TE Bvwg Erkenntnis 2021/8/3 G307 2183579-1

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Veröffentlicht am 03.08.2021
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Entscheidungsdatum

03.08.2021

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §2 Abs1 Z13
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1
FPG §55 Abs1a
FPG §55 Abs2
FPG §55 Abs3

Spruch


G307 2183579-1/12E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Markus MAYRHOLD als Einzelrichter über die Beschwerde des XXXX, geboren am XXXX, StA.: Irak, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 20.12.2017,
Zahl XXXX, nach öffentlicher mündlicher Verhandlung zu Recht erkannt:

A)       Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)       Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text

Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer (im Folgenden: BF) stellte am 28.09.2015 einen Antrag auf Gewährung internationalen Schutzes gemäß § 2 Abs. 1 Z 13 des Asylgesetzes 2005 (AsylG 2005).

2. Am 30.09.2015 fand vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes des XXXX in XXXX die polizeiliche Erstbefragung des BF statt.

3. Am 21.11.2017 wurde der BF im Asylverfahren niederschriftlich durch ein Organ des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl der Regionaldirektion Wien (im Folgenden: BFA) zu seinen Fluchtgründen, der Fluchtroute und persönlichen Verhältnissen einvernommen.

4. Mit den oben im Spruch genannten Bescheid des BFA, dem BF persönlich zugestellt am 27.12.2017, wurde der gegenständliche Antrag auf Erteilung internationalen Schutzes bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.), bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Irak gemäß § 8 Abs. 1 iVm. § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG abgewiesen (Spruchpunkt II.), ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt III.), gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm. § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.), gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG in den Irak zulässig sei (Spruchpunkt V.) sowie gemäß § 55 Abs. 1 und 3 FPG eine zweiwöchige Frist zur freiwilligen Ausreise festgesetzt (Spruchpunkt VI.).

5. Mit 17.01.2018 per Telefax beim BFA eingebrachtem Schreiben erhob der BF durch die damalige Rechtsvertretung (RV), der Diakonie, gemeinnützige Flüchtlingsgesellschaft mbH – ARGE Rechtsberatung Beschwerde gegen den oben genannten Bescheid an das Bundesverwaltungsgericht (im Folgenden: BVwG).

Darin wurde beantragt, die „Rechtsmittelbehörde“ möge den angefochtenen Bescheid der „Erstbehörde“ dahingehend abändern, dass dem vom BF gestellten Antrag auf Gewährung internationalen Schutzes Folge gegeben und ihm der Status eines Asylberechtigten zuerkannt werde, in eventu möge dem BF der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt, in eventu ihm ein Aufenthaltstitel gemäß §§ 55, 57 AsylG erteilt werden, darüber hinaus mögen die gegen die ausgesprochene Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG und der Ausspruch über die Zulässigkeit der Abschiebung in den Irak aufgehoben und eine mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht (BVwG) anberaumt werden.

6. Die gegenständliche Beschwerde und der zugehörige Verwaltungsakt wurden vom BFA am 18.01.2018 vorgelegt und langten dort am 19.01.2018 ein.

7. Am 13.07.2021 fand in der Außenstelle Graz des Bundesverwaltungsgerichtes eine öffentliche mündliche Verhandlung statt, an welcher der BF und seine RV teilnahmen sowie ein Dolmetsch der Sprache Arabisch beigezogen wurde. In deren Zuge wurde auch eine abschließende Stellungnahme zur Situation des BF vorgelegt. Eine (weitere) Stellungnahme zu den in der Verhandlung vorgelegten Länderdokumenten innerhalb der 14tägigen Frist blieb aus.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

1.1. Der BF führt die im Spruch angegebene Identität (Namen und Geburtsdatum), ist irakischer Staatsbürger, ledig, beziehungslos, gehört der arabischen Volksgruppe an und bekennt sich zum sunnitschen Islam. Er ist kinderlos, keine Obsorgepflichten ausgesetzt, gesund und arbeitsfähig.

1.2. Der BF wurde in Bagdad geboren, wo von 2001 bis 2006 die Grund-, danach zwischen 2007 und 2015 die Mittelschule besuchte. Eine diesbezügliche Reifeprüfung legte er nicht ab. Daneben sicherte er von 2012 bis 2015 seinen Lebensunterhalt als Verkäufer von Kfz-Ersatzteilen.

1.3. Am 27.08.2015 ließ sich der BF von der zuständigen Passbehörde einen Reisepass ausstellen. Der BF verließ das Haus seiner Eltern, in dem er bis zuletzt wohnte, an einem Tag ab dem 02.09.2015 und begab sich bis zu seinem Abflug am 15.09.2015 zu seinem im Bagdader Stadtteil „XXXX“ lebenden Onkel.

1.4. Der BF geht und ging in Österreich keiner Erwerbstätigkeit nach, sondern lebt überwiegend von Leistungen aus der staatlichen Grundversorgung. Der BF verrichtete in den Jahren 2016 und 2017 für die Organisation „XXXX“ an 2 Tagen pro Woche Gartenarbeiten, wobei ihm die dahingehend täglich erbrachte Stundenleistung nicht bekannt ist. Aktuell besucht der BF täglich zwischen 08:00 und 10:00 Uhr einen Integrationskurs. Das Ende dieses Kurses ist mit XXXX.2021 angesetzt. Es konnte nicht festgestellt werden, dass der BF arbeitsunfähig wäre.

1.5. Der BF besitzt keine Deutschkenntnisse eines bestimmten Niveaus. Seit XXXX.2021 besucht der BF in der Volkshochschule XXXX (neuerlich) einen Deutsch-Basiskurs des Niveaus „B1“. Dieser ist bis XXXX.2021 geplant.

1.6. XXXX, Mitarbeiterin der Wohnbetreuung des Flüchtlingsprojektes XXXX, beschreibt den BF als hilfsbereit und nicht arbeitsscheu. Der BF ist im Besitz eines Arbeitsvorvertrages mit der XXXX, etabliert in XXXX, XXXX, laut welchem er im Ausmaß von 38 Wochenstunden als Hilfsarbeiter für Transport- und Ladetätigkeiten eingestellt werden soll. Dieser Vertrag ist an einen Zugang zum Arbeitsmarkt gebunden.

1.7. Es konnte nicht festgestellt werden, dass Angehörige die schiitische Miliz Asaib ahl al haq gegenüber dem BF (und auch seinen Eltern) asylrelevante Verfolgungshandlungen gesetzt haben. Im Ergebnis konnte nicht festgestellt werden, dass der BF im Irak einer in die Asylsphäre hineinreichenden Bedrohungslage ausgesetzt war und ist. Es konnte ferner nicht festgestellt werden, dass sich die Eltern, Geschwister und der Onkel des BF seit 2017 in der Türkei aufhalten.

1.8. Es konnte auch nicht festgestellt werden, dass der BF im Fall der Rückkehr in den Herkunftsstaat mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit einer Verfolgungsgefahr ausgesetzt wäre oder, dass sonstige Gründe vorliegen, die einer Rückkehr oder Rückführung (Abschiebung) in den Herkunftsstaat entgegenstünden.

1.9. Zur Lage im Herkunftsstaat wurden die für das gegenständliche Verfahren relevanten Auszüge aus dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zum Irak vom 17.03.2020, zuletzt generiert am 12.07.2021, sowie eine Anfragenbeantwortung von ACCORD über die Schiitischen Milizen im Irak (Stand: 21.06.2021) in das Verfahren eingebunden.

I. Allgemeine Lage:

Politische Lage

Die politische Landschaft des Irak hat sich seit dem Sturz Saddam Husseins im Jahr 2003 enorm verändert (KAS 2.5.2018) und es wurde ein neues politisches System im Irak eingeführt (Fanack 2.9.2019). Gemäß der Verfassung vom 15.10.2005 ist der Irak ein islamischer, demokratischer, föderaler und parlamentarisch-republikanischer Staat (AA 12.1.2019; vgl. GIZ 1.2020a; Fanack 2.9.2019), der aus 18 Gouvernements (muhafaz?t) besteht (Fanack 2.9.2019). Artikel 47 der Verfassung sieht eine Gewaltenteilung zwischen Exekutive, Legislative und Judikative vor (RoI 15.10.2005). Die Kurdische Region im Irak (KRI) ist Teil der Bundesrepublik Irak und besteht aus den drei nördlichen Gouvernements Dohuk, Erbil und Sulaymaniyah. Sie wird von einer Regionalverwaltung, der kurdischen Regionalregierung (Kurdistan Regional Government, KRG), verwaltet und verfügt über eigene Streitkräfte (Fanack 2.9.2019). Beherrschende Themenblöcke der irakischen Innenpolitik sind Sicherheit, Wiederaufbau und Grundversorgung, Korruptionsbekämpfung und Ressourcenverteilung, die systemisch miteinander verknüpft sind (GIZ 1.2020a).

