TE Bvwg Erkenntnis 2021/8/13 W185 2244618-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 13.08.2021
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Entscheidungsdatum

13.08.2021

Norm

AsylG 2005 §5
B-VG Art133 Abs4
FPG §61

Spruch


W185 2244618-1/6E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Gerhard PRÜNSTER als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX alias XXXX , geb. XXXX alias XXXX , StA. Tunesien alias Algerien, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 07.07.2021, Zl. 1276794000/210496205, zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird gemäß § 5 AsylG 2005 idgF und § 61 FPG idgF als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer, ein Staatsangehöriger aus Tunesien, stellte nach irregulärer Einreise in das Bundesgebiet am 14.04.2021 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

Eine Eurodac-Abfrage ergab eine Treffermeldung der Kategorie „2“ mit Italien am 26.03.2021.

Im Rahmen der Erstbefragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 14.04.2021 gab der Beschwerdeführer im Wesentlichen an, der Einvernahme ohne gesundheitliche Probleme folgen zu können; Medikamente seien nicht erforderlich. In Österreich habe der Beschwerdeführer eine Schwester, welche in Wien aufhältig sei. Außerdem habe er 2 Onkel in Deutschland. Der Beschwerdeführer habe die Heimat im Jahr 2021 verlassen; sein Zielland sei, wegen seiner Schwester, Österreich gewesen. Der Beschwerdeführer sei mit einem Schiff nach Italien gelangt, wo er Behördenkontakt und eine ED-Behandlung gehabt und sich für 3 Tage aufgehalten habe. Außer in Österreich habe er nirgendwo um Asyl angesucht. Über seinen Aufenthalt in Italien könne er „nichts“ angeben. Bei einer Rückkehr nach Tunesien befürchte der Beschwerdeführer erneut ins Gefängnis zu kommen; er wird dort politisch verfolgt.

Am 14.04.2021 langte beim Bundesamt eine Vollmachtsbekanntgabe für RA Dr Hans Jalovetz, Postgasse 8, 9500 Villach, ein.

Mit E-Mail vom 19.04.2021 teilte die Schwester des BF dem BFA ihren Wunsch mit, ihren Bruder im Sinne einer möglichst guten Integration bei sich aufzunehmen.

Das Bundesamt richtete am 22.04.2021 ein auf Art. 13 Abs 1 Dublin III-VO gestütztes Aufnahmegesuch an Italien. Dies unter Hinweis auf den Eurodac-Treffer der Kategorie „2“ mit Italien vom 26.03.2021 und der Angaben des Beschwerdeführers zu seinem Reiseweg.

Aus einem Schreiben des Bundesamtes vom 26.04.2021 ergibt sich der freiwillige Verzicht des BF auf Leistungen aus der Grundversorgung aufgrund Privatverzugs.

Mit Schreiben des Bundesamtes vom 23.06.2021 wurde die italienische Dublinbehörde auf die Verfristung aufmerksam gemacht und auf die daraus resultierende Zuständigkeit Italiens zur Führung des Asylverfahrens des Beschwerdeführers nach Art 22 Abs 7 Dublin III-VO hingewiesen.

Mit E-Mail vom 01.07.2021 teilte die Schwester des Beschwerdeführers dem Bundesamt mit, dass der Beschwerdeführer nach Erhalt der Länderinformationen zu Italien und des Termins zur Einvernahme die gemeinsame Wohnung verlassen und sich anschließend telefonisch aus Deutschland bei ihr gemeldet habe. Der Beschwerdeführer werde aber am 06.07.2021 zur Einvernahme vor dem Bundesamt erscheinen (AS 139).

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 07.07.2021 wurde der Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass gemäß Artikel 13 Abs. 1 Dublin III-VO Italien für die Prüfung des Antrages zuständig sei (Spruchpunkt I.). Gleichzeitig wurde gemäß § 61 Abs. 1 FPG die Außerlandesbringung des Beschwerdeführers angeordnet und festgestellt, dass demzufolge dessen Abschiebung nach Italien gemäß § 61 Abs. 2 FPG zulässig sei (Spruchpunkt II.).

Die Feststellungen zur Lage in Italien wurden im Wesentlichen folgendermaßen zusammengefasst:

Zur Lage im Mitgliedsstaat:

1.       COVID-19-Pandemie

Letzte Änderung: 03.11.2020

Italien hat während der COVID-19-Krise die Registrierung neuer Asylanträge formell nicht suspendiert, jedoch waren die Quästuren in der Praxis geschlossen. Einige Gerichte, etwa in Rom, haben Quästuren jedoch angewiesen, Asylanträge zu registrieren. Die Versorgungsmaßnahmen wurden bis zum Ende der Pandemie verlängert, auch für Personen, die das Recht auf Unterstützung eigentlich verloren hätten. Asylwerber können bis längstens 31.1.2021 auch in Unterbringungseinrichtungen der zweiten Stufe (SIPROIMI) untergebracht werden, welche eigentlich für Schutzberechtigte reserviert sind. Sie erhalten dort aber nur jene Versorgung, die auch in Unterbringungseinrichtungen der ersten Stufe (CAS) vorgesehenen wäre. Gesundheitskarten mit Gültigkeitsende vor dem 30. Juni 2020 wurden bis zum 30. Juni verlängert. Aufenthaltsberechtigungen, einschließlich solcher von Asylwerbern und Schutzberechtigten, mit Ablaufdatum zwischen 31. Jänner und 15. April 2020 wurden bis zum 31. August verlängert. Dublin-Überstellungen von und nach Italien sind derzeit suspendiert. Während der COVID-Situation haben manche Gemeinden den Zugang zu bestimmten ergänzenden sozialen Leistungen an bisweilen mehrjährige Meldeerfordernisse gebunden, die von Asylwerbern bzw. Schutzberechtigten oft nicht zu erfüllen sind (ECRE 28.5.2020).

