TE Bvwg Erkenntnis 2021/8/12 W111 2198253-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 12.08.2021
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Entscheidungsdatum

12.08.2021

Norm

AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §54 Abs1 Z1
AsylG 2005 §55 Abs1 Z2
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §58 Abs2
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9 Abs2
BFA-VG §9 Abs3
B-VG Art133 Abs4
FPG §52
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §31 Abs1

Spruch


W111 2198253-1/9E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Dr. DAJANI, LL.M., als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX alias XXXX alias XXXX geb. XXXX alias XXXX , StA. Russische Föderation, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 07.05.2018, Zl. 1098284705-151951448, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 27.05.2021

A)

I. den Beschluss gefasst:

Das Beschwerdeverfahren wird hinsichtlich der Spruchpunkte I. und II. wegen Zurückziehung der Beschwerde im Rahmen der mündlichen Beschwerdeverhandlung eingestellt.

II. zu Recht erkannt:

1.        Die Beschwerde gegen Spruchpunkt III. wird als unbegründet abgewiesen.

2.       Im Übrigen wird der Beschwerde stattgegeben, der Bescheid hinsichtlich der bekämpften Spruchpunkte IV. – VI. aufgehoben, eine Rückkehrentscheidung gemäß § 9 Abs. 3 BFA-VG idgF für auf Dauer unzulässig erklärt und XXXX alias XXXX alias XXXX gemäß §§ 54 Abs. 1 Z 1, 55 Abs. 1 und 58 Abs. 2 AsylG 2005 idgF der Aufenthaltstitel „Aufenthaltsberechtigung plus“ für die Dauer von 12 Monaten erteilt.

B) Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer, ein volljähriger Staatsbürger der Russischen Föderation, stellte am 11.11.2015 den vorliegenden Antrag auf Gewährung internationalen Schutzes, nachdem er zuvor illegal ins Bundesgebiet eingereist war. Anlässlich seiner am 09.12.2015 abgehaltenen niederschriftlichen Erstbefragung vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab der Beschwerdeführer an, er gehöre der tschetschenischen Volksgruppe sowie dem islamischen Glauben an und sei im Vorfeld der Ausreise aus Tschetschenien Student der Rechtswissenschaften gewesen. Seine Mutter und sein Bruder hielten sich unverändert in Tschetschenien auf. Den Entschluss zur Ausreise habe er Ende Oktober 2015 gefasst und sei Anfang November 2015 illegal und schlepperunterstützt über eine näher beschriebene Route nach Österreich gereist. Zum Grund seiner Flucht führte er aus, er habe Tschetschenien wegen Blutrache verlassen. Sein Bruder, welcher die Schuld daran trage, befinde sich im Gefängnis, sodass der Beschwerdeführer alleine geflüchtet wäre.

Mit Eingabe vom 27.03.2018 gab die nunmehr bevollmächtigte Vertreterin des Beschwerdeführers bekannt, dass der Beschwerdeführer im Zuge der Einreise vom Schlepper zur Verwendung unrichtiger Daten angehalten worden sei; tatsächlich führe er einen nunmehr bekanntgegebenen abweichenden Namen sowie ein anderes Geburtsdatum, was durch eine anbei übermittelte Geburtsurkunde belegt werde. Desweiteren wurden die Geburtsurkunde und ein Meldezettel des zwischenzeitlich in Österreich geborenen Kindes des Beschwerdeführers sowie der Meldezettel der Kindesmutter in Vorlage gebracht. Dem Sohn des Beschwerdeführers komme der Status eines subsidiär Schutzberechtigten in Österreich zu, sodass § 34 AsylG 2005 zur Anwendung gelange.

Am 29.03.2018 wurde der Beschwerdeführer im zugelassenen Verfahren vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl im Beisein einer Dolmetscherin für die russische Sprache niederschriftlich zu seinem Antrag auf internationalen Schutz einvernommen. Der Beschwerdeführer gab auf entsprechende Befragung hin zusammengefasst zu Protokoll (zum detaillierten Verlauf seiner Befragung vgl. Verwaltungsakt, Seiten 65 bis 87), er sei gesund und benötige keine Medikamente. In Österreich habe er familiäre Bindungen zu seinem Sohn und seiner Lebensgefährtin, mit der er nach tschetschenischem Brauch verheiratet sei. Der Beschwerdeführer lebe mit der Genannten zusammen, sei jedoch an einer anderen Adresse gemeldet. Der Beschwerdeführer bestreite seinen Lebensunterhalt von der Grundversorgung und besuche einen Deutschkurs.

Tschetschenien habe er wegen der Blutrache verlassen. Im Juli 2015 habe sein Bruder einen anderen bei einer Rauferei so schwer verletzt, dass dieser gestorben sei und sitze aus diesem Grund nunmehr im Gefängnis. Die Familie des Getöteten habe dann die Blutrache ausgerufen. Der Bruder des Beschwerdeführers habe ohne Berechtigung eine Waffe getragen und sei aus diesem Grund verurteilt worden. Der andere Mann, welcher für einen Sicherheitsdienst tätig gewesen wäre, habe ebenfalls eine Waffe getragen. Es sei keine Anzeige erstattet worden, der Bruder des Beschwerdeführers sei dann noch eine Woche auf freiem Fuß gewesen und in der Folge wegen illegalen Waffenbesitzes verhaftet worden. Der Beschwerdeführer sei aus Tschetschenien ausgereist, um der Blutrache zu entgehen, welche ihn als männlichen Angehörigen treffen würde. Der Beschwerdeführer sei im August 2015 nach Moskau gereist, wo er ein Touristenvisum für Italien besorgt hätte, im Anschluss sei er nochmals nach Tschetschenien zurückgekehrt und dort bis Anfang November 2015 verblieben, um sich von seiner Familie zu verabschieden. In den Wochen vor seiner Ausreise habe es verbale Drohungen, jedoch keine physischen Angriffe gegen ihn gegeben. Man habe ihm ins Gesicht gesagt, dass er nicht mehr lange zu leben habe. Da es sich um eine einflussreiche Familie mit Kontakten zur Behörde gehandelt hätte, hätte der Beschwerdeführer sich nicht mit dieser einigen können. Es wäre ihm nicht möglich gewesen, in Moskau zu verbleiben und dort ungehindert zu leben, da diese Leute ihn wegen der Position des Onkels des Getöteten im Innenministerium auch dort hätten finden können. Mit Ausnahme der Bedrohung durch die Familie des Getöteten sei der Beschwerdeführer keiner Verfolgung oder Bedrohung in Tschetschenien ausgesetzt gewesen; infolge seiner Ausreise sei der zuständige Rayonspolizist zur Mutter des Beschwerdeführers gekommen und hätte nach dessen Aufenthaltsort gefragt. Er habe der Mutter mitgeteilt, dass Gerüchte kursieren würden, dass der Beschwerdeführer sich irgendwelchen Organisationen angeschlossen hätte und sich angeblich in der Ukraine aufhielte. Abgesehen vom Onkel des Getöteten sei er von behördlicher oder staatlicher Seite nicht bedroht worden und es werde seines Wissens nach nicht nach ihm gefahndet. Der Beschwerdeführer hätte in seinem Herkunftsland keine Verfolgung aus politischen, religiösen oder ethnischen Gründen zu befürchten und er habe sich dort nie in Haft befunden. Im Falle einer Rückkehr nach Tschetschenien würde er in erster Linie befürchten, wegen dieser Blutrache getötet zu werden und es könnte auch sein, dass man ihm eine Straftat unterschieben und ihn ins Gefängnis bringen würde. Wenn jemand nicht mehr zuhause anzutreffen sei, stelle man die Vermutung in den Raum, dass jene Person einer illegalen Organisation angehören könnte. Tatsächlich habe er nie Kontakt zu einer illegalen Organisation gehabt, er sei Student gewesen und habe ein Praktikum bei einer Behörde absolviert. Da der Onkel des Getöteten stellvertretender Leiter der Fahndungsbehörde für Inneres XXXX in der Heimatstadt des Beschwerdeführers gewesen sei und nunmehr Leiter der XXXX wäre, habe der Beschwerdeführer die Blutracheabsichten der Familie nicht behördlich zur Anzeige bringen können. Die erwähnte Behörde sei nur in Tschetschenien tätig, arbeite jedoch mit anderen Subjekten der Russischen Föderation zusammen. Belege für sein Vorbringen könne er nicht in Vorlage bringen. Die Familie des Getöteten habe keine Anzeige gegen den Bruder des Beschwerdeführers erstattet, da sie nicht gewollt habe, dass dieser ins Gefängnis komme, zumal sie diesfalls keine Handhabe über ihn gehabt hätte. Offiziell hätten sie ausgesagt, dass das Opfer sich durch unsachgemäße Handhabung seiner Waffe selbst getötet habe; der Vorfall sei den Behörden zur Kenntnis gelangt, da der Bruder des Beschwerdeführers, welcher ebenfalls verletzt worden sei, ein Krankenhaus aufgesucht hätte. Sein Bruder sei zu einer Haftstrafe von fünf Jahren verurteilt worden.

