TE Bvwg Erkenntnis 2021/7/27 G307 2180997-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 27.07.2021
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Entscheidungsdatum

27.07.2021

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §2 Abs1 Z13
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

Spruch


G307 2180997-1/19E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Markus MAYRHOLD als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX, geboren am XXXX, StA.: Irak, vertreten durch RA Mag. Paul HECHENBERGER, in 6020 Innsbruck, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 01.12.2017, Zahl XXXX, nach öffentlicher mündlicher Verhandlung zu Recht erkannt:

A)       Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)       Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF) stellte am 27.04.2015 einen Antrag auf Gewährung internationalen Schutzes gemäß § 2 Abs. 1 Z 13 des Asylgesetzes 2005 (AsylG 2005).

2. Am 27.04.2015 fand vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes der Landespolizeidirektion XXXX, XXXX, die polizeiliche Erstbefragung des BF statt.

3. Am 16.11.2017 wurde der BF im Asylverfahren niederschriftlich durch ein Organ des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl der Regionaldirektion Tirol (im Folgenden: BFA) zu seinen Fluchtgründen, der Fluchtroute und persönlichen Verhältnissen einvernommen.

4. Mit den oben im Spruch genannten Bescheid des BFA, dem BF persönlich zugestellt am 05.12.2017, wurde der gegenständliche Antrag auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.), bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak gemäß § 8 Abs. 1 iVm. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt II.), ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt III.), gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm. § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.), gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG in den Irak zulässig sei (Spruchpunkt V.), sowie gemäß § 55 Abs. 1 und 3 FPG eine 14-tägige Frist zur freiwilligen Ausreise festgesetzt (Spruchpunkt VI.).

5. Mit am 22.12.2017 per E-Mail beim BFA eingebrachtem Schreiben erhob der BF durch seine damalige Rechtsvertretung, die Diakonie Flüchtlingsdienst gemeinnützige Gesellschaft mbH, ARGE Rechtsberatung, Beschwerde gegen den oben im Spruch genannten Bescheid an das Bundesverwaltungsgericht (im Folgenden: BVwG).

Darin wurde beantragt, eine mündliche Beschwerdeverhandlung anzuberaumen, den angefochtenen Bescheid dahingehend abzuändern, dass dem Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich des Status des Asylberechtigten stattgeben werde, in eventu den Bescheid dahingehend abzuändern, dass dem Asylantrag des BF hinsichtlich des Status eines subsidiär Schutzberechtigten stattgegeben und zudem festgestellt werde, dass eine Abschiebung des BF dauerhaft unzulässig sei und die Rückkehrentscheidung behoben werde, in eventu die Rechtsache zur neuerlichen Entscheidung an die belangte Behörde zurückzuverweisen.

6. Die gegenständliche Beschwerde und der zugehörige Verwaltungsakt wurden vom BFA am 27.12.2017 vorgelegt und sind dort am 28.12.2017 eingelangt.

7. Am 25.05.2021 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht (BVwG), Außenstelle Graz, eine öffentliche mündliche Verhandlung statt, an welcher der BF und dessen im Spruch genannter Rechtsvertreter (im Folgenden: RV) teilnahmen.

8. Am 22.06.2021 gab der BF durch seinen RV eine abschließende Stellungnahme ab.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Der BF führt die im Spruch angegebene Identität (Namen und Geburtsdatum), ist irakischer Staatsbürger, bekennt sich zum sunnitischen Islam und ist Angehöriger der Volksgruppe der Araber. Seine Muttersprache ist Arabisch. Er ist ledig, kinderlos und arbeitsfähig.

1.2. Der BF wurde in Samarra, Gouvernement Salah ad-Din, geboren, wo er auch bis zu seiner Ausreise den größten Teil seines Lebens verbrachte und die Schule besuchte. Der BF erlernte den Beruf des Masseurs, den er von 2012 bis 2014 freiberuflich ausübte und war zudem im Personentransport von Menschen mit Behinderungen tätig. Von 2007 bis 2009 war der BF für das amerikanische Militär tätig und bis zuletzt in der Lage, seinen Unterhalt aus eigenem zu bestreiten.

1.3. Der BF verließ den Irak im März 2015 und begab sich auf legalem Wege mit dem Flugzeug in die Türkei. Durch Vermittlung eines Schleppers gelangte er per Schlauchbot nach Griechenland, von wo aus er nach Österreich reiste, wo er am 29.04.2015 einreiste und den gegenständlichen Asylantrag stellte.

1.4. Die Eltern sowie Geschwister des BF leben nach wie vor im Irak und hält der BF zu einer seiner Schwestern aufrechten Kontakt. Der Kontakt zu seiner Mutter brach bereits vor vielen Jahren aufgrund deren Trennung vom Vater des BF ab. Auch pflegt der BF zu seinem Vater, aufgrund nicht enden wollender Geldforderungen, seit ca. 3 Jahren keinen Kontakt mehr. Der Kontakt zu den weiteren Geschwistern brach mangels Interesses derselben ebenfalls vor Jahren ab.

1.5. Der BF geht keiner Erwerbstätigkeit in Österreich nach, sondern lebt überwiegend von Leistungen aus der staatlichen Grundversorgung. Jedoch ist der BF in einem Altersheim ehrenamtlich für 80 Stunden im Monat tätig und weist eine Einstellungszusage des besagten Heims im Falle seines legalen Verbleibes in Österreich auf. Ferner verfügt der BF über eine Arbeitszusage im Kaffeehaus „XXXX“, welches von seiner Freundin, XXXX, geführt wird.

1.6. Der BF hat einen Deutschkurs des Niveaus „A1“ besucht, jedoch nie eine Deutschprüfung absolviert. Es konnte nicht festgestellt werden, dass der BF Deutsch eines bestimmten Niveaus beherrscht.

1.7. Familiäre Bezüge bestehen in Österreich nicht, jedoch pflegt der BF soziale Kontakte im Bundesgebiet. Das Umfeld des BF beschreibt ihn als pflichtbewusst, engagiert und fleißig und erweist sich der BF in strafgerichtlicher Hinsicht als unbescholten.

1.8. Der BF konsumiert seit mehreren Jahren Suchtmittel, konkret Cannabiskraut und wurde am XXXX.2020, in XXXX, im Besitz von 1 Gramm Cannabiskraut zur Deckung des eigenen Bedarfs von Polizeibeamten betreten.

Von der strafrechtlichen Verfolgung wurde nach Erstattung eines Abtretungsberichtes gemäß § 35 Abs. 9 SMG vorläufig zurückgetreten.

1.9. Der BF leidet an Z.n. Schussverletzung, Z.n. Osteomyelitis, rez. Schmerzen im Oberschenkel links und rezidivierende Kopfschmerzen. Aufgrund der Schussverletzungen wurde der BF bereits im Herkunftsstaat medizinisch behandelt und operiert. In Österreich wurde der BF erneut einem operativen Eingriff unterzogen und bedarf er keiner weiteren operativen oder konservativen Behandlung mehr. Der BF nimmt aktuell nur mehr Schmerzmittel zu sich und leidet an keiner maßgeblich einschränkenden Behinderung und/oder lebensbedrohlichen Erkrankung.

1.10. Es konnte nicht festgestellt werden, dass der BF im Irak einer asylrelevanten Verfolgung ausgesetzt war und ist.

1.11. Es konnte auch nicht festgestellt werden, dass der BF im Fall der Rückkehr in den Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer Verfolgungsgefahr ausgesetzt wäre oder dass sonstige Gründe vorliegen, die einer Rückkehr oder Rückführung (Abschiebung) in den Herkunftsstaat entgegenstünden.

1.12. Zur Lage im Herkunftsstaat wurden in das gegenständliche Verfahren relevante Auszüge aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zum Irak vom 17.03.2020, einer Anfragenbeantwortung von ACCORD über die Anwerbung von Sunnitischen Arabern durch schiitische Milizen im Jahr 2014; Folgen 2019 für Personen, die sich 2014 Zwangsrekrutierungen durch schiitische Milizen widersetzten; Gebietskontrolle von AsaÌb Ahl Al-Haqq vom 19.09.2019, der Country Policy and Information Note Iraq: Sunni Arabs vom Jänner 2021, einer Anfragenbeantwortung von ACCORD zur Aktuellen Sicherheitslage in den Provinzen Bagdad und Kerbala, vom 23. April 2021 und der EASO Country Guidance: Iraq, Common Analysis and guidance note vom Jänner 2021 miteinbezogen und Folgendes festgestellt:

Politische Lage

Nach dem Sturz von Saddam Hussein im Jahr 2003 kämpften die neuen Führer des Irak dafür um nach Jahrzehnten der Diktatur einen demokratischen Kurs einzuschlagen. Zwei Ereignisse waren ausschlaggebend. Erstens, die Entscheidung der USA, die langjährige Baath-Partei zu verbieten und – nach erfolgter Umsetzung – ein politisches Vakuum damit zu schaffen. Zweitens, das Militär aufzulösen und damit Hunderttausende von ausgebildeten Männern ohne Alternative zu entfremden. Der Irak litt unter einem Bürgerkrieg, politischen Unruhen, weit verbreiteter Korruption, sektiererischer Spannungen und einem extremistischen Aufstand, der ein Drittel des Landes betraf.

