Entscheidungsdatum
11.08.2021Norm
BFA-VG §22a Abs1 Z1Spruch
W282 2223038-1/8E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Florian KLICKA, BA als Einzelrichter über die Maßnahmenbeschwerde des XXXX , geb. XXXX , Staatsangehörigkeit: Türkei, vertreten durch DELAZER & KATHREIN Rechtsanwälte, gegen die Ausübung von verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl in Form der Festnahme am 30.08.2019 zu Recht:
A)
I. Der Beschwerde wird stattgegeben und der Festnahmeauftrag bzw. die Festnahme des Beschwerdeführers am 30.08.2019 gemäß § 28 Abs. 6 VwGVG iVm § 22a Abs. 1 Z 1 und § 34 Abs. 3 Z 1 BFA-VG für rechtswidrig erklärt.
II. Gemäß § 35 Abs. 1 und 2 VwGVG iVm § 1 Z 1 VwG-AufwErsV hat der Bund (Bundesminister für Inneres) dem Beschwerdeführer Aufwendungen in Höhe von € 737,60 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
III. Der Antrag auf Aufwandsersatz der belangten Behörde wird gemäß § 35 VwGVG abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Feststellungen:
1.1 Der Beschwerdeführer (BF) ist türkischer Staatangehöriger. Der BF hält sich bereits seit dem Jahr 2003 im Bundesgebiet auf. Der BF ist im Bundesgebiet umfangreich straffällig geworden und weist sein Strafregisterauszug nun insgesamt 11 Vorstrafen auf. Der BF wurde (vor Einleitung des ggst. Verfahrens) letztmalig im Jahr 2017 vom LG Innsbruck wegen Verstößen gegen §§ 142 Abs. 1, (15) 105 Abs. 1, 83 Abs. 1, 146 StGB und § 50 Abs. 1 Z 1 u. 2 WaffG zu einer Freiheitsstrafe von 18 Monaten verurteilt (Jugendstraftat). In einer weiteren Verurteilung durch das LG Innsbruck im Jahr 2017 wurde der BF aufgrund der §§ 15, 105 StGB zu einer weiteren Freiheitsstrafe von 6 Wochen verurteilt. Gleichzeitig wurden mehrere zuvor gewährte bedingte Entlassungen widerrufen.
1.2 Am BF wurde seine Freiheitstrafe aufgrund der oben erstgenannten Verurteilung bis 02.09.2018 vollzogen an wobei er sich zu diesem Zeitpunkt bereits seit Anfang des Jahres 2018 aufgrund der widerrufenen bedingten Entlassungen in Haft befand, die Freiheitsstrafen der zweitgenannten Verurteilung und anderer Verurteilungen wurde im Anschluss daran ab vollzogen. Der BF verbüßte diese Freiheitsstrafen im Jahr 2018 in der Justizanstalt (JA) Gerasdorf am Steinfeld und ab 01.03.2019 bis zu seiner Entlassung in der JA Hirtenberg in Niederösterreich. Das errechnete Strafende aller kumulierten Freiheitsstrafen fiel auf den 02.09.2019.
1.3 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (Bundesamt oder belangte Behörde) leitete im Jahr 2018 ein Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeenden Maßnahme gegen den BF ein. So teilte das Bundesamt der BH Imst am 13.08.2018 mit, dass dieses Verfahren laufend sei, aber aufgrund des langen Inlandsaufenthalts des BF noch geprüft werde. Am 31.08.2018 teilte das Bundesamt der Bezirkshauptmannschaft Imst mit, dass zwar die Voraussetzungen des § 52 Abs. 5 FPG vorlägen, aber eine Rückkehrentscheidung im Hinblick auf § 9 BFA-VG (gemeint wohl den damals noch in Geltung stehenden § 9 Abs. 4 BFA-VG) nicht erlassen werden könne. Diese Bestimmung trat mit dem FrÄG 2018 am 31.08.2018 außer Kraft.