Der Beschwerdeführer legte Deutschkursteilnahmebestätigungen, eine Einstellungszusage, ein Vaterschaftsankerkenntnis sowie ein Schreiben des XXXX mit welchem die Gefahr der Blutrache bestätigt werde, vor.

Mit Eingabe vom 27.04.2018 erstattete die rechtsfreundliche Vertreterin des Beschwerdeführers eine Stellungnahme zum anlässlich der Einvernahme ausgehändigten Berichtsmaterial zur Situation im Herkunftsstaat des Beschwerdeführers, in welcher ausgeführt wurde, Blutrache und Ehrenmorde seien in Tschetschenien weit verbreitet und würden von den dortigen Strafverfolgungsbehörden oft nur unzureichend geahndet. Die vorgelegten Länderberichte würden auf diese Thematik jedoch keinen Bezug nehmen. Zudem sei dem Beschwerdeführer – abgeleitet vom Status seines minderjährigen Sohnes – zumindest ebenfalls der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen.

Beiliegend übermittelt wurden Kopien zweier (nicht leserlicher) Ladungen sowie ein Bericht über das Verhältnis zwischen Scharia und russischem Recht.

2. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 07.05.2018 hat das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag der beschwerdeführenden Partei auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.) und den Antrag gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation abgewiesen (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen wurde gemäß § 57 AsylG nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG idgF wurde gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG idgF erlassen (Spruchpunkt IV.) und es wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG unter einem festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers in die Russische Föderation gemäß § 46 FPG zulässig ist (Spruchpunkt V.) sowie dass die Frist für die freiwillige Ausreise des Beschwerdeführers gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG 14 Tage ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung betrage (Spruchpunkt VI.).

Die Behörde stellte die Staatsbürgerschaft, Religion und Volksgruppenzugehörigkeit, nicht jedoch die genaue Identität des Beschwerdeführers fest und legte ihrer Entscheidung Feststellungen zur aktuellen Situation in dessen Herkunftsstaat zu Grunde. Es habe nicht festgestellt werden können, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Rückkehr in die Russische Föderation Verfolgung aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung ausgesetzt sein würde. Im Rahmen der Beweiswürdigung wurde ausgeführt, der Beschwerdeführer habe sein Vorbringen hinsichtlich einer ihm drohenden Blutrache nicht glaubhaft gemacht. Der Beschwerdeführer habe keine Belege für die fluchtkausalen Geschehnisse in Vorlage gebracht und ein nur vages Vorbringen erstattet. Nicht nachvollziehbar sei, weshalb sein Bruder, sollte er tatsächlich ein Tötungsdelikt begangenen haben, zu einer fünfjährigen Haftstrafe wegen Waffenbesitzes verurteilt worden wäre, zumal die Polizei den Angaben des Beschwerdeführers zufolge Ermittlungen zum Raufhandel aufgenommen hätte. Zudem wäre es dem Beschwerdeführer möglich gewesen, sich alternativ in Moskau niederzulassen, wo er sich bereits im Vorfeld der Ausreise zwei Monate lang aufgehalten hätte, ohne dass es zu Vorfällen gekommen wäre, welche auf eine allfällige Einflussnahme des Onkels des Getöteten zurückzuführen gewesen wären. Demnach wäre dem Beschwerdeführer selbst im Falle der Wahrunterstellung seines Vorbringens hinsichtlich der Befürchtung von Blutrache in Moskau und anderen Gebieten der Russischen Föderation eine innerstaatliche Fluchtalternative zur Verfügung gestanden. Mitte Oktober wäre der Beschwerdeführer infolge seines Aufenthaltes in Moskau wieder nach Tschetschenien zurückgekehrt und hätte sich dort noch zwei Wochen bei seiner Familie aufgehalten, ohne in diesem Zeitraum einer Gefährdung durch die Familie des Getöteten unterlegen zu haben. Zudem sei eine dem Beschwerdeführer drohende Blutrache auch deshalb nicht nachvollziehbar, da der Täter zu einer nur fünfjährigen Haftstrafe verurteilt worden sei, sodass es der Familie des Getöteten offenstünde, die Entlassung desselben abzuwarten, um sodann den tatsächlichen Täter zur Rechenschaft zu ziehen. Im Ergebnis sei demnach davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer seinem Antrag ein tatsachenwidriges Fluchtvorbringen zugrunde gelegt hätte.