Der Irak hat sich über vier schwierige Phasen entwickelt.

Die erste Phase, der sogenannte erste Übergang zwischen 2003 und 2007, begann mit den USA als vorläufige Koalitionsbehörde. Der Übergang umfasste das Bauen neue Parteien, Rekrutierung und Ausbildung neuer Streitkräfte, Schaffung einer zivilen Gesellschaft und die Ausarbeitung neuer Gesetze. 2005 stimmten die Iraker über eine neue Verfassung ab, die individuelle Rechte einführte, auch für religiöse und ethnische Minderheiten.

Das politische Kräfteverhältnis – jahrhundertelang von Sunniten dominiert – hat sich dramatisch verschoben. Zum ersten Mal behauptete sich die schiitische Mehrheit, stellte den Premierminister und hatte genügend Einfluss, um wichtige Ministerien und andere staatliche Einrichtungen zu kontrollieren

Zum ersten Mal hatte der Irak auch einen kurdischen Präsidenten. Sunniten, die den Staat unter Saddam dominiert hatten verloren die Schlüsselposition des Parlamentssprechers, aber auch viele andere Befugnisse.

Der Übergang war auch Zeuge des Ausbruchs sektiererischer Spannungen. Diesen nahmen ihren Anfang durch die Bombardierung des al-Askari-Schreins, einer heiligen Stätte der Schiiten, sowie die Explosion der berühmten goldenen Kuppel Anfang 2006, wodurch Gewalt im ganzen Irak ausgelöst wurde die 5 Jahre lang andauerte. (USIP, ‘Iraq Timeline: Since the 2003 war’, 29 May 2020)

Die zweite Phase, von 2007 bis 2011, wurde vom US-Militär geprägt.

Es erfolgte eine Aufstockung von zusätzlichen 30.000 Soldaten – zusätzlich zu 130.000 bereits stationierten – um das eskalierende Blutvergießen einzudämmen. Die Sunnitischen Stämme wandten sich gegen die Dschihad-Bewegung und begannen mit US-Truppen zu arbeiten.

Bis 2011 entschieden sich die Vereinigten Staaten für einen Rückzug aus dem Irak, mit Einverständnis der Regierung von Bagdad, dass es die sunnitischen Stämme in die irakischen Sicherheitskräfte eingliedern würde.

Die dritte Phase spielte sich zwischen 2012 und 2017 ab, als die Regierung des Irak seine Versprechen, die Minderheit zu beschäftigen und zu bezahlen, nicht eingehalten hat. Sunniten, die gegen die Dschihadisten gekämpft hatten, wurden zu tausenden festgenommen.

Anfang 2013 beteiligten sich Zehntausende Sunniten an regierungsfeindlichen Protesten in Ramadi, Falludscha, Samarra, Mosul und Kirkuk. Die Sunniten beschuldigten den damaligen irakischen Premierminister Nuri al-Maliki der Ausgrenzung.

Das Versäumnis der schiitisch dominierten Regierung, die Sunniten einzubeziehen erlaubte es ISI, sich zu rekonstituieren. Die extremistische Untergrundbewegung rekrutierte tausende Sunniten, auch über die Grenzen des Irak hinaus. Im Jahr 2013 dehnte sie sich nach Syrien aus und wurde erneut in Islamischer Staat im Irak und in Syrien (ISIS) umbenannt. Ihre Miliz hat Falludscha im Dezember 2013 erobert. Obwohl die irakische Armee zahlenmäßig überlegen war, brach sie zusammen, und übernahm ISIS bis Juni 2014 die Kontrolle über ein Drittel des Landes. (USIP, ‘Iraq Timeline: Since the 2003 war’, 29 May 2020)

Eine vierte Phase begann 2018, nachdem die Regierung die Kontrolle über das gesamte irakische Territorium wiedererlangt hatte. Im Mai 2018 gestaltete eine nationale Wahl die politische Landschaft neu. Der schiitische Geistliche Moqtada al-Sadr führte eine unwahrscheinlich scheinende Koalition mit säkularen Sunniten und Kommunisten, die die meisten Sitze gewannen, während ein vom Iran unterstützter Block den zweiten Platz belegte. Das Parlament wählte den erfahrenen kurdischen Politiker Barham Salih zum Präsidenten und Muhammad al-Halbusi, einen 37-jährigen sunnitischen Abgeordneten, zum Redner. Salih ernannte Adil Abdul al-Mahdi, einen 76-jährigen Ökonomen und altgedienten schiitischen Politiker, zum Premierminister. (USIP, ‘Iraq Timeline: Since the 2003 war’, 29 May 2020)

Am 1. Juli 2019 erließ der irakische Premierminister Adil Abdul Mahdi ein Dekret, das den Milizen der PMF [Popular Mobilization Forces – siehe Popular Mobilization Forces/Units] anordnete, zwischen der vollständigen Integration in die irakischen Streitkräfte oder der Abrüstung bis zum 31. Juli [2019] zu entscheiden. Wenn die Gruppen die Integration ablehnen, werden sie als Gesetzlose betrachtet. Das Dekret des Premierministers besagte, dass die PMF-Fraktionen zwischen politischer oder paramilitärischer Aktivität wählen müssten und wenn sie sich für Politik entscheiden, dürfen sie keine Waffen tragen. Das Dekret war ein Versuch von Abdul Mahdi, Einfluss auf die vom Iran unterstützten Milizen zu gewinnen, die mehr als 120.000 Kämpfer umfassten. (CEP, ‘Kata’ib Hezbollah’, (Executive Summary), nd)

Die irakische Regierung erließ eine Exekutivverordnung 237, die alle Volksmobilisierungskräfte (PMF), einschließlich der vom Iran unterstützten, dazu verpflichtete, als unteilbarer Teil der Streitkräfte zu operieren und denselben Vorschriften zu unterliegen; Viele dieser Gruppen widersetzten sich jedoch weiterhin den Befehlen und der Kontrolle der Zentralregierung und waren an gewalttätigen und destabilisierenden Aktivitäten im Irak und im benachbarten Syrien beteiligt, darunter an Angriffen auf und Entführungen von zivilen Demonstranten. (USSD, ‘Country Report on Terrorism 2019 – Iraq’, (Section: Overview) 24 June 2020)

Nach Protesten gegen die Regierung Ende 2019 kündigte Premierminister Abdul-Mahdi im November 2019 seinen Rücktritt an, als Reaktion auf einen Aufruf des prominentesten schiitischen Klerikers des Irak, Großayatollah Ali Sistani. (USIP, ‘Iraq Timeline: Since the 2003 war’, 29 May 2020)

Das irakische Parlament hat sich nach sechs Monaten ohne eine neue Regierung zu bilden verabschiedet, da sich die Parteien bei Hinterzimmerdeals bis zur letzten Minute um die Kabinettssitze stritten. Am Mittwoch (6. Mai 2020) wurde bekanntgegeben, dass Premierminister Mustafa al-Kadhimi, irakischer Geheimdienstchef und ehemaliger Journalist, die Regierung anführen wird, aber seine Amtszeit ohne eine ganze Kohorte von Ministern beginnen werde, nachdem mehrere Kandidaten abgelehnt wurden.

Um das Vertrauen zu gewinnen, musste Kadhimi die wichtigsten politischen Parteien besänftigen, indem er sie Minister in seinem Kabinett wählen ließ - ein informelles, aber tief verwurzeltes System der Machtverteilung, das als Aufteilung bekannt ist. Er hatte zehn Prozent freie Hand, sein Kabinett zu wählen, und 90 Prozent wurden von den Parteien und Blöcken bestimmt, erklärte der Politologe Fadel Abu Ragheef.

Einige Parteien, die keine Ministerien sicherten, darunter Nouri al-Malikis Bündnis für Rechtsstaat und Iyad Allawis Nationale Koalition, boykottierten die Abstimmung. Kadhim Al Shammery, Mitglied der Nationalen Koalition, kritisierte das Abstimmungsverfahren, das seiner Meinung nach von den schiitischen Parteien dominiert werde.