An der Spitze der Exekutive steht der irakische Präsident, der auch das Staatsoberhaupt ist. Der Präsident wird mit einer Zweidrittelmehrheit des irakischen Parlaments (majlis al-nuww?b, engl.: Council of Representatives, dt.: Repräsentantenrat) für eine Amtszeit von vier Jahren gewählt und kann einmal wiedergewählt werden. Er genehmigt Gesetze, die vom Parlament verabschiedet werden. Der Präsident wird von zwei Vizepräsidenten unterstützt, mit denen er den Präsidialrat bildet, welcher einstimmige Entscheidungen trifft (Fanack 2.9.2019).

Der Premierminister wird vom Präsidenten designiert und vom Parlament bestätigt (Fanack 2.9.2019; vgl. RoI 15.10.2005). Der Premierminister führt den Vorsitz im Ministerrat und leitet damit die tägliche Politik und ist auch Oberbefehlshaber der Streitkräfte (Fanack 27.9.2018).

Die gesetzgebende Gewalt, die Legislative, wird vom irakischen Repräsentantenrat (Parlament) ausgeübt (Fanack 2.9.2019). Er besteht aus 329 Abgeordneten (CIA 28.2.2020; vgl. GIZ 1.2020a). Neun Sitze werden den Minderheiten zur Verfügung gestellt, die festgeschriebene Mindest-Frauenquote im Parlament liegt bei 25% (GIZ 1.2020a).

Nach einem ethnisch-konfessionellen System (Muhasasa) teilen sich die drei größten Bevölkerungsgruppen des Irak - Schiiten, Sunniten und Kurden - die Macht durch die Verteilung der Ämter des Präsidenten, des Premierministers und des Parlamentspräsidenten (AW 4.12.2019). So ist der Parlamentspräsident gewöhnlich ein Sunnit, der Premierminister ist ein Schiit und der Präsident der Republik ein Kurde (Al Jazeera 15.9.2018). Viele sunnitische Iraker stehen der schiitischen Dominanz im politischen System kritisch gegenüber. Die Machtverteilungsarrangements zwischen Sunniten, Schiiten und Kurden festigen den Einfluss ethnisch-religiöser Identitäten und verhindern die Herausbildung eines politischen Prozesses, der auf die Bewältigung politischer Sachfragen abzielt (AA 12.1.2019).

Am 12.5.2018 fanden im Irak Parlamentswahlen statt, die fünfte landesweite Wahl seit der Absetzung Saddam Husseins im Jahr 2003. Die Wahl war durch eine historisch niedrige Wahlbeteiligung und Betrugsvorwürfe gekennzeichnet, wobei es weniger Sicherheitsvorfälle gab als bei den Wahlen in den Vorjahren (ISW 24.5.2018). Aufgrund von Wahlbetrugsvorwürfen trat das Parlament erst Anfang September zusammen (ZO 2.10.2018).

Am 2.10.2018 wählte das neu zusammengetretene irakische Parlament den moderaten kurdischen Politiker Barham Salih von Patriotischen Union Kurdistans (PUK) zum Präsidenten des Irak (DW 2.10.2018; vgl. ZO 2.10.2018; KAS 5.10.2018). Dieser wiederum ernannte den schiitischen Politik-Veteranen Adel Abd al-Mahdi zum Premierminister und beauftragte ihn mit der Regierungsbildung (DW 2.10.2018). Nach langen Verhandlungsprozessen und zahlreichen Protesten wurden im Juni 2019 die letzten und sicherheitsrelevanten Ressorts Innere, Justiz und Verteidigung besetzt (GIZ 1.2020a).

Im November 2019 trat Premierminister Adel Abdul Mahdi als Folge der seit dem 1.10.2019 anhaltenden Massenproteste gegen die Korruption, den sinkenden Lebensstandard und den ausländischen Einfluss im Land, insbesondere durch den Iran, aber auch durch die Vereinigten Staaten (RFE/RL 24.12.2019; vgl. RFE/RL 6.2.2020). Präsident Barham Salih ernannte am 1.2.2020 Muhammad Tawfiq Allawi zum neuen Premierminister (RFE/RL 6.2.2020). Dieser scheiterte mit der Regierungsbildung und verkündete seinen Rücktritt (Standard 2.3.2020; vgl. Reuters 1.3.2020). Am 17.3.2020 wurde der als sekulär geltende Adnan al-Zurfi, ehemaliger Gouverneur von Najaf als neuer Premierminister designiert (Reuters 17.3.2020).

Im Dezember 2019 hat das irakische Parlament eine der Schlüsselforderung der Demonstranten umgesetzt und einem neuen Wahlgesetz zugestimmt (RFE/RL 24.12.2019; vgl. NYT 24.12.2019). Das neue Wahlgesetz sieht vor, dass zukünftig für Einzelpersonen statt für Parteienlisten gestimmt werden soll. Hierzu soll der Irak in Wahlbezirke eingeteilt werden. Unklar ist jedoch für diese Einteilung, wie viele Menschen in den jeweiligen Gebieten leben, da es seit über 20 Jahren keinen Zensus gegeben hat (NYT 24.12.2019).

Die nächsten Wahlen im Irak sind die Provinzwahlen am 20.4.2020, wobei es sich um die zweite Verschiebung des ursprünglichen Wahltermins vom 22.12.2018 handelt. Es ist unklar, ob die Wahl in allen Gouvernements des Irak stattfinden wird, insbesondere in jenen, die noch mit der Rückkehr von IDPs und dem Wiederaufbau der Infrastruktur zu kämpfen haben. Die irakischen Provinzwahlen umfassen nicht die Gouvernements Erbil, Sulaymaniyah, Duhok und Halabja, die alle Teil der KRI sind, die von ihrer eigenen Wahlkommission festgelegte Provinz- und Kommunalwahlen durchführt (Kurdistan24 17.6.2019).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf, Zugriff 13.3.2020

- Al Jazeera (15.9.2018): Deadlock broken as Iraqi parliament elects speaker, https://www.aljazeera.com/news/2018/09/deadlock-broken-iraqi-parliament-elects-speaker-180915115434675.html, Zugriff 13.3.2020

- AW - Arab Weekly, The (4.12.2019): Confessional politics ensured Iran’s colonisation of Iraq, https://thearabweekly.com/confessional-politics-ensured-irans-colonisation-iraq, Zugriff 13.3.2020

- CIA - Central Intelligence Agency (28.2.2020): The World Factbook – Iraq, https://www.cia.gov/library/publications/the-world-factbook/geos/iz.html, Zugriff 13.3.2020

- DW - Deutsche Welle (2.10.2018): Iraqi parliament elects Kurdish moderate Barham Salih as new president, https://www.dw.com/en/iraqi-parliament-elects-kurdish-moderate-barham-salih-as-new-president/a-45733912, Zugriff 13.3.2020

- Fanack (2.9.2019): Governance & Politics of Iraq, https://fanack.com/iraq/governance-and-politics-of-iraq/, Zugriff 13.3.2020

- GIZ - Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (1.2020a): Geschichte & Staat, https://www.liportal.de/irak/geschichte-staat/, Zugriff 13.3.2020

- ISW - Institute for the Study of War (24.5.2018): Breaking Down Iraq's Election Results, http://www.understandingwar.org/backgrounder/breaking-down-iraqs-election-results, Zugriff 13.3.2020

- KAS - Konrad Adenauer Stiftung (5.10.2018): Politische Weichenstellungen in Bagdad und Wahlen in der Autonomen Region Kurdistan, https://www.kas.de/c/document_library/get_file?uuid=e646d401-329d-97e0-6217-69f08dbc782a&groupId=252038, Zugriff 13.3.2020

- KAS - Konrad Adenauer Stiftung (2.5.2018): Mapping the Major Political Organizations and Actors in Iraq since 2003, http://www.kas.de/wf/doc/kas_52295-1522-1-30.pdf?180501131459, Zugriff 13.3.2020

- Kurdistan24 (17.6.2019): Iraq's electoral commission postpones local elections until April 2020, https://www.kurdistan24.net/en/news/80728bf3-eb95-4e76-a30f-345cf9a48d3c, Zugriff 13.3.2020

- NYT - The New York Times (24.12.2019): Iraq’s New Election Law Draws Much Criticism and Few Cheers, https://www.nytimes.com/2019/12/24/world/middleeast/iraq-election-law.html, Zugriff 13.3.2020

- Reuters (17.3.2020): Little-known ex-governor Zurfi named as new Iraqi prime minister-designate, https://www.reuters.com/article/us-iraq-pm-designate/iraqi-president-salih-names-adnan-al-zurfi-as-new-prime-minister-designate-state-tv-says-idUSKBN21419J?il=0, Zugriff 17.3.2020

- Reuters (1.3.2020): Iraq's Allawi withdraws his candidacy for prime minister post: tweet, https://www.reuters.com/article/us-iraq-politics-primeminister/iraqs-allawi-withdraws-his-candidacy-for-prime-minister-post-tweet-idUSKBN20O2AD, Zugriff 13.3.2020

- RFE/RL - Radio Free Europe/Radio Liberty (6.2.2020): Iraqi Protesters Clash With Sadr Backers In Deadly Najaf Standoff, https://www.ecoi.net/en/document/2024704.html, Zugriff 13.3.2020

- RFE/RL - Radio Free Europe/Radio Liberty (24.12.2019): Iraqi Parliament Approves New Election Law, https://www.ecoi.net/de/dokument/2021836.html, Zugriff 13.3.2020

- RoI - Republic of Iraq (15.10.2005): Constitution of the Republic of Iraq, http://www.refworld.org/docid/454f50804.html, Zugriff 13.3.2020

- Standard, Der (2.3.2020): Designierter irakischer Premier Allawi bei Regierungsbildung gescheitert, https://www.derstandard.at/story/2000115222708/designierter-irakischer-premier-allawi-bei-regierungsbildung-gescheitert, Zugriff 13.3.2020

- ZO - Zeit Online (2.10.2018): Irak hat neuen Präsidenten gewählt, https://www.zeit.de/politik/ausland/2018-10/barham-salih-irak-praesident-wahl, Zugriff 13.3.2020

Parteienlandschaft

Laut einer Statistik der irakischen Wahlkommission beläuft sich die Zahl der bei ihr registrierten politischen Parteien und politischen Bewegungen auf über 200. 85% davon, national und regional, haben religiös-konfessionellen Charakter (RCRSS 24.2.2019).

