Index
10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)Norm
B-VG Art133 Abs4Beachte
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Schick sowie die Hofrätin Mag. Hainz-Sator und Hofrat Dr. Faber als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Vitecek, über die Revisionen des S S in M (Slowenien), vertreten durch Dr. Roland Grilc, Mag. Rudolf Vouk, Dr. Maria Skof und MMag. Maja Ranc, Rechtsanwälte in 9020 Klagenfurt, Karfreitstraße 14/III, gegen die Erkenntnisse des Landesverwaltungsgerichts Steiermark jeweils vom 25. Februar 2020, 1.) LVwG 33.26-298/2019-30 (protokolliert zu hg. Zl. Ra 2020/11/0173), 2.) LVwG 33.26-299/2019-30 (protokolliert zu hg. Zl. Ra 2020/11/0174), 3.) LVwG 30.26-302/2019-30 (protokolliert zu hg. Zl. Ra 2020/11/0175) und 4.) LVwG 30.26-303/2019-30 (protokolliert zu hg. Zl. Ra 2020/11/0176), jeweils betreffend Übertretungen nach dem Lohn- und Sozialdumping-Bekämpfungsgesetz (LSD-BG) (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bürgermeister der Stadt Graz), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revisionen werden zurückgewiesen.
Begründung
1 1. Mit insgesamt vier Straferkenntnissen der belangten Behörde vom 10. Oktober, sowie vom 26. und 29. November 2018 wurde dem Revisionswerber zur Last gelegt, er habe es als zur Vertretung nach außen berufenes Organ der Firma E s.p. mit Sitz in Slowenien verwaltungsstrafrechtlich zu verantworten, dass dieses Unternehmen als Arbeitgeberin jeweils näher genannte, von ihr nach Österreich entsandte Arbeitnehmer an jeweils näher spezifizierten Arbeits(Einsatz)Orten, zu jeweils näher spezifizierten Zeitpunkten eingesetzt bzw. beschäftigt habe, wobei sie
zu 1.) (Ra 2020/11/0173) die Entsendung dreier sowie die Änderung der Entsendung zweier Arbeitnehmer nicht ordnungsgemäß gemäß § 19 LSD-BG gemeldet habe,
zu 2.) (Ra 2020/11/0174) trotz nachweislicher Aufforderung die angeforderten Lohnunterlagen von neunzehn Arbeitnehmern nicht fristgerecht übermittelt habe,
zu 3.) (Ra 2020/11/0175) die Änderung der Entsendung von sechs Arbeitnehmern nicht unverzüglich gemäß § 19 LSD-BG gemeldet habe, sowie
zu 4.) (Ra 2020/11/0176) die Entsendung von vier Arbeitnehmern nicht gemäß § 19 LSD-BG gemeldet habe.
2 Wegen dieser Übertretungen des LSD-BG wurden über den Revisionswerber zu 1.), 3.) und 4.) gemäß § 26 Abs. 1 Z 1 iVm § 19 Abs. 1 und 2 LSD-BG sowie zu 2.) gemäß § 27 Abs. 1 iVm § 12 Abs. 1 Z 3 LSD-BG jeweils für jeden betroffenen Arbeitnehmer Geld- und Ersatzfreiheitsstrafen verhängt.
3 2.1. Mit Erkenntnissen jeweils vom 8. Juli 2019 gab das Landesverwaltungsgericht Steiermark (Verwaltungsgericht) der Beschwerde des Revisionswerbers gegen das dem hg. Verfahren zu Ra 2020/11/0173 zugrundeliegende Straferkenntnis insoweit statt, als es dessen auf den erstgenannten Arbeitnehmer bezogenen Spruchpunkt aufhob und das diesbezügliche Strafverfahren einstellte, und diese Beschwerde im Übrigen sowie die Beschwerden gegen die drei weiteren Straferkenntnisse abwies.