Dies war ein seltsamer Ansatz und ein gefährlicher Präzedenzfall in der irakischen politischen Szene. Die Kandidaten seines Kabinetts - das sind 12 Minister - wurden den schiitischen Parteien vorgestellt, und sie gaben ihren Standpunkt ab, aber er wurde nicht mit den anderen geteilt.

Einige Demonstranten versammelten sich auf dem Tahrir-Platz in Bagdad, um ihre Ablehnung der neuen Regierung zum Ausdruck zu bringen. Jede Regierung, die ohne die Meinungen der Demonstranten innerhalb des Parlaments gebildet wird, wird abgelehnt, sagte Abdullah Salah, der bei der Versammlung anwesend war. (12Al Jazeera, ‘Iraq forms new government after six months of uncertainty’, 7 May 2020)

Quelle:

Political context and timeline: in Country Policy and Information Note, Iraq: Sunni Arabs, Version 3.0, January 2021, Seite 10-13.

Allgemeine Sicherheitslage:

Gouvernment Salah Al Din:

Salah al-Din liegt im Zentralirak und ist in neun Bezirke unterteilt: al-Dour, al-Shirqat, Balad, Baiji, Fares, Samarra, Thethar, Tuz (umstrittenes Gebiet) und Tikrit. Für 2019 schätzt das Gouvernement die Bevölkerung auf 1.637.232 Einwohner. Das Gouvernement Salah al-Din wird überwiegend von sunnitischen Arabern bewohnt. Die Hauptstadt des Gouvernements, die Stadt Tikrit, ist der Geburtsort von Saddam Hussein und gilt als ein wichtiges Machtzentrum der sunnitischen Araber. Salah al-Din beherbergt Raffinerien von strategischer Bedeutung und haben die ISIL-Truppen im Sommer 2014 Teile des Gouvernements Salah al-Din erobert.

Salah al-Din war eines der ersten Gouvernements, das im Rahmen der angeführten Offensive der irakischen Streitkräfte gegen ISIL im Jahr 2015 befreit wurde und war auch eines der ersten Gouvernements, das eine groß angelegte Rückkehr von Binnenvertriebenen erlebte.

Das ISF trägt die Gesamtverantwortung für die Sicherheit innerhalb des Gouvernements und übt eine nominelle Steuerung aus. Berichten zufolge kontrolliert die PMU einen Großteil des Gouvernements Salah al-Din de facto.

Es wurde auch über die Anwesenheit einiger sunnitischer Stammesgruppen berichtet. Es gab Hinweise darauf, dass Peshmerga ebenfalls in der Region präsent sind, es ihnen jedoch an einer starken Zusammenarbeit mit dem ISF mangle, was ISIL ausnutzt. ISIL ist immer noch im Gouvernement präsent und operiert vor allem in den ländlichen und verlassenen Gebieten.

Im Mai 2020 wurde berichtet, dass das Gouvernement Salah al-Din durchwegs am niedrigsten eingestuft wurde oder die zweitniedrigste Stufe der sechs Gouvernements, die von ISIL-Aufständen betroffen sind, in Bezug auf Angriffe während des gesamten Jahres 2019 und Anfang 2020 aufweist, wobei jedoch immer noch Anzeichen für eine Erholung des ISIL gesehen werden. Ein aufkommender Trend von Bombenherstellung und Bombenplatzierung am Straßenrand wurde gemeldet, sowie ein Fokus auf Angriffe auf isolierte Kontrollpunkte in Aufstandskämpfen mit ISIL-Einheiten in Zuggröße. Es wurde auch berichtet, dass ISIL gegnerische sunnitische Prediger und Offiziere der Tribal Mobilization Force auf ihrem Vormarsch angreifen, während die Angriffe auf Dorfvorsteher und Bauern derweilen weitergingen. Aufgrund weiterer und verstärkter Aktivitäten des ISIL hat die ISF mehrere große koordinierte Anti-ISIL-Militärs ins Leben gerufen als Reaktion darauf, die Aktivitäten des ISIL zu verlangsamen, aber nicht zu beseitigen. Überreste des ISIL führen häufig asymmetrische Angriffe auf das irakische Volk und die Sicherheitskräfte aus, wodurch die Fähigkeit dieser Sicherheitsakteure geschwächt wird, Zivilisten zu schützen.

ACLED meldete insgesamt 327 Sicherheitsvorfälle (durchschnittlich 4 Sicherheitsvorfälle pro Woche) in Salah al-Din im Referenzzeitraum, von denen die meisten Schlachten und Vorfälle von Gewalt/Explosionen aus der Ferne waren. In fast allen Distrikten des Gouvernements kam es zu Sicherheitsvorfällen, wobei die größte Gesamtzahl in den Bezirken al-Daur, Baiji und Tikrit verzeichnet wird.

UNAMI verzeichnete 43 Vorfälle im Zusammenhang mit bewaffneten Konflikten, 31 davon im Jahr 2019 und 12 vom 1. Januar bis 31. Juli 2020 (durchschnittlich 0,5 Sicherheitsvorfälle pro Woche für den gesamten Bezugszeitraum).

Im Referenzzeitraum verzeichnete die UNAMI insgesamt 146 zivile Opfer (55 Tote und 91 Verletzte) bei den oben genannten Vorfällen im Zusammenhang mit bewaffneten Konflikten. Genauer gesagt, 97 zivile Opfer wurden im Jahr 2019 gemeldet, und vom 1. Januar bis 31. Juli 2020 wurden 49 zivile Opfer gemeldet.

Verglichen mit den offiziellen Bevölkerungszahlen im Gouvernement sind dies 9 zivile Todesopfer je 100 000 Einwohner für den gesamten Bezugszeitraum.

Zum 30. Juni 2020 stammten 11 % der gesamten Binnenvertriebenen im Irak aus dem Gouvernement Salah al-Din. Gleichzeitig beherbergte das Gouvernement Salah al-Din insgesamt 68 700 Binnenvertriebene.

Salah al-Din überholt die Vertreibung und das Gouvernement Salah al-Din belegt weiterhin den dritten Platz unter den Top-Gouvernements der Rückkehr mit insgesamt 692.142 Rückkehrern zum 30. Juni 2020. Viele von ihnen leben unter schwierigen Bedingungen.

Salah al-Din gehört zu den Gouvernements mit besonders hohen Infrastrukturschäden als Folge von Konflikten, insbesondere in Bezug auf Schäden an Wohngebäuden, am Agrarsektor und an den Wasser-, Sanitär- und Hygienesektor. Wiederaufbau in vom Konflikt stark betroffenen Gouvernements, einschließlich Salah al-Din, war während des gesamten Jahres 2019 langsam. Es wird auch über eine Kontamination mit explosiven Kampfmitteln berichtet, was ein Hindernis für die sichere Rückführung von Binnenvertriebenen sowie für die Umsetzung humanitärer Aktivitäten in Salah al-Din darstellt.

Betrachtet man die Indikatoren, kann man den Schluss ziehen, dass wahllose Gewalt in den Gouvernement Salah al-Din, jedoch nicht auf hohem Niveau und dementsprechend auf höherem Niveau einzelne Elemente erforderlich sind, um stichhaltige Gründe für die Annahme nachzuweisen, dass auch Zivilisten, die in das Hoheitsgebiet zurückgeführt werden, einem echten Risiko ernsthaften Schadens im Sinne ausgesetzt wären.  

