auch friedliche Zivilisten an (ACLED 9.11.2018).

Von nicht-staatlichen Akteuren (insbesondere Opposition, Islamisten, Studenten) geht nach wie vor in vielen Fällen Gewalt aus. Die öffentliche Sicherheit ist fragil. Das staatliche Gewaltmonopol wird durchbrochen. Es kommt häufig zu Morden und gewalttätigen Auseinandersetzungen aufgrund politischer (auch innerparteilicher) oder krimineller Rivalitäten. Eine Aufklärung erfolgt selten. Die großen Parteien verfügen über eigene „Studentenorganisationen“. Mit dem stillschweigenden Einverständnis der Mutterparteien fungieren diese bewaffneten Organisationen als deren Schild und Schwert. Ihr Mitwirken im politischen Prozess ist eine der wichtigsten Ursachen für die politische Gewalt in Bangladesch (AA 22.7.2019).

Spontane Streiks und Kundgebungen können jederzeit stattfinden (BMEIA 18.3.2020; vgl. AA 22.3.2020), dabei können Kämpfe zwischen Sicherheitsbehörden und Demonstranten, Brandstiftung, Gewalt und Vandalismus unvorhergesehen auftreten (UKFCO 29.3.2020a).

Gewalt gegen Zivilisten oder staatliche Kräfte durch Rebellen macht einen relativ kleinen Anteil an allen Gewaltereignissen aus. Es gibt radikale islamistische Gruppen wie die Mujahideen Bangladesh (JMB) und Ansarullah Bangla Team (ABT). Sowohl der Islamische Staat (IS) und Al Qaeda in the Indian Subcontinent (AQIS) geben an, in Bangladesch aktiv zu sein, was von der Regierung jedoch dementiert wird (ACLED 9.11.2018). 2017 kam es zu fünf Selbstmordattentaten mit Todesfolge, zu denen sich der Islamische Staat bekannte (BMEIA 18.3.2020; vgl. SATP 2.4.2020). 2019 gab es mehrere Angriffe gegen Polizei und Sicherheitskräfte in Dhaka und in der Stadt Khulna. Am 29.2.2020 erfolgte ein Anschlag auf die Polizei in Chittagong, bei welchem auch improvisierten Sprengkörper (IEDs) eingesetzt worden sind. Die bangladeschischen Behörden sind weiterhin in höchster Alarmbereitschaft und vereiteln geplante Angriffe. Es wurde eine Reihe von Verhaftungen vorgenommen. Einige Operationen gegen mutmaßliche Militante haben ebenfalls zu Todesfällen geführt (UKFCO 29.3.2020b). Extremistische Gruppen führen Angriffe auf Angehörige vulnerabler Gruppen durch (USDOS 11.3.2020; AA 27.7.2019). In vielen Fällen ist nicht eindeutig differenzierbar, ob religiöse Motive oder säkulare Interessen, wie z.B. Racheakte oder Landraub, Grund für die Vorfälle sind. Sicherheitsbehörden reagieren manchmal nicht zeitnah bzw. überhaupt nicht auf religiös motivierte Vorfälle (AA 22.7.2019).

In der Division Chittagong, insbesondere im Gebiet der Chittagong Hill Tracts (Bezirke Rangamati, Khagrachari und Bandarban) kommt es zu bewaffneten Unruhen und kriminellen Übergriffen (AA 22.3.2020; vgl. UKFCO 29.3.2020a, AI 30.1.2020). Im südöstlichen Verwaltungsbezirk Cox’s Bazar der Gebietsverwaltung Chittagong hat es zuletzt unter anderem in der Nähe von Flüchtlingslagern vereinzelt gewalttätige Zwischenfälle gegeben. Es gibt Berichte über Sicherheitsprobleme, Protestkundgebungen sowie Gewalttätigkeiten und Unruhen sowohl in der örtlichen Bevölkerung als auch unter den Bewohnern der Lager, nachdem ein lokaler politischer Führer ermordet worden ist (HRW 18.9.2019; vgl. AA 5.11.2019, TDS 24.8.2019).

Im März 2019 wurden bei den Kommunalwahlen im Gebiet Baghicahhari im Norden des Distrikts Rangamati mehrere Wahl- und Sicherheitsbeamte getötet (UKFCO 29.3.2020a).