Unter Berücksichtigung aller bekannter Umstände habe nicht festgestellt werden können, dass der Beschwerdeführer im Falle der Rückkehr in die Russische Föderation dort einer realen Gefahr des Todes, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung oder der Gefahr der Folter ausgesetzt sein würde. Dieser habe im Heimatland noch genügend familiäre Anknüpfungspunkte und es habe nicht festgestellt werden können, dass ihm in seinem Heimatland die Lebensgrundlage gänzlich entzogen wäre. Der Beschwerdeführer sei ein junger und arbeitsfähiger Mann, welcher den Großteil seines Lebens im Heimatland verbracht hätte und in die dortige Gesellschaft integriert sei. Es habe nicht festgestellt werden können, dass der Beschwerdeführer von allfälligen negativen Lebensumständen in der Russischen Föderation in höherem Maße betroffen wäre, als jeder andere Staatsbürger in einer vergleichbaren Lage. Dieser leide an keinen schwerwiegenden Erkrankungen und habe im Bundesgebiet keine (medikamentöse) Behandlung in Anspruch genommen.

Zudem sei eine Ableitung eines Schutzstatus nach den Bestimmungen des Familienverfahrens nicht in Betracht gekommen, zumal seinem minderjährigen Sohn der Status des subsidiär Schutzberechtigten seinerseits im Familienverfahren gemäß § 34 AsylG 2005, abgeleitet vom Status seiner Mutter, zuerkannt worden wäre.

Der Beschwerdeführer habe die familiäre Beziehung mit seiner Lebensgefährtin und seinem Sohn infolge seiner illegalen Einreise und im Bewusstsein der Unsicherheit zur Möglichkeit eines weiteren Aufenthaltes begründet. Der Beschwerdeführer könnte den Kontakt zu seinen Angehörigen über moderne Kommunikationsmittel aufrechterhalten und es stünde seiner Partnerin und dem Sohn zudem offen, den Beschwerdeführer nach Tschetschenien zu begleiten.

Der Beschwerdeführer habe darüber hinaus keine nennenswerten privaten Bindungen in Österreich begründet. Dieser ginge keiner Erwerbstätigkeit nach, bestreite seinen Lebensunterhalt im Rahmen der Grundversorgung und habe an einem Deutschkurs teilgenommen. Ein außergewöhnliches Maß an Integration habe nicht festgestellt werden können. Ein schützenswertes Familien- und Privatleben in Österreich sei demnach nicht begründet worden. Da auch die Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung gemäß § 57 AsylG 2005 nicht vorliegen würden, erweise sich der Ausspruch einer Rückkehrentscheidung als zulässig.

3. Mit Eingabe vom 08.06.2018 wurde durch die bevollmächtigte Vertreterin des Beschwerdeführers fristgerecht die verfahrensgegenständliche Beschwerde erhoben, in welcher der dargestellte Bescheid vollumfänglich angefochten wurde. Begründend wurde nach zusammenfassender Wiedergabe des Verfahrensverlaufes ausgeführt, es sei entgegen der Ansicht der belangten Behörde sehr wohl glaubhaft, dass dem Beschwerdeführer im Herkunftsstaat aufgrund von Blutrache Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention drohe. Blutrache stelle in Tschetschenien einen Teil des Adat dar; das Gewohnheitsrecht sehe die Rache oder kollektive Bestrafung vor: Könne der eigentliche Täter nicht zur Rechenschaft gezogen werden, werde sein engster Verwandter zum Ziel der Rache. Das Adat erlaube nicht, dass die Rache durch irgendeine Regierungseinrichtung ausgeübt werde. Die Zahl der Blutfehden in Tschetschenien sei in den letzten zwei Jahrzehnten stark angestiegen. Die verfügbare Berichtslage würde das Vorbringen des Beschwerdeführers demnach vollumfänglich bestätigen. Entgegen den Ausführungen im angefochtenen Bescheid habe der Beschwerdeführer die für seine Ausreise ausschlaggebenden Ereignisse detailliert geschildert. Gerade, weil nur das Opfer bzw. dessen Familie Rache nehmen dürfte, sei der Bruder des Beschwerdeführers nicht bezüglich des Tötungsdeliktes angezeigt worden. Soweit die Behörde desweiteren argumentiere, dass eine Rache an der Person des Beschwerdeführers nicht verständlich sei, da die Gegner lediglich die Haftentlassung seines Bruders hätten abwarten müssen, übersehe sie, dass sich die Fehde über alle männlichen Verwandten des Täters erstrecken würde. Auch sein kurzfristiger Aufenthalt in Moskau führe zu keiner Unglaubwürdigkeit seiner Angaben, zumal der Beschwerdeführer sich in jener Stadt nicht registriert hätte, sodass es der Familie des Opfers nicht möglich gewesen wäre, ihn dort binnen kurzer Zeit ausfindig zu machen. Weiters sei Blutrache an keine zeitliche Frist gebunden, sodass es auch nicht ungewöhnlich sei, dass der Beschwerdeführer in den zwei Wochen seines nochmaligen Aufenthaltes bei seiner Familie nicht angegriffen worden wäre; der Beschwerdeführer habe in diesem Zusammenhang darauf verwiesen, dass es für Blutrache bestimmte Regeln gebe, die es einzuhalten gelte. Eine innerstaatliche Fluchtalternative bestehe nicht, da der Onkel des Getöteten eine Behörde leite und daher in der Lage wäre, sämtliche Informationskanäle zu nutzen, sodass der Beschwerdeführer damit rechnen müsste, früher oder später gefunden zu werden.

Die belangte Behörde habe es gänzlich unterlassen, zur Frage der Blutrache in Tschetschenien, deren Systematik und Aktualität, Ermittlungen durchzuführen und die vom Beschwerdeführer vorgelegten Beweismittel in Form von zwei unübersetzten Ladungen und einer Stellungnahme des XXXX zu würdigen; zudem habe der Beschwerdeführer einen konkreten Namen benannt, zu welchem ebenfalls nähere Erhebungen hätten vorgenommen werden können.

Im Fall seiner Rückkehr in den Herkunftsstaat drohe dem Beschwerdeführer daher mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit Verfolgung aus einem asylrelevanten Motiv, nämlich der Zugehörigkeit zur sozialen Gruppe der Familie aufgrund der verkündeten Blutrache, wobei ein staatlicher Schutz für den Beschwerdeführer nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit angenommen werden könne. Die belangte Behörde habe dies verkannt und den Bescheid dadurch mit Rechtswidrigkeit belastet. Angesichts der prekären Sicherheits- und Versorgungslage im Herkunftsstaat wäre dem Beschwerdeführer zumindest der Status eines subsidiär Schutzberechtigten zuzuerkennen gewesen. Eine Rückkehrentscheidung wäre für auf Dauer unzulässig zu erklären gewesen, zumal der Beschwerdeführer in Österreich intensive familiäre Bindungen habe. Die Ehefrau nach tschetschenischem Brauch und der minderjährige Sohn des Beschwerdeführers seien in Österreich subsidiär schutzberechtigt und würden mit diesem in einem gemeinsamen Haushalt leben. Da die Lebensgefährtin und der Sohn des Beschwerdeführers in Österreich subsidiär schutzberechtigt wären, sei eine Fortführung des Familienlebens im gemeinsamen Herkunftsstaat nicht zumutbar. Zudem habe der Beschwerdeführer Deutschkenntnisse auf dem Niveau A1 erworben, Freundschaften geschlossen und eine Einstellungszusage erlangt, sodass auch ein schutzwürdiges Privatleben begründet worden sei. Ein Eingriff in das Familienleben wäre demnach nur mehr im Falle sehr gewichtiger öffentlicher Interessen zulässig, welche gegenständlich nicht vorlägen. Die Aufrechterhaltung des Kontaktes mit einem Kleinkind über Telekommunikation und elektronische Medien sei lebensfremd.