Quelle:

Security Situation in Salah al-Din: in EASO Country Guidance: Iraq, Common analysis and guidance note, January 2021, S 150 [http://www.easo.europa.eu/country-guidance-iraq-2021]

Bagdad:

Auf der Website des Armed Conflict Location & Event Data Project (ACLED) der University of Sussex lässt sich ein Datensatz der von ACLED aufgezeichneten sicherheitsrelevanten Vorfälle im gesamten Irak einsehen, der kontinuierlich aktualisiert wird. Die registrierten sicherheitsrelevanten Vorfälle basieren auf den Berichterstattungen verschiedener Nachrichtenquellen. Der Datensatz für die letzten sechs Monate (Anfang Oktober 2020 bis Ende März 2021), zeigt insgesamt 285 sicherheitsrelevante Vorfälle (Kämpfe, Explosionen, Proteste, Unruhen, strategische Entwicklungen und Gewalt gegen ZivilistInnen) in Bagdad, inklusive Vororte. 75 der Vorfälle werden von ACLED als strategische Entwicklungen bezeichnet (dazu zählt ACLED Polizei- und Militäreinsätze sowie Verhaftungen). Bei 93 der Vorfälle habe es sich um Proteste gehandelt (sowohl friedliche als auch gewalttätige). Bei weiteren 90 Vorfällen habe es sich um Kämpfe oder Explosionen gehandelt, wobei bei 43 dieser Vorfälle (alle davon von oft unbekannten bewaffneten Gruppierungen verursachte Explosionen) ZivilistInnen betroffen gewesen seien. 27 der Vorfälle seit Oktober 2020 registriert ACLED spezifisch als Gewalt gegen ZivilistInnen. In zwei Fällen sei die irakische Polizei bzw. das irakische Militär verantwortlich gewesen und zwei Mal Akteure der Gruppe Islamischer Staat (IS). Die restlichen Vorfälle seien durch unbekannte bewaffnete Gruppierungen verursacht worden, die von Schusswaffen Gebrauch gemacht hätten. (ACLED, 8. April 2021)

Joel Wing dokumentiert auf seinem Blog Musings on Iraq die wöchentliche und monatliche Anzahl von Anschlägen durch den Islamischen Staat (IS) und pro-iranische Gruppierungen in den verschieden irakischen Provinzen. Im November 2020 habe es fünf Anschläge des IS in Bagdad gegeben. Zwei der Angriffe hätten sich im Süden und drei im Norden der Stadt ereignet. Wing analysiert, dass der IS es aufgegeben habe, die Hauptstadt selbst zu infiltrieren und nun kleinere Anschläge in der Peripherie durchführe. (Wing, 3. Dezember 2020)

Auch im Dezember habe es fünf Angriffe durch den IS in Bagdad gegeben. Diese hätten nördlich der Hauptstadt stattgefunden. Weitere zwei Sicherheitsvorfälle seien von Pro-iranischen Gruppen durchgeführt worden. Insgesamt seien in Bagdad im Dezember zwei Personen bei sicherheitsrelevanten Vorfällen getötet und sieben verletzt worden. (Wing, 4. Jänner 2021) Im Jänner habe es laut Wing 14 Vorfälle in Bagdad gegeben (für zehn sei der IS verantwortlich gewesen und für vier, pro-iranischen Gruppen). Ein Doppelanschlag in Bagdad habe zum Tod von 32 Menschen sowie 110 Verletzten geführt. Der Anschlag sei der größte in Bagdad in drei Jahren gewesen. (Wing, 4. Februar 2021)

Das deutsche Bundesamt für Migration und Flüchtlinge beschreibt den Doppelanschlag vom21. Jänner wie folgt:

„Anschläge in Bagdad

Am 21.01.21 kam es in Bagdad auf dem Tayaran-Platz auf einem Markt, auf dem v.a. gebrauchte Kleidung gehandelt wird, zu einem Doppelanschlag. Der erste Attentäter täuschte einen Krankheitsanfall vor und zündete einen Sprengstoffgürtel, als Umstehende ihm helfen wollten; kurz darauf zündete ein zweiter Attentäter ebenfalls einen Sprengstoffgürtel, nachdem freiwillige Helfer die Verwundeten versorgen wollten. Insgesamt kam es zu 32 Toten und einer hohen Zahl an Verletzten. Der IS übernahm die Verantwortung für diesen Anschlag, den ersten dieser Art in Bagdad seit fast drei Jahren.

In der Nacht vom 22.01.21 auf den 23.01.21 kam es zudem zu einem Angriff auf den Flughafen von Bagdad. Drei Katjuscha-Raketen wurden abgefeuert, richteten aber nur geringen Sachschaden an. Verletzt wurde niemand.“ (BAMF, 25. Jänner 2021, S. 3)

Im Februar habe es laut Wing zwei Anschläge durch den IS in Bagdad gegeben, beide im Norden der Stadt. Es seien vier Personen ums Leben gekommen und drei verletzt worden. Wing stellt weiters fest, dass die Raketenangriffe auf das Verwaltungsviertel der Stadt (Green Zone) zugenommen hätten. (Wing, 2. März 2021)

Im März habe es acht Anschläge durch den IS gegeben. Dazu hätten ein Schusswechsel, eine Motorradbombe und ein Bombenanschlag auf das Haus eines Scheichs gehört. Eine Vorstadt im Norden Bagdads, Tarmiya, sei das Hauptziel gewesen, da der IS in dieser Stadt immer noch aktiv sei. (Wing, 5. April 2021)

EPIC zeichnet Sicherheitsvorfälle im Land in seinem wöchentlichen Irak Security and Humanitarian Monitor auf. Diese Anfragebeantwortung konzentriert sich bei der Durchsicht von EPIC insbesondere auf Angriffe auf Zivilisten in der Hauptstadt seit November 2020.

Im genannten Zeitraum wurden von 35 Anschläge auf Alkoholgeschäfte dokumentiert, die auch zivile Opfer zur Folge hatten. (EPIC, 5. November 2020; EPIC, 12. November 2020; EPIC, 19. November 2020; EPIC, 3. Dezember 2020; EPIC, 17. Dezember 2020; EPIC, 24. Dezember 2020; EPIC, 14. Jänner 2021; EPIC, 21. Jänner 2021; EPIC, 28. Jänner 2021; EPIC, 4. Februar 2021; EPIC, 11. Februar 2021; EPIC, 25. Februar 2021)

Weitere Anschläge in Bagdad inkludieren eine Explosion, bei der ein Zivilist verletzt worden sei, am 8. November (EPIC, 12. November 2020), eine Explosion in einem privaten Garten sowie die Tötung eines Autofahrers durch eine Explosion am 15. November (EPIC, 19. November 2020).

Am 17. November sei eine Rakete, die für die Grüne Zone bestimmt gewesen sei, im al-Zawra Park explodiert und habe eine Frau getötet und fünf ZivilistInnen verletzt. Eine weitere dieser Raketen sei in der Medical City gelandet. (EPIC, 19. November 2020)

Am 26. November hätten Angehörige der Miliz Rab’a Allah ein Spa im Bezirk Karrada attackiert. Zwei Angestellte seien geschlagen worden und das Gebäude in Brand gesetzt worden. Am 3. Dezember habe ein Anschlag auf einen Nachtklub stattgefunden. (EPIC, 3. Dezember 2020)

Am 5. Dezember habe eine Explosion einen Autofahrer getötet. (EPIC, 10. Dezember 2020)

Am 12. Dezember sei ein Kind bei einem Anschlag auf eine Lehreinrichtung der Sicherheitskräfte verletzt worden. (EPIC, 17. Dezember 2020)

Am 4. Jänner habe eine Explosion drei Kinder verletzt (EPIC, 7. Jänner 2021).

Am 21. Jänner habe es den oben beschriebenen Doppelanschlag auf einem Markt im Zentrum Bagdads gegeben (EPIC, 21. Jänner 2021).

Am 23. Jänner habe eine Rakete, die für den Flughafen bestimmt gewesen sei, das Haus von Zivilisten getroffen (EPIC, 28. Jänner 2021).

Anfang Februar habe es eine Explosion vor einem Massagesalon im Bezirk Karrada gegeben (EPIC, 4. Februar 2021).

Am 9. Februar habe es eine Explosion auf der al-Binook Brücke gegeben. (EPIC, 11. Februar 2021)

Zwischen 25. Februar und 2. März sei ein Zivilist von bewaffneten Männern im Bezirk Binook erschossen worden, es habe eine Explosion im Bezirk Yusufiya gegeben und eine Granate habe ein Wohngebäude auf der Palästina-Straße beschädigt. (EPIC, 4. März 2021)

Am 7. März habe es zwei Explosionen vor privaten Häusern in den Bezirken Sadr City und al-Zafaraniyah gegeben. Am 8. März habe eine Handgranate eine Pilgerin auf der A’imma-Brücke getötet und sieben weitere PilgerInnen verletzt. (EPIC, 11. März 2021)

Am 24. März hätten bewaffnete Männer einen Zivilisten im Bezirk al-Shaab erschossen. (EPIC, 25. März 2021)

Quellen:

ACLED - Armed Conflict Location & Event Data Project: Datensatz heruntergeladen am 8. April 2021

https://www.acleddata.com/data/ BAMF – Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Deutschland): Briefing Notes, 25. Jänner 2021

https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Behoerde/Informationszentrum/BriefingNotes/2021/briefingnoteskw04-2021.pdf?__blob=publicationFile&v=4

EPIC – Enabling Peace in Iraq Center: ISHM: OCTOBER 29 – NOVEMBER 5, 2020, 5. November 2020 https://enablingpeace.org/ishm279/

EPIC – Enabling Peace in Iraq Center: ISHM: NOVEMBER 5 – NOVEMBER 12, 2020, 12. November 2020 https://enablingpeace.org/ishm280/