Es gibt vier große schiitische politische Gruppierungen im Irak: die Islamische Da‘wa-Partei, den Obersten Islamischen Rat im Irak (eng. SCIRI) (jetzt durch die Bildung der Hikma-Bewegung zersplittert), die Sadr-Bewegung und die Badr-Organisation. Diese Gruppen sind islamistischer Natur, sie halten die meisten Sitze im Parlament und stehen in Konkurrenz zueinander – eine Konkurrenz, die sich, trotz des gemeinsamen konfessionellen Hintergrunds und der gemeinsamen Geschichte im Kampf gegen Saddam Hussein, bisweilen auch in Gewalt niedergeschlagen hat (KAS 2.5.2018).

Die Gründung von Parteien, die mit militärischen oder paramilitärischen Organisationen in Verbindung stehen ist verboten (RCRSS 24.2.2019) und laut Executive Order 91, die im Februar 2016 vom damaligen Premierminister Abadi erlassen wurde, sind Angehörige der Volksmobilisierungskräfte (PMF) von politischer Betätigung ausgeschlossen (Wilson Center 27.4.2018). Milizen streben jedoch danach, politische Parteien zu gründen (CGP 4.2018). Im Jahr 2018 traten über 500 Milizionäre und mit Milizen verbundene Politiker, viele davon mit einem Naheverhältnis zum Iran, bei den Wahlen an (Wilson Center 27.4.2018).

Die sunnitische politische Szene im Irak ist durch anhaltende Fragmentierung und Konflikte zwischen Kräften, die auf Gouvernements-Ebene agieren, und solchen, die auf Bundesebene agieren, gekennzeichnet. Lokale sunnitische Kräfte haben sich als langlebiger erwiesen als nationale (KAS 2.5.2018).

Abgesehen von den großen konfessionell bzw. ethnisch dominierten Parteien des Irak, gibt es auch nennenswerte überkonfessionelle politische Gruppierungen. Unter diesen ist vor allem die Iraqiyya/Wataniyya Bewegung des Ayad Allawi von Bedeutung (KAS 2.5.2018).

Sairoon (ein Bündnis aus der Sadr-Bewegung und der Kommunistischen Partei) unter der Führung des schiitischen Geistlichen Muqtada as-Sadr, ist mit 54 Sitzen die größte im Parlament vertretene Gruppe, gefolgt von der Fatah-Koalition des Führers der Badr-Milizen, Hadi al-Amiri und der Nasr-Allianz unter Haider al-Abadi und der Dawlat al Qanoon-Allianz des ehemaligen Regierungschefs Maliki (LSE 7.2018).

Quellen:

- CGP - Center for Global Policy (4.2018): The Role of Iraq‘s Shiite Militias in the 2018 Elections, https://www.cgpolicy.org/wp-content/uploads/2018/04/Mustafa-Gurbuz-Policy-Brief.pdf, Zugriff 13.3.2020

- KAS - Konrad Adenauer Stiftung (2.5.2018): Mapping the Major Political Organizations and Actors in Iraq since 2003, http://www.kas.de/wf/doc/kas_52295-1522-1-30.pdf?180501131459, Zugriff 13.3.2020

- LSE - London School of Economics and Political Science (7.2018): The 2018 Iraqi Federal Elections: A Population in Transition?, http://eprints.lse.ac.uk/89698/7/MEC_Iraqi-elections_Report_2018.pdf, Zugriff 13.3.2020

- RCRSS - Rawabet Center for Research and Strategic Studies (24.2.2019): Law of political parties in Iraq: proposals for amendment, https://rawabetcenter.com/en/?p=6954, Zugriff 13.3.2020

- Wilson Center (27.4.2018): Part 2: Pro-Iran Militias in Iraq, https://www.wilsoncenter.org/article/part-2-pro-iran-militias-iraq, Zugriff 13.3.2020

Sicherheitslage

Im Dezember 2017 erklärte die irakische Regierung den militärischen, territorialen Sieg über den Islamischen Staat (IS) (Reuters 9.12.2017; vgl. AI 26.2.2019). Die Sicherheitslage hat sich, seitdem verbessert (FH 4.3.2020). Ende 2018 befanden sich die irakischen Sicherheitskräfte (ISF) in der nominellen Kontrolle über alle vom IS befreiten Gebiete (USDOS 1.11.2019).

Derzeit ist es staatlichen Stellen nicht möglich, das Gewaltmonopol des Staates sicherzustellen. Insbesondere schiitische Milizen, aber auch sunnitische Stammesmilizen handeln eigenmächtig. Die im Kampf gegen den IS mobilisierten, zum Teil vom Iran unterstützten Milizen sind nur eingeschränkt durch die Regierung kontrollierbar und stellen eine potenziell erhebliche Bedrohung für die Bevölkerung dar. Durch die teilweise Einbindung der Milizen in staatliche Strukturen (zumindest formaler Oberbefehl des Ministerpräsidenten, Besoldung aus dem Staatshaushalt) verschwimmt die Unterscheidung zwischen staatlichen und nicht-staatlichen Akteuren (AA 12.1.2019).

In der Wirtschaftsmetropole Basra im Süden des Landes können sich die staatlichen Ordnungskräfte häufig nicht gegen mächtige Stammesmilizen mit Verbindungen zur Organisierten Kriminalität durchsetzen. Auch in anderen Landesteilen ist eine Vielzahl von Gewalttaten mit rein kriminellem Hintergrund zu beobachten (AA 12.1.2019). Insbesondere in Bagdad kommt es zu Entführungen durch kriminelle Gruppen, die Lösegeld für die Freilassung ihrer Opfer fordern (FIS 6.2.2018). Die Zahl der Entführungen gegen Lösegeld zugunsten extremistischer Gruppen wie dem IS oder krimineller Banden ist zwischenzeitlich zurückgegangen (Diyaruna 5.2.2019), aber UNAMI berichtet, dass seit Beginn der Massenproteste vom 1.10.2019 fast täglich Demonstranten in Bagdad und im gesamten Süden des Irak verschwunden sind. Die Entführer werden als „Milizionäre“, „bewaffnete Organisationen“ und „Kriminelle“ bezeichnet (New Arab 12.12.2019).

Die zunehmenden Spannungen zwischen dem Iran und den USA stellen einen zusätzlichen, die innere Stabilität des Irak gefährdenden Einfluss dar (ACLED 2.10.2019a). Nach einem Angriff auf eine Basis der Volksmobilisierungskräfte (PMF) in Anbar, am 25. August (Al Jazeera 25.8.2019), erhob der irakische Premierminister Mahdi Ende September erstmals offiziell Anschuldigungen gegen Israel, für eine Reihe von Angriffen auf PMF-Basen seit Juli 2019 verantwortlich zu sein (ACLED 2.10.2019b; vgl. Reuters 30.9.2019). Raketeneinschläge in der Grünen Zone in Bagdad, nahe der US-amerikanischen Botschaft am 23. September 2019, werden andererseits pro-iranischen Milizen zugeschrieben, und im Zusammenhang mit den Spannungen zwischen den USA und dem Iran gesehen (ACLED 2.10.2019b; vgl. Al Jazeera 24.9.2019; Joel Wing 16.10.2019).

Als Reaktion auf die Ermordung des stellvertretenden Leiters der PMF-Kommission, Abu Mahdi Al-Muhandis, sowie des Kommandeurs der Quds-Einheiten des Korps der Islamischen Revolutionsgarden des Iran, Generalmajor Qassem Soleimani, durch einen Drohnenangriff der USA am 3.1.2020 (Al Monitor 23.2.2020; vgl. MEMO 21.2.2020; Joel Wing 15.1.2020) wurden mehrere US-Stützpunkte durch den Iran und PMF-Milizen mit Raketen und Mörsern beschossen (Joel Wing 15.1.2020).

