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90/01 Straßenverkehrsordnung;Norm
StVO 1960 §16 Abs1 litc;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Baumgartner und die Hofräte Dr. Sauberer, Dr. Gruber, Dr. Gall und Dr. Handstanger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag. Gruber, über die Beschwerde des Dipl.-Ing. R in L, vertreten durch Dr. W, Rechtsanwalt in L, gegen den Bescheid des Unabhängigen Verwaltungssenates für die Steiermark vom 18. April 1996, Zl. UVS 30.14-37/96-8, betreffend Übertretung der Straßenverkehrsordnung 1960, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Das Land Steiermark hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in der Höhe von S 12.950,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren wird abgewiesen.
Begründung
Mit dem angefochtenen im Instanzenzug ergangenen Bescheid der belangten Behörde vom 18. April 1996 wurde der Beschwerdeführer schuldig erkannt, er habe am 31. Juli 1993 um 17.55 Uhr einen nach dem Kennzeichen bestimmten Pkw auf der Bundesstraße 96 bei Strkm. 13,100, im Gemeindegebiet von Unzmark, Bezirk Judenburg, gelenkt und habe dabei den vor ihm fahrenden nach dem Kennzeichen bestimmten Pkw in Fahrtrichtung Judenburg überholt, obwohl er nicht einwandfrei erkennen habe können, daß er sein Fahrzeug nach dem Überholvorgang einreihen bzw. einordnen werde können, ohne andere Straßenbenützer zu gefährden oder zu behindern. Er habe hiedurch eine Übertretung gemäß § 16 Abs. 1 lit. c StVO 1960 begangen, weshalb über ihn eine Geldstrafe in der Höhe von S 1.000,-- (und eine Ersatzfreiheitsstrafe) verhängt wurde.
Dagegen richtet sich die vorliegende Beschwerde, in der der Beschwerdeführer Rechtswidrigkeit des Inhaltes des angefochtenen Bescheides geltend macht und dessen kostenpflichtige Aufhebung beantragt.
Die belangte Behörde legte die Verwaltungsstrafakten vor und beantragte in ihrer Gegenschrift die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.
Der Verwaltungsgerichtshof hat - in einem gemäß § 12 Abs. 3 VwGG gebildeten Senat - erwogen:
Die belangte Behörde ging in der Begründung des angefochtenen Bescheides im wesentlichen von folgendem Sachverhalt aus:
"Zur Tatörtlichkeit: Die Bundesstraße 96 - eine Freilandstraße mit einer 100 km/h Geschwindigkeitsbeschränkung - verbindet im maßgeblichen Teil die Ortschaften Scheifling und Judenburg. In Fahrtrichtung Judenburg verbreitert sich die B 96 etwa bei Strkm. 13,8 von einem auf zwei Fahrstreifen und führt bei einem geraden Straßenverlauf und einer Steigung von etwa 5 % auf eine stark ausgeprägte, langgezogene Fahrbahnkuppe, ab deren höchsten Punkt - etwa bei Strkm. 13,3 - die B 96 mit einem Gefälle von 4 % wieder abfällt. Die beiden in Fahrtrichtung Judenburg führenden Fahrstreifen sind durch eine doppelte Sperrlinie von den beiden angrenzenden Fahrstreifen in Richtung Scheifling getrennt.
Auf der Fahrbahnkuppe bei Strkm 13,312, befinden sich auf beiden Seiten der Fahrbahn die Verkehrszeichen "Überholverbot", welche für Fahrzeuglenker in normaler Pkw-Sitzposition bereits aus einer Entfernung von 177 m sichtbar sind. Bereits vor Beginn des Überholverbotes kündigen Bodenmarkierungen am linken der beiden in Richtung Judenburg führenden Fahrstreifen eine rechtsseitige Fahrbahnverengung an; die entsprechenden Bodenmarkierungen wiederholen sich in Abständen von 40 m. Die Fahrbahnverengung auf einem Fahrstreifen erstreckt sich ca. von Strkm. 13,3 bis ca. Strkm. 13,2 und ist bei Strkm. 13,1 abgeschlossen. An diesem Punkt endet auch die doppelte Sperrlinie, die zuvor die Fahrbahnverjüngung kontinuierlich begleitet hat. ...
Am 31.7.1993, gegen 17.55 Uhr fuhr der Berufungswerber als
Lenker eines Pkws der Marke ... auf der B 96 in Richtung
Judenburg. ... Die Fahrbahn war trocken; es war schönes Wetter.