EPIC – Enabling Peace in Iraq Center: ISHM: NOVEMBER 12 – NOVEMBER 19, 2020, 19. November 2020 https://enablingpeace.org/ishm281/

EPIC – Enabling Peace in Iraq Center: ISHM: NOVEMBER 19 – DECEMBER 3, 2020, 3. Dezember 2020 https://enablingpeace.org/ishm282/

EPIC – Enabling Peace in Iraq Center: ISHM: DECEMBER 3 – DECEMBER 10, 2020, 10. Dezember 2020 https://enablingpeace.org/ishm283/

EPIC – Enabling Peace in Iraq Center: ISHM: DECEMBER 10 – DECEMBER 17, 2020, 17. Dezember 2020 https://enablingpeace.org/ishm284/

EPIC – Enabling Peace in Iraq Center: ISHM: DECEMBER 17 – DECEMBER 24, 2020, 24. Dezember 2020 https://enablingpeace.org/ishm285/· EPIC – Enabling Peace in Iraq Center: ISHM: DECEMBER 24, 2020 – JANUARY 7, 2021, 7. Jänner 2021

https://enablingpeace.org/ishm286/· EPIC – Enabling Peace in Iraq Center: ISHM: JANUARY 7 – JANUARY 14, 2021, 14. Jänner 2021

EPIC – Enabling Peace in Iraq Center: ISHM: JANUARY 14 – JANUARY 21, 2021, 21. Jänner 2021 https://enablingpeace.org/ishm288/

EPIC – Enabling Peace in Iraq Center: ISHM: JANUARY 21 – JANUARY 28, 2021, 28. Jänner 2021 https://enablingpeace.org/ishm289/

EPIC – Enabling Peace in Iraq Center: ISHM: JANUARY 28 – FEBRUARY 4, 2021, 4. Februar 2021 https://enablingpeace.org/ishm290/

EPIC – Enabling Peace in Iraq Center: ISHM: FEBRUARY 4 – FEBRUARY 11, 2021, 11. Februar 2021 https://enablingpeace.org/ishm291/

EPIC – Enabling Peace in Iraq Center: ISHM: FEBRUARY 11 – FEBRUARY 25, 2021, 25. Februar 2021 https://enablingpeace.org/ishm292/

EPIC – Enabling Peace in Iraq Center: ISHM: FEBRUARY 25 – MARCH 4, 2021, 4. März 2021

https://enablingpeace.org/ishm293/· EPIC – Enabling Peace in Iraq Center: ISHM: MARCH 4 – MARCH 11, 2021, 11. März 2021 https://enablingpeace.org/ishm294/

EPIC – Enabling Peace in Iraq Center: ISHM: MARCH 18 – MARCH 25, 2021, 25. März 2021 https://enablingpeace.org/ishm296/

Wing, Joel – Musings on Iraq: Security In Iraq November 2020, 3. Dezember 2020 https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/12/security-in-iraq-november-2020.html

Wing, Joel – Musings on Iraq: Islamic State Attacks Decline In December 2020, 4. Jänner 2021 https://musingsoniraq.blogspot.com/2021/01/islamic-state-attacks-decline-in.html

Wing, Joel – Musings on Iraq: Violence Continues To Decline In Iraq Winter 2020-21, 4. Februar 2021 https://musingsoniraq.blogspot.com/2021/02/violence-continues-to-decline-in-iraq.html

Wing, Joel – Musings on Iraq: Security In Iraq, Feb 22-28, 2021, 2. März 2021 https://musingsoniraq.blogspot.com/2021/03/security-in-iraq-feb-22-28-2021.html

Wing, Joel – Musings on Iraq: Violence In Iraq, March 2021, 5. April 2021 https://musingsoniraq.blogspot.com/2021/04/violence-in-iraq-march-2021.html

Folgen 2019 für Personen, die sich 2014 Zwangsrekrutierung durch schiitische Milizen widersetzten; Folgen für männlicher Geschwister des Verweigerers

Es konnten keine Informationen zu aktuellen Folgen bei Widersetzung von Zwangsrekrutierung gefunden werden. Dies bedeutet nicht notwendigerweise, dass derartige Vorfälle nicht vorkommen könnten.

Gebietskontrolle durch Asa‘ib Ahl al-Haqq (AAH)

Das Wilson Center, ein unabhängiges Forschungszentrum in Washington, D.C., hält in einem Artikel vom April 2018 fest, dass Asa‘ib Ahl al-Haqq (AAH) die drittgrößte schiitische Miliz im Irak und ein „Stellvertreter des Irans“ sei. Sie sei auch in Syrien aktiv gewesen und habe dort an der Seite der Hisbollah die Assad-Regierung unterstützt. Laut dem irakischen Geheimdienst habe der Iran der Miliz seit 2014 monatlich bis zu 2 Millionen Dollar (etwa 1,8 Mio Euro, Anm. ACCORD) zur Verfügung gestellt. Als AAH an Größe gewonnen habe, habe sie das Modell der Hisbollah im Libanon kopiert und politische Büros, religiöse Schulen und Sozialdienste eingerichtet, insbesondere im irakischen Süden und in Bagdad. Außerdem betreibe sie einen eigenen Fernsehsender namens Al-Ahed. Ihr politischer Flügel Al-Sadiqoon habe erstmals im Jahr 2014 an Parlamentswahlen teilgenommen, nachdem der (damalige, Anm. ACCORD) Premierminister Nouri al-Maliki sie eingeladen habe, daran teilzunehmen.

Die US-amerikanische Tageszeitung The Washington Post schreibt in einem im Jänner 2019 veröffentlichten Artikel, dass die großen und gut ausgestatteten schiitischen Milizen des Irak nun viele der sunnitischen Gebiete, in denen sie bei der Befreiung vom IS geholfen hätten, verwalten würden. Dies würde lokale Ressentiments fördern, was wiederum zum Wiederaufflammen der Unterstützung für den IS führen könne. Nachdem die schiitischen Milizen, darunter mehrere, die ideologisch mit dem Iran verbunden seien, im vergangenen Jahr fast ein Drittel der Sitze bei den Parlamentswahlen gewonnen hätten, besäßen sie eine beispiellose militärische und politische Macht im Irak. Ihr Aufstieg habe unter irakischen Politikern, sunnitischen Bewohnern und US-Beamten zu der Sorge geführt, dass die Milizführer einen Parallelstaat schaffen würden, der die Position der irakischen Zentralregierung untergrabe. Dies, so die Sorge, könne erneut zu Missständen in der sunnitischen Bevölkerung führen, ähnlich jenen, die bereits vor ein paar Jahren zu dem dramatischen Aufstieg des IS geführt hätten.

Die schiitischen Milizen seien im sunnitischen Kernland Iraks verbreitet, einschließlich der Provinzen Anbar, Salahaddin und Ninawa. In sunnitischen Städten hätten die Milizen politische und Rekrutierungsbüros eingerichtet und würden entlang von Hauptstraßen, sowie entlang von kleineren Straßen, Checkpoints betreiben und Steuern auf Lastwagentransporte von Öl, Haushaltswaren und Lebensmittel erheben. Einige Milizionäre hätten sich laut mehrerer irakischer und US-amerikanischer Beamte an „mafiösen Praktiken“ beteiligt. Sie würden Schutzgeld von großen und kleinen Unternehmen fordern und an Checkpoints das Passieren von Autofahrern für Erpressungstaktiken benutzen.

Michael Knights ist ein in Boston ansässiger Militär- und Sicherheitsexperte für die Länder Irak, Iran und die Staaten des Persischen Golfs. In einem Bericht zu den sich ausbreitenden Milizen im Irak, der im August 2019 in einer Publikation des Combating Terrorism Center, einer akademischen Einrichtung an der United States Military Academy in West Point, New York, veröffentlicht wurde, schreibt Knights, dass die AAH, bestehend aus den PMF-Brigaden 41, 42 und 43, seien von einer kleinen sadristischen (nach dem schiitischen Kleriker Muqtada al-Sadr, Anm. ACCORD) Splittergruppe von weniger als 3.000 Mitgliedern im Jahr 2011 zu einer aus drei Brigaden bestehenden Streitkraft von etwa 10.000 Mitgliedern herangewachsen.