Quellen:

- AA - Auswärtiges Amt (12.1.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Irak, https://www.ecoi.net/en/file/local/1457267/4598_1548939544_auswaertiges-amt-bericht-ueber-die-asyl-und-abschiebungsrelevante-lage-in-der-republik-irak-stand-dezember-2018-12-01-2019.pdf, Zugriff 13.3.2020

- ACLED - The Armed Conflict Location & Event Data Project (2.10.2019a): Mid-Year Update: Ten Conflicts to Worry About in 2019, https://www.acleddata.com/2019/08/07/mid-year-update-ten-conflicts-to-worry-about-in-2019/, Zugriff 13.3.2020

- ACLED - The Armed Conflict Location & Event Data Project (2.10.2019b): Regional Overview – Middle East 2 October 2019, https://www.acleddata.com/2019/10/02/regional-overview-middle-east-2-october-2019/, Zugriff 13.3.2020

- AI - Amnesty International (26.2.2019): Human rights in the Middle East and North Africa: Review of 2018 - Iraq [MDE 14/9901/2019], https://www.ecoi.net/en/file/local/2003674/MDE1499012019ENGLISH.pdf, Zugriff 13.3.2020

- Al Jazeera (24.9.2019): Two rockets 'hit' near US embassy in Baghdad's Green Zone, https://www.aljazeera.com/news/2019/09/rockets-hit-embassy-baghdad-green-zone-190924052551906.html, Zugriff 13.3.2020

- Al Jazeera (25.8.2019): Iraq paramilitary: Israel behind drone attack near Syria border, https://www.aljazeera.com/news/2019/08/iraq-paramilitary-israel-drone-attack-syria-border-190825184711737.html, Zugriff 13.3.2020

- Al Monitor (23.2.2020): Iran struggles to regain control of post-Soleimani PMU, https://www.al-monitor.com/pulse/originals/2020/02/iraq-iran-soleimani-pmu.html, Zugriff 13.3.2020

- Diyaruna (5.2.2019): Baghdad sees steep decline in kidnappings, https://diyaruna.com/en_GB/articles/cnmi_di/features/2019/02/05/feature-02, Zugriff 13.3.2020

- FH - Freedom House (4.3.2020): Freedom in the World 2020 – Iraq, https://freedomhouse.org/country/iraq/freedom-world/2020, Zugriff 13.3.2020

- FIS - Finnish Immigration Service (6.2.2018): Finnish Immigration Service report: Security in Iraq variable but improving, https://yle.fi/uutiset/osasto/news/finnish_immigration_service_report_security_in_iraq_variable_but_improving/10061710, Zugriff 13.3.2020

- Joel Wing, Musings on Iraq (15.1.2020): Pro-Iran Hashd Continue Attacks Upon US Interests In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2020/01/pro-iran-hashd-continue-attacks-upon-us.html, Zugriff 13.3.2020

- Joel Wing, Musings on Iraq (16.10.2019): Islamic State Not Following Their Usual Pattern In Attacks In Iraq, https://musingsoniraq.blogspot.com/2019/10/islamic-state-not-following-their-usual.html, Zugriff 13.3.2020

- MEMO - Middle East Monitor (21.1.2020): Iraq’s PMF appoints new deputy head as successor to Al-Muhandis, https://www.middleeastmonitor.com/20200221-iraqs-pmf-appoints-new-deputy-head-as-successor-to-al-muhandis/, Zugriff 13.3.2020

- New Arab, The (12.12.2019): 'We are not safe': UN urges accountability over spate of kidnappings, assassinations in Iraq, https://www.alaraby.co.uk/english/news/2019/12/11/un-urges-accountability-over-spate-of-iraq-kidnappings-assassinations, Zugriff 13.3.2020

- Reuters (9.12.2017): Iraq declares final victory over Islamic State, https://www.reuters.com/article/us-mideast-crisis-iraq-islamicstate/iraq-declares-final-victory-over-islamic-state-idUSKBN1E30B9, Zugriff 13.3.2020

- Reuters (30.9.2019): Iraqi PM says Israel is responsible for attacks on Iraqi militias: Al Jazeera, https://www.reuters.com/article/us-iraq-security/iraqi-pm-says-israel-is-responsible-for-attacks-on-iraqi-militias-al-jazeera-idUSKBN1WF1E5, Zugriff 13.3.2020

- USDOS - US Department of State (1.11.2019): Country Report on Terrorism 2018 - Chapter 1 - Iraq, https://www.ecoi.net/en/document/2019162.html, Zugriff 13.3.2020

Zu den schiitschen Milizen im Irak im Besonderen:

1. Überblick über die Milizen

Als die Gruppe Islamischer Staat (IS) im Juni 2014 die Stadt Mossul einnahm, rief Ayatollah Ali al-Sistani, der einflussreichste schiitische Kleriker im Land, dazu auf, den Staat bei der Bekämpfung des IS zu unterstützen. Zehntausende Männer folgten dem Aufruf des Klerikers und sammelten sich unter dem losen Dachverband der Volksmobilisierungskräfte (Popular Mobilization Forces, PMF) (EPIC, 18. Jänner 2017 [i]; The Century Foundation, 5. März 2018 [ii]). Circa 50 Milizen mit insgesamt 45.000 bis 142.000 Kämpfern wurden mit Stand Juli 2018 unter diesem Dachverband gruppiert (ICG, 30. Juli 2018, S. 1 [iii]). Al-Araby Al-Jadeed berichtet im Mai 2020, dass die Anzahl der Kämpfer sich in etwa auf 48.000 beläuft und spricht die Problematik an, dass der irakische Staat zusätzlich den Anführern der PMF Gehälter für 82.000 nicht existierende Kämpfer ausbezahlt hat (Al Araby Al-Jadeed, 25. Mai 2020 [iv]) Von manchen Quellen wird die arabische Bezeichnung der PMF, Al-Haschd Asch-Schaabi (Al-Hashd Al-Sha’abi), verwendet. Weitere gängige Bezeichnungen sind Popular Mobilization Units (PMU) oder einfach nur „Hashd“.

Im November 2016 wurde mit Unterstützung des schiitischen Blocks im Parlament ein Gesetz verabschiedet, das die Legalisierung der PMF und deren Einrichtung als separate militärische Einheit vorsieht, die dem Premierminister untersteht (RFE/RL, 26. November 2016 [v]). Die PMF-Milizen erhalten ihren Sold aus der Staatskasse (FAZ, 28. Juni 2019). Seit Ende 2017, als die irakische Regierung offiziell den Sieg über den IS verkündete, haben die PMF neben ihren kämpferischen Funktionen ihren Wirkungsbereich ausgeweitet. So verfügen sie über einen eigenen Parteienblock im Parlament mit 48 Sitzen (Al-Monitor, 1. Juli 2020 [vi]) und haben insbesondere in den vom IS zurückgewonnenen Gebieten im Zuge des Wiederaufbaus Wirtschaftssektoren übernommen, die sich der staatlichen Kontrolle entziehen (ICG, 30. Juli 2018, S. i-ii). Anfang Juli 2019 erließ Premierminister Abd Al-Mahdi ein Dekret, in dem er alle PMF-Milizen dazu aufforderte, sich bis zum 31. Juli den regulären Sicherheitskräften anzugliedern oder nur mehr als politische Bewegung zu fungieren (EPIC, 4. Juli 2019; DW, 2. Juli 2019). Die Milizenführer der Badr-Organisation, der Asa’ib Ahl al-Haqq sowie Milizenführer Muqtada Al-Sadr gaben ihre Zustimmung bekannt (EPIC, 4. Juli 2019). Die vom Premierminister gesetzte Frist endete, ohne dass Schritte zur Umsetzung eingeleitet wurden und die PMF-Führung verlangte eine zweimonatige Fristverlängerung (UN OCHA, 21. August 2019 [vii]). Die Implementierung dieses Dekrets ist weiterhin unvollständig (CRS, 3. Februar 2020, S. 2 [viii], Al-Monitor, 1. Juli 2020). Obwohl alle PMF-Einheiten offiziell dem Premierminister unterstehen, folgen manche Einheiten in Praxis der Führung der iranischen Revolutionsgarden (USDOS, 11. März 2020, Executive Summary [ix]). Zudem gibt es Milizen wie Asa’ib Ahl al-Haqq, Kata’ib Hisbollah und Harakat Al-Nudschaba, die Kämpfer sowohl innerhalb als auch außerhalb der PMF-Struktur unterhalten (War on the Rocks, 11. November 2019 [x]).

Renad Mansour, Senior Research Fellow und Projektleiter der Irak-Initiative bei der Denkfabrik Chatham House [xi], erklärt in einem Kommentar, dass im alltäglichen Handeln von Politik und Wirtschaft im Irak die PMF nicht mehr von irakischen staatlichen Akteuren zu unterscheiden sind (War on the Rocks, 21. Jänner 2021).

