Entscheidungsdatum
07.10.2021Index
40/01 VerwaltungsverfahrenNorm
EGVG 2008 ArtIII Abs1 Z4Text
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Landesverwaltungsgericht Tirol erkennt durch seinen Richter Mag. Schaber über die Beschwerde des Herrn AA, vertreten durch RA BB, Adresse 1, **** Z, gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Z vom 19.07.2021, Zl ***, betreffend einer Übertretung nach dem Einführungsgesetz zu den Verwaltungsverfahrensgesetzen 2008 (EGVG),
zu Recht:
1. Der Beschwerde wird Folge gegeben, das Straferkenntnis behoben und das Verfahren gemäß § 45 Abs 1 Z 1 VStG eingestellt.
2. Die ordentliche Revision ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
I. Verfahrensgang:
Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Z vom 19.07.2021, Zl ***, zugestellt am 20.07.2021, wurde dem Beschwerdeführer nachstehender Sachverhalt vorgeworfen:
„Tatzeit: 21.04.2020, 0052 Uhr
Tatort: **** Y, Adresse 1
Sie haben durch das unten beschriebene Verhalten nationalsozialistisches Gedankengut im Sinne des Verbotsgesetzes verbreitet. Sie haben per Handy mit WhatsApp an einen weiteren Jugendlichen Hinweise bzw. Links weitergegeben, wo man im Internet nationalsozialistische Kleidung, Fahnen, Aufkleber usw. erwerben kann. Bei den genannten Links handelt es sich um rechtsradikale Onlineshops.
Sie haben dadurch folgende Rechtsvorschriften verletzt:
Art. III Abs. 1 Z. 4 Einführungsgesetz zu den Verwaltungsverfahrensgesetzen 2008 (EGVG), BGBl. I Nr. 87/2008, in der geltenden Fassung
Wegen dieser Verwaltungsübertretungen wird über Sie folgende Strafe verhängt:
Geldstrafe (€):
110,00
Gemäß:
Art. III Abs. 1 Schlusssatz EGVG, BGBl. I Nr. 87/2008, i d. g. F.
Ersatzfreiheitsstrafe:
36 Stunden
Im Falle der Uneinbringlichkeit der Geldstrafe tritt an deren Stelle die Ersatzfreiheitsstrafe.
Ferner haben Sie gemäß § 64 des Verwaltungsstrafgesetzes (VStG) zu zahlen:
€ 11,00 als Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens, das sind 10% der Strafe, wobei jedoch mindestens € 10,00 zu bemessen sind.
Bei Freiheitsstrafen ist zur Berechnung der Kosten ein Tag Freiheitsstrafe mit 100 Euro anzusetzen.
Der zu zahlende Gesamtbetrag (Strafe/Kosten/Barauslagen) beträgt daher: € 121,00“
Dagegen erhob der Beschwerdeführer am 13.08.2021 das Rechtsmittel der Beschwerde und führte in dieser zusammengefasst im Wesentlichen aus, dass ein Verstoß gegen das Verbot der Doppelbestrafung im Art 4 Abs 1 des 7. ZPEMRK vorliege und er die ihm vorgeworfene Verwaltungsübertretung weder auf objektiver noch auf subjektiver Tatseite begangen habe.
Beantragt ist die Behebung des Straferkenntnisses und Einstellung des Strafverfahrens; in eventu die Behebung des Straferkenntnisses und Zurückverweisung an die belangte Behörde; in eventu die Abänderung des Straferkenntnisses und Herabsetzung der Strafe.
II. Sachverhalt:
Dem Verfahren bei der belangten Behörde ging ein Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Innsbruck wegen des Verdachtes einer Übertretung nach § 3g VerbotsG 1947 voraus, welches gemäß § 190 Z 2 StPO eingestellt wurde (25 St 174/20h-1).