An jener Stelle, wo sich die B 96 in Fahrtrichtung Judenburg auf zwei Fahrspuren erweitert, setzte der Berufungswerber zu einem Überholvorgang an, in der Absicht, möglichst viele Fahrzeuge einer vor ihm fahrenden Fahrzeugkolonne, bestehend aus etwa 10 bis 12 Fahrzeugen, zu überholen. Zu diesem Zwecke wechselte der Berufungswerber auf den linken Fahrstreifen, beschleunigte sein Fahrzeug von etwa 70 km/h auf 100 km/h und überholte auf diese Weise etwa 6 bis 8 Fahrzeuge der Kolonne, die mit einer Fahrgeschwindigkeit von 70 km/h und einem Tiefenabstand zwischen den einzelnen Fahrzeugen von etwa zwei Fahrzeuglängen am rechten Fahrstreifen weiterfuhr. Zum Zeitpunkt des Beginnes des Überholmanövers konnte der Berufungswerber auf Grund der noch vor ihm liegenden Fahrbahnkuppe nicht einsehen, wo die Kolonne endet.
Am Scheitelpunkt der Fahrbahnkuppe angelangt mußte der Berufungswerber auf Grund des Überholverbotes und der Ankündigung der Fahrbahnverengung den Überholvorgang vorzeitig abbrechen und wollte vor dem zuletzt von ihm überholten Fahrzeug, dem Pkw des Zeugen P, auf den rechten Fahrstreifen wechseln. Das Einreihen wurde vom Berufungswerber in der Weise erzwungen, als daß er seinen Pkw langsam nach rechts driften ließ und so P nötigte, seine Fahrgeschwindigkeit zu verringern, um einen für eine Einreihung ausreichenden Abstand zu seinem Vordermann zu gewinnen. Dieser Vorgang spielte sich knapp vor Beginn der Einspurigkeit der B 96, etwa bei Strkm. 13,1 ab. Außer dem Fahrzeug des Berufungswerbers mußte sich kein weiteres vom linken Fahrstreifen in die am rechten Fahrstreifen fahrende Kolonne einordnen."
Gemäß § 16 Abs. 1 lit. c StVO 1960 darf der Lenker eines Fahrzeuges nicht überholen, wenn er nicht einwandfrei erkennen kann, daß er sein Fahrzeug nach dem Überholvorgang in den Verkehr einordnen kann, ohne andere Straßenbenützer zu gefährden oder zu behindern.
Nach § 2 Abs. 1 Z. 29 StVO 1960 gilt u.a. nicht als Überholen das Nebeneinanderfahren von Fahrzeugen, auch mit unterschiedlicher Geschwindigkeit, auf Straßen mit mehr als einem Fahrstreifen für die betreffende Fahrtrichtung. Durch diese Bestimmung sollte dem Erfordernis erhöhter Verkehrsdichte Rechnung getragen werden und insbesondere klargestellt werden, daß kein Überholen vorliegt, wenn Fahrzeugreihen mit unterschiedlicher Fahrgeschwindigkeit fahren
(vgl. 495 Blg.Nr. 10. GP, 1). Das Nebeneinanderfahren regelt § 7 Abs. 3 StVO 1960, der den Grundsatz des Rechtsfahrgebotes auflockert. Auf Straßen mit wenigstens zwei Fahrstreifen für die betreffende Fahrtrichtung darf, wenn es die Leichtigkeit und Flüssigkeit des Verkehrs erfordert, der Lenker eines (in der im Beschwerdefall noch anzuwendenen Fassung vor der 19. StVO-Novelle) mehrspurigen Kraftfahrzeuges neben einem anderen Fahrzeug fahren. Nach den Gesetzesmaterialien soll durch diese Regelung dem Umstand Rechnung getragen werden, daß sich ein Nebeneinanderfahren im dichten Verkehr nicht vermeiden läßt (vgl. 240 Blg.Nr. 9. GP, 4).