Nach einer Unterbrechung aufgrund der COVID-19-Pandemie haben alle Territorialkommissionen der nationalen Asylbehörde mit Ausnahme derjenigen in Foggia und Udine im September die persönlichen Asylinterviews wieder aufgenommen. Verzögerungen beim Zugang zu Asylverfahren wurden an verschiedenen Orten gemeldet (UNHCR 9.2020).

Italien hat mit Ende September 2020 fünf Schiffe im Einsatz, die als Quarantäneschiffe vor der italienischen Küste fungieren. Es gibt aber auch Quarantäneeinrichtungen auf dem Festland, die stark belegt sind, was zu Problemen bei der adäquaten Unterbringung, v.a. von Minderjährigen führen kann (UNHCR 9.2020).

Es gilt eine 14-tägige Quarantäne für über das Mittelmeer kommende Asylwerber. Nur wer am Ende dieses Zeitraums nicht positiv getestet wird, kann an eine andere Unterbringungseinrichtung überstellt werden (EASO 2.6.2020).

Aufenthaltsberechtigungen für Asylberechtigte wurden während der COVID-Situation automatisch verlängert. Italien erweiterte die Einkommens- und Familienunterstützungsmaßnahmen, die im Dekret „Cura Italia“ vorgesehen sind, das sind EUR 600 Bonus u.a. Leistungen für anerkannte Flüchtlinge oder Inhaber anderer Aufenthaltsgenehmigungen, die beruflich tätig sind (EASO 2.6.2020).

Quellen:

?        EASO European Asylum Support Office (2.6.2020): COVID-19 Emergency Measures in Asylum and Reception Systems, https://www.easo.europa.eu/sites/default/files/covid19-emergency-measures-asylum-reception-systems.pdf, Zugriff 28.10.2020

?        ECRE – European Council on Refugees and Exiles (28.5.2020): INFORMATION SHEET 28 MAY 2020: COVID-19 MEASURES RELATED TO ASYLUM AND MIGRATION ACROSS EUROPE, https://www.ecre.org/wp-content/uploads/2020/05/COVID-INFO-28-May.pdf, Zugriff 28.10.2020

?        UNHCR - United Nations High Commissioner for Refugees (9.2020): UNHCR Italy Factsheet, September 2020, https://reliefweb.int/report/italy/unhcr-italy-factsheet-september-2020, Zugriff 28.10.2020

2.       Allgemeines zum Asylverfahren

Letzte Änderung: 03.11.2020

In Italien existiert ein rechtsstaatliches Asylverfahren mit gerichtlichen Beschwerdemöglichkeiten:
(AIDA 5.2020; für ausführliche Informationen siehe dieselbe Quelle).

Am 5. Oktober hat der italienische Ministerrat eine neues sogenanntes Immigrationsdekret vorgelegt, das die vom ehemaligen Innenminister Salvini eingeführten Regelungen teilweise wieder aufheben würde. Es handelt sich dabei wohlgemerkt erst noch um eine Regierungsvorlage, die binnen 60 Tage vom Parlament abgesegnet werden muss und noch abgeändert werden kann. Momentan vorgesehen ist eine Aufweichung der momentan geltenden Regeln, etwa verbesserter Refoulement-Schutz und Umstrukturierung des Aufnahmesystems zu einem neuen „Aufnahme- und Integrationssystem“ mit Erstaufnahme für alle und danach Versorgung von Asylwerbern und Versorgung von Schutzberechtigten mit zusätzlichen integrationsfördernden Maßnahmen. Ferner würden die territorialen Asylkommissionen (erstinstanzliche Asylbehörde) mehr Befugnisse erhalten, künftig nicht mehr nur im Bereich des internationalen Schutzes, sondern auch im Falle von Abschiebungsverboten bei Fremden mit besonders schwerwiegendem Gesundheitszustand zu entscheiden (VB 13.10.2020).

Antragszahlen für 2019 gemäß italienischem Innenministerium:
(AIDA 5.2020; für ausführliche Informationen siehe dieselbe Quelle).

Im August 2020 waren in Italien 53.923 Asylerfahren anhängig. Von Jänner bis Juni 2020 wurden 21.905 Entscheidungen getroffen, davon waren 10% Zuerkennungen eines internationalen Schutzes, 9% subsidiärer Schutz, 5% humanitärer Schutz und 75% Zurückweisungen (UNHCR 25.10.2020).

Die Asylverfahren dauern im Durchschnitt sechs Monate, inklusive Beschwerdephase bis zu zwei Jahre (USDOS 11.3.2020).

Quellen:

?        AIDA - Asylum Information Database (5.2020): Association for Legal Studies on Immigration (ASGI) / European Council on Refugees and Exiles (ECRE): Country Report: Italy, https://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_it_2019update.pdf, Zugriff 28.10.2020

?        UNHCR - United Nations High Commissioner for Refugees (25.10.2020): Italy Weekly Snapshot (18 Oct-25 Oct 2020), https://data2.unhcr.org/en/documents/download/82568, Zugriff 28.10.2020

?        USDOS – US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Italy, https://www.ecoi.net/de/dokument/2027526.html, Zugriff 28.10.2020