4. Die Beschwerdevorlage des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl langte am 14.06.2018 beim Bundesverwaltungsgericht ein.

5. Am 27.05.2021 fand vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung statt, an welcher der Beschwerdeführer, sein bevollmächtigter Vertreter sowie eine Dolmetscherin für die russische Sprache teilgenommen haben. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hatte im Vorfeld schriftlich mitgeteilt, auf eine Teilnahme an der Verhandlung zu verzichten.

Im Rahmen der mündlichen Beschwerdeverhandlung zog der Beschwerdeführer seine Beschwerde gegen Spruchpunkte I. und II. des im Spruch genannten Bescheides zurück.

Die gegenständlich relevanten Teile der Verhandlung gestalteten sich wie folgt:

R: Fühlen Sie sich gegenwärtig im Falle einer Rückkehr nach Russland einer Gefahr einer menschenrechtswidrigen Behandlung ausgesetzt?

BF: Ich fühle mich nicht in Gefahr im Falle einer Rückkehr, sonst hätte ich die Beschwerden auch nicht zurückgezogen.

R: Schildern Sie mir in kurzen Worten Ihren Lebenslauf?

BF: Ich wurde am XXXX in XXXX in Tschetschenien geboren. Mein Name lautet XXXX . Dazu gebe ich an, dass ich im bisherigen Verfahren auch eine andere Identität angegeben habe, weil ich Angst hatte, nachdem ich mit einem Visum hierhergekommen bin, dass man mich zurückschickt. Ich werde aber den Reisepass im Original noch heute vorlegen. Ich habe einen Bekannten soeben nachhause geschickt, um ihn zu holen. Ich habe bis zum Ausbruch des Krieges 1999 mit meiner Familie in XXXX gelebt, dann sind wir nach Inguschetien geflohen, zwei Jahre später, also 2001 sind wir wieder zurückgekehrt. In Inguschetien waren wir in einem Zeltlager, dort gab es keine Schule und 2001 konnte ich dann wieder die Schule besuchen. Insgesamt habe ich dann 11 Klassen absolviert. Ich habe auch Abendkurse besucht, um die Schule nachzuholen. Dann habe ich im Abendschulmodus eine Fachschule besucht. Dann habe ich ein JUS Studium begonnen, ich war im 3. Jahr als ich nach Österreich kam. Das Diplom, dass ich vorlege ist ein Diplom einer juristischen Fachschule. Mit den beiden Jahren des Colleges habe ich die mittlere Reife erlangt. Die Abendschule war dafür da, damit ich die verlorenen Schuljahre wiederhole. Das vorliegende „Attectat“ ist die Matura (Ausgestellt 2008). Das vorliegende Diplom wurde 2009 ausgestellt. Ich war dann ca. 1 Jahre auf einem Praktikum, ich habe bei der Polizei gearbeitet. Dann wollte ich eigentlich eine Arbeit finden, ich habe dann einfach gelebt und auch Sport betrieben und auf eine gute Arbeit gehofft. Dann habe ich ca. im Jahr 2012 für ein Fernstudium in XXXX angemeldet. Dort musste man nur 2 Mal im Jahr anwesend sein. Ich war dann ca. im 3 oder im 4 Studienjahr und bin dann nach Österreich gekommen. Ich habe dann auch ca. 8 oder 9 Monate in Moskau gelebt, dort habe ich mir dann auch ein Visum organisiert. Ausgestellt wurde es dann in XXXX . Ich bin auf dem Landweg mit dem Auto nach Österreich gekommen. Hier in Österreich lebte bereits eine Tante. Ich habe dann in Österreich meine Lebensgefährtin, mit der ich nunmehr islamischen Ritus verheiratet bin, kennengelernt. Wir haben zwei gemeinsame Kinder. Unser ältester Sohn XXXX wurde am XXXX geboren, unser zweiter Sohn XXXX wurde am XXXX geboren. Ich lebe mit meiner Lebensgefährtin zeitweise in einer Wohnung. Ich habe auch noch eine eigene Meldeadresse an der ich auch wohnhaft bin.

R: Bitte schildern Sie mir Ihre Integrationsbemühungen in Österreich?

BF: Bis 2018 bin ich immer in Kurse gegangen und habe versucht mich zu bilden. Nachdem unser Sohn die Diagnose Autismus bekommen hat, habe ich dann nicht mehr viel machen können. Ich musste mich sehr um meinen Sohn kümmern und es war auch eine sehr große psychische Belastung. Ich habe auch versucht Deutsch zu lernen und lege ein A1 Zeugnis vor. Am 19.Juni trete ich zur A2 Prüfung an.

R: Gesetzt Sie hätten eine Aufenthaltsberechtigung in Österreich. Hätten Sie schon eine Beschäftigung in Aussicht?

BF: Ja, ich habe mehrere Möglichkeiten. Zum Beispiel habe ich auch zwei Arbeitsplatzzusagen mitgebracht, die ich zur Vorlage bringe. Das eine ist eine Kurierstätigkeit, dass ist in Salzburg, sie haben in Wien auch eine Filiale. Ich würde dort im Büro arbeiten. Ich würde die Einteilungen der Kurierfahrten organisieren.

R: Bitte schildern Sie Ihre Kontakte nach Tschetschenien.

BF: Ich habe mit meiner Mutter ständig Kontakt. Aber sonst eher weniger. Ich habe noch weitere Verwandte ms in Tschetschenien. Mein Bruder ist dort auf freiem Fuß, er versteckt sich. Mit meinem Bruder habe ich keinen Kontakt. Ich habe nur durch meine Mutter Zugang zu Informationen über meinen Bruder. Der einzige echte Kontakt nach Russland, ist der zu meiner Mutter.

R: Sind sie Mitglied in einem Verein in Österreich?

BF: Ich war früher in einem Fitnesscenter, aber jetzt nicht mehr. Ich habe aufgrund meiner familiären Verpflichtungen dafür keine Zeit, außerdem ist durch die Pandemie, das Fitnesscenter geschlossen.

R: legt das Länderinformationsblatt der Staatendokumentation betreffen die Russische Föderation vor (generiert am 26.05.2021 Version 2).

Der BFV wird ein Exemplar ausgehändigt.

Die BFV verzichtet auf eine Stellungnahme.

R: Möchten Sie noch etwas hinzufügen?

BF: Ich glaube es gibt nichts mehr hinzuzufügen. Ich möchte mich noch bei allen anwesenden bedanken.