Der Gesetzgeber hat es damit hingenommen, daß sich Fahrzeugreihen auch auf dem zweiten (oder dritten etc.) Fahrstreifen (bei mehr als einem Fahrstreifen für die betreffende Fahrtrichtung) bilden. Die Bildung solcher Fahrzeugreihen setzt aber notwendigerweise (begonnene) Überholvorgänge voraus, die nicht in einem jeweiligen Wiedereinordnen der betreffenden Kraftfahrzeuge auf dem rechten Fahrstreifen enden, sondern eben in der Bildung einer Fahrzeugreihe münden. Mit anderen Worten: Bei Fahrbahnen mit mehr als einem Fahrstreifen für die betreffende Fahrtrichtung kann zulässigerweise ein Überholvorgang auch in ein nicht mehr als Überholen zu qualifizierendes Nebeneinanderfahren nach § 7 Abs. 3 StVO 1960 übergehen (vgl. auch OGH vom 2. September 1982, 8 Ob 173/82, wonach das Rechtsfahrgebot grundsätzlich auch auf Autobahnen gilt und zur Folge hat, daß der linke oder mittlere Fahrstreifen einer Autobahn, außer beim Überholen ODER im Falle eines nach § 7 Abs. 3 StVO 1960 zulässigen Nebeneinanderfahrens, ohne Notwendigkeit nicht befahren werden darf).
Das bedeutet aber auch, daß auf Fahrbahnen mit mehr als einem Fahrstreifen für die betreffende Fahrtrichtung nicht ausnahmslos ein Wiedereinordnen (nach dem Überholvorgang) auf den rechten Fahrstreifen gefordert ist, sondern ein Einordnen "nach dem Überholvorgang in den Verkehr" im Sinne des § 16 Abs. 1 lit. c StVO 1960 auch darin bestehen kann, daß der Überholvorgang in ein Nebeneinanderfahren im Grunde des § 7 Abs. 3 i.V.m. § 2 Abs. 1 Z. 29 StVO 1960 mündet. In diesem Sinne ist es daher zu verstehen, wenn der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis vom 28. Februar 1986, Zl. 85/18/0075, unter Hinweis auf Vorjudikatur ausgesprochen hat, lägen in einer Fahrtrichtung drei Fahrstreifen vor (und habe der dritte Fahrstreifen erlaubterweise benützt werden dürfen), so dürfe man, weil ein Einordnen nach dem Überholvorgang in den zweiten oder ersten Fahrstreifen grundsätzlich nicht geboten gewesen sei, auch dicht aufgeschlossene Fahrzeugkolonnen (auf dem zweiten und ersten Fahrstreifen) überholen.
Da somit bei einer Fahrbahn mit mehr als einem Fahrstreifen für die betreffende Fahrtrichtung ein Fahrzeuglenker damit rechnen kann, daß er sein Fahrzeug in einer der beiden oben dargestellten Formen "nach dem Überholvorgang wieder in den Verkehr einordnen kann, ohne andere Straßenbenützer zu gefährden oder zu behindern" (§ 16 Abs. 1 lit. c StVO 1960), darf auf solchen Fahrbahnen grundsätzlich auch eine dicht aufgeschlossene Fahrzeugkolonne überholt werden.
Anders liegt freilich der Fall, wenn für den Fahrzeuglenker bereits zu Beginn des Überholvorganges eine Notwendigkeit zum Wiedereinordnen auf den rechten Fahrstreifen erkennbar ist (z.B. weil der Wegfall des zweiten Fahrstreifens bereits sichtbar ist) und er ungeachtet dessen eine dicht aufgeschlossene Fahrzeugkolonne zu überholen beginnt, obwohl er nicht erkennen konnte, daß er sein Fahrzeug nach dem Überholvorgang durch Wiedereinordnen auf den rechten Fahrstreifen nicht in den Verkehr einordnen kann, ohne andere Straßenbenützer zu gefährden oder zu behindern. Ein solcher Fall liegt jedoch nach der Sachverhaltsannahme der belangten Behörde hier nicht vor. Geht die belangte Behörde doch lediglich davon aus, daß der Beschwerdeführer am Scheitelpunkt der Fahrbahnkuppe auf Grund des Überholverbotes und der Ankündigung der Fahrbahnverengung den Überholvorgang habe vorzeitig abbrechen müssen.
Wegen einer Übertretung des § 11 Abs. 5 StVO 1960 (vgl. das hg. Erkenntnis vom 13. März 1978, Zl. 2205/77) wurde der Beschwerdeführer aber nicht bestraft.
Aus den genannten Erwägungen hat die belangte Behörde die Rechtslage verkannt, weshalb der angefochtene Bescheid wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994. Die Abweisung des Mehrbegehrens betrifft nicht erforderlichen Stempelgebührenaufwand.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1996:1996030165.X00Im RIS seit
12.06.2001