1.4 Das Bundesamt übermittelte in Folge am 05.11.2018 dem BF ein Parteiengehör in die JA Gerasdorf, worin er aufgefordert wurde umfangreich zu seinen persönlichen Verhältnissen Stellung zu nehmen. Am 07.11.2018 veranlasste das Bundesamt gemäß § 39 BFA-VG die Sicherstellung des bis Juli 2020 gültigen türkischen Reisepasses des BF. Der Rechtsvertreter des BF (RV) erstattete für den BF am 26.11.2018 eine Stellungnahme samt Unterlagenübermittlung im Hinblick auf das dem BF übermittelte Parteiengehör. Am 02.01.2019 übermittelte der RV dem Bundesamt weitere Beweismittel.
1.5 Am 04.03.2019 teilte die Strafvollzugsverwaltung mit, dass der BF in die JA Hirtenberg überstellt werde. Am 03.04.2019 urgierte der RV den Verfahrensstand des Verfahrens über die aufenthaltsbeendende Maßnahme. Am 29.04.2019 forderte das Bundesamt Abschriften mehrerer Strafurteile des BF an, diese langten im Zeitraum 29.04.2019 bis 06.05.2019 beim Bundesamt ein. Weitere Ermittlung erfolgten bis zum 16.07.2019 nicht. Mit 16.07.2019 war das Bundesamt über den vorbereiteten Entlassungszeitpunkt des BF aus der Strafhaft mit 30.08.2019 in Kenntnis. Auch hiernach erfolgten keine weiteren Ermittlungsschritte und keine Einvernahme des BF.
1.6. Am 29.08.2019 erließ das Bundesamt den verfahrensggst. Festnahmeauftrag, gestützt auf § 34 Abs. 3 Z 1 BFA-VG. Darin wird ausgeführt, dass die Voraussetzungen zur Anordnung der Schubhaft oder eines gelinderen Mittels vorliegen würden und die Vorführung vor das Bundesamt nicht aus anderen Gründen erfolge. Der BF sei somit am 30.08.2019 nach der Entlassung aus der Strafhaft festzunehmen und der verfahrensführenden Dienstelle des Bundesamtes in Wiener Neustadt vorzuführen.
1.7. Der BF wurde in Folge von der Polizei am 30.08.2019 08:00h bei seiner Entlassung aus der JA Hirtenberg für das Bundesamt iSd § 40 BFA-VG festgenommen und dem Bundesamt im Stande der Festnahme auftragsgemäß vorgeführt. Dort folgte eine kurze niederschriftliche Einvernahme des BF im Hinblick auf die etwaige Verhängung der Schubhaft bzw. eines gelinderen Mittels. Danach wurde der BF aus der Anhaltung im Stande der Festnahme um 11:45h entlassen.
1.8. Der RV brachte für den BF am 02.09.2019 fristgerecht die ggst. Maßnahmenbeschwerde gemäß Art. 130 Abs.1 Z 2 B-VG beim Bundesverwaltungsgericht ein. Darin wird vorgebracht, die herangezogenen Festnahmegründe lägen nicht vor, bzw. sei diese nicht verhältnismäßig und nicht notwendig gewesen, da der BF aufgrund seines Aufenthalts in Strafhaft seit Herbst 2018 bis 30.08.2019 durchgehend greifbar war. Es seien aber nach dem Parteiengehör an den BF im November keine erkennbaren Ermittlungsschritte mehr gesetzt worden, obwohl der BF die ganze Zeit über in der Justizanstalt hätte einvernommen werden können. Erst am letzten Tag vor der Entlassung sei ein Festnahmeauftrag sei kurzfristig die Festnahme angeordnet worden um sich den BF gleichsam „frei Haus liefern“ zu lassen. Es werde die Rechtswidrigkeitserklärung des Festnahmeauftrags vom 29.08.2019 und Kostenersatz beantragt.
1.9. Das Bundesamt legte noch im September 2019 den Verwaltungsakt vor und erstattete eine Stellungnahme. Das Bundesamt beantragte ebenfalls Kostenersatz.