?        VB des BM.I Italien (13.10.2020): Auskunft des VB, per E-Mail

3.       Dublin-Rückkehrer

Letzte Änderung: 03.11.2020

Wenn Italien einer Überstellung ausdrücklich zustimmt, wird der Flughafen angegeben, welcher der für das konkrete Asylverfahren zuständigen Quästur am nächsten liegt. Wenn Italien durch Fristablauf zustimmt, landen Rückkehrer üblicherweise auf den Flughäfen Rom-Fiumicino und Mailand-Malpensa, oft weit entfernt von ihrer zuständigen Quästur. Ihnen wird am Flughafen von der Polizei eine Einladung (verbale di invito) ausgehändigt, der zu entnehmen ist, welche Quästur für ihr Asylverfahren zuständig ist. Die Rückkehrer haben in der Regel drei Tage, um auf eigene Faust und oft auch auf eigene Kosten zu dieser Quästur zu gelangen, unabhängig von der Entfernung. Seit Februar 2020 gibt es am Flughafen Mailand einen Informationsschalter der Waldensischen Diakonie. Deren Mitarbeiter können Dublin-Rückkehrer mit Tickets zur Quästur von Varese (zuständig für den Flughafen, Anm.) ausstatten und können telefonisch Kulturvermittler kontaktieren, um weitere Informationen in den benötigten Muttersprachen bereitzustellen. Sind die Rückkehrer zu einer anderen Quästur vorgeladen, müssen sie selbst die Tickets besorgen, um dorthin zu gelangen. In Rom profitieren Dublin-Rückkehrer häufig vom mobilen Helpdesk der NGO A Buon Diritto am Bahnhof Tiburtina in Rom. Sobald sie am Flughafen Fiumicino angekommen sind, werden sie mündlich über das Verfahren informiert und mit dem Einladungsschreiben an die zuständige Quästur ausgestattet. Sie müssen die Quästur autonom und auf eigene Kosten erreichen (AIDA 5.2020). Es gibt solche NGOs auf Abruf auch in Bologna, Bari und Venedig (SFH 1.2020).

Die Situation von Dublin-Rückkehrern hängt vom Stand ihres Verfahrens in Italien ab:

1.       Wenn ein Rückkehrer noch keinen Asylantrag in Italien gestellt hat, kann er dies tun, so wie jede andere Person auch (AIDA 5.2020; vgl. SFH 1.2020). Tut er das nicht und hat auch kein Visum etc., wird der Rückkehrer als illegaler Migrant betrachtet und mit einer Anordnung zur Außerlandesbringung konfrontiert und möglicherweise auch in Schubhaft genommen (AIDA 5.2020; vgl. SFH 1.2020).

2.       Wenn das Verfahren eines Antragstellers in Italien suspendiert wurde, weil er sich dem Verfahren vor dem Interview entzogen hat, kann er, im Falle einer Rückkehre binnen 12 Monaten ab Suspendierung, einen neuen Interviewtermin beantragen. Sind mehr als 12 Monate vergangen und das Verfahren wurde beendet, kann ein Folgeantrag gestellt werden, für den seit Oktober 2018 verschärfte Regelungen gelten (AIDA 5.2020; vgl. SFH 1.2020).

3.       Hat ein Interview stattgefunden und wurde das Verfahren des Antragstellers in Italien in der Zwischenzeit negativ entschieden und ihm dies zur Kenntnis gebracht, ohne dass er Beschwerde eingelegt hätte, ist für den Rückkehrer eine Anordnung zur Außerlandesbringung und Schubhaft möglich. Wenn dem Antragsteller die negative Entscheidung nicht zur Kenntnis gebracht werden konnte, gilt diese seit Oktober 2018 nach 20 Tagen als zugestellt und ist für den Rückkehrer eine Anordnung zur Außerlandesbringung und Schubhaft möglich (AIDA 5.2020; vgl. SFH 1.2020).

(Für weitere Informationen, siehe Kapitel „Versorgung“, Subkapitel „Dublin-Rückkehrer“. Für Infos zur COVID-19-Pandemie siehe das gleichnamige Kapitel, Anm.)

Mit Gesetz 132/2018 wurde der humanitäre Schutzstatus stark überarbeitet und der Zugang zu dieser Schutzform eingeschränkt. Abgelaufene (alte) Aufenthaltstitel aus humanitären Gründen, werden nicht erneuert (VB 22.2.2019) und können auch nicht mehr verlängert werden. Sie können jedoch bei rechtzeitiger Antragstellung und Erfüllung der Voraussetzungen in einen anderen Titel umgewandelt werden (Aufenthaltstitel für Arbeit, Familienzusammenführung, etc. oder in einen humanitären Titel neuer Rechtslage) (VB 25.2.2019). Ansonsten läuft der Titel ab und der Aufenthalt in Italien ist nicht mehr rechtmäßig (VB 22.2.2019; vgl. SFH 1.2020).

(Für weitere Informationen zu diesem Thema siehe Kapitel „Schutzberechtigte“, Anm.)

Quellen:

?        AIDA - Asylum Information Database (5.2020): Association for Legal Studies on Immigration (ASGI) / European Council on Refugees and Exiles (ECRE): Country Report: Italy, https://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_it_2019update.pdf, Zugriff 28.10.2020

?        SFH – Schweizerische Flüchtlingshilfe (1.2020): Aufnahmebedingungen in Italien. Aktualisierter Bericht zur Lage von Asylsuchenden und Personen mit Schutzstatus, insbesondere Dublin-Rückkehrenden, in Italien, https://www.ecoi.net/en/file/local/2034578/200121-italien-aufnahmebedingungen-de.pdf.pdf, Zugriff 8.10.2020

?        VB des BM.I Italien (25.2.2019): Auskunft des VB, per E-Mail

?        VB des BM.I Italien (22.2.2019): Bericht des VB, per E-Mail

4.       Non-Refoulement

Letzte Änderung: 03.11.2020

Italien hat im Feber 2020 ein Memorandum of Understanding mit Libyen um drei weitere Jahre verlängert, in dessen Rahmen Libyen mit italienischer Unterstützung Migrantenboote stoppt und die Betreffenden nach Libyen zurückbringt. Dies wird von NGOs als indirekte Pushbacks nach Libyen betrachtet. (AIDA 5.2020; vgl. AI 16.4.2020). UNHCR bezeichnet diese Praxis nicht als Refoulement, will aber deren Rechtmäßigkeit untersuchen, da es Libyen nicht als „safe port“ betrachtet, da es relevante UN-Abkommen nicht unterzeichnet hat (USDOS 11.3.2020).