4 2.2. Mit Erkenntnis vom 27. November 2019, E 2893-2896/2019-10, lehnte der Verfassungsgerichtshof die Behandlung der gegen diese Erkenntnisse erhobenen Beschwerden gemäß Art. 144 B-VG hinsichtlich der Schuldaussprüche ab, hob jedoch die Erkenntnisse im Umfang der Straf-, Kosten- und Haftungsaussprüche auf. Eine Revision wurde nicht erhoben.
5 3.1. Mit den im fortgesetzten Verfahren ergangenen, hier angefochtenen (Ersatz)Erkenntnissen gab das Verwaltungsgericht den Beschwerden des Revisionswerbers gegen die hier zugrundeliegenden Straferkenntnisse hinsichtlich der Strafaussprüche statt und setzte jeweils eine (einzige) Geldstrafe und einen Kostenbeitrag für das Verwaltungsstrafverfahren fest. Die ordentliche Revision erklärte es jeweils für unzulässig.
6 3.2. Begründend führte das Verwaltungsgericht jeweils aus, aufgrund der Aufhebung der Strafaussprüche der verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen durch den Verfassungsgerichtshof habe eine neue Strafbemessung in Bindung an dessen Rechtsansicht zu erfolgen. Es handle sich vorliegend jeweils um keinen Wiederholungsfall, sodass im Sinne der Judikatur des EuGH und des Verwaltungsgerichtshofes von einer Übertretung 1. des § 26 Abs. 1 LSD-BG (Strafrahmen bis € 10.000,--), 2. des § 27 Abs. 1 LSD-BG (Strafrahmen bis € 5.000,--), 3. des § 26 Abs. 1 LSD-BG (Strafrahmen bis € 10.000,--), sowie 4. des § 26 Abs. 1 LSD-BG (Strafrahmen bis € 10.000,--) auszugehen sei. Zudem dürfe jeweils keine Ersatzfreiheitsstrafe verhängt werden. Als Milderungsgrund sei jeweils die verwaltungsstrafrechtliche Unbescholtenheit des Revisionswerbers zu berücksichtigen. Erschwerungsgründe seien in den Verfahren nicht hervorgekommen. Bei der jeweiligen Strafbemessung sei von den vom Revisionswerber in der Verhandlung gemachten Angaben zu Einkommen, Sorgepflichten, Vermögen und Belastungen auszugehen. Das außerordentliche Milderungsrecht des § 20 VStG, dessen Anwendung voraussetze, dass die Milderungsgründe dem Gewicht nach die Erschwerungsgründe erheblich überwiegen, finde jeweils keine Anwendung, weil nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes der einzig zu berücksichtigende Milderungsgrund der verwaltungsstrafrechtlichen Unbescholtenheit auch bei Fehlen von Erschwerungsgründen noch kein beträchtliches Überwiegen der Milderungsgründe über die Erschwerungsgründe bedeute. Aufgrund der Rechtsprechung des EuGH, des Verwaltungsgerichtshofes und des Verfassungsgerichtshofes komme es jeweils zu einem Wegfall der Mindeststrafe, weshalb jeweils eine Reduktion der verhängten Geldstrafe geboten sei. Die verhängten Geldstrafen erschienen für die hier zur Rede stehenden Übertretungen jeweils sowohl tat- als auch schuldangemessen und zudem ausreichend, um den Revisionswerber in Hinkunft von der Begehung weiterer gleichartiger Verwaltungsübertretungen abzuhalten.
7 4. Mit Beschluss vom 26. Juni 2020, E 792-795/2020-5, lehnte der Verfassungsgerichtshof die Behandlung der gegen diese Erkenntnisse erhobenen Beschwerden des Revisionswerbers ab und trat diese mit Beschluss vom 31. Juli 2020, E 792-795/2020-7, an den Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab.