1.10 Mit Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses 22.03.2021 wurde das ggst. Verfahren der Gerichtsabteilung W140 abgenommen und der Gerichtsabteilung W281 neu zugewiesen. Mit Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses vom 29.06.2021 wurde das ggst. Verfahren der Gerichtsabteilung W281 abgenommen und der Gerichtsabteilung W282 neu zugewiesen.
II. Beweiswürdigung
Beweis wurde erhoben durch Einsicht in den Verwaltungsakt des Bundesamtes und in den Gerichtsakt des Bundesverwaltungsgerichts sowie durch Einsichtnahme in die zum Akt genommenen Urkunden, an deren Echtheit und Richtigkeit keine Zweifel bestehen und durch Einsichtnahme im die Anhaltedatei des BMI. Auszüge aus dem Strafregister und Zentralen Melderegister wurden ergänzend eingeholt.
Die Feststellungen zum Verfahrensablauf ergeben sich insoweit widerspruchsfrei aus dem Verwaltungsakt des Bundesamtes in Zusammenhalt mit der Beschwerde. Die in den Feststellungen genannten Daten der jeweiligen Ermittlungsschritte sind ebenfalls dem elektronisch vorgelegten Verwaltungsakt entnommen (OZ 2 u. 3). Dass das Bundesamt am 16.07.2019 über den vorbereiteten Entlassungstermin des BF zum 30.08.2019 informiert war, ergibt sich aus der im Verwaltungsakt einliegenden Strafvollzugsinformation vom 16.07.2019 (OZ 2) in der dieses Datum mit Leuchtstift hervorgehoben wurde. Die Feststellungen, dass zwischen April 2019 und 16.07.2019 und auch zwischen 16.07.2019 und der Entlassung des BF aus der Strafhaft am 30.08.2019 keine maßgeblichen Ermittlungsschritte gesetzt wurden, ergibt sich daraus, dass solche im Verwaltungsakt nicht ersichtlich sind.
Im Übrigen bestanden im ggst. Fall auch keine strittigen Sachverhaltsfragen hinsichtlich des Verfahrensgangs.
3. Rechtliche Beurteilung:
Zu A):
Gemäß § 7 Abs. 1 Z 3 BFA-VG erkennt das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Maßnahmen unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt gemäß dem 1. Hauptstück des 2. Teiles des BFA-VG und gemäß dem 7. und 8. Hauptstück des FPG.
Gemäß § 22a Abs. 1 Z 1 BFA-VG hat der Fremde das Recht das Bundesverwaltungsgericht mit der Behauptung der Rechtswidrigkeit der Festnahme anzurufen, wenn er auf Grundlage des BFA-VG festgenommen wurde.
Gemäß § 28 Abs. 6 VwGVG ist im Verfahren wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG, wenn eine Beschwerde nicht zurückzuweisen oder abzuweisen ist, vom Verwaltungsgericht die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt für rechtswidrig zu erklären und gegebenenfalls aufzuheben. Dauert die für rechtswidrig erklärte Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt noch an, so hat die belangte Behörde unverzüglich den der Rechtsanschauung des Verwaltungsgerichtes entsprechenden Zustand herzustellen.
3.1. Rechtsgrundlagen:
Die §§ 34 u. 22a BFA-VG lauten wie folgt:
Festnahmeauftrag (BFA-VG)
§ 34. (1) Das Bundesamt kann die Festnahme eines Fremden anordnen (Festnahmeauftrag), wenn dieser
1. Auflagen gemäß §§ 56 Abs. 2 oder 71 Abs. 2 FPG verletzt, oder
2. sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält und nicht in den Anwendungsbereich des 6. Hauptstückes des FPG fällt.
(2) Das Bundesamt kann die Festnahme eines Fremden auch ohne Erlassung eines Schubhaftbescheides anordnen, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, dass die Voraussetzungen für die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme vorliegen und
1. der Fremde ohne ausreichende Entschuldigung einer ihm zu eigenen Handen zugestellten Ladung, in der dieses Zwangsmittel angedroht war, nicht Folge geleistet hat oder
2. der Aufenthalt des Fremden nicht festgestellt werden konnte.