Die beigebrachten Dokumente und Unterlagen werden in Kopie zum Akt genommen. Die Originale (insbesondere russischer Auslandsreisepass sowie Maturazeugnis und Diplom, sowie beglaubigte Übersetzung des Diploms werden dem Beschwerdeführer retourniert)

Zur Beibringung des angekündigten Zeugnisses über eine A2-Prüfung wird eine Frist bis zum 31.07.2021 gewährt.

6. Mit Schreiben vom 15.07.2021 übermittelte der Beschwerdeführer ein Zeugnis zur Integrationsprüfung Sprachniveau A2 des ÖIF (Prüfungsdatum 19.06.2021).

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1.       Feststellungen:

Der Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger der Russischen Föderation und der tschetschenischen Volksgruppe sowie dem muslimischen Glauben zugehörig. Die Identität steht fest. Der Beschwerdeführer ist arbeitsfähig und gesund.

Die Familie des Beschwerdeführers stammt aus der Republik Tschetschenien. Der Beschwerdeführer wurde dort geboren, seine Muttersprache ist Tschetschenisch und er lebte dort gemeinsam mit seiner Familie (seinen Eltern und seinem Bruder) bis zum Ausbruch des Krieges 1999. Die Familie ist dann nach Inguschetien geflüchtet und 2001 wieder nach Tschetschenien zurückgekehrt. Der Beschwerdeführer hat auch für eine kurze Zeit in Moskau gelebt. Er verfügt über Verwandte in Tschetschenien, seine Mutter ist aber der einzige intensive Kontakt in seinem Heimatland. Eine Tante des Beschwerdeführers lebt in Österreich.

Der Beschwerdeführer besuchte in seinem Herkunftsland elf Jahre lang die Schule. Im Anschluss belegte er Abendkurse und besuchte im Abendschulmodus eine Fachschule, wo er 2009 ein juristisches Diplom erhielt. Im Anschluss absolvierte er ein einjähriges Praktikum bei der Polizei. Seit 2012 bis zu seiner Einreise nach Österreich war der Beschwerdeführer für ein Fernstudium in XXXX gemeldet.

Infolge illegaler Einreise in das Bundesgebiet stellte der Beschwerdeführer am 11.11.2015 einen Antrag auf internationalen Schutz. Der Beschwerdeführer befindet sich seit 04.11.2015 durchgehend in Österreich und ist seit der Antragstellung vorläufig aufenthaltsberechtigt im Bundesgebiet.

Der Beschwerdeführer verfügt über ein ausgeprägtes und schützenswertes Privat- und Familienleben in Österreich. Er lebt mit seiner Lebensgefährtin und den zwei gemeinsamen Kindern, XXXX geb. am XXXX und XXXX geb. am XXXX zeitweise im gemeinsamen Haushalt. Der Beschwerdeführer hat auch noch eine eigene Wohnung, an deren Adresse er gemeldet ist. Der Beschwerdeführer hat seine nunmehrige Lebensgefährtin (nach Angaben des Beschwerdeführers haben sie eine Ehe nach islamischen Ritus geschlossen) in Österreich kennengelernt und war sich in jenem Zeitpunkt der Unsicherheit seines Aufenthaltes bewusst. Seine Lebensgefährtin, der jüngere Sohn XXXX sowie der ältere Sohn XXXX haben die „Rot-Weiß-Rot – Karte Plus“. Sie sind rechtmäßig in Österreich aufhältig. Der Beschwerdeführer unterstützt seine Frau bei der Erziehung und Betreuung der gemeinsamen Kinder. Der Beschwerdeführer hat sich seit seiner Ankunft um seine Integration in Österreich bemüht. Er nahm an Deutschkursen teil und hat am 25.09.2018 ein ÖIF-Zertifikat A1 und am 19.06.2021 ein ÖIF-Zertifikat A2 absolviert. In der Zeit von 20.11.2017 bis 06.03.2018 und in der Zeit von 20.03.2018 bis 19.06.2018 nahm er im Ausmaß von 195 und 180 Unterrichtseinheiten an einer Bildungsmaßnahme im Rahmen des Projekts „Start Wien Flüchtlinge – Integration ab Tag 1“ Alphabetisierung, Basisbildung und Deutschkurse teil.

Bei dem älteren Sohn wurde im Jahr 2019 eine Autismus-Spektrum-Störung diagnostiziert. Folglich ist ein erhöhtes Betreuungs- und Förderungsausmaß seitens der Eltern notwendig.

Insgesamt ist eine nachhaltige Aufenthaltsverfestigung des Beschwerdeführers in Österreich festzustellen.

Der Beschwerdeführer ist nicht selbsterhaltungsfähig und bezieht Leistungen aus der staatlichen Grundversorgung. Er verfügt jedoch über eine Arbeitsplatzzusage als Monteur-Hilfsarbeiter (EUR 1.500,- brutto) sowie eine Einstellungsbestätigung für eine Bürotätigkeit bei einer Lieferfirma betreffend die Organisation und Einteilung von Kurierfahrten. Der Beschwerdeführer ist unbescholten.

Der Beschwerdeführer hat im Rahmen der mündlichen Verhandlung am 27.05.2021 seine Beschwerde gegen die Nichtzuerkennung des Status eines Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) sowie die Nichtzuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten (Spruchpunkt II.) zurückgezogen.

2. Beweiswürdigung:

Die Identität des Beschwerdeführers steht durch Vorlage des Reisepasses mit der Nummer XXXX , ausgestellt am XXXX und gültig bis zum XXXX fest.

Die Feststellungen betreffend die Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit, die Ausbildung und Arbeitserfahrung, den Gesundheitszustand, die Lebensumstände und die Familie des Beschwerdeführers in Tschetschenien und Österreich ergeben sich aus seinen Angaben im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme vor der belangten Behörde und aus seinen Angaben im Rahmen der mündlichen Beschwerdeverhandlung vom 27.05.2021.

Die Feststellungen zu der seit 2015 bestehenden Beziehung zu seiner Lebensgefährtin und dass der Beschwerdeführer und seine Lebensgefährtin ein schützenswertes Familienleben im Bundesgebiet führen, war aufgrund der Angaben des Beschwerdeführers im Zuge der Beschwerdeverhandlung vom 27.05.2021 und einem Schreiben der Lebensgefährtin vom 25.05.2021 zu treffen.

Die Feststellung der Vaterschaft war aufgrund des Vaterschaftsanerkenntnis vom XXXX und der Geburtsurkunden der beiden Kinder zu treffen.

Die Feststellungen zu den integrativen Schritten des Beschwerdeführers in Österreich beruhen auf seinen Angaben im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht und den vorgelegten Unterlagen, darunter zwei Deutschkursbesuchsbestätigungen vom 06.03.2018 und vom 19.06.2018, Prüfungszeugnisse des ÖIF nämlich A1 vom 15.09.2018 sowie A2 vom 19.06.2021, mehrerer privater Unterstützungsschreiben und zwei Einstellungszusagen.