Renad Mansour beschreibt die verschiedenen Rollen der PMF in seiner Chatham House Publikation „Networks of power“ vom Februar 2021. Laut Mansour sind die PMF keine kohärente, integrierte Organisation, sondern eine Reihe von fließenden und adaptiven Netzwerken, die sich in ihrer horizontalen und vertikalen Struktur unterschieden. PMF-Netzwerke unterhalten eine symbiotische Beziehung zu den irakischen Sicherheitsdiensten, politischen Parteien und der Wirtschaft. Zu ihren Mitgliedern zählen nicht nur Kämpfer, sondern auch Parlamentarier, Minister, lokale Gouverneure, Mitglieder des Provinzrates, Geschäftsleute in öffentlichen und privaten Unternehmen, hochrangige Beamte, humanitäre Organisationen und Zivilisten. PMF-Netzwerke genießen staatliche Macht. (Chatham House, Februar 2021, S. 2).

Die Merkmale von PMF-Netzwerken gehen über die einer traditionellen Militärorganisation hinaus, insbesondere in Bezug auf die Politik. PMF-Gruppen sind durch ihre eigenen politischen Parteien vertreten, die an Wahlen teilnehmen, Kabinettsminister ernennen und Beamte entsenden, um in leitenden Positionen im öffentlichen Dienst innerhalb des Staatsapparates zu dienen. Die PMF sind auch in lokalen Regierungen und in wichtigen nichtstaatlichen Institutionen vertreten, die an der Erbringung und Verwaltung öffentlicher Dienstleistungen beteiligt sind. Netzwerke ändern oft ihre Namen, wenn sie in die Politik gehen. Aus Badr-Korps wurde die Badr-Organisation, Asa‘ib Ahl al-Haqq gründete den politischen Flügel Sadiqoun und Kata‘ib Jund al-Imam nennt sich „Islamische Bewegung im Irak“. Trotz der Namensänderungen sind die Netzwerke weitgehend die gleichen geblieben. Einige Abgeordnete sind ehemalige oder aktuelle Kämpfer (Chatham House, Februar 2021, S. 20).

Die größten Wahlblöcke der nationalen Wahlen 2018 - Muqtada al-Sadrs Sairoun (Allianz zur Reform) und Hadi al-Ameris Fatah (Eroberungsallianz) - wurden von PMF-Netzwerken unterstützt. Während Sadr oft einen gewissen Abstand zwischen Sairoun und den PMF hält, gehören zu den Fatah-Kandidaten mehrere PMF-Funktionäre, die (wieder) zu Politikern wurden. Dies ermöglicht es den PMF, ihre Verbindungen zu Ministerien und Institutionen der Regierung zu stärken (Chatham House, Februar 2021, S. 4).

Innerhalb der 2018 gewonnenen Parlamentssitze der Fatah sind 22 Abgeordnete der Badr-Organisation zugehörig und 15 Asai‘b Ahl al-Haqq. Das politische Netzwerk der PMF erstreckt sich jedoch über Fatah hinaus und umfasst andere politische Parteien, Wahllisten und Fraktionen. Fatah gründete mit anderen PMF-Parlamentariern eine Allianz namens Binaa, die behauptet, der größte Block im Parlament zu sein.

Sadrs Sairoun Wahlblock gilt nicht als PMF-Netzwerk, jedoch ist Sadrs Militärnetzwerk mit den PMF verbunden (Sadr kontrolliert zwei Brigaden innerhalb der PMF-Kommission) und er trifft regelmäßig hochrangige PMF-Führer und arbeitet mit ihnen zusammen. Bei den Wahlen 2018 gewann Sadrs Sairoun zunächst die meisten Sitze, mit 54 Abgeordneten. Als Teil des Regierungsbildungsprozesses erhöhte Fatah seine tatsächliche Anzahl von Sitzen jedoch von 48 auf etwa 60, indem sie auf Personen des PMF-Netzwerks zurückgriffen, die mit anderen Parteien oder Blöcken verbunden waren. (Chatham House, Februar 2021, S. 21-22)

PMF-Netzwerke sind laut Mansour nicht von anderen Netzwerken des irakischen Staates zu unterscheiden. Sie kooperieren und konkurrieren nicht nur miteinander, sondern agieren auch in Abstimmung mit anderen irakischen Beamten und Parteien, einschließlich solcher, die ideologisch und politisch gegen die PMF sind. Diese Verknüpfungen und Verbindungen der Netzwerke ermöglichen es den PMF, in unterschiedliche Sphären der Sicherheit, Politik und Wirtschaft einzudringen (Chatham House, Februar 2021, S. 18).

Das am längsten bestehende Beispiel für die Kontrolle über ein Ministerium ist das von Badr kontrollierte Innenministerium. PMF-Netzwerke versuchen unter anderem, ihren Einfluss auf die Zentralregierung und deren Institutionen auszubauen, indem sie ihre eigenen Leute in hochrangingen Beamtenpositionen beschäftigen. Im November 2019 stellte Naim Thajeel, der Kommunikationsminister, einen Wirtschaftsbeauftragten der Brigade 40 das Miliz Kata‘ib al-Imam Ali als Generaldirektor des öffentlichen Unternehmens für Kommunikation und Information ein, obwohl dieser nur ein Jahr in einer Juniorposition im Ministerium gearbeitet hatte. Jasib Abdul Zahra, der politische Vertreter von Katai‘b Hisbollah in Basra, wurde zum Generaldirektor der Petrochemical Industries Company im Industrieministerium ernannt. Im Jahr 2020 unterstützten Asa‘ib Ahl al-Haqq-Netzwerke die Ernennung eines ihrer Mitglieder, Hussein al-Qasid, zum Generaldirektor der Kulturabteilung des Ministeriums. Im August 2019 ernannte der damalige Premierminister Adel Abd al-Mahdi eine Stammespersönlichkeit aus Diyala mit engen Verbindungen zu Hadi al-Ameri und der PMF-Brigade 24 zum Generalinspektor im Verteidigungsministerium. (Chatham House, Februar 2021, S. 24)

Mansour beschreibt die PMF als von der Regierung anerkannte Sicherheitskraft, die strategische Gebiete im Irak kontrolliert. Dies passiert weitgehend in Zusammenarbeit mit anderen staatlichen Sicherheitsbehörden. Die PMF ersetzen aber manchmal auch andere staatliche Sicherheitsbehörden und sind in einigen Gebieten der wichtigste Sicherheitsakteur, an den sich die Einheimischen wenden. Einige Mitglieder der PMF haben auch Doppelpositionen inne. Abu Dergham al-Maturi führte beispielsweise die PMF-Brigade 5 (eine Badr-Brigade) und fungierte gleichzeitig als stellvertretender Kommandeur der Bundespolizei im Innenministerium (Chatham House, Februar 2021, S. 18-19).

AP [xii] berichtet im März 2021, dass seit dem Tod das Anführers der iranischen Qudsbrigaden, Qassem Suleimani, und des Milizenführers Abu Mahdi al-Muhandis die Milizen sich verändert haben. Sie unterteilen sich in neue Gruppen, die einzelnen Gruppierungen unterscheiden sich stark voneinander und sind noch schwerer zu kontrollieren (AP, 31. März 2021).

Verschiedene Medien berichten von Unstimmigkeiten innerhalb der PMF. Die Jamestown Foundation [xiii] schreibt im Oktober 2020 über eine bestehende Polarisierung zwischen den Fraktionen, die Grandayatollah Ali Al-Sistani folgen und solchen, die der iranischen Ideologie folgen (Jamestown Foundation, 23. Oktober 2020). Laut TRT World [xiv] verließen im Dezember 2020 vier der Sistani-treue Milizen die PMF, aus Sorge, dass der iranische Einfluss auf die PMF zu groß sei (TRT World, 10. Dezember 2020). Arab Weekly (AW) [xv] schreibt in einem Artikel vom März 2021, dass der schiitische Geistliche Moqtada Sadr, der selbst an der Spitze einer der mächtigsten Milizen Iraks steht, bekannt gab, gegen das Waffenchaos im Land vorgehen zu wollen und Angriffe bewaffneter Fraktionen auf ausländische Streitkräfte, ihre Versorgungskonvois und das Hauptquartier der US-Botschaft in Bagdad eindämmen zu wollen. Laut Arab Weekly erwartet Sadr bei den nächsten Wahlen große Gewinne und hat vor, als nächsten Premierminister ein Mitglied seiner Bewegung einzusetzen. (AW, 26. März 2021)

Just Security [xvi] verzeichnet seit der Tötung von Qassem Soleimani und Abu Mahdi al-Muhandis Anfang 2020 einen Anstieg von Angriffen schiitischer Milizen auf US-Ziele und Ziele der Koalitionskräfte im Irak, wie zum Beispiel gegen die US-amerikanische Botschaft in der Grünen Zone von Bagdad und gegen irakische Lastwagen, die angeblich Vorräte für die Koalitionsstreitkräfte transportieren. Verschiedene Milizen mit neuen und unbekannten Namen übernehmen die Verantwortung für die Angriffe. Laut Just Security gibt es Beweise, dass diese kleinen Gruppierungen als Fassade für größere (echte) Milizen, wie Kata’ib Hisbollah, Asa’ib Ahl al-Haqq, Harakat Hisbollah al-Nudschaba, und Kata‘ib Sayyid al-Schuhada agieren (Just Security, 10. März 2021).