(3) Ein Festnahmeauftrag kann gegen einen Fremden auch dann erlassen werden,
1. wenn die Voraussetzungen zur Verhängung der Schubhaft nach § 76 FPG oder zur Anordnung gelinderer Mittel gemäß § 77 Abs. 1 FPG vorliegen und nicht aus anderen Gründen die Vorführung vor das Bundesamt erfolgt;
2. wenn er seiner Verpflichtung zur Ausreise (§§ 52 Abs. 8 und 70 Abs. 1 FPG) nicht nachgekommen ist;
3. wenn gegen den Fremden ein Auftrag zur Abschiebung (§ 46 FPG) erlassen werden soll oder
4. wenn eine aufgrund eines Bescheides gemäß § 46 Abs. 2b FPG erlassene Vollstreckungsverfügung nicht vollzogen werden konnte oder der Fremde ohne ausreichende Entschuldigung einer ihm zu eigenen Handen zugestellten Ladung gemäß § 46 Abs. 2b FPG, in der dieses Zwangsmittel angedroht war, zur Befragung zur Klärung seiner Identität und Herkunft, insbesondere zum Zweck der Einholung einer Bewilligung gemäß § 46 Abs. 2a FPG bei der zuständigen ausländischen Behörde durch die Behörde, nicht Folge geleistet hat.
(4) Das Bundesamt kann die Festnahme eines Asylwerbers anordnen, wenn er sich dem Verfahren entzogen hat (§ 24 Abs. 1 AsylG 2005).
(5) Der Festnahmeauftrag ergeht in Ausübung verwaltungsbehördlicher Befehlsgewalt; er ist aktenkundig zu machen. Die Anhaltung auf Grund eines Festnahmeauftrages darf 72 Stunden nicht übersteigen und ist nach Durchführung der erforderlichen Verfahrenshandlungen zu beenden.
(6) In den Fällen der Abs. 1 bis 4 ist dem Beteiligten auf sein Verlangen sogleich oder binnen der nächsten 24 Stunden eine Durchschrift des Festnahmeauftrages zuzustellen.
(7) Die Anhaltung eines Fremden, gegen den ein Festnahmeauftrag erlassen wurde, ist dem Bundesamt unverzüglich anzuzeigen. Dieses hat mitzuteilen, ob der Fremde in eine Erstaufnahmestelle oder Regionaldirektion vorzuführen ist.
(8) Ein Festnahmeauftrag ist zu widerrufen, wenn
1. das Verfahren zur Zuerkennung des Status des Asylberechtigten eingestellt wurde und die Fortsetzung des Verfahrens nicht mehr zulässig ist (§ 24 Abs. 2 AsylG 2005) oder
2. der Asylwerber aus eigenem dem Bundesamt oder dem Bundesverwaltungsgericht seinen Aufenthaltsort bekannt gibt und nicht auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, er werde sich wieder dem Verfahren entziehen.
(Anm.: Z 3 aufgehoben durch BGBl. I Nr. 70/2015)
(9) Das Bundesamt hat die Erlassung und den Widerruf eines Festnahmeauftrags den Landespolizeidirektionen bekannt zu geben.
Rechtsschutz bei Festnahme, Anhaltung und Schubhaft (BFA-VG)
§ 22a. (1) Der Fremde hat das Recht, das Bundesverwaltungsgericht mit der Behauptung der Rechtswidrigkeit des Schubhaftbescheides, der Festnahme oder der Anhaltung anzurufen, wenn
1. er nach diesem Bundesgesetz festgenommen worden ist,
2. er unter Berufung auf dieses Bundesgesetz angehalten wird oder wurde, oder
3. gegen ihn Schubhaft gemäß dem 8. Hauptstück des FPG angeordnet wurde.