Der Beschwerdeführer, geb. am **.**.****, wohnhaft in **** Y, schickte zwischen dem 03.12.2019, 20:13 und dem 07.12.2019, 10:40 eine Textnachricht über den Instant-Messaging-Dienst WhatsApp mittels seines Mobiltelefons an einen ihm bekannten anderen Jugendlichen, der ihn danach gefragt hatte, wo man „rechtes Zeug“ wie Kleidung und Aufkleber kaufen kann. Die Textnachricht beinhaltete Links von drei online-Versandhäusern, nämlich „das-zeughaus“, „nationales-versandhaus“ und „reichsversand“, die als rechtsradikal angesehen werden. Die Links zu diesen online-Versandhäusern schickte der Beschwerdeführer am 21.04.2020 um 00:52 unaufgefordert auch an eine ihm ebenfalls bekannte Jugendliche.
III. Beweiswürdigung:
Beweis wurde aufgenommen durch Einsichtnahme in den vorgelegten Akt der Verwaltungsbehörde.
Der festgestellte Sachverhalt ergibt sich zwanglos aus dem Verwaltungsakt und wird vom Beschwerdeführer an sich auch nicht bestritten.
IV. Rechtslage:
Im gegenständlichen Verfahren ist Art III Abs 1 Z 4 Einführungsgesetz zu den Verwaltungsverfahrensgesetzen 2008 (EGVG), BGBl. Nr. 87/2008, idgF entscheidungsrelevant:
(1) Wer
1. in Angelegenheiten, in denen er nicht zur berufsmäßigen Parteienvertretung befugt ist, gewerbsmäßig für den Gebrauch vor inländischen oder ausländischen Gerichten oder Verwaltungsbehörden schriftliche Anbringen oder Urkunden verfasst, einschlägige Auskünfte erteilt, vor inländischen Gerichten oder Verwaltungsbehörden Parteien vertritt oder sich zu einer dieser Tätigkeiten in schriftlichen oder mündlichen Kundgebungen anbietet (Winkelschreiberei) oder
2. sich die Beförderung durch eine dem öffentlichen Verkehr dienende Einrichtung verschafft, ohne das nach den Tarifbestimmungen und Beförderungsbedingungen dieser Einrichtungen festgesetzte Entgelt ordnungsgemäß zu entrichten, und bei der Betretung im Beförderungsmittel auf Aufforderung den Fahrpreis und einen allfälligen in den Tarifbestimmungen oder Beförderungsbedingungen vorgesehenen Zuschlag entweder nicht unverzüglich oder, wenn seine Identität feststeht, nicht binnen zwei Wochen zahlt, oder
3. einen anderen aus dem Grund der Rasse, der Hautfarbe, der nationalen oder ethnischen Herkunft, des religiösen Bekenntnisses oder einer Behinderung diskriminiert oder ihn hindert, Orte zu betreten oder Dienstleistungen in Anspruch zu nehmen, die für den allgemeinen öffentlichen Gebrauch bestimmt sind, oder
4. nationalsozialistisches Gedankengut im Sinne des Verbotsgesetzes, StGBl. Nr. 12/1945, in der Fassung des Bundesverfassungsgesetzes BGBl. Nr. 25/1947, verbreitet,
begeht, in den Fällen der Z 3 oder 4 dann, wenn die Tat nicht nach anderen Verwaltungsstrafbestimmungen mit strengerer Strafe bedroht ist, eine Verwaltungsübertretung und ist von der Bezirksverwaltungsbehörde, in den Fällen der Z 2 und 4 für das Gebiet einer Gemeinde, für das die Landespolizeidirektion zugleich Sicherheitsbehörde erster Instanz ist, von der Landespolizeidirektion, in den Fällen der Z 1 und 2 mit einer Geldstrafe von bis zu 218 Euro, im Fall der Z 3 mit einer Geldstrafe von bis zu 1 090 Euro und im Fall der Z 4 mit einer Geldstrafe von bis zu 2 180 Euro zu bestrafen. Im Fall der Z 4 ist der Versuch strafbar und können Gegenstände, mit denen die strafbare Handlung begangen wurde, für verfallen erklärt werden.