Weitere Aktivitäten der PMF im Irak werden wie folgt beschrieben:

Amnesty International [xvii] schreibt in seinem Jahresbericht 2020 zur Situation im Irak, dass die PMF weiterhin für das Verschwindenlassen von Personen, von denen angenommen wird, dass sie mit der Gruppe Islamischer Staat (IS) verbunden sind, verantwortlich sind (AI, 7. April 2021).

Al-Monitor berichtet im März 2020, dass die PMF aktiv an Initiativen zur Eindämmung des Coronavirus beteiligt sind, unter anderem durch Sensibilisierung, Desinfektion, medizinische Hilfe und Durchsetzung der Ausgangssperre (Al-Monitor, 30. März 2020).

France 24 [xviii] veröffentlicht im März 2021 einen Artikel von AFP, deren Team bei Investigativrecherchen entlang der irakischen Grenzen ein korruptes Zollhinterziehungskartell aufgedeckt hat. Viele der Grenzübergänge werden informell von Gruppen der PMF sowie anderen bewaffneten Fraktionen kontrolliert. Mitglieder, Verbündete oder Verwandte der PMF arbeiten als Grenzbeamte, Inspektoren oder Polizisten und werden von Händlern bezahlt, um behördliche Verfahren vollständig zu überspringen oder um Rabatte zu erhalten (France 24, 29. März 2021). Im Norden und Westen des Irak haben Amtspersonen und Bürger über Schikanen durch PMF-Milizen und deren Eingreifen in die Stadtverwaltungen und das alltägliche Leben berichtet. Damit geht der Versuch einher, bisweilen unter Einsatz von Demütigungen und Prügel, Kontrolle über Bürgermeister, Distriktvorsteher und andere Amtsträger auszuüben (Al-Araby Al-Jadeed, 12. Februar 2019). Bei gegen die Regierung gerichteten Protesten, die im Oktober 2019 in Bagdad und im schiitisch geprägten Südirak ausbrachen, richtete sich der Zorn der DemonstrantInnen auch gegen PMF-Milizen. Anfang Oktober versuchten DemonstrantInnen in Nasiriya in der Provinz Dhi Qar, das Büro der Badr-Miliz in Brand zu setzen und ein Büro von Asa’ib Ahl al-Haqq nördlich von Nasiriya wurde mit Steinen angegriffen (HRW, 10. Oktober 2019 [xix]). Ende Oktober gab es Versuche seitens DemonstrantInnen in Amara in der Provinz Maysan sowie in Nasiriya in der Provinz Dhi Qar, Büros von Asa’ib Ahl al-Haqq in Brand zu stecken (HRW, 27. Oktober 2019). Anfang Mai setzten Demonstranten in der Stadt Kut das Hauptquartier der Badr-Organisation in Brand (MEE, 10. Mai 2020 [xx]). Die Milizen reagierten mit Gewalt. Amnesty International schreibt in ihrem Jahresbericht 2020 zum Irak, dass unbekannte bewaffnete Männer, von denen angenommen wird, dass sie Mitglieder von Milizen sind, Dutzende AktivistInnen getötet, entführt und zu Opfern von Verschwindenlassen gemacht haben (AI, 7. April 2021).

PBS [xxi] veröffentlicht im Februar 2021 ein Interview mit der Filmemacherin Ramita Navai, die als Teil einer Dokumentation die Vorwürfe untersucht, dass die schiitischen Milizen Attentate gegen Aktivist·innen und Kritker·innen begangen hätten. Navai ist im September 2020 in den Irak gereist und hat zu Menschen vor Ort gesprochen. Sie berichtet gegenüber PBS, dass die Menschen Angst vor den Milizen hätten; auch schiitische Iraker. Sie seien besorgt gewesen, von den Milizen überwacht und verfolgt zu werden. Dies sei auch der Fall für Personen in hohen Regierungspositionen gewesen. Laut Navai sei die Regierung gespalten, in Unterstützer und Gegner der Milizen. Die Letzteren würden in Angst leben (PBS, 9. Februar 2021).

1.1 Wichtigste Gruppen

Die unter den PMF gruppierten Milizen sind sehr heterogen und haben unterschiedliche Organisationsformen, Einfluss und Haltungen zum irakischen Staat (Clingendael Institute, Juni 2018, S. 2 [xxii]). Man kann sie laut International Crisis Group aber je nach Ausrichtung in etwa drei Blöcke einteilen: der erste und mächtigste Block folgt dem iranischen Obersten Religionsführer Ali Khamenei und unterhält enge Verbindungen zu den iranischen Revolutionsgarden. Der zweite Block folgt dem höchsten schiitischen Kleriker im Irak, Ayatollah Ali Al-Sistani. Der dritte Block besteht aus der mit dem irakischen Kleriker Muqtada Al-Sadr verbundenen Miliz Saraya Al-Salam und steht in Opposition zum erstgenannten pro-iranischen Block. Während die pro-iranischen Milizen die Integration in die nationalen Sicherheitskräfte ablehnten, standen der zweite und dritte Block einer möglichen Unterordnung ihrer Milizen unter Innen- oder Verteidigungsministerium positiv gegenüber (ICG, 30. Juli 2018, S. 3-4). Mittlerweile haben auch einige pro-iranische Milizen einer Eingliederung in die regulären Sicherheitskräfte zumindest öffentlich zugestimmt (EPIC, 4. Juli 2019). Im Juni 2020 erließ der Anführer der PMF, Faleh Al-Fayadh, eine Anordnung zur Schließung der Büros aller irakischen paramilitärischen Gruppen im Land (The National, 5. Juni 2020 [xxiii]). Die Anordnung sieht vor, dass die unterschiedlichen und unabhängigen Gruppen in der Hauptorganisation zusammengelegt werden, die neuen Richtlinien hinsichtlich ihrer künftigen Rolle und Funktion unterliegen soll. Al-Fayadh kündigte zudem ein "Verbot aller nichtmilitärischen Aktionen an, die außerhalb der Ziele der PMF liegen." (Eurasia Review, 3. Juli 2020 [xxiv]).

1.2 Pro-Iran-Milizen

Viele der Pro-Iran-Milizen entstanden bereits in der Zeit nach dem Sturz des Regimes von Saddam Hussein im Jahr 2003. Zu ihnen gehören die Badr-Organisation (ursprünglich 1982 im Iran gegründet, seit 2003 wieder im Irak vertreten), Asa’ib Ahl al-Haqq (gegründet 2006), Kata’ib Hisbollah (gegründet 2007) sowie weitere Milizen (ICG, 30. Juli 2018, S. 3). Die Pro-Iran-Milizen machen den größten Teil der PMF aus (The Soufan Center, 20. März 2019 [xxv]).

Kata’ib Hisbollah ist mit etwa 3.000 bis 7.000 Kämpfern die am engsten mit dem Iran kooperierende Miliz (Al Arabiya, 31. Mai 2020 [xxvi]). Der einflussreiche frühere Anführer von Kata’ib Hisbollah und führender Kommandeur innerhalb der PMF-Struktur, Abu Mahdi Al-Muhandis, wurde am 3. Jänner 2020 bei einem US-Drohnenangriff nahe des Flughafens in Bagdad getötet (BBC News, 16. März 2020 [xxvii]). Die Suche nach einem Nachfolger für Al-Muhandis und die Ernennung von Abdul Aziz (Abu Fadak) al-Mohammedawi, einem ehemaligen Generalsekretär der Kata'ib Hisbollah, führte zu einem Bruch innerhalb der PMF und Kata´ib Hisbollah (Reuters, 1. April 2020 [xxviii]). Renad Mansour von Chatham House beschreibt im Sommer 2020 die weitreichenden Folgen des Todes von Al-Muhandis, die Unordnung in die höheren Ränge der PMF gebracht habe. Einzelne Gruppen fühlen sich nun weniger an die zentrale Kommandostruktur innerhalb der PMF gebunden, welche Al-Muhandis vor seinem Tod versucht hatte, weiter zu zentralisieren, um Probleme durch allein handelnde Einzelgruppierungen zu vermeiden. Diese Arbeit ging mit seinem Tod verloren und hat zu einer Verschlechterung der Sicherheitslage im Irak geführt (Chatham House, Juni und Juli 2020 [xxix]). 2021 beschreibt AP, dass Milizen sich seit dem Tod von Al-Muhandis in neue, bisher unbekannte, Gruppen zersplittert haben, sodass sie Angriffe unter verschiedenen Namen geltend machen können (AP, 31. März 2021).