(1a) Für Beschwerden gemäß Abs. 1 gelten die für Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG anwendbaren Bestimmungen des VwGVG mit der Maßgabe, dass belangte Behörde jene Behörde ist, die den angefochtenen Schubhaftbescheid erlassen hat oder der die Festnahme oder die Anhaltung zuzurechnen ist.
3.2 Zum konkreten Fall:
Zur leichteren Verständlichkeit und besseren Übersicht ist bereits eingangs die Rsp. des VwGH zu einem ähnlich gelagerten Fall auszugsweise anzuführen:
„4 Der Mitbeteiligte wurde aufgrund eines vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) mit 24. März 2020 ausgestellten, auf § 34 Abs. 3 Z 1 BFA-VG gestützten Festnahmeauftrags am 25. März 2020, um 8.00 Uhr, nach seiner Entlassung aus der Strafhaft gemäß § 40 Abs. 1 Z 1 BFA-VG festgenommen und in das Polizeianhaltezentrum Wien-Hernalser Gürtel überstellt. Dort wurde ihm am 26. März 2020, um 14.45 Uhr, der Bescheid des BFA vom 25. März 2020 ausgehändigt, mit dem gegen den Mitbeteiligten (ohne vorhergehende Vernehmung) gemäß § 76 Abs. 2 Z 2 FPG iVm § 57 Abs. 1 AVG die Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung angeordnet worden war.
[..]
16 Der gegen den Mitbeteiligten erlassene Festnahmeauftrag gründete sich auf § 34 Abs. 3 Z 1 BFA-VG, wonach ein solcher Auftrag gegen einen Fremden dann erlassen werden kann, wenn die Voraussetzungen zur Verhängung der Schubhaft nach § 76 FPG oder zur Anordnung gelinderer Mittel gemäß § 77 Abs. 1 FPG vorliegen und nicht aus anderen Gründen die Vorführung vor das Bundesamt erfolgt. Die Festnahme erfolgte dann unter Berufung auf § 40 Abs. 1 Z 1 BFA-VG, wonach die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes ermächtigt sind, einen Fremden zum Zweck der Vorführung vor das BFA festzunehmen, wenn gegen ihn ein Festnahmeauftrag gemäß § 34 BFA-VG besteht.
17 Das BVwG erklärte die Festnahme und die darauf gegründete Anhaltung des Mitbeteiligten (bis zur Erlassung des Schubhaftbescheides) für rechtswidrig, weil nach dem Ergebnis seines Verfahrens die in § 34 Abs. 3 Z 1 BFA-VG genannten Voraussetzungen nicht vorlägen.
18 Diese Auffassung wird in der Amtsrevision bekämpft. Die in Rede stehende Bestimmung verlange nicht die Gewissheit, eine Schubhaft auch tatsächlich verhängen zu können. Vielmehr stelle diese Norm - wie sich aus den Gesetzesmaterialien ergebe (Hinweis auf ErläutRV zum FNG 1803 BlgNR 24. GP 25) - den rechtlichen Rahmen dafür dar, dass eine weitere Sicherungsmaßnahme zu überprüfen sei.