V. Erwägungen:
Im Fall einer Einstellung eines staatsanwaltlichen Ermittlungsverfahrens nach § 190 Z 2 StPO wegen des anfänglichen Verdachtes eines Verstoßes gegen § 3g VerbotsG 1947 hat die Verwaltungsbehörde die Frage, ob ein vom Gericht zu ahndender Tatbestand vorlag, selbstständig zu beurteilen (vgl. VwGH 14.11.2012, 2011/17/0233).
Im gegenständlichen Fall führte die Bezirkshauptmannschaft Z eine Tatbildprüfung in Hinblick auf Art III Abs 1 Z 4 EGVG durch.
Art III Abs 1 Z 4 EGVG bezweckt Störungen der öffentlichen Ordnung zu unterbinden und gegen das Übel der Verharmlosung nationalsozialistischen Gedankengutes zu wirken. Es handelt sich hierbei um ein Ungehorsamsdelikt, dessen Tatbestandsvoraussetzungen weiter gehen als jene des VerbotsG 1947. Bereits ein Verhalten, das objektiv den Eindruck erweckt, es werde eine Wiederbetätigung im Sinne des Verbotsgesetzes betrieben und somit als öffentliches Ärgernis erregender Unfug, der die öffentliche Ordnung durch die Verharmlosung stört, empfunden wird, ist nach dieser Norm strafbar.
In der Begründung des angefochtenen Straferkenntnisses der Bezirkshauptmannschaft Z vom 19.07.2021 stellt die Behörde lediglich fest, dass das Verhalten des Beschwerdeführers den Eindruck erweckte, dass Wiederbetätigung im Sinne des Verbotsgesetzes betrieben werde und die Tat durch Fahrlässigkeit begangen worden wäre.
Strafbar nach Art III Abs 1 Z 4 Einführungsgesetz zu den Verwaltungsgesetzen 2008 (EGVG) ist die „Verbreitung von nationalsozialistischem Gedankengut". Das EGVG bietet keine Legaldefinition des Wortes „Verbreiten“. Was unter „Verbreitung von nationalsozialistischem Gedankengut“ zu verstehen ist, wurde jedoch bereits mehrfach vom VwGH judiziert (siehe beispielsweise VwGH zu GZ 2006/09/0126 vom 08.08.2008 und Hauer/Leukauf, Handbuch des Verwaltungsverfahrens, 6. Auflage, S. 78f) und hat der VwGH dazu ausgeführt, dass unter „Verbreiten“ jede Handlung zu verstehen ist, mit welcher derartiges Gedankengut einem „größeren Personenkreis“ zugänglich gemacht wird. Zur Definition „größerer Personenkreis", darf wiederum auf die einschlägige Rechtsprechung (vgl. hiezu Leukauf-Steininger2 RN 3 zu § 69 StGB) verwiesen werden. In Analogie zu § 69 StGB ist unter einem „größeren Personenkreis“ die Anzahl von etwa zehn Personen zu verstehen. Zu beachten ist auch, dass nach der Rechtsprechung des VwGH das objektive Tatbild nicht durch das bloße Ermöglichen des Verbreitens erfüllt wird (VwGH 08.08.2008, 2006/09/0126; VwGH 19.02.2021, Ra 2021/03/0020-3; siehe auch RIS-Justiz RS0091902 mit Hinweis auf WK-StGB2, § 69 StGB, Rn. 2, oder Koukal in Berka/Heindl/Höhne/Koukal, Praxiskommentar MedienG4, § 1 Rn. 10: Ausgeschlossen ist damit jede Form der Individualkommunikation).
Feststellungen der belangten Behörde zum Tatbildmerkmal „Verbreiten" finden sich in der Begründung des Straferkenntnisses keine.