Die Feststellung einer Autismus-Spektrum-Störung des älteren Sohnes des Beschwerdeführers und der Empfehlung Förderungsmaßnahmen auch zu Hause durchzuführen, ergibt sich aus dem klinisch-psychologischen Befundbericht vom 04.04.2019.

Die Feststellung bezüglich der strafgerichtlichen Unbescholtenheit entspricht dem Amtswissen des Bundesverwaltungsgerichtes durch Einsichtnahme in das Strafregister der Republik Österreich.

Die Feststellung hinsichtlich der Zurückziehung der Beschwerde gegen die Spruchpunkte I. und II. ergibt sich unstrittig aus dem Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 27.05.2021 (Protokoll der Niederschrift der mündlichen Verhandlung Seite 3).

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Da sich die gegenständliche zulässige und rechtzeitige Beschwerde gegen einen Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl richtet, ist das Bundesverwaltungsgericht gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 BFA-VG zur Entscheidung zuständig.

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist. Das Verwaltungsgericht hat, wenn es "in der Sache selbst" entscheidet, nicht nur über die gegen den verwaltungsbehördlichen Bescheid eingebrachte Beschwerde zu entscheiden, sondern auch die Angelegenheit zu erledigen, die von der Verwaltungsbehörde entschieden wurde. Dabei hat das Verwaltungsgericht seine Entscheidung in der Regel an der zum Zeitpunkt seiner Entscheidung maßgeblichen Sach- und Rechtslage auszurichten (VwGH 21.10.2014, Ro 2014/03/0076; 18.2.2015, Ra 2015/04/0007; 25.7.2019, Ra 2018/22/0270).

Zu Spruchteil A)

3.2. Einstellung des Verfahrens hinsichtlich der Spruchpunkte I. und II. des angefochtenen Bescheides (§ 28 Abs 1 iVm § 31 Abs 1 VwGVG):

§ 7 Abs. 2 VwGVG normiert, dass eine Beschwerde nicht mehr zulässig ist, wenn die Partei nach Zustellung oder Verkündung des Bescheides ausdrücklich auf diese verzichtet hat. Eine Zurückziehung der Beschwerde durch den Beschwerdeführer ist in jeder Lage des Verfahrens ab Einbringung der Beschwerde bis zur Erlassung der Entscheidung möglich (vgl. Eder/Martschin/Schmid, Das Verfahrensrecht der Verwaltungsgerichte, § 7 VwGVG, K 6). Dasselbe folgt sinngemäß aus § 17 VwGVG iVm § 13 Abs. 7 AVG.

Die Annahme, eine Partei ziehe die von ihr erhobene Beschwerde zurück, ist nur dann zulässig, wenn die entsprechende Erklärung keinen Zweifel daran offen lässt. Maßgebend ist daher das Vorliegen einer diesbezüglich eindeutigen Erklärung (vgl. etwa VwGH 22.11.2005, 2005/05/0320 uvm., zur insofern auf die Rechtslage nach dem VwGVG übertragbaren Judikatur zum AVG).

Eine solche eindeutige Erklärung liegt im gegenständlichen Fall vor. Im Zuge der mündlichen Beschwerdeverhandlung hat der Rechtsvertreter des Beschwerdeführers unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, dass die Beschwerde gegen die Spruchpunkte I. und II. des angefochtenen Bescheides (hinsichtlich der Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz) zurückgezogen wird und nur die Beschwerde gegen die Nicht-Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz und die Rückkehrentscheidung samt den davon abhängigen Aussprüchen aufrecht bleibt.

Aus den Bestimmungen des § 28 Abs. 1 und § 31 Abs. 1 VwGVG geht hervor, dass das Verwaltungsgericht in jenem Fall, in dem das Beschwerdeverfahren einzustellen ist, eine Entscheidung in der Rechtsform des Beschlusses zu treffen hat. Allerdings legt § 28 Abs. 1 VwGVG nicht fest, wann das Verfahren einzustellen ist. Der Verwaltungsgerichtshof hat jedoch bereits – unter Verweis auf seine Rechtsprechung bezogen auf das nach dem AVG geführte Berufungsverfahren – ausgesprochen, dass eine Verfahrenseinstellung im Beschwerdeverfahren dann vorzunehmen ist, wenn die Beschwerde rechtswirksam zurückgezogen wurde (VwGH 29.04.2015, Fr 2014/20/0047).

Das Verfahren über die Beschwerde gegen Spruchpunkte I. und II. des angefochtenen Bescheides ist daher mit Beschluss einzustellen.

3.3. Zur Nicht-Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 57 AsylG 2005 (Spruchpunkt III.):

Gemäß § 58 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 hat das Bundesamt die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG 2005 von Amts wegen zu prüfen, wenn einem Fremden der Status des Asylberechtigten aberkannt wird, ohne dass es zur Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten kommt. Im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen ist gemäß § 57 Abs. 1 AsylG 2005 von Amts wegen oder auf begründeten Antrag eine "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" zu erteilen, wenn der Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen im Bundesgebiet gemäß § 46a Abs. 1 Z 1 oder Z 3 FPG seit mindestens einem Jahr geduldet ist und die Voraussetzungen dafür weiterhin vorliegen, es sei denn, der Drittstaatsangehörige stellt eine Gefahr für die Allgemeinheit oder Sicherheit der Republik Österreich dar oder wurde von einem inländischen Gericht wegen eines Verbrechens (§ 17 StGB) rechtskräftig verurteilt (Z 1), wenn dies zur Gewährleistung der Strafverfolgung von gerichtlich strafbaren Handlungen oder zur Geltendmachung und Durchsetzung von zivilrechtlichen Ansprüchen im Zusammenhang mit solchen strafbaren Handlungen, insbesondere an Zeugen oder Opfer von Menschenhandel oder grenzüberschreitendem Prostitutionshandel notwendig ist (Z 2) oder wenn der Drittstaatsangehörige, der im Bundesgebiet nicht rechtmäßig aufhältig oder nicht niedergelassen ist, Opfer von Gewalt wurde, eine einstweilige Verfügung nach §§ 382b oder 382e EO erlassen wurde oder erlassen hätte werden können und der Drittstaatsangehörige glaubhaft macht, dass die Erteilung der "Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz" zum Schutz vor weiterer Gewalt erforderlich ist (Z 3).

Der Aufenthalt des Beschwerdeführers war zu keinem Zeitpunkt geduldet, er ist nicht Zeuge oder Opfer von strafbaren Handlungen und auch kein Opfer von Gewalt. Die Voraussetzungen für die amtswegige Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 57 AsylG 2005 liegen daher nicht vor. Das Vorliegen der Voraussetzungen des § 57 AsylG 2005 wurde vom Beschwerdeführer auch nicht behauptet. Eine Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz war ihm daher nicht zuzuerkennen und die Beschwerde gegen Spruchpunkt III. als unbegründet abzuweisen.

3.4. Zur Behebung der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.) und zur Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 55 AsylG 2005:

Gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG hat das BFA gegen einen Drittstaatsangehörigen unter einem (§ 10 AsylG) mit Bescheid eine Rückkehrentscheidung zu erlassen, wenn dessen Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird und ihm kein Aufenthaltsrecht nach anderen Bundesgesetzen zukommt.

Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG ist eine Entscheidung nach diesem Bundesgesetz (dem AsylG) mit einer Rückkehrentscheidung oder einer Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß dem 8. Hauptstück des FPG zu verbinden, wenn der Antrag auf internationalen Schutz sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten abgewiesen wird und von Amts wegen ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 nicht erteilt wird.

Gemäß § 9 Abs. 1 BFA-VG ist die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG, wenn dadurch in das Privat- oder Familienleben des Fremden eingegriffen wird, zulässig, wenn dies zur Erreichung der im Art. 8 Abs. 2 EMRK genannten Ziele dringend geboten ist. Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere die in § 9 Abs. 2 Z 1 bis 9 BFA-VG aufgezählten Gesichtspunkte zu berücksichtigen (die Art und Dauer des bisherigen Aufenthaltes und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Fremden rechtswidrig war, das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens, die Schutzwürdigkeit des Privatlebens, der Grad der Integration, die Bindungen zum Heimatstaat des Fremden, die strafgerichtliche Unbescholtenheit, Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts, die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Fremden in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren, die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist).

Gemäß § 9 Abs. 3 BFA-VG ist über die Zulässigkeit der Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG jedenfalls begründet, insbesondere im Hinblick darauf, ob diese gemäß Abs. 1 auf Dauer unzulässig ist, abzusprechen. Die Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG ist nur dann auf Dauer, wenn die ansonsten drohende Verletzung des Privat- und Familienlebens auf Umständen beruht, die ihrem Wesen nach nicht bloß vorübergehend sind. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG schon allein auf Grund des Privat- und Familienlebens im Hinblick auf österreichische Staatsbürger oder Personen, die über ein unionsrechtliches Aufenthaltsrecht oder ein unbefristetes Niederlassungsrecht verfügen, unzulässig wäre.

Gemäß Art. 8 Abs. 1 EMRK hat jedermann Anspruch auf Achtung seines Privat- und Familienlebens, seiner Wohnung und seines Briefverkehrs. Nach Art. 8 Abs. 2 EMRK ist der Eingriff einer öffentlichen Behörde in die Ausübung dieses Rechts nur statthaft, insoweit dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen ist und eine Maßnahme darstellt, die in einer demokratischen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die öffentliche Ruhe und Ordnung, das wirtschaftliche Wohl des Landes, die Verteidigung der Ordnung und zur Verhinderung von strafbaren Handlungen, zum Schutze der Gesundheit und der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist.

Ob eine Verletzung des Rechts auf Schutz des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK vorliegt, hängt nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte sowie des Verfassungsgerichtshofes und des Verwaltungsgerichtshofes jeweils von den konkreten Umständen des Einzelfalles ab. Die Regelung erfordert eine Prüfung der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit des staatlichen Eingriffes; letztere verlangt eine Abwägung der betroffenen Rechtsgüter und öffentlichen Interessen. In diesem Sinn wird eine Ausweisung nicht erlassen werden dürfen, wenn ihre Auswirkungen auf die Lebenssituation des Fremden und seiner Familie schwerer wiegen würden als die nachteiligen Folgen der Abstandnahme von ihrer Erlassung.

Das Recht auf Achtung des Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK schützt das Zusammenleben der Familie. Es umfasst jedenfalls alle durch Blutsverwandtschaft, Eheschließung oder Adoption verbundenen Familienmitglieder, die effektiv zusammenleben; das Verhältnis zwischen Eltern und minderjährigen Kindern auch dann, wenn es kein Zusammenleben gibt. Der Begriff des Familienlebens ist nicht auf Familien beschränkt, die sich auf eine Heirat gründen, sondern schließt auch andere de facto Beziehungen ein, sofern diese Beziehungen eine gewisse Intensität erreichen. Als Kriterium hiefür kommt etwa das Vorliegen eines gemeinsamen Haushaltes, die Dauer der Beziehung, die Demonstration der Verbundenheit durch gemeinsame Kinder oder die Gewährung von Unterhaltsleistungen in Betracht (vgl. EGMR 13.06.1979, Nr. 6833/74, Marckx).

Unter "Privatleben" sind nach der Rechtsprechung des EGMR persönliche, soziale und wirtschaftliche Beziehungen, die für das Privatleben eines jeden Menschen konstitutiv sind, zu verstehen (vgl. EGMR 16.06.2005, Sisojeva ua. gegen Lettland, EuGRZ 2006, 554). Für den Aspekt des Privatlebens spielt zunächst die zeitliche Komponente im Aufenthaltsstaat eine zentrale Rolle, wobei die bisherige Rechtsprechung keine Jahresgrenze festlegt, sondern eine Interessensabwägung im speziellen Einzelfall vornimmt.

Der Beschwerdeführer hat eine Lebensgefährtin in Österreich sowie 2 minderjährige Kinder. Seine Lebensgefährtin, der jüngere Sohn XXXX und der ältere Sohn XXXX haben die „Rot-Weiß-Rot – Karte Plus“. Obwohl der Beschwerdeführer über eine eigene Wohnung verfügt, lebt er zeitweise bei seiner Lebensgefährtin und den beiden gemeinsamen Kindern und verfügt daher über ein schützenswertes Familienleben im Bundesgebiet.

Zugunsten des unbescholtenen Beschwerdeführers ist außerdem sein konsistentes Bemühen um Integration und Weiterbildung zu berücksichtigen. So hat der Beschwerdeführer seit seiner Einreise kontinuierlich an seinen Deutsch-Kenntnissen gearbeitet und spricht mittlerweile Deutsch auf A2 Niveau und hat die ÖIF Integrationsprüfung Deutsch A2 bestanden. Sein Bestreben, sich in die österreichische Gesellschaft nachhaltig zu integrieren ist seit seiner Einreise nach Österreich klar erkennbar. Die Autismus Erkrankung seines Sohnes und die damit einhergehende zeitlich aufwändige Betreuung und Förderung hat den Beschwerdeführer davon abgehalten, seine Zeit ausschließlich und intensiv zur erfolgreichen Integration in sozialer und sprachlicher Hinsicht in Österreich zu nutzen. Anzumerken ist, dass der Beschwerdeführer seine Aufenthaltsdauer nicht durch wiederholte Stellung unbegründeter Asylanträge zu verlängern versucht hat (vgl. auch VwGH 05.10.2017, Ra 2017/21/0033), sondern dessen einziges Verfahren auf internationalen Schutz seit November 2015 anhängig gewesen ist, ohne dass dem Beschwerdeführer diese lange Verfahrensdauer zur Last gelegt werden kann.

Zwar ist der Beschwerdeführer derzeit nicht selbsterhaltungsfähig, doch er wird durch die Erteilung einer „Aufenthaltsberechtigung plus“ nunmehr in der Lage sein, seinen Lebensunterhalt im Bundesgebiet selbst zu bestreiten. Es liegen bereits zwei Einstellungszusagen vor.