Zur Präsenz der AAH im Norden Bagdads und in der Provinz Salahaddin hält der Bericht fest, dass AAH in den Gebieten nördlich Bagdads („in the swathe of northern Baghdad belts“) und im Süden der Provinz Salahaddin, einschließlich Tadschi, Dudschail und Balad eine dominierende Stellung haben. In diesem Gebiet leite der zur AAH gehörende Ali Hadsch Safa al-Saadi das PMF Einsatzkommando für Salahaddin, das nach offiziellen Angaben das gesamte Tigris-Tal innerhalb Salahaddins abdecke. In der Praxis überlasse die AAH-Führung anderen Milizen ihre eigenen Subsektoren innerhalb der Provinz Salahaddin - so kontrolliere die Miliz von Moqtada al-Sadr, Saraya al-Salam, exklusiv die Stadt Samarra. AAH sei nur zwischen den Städten Samarra und Bagdad der dominierende wirtschaftliche und politische Akteur. Im Juli 2018 hätten sich sunnitische Stammesgruppen in diesem Gebiet gezwungen gesehen, sich gegen Einschüchterung und Erpressung durch die AAH zur Wehr zu setzen. Kriminelle Netzwewrke der AAH hätten durch Plünderungen zur vollständigen Zerstörung der größten Raffinerie des Irak geführt. Es sei vonseiten der AAH auf mit den USA kooperierende Firmen abgezielt worden und Großgerät zur Unterstützung des irakischen F-16-Programms auf dem Luftstützpunkt Balad sei gestohlen worden. Im Mai 2019 seien Raketen auf den US-amerikanischen Beratungsstützpunkt in Tadschi geschossen worden, die nach Einschätzung der US-Behörden von den AAH abgefeuert worden seien. Zwei AAH-Mitglieder seien von lokalen Sicherheitskräften im Zusammenhang mit diesem Angriff verhaftet worden.

Zur Präsenz der AAH in der Stadt Bagdad hält der Bericht zudem fest, dass innerhalb der Stadt sich einzelne Milizen Zonen einverleibt hätten, in denen sie eine dominierende Stellung einnehmen würden.

Für die Miliz Kata‘ib Hisbollah sei dies die Palästina Straße, für Saraya al-Salam und AAH das Viertel Sadr City und für Badr und Kata‘ib al-Imam Ali die Viertel Karrada und Dschadiriya. In diesen Bereichen würden die jeweils dominierenden Milizen die meisten der dort stattfindenden Immobilientransaktionen und Wirtschaftsunternehmen besteuern.

ACCORD hält in der im Juli 2019 veröffentlichten Ausgabe seines Themendossiers zu schiitischen Milizen im Irak unter Verweis auf verschiedene Quellen zu Präsenz und Einfluss der PMF und konkret der AAH fest, dass Al-Araby Al-Jadeed im Oktober 2018 berichtet habe, dass sich PMF-Milizen im Norden und im Westen des Landes ohne spezielle Anordnung der irakischen Regierung wieder ausbreiten würden.

Laut einem ranghohen Mitarbeiter von Premierminister Al-Abadi sind 80 Prozent der PMF Milizen im Norden und Westen des Irak stationiert. Der Artikel erwähnt, ohne dabei Quellen zu nennen, die Präsenz von Milizen in 20 Städten und Distrikten, insbesondere in den Provinzen Anbar, Diyala Salahaddin, Kirkuk und Ninawa sowie an der Grenze zu Syrien.

Zudem gibt es Stützpunkte in Tadschi (bei Bagdad) sowie in Nasiriya zum Schutz schiitischer Pilger. Die Milizen stellen Checkpoints und Sicherheitsbarrieren auf, führen Hausdurchsuchungen und Razzien durch und übernehmen damit Aufgaben aus dem Zuständigkeitsbereich der irakischen Armee. Genannt werden die Milizen Asa’ib Ahl Al-Haqq, Kata’ib Hisbollah, Saraya Al-Khorasani; Badr, Hisbollah Al-Nudschaba, Kata’ib Imam Ali, die Abbas-Kampfdivision und weitere (Al-Araby Al-Jadeed, 18. Oktober 2018).“ (ACCORD, 22. Juli 2019, Abschnitt 2)

„Asa’ib Ahl al-Haqq mit ihrem Anführer Qais Al-Khazali verfügt über etwa 15.000 Kämpfer und zwölf Sitze im Parlament.“ (The Soufan Center, 20. März 2019).“ (ACCORD, 22. Juli 2019)

Quellen:

ACCORD – Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation: Anfragebeantwortung zum Irak: Schiitische Milizen: Mechanismen der Gebietskontrolle; Konkurrrenz zur Polizei; Unterwanderung der Polizei; Einfluss auf die Ministerien, die Justiz und andere staatliche Institutionen [a-10698-3 (10700)], 7. September 2018 https://www.ecoi.net/de/dokument/1452502.html

ACCORD – Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation: Anfragebeantwortung zum Irak: Rekrutierung von schiitischen Milizen (insb. Asaib Ahl al-Haqq), Konsequenzen bei Weigerung [a-10893-2], 27. Februar 2019 https://www.ecoi.net/de/document/2003356.html

ACCORD – Austrian Centre for Country of Origin and Asylum Research and Documentation: ecoi.net-Themendossier zum Irak: Schiitische Milizen, 22. Juli 2019 https://www.ecoi.net/de/dokument/2013050.html

CTC - Combating Terrorism Center at West Point: Iran’s Expanding Militia Army in Iraq: The New Special Groups (Autor: Michael Knights), August 2019 https://ctc.usma.edu/irans-expanding-militia-army-iraq-new-special-groups

Global Security: Hashd al-Shaabi / Hashd Shaabi Popular Mobilisation Units / People’s Mobilization Forces, 18. Juli 2019 https://www.globalsecurity.org/military/world/para/hashd-al-shaabi.htm

Jamestown Foundation: A Short Profile of Iraq’s Shi’a Militias, Terrorism Monitor Volume: 13 Issue: 8, 17. April 2015 https://www.ecoi.net/de/dokument/1199044.html

MEE - Middle East Eye: Iraqi Sunnis join Shia militias to fight IS militants, 15. Juni 2015 https://www.middleeasteye.net/news/iraqi-sunnis-join-shia-militias-fight-militants

NBC News: Animosity Between Sunnis and Shiites Might Doom Iraq's ISIS Fight, 23. Juni 2015 https://www.nbcnews.com/storyline/isis-uncovered/badr-organization-isis-n384986

The New Arab (Al Araby Al Jadeed): Anbar refugees 'forced into militias to fight IS group', 8. Mai 2015 https://www.alaraby.co.uk/english/news/2015/5/8/anbar-refugees-forced-into-militias-to-fightis-group

Time Magazine: A 6-Point Plan to Defeat ISIS in the Propaganda War, 30. März 2015 https://time.com/3751659/a-6-point-plan-to-defeat-isis-in-the-propaganda-war/

Washington Post (The): As Iraq's Shiite militias expand their reach, concerns about an ISIS revival grow, 9. Jänner 2019 https://www.washingtonpost.com/world/as-iraqs-shiite-militias-expand-their-reach-concernsabout-an-isis-revival-grow/2019/01/09/52da575e-eda9-11e8-8b47-bd0975fd6199_story.html? noredirect=on

Wilson Center: Part 2: Pro-Iran Militias in Iraq (AutorInnen: Garrett Nada und Mattisan Rowan), 27. April 2018 https://www.wilsoncenter.org/article/part-2-pro-iran-militias-iraq

Allgemeine Lage der Sunniten:

Es gibt eine lange Geschichte von Spannungen zwischen sunnitischen und schiitischen Arabern. Das Sektierertum nahm nach der US-Invasion 2003 in heftigen Wellen rapide zu. AQ-I, die sunnitische Widerstandsbewegung gegen die US-Besatzung nach der Absetzung von Saddam Hussein im Jahr 2003, zielte nicht nur auf die US-amerikanischen und ausländischen Besatzungstruppen, sondern auch auf die lokale schiitische Bevölkerung und schürte so sektiererische Spannungen, die 2006-2007 in einem Bürgerkrieg gipfelten.

In der Zeit nach dem Rückzug der US-Truppen im Jahr 2011 nutzte die salafistische Dschihadistengruppe ISIL, die Nachfolgerin von AQ-I, die wachsende Entmündigungsstimmung innerhalb der irakischen sunnitischen Bevölkerung. Die Expansion des ISIL und die Militäroperationen gegen die Gruppe seit 2014 lösten eine interne Vertreibungskrise im Irak aus und schufen weiteres Misstrauen in der Bevölkerung.

Sunnitische Araber können aufgrund bestimmter individueller Faktoren wie (wahrgenommene) familiäre Verbindungen zu ISIL-Mitgliedern, Herkunftsgebiet und Fluchtzeit, Stamm, Name usw. als mit dem ISIL verbunden wahrgenommen werden.