Berichten zufolge kommt es in den italienischen Adriahäfen immer wieder zu Pushbacks nach Griechenland, wenn illegale Migranten mit den aus Griechenland kommenden Schiffen auf denen sie entdeckt wurden, wieder nach Griechenland zurückgeschickt werden. Berichte über angebliches Refoulement antragswilliger Fremder, gibt es auch von den internationalen Flughäfen Rom Fiumicino und Mailand Malpensa. Weiters gibt es Berichte über formloses Zurückschicken von Migranten von der Grenze zu Slowenien. Nichtsdestotrotz erlaubte im Jahr 2019 der Civil Court in Rom 14 Eritreern, die 2008 unrechtmäßig nach Libyen zurückgeschickt wurden, den Zugang zum Asylverfahren in Italien. In zwei weiteren Fällen wurde verfügt, dass im Ausland aufhältigen Minderjährigen, davon einer ein in Libyen befindlicherer Nigerianer, humanitäre Visa zur Einreise auszustellen seien. 2019 annullierten italienische Gerichte weiterhin Überstellungen von afghanischen Asylwerbern in EU-Mitgliedsstaaten, in denen deren Asylverfahren bereits negativ erledigt worden waren, unter Verweis auf ein Ketten-Refoulement-Risiko nach Afghanistan (AIDA 5.2020).

Quellen:

?        AI – Amnesty International (16.4.2020): Human Rights in Europe - Review of 2019 – Italy, https://www.ecoi.net/de/dokument/2028200.html, Zugriff 7.10.2020

?        AIDA - Asylum Information Database (5.2020): Association for Legal Studies on Immigration (ASGI) / European Council on Refugees and Exiles (ECRE): Country Report: Italy, https://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_it_2019update.pdf, Zugriff 28.10.2020

?        USDOS – US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Italy, https://www.ecoi.net/de/dokument/2027526.html, Zugriff 28.10.2020

5.       Versorgung

Letzte Änderung: 03.11.2020

Mit der Einführung von Gesetzesdekret Nr. 113 vom 4.10.2018 (in Verbindung mit dem Umwandlungsgesetz Nr. 132 vom 1.12.2018 auch als „Salvini-Dekret“ bzw. „Salvini-Gesetz“ bekannt) gab es auch weitgehende Änderungen im Unterbringungssystem. Das bisherige System (CARA als Erstaufnahme, SPRAR als kommunal organisierte Unterbringung und Integration für Asylwerber und Schutzberechtigte, CAS als Notmaßnahme für Bootsflüchtlinge) wurde völlig neu organisiert und, neben der Nothilfe für neu ankommende Bootsmigranten, nur noch zwischen einer Erstaufnahme und einer sekundären Versorgungsschiene unterschieden (VB 19.2.2019; vgl. AIDA 5.20209).

Erstaufnahmeeinrichtungen („prima accoglienza“) ersetzen CAS und CARA. Zielgruppe dieser Einrichtungen sind Asylwerber (auch in einem Beschwerdeverfahren oder in Dublin-out-Verfahren bis zur Überstellung), ausdrücklich auch Dublin-Rückkehrer (VB 19.2.2019). Fremde, die in Italien bereits einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt haben, werden in jener Region untergebracht, in welcher der Antrag ursprünglich eingebracht wurde. In allen anderen Fällen ist jene Region zuständig, in der sich der Flughafen befindet, an dem der Fremde ankommt. Bei den Ausschreibungsspezifikationen wird zwischen kollektiven und individuellen (z.B. Selbstversorger) Unterbringungsplätzen unterschieden. Die Versorgung sieht unter anderem folgende Leistungen vor:

•        Unterbringung, Verpflegung

•        Sozialbetreuung, Information, linguistisch-kulturelle Mediation

•        notwendige Transporte

•        medizinische Betreuung: Erstuntersuchung, ärztliche Betreuung in den Zentren zusätzlich zum allgemeinen Zugang zum nationalen Gesundheitsdienst

•        Hygieneprodukte

•        Wäschedienst oder Waschprodukte

•        Startpaket (Kleidung, Bettzeug, Telefonkarte)

•        Taschengeld (€ 2,50/Tag/Person bis zu € 7,50/Tag für eine Kernfamilie)

•        Schulbedarf

•        usw.

Nach Auskunft des italienischen Innenministeriums sind Plätze für Familien sowie allein reisende Frauen (mit Kindern) vorgesehen (VB 19.2.2019).

Integrationsmaßnahmen (Italienisch-Kurse, Orientierungskurse, Berufsausbildungen oder Freizeitaktivitäten) sind in der Erstaufnahme nicht mehr vorgesehen. Ebenso eingespart wurden psychologische Betreuung, welche nur noch in Hotspots und Schubhaftzentren verfügbar ist, Rechtsberatung und kulturelle Mediation. Da viele Ausschreibungen keine Ergebnisse brachten, erlaubte das Innenministerium im Feber 2020 den Präfekturen, minimale Abweichungen zu akzeptieren. Die Vorgaben und Einsparungen führten dazu, dass 2019 viele kleine Unterbringungseinrichtungen verschwanden (AIDA 5.2020).

