TE Bvwg Erkenntnis 2021/9/13 L511 2238117-1

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Veröffentlicht am 13.09.2021
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Entscheidungsdatum

13.09.2021

Norm

ASVG §735 Abs5
B-VG Art133 Abs4

Spruch


L511 2238117–1/10E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin Mag.a Sandra Tatjana JICHA als Einzelrichterin über die Beschwerde der XXXX gegen den Bescheid der Österreichischen Gesundheitskasse Landesstelle Oberösterreich vom 20.08.2020, Zahl: XXXX , zu Recht:

A)

Die Beschwerde wird gemäß § 735 Abs. 5 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG) in der Fassung BGBl I Nr. 23/2020 mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, dass der Spruch des Bescheides der Österreichischen Gesundheitskasse Landesstelle Oberösterreich vom 20.08.2020, Zahl: XXXX , wie folgt zu lauten hat:

„Der Antrag der XXXX , XXXX , XXXX , auf Erstattung gemäß § 735 Abs. 5 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG) in der Fassung BGBl I Nr. 23/2020 betreffend die Freistellung von XXXX , für den Zeitraum von 30.03.2020 bis 22.04.2020 wird als verspätet abgewiesen.“

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I.       Verfahrensgang:

1.       Verfahren vor der Österreichischen Gesundheitskasse [ÖGK]

1.1.    Am 26.06.2020 brachte die nunmehrige beschwerdeführende Partei [im folgenden auch P GmbH] über WEBEKU, einen Antrag auf Erstattung gemäß § 735 ASVG betreffend die Freistellung des Dienstnehmers XXXX [MW] im Zeitraum 30.03.2020 bis 22.04.2020 ein. Dem Antrag waren ein COVID-19-Attest vom 13.05.2020 und das COVID-19 Infoschreiben des Dachverbandes der österreichischen Sozialversicherung betreffend MW beigelegt [ON 1].

1.2.    Mit Mail vom 03.07.2020 bestätigte die ÖGK der P GmbH die Rechtzeitigkeit des eingebrachten Antrages mit folgendem Wortlaut [ON 3]:

"Der Antrag auf Erstattung ist grundsätzlich spätestens sechs Wochen nach dem Ende der Freistellung einzubringen. Nachdem die Weisung des BMSGPK am 22. Juni 2020 ergangen ist, beginnt die sechs Wochen Frist erst mit 23. Juni 2020 zu laufen."

1.3.    Im Zuge des Ermittlungsverfahrens teilte die ÖGK der P GmbH mit, dass eine Erstattung gemäß § 735 Abs. 4 [sic] ASVG nur für den Zeitraum beginnend ab 06.05.2020 möglich sei [ON 4].

Die P GmbH wies unter Hinweis auf das Mail vom 03.07.2020 auf die Rechtzeitigkeit des Antrages hin, und verwies darauf, dass für MW alle COVID-19 Unterlagen vorlägen und der Zeitraum auf den sich das 3. COVID-19 Gesetz BGBl I Nr. 1 Nr. 23/2020 beziehe, der 05.04.2020 bis 30.04.2020 sei, und somit vor dem 06.05.2020 liege [ON 5, 6].

Die ÖGK fügte dem Verfahrensakt das Schreiben des Bundesministerium Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz [BSGPK] vom 20.07.2020, GZ 2020-0.448.301 „Antrag auf Erstattung des geleisteten Entgelts sowie der Steuern, Abgaben und Beiträge für COVID-19-Risiko-Freistellung, Verfahren bei der ÖGK“ [ON 8, im Folgenden auch BSGPK-Schreiben], sowie die Weisung des BSGPK vom 22.06.2020, GZ 2020-0.347.845 „Weisung betreffend § 735 ASVG und § 258 B-KUVG über COVID-19-Risiko-Atteste“ [ON 7 im Folgenden auch BSGPK-Weisung] bei.

Im BSGPK-Schreiben vom 20.07.2020 werden zunächst Ausführungen zum Epidemiegesetz getätigt und sodann unter Punkt 2. „Zur Gebührlichkeit des Rückerstattungsanspruches auf Basis des § 735 Abs. 5 ASVG im Sinne des 3. COVID-19-Gesetzes“ zusammenfassend ausgeführt, dass die Möglichkeit der Rückerstattung de facto erst mit Inkrafttreten des § 735 ASVG in der Fassung BGBl. I Nr. 31/2020 mit 06.05.2020 gegeben sei, weil vor dem 06.05.2020 (offensichtlich gemeint wegen der fehlenden COVID-19-Risikogruppen-Verordnung) kein Informationsschreiben ergangen seien, und es deshalb nicht zu einer für die Freistellung und deren Kostenabgeltung rechtlich relevanten Ausstellung eines Risikoattestes kommen konnte.