An der Grenze zu Indien kommt es gelegentlich zu Schusswechseln zwischen indischen und bangladeschischen Grenzwächtern. Regelmäßig werden Menschen getötet, die versuchen, illegal die Grenze zu überqueren (UKFCO 29.3.2020a).

Das South Asia Terrorism Portal verzeichnet in einer Aufstellung für das Jahr 2016 insgesamt 907 Todesopfer durch terrorismusrelevante Gewalt. Im Jahr 2017 wurden 812 Personen durch terroristische Gewalt getötet und im Jahr 2018 kamen 940 Menschen durch Terrorakte. 2019 belief sich die Opferzahl terrorismus- relevanter Gewalt landesweit auf insgesamt 621 Tote. Bis zum 5.3.2020 wurden 81 Todesopfer durch terroristische Gewaltanwendungen registriert [Anmerkung: die angeführten Zahlen beinhalten Zivilisten, Sicherheitskräfte und Terroristen] (SATP 17.3.2020).

Das South Asia Terrorism Portal verzeichnet in einer Aufstellung für das Jahr 2017 insgesamt 263 Vorfälle terrorismus-relevanter Gewalt. Im Jahr 2018 wurden 135 solcher Vorfälle verzeichnet und 2019 wurden 104 Vorfälle registriert. Bis zum 2.4.2020 wurden 29 Vorfälle terroristischer Gewaltanwendungen registriert (SATP 2.4.2020).

In der Monsunzeit von Mitte Juni bis Mitte Oktober muss mit Überschwemmungen gerechnet werden, im südlichen Landesdrittel von Oktober bis November und Mitte April bis Mitte Mai grundsätzlich auch mit Wirbelstürmen (AA 22.3.2020). Regelmäßig wiederkehrende Überschwemmungen sowie die Erosion von Flussufern führen zu einer umfangreichen Binnenmigration (AA 22.7.2019; vgl. Kaipel 2018). Die Kriminalität ist hoch, insbesondere Raubüberfälle (BMEIA 18.3.2020).

Quellen:

?        AA – Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland (22.3.2020): Bangladesch: Reise- und Sicherheitshinweise, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/bangladesch-node/bangladeschsicherheit/206292, Zugriff 2.4.2020

?        AA – Auswärtiges Amt (Deutschland) (22.7.2019): Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Volksrepublik Bangladesch, https://www.ecoi.net/en/file/local/2014277/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Volksrepublik_Bangladesch_%28Stand_Mai_2019%29%2C_22.07.2019.pdf, Zugriff 19.3.2020

?        ACLED – Armed Conflict Location & Event Data Project (9.11.2018): The Anatomy of Violence in Bangladesh, https://www.acleddata.com/2018/11/09/the-anatomy-of-violence-in-bangladesh/, Zugriff 6.3.2019

?        AA - Anadolu Agency (5.11.2019): Bangladesh rejects Amnesty report on Rohingya killings, https://www.aa.com.tr/en/asia-pacific/bangladesh-rejects-amnesty-report-on-rohingya-killings/1636457, Zugriff 2.4.2020

?        AI – Amnesty International (30.1.2020): Human Rights in Asia-Pacific; Review of 2019 - Bangladesh, https://www.ecoi.net/de/dokument/2023864.html, Zugriff 2.4.2020

?        BMEIA – Bundesministerium Europa, Integration und Äußeres (18.3.2020): Bangladesch – Reiseinformation, https://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/bangladesch/, Zugriff 2.4.2020

?        FH – Freedom House (2020): Freedom in the World 2020 – Bangladesh, https://freedomhouse.org/country/bangladesh/freedom-world/2020, Zugriff 1.4.2020

?        HRW – Human Rights Watch (18.9.2019): Spate of Bangladesh ‘Crossfire’ Killings of Rohingya, https://www.hrw.org/news/2019/09/18/spate-bangladesh-crossfire-killings-rohingya, Zugriff 4.2.2020

?        Kaipel, Simione Christina (2018): „Globaler Wandel – regionale Krisen? Ökologische und sozioökonomische Perspektiven umweltbedingter Migrationsflüsse“, Masterarbeit, Seite 41 – 54, http://othes.univie.ac.at/54839/1/56687.pdf, Zugriff 2.4.2020