Die sekundären Aufnahmeeinrichtungen (früher SPRAR) heißen ab sofort SIPROIMI („Sistema di protezione per titolari di protezione internazionale e per minori stranieri non accompagnati“ – Schutzsystem für international Schutzberechtigte und unbegleitete minderjährige Fremde). Asylwerber, mit Ausnahme unbegleiteter Minderjähriger, haben dort keinen Zugang mehr (AIDA 5.2020). SIPROIMI stehen nur noch Personen mit internationalem Schutz, unbegleiteten Minderjährigen, sowie Personen zur Verfügung, die nach der neuen Rechtslage einen Aufenthaltstitel wegen besonders berücksichtigungswürdiger Umstände haben („neue“ humanitäre Titel; siehe dazu mehr im Kapitel „Schutzberechtigte“, Anm.). In diesen Einrichtungen werden zusätzlich zu den oben beschrieben Leistungen auch Maßnahmen mit dem Ziel einer umfassenden Integration (Gesellschaft, Arbeitsmarkt, Sprache, etc.) geboten (VB 19.2.2019).

Personen mit humanitärem Schutz nach alter Rechtslage, die sich mit Stichtag 05.10.2018 noch in einem SPRAR/SIPROIMI befanden, können dort für den vorgesehenen Zeitraum bzw. bis zum Ende des Projektzeitraumes weiterhin bleiben. Jene Fremde mit humanitärem Schutz nach alter Rechtslage, die sich noch in einer Erstaufnahmeeinrichtung befinden, verbleiben dort so lange, bis ihnen von der Quästur der Aufenthaltstitel („permesso di soggiorno“) übergeben wurde und werden danach aus dem Aufnahmesystem entlassen (VB 19.2.2019).

In den letzten Jahren war das italienische Aufnahmesystem angesichts der zahlreichen Anlandungen von Migranten von Überforderung und dem Versuch geprägt, möglichst viele Unterbringungsplätze in möglichst kurzer Zeit zu schaffen. Dabei entstanden verschiedene Arten von Unterbringungszentren auf Projektbasis in Gemeinden, Regionen und zentraler Ebene mit nur grob festgelegt Zielgruppen. Mit der Neustrukturierung wurde ein differenziertes Aufnahmesystem geschaffen, das auch der Kritik des italienischen Rechnungshofes Rechnung trägt, der die undifferenzierte Unterbringung bzw. Erbringung insbesondere von kostspieligen Integrationsmaßnahmen an Migranten ohne dauerhaften Aufenthaltstitel bemängelt hat. So werden Asylwerber zukünftig in den Erstaufnahmeeinrichtungen untergebracht. Personen mit Schutzstatus bzw. einer der neuen Formen des humanitären Schutzes sowie allein reisende Minderjährige erhalten Zugang zu den sekundären Aufnahmeeinrichtungen, in denen zusätzlich integrative Leistungen angeboten werden (VB 19.2.2019).

Asylwerber dürfen zwei Monate nach Antragstellung legal arbeiten. In der Praxis haben Asylwerber jedoch Schwierigkeiten beim Zugang zum Arbeitsmarkt, etwa durch Verzögerungen bei der Registrierung ihrer Asylanträge (die damit einhergehende Aufenthaltserlaubnis ist für den Zugang zum Arbeitsmarkt wichtig), oder durch die Sprachbarriere, oder die geografische Abgelegenheit der Unterbringungszentren usw. (AIDA 5.2020).

Es gibt Berichte über Diskriminierung und Ausbeutung von Migranten durch Arbeitgeber. Die hohe Arbeitslosigkeit schmälert die Chancen von Migranten auf legale Anstellung (USDOS 11.3.2020).

Quellen:

?        AIDA - Asylum Information Database (5.2020): Association for Legal Studies on Immigration (ASGI) / European Council on Refugees and Exiles (ECRE): Country Report: Italy, https://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_it_2019update.pdf, Zugriff 28.10.2020

?        USDOS – US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Italy, https://www.ecoi.net/de/dokument/2027526.html, Zugriff 28.10.2020

?        VB des BM.I Italien (19.2.2019): Bericht des VB, per E-Mail

a.       Unterbringung

Letzte Änderung: 03.11.2020

Grundsätzlich sind bedürftige Fremde zur Unterbringung in Italien berechtigt, sobald sie den Willen erkennbar machen, um Asyl ansuchen zu wollen. Das Unterbringungsrecht gilt bis zur erstinstanzlichen Entscheidung bzw. dem Ende der Rechtsmittelfrist. Bei Rechtsmitteln mit automatischer aufschiebender Wirkung besteht das Unterbringungsrecht auch bis zur Entscheidung des Gerichts. Bei Rechtsmitteln ohne automatische aufschiebende Wirkung kann diese vom Gericht zuerkannt werden und in einen solchen Fall besteht auch das Unterbringungsrecht weiter. Seit Ende 2018 haben einige Rechtsmittel keine aufschiebende Wirkung mehr. In der Praxis erfolgt der tatsächliche Zugang zur Unterbringung erst mit der formellen Registrierung des Antrags (verbalizzazione), die bis zu einige Monate nach der Antragstellung stattfinden kann, abhängig von Region und Antragszahlen. In dieser Zeit müssen Betroffene alternative Unterbringungsmöglichkeiten finden, was problematisch sein kann. Zum Ausmaß dieses Phänomens gibt es allerdings keine statistischen Zahlen. Betroffene Asylwerber ohne ausreichende Geldmittel sind daher auf Freunde oder Notunterkünfte angewiesen, oder es droht ihnen Obdachlosigkeit. In ganz Italien gibt es auch informelle Siedlungen oder besetzte Häuser, in denen Fremde leben, unter ihnen Asylwerber und Schutzberechtigte (AIDA 5.2020).