Die BSGPK-Weisung vom 22.06.2020 hat die Abrechnungsmodalitäten, Erfassungsmodalitäten sowie die Statistikerfassungen zum Inhalt.

1.4.    Mit Bescheid vom 20.08.2020, GZ: XXXX , wies die ÖGK den Antrag der beschwerdeführenden Partei auf Erstattung gemäß § 735 Abs. 5 ASVG betreffend die Freistellung von MW für den Zeitraum von 30.03.2020 bis 22.04.2020 ab (ON 9).

Begründend wurde ausgeführt, der Anspruch eines Betroffenen auf Freistellung sei in Zeiträumen vor dem 06.05.2020 grundsätzlich nur nach Information durch den Krankenversicherungsträger und der Ausstellung eines COVID-19-Risikoattests durch eine*n Arzt oder Ärztin erwachsen. Da seitens der Krankenversicherungsträger bis 06.05.2020 keine COVID-19 Informationsschreiben ergangen seien, konnte es zu keiner für die Freistellung und deren Kostenabgeltung rechtlich relevanten Ausstellung eines COVID-19-Risikoattests kommen.

1.5.    Mit Schreiben vom 18.09.2020 wurde gegen den am 25.08.2020 zugestellten Bescheid fristgerecht Beschwerde erhoben (ON 10).

Begründend führt die beschwerdeführende Partei aus, es sei auf Grund der medialen Berichterstattungen bereits im März absehbar gewesen, dass MW einer vom Virus besonders gefährdeten Risikogruppe angehöre, weshalb man gemeinsam mit MW übereinkam, dass dieser zu Hause bleiben solle. Mit 3. COVID-19 Gesetz, welches mit 05.04.2020 in Kraft trat, habe der Staat erklärt, dass die Kosten für diese Freistellungen unter bestimmten Voraussetzungen zunächst bis 30.04.2020 von der ÖGK übernommen werden sollten. In der Pressekonferenz vom 21.04.2020 sei von BM Anschober bestätigt worden, dass Betroffene das Attest nachbringen könnten und dieses somit rückwirkend Verwendung fände.

Beantragt wurde die Entscheidung durch einen Senat gemäß § 414 Abs. 2 ASVG.

2.       Die ÖGK legte dem Bundesverwaltungsgericht [BVwG] am 17.12.2020 die Beschwerde samt durchnummerierten Auszügen aus dem Verwaltungsakt vor (Ordnungszahl des hg. Gerichtsaktes [im Folgenden:] OZ 1 [ON 1-11]).

2.1.    Das BVwG teilte den Verfahrensparteien mit, dass der Antrag auf Grund der Aktenlage verspätet erscheint und ersuchte um Stellungnahmen (OZ 2, 6).


2.2.    Die P GmbH führte aus, ab der Kalenderwoche 21 in telefonischem Kontakt mit der ÖGK gestanden zu haben und dabei die Auskunft erhalten zu haben, „[…] dass aktuell keine Antragstellung möglich sei“ und „Die 6-Wochen-Frist gem. § 735 Abs. 5 2. Satz ASVG idF BGBl I Nr. 23/2020 nicht zu laufen beginne.“ (OZ 5, 8).

2.3.    Die ÖGK führte dazu aus, dass auf Grund der zahlreichen Anfragen von Dienstgebern keine Aufzeichnungen über Telefonate geführt wurden, der P GmbH jedoch per Mail vom 03.07.2021 die Rechtzeitigkeit der Beschwerde bestätigt worden sei (OZ 4, 9).

II.      ad A) Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1.       entscheidungswesentliche Feststellungen

1.1.    Die beschwerdeführende Partei ist Dienstgeberin von MW. Aufgrund der medialen Berichterstattung im März erfolgte auf Grund der absehbaren Risikogruppenzugehörigkeit von MW im Zeitraum von 30.03.2020 bis 22.04.2020 eine Freistellung von der Arbeitsleistung im Ausmaß von 100 % (AZ 10).