?        SATP - South Asia Terrorism Portal (2.4.2020): Data Sheet – Bangladesh, Number of Terrorism Related Incidents Year Wise 2000 - 2020, https://www.satp.org/datasheet-terrorist-attack/incidents-data/bangladesh, Zugriff 6.4.2020

?        SATP - South Asia Terrorism Portal (2.4.2020): Data Sheet – Bangladesh, Yearly Sucide Attacks, Advance Search 2000 - 2020, https://www.satp.org/datasheet-terrorist-attack/incidents-data/bangladesh, Zugriff 6.4.2020

?        TDS – The Daily Star (24.8.2019): Jubo League leader killed by ‘Rohingyas’, https://www.thedailystar.net/frontpage/news/jubo-league-leader-killed-rohingyas-1789726, Zugriff 15.1.2020

?        UKFCO – UK Foreign and Commonwealth Office (6.9.201929.3.2020a): Foreign travel advice Bangladesh - Safety and security, https://www.gov.uk/foreign-travel-advice/bangladesh/safety-and-security, Zugriff 4.2.2020

?        UKFCO – UK Foreign and Commonwealth Office (6.9.201929.3.2020b): Foreign travel advice Bangladesh – Terrorism, https://www.gov.uk/foreign-travel-advice/bangladesh/terrorism, Zugriff 4.2.2020

?        USDOS – US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Bangladesh, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026382.html, Zugriff 24.3.2020

3. Rechtsschutz / Justizwesen

Das Gerichtssystem besteht aus zwei Instanzen, den untergeordneten Gerichten (Magistrates, Session- und District Judges) und dem Obersten Gerichtshof (Supreme Court). Beide verhandeln Zivil- und Strafrechtssachen. Das Rechtssystem beruht weitgehend auf dem englischen „Common Law“. Der Oberste Gerichtshof besteht aus zwei Abteilungen, dem „High Court“, der Verfassungsfragen verhandelt und als Berufungsinstanz zu den erstinstanzlichen Gerichten fungiert, sowie dem „Appellate Court“, dessen Entscheidungen für alle übrigen Gerichte bindend sind. Die Richter beider Abteilungen werden gemäß der Verfassung vom Präsidenten ernannt (ÖB 8.2019).

Die Unabhängigkeit der Richter wird von der Verfassung garantiert. In der Praxis unterstellt allerdings eine schon lange geltende temporäre Bestimmung der Verfassung die erstinstanzlichen Richter der Exekutive. Auch ihre Ernennung und Remuneration ist Sache der Exekutive. Demgegenüber haben die Richter des Obersten Gerichtshofs des öfteren ihre Unabhängigkeit demonstriert und gegen die Regierung entschieden (ÖB 8.2019). Gemäß einer Verfassungsänderung können Richter abgesetzt werden (AA 22.7.2019).

Auf Grundlage mehrerer Gesetze („Public Safety Act“, „Law and Order Disruption Crimes Speedy Trial Act”, “Women and Children Repression Prevention Act”, „Special Powers Act“) wurden Sondertribunale errichtet, die Fälle innerhalb eines festgesetzten Zeitrahmens erledigen müssen. Es fehlen allerdings Vorschriften für den Fall, dass sie dieser Verpflichtung nicht nachkommen. Diese „Speedy Trial“ Tribunale haben Medienberichten zufolge in den vergangenen Jahren mehrere Hundert Personen zum Tode verurteilt (ÖB 8.2019).

Wie die meisten Beobachter von Bangladesch übereinstimmend angeben, stellen Korruption, Ineffizienz der Justiz, gezielte Gewalt gegen Richter und ein gewaltiger Rückstau an offenen Fällen große Probleme dar (ÖB 8.2019; vgl. FH 2020). Strafanzeigen gegen Mitglieder der regierenden Partei werden regelmäßig zurückgezogen (FH 2020). Die schiere Zahl der gegen die politische Opposition eingeleiteten Klagen im Vorfeld zur 11. Parlamentswahl vom 30.12.2018, deutet auf ein ungehindertes Spielfeld und die Kontrolle der Regierungspartei über die Justiz- und Sicherheitsinstitutionen hin (FIDH 29.12.2018).