Der Beschwerdeführer ist nunmehr seit über sechs Jahren im Bundesgebiet aufhältig, sodass die seitens des VwGH geforderten „außergewöhnlichen Umstände“, derentwegen dem Beschwerdeführer ein dauernder Aufenthalt in Österreich ermöglicht werden müsste, nicht mehr erforderlich sind (vgl. dazu VwGH vom 10.04.2019, Ra, 2019/18/0049 und Ra 2019/18/0058, VwGH 19.06.2019, Ra 2019/01/0051).

Zu den Ungunsten des Beschwerdeführers wiegt hingegen lediglich der Umstand, dass dem Beschwerdeführer bekannt sein musste, dass die vorläufige Aufenthaltsberechtigung für Asylwerber ein Aufenthaltsrecht nur für die Dauer des Asylverfahrens gewährt wurde. Es wird nicht verkannt, dass dem Schutz der öffentlichen Ordnung und Sicherheit, insbesondere der Einhaltung der die Einreise und den Aufenthalt von Fremden regelnden Vorschriften im Rahmen einer Güterabwägung grundsätzlich ein hoher Stellenwert zukommt, doch ist im gegenständlichen Fall aus den eben dargelegten Gründen in einer Gesamtschau und Abwägung aller Umstände das Interesse an der - nicht nur vorübergehenden - Fortführung des Privat- , vor allem jedoch des Familienlebens des Beschwerdeführers in Österreich dennoch höher zu bewerten, als das öffentliche Interesse an einer Aufenthaltsbeendigung.

Dies gilt auch unter Berücksichtigung des Umstandes, dass der Beschwerdeführer in seinem Herkunftsstaat, in dem er geboren, aufgewachsen ist und den Großteil seines bisherigen Lebens verbracht hat, über sprachliche und kulturelle Verbindungen verfügt und auch regelmäßiger Kontakt zu seiner Mutter besteht.

Die von der belangten Behörde im angefochtenen Bescheid verfügte Rückkehrentscheidung ist angesichts der nunmehr vorliegenden persönlichen Bindungen unverhältnismäßig im Sinne des Art. 8 Abs. 2 EMRK.

Da die maßgeblichen Umstände in ihrem Wesen nicht bloß vorübergehend sind, war die Rückkehrentscheidung auf Dauer für unzulässig zu erklären.

Zur Erteilung der „Aufenthaltsberechtigung plus“:

Es ist daher nach § 58 Abs. 2 AsylG von Amts wegen die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 AsylG zu prüfen. Nach dessen Abs. 1 ist eine „Aufenthaltsberechtigung plus“ zu erteilen, wenn dies gemäß § 9 Abs. 2 BFA-VG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK geboten ist (Z 1) und der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 Integrationsgesetz (IntG), BGBl. I Nr. 68/2017, erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine erlaubte Erwerbstätigkeit ausübt, mit deren Einkommen die monatliche Geringfügigkeitsgrenze (§ 5 Abs. 2 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG), BGBl. I Nr. 189/1955) erreicht wird (Z 2). Liegt nur die Voraussetzung des Abs. 1 Z 1 vor, ist nach § 55 Abs. 2 AsylG eine „Aufenthaltsberechtigung“ zu erteilen.

Gemäß § 9 Abs. 4 Integrationsgesetz ist die Integrationsvereinbarung unter anderem erfüllt, wenn der Drittstaatsangehörige einen Nachweis des Österreichischen Integrationsfonds über die erfolgreiche Absolvierung der Integrationsprüfung gemäß § 11 vorlegt.

Die Bestimmung des § 11 Abs. 2 IntG lautet: „Die Prüfung umfasst Sprach- und Werteinhalte. Mit der Prüfung ist festzustellen, ob der Drittstaatsangehörige über vertiefte elementare Kenntnisse der deutschen Sprache zur Kommunikation und zum Lesen und Schreiben von Texten des Alltags auf dem Sprachniveau A2 gemäß dem Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmen für Sprachen und über Kenntnisse der grundlegenden Werte der Rechts- und Gesellschaftsordnung der Republik Österreich verfügt. Der Prüfungserfolg ist mit "Bestanden" oder "Nicht bestanden" zu beurteilen. Zur erfolgreichen Absolvierung der Prüfung muss sowohl das Wissen über Sprach- sowie über Werteinhalte nachgewiesen werden. Wiederholungen von nicht bestandenen Prüfungen sind zulässig. Die Wiederholung von einzelnen Prüfungsinhalten ist nicht zulässig.“

Der Beschwerdeführer hat am 19.06.2021 eine entsprechende Integrationsprüfung bestehend aus Inhalten zur Sprachkompetenz auf dem Niveau A2 sowie zu Werte- und Orientierungswissen positiv absolviert, womit er das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 9 IntG erfüllt hat.

Die Voraussetzungen nach § 55 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005 sind somit gegeben und dem Beschwerdeführer ist der Aufenthaltstitel „Aufenthaltsberechtigung plus“ zu erteilen.

Der Aufenthaltstitel gilt gemäß § 54 Abs. 2 AsylG 2005 zwölf Monate lang, beginnend mit dem Ausstellungsdatum.

3.5. Zur Behebung der Spruchpunkte V. und VI.:

Gemäß § 52 Abs. 9 FPG ist mit der Rückkehrentscheidung gleichzeitig festzustellen, ob die Abschiebung des Drittstaatsangehörigen gemäß § 46 in einen oder mehrere bestimmte Staaten zulässig ist. Dies gilt nicht, wenn die Feststellung des Drittstaates, in den der Drittstaatsangehörige abgeschoben werden soll, aus vom Drittstaatsangehörigen zu vertretenden Gründen nicht möglich ist.

Gemäß § 55 Abs. 1 FPG ist mit einer Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG zugleich eine Frist für die freiwillige Ausreise festzulegen.

Angesichts der Aufhebung der seitens der belangten Behörde ausgesprochenen Rückkehrentscheidung verlieren auch die rechtlich darauf aufbauenden Aussprüche über die Zulässigkeit der Abschiebung des Beschwerdeführers sowie die Gewährung einer Frist für eine freiwillige Ausreise ihre Grundlage (vgl. zu alledem VwGH 28.01.2020, Ra 2019/20/0404), sodass die betreffenden Spruchpunkte V. und VI. des angefochtenen Bescheides - im Zuge der Stattgabe der Beschwerde - ebenfalls ersatzlos zu beheben waren.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Da die Entscheidung über die gegenständliche Beschwerde letztlich lediglich von Fragen der Beweiswürdigung abhängig war, ist die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Schlagworte

Aufenthaltsberechtigung plus Deutschkenntnisse individuelle Verhältnisse Integration mangelnde Asylrelevanz non refoulement Pandemie Rückkehrentscheidung auf Dauer unzulässig Spruchpunkt - Zurückziehung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W111.2198253.1.00

Im RIS seit

05.11.2021

Zuletzt aktualisiert am

05.11.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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