Asa’ib Ahl al-Haqq mit ihrem Anführer Qais Al-Khazali verfügt über etwa 15.000 Kämpfer (The Soufan Center, 20. März 2019) und fünfzehn Sitze im Parlament (Brookings, 1. Juli 2020 [xxx]). Als älteste schiitische Miliz gilt die Badr-Organisation unter ihrem Anführer Hadi-Al-Amiri. Sie verfügt über etwa 20.000 Kämpfer und ist als Teil des von den PMF geführten Fatah-Blocks stark in der Politik vertreten (The Soufan Center, 20. März 2019).

The Washington Institute for Near East Policy (WINEP) [xxxi] beschreibt im Jänner 2021 einige Veränderungen innerhalb der dem Iran nahestehenden Milizen. Kataib Hezbollah (KH), Asa‘ib Ahl al-Haqq (AAH) und Harakat Hisbollah al-Nudschaba (HaN) hatten sich zusammengeschlossen, um gegen die westliche Militärpräsenz im Land vorzugehen. Die einzelnen Fraktionen stritten sich jedoch über individuelle Angriffe, sodass der Iran einschreiten musste. (WINEP, 19. Jänner 2021)

1.3 Milizen loyal gegenüber Ali Al-Sistani

Milizen, die Ayatollah Al-Sistani folgen, sind nach Imamen oder deren Grabstätten benannt und heißen unter anderem Imam Ali-Kampfdivision (Firqat al-Imam Ali al-Qitaliya), Saraya al-Ataba al-Abbasiya, Saraya al-Ataba al-Huseiniya, Saraya al-Ataba al-Alawiya und Liwaa Ali al-Akbar. Sie gründeten sich im Juni 2014, als Al-Sistani Freiwillige dazu aufrief, sich den Sicherheitskräften anzuschließen. Offiziell operieren sie als Teil der PMF, haben aber ein angespanntes Verhältnis mit der Führungsriege der PMF, die von den Pro-Iran-Milizen dominiert wird (ICG, 30. Juli 2018, S. 3). Diese Milizen sind von einer nationalistischen Einstellung geprägt, stehen der irakischen Regierung eher positiv gegenüber und streben eine Auflösung und Integrierung in die irakischen Sicherheitskräfte an (Clingendael Institute, Juni 2018, S. 3). Im April 2020 trennten sich vier der Brigaden (Imam Ali, Ali Al-Akbar, Abbas und Ansae Al-Marjaiya) von den PMF und unterstellten sich der Leitung des Premierministers (The National, 22. April 2020, Asharq Al-Awsat, 23. April 2020 [xxxii]). Dies wird als Zeichen von Unstimmigkeiten innerhalb der PMF angesehen (Al-Araby Al-Jadeed, 26. April 2020) .

1.4 Miliz Saraya Al-Salam von Muqtada Al-Sadr

2014 mobilisierte sich aus den Rängen der vormaligen Mahdi-Armee die Miliz Saraya Al-Salam, die dem irakischen Kleriker Muqtada Al-Sadr untersteht. Sie verfolgt eine nationalistische Ideologie und eigene politische Ziele (Clingendael Institute, Juni 2018, S. 3). Al-Sadr hat angekündigt, die Miliz Saraya Al-Salam als militärischen Arm seiner Organisation aufzulösen. Die in Samarra stationierten Kämpfer der Miliz wurden jedoch ausgenommen (Rudaw, 30. März 2019 [xxxiii]). Trotzdem gibt es weiterhin Meldungen zu Aktivitäten der Miliz auch in anderen Teilen des Landes. Im Süden des Irak nannte sich die Miliz fortan „Blaue Schirmmützen“, sie blieb jedoch trotz der Namensänderung als ein Netzwerk von Kämpfern der Sadr-Bewegung mit der Basis von Sadr verbunden (FPRI, März 2020, S. 31 [xxxiv]). Die Miliz ging im Zuge der gegen die Regierung gerichteten Proteste im Frühjahr 2020 in Bagdad und weiteren Städten im Südirak gewaltsam gegen DemonstrantInnen vor und besetzt Protestlager (FPRI, März 2020, S. 17). Im Februar 2020 verkündete Muqtada Al-Sadr die Auflösung der „Blauen Schirmmützen“, nachdem diese beschuldigt wurden Demonstranten getötet zu haben (MEMO, 13. Februar 2020 [xxxv], Rudaw, 11. Februar 2020).

Anfang Februar 2021 marschierte eine Vielzahl von Mitgliedern der Saraya Al-Salam in den Provinzen Karbala und Nadschaf sowie in Bagdad auf, nachdem sie angeblich Informationen über eine Bedrohung der heiligen Stätten erhalten hatten (Rudaw, 9. Februar 2021).

2. Überblick zu Verbreitung und Aktivitäten der Milizen im Land

Die folgende Chronologie gibt Vorfälle im Zusammenhang mit Milizen seit 2019 sortiert nach den einzelnen irakischen Provinzen wieder. Es ist zu beachten, dass die angeführten Informationen nicht als vollständige Auflistung aller Vorfälle, bei denen Milizen im genannten Zeitraum beteiligt waren, zu verstehen ist. Die Chronologie ist lediglich als Überblick zu Präsenz und Arten von Aktivitäten von Milizen in den einzelnen Provinzen zu verstehen.

Al-Araby Al-Jadeed beschreibt unter Verweis auf Informationen aus staatlichen Quellen und aus PMF-Kreisen die Anfang 2019 begonnene Initiative zur Errichtung und Erweiterung bereits bestehender Stützpunkte von PMF-Milizen in den Provinzen Anbar, Diyala, Ninawa, Kirkuk und Salahaddin sowie im Bagdad-Gürtel (Umland der Hauptstadt). Sie liegen in der nahen Umgebung von Städten. In Diyala wird Camp Aschraf zum Hauptstützpunkt der PMF ausgebaut. In Anbar gibt es sechs Stützpunkte (drei im Umland von Falludscha, im Gebiet „160 Kilo“ westlich von Ramadi, im Gebiet der Phosphatgruben und beim Grenzübergang Al-Rutba); in Ninawa fünf Hauptstützpunkte (nahe Mossul, Tel Afar, Sindschar, Baadsch und Rabia); in Salahaddin gibt es Stützpunkte in Tikrit, Baidschi, Siniya, Balad und Duluiya und in der Provinz Kirkuk bei den Hamrin-Bergen, Umm al-Khanadschir, Riyad, bei al-Hawidscha und im Westen von Dibis. Einige dieser Stützpunkte sind reine PMF-Stützpunkte, andere werden mit Einheiten der Bundespolizei geteilt (Al-Araby Al-Jadeed, 12. Februar 2019).

Michael Knights, Forscher am Washington Institute for Near East Policy, gibt in einem im August 2019 erschienen Artikel einen Überblick über Milizenpräsenz im Zentral- und Nordirak. Im Westen der Provinz Anbar im strategisch wichtigen Grenzgebiet zu Syrien sind pro-iranische Milizen aktiv, darunter Kata’ib Hisbollah und Kata’ib Al-Imam Ali. Auch in den Außenbezirken rund um Bagdad versuchen proiranische Milizen, Fuß zu fassen: Die Region Dschurf Al-Sakhr 40 km südlich von Bagdad wurde beispielsweise von Kata’ib Hisbollah eingenommen und die Miliz verhindert dort die Rückkehr der ehemaligen sunnitischen BewohnerInnen. Die Miliz Asa’ib Ahl Al-Haqq ist stark im Norden von Bagdad und im Süden der Provinz Salahaddin (in Tadschi, Dudschail und Balad) vertreten. In der Provinz Ninawa operieren eine Reihe verschiedener PMF-Milizen, die PMF-Führung der Provinz steht der Kata’ib Hisbollah nahe. Die Badr-Miliz kontrolliert insbesondere den Süden der Provinz Diyala. In Tuz Khurmatu und Kirkuk agieren schiitische turkmenische Milizen, die mit dem Anführer der proiranischen Kata’ib Hisbollah, Abu Mahdi Al-Muhandis, verbündet sind. Eine Karte der ungefähren Präsenz- und Einflussgebiete findet sich auf Seite 3 des Artikels. (Knights, August 2019, S. 3-5)

Das Institute for the Study of War (ISW) [xxxvi] schreibt im Mai 2021, dass die von Iran unterstützten Milizen die Rückzugspläne der USA im Frühjahr 2020 ausnützen und ihre Kontrolle im der Umgebung Bagdads erweitern. Laut ISW baut Kata’ib Hisbollah nach dem Abzug der USA außerdem ihren Einfluss speziell am irakisch-syrischen Grenzübergang in Qa‘im in der Region Anbar aus. Asa’ib Ahl al-Haqq ist speziell in der Nähe von Balad in Salah al-Din präsent und startet von dort Raketenangriffe auf die Balad Air Base und Camp Tadschi. ISW nimmt an, dass die Übergabe von Camp Tadschi von US-Truppen an irakische Sicherheitskräfte zu vermehrter Kontrolle durch Milizen geführt hat (ISW, 6. Mai 2021).