Das offizielle italienische Unterbringungssystem für erwachsene Asylwerber stellt sich folgendermaßen dar:

CPSA (Centri di primo soccorso e accoglienza) / Hotspots

Es handelt sich dabei um Zentren an den Hauptanlandungspunkten der Migranten, die über das Mittelmeer nach Italien kommen. Die CPSA wurden 2006 gegründet und fungieren seit 2016 formell als Hotspots (gemäß dem sogenannten Hotspot-approach der Europäischen Kommission). Diese dienen der raschen erkennungsdienstlichen Behandlung, Trennung von Asylwerbern und Migranten und ihrer entsprechenden weiteren Behandlung. Ende 2019 gab es in Italien vier Hotspots in Apulien (Taranto) und Sizilien (Lampedusa, Pozzalo, Messina). Der Aufenthalt der Migranten in den Hotspots dauert oft wochenlang (AIDA 5.2020).
Erstaufnahme

Es gibt derzeit 13 Erstaufnahmezentren zur Unterbringung von Asylwerbern in 7 italienischen Regionen. Die Zentren sind meist groß, geografisch isoliert und der Standard der Unterbringungsbedingungen schwankt zum Teil. Überbelegung ist oft ein Problem. Im Falle von Platzmangel kann auch auf temporäre Strukturen (Centri di accoglienza straordinaria, CAS) zurückgegriffen werden, das sind Notunterkünfte der Präfekturen. Die Unterbringung in einem CAS soll so kurz als möglich dauern, bis zur Unterbringung des Betreffenden in einem Erstaufnahmezentrum. Doch es gibt derzeit über 6.000 CAS in ganz Italien und sie bilden damit die Mehrheit der im Land verfügbaren Unterbringungsplätze. In den CAS ist der Unterbringungsstandard von der betreibenden Präfektur abhängig (AIDA 5.2020).

Die Integration der Asylsuchenden beginnt erst nach Zuerkennung eines Schutztitels und Verlegung in eine sekundäre Aufnahmeeinrichtung (SIPROIMI) (AIDA 5.2020).

(Für Informationen zu SIPROIMI siehe Kapitel Schutzberechtigte, Anm.)
Private Unterbringung / NGOs

Außerhalb der staatlichen Strukturen existiert noch ein Netzwerk privater Unterbringungsmöglichkeiten, betrieben von Kirchen oder Freiwilligenverbänden. Ihre Zahl ist schwierig festzumachen. Interessant sind sie speziell in Notfällen oder als Integrationsmittel (AIDA 5.2020).

Nichtregierungsorganisationen und unabhängige Beobachter beklagen Unterschiede der in Aufnahmezentren angewandten Standards. Qualitativ hochwertigen Unterbringungen von lokalen Behörden stehen große Zentren unterschiedlicher Qualität gegenüber, bei denen es sich oft um umgewidmete Gebäude wie Schulen, Kasernen usw. handelt (USDOS 11.3.2020).

Wer nicht in einer offiziellen Unterbringungseinrichtung untergebracht ist, erhält keine finanzielle Unterstützung und hat keinen Anspruch auf weitere Sozialleistungen (RW 6.2020).

Viele Asylwerber und Personen mit Schutzstatus sind obdachlos und leben in verschiedenen italienischen Städten auf der Straße oder in informellen Siedlungen und besetzten Häusern. Freiwillige der NGOs Sant’Egidio und MEDU besuchen die Obdachlosen in Mailand einmal oder mehrmals pro Woche. Sant’Egidio verteilt Mahlzeiten, MEDU bietet medizinische Beratung und Behandlung an (SFH 1.2020). Informelle Siedlungen gibt es im ganzen Land, wenn auch Ende 2018 einige von den Behörden geräumt wurden (AIDA 5.2020). Vertreter von UNHCR, IOM und anderer humanitärer Organisationen und NGOs, berichten über tausende von legalen und illegalen Migranten und Flüchtlingen, die in verlassenen Gebäuden und in unzulänglichen und überfüllten Einrichtungen in Rom und anderen Großstädten leben und nur eingeschränkten Zugang zu medizinischer Versorgung, Rechtsberatung, Bildung und anderen öffentlichen Dienstleistungen haben (USDOS 11.3.2020).

Mit Stand 30.9.2020 befanden sich in Italien 82.072 Migranten in staatlicher Unterbringung, davon 217 in Hotspots, 57.496 in der Erstaufnahme und 24.359 in SIPROIMI (VB 5.10.2020).

CPR (Centri di Permanenza per il Rimpatrio)

Italien verfügt außerdem über neun Schubhaftzentrum (CPR) mit zusammen 1.380 Plätzen (AIDA 5.2020).

Quellen:

?        AIDA - Asylum Information Database (5.2020): Association for Legal Studies on Immigration (ASGI) / European Council on Refugees and Exiles (ECRE): Country Report: Italy, https://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_it_2019update.pdf, Zugriff 28.10.2020

?        RW – Raphaelswerk (6.2020): Italien: Informationen für Geflüchtete, die nach Italien rücküberstellt werden, https://www.raphaelswerk.de/cms/contents/raphaelswerk.de/medien/dokumente/information-italien/i_rueckueberstellung_info_raphaelswerk_ev_ii_neuaufl_v11.pdf?d=a&f=pdf, Zugriff 7.10.2020

?        USDOS – US Department of State (11.3.2020): Country Report on Human Rights Practices 2019 - Italy, https://www.ecoi.net/de/dokument/2027526.html, Zugriff 28.10.2020

?        VB des BM.I Italien (5.10.2020): Bericht des VB, per E-Mail

b.       Dublin-Rückkehrer

Letzte Änderung: 03.11.2020

Mit der Einführung von Gesetzesdekret Nr. 113 vom 4.10.2018 (in Verbindung mit dem Umwandlungsgesetz Nr. 132 vom 1.12.2018; auch als „Salvini-Dekret“ bzw. „Salvini-Gesetz“ bekannt) wird festgelegt, dass die Erstaufnahmeeinrichtungen („prima accoglienza“) ausdrücklich auch die reguläre Unterbringungsmöglichkeit für Dublin-Rückkehrer sind (VB 19.2.2019), da für Asylwerber ein Zugang zu den Zentren der zweiten Stufe (SIPROIMI-Zentren) nicht vorgesehen ist, auch nicht für vulnerable Rückkehrer (AIDA 5.2020).

