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10/07 VerwaltungsgerichtshofNorm
AVG §8Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Schick und den Hofrat Dr. Grünstäudl sowie die Hofrätin Dr. Pollak als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Vitecek, über die Revision der Österreichischen Gesundheitskasse als Kompetenzzentrum LSDB in Wien, vertreten durch Dr. Heinz Edelmann, Rechtsanwalt in 1060 Wien, Windmühlgasse 30/3, gegen den Beschluss des Landesverwaltungsgerichts Oberösterreich vom 16. April 2020, Zl. LVwG-302385/20/GS, betreffend Zurückweisung einer Beschwerde i.A. Übertretung des LSD-BG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bürgermeister der Stadt Wels; mitbeteiligte Partei: I K in T (Ungarn), vertreten durch Dr. Eva Maria Barki, Rechtsanwältin in 1010 Wien, Landhausgasse 4), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.
Der Antrag der Revisionswerberin auf Aufwandersatz wird abgewiesen.
Begründung
1 Mit Schreiben vom 10. Dezember 2018 erstattete die Revisionswerberin (unter ihrer damaligen Bezeichnung Wiener Gebietskrankenkasse als Kompetenzzentrum LSDB) Strafanzeige gegen den Mitbeteiligten als vertretungsbefugtem Organ der (in Ungarn ansässigen) F. Kft. wegen Übertretung des § 29 Abs. 1 Lohn- und Sozialdumpinggesetz (LSD-BG), konkret wegen des Verdachts der Unterentlohnung von insgesamt sieben ungarischen Arbeitnehmern für deren in Österreich erbrachte Arbeitsleistungen (der Strafanzeige angeschlossen waren neben den Lohnverzeichnissen u.a. die Arbeitsverträge der F. Kft. mit den genannten Arbeitnehmern).
2 Mit Bescheid vom 28. März 2019 stellte die belangte Behörde das diesbezügliche Strafverfahren gemäß § 45 VStG ein und führte begründend aus, dass der Mitbeteiligte im Zeitpunkt der Kontrolle durch die Revisionswerberin (15. November 2018) aufgrund seiner Abberufung als Geschäftsführer nicht mehr verantwortliches Organ der F. Kft. gewesen sei.
3 Die Revisionswerberin erhob Beschwerde, in der sie die bestehende Verantwortlichkeit des Mitbeteiligten zumindest bis zu seiner Abberufung geltend machte, sodass die gänzliche Einstellung des Strafverfahrens rechtswidrig sei.
4 Mit dem angefochtenen Beschluss wurde diese Beschwerde als unzulässig zurückgewiesen. Gleichzeitig wurde gemäß § 25a VwGG ausgesprochen, dass eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG unzulässig sei.
5 In der Begründung stellte das Verwaltungsgericht fest, der genannte Bescheid vom 28. März 2019 sei, obwohl in seiner Zustellverfügung die Rechtsvertreterin des Mitbeteiligten genannt sei, nicht an diese, sondern, wie sich aus dem betreffenden Rückschein ergebe, an den Mitbeteiligten selbst (bzw. dessen Mutter als Ersatzempfängerin) zugestellt worden. Der Rechtsvertreterin des Mitbeteiligten sei der Bescheid im Original auch danach nicht tatsächlich zugekommen, sodass eine Heilung des Zustellmangels gemäß § 9 Abs. 3 zweiter Satz ZustellG nicht erfolgt sei.
6 Da die Erhebung einer Beschwerde im Einparteienverfahren - so das Verwaltungsgericht in der rechtlichen Begründung - zwingend die Erlassung eines Bescheides voraussetze, sei die gegenständliche Beschwerde „mangels rechtsgültiger Erlassung eines zu Grunde liegenden Bescheides“ als unzulässig zurückzuweisen (Hinweis auf VwGH 18.11.2015, Ra 2015/17/0026).
7 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision.
8 In der Revisionsbeantwortung der belangten Behörde wird lediglich auf die als zutreffend angesehene Begründung des angefochtenen Beschlusses verwiesen. In der Revisionsbeantwortung des Mitbeteiligten wird insbesondere die Revisionslegitimation der Revisionswerberin bestritten.
9 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
10 Für die Frage der Revisionslegitimation ist das Lohn- und Sozialdumping-Bekämpfungsgesetz (LSD-BG), BGBl. I Nr. 44/2016 in der bei Revisionserhebung (4. Juni 2020) maßgebenden Fassung BGBl. I Nr. 104/2019, heranzuziehen, die (auszugsweise) wie folgt lautet:
„Behörden und Stellen
§ 11. (1) Folgende Behörden und Stellen sind im Rahmen der Vollziehung des LSD-BG tätig:
...
2. die Österreichische Gesundheitskasse als Kompetenzzentrum Lohn- und Sozialdumpingbekämpfung (Kompetenzzentrum LSDB) mit der Wahrnehmung der nach § 13 übertragenen Aufgaben, insbesondere der Lohnkontrolle in Bezug auf Arbeitnehmer, die nicht dem ASVG unterliegen;
...
Kompetenzzentrum LSDB
§ 13. (1) Für die Kontrolle des dem nicht dem ASVG unterliegenden Arbeitnehmer mit gewöhnlichem Arbeitsort außerhalb Österreichs nach Gesetz, Verordnung oder Kollektivvertrag in Österreich unter Beachtung der jeweiligen Einstufungskriterien zustehenden Entgelts im Sinne des § 29 Abs. 1 wird das Kompetenzzentrum LSDB eingerichtet.
(2) Das Kompetenzzentrum LSDB hat im übertragenen Wirkungsbereich nach den Weisungen des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz die folgenden Aufgaben wahrzunehmen:
...