Zwei Drittel aller Streitfälle erreichen nicht das formelle Justizsystem, sondern werden von informellen Dorfgerichten oder bedeutenden Persönlichkeiten der lokalen Gemeinschaften entschieden. Diese behandeln meist Fälle betreffend Familienrecht, Unterhalt, Zweitehen, Mitgiftstreitigkeiten und Landeigentum. Obwohl diese „Gerichte“ eine durch Tradition legitimierte, schnellere und günstigere Alternative zu ordentlichen Gerichten darstellen, sind sie hinsichtlich der Einflussnahmemöglichkeiten durch lokal bedeutsame Persönlichkeiten sowie der gesellschaftlichen Stellung von Frauen nicht unproblematisch. Die islamische Scharia ist zwar nicht formell als Gesetz eingeführt, spielt aber insbesondere in den Bereichen des Zivilrechts (Erbschaft, Grunderwerb, Heirat und Scheidung etc.) eine große Rolle (ÖB 8.2019).

Quellen:

?        AA – Auswärtiges Amt (Deutschland) (22.7.2019): Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Volksrepublik Bangladesch, https://www.ecoi.net/en/file/local/2014277/Deutschland___Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Volksrepublik_Bangladesch_%28Stand_Mai_2019%29%2C_22.07.2019.pdf, Zugriff 19.3.2020

?        FH – Freedom House (2020): Freedom in the World 2020 – Bangladesh, https://freedomhouse.org/country/bangladesh/freedom-world/2020, Zugriff 1.4.2020

?        FIDH - International Federation for Human Rights (Hg.) (29.12.2018): Joint statement on the undemocratic electoral environment in Bangladesh, https://www.fidh.org/en/region/asia/bangladesh/joint-statement-on-the-undemocratic-electoral-environment-in, Zugriff 3.4.2020

?        ÖB – Österreichische Botschaft Neu Delhi (8.2019): Asylländerbericht Bangladesch

4. Allgemeine Menschenrechtslage

Bangladesch hat bisher mehrere UN Menschenrechtskonventionen ratifiziert, ist diesen beigetreten oder hat sie akzeptiert (ÖB 8.2019; vgl. UNHROHC o.D.). Die Verfassung von Bangladesch in der seit 17. Mai 2004 geltenden Fassung listet in Teil III, Artikel 26 bis 47A, einen umfassenden Katalog an Grundrechten auf. Artikel 102 aus Teil VI, Kapitel 1 der Verfassung regelt die Durchsetzung der Grundrechte durch die High Court Abteilung des Obersten Gerichtshofes. Jeder Person, die sich in ihren verfassungsmäßigen Grundrechten verletzt fühlt, steht der direkte Weg zum „High Court“ offen. Die „National Human Rights Commission“ wurde im Dezember 2007 unter dem „National Human Rights Commission Ordinance“ von 2007 eingerichtet, hat aber noch keine nennenswerte Aktivität entfaltet (ÖB 8.2019).

Teils finden Menschenrechtsverletzungen auch unter Duldung und aktiver Mitwirkung der Polizei und anderer Sicherheitskräfte statt (GIZ 11.2019a). Dazu zählen außergerichtliche Tötungen, Verschwinden lassen von Personen, willkürliche Festnahmen und Verhaftungen und Folter (USDOS 11.3.2020). Die Regierung verhaftete laut neuesten Berichten bis zu 2000 Mitglieder der RABs wegen diverser Vergehen. Obwohl die RABs in den letzten Jahren hunderte Tötungen bzw. mutmaßliche Morde verübt haben, kam es noch zu keiner Verurteilung wegen außergerichtlicher Tötungen, Folter oder willkürlicher Verhaftungen (ÖB 8.2019, siehe auch Abschnitt 5).