1.2.    Am 13.05.2020 wurde für MW auf Grund eines undatierten „Informationsschreibens nach dem COVID-19 Gesetz“ des Dachverbandes der österreichischen Sozialversicherungsträger ein COVID-19-Risiko-Attest ausgestellt (AZ 1/3, 1/5).

1.3.    Die beschwerdeführende Partei erkundigte sich ab der Kalenderwoche 21 (ab 18.05.2020) bei der ÖGK, ab wann eine Antragstellung möglich sei und erhielt die Auskunft, dass aktuell keine möglich sei. Aktenvermerke wurden über diese Telefonate seitens der ÖGK nicht angefertigt (OZ 5, 9).

1.4.    Am 26.06.2020 brachte die beschwerdeführende Partei hinsichtlich des Dienstnehmers MW den verfahrensgegenständlichen Antrag auf Erstattung des geleisteten Entgelts sowie der Steuern, Abgaben und Beiträge für COVID-19-Risiko-Freistellung gemäß § 735 ASVG per WEBEKEDU bei der ÖGK ein (AZ 1/1).

1.5.    Die ÖGK übermittelte am 03.07.2020 folgende E-Mail an die beschwerdeführende Partei: „Der Antrag auf Erstattung ist grundsätzlich spätestens sechs Wochen nach dem Ende der Freistellung einzubringen. Nachdem die Weisung des BMSGPK am 22. Juni 2020 ergangen ist, beginnt die sechs Wochen Frist erst mit 23. Juni 2020 zu laufen."


2.       Beweiswürdigung und Beweisaufnahme

2.1.    Die Beweisaufnahme, aus der sich auch der unter I. dargelegte Verfahrensgang ergibt, erfolgte durch Einsicht in die im Folgenden gelisteten von den Verfahrensparteien vorgelegten oder vom BVwG erhobenen Dokumenten und Unterlagen

?        Antrag vom 26.06.2020 samt COVID-19-Attest (AZ 1)

?        E-Mail der ÖGK vom 03.07.2020 (AZ 3)

?        Bescheid (AZ 9)

?        Beschwerde (AZ 10)

?        Stellungnahmen zur Verspätung der beschwerdeführenden Partei (OZ 5, 8)

?        Stellungnahmen zur Verspätung der ÖGK (OZ 4, 9)

2.2.    Die getroffenen Feststellungen ergeben sich unmittelbar ohne weitere Interpretation aus den vorliegenden jeweils angeführten Aktenteilen und sind zwischen den Verfahrensparteien unstrittig.

3.       Entfall der mündlichen Verhandlung

3.1.    Der Anspruch einer Partei auf Durchführung einer mündlichen Verhandlung ist kein absoluter (§ 24 VwGVG unter Hinweis auf Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, [EMRK] noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 [GRC]). Nach der Rechtsprechung des EGMR und ihm folgend des Verfassungsgerichtshofes und des Verwaltungsgerichtshofes kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt unumstritten und nur eine Rechtsfrage zu entscheiden ist oder wenn die Sache keine besondere Komplexität aufweist (vgl. dazu für viele EGMR 12.11.2002, Döry / S, Rn37; VfGH 20.02.2015, B1534; sowie jüngst VwGH 18.12.2018, Ra 2018/03/0132, jeweils mwN).

3.2.    Im gegenständlichen Fall ergab sich klar aus der Aktenlage, dass von einer mündlichen Erörterung keine weitere Klärung der Rechtssache zu erwarten war. Der sich aus dem Akteninhalt ergebende Sachverhalt ist in den entscheidungswesentlichen Punkten weder ergänzungsbedürftig noch erschien er in entscheidenden Punkten als nicht richtig (vgl. dazu VwGH 19.09.2018, Ra2018/11/0145).


4.       Rechtliche Beurteilung

4.1.1.  Zum Antrag auf Senatsentscheidung

Die Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichtes und die Entscheidung durch Einzelrichterin ergeben sich aus § 6 Bundesgesetz über die Organisation des Bundesverwaltungsgerichtes [BVwGG] iVm § 414 Abs. 1 und Abs. 2 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz [ASVG].