3. Erstattung der Strafanzeige nach Abs. 4,
...
5. Wahrnehmung der Parteistellung und der damit verbundenen Berechtigungen nach § 32 Abs. 1,
...
(4) Stellt das Kompetenzzentrum LSDB fest, dass der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer im Sinne des Abs. 1 nicht zumindest das nach Abs. 1 zustehende maßgebliche Entgelt unter Beachtung der jeweiligen Einstufungskriterien leistet, hat es Anzeige an die zuständige Bezirksverwaltungsbehörde zu erstatten. ...
...
Unterentlohnung
§ 29. (1) Wer als Arbeitgeber einen Arbeitnehmer beschäftigt oder beschäftigt hat, ohne ihm zumindest das nach Gesetz, Verordnung oder Kollektivvertrag gebührende Entgelt unter Beachtung der jeweiligen Einstufungskriterien, ausgenommen die in § 49 Abs. 3 ASVG angeführten Entgeltbestandteile, zu leisten, begeht eine Verwaltungsübertretung und ist von der Bezirksverwaltungsbehörde mit einer Geldstrafe zu bestrafen. ...
...
Parteistellung in Verwaltungs(straf)verfahren
§ 32. (1) Parteistellung in Verwaltungs(straf)verfahren hat:
1. ..., in den Fällen des § 29 Abs. 1 in Verbindung mit § 13 das Kompetenzzentrum LSDB,
...
auch wenn die Anzeige nicht durch die in den Z 1 bis 3 genannten Einrichtungen erfolgt. Diese können gegen den Bescheid einer Verwaltungsbehörde Beschwerde beim Verwaltungsgericht und gegen das Erkenntnis oder den Beschluss eines Verwaltungsgerichts Revision beim Verwaltungsgerichtshof erheben.
...“
11 Dem Mitbeteiligten ist insoweit zuzustimmen, dass der Österreichischen Gesundheitskasse als Kompetenzzentrum LSDB die Lohnkontrolle der nicht dem ASVG unterliegenden Arbeitnehmer mit gewöhnlichem Arbeitsort außerhalb Österreichs obliegt (§ 11 Abs. 1 Z 2 iVm. § 13 Abs. 1 LSD-BG).
12 Wenn in der Revisionsbeantwortung der gewöhnliche Arbeitsort der betroffenen Arbeitnehmer außerhalb Österreichs bestritten wird, so ist dem die Festlegung des Arbeitsorts in den oben erwähnten, aktenkundigen Arbeitsverträgen („veränderlich, innerhalb der Europäischen Union“) entgegen zu halten, die jedenfalls nicht für einen gewöhnlichen Arbeitsort in Österreich spricht.
13 Im vorliegenden Fall ist daher die Revisionslegitimation der Revisionswerberin gemäß Art. 133 Abs. 8 B-VG iVm. § 32 Abs. 1 Z 1, § 13 Abs. 1 und § 29 Abs. 1 LSD-BG gegeben.
14 Im Übrigen ist die Revision zulässig und begründet, weil sie zutreffend vorbringt, das Verwaltungsgericht sei mit der Ansicht, der Bescheid vom 28. März 2019 sei mangels rechtsgültiger Zustellung an den Mitbeteiligten noch nicht erlassen gewesen, von zitierter Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen, weil in einem Mehrparteienverfahren wie dem gegenständlichen Verwaltungsstrafverfahren nach dem LSD-BG der genannte Bescheid schon mit seiner Zustellung an die Revisionswerberin erlassen worden und daher bekämpfbar sei.
15 Wie erwähnt beruht der angefochtene Beschluss auf der Rechtsansicht, beim gegenständlichen Strafverfahren handle es sich um ein Einparteienverfahren. Damit wird übersehen, dass in den Fällen der Unterentlohnung (§ 29 Abs. 1 LSD-BG), die den gegenständlichen Tatvorwurf bildet, dem Kompetenzzentrum LSDB (also gemäß § 11 Abs. 1 Z 2 iVm. § 13 Abs. 1 leg. cit. auch der Revisionswerberin) durch § 32 Abs. 1 Z 1 LSD-BG ausdrücklich auch die Parteistellung im Verwaltungsstrafverfahren eingeräumt wird.
16 Das gegenständliche Strafverfahren ist daher entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts ein Mehrparteienverfahren (das im angefochtenen Beschluss zitierte hg. Erkenntnis Ra 2015/17/0026 ist hier somit nicht einschlägig), sodass der Bescheid der belangten Behörde vom 28. März 2019 bereits mit der Zustellung an eine der Parteien erlassen und mit Beschwerde bekämpfbar war (vgl. neben der bei Hengstschläger/Leeb, AVG [2005] § 62 Rz 9, referierten hg. Judikatur etwa VwGH 16.10.2013, 2012/04/0159, 0160; 17.12.2013, 2013/09/0011; 17.10.2018, Ra 2018/11/0181, 0182, Rz 22).
17 Der Bescheid der belangten Behörde vom 28. März 2019 wurde der Revisionswerberin nach ihrem Beschwerdevorbringen am 19. April 2019 zugestellt, was vom Verwaltungsgericht nicht berücksichtigt wurde.
18 Der angefochtene Beschluss beruht somit auf einer unzutreffenden Rechtsansicht und war daher wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
19 Die Abweisung des Antrages auf Aufwandersatz beruht auf § 47 Abs. 4 VwGG.
Wien, am 14. Oktober 2021
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2021:RA2020110125.L00Im RIS seit
09.11.2021Zuletzt aktualisiert am
09.11.2021