19 Dazu ist zu ergänzen, dass es auch in der Begründung des gegenständlichen Festnahmeauftrags ausdrücklich heißt, die Festnahme erfolge „zur Prüfung einer Sicherungsmaßnahme im Anschluss an die Strafhaft“. Schon deshalb erweisen sich die Festnahme und die anschließende Anhaltung aber als rechtswidrig, weil die Verwirklichung dieses Zwecks offenbar von Anfang an gar nicht angestrebt war. Der Mitbeteiligte wurde nämlich entsprechend dem „Einlieferungsauftrag“ vom 24. März 2020 nach seiner Entlassung aus der Justizanstalt Hirtenberg festgenommen, um ihn direkt nach Wien in das Polizeianhaltezentrum Hernalser-Gürtel zu verbringen und nicht um ihn dem BFA - der verfahrensführenden Regionaldirektion Niederösterreich, Außenstelle Wiener Neustadt - zur Durchführung einer Vernehmung und Prüfung der Voraussetzungen für die Anordnung von Sicherungsmaßnahmen, konkret von Schubhaft, vorzuführen. Im Übrigen hätte eine solche Prüfung - selbst wenn man mit der Amtsrevision davon ausgeht, dass das BFA das Verfahren erst nach Einlangen der Mitteilung von der bevorstehenden bedingten Entlassung des Mitbeteiligten am 17. März 2020 hätte einleiten müssen - auch aufgrund der örtlichen Nähe jedenfalls noch in der verbleibenden Woche der Anhaltung des Mitbeteiligten in Strafhaft vorgenommen werden können. Außerdem ist nicht zu sehen, weshalb die Zustellung des ohne irgendwelche erkennbaren Ermittlungen ausgefertigten Schubhaftbescheides an den Mitbeteiligten erst fast 30 Stunden nach seiner Festnahme vorgenommen wurde, was überdies erhebliche Zweifel an der Verhältnismäßigkeit einer so langen Anhaltung in Verwahrungshaft begründet. Da dem BVwG somit jedenfalls im Ergebnis auch in diesem Punkt gefolgt werden kann, ist die Amtsrevision auch insoweit nicht im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig.“ (VwGH 16.07.2020, Ra 2020/21/0188).
Auf Basis des zitierten ist somit festzuhalten, dass die Beschwerde nicht im Recht ist, wenn sie vermeint der Festnahmegrund des § 34 Abs. 3 Z 1 BFA-VG habe im ggst. Fall nicht vorgelegen. Wie der VwGH unter Verweis auf die Gesetzesmaterialien ausführt, dient diese Bestimmung nicht nur dem Recht des Bundesamtes Fremde festnehmen zu lassen, wenn die Verhängung einer Sicherungsmaßnahme nach den §§ 76, 77 FPG bereits sicher ist, sondern steht es dem Bundesamt dem Grunde nach auch zu, Fremde auf Grundlage dieser Bestimmung zu Abklärung der Notwendigkeit der Verhängung der Schubhaft bzw. eines gelinderen festnehmen und vorführen zu lassen. Das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) kann fallbezogen nicht erkennen, warum angesichts des abgelaufenen Aufenthaltstitels und des bereits laufenden Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeenden Maßnahme dieser Festnahmegrund am 29.08.2019 nicht vorgelegen haben sollte. Dabei ist nämlich zu beachten, dass die Verhängung der Schubhaft gemäß § 76 Abs. 2 Z 2 FPG nicht nur zur Sicherung der Abschiebung, sondern auch zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeenden Maßnahme verhängt werden kann. Der (von anderen Erwägungen vorerst losgelöste) Festnahmegrund des § 34 Abs. 3 Z 1 BFA-VG liegt daher dem Grunde nach vor.
Die Beschwerde ist aber dahingehend im Recht, wenn sie vorbringt, dass die Festnahme des BF am 30.08.2019 weder verhältnismäßig noch im Hinblick auf den angestrebten Zweck der Festnahme (Vorführung vor die verfahrensführende Dienststelle des Bundesamtes zur Abklärung der Notwendigkeit der Verhängung von Sicherungsmaßnahmen nach den §§ 76, 77 FPG) notwendig war. Naturgemäß gilt auch hier – wie bei jeder Ausübung verwaltungsbehördlicher Befehls- oder Zwangsgewalt – das Primat der Verhältnismäßigkeit und einer möglichst grundrechtschonenden Ausübung von Befehls- und Zwangsbefugnissen. Ist also der angestrebte Zweck des Aktes Befehls- oder Zwangsgewalt auch auf anderem Wege, mit gelinderen und grundrechtschonenderen Mitteln erreichbar, sind diese Maßnahmen zu ergreifen und der dagegen grundrechtintensivere Eingriff in (ggst.) das Recht auf persönliche Freiheit zu unterlassen.