Gemäß § 414 Abs. 2 ASVG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht in Angelegenheiten nach § 410 Abs. 1 Z 1, 2 und 6 bis 9 auf Antrag einer Partei durch einen Senat; dies gilt auch für Verfahren, in denen die zitierten Angelegenheiten als Vorfragen zu beurteilen sind. Dabei handelt es sich um Verwaltungssachen in denen der Versicherungsträger Bescheide in folgenden Angelegenheiten zu erlassen hat: Wenn er die Anmeldung zur Versicherung wegen Nichtbestandes der Versicherungspflicht oder der Versicherungsberechtigung oder die Abmeldung wegen Weiterbestandes der Versicherungspflicht ablehnt oder den Versicherungspflichtigen (Versicherungsberechtigten) mit einem anderen Tag in die Versicherung aufnimmt oder aus ihr ausscheidet, als in der Meldung angegeben ist (Z1), wenn er einen nicht oder nicht ordnungsgemäß Angemeldeten in die Versicherung aufnimmt oder einen nicht oder nicht ordnungsgemäß Abgemeldeten aus der Versicherung ausscheidet (Z2), wenn er einen gemäß § 98 Abs. 2 gestellten Antrag auf Zustimmung zur Übertragung eines Leistungsanspruches ganz oder teilweise ablehnt (Z6), wenn der Versicherte oder der Dienstgeber die Bescheiderteilung zur Feststellung der sich für ihn aus diesem Gesetz ergebenden Rechte und Pflichten verlangt (Z7), wenn er entgegen einer bereits bestehenden Pflichtversicherung gemäß § 2 Abs. 1 Z 4 GSVG auf Grund ein und derselben Tätigkeit die Versicherungspflicht gemäß § 4 Abs. 4 als gegeben erachtet (Z8), und wenn er eine Teilgutschrift nach § 14 APG überträgt (Z9).

Beim vorliegenden Verfahren handelt es sich um keine der in § 410 Abs. 1 Z 1, 2 und 6 bis 9 gelisteten Verwaltungssachen. Der rechtzeitig eingebrachte Antrag auf Senatsentscheidung ist daher gemäß § 414 Abs. 2 ASVG nicht zulässig und gegenständlich keine Senatszuständigkeit gegeben.

4.1.2.  Das Verfahren des Bundesverwaltungsgerichts ist durch das Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) geregelt. Verfahrensgegenständlich sind demnach neben dem VwGVG auch die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, sowie jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen sinngemäß anzuwenden, die die GKK im erstinstanzlichen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte (§ 17 VwGVG).

4.1.3.  Die Beschwerde ist rechtzeitig und auch sonst zulässig (§ 7, § 9 VwGVG).

4.1.4.  Die im vorliegenden Beschwerdefall zeitraumbezogen maßgebenden Bestimmungen des § 735 ASVG idF BGBl I Nr. 23/2020 (in Kraft von 05.04.2020 bis 05.05.2020) lauten:

Abs. 1: Der Krankenversicherungsträger hat einen Dienstnehmer oder Lehrling (im Folgenden: Betroffener) über seine Zuordnung zur COVID-19-Risikogruppe zu informieren. Die Definition dieser allgemeinen Risikogruppe, die sich nach medizinischen Erkenntnissen und wenn möglich aus der Einnahme von Arzneimitteln herleitet, erfolgt durch eine Expertengruppe, die das Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz und das Bundesministerium für Arbeit, Familie und Jugend einrichtet. Der Expertengruppe gehören jeweils 3 Experten des Ministeriums für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz, des Dachverbandes der Sozialversicherungsträger und der Ärztekammer und ein Experte des Bundesministeriums für Arbeit, Familie und Jugend an.

[…] Abs. 3: Legt ein Betroffener seinem Dienstgeber dieses COVID-19-Risiko-Attest vor, hat er Anspruch auf Freistellung von der Arbeitsleistung und Fortzahlung des Entgelts, außer (Z1) der Betroffene kann seine Arbeitsleistung in der Wohnung erbringen (Homeoffice) oder (Z2) die Bedingungen für die Erbringung seiner Arbeitsleistung in der Arbeitsstätte können durch geeignete Maßnahmen so gestaltet werden, dass eine Ansteckung mit COVID-19 mit größtmöglicher Sicherheit ausgeschlossen ist; dabei sind auch Maßnahmen für den Arbeitsweg mit einzubeziehen (Z3) eine Kündigung die wegen der Inanspruchnahme der Dienstfreistellung ausgesprochen wird, kann bei Gericht angefochten werden.
[…] Abs. 5: Der Dienstgeber mit Ausnahme des Dienstgebers Bund hat Anspruch auf Erstattung des an den Dienstnehmer bzw. Lehrling geleisteten Entgelts sowie der Dienstgeberanteile am Sozialversicherungsbeitrag, Arbeitslosenversicherungsbeitrag und sonstigen Beiträgen durch den Krankenversicherungsträger. Der Antrag auf Ersatz ist spätestens sechs Wochen nach dem Ende der Freistellung beim Krankenversicherungsträger einzubringen. Der Bund hat dem Krankenversicherungsträger die daraus resultierenden Aufwendungen zu ersetzen.