Mögliche Indikatoren für eine Verbindung mit ISIL sind beispielsweise, wenn ein sunnitischer Araber in einem ehemaligen ISIL-Gebiet lebte und in einem späten Stadium der Kämpfe aus dem Gebiet floh; oder ein Familienmitglied als ISIL-Verdächtiger festnehmen ließ.

Wenn eine Person einem Stamm angehört, von dem (oder Teilen davon) bekannt ist, dass er den IS unterstützt hat, kann er oder sie auch als ISIL-Sympathisant angesehen werden. Viele sunnitische Stämme spalten sich in Pro- und Anti-ISIL-Fraktionen auf, was die Spaltung unter der sunnitischen Bevölkerung verschärft und kaum einen Stamm ohne Mitglieder zurücklässt, die mit dem ISIL verbunden sind oder ihn unterstützen.

Darüber hinaus kann die Herkunft aus einem Dorf oder einer Stadt, von denen bekannt ist, dass sie ISIL unterstützt haben, den Verdacht einer ISIL-Zugehörigkeit verstärken.

Es kann sogar ernsthaften Verdacht erwecken, einen Namen – oder ein Familienmitglied mit einem Namen – zu haben, der dem eines ISIL-Verdächtigen ähnelt, obwohl viele irakische Bürger denselben Namen haben. Es gibt zahlreiche Fälle von Personen in Haft, nur weil ihr Name dem eines Terrorverdächtigen ähnelt.

Sunnitische Araber, die als ISIL-Mitglieder gelten, laufen Gefahr, nach dem Anti-Terror-Gesetz von 2005 festgenommen und strafrechtlich verfolgt zu werden. Darüber hinaus wird in früheren Berichten von Vergeltungsgewalt gegen sie berichtet, die von Elementen der ISF und mit der ISF verbundenen Kräften, einschließlich PMU und Minderheitenmilizen, verübt wurde. Die PMU waren an außergerichtlichen Hinrichtungen und anderen rechtswidrigen Tötungen, Folter, Verschwindenlassen, Entführungen und Erpressungen von (männlichen) sunnitischen Zivilisten beteiligt, anscheinend als Rache für die Angriffe des ISIL gegen die schiitische Gemeinschaft. Trotz der beträchtlichen Handlungsfreiheit, die Milizen im Irak wahren, gab es nach dem Ende des militärischen Kampfes gegen den IS weniger Berichte über solche Übergriffe. Racheakte in Form von Abfangen, Verschwindenlassen und Töten von Sunniten durch die ISF und angeschlossene Streitkräfte wurden im Zeitraum 2014-2017 registriert, wobei die Mehrzahl der gemeldeten Vorfälle zwischen 2014 und 2016 stattfanden. Berichte über Menschenrechtsverletzungen durch die PMU und/oder Regierungstruppen sind weniger verbreitet, insbesondere nachdem Großayatollah al-Sistani im Juni 2016 gewarnt hatte, dass Nicht-Kombattanten nicht verletzt werden sollten, und der Badr-Führer Hadi al-Ameri schwor, die Verantwortlichen zur Verantwortung zu ziehen für Missbrauch zur Rechenschaft gezogen.

Es gab auch Berichte über willkürliche Festnahmen und einige Fälle von Verschwindenlassen durch kurdische Sicherheitskräfte und bewaffnete jesidische Gruppen sowie Vergeltungsangriffe gegen sunnitische Araber und deren Eigentum im Rahmen von Operationen zur Rückeroberung des ISIL-Gebiets.

Einige sunnitische Binnenvertriebene wurden durch eine Mischung aus komplizierten bürokratischen Verfahren und Auflagen sowie Einschüchterungstaktiken wie Entführungen, willkürliche Inhaftierungen und im Fall von Diyala außergerichtliche Hinrichtungen an der Rückkehr in ihre Städte und Dörfer gehindert. Sicherheitsakteure, Stammesführer und lokale Gemeinschaften haben sunnitisch-arabische Binnenvertriebene, von denen vermutet wird, dass sie Verbindungen zum IS haben, verweigerten Rückführungen, erzwungenen Umsiedlungen und Vertreibungen aus Lagern und informellen Siedlungen sowie erzwungenen und vorzeitigen Rückführungen ausgesetzt, was oft zu sekundärer Vertreibung führt.

Situation sunnitischer Araber in Bagdad

Milizen in Bagdad werden von Sunniten häufig beschuldigt, Gewalt gegen sie ausgeübt zu haben. Sunniten fürchten vor allem, Opfer von Erpressung, Entführung oder Enteignung ihres Eigentums durch schiitische Milizen in Bagdad zu werden. Quellen berichteten, dass es schwierig sei, die Verantwortung für Angriffe bestimmten Tätern in Bagdad zuzuschreiben, und Sprengstoff sowohl für politische als auch für kriminelle Zwecke verwendet werde, um Ziele anzugreifen und einzuschüchtern. Es kann schwierig sein, Akteure zu bestimmen, obwohl es sich höchstwahrscheinlich hauptsächlich um Milizen und Banden handelt; Aufgrund der starken Verbindungen zwischen den beiden ist eine Unterscheidung nicht immer möglich.

Risikoanalyse

Die Handlungen, denen sunnitische Araber, die als mit dem ISIL verbunden gelten, ausgesetzt sein könnten, sind so schwerwiegend, dass sie einer Verfolgung gleichkommen (z. B. willkürliche Verhaftung, Todesstrafe, Folter). In anderen Fällen könnten Einzelpersonen (ausschließlich) diskriminierenden Maßnahmen ausgesetzt sein, und bei der individuellen Beurteilung, ob Diskriminierung einer Verfolgung gleichkommen könnte oder nicht, sollte die Schwere und/oder Wiederholung der Handlungen berücksichtigt werden oder ob sie als Anhäufung verschiedener Maße.

Die verfügbaren Informationen deuten darauf hin, dass die bloße Tatsache, dass eine Person ein sunnitischer Araber ist, normalerweise nicht zu einer begründeten Furcht vor Verfolgung führen würde. Bei der individuellen Beurteilung, ob eine hinreichende Wahrscheinlichkeit einer Verfolgung des Antragstellers besteht oder nicht, sollten risikobeeinflussende Umstände berücksichtigt werden, wie etwa: Herkunftsgebiet, Stamm usw.

Bei einer wahrgenommenen Zugehörigkeit zum ISIL wäre im Allgemeinen eine begründete Furcht vor Verfolgung begründet (siehe 2.1 Personen, die als ISIL-assoziiert wahrgenommen werden). Die Beurteilung, ob der Antragsteller als ISIL-Mitglied wahrgenommen würde, hängt von den individuellen Umständen ab, wie (wahrgenommenen) familiären Verbindungen zu ISIL-Mitgliedern, Herkunftsort und/oder Wohnsitz in einem ehemals von ISIL gehaltenen Gebiet während der ISIL-Kontrolle und -Zeit Flucht, (gefühlte) Stammeszugehörigkeit zum ISIL, Name etc.

Sunniten sind, obwohl sie in Bagdad zahlenmäßig von der schiitischen Mehrheit unterlegen sind, und mit abnehmenden gemischten Wohngebieten, immer noch in Gesellschaft und Regierung vertreten. Obwohl es sich um eine Minderheit im Land handelt, gibt es Gebiete – insbesondere im West- und Zentralirak –, in denen sie die lokale Mehrheit bilden. Im Mai 2018 veränderte eine nationale Wahl die politische Landschaft, als eine Koalition aus Schiiten, säkularen Sunniten und Kommunisten die meisten Sitze im irakischen Parlament gewann.

Allerdings ist die Behandlung von Sunniten durch den Staat aufgrund ihrer Art und Wiederholung im Allgemeinen nicht schwerwiegend genug, wenn die Regierung nicht durch ihre besonderen Aktivitäten nachteilig auf sie aufmerksam geworden ist oder sie als Unterstützer oder als Angehörige des Daesh betrachtet, um die hohe Schwelle zu erreichen, um eine Verfolgung oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung darzustellen.

Quelle:

Sunni Arabs: in EASO Country Guidance: Iraq Common Analysis and guidance note, January 2021, S 66 – 68) [http://www.easo.europa.eu/country-guidance-iraq-2021]

Innerstaatliche Fluchtalternative

Die Umsiedlung nach Bagdad ist für arabische, schiitische und sunnitische alleinstehende, arbeitsfähige Männer und verheiratete Paare im arbeitsfähigen Alter ohne Kinder und ohne besondere Schutzbedürftigkeit zumutbar. Andere Personen benötigen wahrscheinlich externe Unterstützung, dh ein Unterstützungsnetzwerk von Mitgliedern ihrer oder ihrer Familie, Großfamilie oder ihres Stammes, die bereit und in der Lage sind, echte Unterstützung zu leisten. Ob ein solches Unterstützungsnetzwerk verfügbar ist, ist unter Bezugnahme auf den kollektivistischen Charakter der irakischen Gesellschaft zu prüfen.