Menschenrechtsverletzungen beinhalten weiters harte und lebensbedrohende Haftbedingungen, politische Gefangene, willkürliche oder rechtswidrige Eingriffe in die Privatsphäre, Zensur, Sperrung von Websites und strafrechtliche Verleumdung; erhebliche Behinderungen der Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, wie beispielsweise restriktive Gesetze für Nichtregierungsorganisationen (NGOs) und Beschränkungen der Aktivitäten von NGOs; erhebliche Einschränkungen der Bewegungsfreiheit; Einschränkungen der politischen Partizipation, da Wahlen nicht als frei oder fair empfunden werden; Korruption, Menschenhandel; Gewalt gegen Lesben, Homosexuelle, Bisexuelle, Transgender- und Intersexuelle (LGBTI) und Kriminalisierung gleichgeschlechtlicher sexueller Aktivitäten; Einschränkungen für unabhängige Gewerkschaften und der Arbeitnehmerrechte sowie die Anwendung der schlimmsten Formen der Kinderarbeit (USDOS 11.3.2020).

Die Regierung von Bangladesch ignoriert Empfehlungen im Hinblick auf glaubwürdige Berichte zu Wahlbetrug, hartem Vorgehen gegen die Redefreiheit, Folterpraktiken von Sicherheitskräften und zunehmenden Fällen von erzwungenem Verschwinden und Tötungen (EEAS 1.1.2019; vgl. HRW 14.1.2020).

Das Gesetz verbietet Diskriminierung von Menschen mit Behinderungen und es werden Maßnahmen ergriffen, um diese Bestimmungen wirksamer durchzusetzen. Fälle von Diskriminierung und gesellschaftlicher Gewalt gegen religiöse und ethnische Minderheiten sowie von Menschen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung bestehen fort (USDOS 11.3.2020). Das Informations- und Kommunikationstechnologiegesetz (Information and Communication Technology Act - ICT Act) wird angewandt, um Oppositionelle und Mitglieder der Zivilgesellschaft wegen Delikten von Verleumdung juristisch zu verfolgen (USDOS 11.3.2020).

Bangladesch ist nach wie vor ein wichtiger Zubringer wie auch Transitpunkt für Opfer von Menschenhandel. Jährlich werden Zehntausende Menschen in Bangladesch Opfer von Menschenhandel. Frauen und Kinder werden sowohl in Übersee als auch innerhalb des Landes zum Zweck der häuslichen Knechtschaft und sexuellen Ausbeutung gehandelt, während Männer vor allem zum Zweck der Arbeit im Ausland gehandelt werden. Ein umfassendes Gesetz zur Bekämpfung des Menschenhandels aus dem Jahr 2013 bietet den Opfern Schutz und verschärft die Strafen für die Menschenhändler, doch die Durchsetzung ist nach wie vor unzureichend (FH 2020). Internationale Organisationen behaupten, dass einige Grenzschutz-, Militär- und Polizeibeamte an der Erleichterung des Handels mit Rohingya-Frauen und -Kindern beteiligt waren. Formen der Unterstützung von Menschenhandel reichen dabei von „Wegschauen“ über Annahme von Bestechungsgelder für den Zugang der Händler zu Rohingya in den Lagern bis hin zur direkten Beteiligung am Handel (USDOS 11.3.2020).

Quellen:

?        EEAS - European External Action Service (1.1.2019): Statement by the Spokesperson on parliamentary elections in Bangladesh, https://eeas.europa.eu/headquarters/headquarters-homepage/56110/node/56110_es, Zugriff 6.4.2020

?        FH – Freedom House (2020): Freedom in the World 2020 – Bangladesh, https://freedomhouse.org/country/bangladesh/freedom-world/2020, Zugriff 1.4.2020

?        GIZ - Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit GmbH (11.2019a): Bangladesch, Geschichte & Staat, https://www.liportal.de/bangladesch/geschichte-staat, Zugriff 24.3.2020

?        HRW – Human Rights Watch (14.1.2020): World Report 2020 – Bangladesh, https://www.ecoi.net/de/dokument/2022700.html, Zugriff 1.4.2020

?        HRW – Human Rights Watch (17.1.2019): World Report 2019 – Bangladesh, https://www.ecoi.net/de/dokument/2002245.html, Zugriff 27.2.20191.4.2020

?        ÖB – Österreichische Botschaft Neu Delhi (8.2019): Asylländerbericht Bangladesch