Vorliegend wird dem Beschwerdeführer im Spruch des bekämpften Straferkenntnisses – aber auch in den im Verfahren vorangegangenen Verfolgungshandlungen, so etwa auch in der Strafverfügung vom 29.12.2020) vorgeworfen, „… einer weiteren Jugendlichen Hinweise bzw Links weitergegeben…“ zu haben. Bei diesem Strafvorwurf – Weitergabe an eine Person - hat der Beschwerdeführer nationalsozialistisches Gedankengut im Sinne des Verbotsgesetzes, StGBl. Nr. 12/1945, in der Fassung des Bundesverfassungsgesetzes BGBl. Nr. 25/1947, schon in objektiver Hinsicht nicht verbreitet.
Unabhängig davon, dass dem Landesverwaltungsgericht eine Richtigstellung eines hinsichtlich des Tatbestandselementes „Verbreiten“ unrichtigen Tatvorwurfs wegen Ablauf der Verfolgungsverjährungsfrist verwehrt ist, ist dem vorgelegten Strafakt auch nicht zu entnehmen, dass nationalsozialistisches Gedankengut im Sinne des Verbotsgesetzes einem größeren Personenkreis zugänglich gemacht wurde.
Das gesetzliche Tatbild der Verbreitung von nationalsozialistischem Gedankengut ist jedenfalls durch die Anlastung der Zugänglichmachung von nationalsozialistisches Gedankengut in Form der Weiterleitung von Gedankengut an eine Person in objektiver Hinsicht nicht erfüllt.
Schon in Konsequenz daraus war das Straferkenntnis zu beheben und das gegenständliche Verwaltungsstrafverfahren einzustellen.
Bei diesem Verfahrensergebnis musste auf die Rechtsfrage, ob ein Verstoß gegen das Doppelbestrafungsverbot gemäß Art 4 Abs 1 des 7. ZPEMRK vorliegt, nicht mehr eingegangen werden. Festgehalten wird aber, dass es sich bei den Verfahren nach dem VerbotsG 1947 und nach dem Art III Abs 1 Z 4 EGVG nicht um eine Verdoppelung, sondern um ein komplementäres Verhältnis der Verfahren zu einander handelt, indem sie einander mit unterschiedlichen rechtlichen Reaktionen zu verschiedenen Regelungszwecken ergänzen. Grundsätzlich ist die Verhängung einer Verwaltungsstrafe nach dem Art III Abs 1 Z 4 EGVG also auch nach der Verfahrenseinstellung im Strafverfahren nach dem VerbotsG 1947 möglich (vgl VwGH 19.02.2021, Ra 2021/03/0020).
Insgesamt war daher spruchgemäß zu entscheiden.
Von der Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung konnte gemäß § 44 Abs 3 VwGVG abgesehen werden, weil im angefochten Straferkenntnis eine 500 Euro übersteigende Geldstrafe nicht verhängt und von der belangten Behörde eine Verhandlung nicht beantragt wurde.
VI. Unzulässigkeit der ordentlichen Revision:
Die ordentliche Revision ist unzulässig, da keine Rechtsfrage iSd Art 133 Abs 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes. Weiters ist die dazu vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Ebenfalls liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g
Gegen diese Entscheidung kann binnen sechs Wochen ab der Zustellung Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, Freyung 8, 1010 Wien, oder außerordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden. Die Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof ist direkt bei diesem, die außerordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof ist beim Landesverwaltungsgericht Tirol einzubringen.
Die genannten Rechtsmittel sind von einem bevollmächtigten Rechtsanwalt bzw einer bevollmächtigten Rechtsanwältin abzufassen und einzubringen und es ist eine Eingabegebühr von Euro 240,00 zu entrichten.
Es besteht die Möglichkeit, auf die Revision beim Verwaltungsgerichtshof und die Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof zu verzichten. Ein solcher Verzicht hat zur Folge, dass eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof und eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof nicht mehr erhoben werden können.
Landesverwaltungsgericht Tirol
Mag. Schaber
(Richter)
Schlagworte
verbreitenEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:LVWGTI:2021:LVwG.2021.42.2200.1Zuletzt aktualisiert am
08.11.2021