Quelle:

Internal relocation: in Home Office, Country Policy and Information Note Iraq: Sunni Arabs, January 2021, S 8.

Medizinische Versorgung

Das Gesundheitswesen besteht aus einem privaten und einem öffentlichen Sektor. Grundsätzlich sind die Leistungen des privaten Sektors besser, zugleich aber auch teurer. Ein staatliches Krankenversicherungssystem existiert nicht. Alle irakischen Staatsbürger, die sich als solche ausweisen können - für den Zugang zum Gesundheitswesen wird lediglich ein irakischer Ausweis benötigt - haben Zugang zum Gesundheitssystem. Fast alle Iraker leben etwa eine Stunde vom nächstliegenden Krankenhaus bzw. Gesundheitszentrum entfernt. In ländlichen Gegenden lebt jedoch ein bedeutender Teil der Bevölkerung weiter entfernt von solchen Einrichtungen (IOM 1.4.2019). Staatliche wie private Krankenhäuser sind fast ausschließlich in den irakischen Städten zu finden. Dort ist die Dichte an praktizierenden Ärzten, an privaten und staatlichen Kliniken um ein Vielfaches größer. Gleiches gilt für Apotheken und medizinische Labore. Bei der Inanspruchnahme privatärztlicher Leistungen muss zunächst eine Art Praxisgebühr bezahlt werden. Diese beläuft sich in der Regel zwischen 15.000 und 20.000 IQD (Anm.: ca. 12-16 EUR). Für spezielle Untersuchungen und Laboranalysen sind zusätzliche Kosten zu veranschlagen. Außerdem müssen Medikamente, die man direkt vom Arzt bekommt, gleich vor Ort bezahlt werden. In den staatlichen Zentren zur Erstversorgung entfällt zwar in der Regel die Praxisgebühr, jedoch nicht die Kosten für eventuelle Zusatzleistungen. Darunter fallen etwa Röntgen- oder Ultraschalluntersuchungen (GIZ 12.2019).

Insgesamt bleibt die medizinische Versorgungssituation angespannt (AA 12.1.2019). Auf dem Land kann es bei gravierenden Krankheitsbildern problematisch werden. Die Erstversorgung ist hier grundsätzlich gegeben; allerdings gilt die Faustformel: Je kleiner und abgeschiedener das Dorf, umso schwieriger die medizinische Versorgung (GIZ 12.2019). In Bagdad arbeiten viele Krankenhäuser nur mit deutlich eingeschränkter Kapazität. Die Ärzte und das Krankenhauspersonal gelten generell als qualifiziert, viele haben aber aus Angst vor Entführung oder Repression das Land verlassen. Korruption ist verbreitet. Die für die Grundversorgung der Bevölkerung besonders wichtigen örtlichen Gesundheitszentren (ca. 2.000 im gesamten Land) sind entweder geschlossen oder wegen baulicher, personeller und Ausrüstungsmängel nicht in der Lage, die medizinische Grundversorgung sicherzustellen (AA 12.1.2019). Spezialisierte Behandlungszentren für Personen mit psychosoziale Störungen existieren zwar, sind jedoch nicht ausreichend (UNAMI 12.2016). Laut Weltgesundheitsorganisation ist die primäre Gesundheitsversorgung nicht in der Lage, effektiv und effizient auf die komplexen und wachsenden Gesundheitsbedürfnisse der irakischen Bevölkerung zu reagieren (WHO o.D.).

Die große Zahl von Flüchtlingen und IDPs belastet das Gesundheitssystem zusätzlich. Hinzu kommt, dass durch die Kampfhandlungen nicht nur eine Grundversorgung sichergestellt werden muss, sondern auch schwierige Schusswunden und Kriegsverletzungen behandelt werden müssen (AA 12.1.2019). Für das Jahr 2020 werden in Flüchtlingslagern der kurdischen Gouvernements Dohuk und Sulaymaniyah erhebliche Lücken in der Gesundheitsversorgung erwartet, die auf Finanzierungsengpässe zurückzuführen sind (UNOCHA 17.2.2020).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf, Zugriff 13.3.2020

- GIZ - Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (12.2019): Alltag, https://www.liportal.de/irak/alltag/, Zugriff 13.3.2020

- IOM - Internationale Organisation für Migration (1.4.2019): Länderinformationsblatt Irak (Country Fact Sheet 2018), https://milo.bamf.de/milop/livelink.exe/fetch/2000/702450/698578/704870/698617/18363939/Irak_%2D_Country_Fact_Sheet_2018%2C_deutsch.pdf?nodeid=20101157&vernum=-2, Zugriff 13.3.2020

- UNAMI - United Nations Assistance Mission to Iraq (12.2016): Report on the Rights of Persons with Disabilities in Iraq, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/UNAMI_OHCHR__Report_on_the_Rights_of_PWD_FINAL_2Jan2017.pdf, Zugriff 13.3.2020

- UN OCHA - United Nations Office for the Coordination of Humanitarian Affairs (17.2.2020): Iraq: Humanitarian Bulletin, https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/humanitarian-bulletin-january-2020.pdf, Zugriff 13.3.2020

- WHO - World Health Organization (o.D.): Iraq: Primary Health Care, http://www.emro.who.int/irq/programmes/primary-health-care.html, Zugriff 13.3.2020

19       Grundversorgung und Wirtschaft

Der Staat kann die Grundversorgung der Bürger nicht kontinuierlich und in allen Landesteilen gewährleisten (AA 12.1.2019). Der irakische humanitäre Reaktionsplan schätzt, dass im Jahr 2019 etwa 6,7 Millionen Menschen dringend Unterstützung benötigten (IOM o.D.; vgl. USAID 30.9.2019). Trotz internationaler Hilfsgelder bleibt die Versorgungslage für ärmere Bevölkerungsschichten schwierig. Die grassierende Korruption verstärkt vorhandene Defizite zusätzlich. In vom Islamischen Staat (IS) befreiten Gebieten muss eine Grundversorgung nach Räumung der Kampfmittel erst wieder hergestellt werden. Einige Städte sind weitgehend zerstört. Die Stabilisierungsbemühungen und der Wiederaufbau durch die irakische Regierung werden intensiv vom United Nations Development Programme (UNDP) und internationalen Gebern unterstützt (AA 12.1.2019).

Nach Angaben der UN-Agentur UN-Habitat leben 70% der Iraker in Städten, die Lebensbedingungen von einem großen Teil der städtischen Bevölkerung gleichen denen von Slums (AA 12.1.2019). Die Iraker haben eine dramatische Verschlechterung in Bezug auf die Zurverfügungstellung von Strom, Wasser, Abwasser- und Abfallentsorgung, Gesundheitsversorgung, Bildung, Verkehr und Sicherheit erlebt. Der Konflikt hat nicht nur in Bezug auf die Armutsraten, sondern auch bei der Erbringung staatlicher Dienste zu stärker ausgeprägten räumlichen Unterschieden geführt. Der Zugang zu diesen Diensten und deren Qualität variiert demnach im gesamten Land erheblich (K4D 18.5.2018). Die über Jahrzehnte internationaler Isolation und Krieg vernachlässigte Infrastruktur ist sanierungsbedürftig (AA 12.1.2019).

Wirtschaftslage

Der Irak erholt sich nur langsam vom Terror des IS und seinen Folgen. Nicht nur sind ökonomisch wichtige Städte wie Mossul zerstört worden. Dies trifft das Land, nachdem es seit Jahrzehnten durch Krieg, Bürgerkrieg, Sanktionen zerrüttet wurde. Wiederaufbauprogramme laufen bereits, vorsichtig-positive Wirtschaftsprognosen traf die Weltbank im April 2019 (GIZ 1.2020c). Iraks Wirtschaft erholt sich allmählich nach den wirtschaftlichen Herausforderungen und innenpolitischen Spannungen der letzten Jahre. Während das BIP 2016 noch um 11% wuchs, verzeichnete der Irak 2017 ein Minus von 2,1%. 2018 zog die Wirtschaft wieder an und verzeichnete ein Plus von ca. 1,2% aufgrund einer spürbaren Verbesserung der Sicherheitsbedingungen und höherer Ölpreise. Für 2019 wurde ein Wachstum von 4,5% und für die Jahre 2020–23 ebenfalls ein Aufschwung um die 2-3%-Marke erwartet (WKO 18.10.2019).

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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