?        UNHROHC- United Nations Human Rights Office of the High Commissioner (o.D.): View the ratification status by country or by treaty - Bangladesh, http://tbinternet.ohchr.org/_layouts/TreatyBodyExternal/Treaty.aspx?CountryID=37&Lang=EN, Zugriff 5.3.2019

?        USDOS – US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Bangladesh, https://www.ecoi.net/de/dokument/2026382.html, Zugriff 26.3.2020

5. Frauen

Die Verfassung garantiert allen Bürgern gleiche Rechte, inklusive der Gleichstellung von Mann und Frau in allen Bereichen des staatlichen und öffentlichen Lebens. Ausnahmen bestehen aus religiösen Gründen. Das gilt beispielsweise in den Bereichen des Familienrechts. Daher hat Bangladesch die CEDAW- Konvention (Convention on the Elimination of All Forms of Discrimination against Women) nur mit zwei Vorbehalten ratifiziert. Fehlender Rechtsschutz in Ehe-, Scheidungs- und Sorgerechtsangelegenheiten lässt Frauen bei der Trennung häufig mittel- und obdachlos zurück (AA 27.7.2019).

Die Arbeitsmöglichkeiten haben sich für Frauen in den letzten Jahren verbessert. So stellen sie mittlerweile ca. 80 % der Arbeitskräfte in den Textilfabriken. Die Arbeitsbedingungen in den Fabriken sind jedoch oftmals prekär (AA 27.7.2019). Der Einsturz der Textilfabrik Rana Plaza im Jahre 2013 führte der Welt vor Augen, welche Zustände in der Bekleidungsindustrie im Land herrschen (TI 1.2019). Durch den Verdienst können Frauen ihre Stellung in der Familie und den lokalen Gemeinschaften enorm verbessern. Häufig bestehen zwischen den Tätigkeiten von Männern und Frauen erhebliche Gehaltsunterschiede (AA 27.7.2019).

Glaubwürdigen Berichten von Menschenrechtsorganisationen ist zu entnehmen, dass in der ersten Jahreshälfte 2019 ein alarmierender Anstieg der Vergewaltigungsfälle zu verzeichnen war (USDOS 11.3.2020; vgl. AI 30.1.2020). Die Gewalt gegen Frauen und Mädchen hat im Laufe des vergangenen Jahres (2019) stark zugenommen (ODHIKAR 8.2.2020; vgl. AI 30.1.2020). Mindestens 17.900 gemeldete Fälle von Gewalt gegen Frauen, darunter 5.400 gemeldete Fälle von Vergewaltigungen wurden registriert (AI 30.1.2020). Im September 2019 wurden 232 gemeldete Vergewaltigungsfälle aufgezeichnet - die höchste Zahl in einem einzigen Monat seit 2010 (AI 30.1.2020).

Der alarmierende Anstieg der Gewalt gegen Frauen und Mädchen ist zum Teil auf die vorherrschende Kultur der Straflosigkeit und das mangelnde Engagement der Regierung zurückzuführen (AI 30.1.2020). ASK, die Gesellschaft zur Unterstützung der Menschenrechte und der bangladeschische Mahila Parishad (BMP) schätzt die Zahl der zwischen Januar und Juni 2019 vergewaltigten Frauen auf 630 bis 738, also höher als 2018, in welchem gemäß Angaben von Bangladesh Mahila Parishad (BMP) insgesamt 942 Frauen vergewaltigt worden sind (USDOS 11.3.2020). Die Behörden haben es versäumt, Gesetze zum Schutz von Frauen in Fällen von sexueller Gewalt, Vergewaltigung, häuslichem Missbrauch und Säureangriffen ordnungsgemäß durchzusetzen (HRW 14.1.2020; vgl. ÖB 8.2019; FH 2020). Insbesondere innerhalb der Familie nimmt die Frau nach wie vor eine untergeordnete Rolle ein. Die ihr garantierten Rechte können in der Praxis oft nicht gelebt werden. Oft müssen Frauen auf die Ausübung ihnen zustehender Rechte verzichten, da sie sonst mit sozialer Stigmatisierung zu rechnen haben. Besonders mangelnde Bildung und traditionelle Interpretationen des Islam machen häusliche Gewalt zu einer, vor allem in armen Bevölkerungsschichten, gesellschaftlich akzeptierten Norm. Das „Bangladesh Bureau of Statistics“ stellt in seinem Bericht „Violence Against Women Survey“ von 2015 fest, dass 26 % der verheirateten Frauen anführten, Opfer häuslicher Gewalt gewesen zu sein (ÖB 8.2019). Amnesty International berichtet von mindestens 988 Frauen und Mädchen (darunter 103 Minderjährige im Alter von sieben bis zwölf Jahren), welche nach Vergewaltigungen, versuchten Vergewaltigungen, sexuellen und körperlichen Folterungen und Säureattacken im Zusammenhang mit Mitgiftstreitigkeiten ermordet wurden (AI 30.1.2020; vgl. ODHIKAR 8.2.2020). Vergewaltigungen werden in den meisten Fällen nicht gemeldet (AA 27.7.2019); Opfern droht soziale Stigmatisierung (ODHIKAR 2019a) und häufig Belästigungen durch die Polizei (ODHIGAR 8.2.2020).