Im Sinne des Tarakhel-Urteils stellt Italien seit Februar 2015 in regelmäßigen Rundbriefen eine Liste von Einrichtungen zur Verfügung, welche für die Unterbringung von Familien geeignet sind, welche als Dublin-Rückkehrer nach Italien kommen. Im Sinne der neuen Rechtslage im Land hat Italien am 8. Jänner 2019 einen neuen Rundbrief versendet und auf die geänderten Gegebenheiten reagiert. Es wird darin bestätigt, dass in Übereinstimmung mit dem neuen Gesetz 132/2018, gemäß der Dublin-VO rücküberstellte Antragsteller nicht in SIPROIMI, sondern im Rahmen der Erstaufnahme (s.o.) untergebracht werden. Italien garantiert, dass diese Zentren dafür geeignet sein werden, um alle Arten von Betroffenen zu betreuen und die Einhaltung ihrer Grundrechte zu gewährleisten, vor allem die Familieneinheit und den Schutz Minderjähriger (AIDA 5.2020).

Dublin-Rückkehrer, die bereits einen Asylantrag in Italien gestellt hatten, bevor sie das Land verließen, sollten von der zuständigen Präfektur vom Flughafen in die Provinz der Antragstellung transferiert werden. Dublin-Rückkehrer, die noch keinen Asylantrag in Italien gestellt haben, sind in der Provinz des Ankunftsflughafens unterzubringen. Die Familieneinheit sollte dabei immer gewahrt bleiben. Manchen Rückkehrern wurde in der Vergangenheit die Unterbringung verweigert oder sie mussten lange auf diese warten (AIDA 5.2020; vgl. SFH 1.2020).

Solange sie im Asylverfahren sind und ihnen das Recht auf Unterkunft nicht entzogen wurde, können Dublin-Rückkehrer wie alle anderen Asylsuchenden in Italien nur in Erstaufnahmeeinrichtungen untergebracht werden. Waren sie zuvor in einer staatlichen Unterbringung oder wurde ihnen eine solche auch nur zugeteilt, die sie unerlaubt verlassen oder nicht bezogen haben, haben sie das Recht auf Unterbringung verloren. Das Recht auf Unterkunft können Asylsuchende nur zurückerhalten, wenn sie nachweisen können, dass sie das Zentrum wegen eines Unfalls, höherer Gewalt oder aus einem anderen triftigen persönlichen Grund verlassen haben. Die Präfektur entscheidet, ob die Person wieder aufgenommen wird. Wenn die Präfektur die Wiederaufnahme in das System ablehnt, gibt es keine alternative staatliche Unterbringungsmöglichkeit (SFH 1. 2020).

Wenn Dublin-Rückkehrer nach ihrer Überstellung nach Italien kein Anrecht mehr auf Unterkunft haben, kann das zu Problemen bei der Registrierung im Gesundheitssystem führen, wenn sie keine richtige Adresse als ihren ständigen Aufenthaltsort vorweisen können. Nicht alle Gemeinden in Italien erlauben die Angabe der Adresse einer NGO oder einer fiktiven Adresse (SFH 1.2020).

Quellen:

?        AIDA - Asylum Information Database (5.2020): Association for Legal Studies on Immigration (ASGI) / European Council on Refugees and Exiles (ECRE): Country Report: Italy, https://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_it_2019update.pdf, Zugriff 28.10.2020

?        SFH – Schweizerische Flüchtlingshilfe (1.2020): Aufnahmebedingungen in Italien. Aktualisierter Bericht zur Lage von Asylsuchenden und Personen mit Schutzstatus, insbesondere Dublin-Rückkehrenden, in Italien, https://www.ecoi.net/en/file/local/2034578/200121-italien-aufnahmebedingungen-de.pdf.pdf, Zugriff 8.10.2020

c.       Medizinische Versorgung

Letzte Änderung: 03.11.2020

Asylwerber und Personen mit einem Schutzstatus in Italien müssen sich beim italienischen nationalen Gesundheitsdienst registrieren und haben dann in Bezug auf medizinische Versorgung dieselben Rechte und Pflichten wie italienische Staatsbürger. Das gilt unabhängig davon, ob sie staatliche Versorgung genießen oder nicht. Das Recht auf medizinische Versorgung entsteht formell im Moment der Registrierung eines Asylantrags, wobei es aber in der Praxis in einigen Regionen bis zu einigen Monaten Verzögerung kommen kann, weil bei bestimmten Quästuren die Zuweisung des Steuer-Codes (codice fiscale), die im Zuge der Formalisierung des Asylantrags erfolgt und für den Zugang zur medizinischen Versorgung wichtig ist, länger dauert. Bis dahin haben die betroffenen Asylsuchenden nur Zugang zu medizinischen Basisleistungen wie etwa einer Notfallversorgung, wie sie gemäß Artikel 35 des Einwanderungsgesetzes (TUI) auch illegalen Migranten zusteht. Die Anmeldung beim italienischen nationalen Gesundheitsdienst erfolgt im zuständigen Büro des lokalen Gesundheitsdienstes (Azienda Sanitaria Locale , ASL), in der Gemeinde, in der der Asylwerber seinen Wohnsitz (domicilio) hat. Im Zuge der Registrierung wird eine europäische Gesundheitskarte (tessera europea di assicurazione malattia, auch oft bezeichnet als tessera sanitaria) ausgestellt. Die Registrierung berechtigt zu folgenden Leistungen: freie Wahl eines Hausarztes bzw. Kinderarztes (kostenlose Arztbesuche, Hausbesuche, Rezepte, usw.); Geburtshilfe und gynäkologische Betreuung bei der Familienberatung (consultorio familiare) ohne allgemeinärztliche Überweisung; kostenlose Aufenthalte in öffentlichen Krankenhäusern. Das Recht auf medizinische Versorgung sollte im Rahmen der Erneuerung der Aufenthaltserlaubnis nicht erlöschen. Wenn die Aufenthaltserlaubnis abgelaufen ist, besteht keine Garantie auf Zugang zu nicht notwendiger medizinischer Versorgung bis zur Erneuerung derselben, was aufgrund bürokratischer Verzögerungen einige Zeit dauern kann. Wenn Asylwerber keine Wohnsitzmeldung (domicilio) vorweisen können, erhalten sie auch keine Gesundheitskarte. Eines der größten Hindernisse für den Zugang zu Gesundheitsdiensten ist jedoch die Sprachbarriere (AIDA 5.2020).