2.1 Bagdad

Die Quellen deuten auf mehrere Wirkungsfelder der Milizen in Bagdad hin. Sie konkurrieren mit offiziellen Sicherheitskräften, haben Mitglieder beziehungsweise Verbündete in wichtigen politischen Ämtern und sind teilweise für Übergriffe auf StadtbewohnerInnen verantwortlich:

Laut dem EASO-Bericht zur Sicherheitslage im Irak vom März 2019 befinden sich die Stadt Bagdad und ihre Vororte generell unter staatlicher Kontrolle, in der Praxis teilen sich jedoch die Behörden die Bereiche Verteidigung und Strafverfolgung mit den zumeist schiitischen PMF, was zu unvollständiger oder sich mit den Milizen überschneidender Kontrolle führt (EASO, März 2019, S. 75 [xxxvii]).

Im Jänner 2019 wird in Sadr City ein Restaurantbesitzer von einem Angreifer auf einem Motorrad erschossen. Zuvor ist laut Rudaw der Vorwurf an die PMF, für Verbrechen wie Erpressung, Entführung und Tötungen verantwortlich zu sein, nur verhalten vonseiten von Menschenrechtsorganisationen und BewohnerInnen sunnitischer Stadtteile geäußert worden. Dieses Mal hat jedoch ein Medium, das dem schiitischen Parteienblock Al-Hikma nahesteht, berichtet, dass der Täter später gefasst wurde und er Papiere bei sich trug, die dessen Mitgliedschaft bei Asa’ib Ahl al-Haqq bestätigen. Führende Mitglieder von Asa’ib Ahl al-Haqq lehnen diese Berichterstattung scharf ab und sehen sich als Opfer einer Verleumdungskampagne (Rudaw, 11. Jänner 2019; Al-Araby Al-Jadeed, 11. Jänner 2019).

Im Februar 2019 verweist Middle East Monitor (MEMO) unter Berufung auf Informationen der türkischen Nachrichtenagentur Anadolu auf eine Operation der Sicherheitskräfte in Bagdad, bei der vier Stützpunkte der PMF durchsucht und geschlossen wurden (MEMO, 8. Februar 2019). Im Februar 2019 kommt es innerhalb der PMF-Strukturen in Bagdad zu Auseinandersetzungen, was eine Welle von Festnahmen und Schließungen von PMF-Stützpunkten zufolge hat. Mehrere Stützpunkte der Abu Fadl Al-Abbas-Miliz sind von den Schließungen betroffen, der Aufenthaltsort des Anführers ist unbekannt. Die Durchsuchungen erfolgen, nachdem die Führung der Abu Fadl Al-Abbas-Miliz bestimmte Kräfte für die Ermordung eines Schriftstellers verantwortlich gemacht hat (Al-Araby Al-Jadeed, 8. Februar 2019).

Im Mai belagern zum Präsidentenregiment gehörende Sicherheitskräfte einen PMF-Stützpunkt in Bagdad im Stadtteil Dschadiriya und fordern die PMF dazu auf, ihren Stützpunkt zu verlassen (Al-Sumaria, 23. Mai 2019 [xxxviii]).

Laut einer Meldung auf Sumer News [xxxix] vom Juni 2019 ruft der Provinzrat von Bagdad dazu auf, die PMF zu Hilfe zu nehmen, um den Bagdad-Gürtel zu sichern (Sumer News, 9. Juni 2019).

Im Dezember 2019 greifen bei gegen die Regierung gerichteten Protesten in Bagdad nicht identifizierte Milizen DemonstrantInnen an, wobei Dutzende getötet werden. Laut Angaben eines Koordinators der Proteste trugen ein paar Angreifer, die von DemonstrantInenn gefangen genommen wurden, Ausweise der Kata’ib Hisbollah bei sich. (Al-Monitor, 6. Dezember 2019)

Anfang Februar 2020 setzt Muqtada Al-Sadr paramilitärische Gruppen, die auch „Blaue Schirmmützen“ genannt werden, ein, um Protestlager um den Tahrir-Platz in Bagdad gewaltsam zu überfallen und einzunehmen. Sadrs Miliz Saraya Al-Salam nimmt ebenfalls einen symbolträchtigen Platz der Protestbewegung ein. (FPRI, März 2020, S. 17)

Am 25. Juni führen irakische Anti-Terror-Einheiten eine Razzia im Hauptquartier der Hisbollah-Brigade, im Süden Bagdads, durch, bei der mindestens 13 Mitglieder der Gruppe festgenommen (MEMO, 26. Juni 2020) und wenige Tage später wieder freigelassen werden (Brookings, 1. Juli 2020).

Am 6. Juli wird der bekannte irakische Analytiker und Politikforscher Hisham al-Hashimi von bewaffneten Männern vor seinem Haus in Bagdad ermordet. Am 1. Juli wurde seine letzte Studie zu „Internen Meinungsverschiedenheiten in den Volksmobilisierungskräften“ veröffentlicht (Al Arabiya, 7. Juli 2020).

The Guardian [xl] berichtet im Oktober von einem Vorfall, bei dem hunderte Mitglieder von Milizen sich in und um die grüne Zone versammelten, nachdem einige Milizsoldaten Stunden zuvor von irakischen Sicherheitskräften festgenommen worden waren. Die Milizionäre kamen dem Haus des Premierministers nahe. Er forderte beim Verteidigungsministerium Unterstützung an, die nie erschien. Am nächsten Tag wurden die festgenommenen Milizsoldaten freigelassen (The Guardian, 8. Oktober 2020).

Am 17. Oktober stecken Anhänger der Volksmobilisierungskräfte (PMF) einen Teil des Hauptquartiers der Demokratischen Partei Kurdistans (KDP) im Bezirk Karrada in Bagdad in Brand, nachdem Hoshyar Zebari, Mitglied der KDP und ehemaliger stellvertretender Ministerpräsident, die Entfernung der PMF aus der internationalen Zone von Bagdad forderte (Garda, 17. Oktober 2020 [xli]).

Am 8. November greifen vier IS-Kämpfer einen PMF-Außenposten in Radwaniyah südwestlich von Bagdad an. Eine Sicherheitsquelle berichtet, dass bei dem Angriff elf Menschen getötet wurden, darunter sechs Zivilisten, die versuchten, den PMF-Kämpfern mit eigenen Waffen zu helfen (EPIC, 12. November 2020).

Im November 2020 berichtet die Washington Post, dass irakische Übersetzer zunehmend besorgt sind, dass vom Iran unterstützte Milizen ihre persönlichen Daten von kompromittierten Personen der irakischen Sicherheitskräfte erhalten haben. Die Reduzierung der US-Militärpräsenz verschärft die Anfälligkeit der von den USA beschäftigten irakischen Übersetzer für Angriffe von Anti-USA Gruppierungen (WP, 13. November 2020).

Am 17. November kommt es zu Raketenangriffen in Richtung US-Botschaft in Bagdad. Von sieben Raketen landen vier in der Grünen Zone und verletzen zwei Angehörige der irakischen Sicherheitskräfte. Eine weitere Rakete trifft den al-Zawra Park, einen beliebten Park außerhalb der Grünen Zone, bei dem eine achtzehnjährige Frau getötet und fünf Zivilist·Innen verletzt werden. Eine Rakete landet in der Medical City, während die siebte Rakete in der Luft explodiert (EPIC, 19. November 2020). Ashab al-Kahf, eine Untergruppe der Kata‘ib-Hisbollah, übernimmt zunächst die Verantwortung, doch Kata‘ib Hisbollah und die Fatah-Koalition bestreiten später die Beteiligung schiitischer Milizen an dem Angriff (VOA, 19. November 2020 [xlii]).

Am 25. November wird der irakische Aktivist Akram Adhab von zwei maskierten Männern im Bezirk al-Talbiya, im Osten Bagdads, angeschossen, nachdem er am Tag zuvor die Milizgruppe Rab’Allah auf Facebook kritisierte (Rudaw, 26. November 2020).

Am 26. November überfällt Rab'Allah, eine Gruppe mit Verbindungen zu den irakischen Volksmobilisierungskräften (PMF), einen Massagesalon in Bagdad, ruft religiöse Parolen und schlägt die dort arbeitenden Frauen mit Knüppeln und Stöcken (Rudaw, 27. November 2020).

Im Dezember berichtet EPIC, dass militante Gruppen wie Rab 'Allah ihre Angriffe auf Spirituosengeschäfte und Nachtclubs in der irakischen Hauptstadt eskaliert haben und nennt als Beispiel vier Explosionen in der Nähe von Spirituosengeschäften und die Tötung eines Inhabers eines Spirituosengeschäftes allein am 15. Dezember (EPIC, 17. Dezember 2020). Die Angriffe auf Spirituosengeschäfte werden auch im neuen Jahr weitergeführt (EPIC, 21. Jänner 2021, EPIC, 4. Februar 2021).

Am 15. Dezember wird Salih

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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