Wie die Beschwere zu recht moniert, wird die Vorgangsweise der belangten Behörde diesem Standard im ggst. Fall nicht gerecht: Das Bundesamt hatte nämlich nach Aufhebung des § 9 Abs. 4 BFA-VG mit dem FrÄG 2018 Ende August 2018 fast ein Kalenderjahr Zeit, um den BF noch in Strafhaft hinsichtlich einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme und der etwaigen Prüfung der Verhängung von Sicherungsmaßnahmen nach den §§ 76, 77 FPG niederschriftlich einzuvernehmen. Tatsächlich übermittelte das Bundesamt dem BF im November 2018 ein schriftliche Parteiengehör, das der BF auch fristgerecht schriftlich beantwortete. Der RV übermittelte zusätzlich am 02.01.2019 weitere Unterlagen an das Bundesamt. Auch die Nachricht von der Überstellung des BF im März 2019 in eine andere JA lösten bei der belangten Behörde keine unmittelbaren Ermittlungsschritte aus; erst Ende April wurden einige ausstehende Abschriften von Strafurteilen angefordert. Nach Einlangen dieser Abschriften geschah trotz Urgenz des RV im April 2019 erneut weiter nichts. Dem Bundesamt war aber bereits seit 2018 aufgrund der Strafvollzugsinformation das errechnete Strafende des BF am 02.09.2019 bekannt. Zumindest seit 16.07.2019 war der belangten Behörde auch der vorbereitete Entlassungstermin des BF am 30.08.2019 bekannt, wobei dieser Termin im Verwaltungsakt sogar mit Leuchtstift hervorgehoben wurde. Dennoch erfolgten auch jetzt im Hinblick auf die Prüfung der Verhängung von Sicherungsmaßnahmen nach den §§ 76, 77 FPG keine weiteren Ermittlungsschritte wie beispielsweise eben die Einvernahme des BF (noch in Strafhaft) zu diesem Umstand.
Erst am Vortag der Entlassung des BF aus der Strafhaft wurde die belangte Behörde tätig und erließ den angefochtenen Festnahmeauftrag um den BF bei seiner Entlassung am nächsten Tag festnehmen zu lassen und ihn vor die verfahrensführende Dienststelle des Bundesamtes zwecks Einvernahme zur Notwendigkeit der Verhängung von Sicherungsmaßnahmen vorführen zulassen. Die Erreichung des Zwecks der ggst. Festnahme, nämlich die Vorführung zur Einvernahme wäre aber in den Monaten zuvor im Stande der Strafhaft des BF jederzeit möglich gewesen; dies jedoch zum einen unter Schonung des Rechts auf persönliche Freiheit des BF, dass diesem trotz seiner erheblichen Straffälligkeit mit Strafhaftentlassung wieder uneingeschränkt zukam und zum anderen auch unter Schonung behördlicher Ressourcen, da die Festnahme durch die Polizei und die Vorführung ebenfalls (letztlich nicht notwendigen) Aufwand bedeutet.
Der VwGH geht im oben wiedergegeben Erkenntnis in Rn. 19 auch erkennbar davon aus, dass der belangten Behörde, wobei auch in diesem Fall die verfahrensführende Dienstelle mit jener der VwGH Entscheidung ident ist, aufgrund der örtlichen Nähe zur JA Hirtenberg selbst bei einer Reststrafdauer von nur einer Woche eine Einvernahme eines Fremden im Hinblick auf die Verhängung von Schubhaft noch in Strafhaft zugemutet werden kann. Es ergibt sich von selbst, dass dies umso mehr für einen Fall gelten muss, in dem der belangten Behörde nicht bloß eine Woche, sondern mehrere Monate für die Einvernahme des BF im Hinblick auf einen Sicherungsbedarf iSd § 76 FPG zur Verfügung gestanden wären. Zusätzlich sei an dieser Stelle auch erwähnt, dass die belangte Behörde mit der ggst. Vorgangsweise auch jene Judikatur des VwGH außer Acht lässt, in der der VwGH festhält, dass die Verhängung der Schubhaft im Anschluss an die Strafhaft nach tunlichster Möglichkeit zu unterbleiben hat, da bereits vor der Haftentlassung die notwendigen Verfahrensschritte hinsichtlich der Aufenthaltsbeendigung zu setzen sind (jüngst zB VwGH 19.11.2020, Ra 2020/21/0264), was ggst. unterlassen wurde.