Frauen und Kinder, die Opfer von körperlichen und sexuellen Gewalttaten geworden sind, werden in Gefängnissen in sicherer Verwahrung untergebracht und können diese nur mit behördlicher Genehmigung verlassen (Nahar/Ara o.D.; siehe auch Abschnitt 13.).

Eine in Bangladesch verbreitete Form der Gewalt, insbesondere gegen Frauen aber zunehmend auch gegen Männer, sind Säureattacken (ÖB 8.2019; AA 27.7.2019, ODHIKAR 8.2.2020). Die Regierung hat mit dem „Acid Crime Prevention Act“ und dem „Acid Control Act“ spezielle Gesetze erlassen, um dagegen vorzugehen. In den extra eingerichteten Speedy-Tribunalen ist eine Freilassung auf Kaution nicht gestattet. In schweren Fällen kann die Todesstrafe verhängt werden. Nach Angaben der „Acid Survivor Foundation“ sind diese Gerichte allerdings ineffektiv und die Verurteilungsrate ist gering (ÖB 8.2019). Die NGO ODHINKAR meldete für das Jahr 2019 insgesamt 31 Opfer von Säureangriffen (2018: 26) (ODHINKAR 2019b; vgl. ODHINKAR 8.2.2020).

Auch wenn inter-religiöse Ehen in urbanen Gebieten mittlerweile häufiger vollzogen werden, müssen Ehepartner verschiedener Konfessionen in ländlichen Regionen immer noch häufig mit familiärem Druck bis hin zur Anwendung physischer Gewalt von Familienmitgliedern oder der Dorfgemeinschaft rechnen. In ländlichen Gebieten kann es zudem zu öffentlichen Auspeitschungen „unmoralischer“ Frauen kommen, manchmal aufgrund der Fatwa eines lokalen religiösen Anführers (ÖB 8.2019).

Innerhalb Bangladeschs werden bisweilen Frauen und Mädchen aus ländlichen Gebieten in große Städte, v.a. Dhaka und Chittagong, verschleppt, wo sie sexuell ausgebeutet werden oder als Haushaltshilfen Zwangsarbeit leisten müssen. Der Handel mit Frauen und Kindern, verbunden mit sexueller Ausbeutung, wurde 2003 unter Strafe gestellt. Allerdings ist Bangladesch kein Mitglied des UN-Protokolls gegen Menschenhandel von 2000. Innerstaatlich wurde eine Strategie gegen Menschenhandel entwickelt (AA 27.7.2019).

Die Regierung unternahm nur minimale Anstrengungen zur Bekämpfung des Menschenhandels (USDOS 20.6.2020).

Es liegen keine Berichte über Genitalverstümmelungen (AA 27.7.2019), zwangsweise Abtreibungen oder Sterilisationen vor (USDOS 11.3.2020). Bangladesch hat nach wie vor eine der höchsten Kindereheraten der Welt (HRW 14.1.2020; mehr dazu in Abschnitt 18.2).

Quellen:

?        AA – Auswärtiges Amt (Deutschland) (22.7.2019): Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Volksrepublik Bangladesch, https://www.ecoi.net/en/file/local/2014277/Deutschland___A

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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