4.2.    Zur Abweisung des Antrages

4.2.1.  Gemäß § 735 Abs. 5 (bzw. ab 06.05.2020 Abs. 4) hat der Dienstgeber [für Dienstnehmer mit Anspruch auf Freistellung von der Arbeitsleistung und Fortzahlung des Entgelts auf Grund eines COVID-19-Risiko-Attest] Anspruch auf Erstattung des an den Dienstnehmer geleisteten Entgelts sowie der Dienstgeberanteile am Sozialversicherungsbeitrag, Arbeitslosenversicherungsbeitrag und sonstigen Beiträgen durch den Krankenversicherungsträger. Der Antrag auf Ersatz ist spätestens sechs Wochen nach dem Ende der Freistellung beim Krankenversicherungsträger einzubringen.

4.2.2.  Fallbezogen war der Dienstnehmer MW von Montag 30.03.2020 bis Mittwoch 22.04.2020 von der Arbeitsleistung freigestellt.

Nach Wochen, Monaten oder Jahren bestimmte Fristen enden mit dem Ablauf desjenigen Tages der letzten Woche oder des letzten Monats, der durch seine Benennung oder Zahl dem Tag entspricht, an dem die Frist begonnen hat. (§ 32 Abs. 2 AVG). Fällt das Ende einer Frist auf einen Samstag, Sonntag, gesetzlichen Feiertag oder den Karfreitag, ist der nächste Werktag der letzte Tag der Frist (§ 33 Abs. 2 AVG). Eine nach Wochen bestimmte Frist beginnt an dem Tag um 24.00 zu laufen, an dem das den Fristenlauf bestimmende Ereignis stattgefunden hat, und endet – abgesehen von den in § 33 Abs. 2 AVG normierten im gegenständlichen Fall nicht zur Anwendung gelangenden Ausnahmen – um Mitternacht (24.00 Uhr) jenes Tages, der durch seine Benennung dem Tag entspricht, an dem die Frist begonnen hat (vgl. VwGH 18.10.1996, 96/09/0153; 20.09.1990, 90/07/0119 jeweils mwN).

Die in § 735 Abs. 5 ASVG vorgesehene sechswöchige Antragsfrist begann am Mittwoch 22.04.2020, 24:00 Uhr und endete gemäß § 32 Abs. 2 AVG am Mittwoch 03.06.2020, 24.00 Uhr. Der Antrag auf Kostenersatz wurde unstrittig erst am 26.06.2020 bei der ÖGK eingebracht.

4.2.3.  Im vorliegend Fall ist für die weitere Beurteilung von Bedeutung, ob es sich bei der in § 735 Abs. 5 ASVG enthaltenen Frist um eine verfahrensrechtliche, in die gegebenenfalls bei Versäumnis eine Wiedereinsetzung in die Frist möglich ist, oder eine materiellrechtliche, nicht restituierbare Frist handelt.

4.2.3.1. Der Verwaltungsgerichtshof stellt bei der Abgrenzung auf die Natur der Rechtswirkungen ab, die durch die befristete Rechtshandlung ausgelöst werden sollen. Verfahrensrechtlichen Charakter hat eine Frist demnach dann, wenn dadurch die Möglichkeit, eine Handlung zu setzen, die prozessuale Rechtswirkungen auslösen soll (Verfahrenshandlung), zeitlich beschränkt wird. Dies trifft insbesondere auf die in den Verfahrensgesetzen einschließlich des AVG normierten bzw. grundgelegten Fristen zu, also vor allem auf Fristen für Rechtsbehelfe aber auch auf Fristen für sonstige Akte, die auf Erlassung einer Entscheidung gerichtet sind. Aber auch in Materiengesetzen finden sich Fristen mit verfahrensrechtlichem Charakter. Bei der Ermittlung des Charakters einer Frist kommt sowohl der Einordnung einer Vorschrift im betreffenden Gesetz als auch der ausdrücklichen Anordnung, dass die Versäumung der Frist zur Zurückweisung eines Antrags führt, Indizwirkung zu. Insoweit eine Rechtshandlung hingegen auf den Eintritt materieller Rechtswirkungen gerichtet ist, qualifiziert der Verwaltungsgerichtshof eine dafür vorgesehene Zeitspanne als materiellrechtliche Frist. Nach der rechtsschutzfreundlichen Ansicht des VwGH hat der Gesetzgeber die Wertung als materiellrechtliche Frist eindeutig zum Ausdruck zu bringen, oder, anders gewendet, es ist im Zweifel von einer verfahrensrechtlichen Frist auszugehen (Hengstschläger/Leeb, AVG § 32, Rz 3 mwN, Stand 01.01.2014, rdb.at). Für die Annahme einer materiellrechtlichen Frist ist dabei nicht erforderlich, dass in der Rechtsgrundlage ausdrücklich angeführt wird, dass der Anspruch bei verspäteter Geltendmachung untergeht (vgl. VwGH 05.09.2018, Ra2018/03/0085 mwN).