Die Erlassung des angefochtenen Festnahmeauftrags und die darauf gestützte Festnahme am 30.08.2019 erweisen sich unter diesen Gesichtspunkten daher weder als notwendig noch als verhältnismäßig. Der angefochtene Festnahmeauftrag des Bundesamtes vom 29.08.20219 und die darauf gestützte Festnahme den BF betreffend war daher gemäß § 28 Abs. 6 VwGVG iVm § 22a Abs. 1 Z 1 u. 2 und § 34 Abs. 3 Z 1 BFA-VG für rechtswidrig zu erklären.
3.3 Zur Kostenentscheidung (Spruchpunkte II und III.):
Gemäß § 22a Abs. 1a BFA-VG gelten für Beschwerden nach dieser Bestimmung die für Beschwerden wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt anwendbaren Bestimmungen des VwGVG mit der Maßgabe, dass belangte Behörde jene Behörde ist, die den angefochtenen Schubhaftbescheid erlassen hat oder der die Festnahme oder die Anhaltung zuzurechnen ist (für die Zeit vor Inkrafttreten des § 22a Abs. 1a BFA-VG s. VwGH 23.04.2015, Ro 2014/21/0077).
Gemäß § 35 Abs. 1 VwGVG hat die im Verfahren über Beschwerden wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt obsiegende Partei Anspruch auf Ersatz ihrer Aufwendungen durch die unterlegene Partei. Wenn die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt für rechtswidrig erklärt wird, dann ist gemäß Abs. 2 der Beschwerdeführer die obsiegende und die Behörde die unterlegene Partei. Wenn die Beschwerde zurückgewiesen oder abgewiesen wird oder vom Beschwerdeführer vor der Entscheidung durch das Verwaltungsgericht zurückgezogen wird, dann ist gemäß Abs. 3 die Behörde die obsiegende und der Beschwerdeführer die unterlegene Partei. Die §§ 52 bis 54 VwGG sind gemäß Abs. 6 auf den Anspruch auf Aufwandersatz gemäß Abs. 1 sinngemäß anzuwenden.
Im gegenständlichen Verfahren ist der Beschwerdeführer obsiegende Partei, weshalb ihm Aufwandersatz im beantragten gesetzlichen Umfang gemäß § 35 Abs. 2 VwGVG iVm § 1 Z 1 VwG-Aufwandersatzverordnung zuzusprechen war.
Der belangten Behörde gebührt als unterlegene Partei kein Aufwandsersatz, weswegen ihr Antrag gemäß § 35 Abs. 1 u. 2 VwGVG abzuweisen war.
4. Zum Unterbleiben einer mündlichen Verhandlung:
Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG iVm § 24 Abs. 4 VwGVG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht.
Gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG kann eine Verhandlung entfallen, wenn der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben oder die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt für rechtswidrig zu erklären ist. Gegenständlich ergab sich bereits aus der Aktenlage, dass die angefochtene Ausübung der unmittelbareren verwaltungsbehördlichen Befehls- und Zwangsgewalt für rechtswidrig zu erklären war, weshalb die Durchführung einer mündlichen Verhandlung entfallen konnte.
Zu B):
Zur Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen (jeweils in der Begründung zitierten) Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
In der Beschwerde findet sich kein schlüssiger Hinweis auf das Bestehen von Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung im Zusammenhang mit dem gegenständlichen Verfahren und sind solche auch aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichts nicht gegeben. Die Entscheidung folgt der zitierten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes.
Schlagworte
Aufwandersatz Festnahmeauftrag Haft Rechtswidrigkeit unverhältnismäßiger EingriffEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2021:W282.2223038.1.00Im RIS seit
08.11.2021Zuletzt aktualisiert am
08.11.2021