8 5. Gegen diese Erkenntnisse des Verwaltungsgerichts richten sich die vorliegenden außerordentlichen Revisionen, die im Verfahren vor dem Verwaltungsgerichtshof wegen ihres sachlichen, rechtlichen und persönlichen Zusammenhangs zur gemeinsamen Beratung und Beschlussfassung verbunden wurden.
9 6.1. Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
10 Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren in nichtöffentlicher Sitzung mit Beschluss zurückzuweisen.
11 Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision gesondert vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
12 6.2. In den Ausführungen zu ihrer Zulässigkeit behaupten die Revisionen übereinstimmend eine Divergenz der Rechtsprechung zwischen (einerseits) der „Judikaturlinie des VfGH“, welcher nach dem Urteil des EuGH in der Rechtssache Maksimovic „bereits einmal festgestellt“ habe, dass der Revisionswerber durch gegen ihn verhängte Geldstrafen gemäß §§ 26 und 28 LSD-BG in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unversehrtheit des Eigentums verletzt worden sei, und (andererseits) dem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofs vom 15. Oktober 2019, Ra 2019/11/0033 bis 0034, das von der weiteren Anwendbarkeit der Bestimmungen des AVRAG [gemeint hier: LSD-BG] mit der Maßgabe der bloß eingeschränkten Anwendbarkeit bestimmter Strafnormen ausgehe. Fraglich sei daher, „ab welcher Höhe einer Geldstrafe im Sinne der Judikatur des VfGH bereits im gegenständlichen Fall eine Verletzung des Rechtes auf Unversehrtheit des Eigentums vorliegt“ und ob die gegenständlichen Strafnormen „überhaupt angewendet werden können“.
13 Mit diesem zur Zulässigkeit erstatteten Vorbringen hat sich der Verwaltungsgerichtshof bereits in seiner Entscheidung vom 9. November 2020, Ra 2020/11/0188, auseinandergesetzt.
14 6.3. Die Revision bringt zur Begründung ihrer Zulässigkeit ferner vor, nach der Rechtsprechung des EuGH sei „nicht geklärt, ob weiterhin Mindeststrafen verhängt werden dürfen. Dies ist im gegenständlichen Fall nämlich offensichtlich geschehen“.
15 Diesem Vorbringen ist zu entgegnen, dass das Verwaltungsgericht bei der Festsetzung der Strafen ausdrücklich von einem „Wegfall der Mindeststrafe“ ausgegangen ist, weshalb sich die in der Revision umschriebene Rechtsfrage gar nicht stellt.
16 6.4. Soweit die Revision geltend macht, dass „in einem Fall bereits verwaltungsstrafrechtliche Verjährung eingetreten sei“, steht dem die Rechtskraft des Schuldspruches entgegen. Infolge der Aufhebung der Erkenntnisse des Verwaltungsgerichts vom 8. Juli 2019 durch das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 27. November 2019 lediglich im Umfang von deren Straf-, Kosten- und Haftungsaussprüchen war Sache der Beschwerdeverfahren im zweiten Rechtsgang jeweils ausschließlich die Strafaussprüche sowie die an diese anknüpfenden Kostenaussprüche.
17 6.5. Wenn die Revision schließlich vorbringt, das Verwaltungsgericht habe es gegenständlich entgegen der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs (Hinweis auf VwGH 31.1.1990, 89/03/0027) unterlassen, § 20 VStG (Unterschreitung der Mindeststrafe) anzuwenden, so genügt auch hiezu der Hinweis, dass den angefochtenen Erkenntnissen ohnehin nicht die Auffassung zugrunde liegt, dass Mindeststrafen zu verhängen wären (solche wurden vom Verwaltungsgericht auch nicht verhängt).
18 6.6. In den Revisionen werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Zu keinem anderen Ergebnis führt im Übrigen die Novelle BGBl. I Nr. 174/2021. Die Revisionen waren daher zurückzuweisen.
Wien, am 15. Oktober 2021
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2021:RA2020110173.L00Im RIS seit
09.11.2021Zuletzt aktualisiert am
09.11.2021