4.2.3.2. Zur vorliegend relevanten sechswöchigen Frist des § 735 Abs. 5 ASVG ist auszuführen, dass die innerhalb der Frist vorgesehene Handlung – nämlich die Antragstellung – zweifelsfrei auf den Eintritt materieller Rechtswirkungen gerichtet ist, und nicht auf prozessuale Rechtswirkungen. Die Notwendigkeit der Geltendmachung des Anspruches innerhalb der, vorgesehenen Frist ergibt sich aus dem eindeutigen Wortlaut der Bestimmung (arg. „Der Antrag auf Ersatz ist spätestens sechs Wochen nach dem Ende der Freistellung beim Krankenversicherungsträger einzubringen“), wenngleich der Untergang des Anspruchs bei verspäteter Geltendmachung nicht ausdrücklich erwähnt ist (vgl. dazu VwGH 05.09.2018, Ra2018/03/0085). Es handelt sich bei der Frist nach § 735 Abs. 4 ASVG demnach um eine materiellrechtliche Frist.

4.2.4.  Wie bereits dargelegt endete die Freistellung von MW am 22.04.2020 sodass die Antragstellung mit 26.06.2020 außerhalb der in § 735 Abs. 5 ASVG vorgesehenen sechswöchigen Frist bis 03.06.2020 lag und damit verspätet erfolgte.

4.2.4.1. Soweit der Beschwerdeführer darauf verweist, dass er ab 18.05.2020 laufend telefonische Auskünfte bei der ÖGK einholte, so bleibt festzuhalten, dass die Antragstellung dennoch erst mit 26.06.2020 erfolgt ist. Soweit die ÖGK in einem E-Mail an den Beschwerdeführer im Juli 2020 festhielt, dass die „sechs Wochen Frist erst mit 23. Juni 2020 zu laufen beginnt“, ist festzuhalten, dass diese Auskunft weder mit dem Gesetz in Einklang zu bringen ist, noch sich unmittelbar aus der zitierten Weisung des BMSGPK vom 22.06.2020 ergibt. Die vorgebrachten Gründe für das Versäumen der Frist vermögen somit an der Beurteilung hinsichtlich der verspäteten Einbringung des Antrages nichts zu ändern, und können – zumal es sich um eine materiellrechtliche Frist handelt –auch nicht als Gründe für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 71 AVG wegen Versäumens der Frist herangezogen werden (vgl. VwGH 27.09.2013, 2010/05/0202).

4.2.5.  Im Ergebnis war somit, da es sich vorliegend um eine materiellrechtliche Frist handelt, der Spruch des Bescheides dahingehend anzupassen, dass der Antrag vom 26.06.2020 wegen Verspätung abzuweisen ist.


III.    ad B) Zulässigkeit der Revision

Wenngleich der Wortlaut des § 735 Abs. 5 ASVG nach Ansicht des BVwG eine materiellrechtliche Frist zum Ausdruck bringt, so besteht zum Entscheidungszeitpunkt keine Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu § 735 ASVG. Darüber hinaus wurde § 735 ASVG innerhalb kürzester Zeit auch mehrfach novelliert, und die ÖGK ist im vorliegenden Fall von einem durch Weisung aufgeschobenen Fristenlauf ausgegangen, weshalb die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist.

Schlagworte

Antragsfristen Erstattungsantrag Freistellung materiellrechtliche Frist Pandemie Revision zulässig Risikogruppe verspäteter Antrag Verspätung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:L511.2238117.1.00

Im RIS seit

09.11.2021

Zuletzt aktualisiert am

09.11.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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