Mit Einführung von Gesetzesdekret Nr. 113 vom 4.10.2018 (in Verbindung mit dem Umwandlungsgesetz Nr. 132 vom 1.12.2018; auch als „Salvini-Dekret“ bzw. „Salvini-Gesetz“ bekannt) ist die medizinische Versorgung von Asylwerbern weiterhin gewährleistet. Es wurde oft kritisiert, dass durch das neue Gesetz Asylwerber von der medizinischen Versorgung abgeschnitten würden, weil deren Registrierung bei den Gemeinden (residenza) nicht mehr vorgesehen ist. Letzteres ist grundsätzlich richtig, allerdings unterscheidet Italien beim „Wohnsitz“ zwischen „residenza“ und „domicilio“ (VB 19.2.2019). Nach der neuen Rechtslage ist die Einschreibung beim Nationalen Gesundheitsdienst für Asylwerber auf Basis des „domicilio“ garantiert (CILD 1.2.2019), welcher üblicherweise im Aufnahmezentrum liegt. Somit ist auch für Asylwerber weiterhin die Ausstellung einer Gesundheitskarte (tessera sanitaria) möglich, mit welcher sie Zugang zu den medizinischen Leistungen erhalten. Zusätzlich sind in den Erstaufnahmezentren Ärzte beschäftigt, die neben medizinischen Erstuntersuchungen und Notfallmaßnahmen auch die nationalen Gesundheitsdienste entlasten sollen. Der Zugang zu medizinischer Notversorgung in öffentlichen Spitälern bleibt weiterhin bestehen, auch für illegale Migranten (VB 19.2.2019).

Manche Asylwerber haben aufgrund von Problemen mit der Wohnsitzmeldung oder einer fehlenden Steuernummer Schwierigkeiten beim Zugang zu medizinischer Versorgung. Fiktive Adressen oder Adressen von NGOs werden nicht überall akzeptiert und bergen Probleme bei der Wahl eines Hausarztes, welcher in der Nähe des Wohnortes angesiedelt sein soll. Die Sprachbarriere ist auch ein großes Problem. Es gibt Organisationen, welche Personen beim Zugang zu medizinischer Versorgung behilflich sind (RW 6.2020).

Asylwerber können sich auf Basis einer Eigendeklaration bei den Büros des lokalen Gesundheitsdienstes (ASL) als bedürftig registrieren lassen. Sie werden dann arbeitslosen Staatsbürgern gleichgestellt und müssen keine Praxisgebühr („Ticket“) bezahlen. Die Befreiung gilt zunächst für zwei Monate ab Asylantragstellung (da in diesem Zeitraum kein Zugang zum Arbeitsmarkt besteht). Um die Ticket-Befreiung danach beizubehalten, müssen sich die AW offiziell arbeitslos melden. Aber die Praxis ist national nicht einheitlich gehandhabt und einige Regionen gewähren die Ticket-Befreiung nach zwei Monaten nicht weiter, weil sie die Asylwerber als inaktiv betrachten, jedoch nicht als arbeitslos (AIDA 5.2020), da sie vorher nie in Italien gearbeitet haben (RW 6.2020; vgl. SFH 1.2020). Laut Gesetz ist die Ticket-Befreiung auch bei niedrigem Einkommen möglich, doch Asylwerber mit niedrigem Einkommen kommen nicht in diesen Genuss, da ihnen entsprechende Bestätigungen aufgrund mangelnder verwaltungsinterner Anweisungen nicht ausgestellt werden (AIDA 5.2020).

Asylwerber mit psychischen Problemen und Folteropfer haben dasselbe Recht auf Zugang zu medizinischer Versorgung wie italienische Bürger. In der Praxis haben sie die Möglichkeit, von speziellen Leistungen des nationalen Gesundheitsdienstes, spezialisierter NGOs oder privater Stellen zu profitieren. Die NGOs ASGI und Ärzte ohne Grenzen betreiben in Rom seit April 2016 ein Zentrum zur Identifikation und Rehabilitation von Folteropfern. ASGI arbeitet auch mit anderen Institutionen zusammen und beobachtet die Einhaltung der verfassungsmäßigen Rechte der Migranten auf medizinische Versorgung (AIDA 5. 2020). Die psychische Gesundheitsversorgung ist in Italien im OECD-Vergleich nur mäßig ausgebaut, was Italiener genauso wie Asylwerber und Schutzberechtigte gleichermaßen betrifft (SFH 1.2020).

Personen mit irregulärem Aufenthalt können eine STP-Karte (straniero temporaneamente presente) beantragen (sechs Monate gültig, verlängerbar), mit der sie Zugang zu medizinischer Not- und Vorsorgeversorgung haben (RW 6.2020). Um eine STP-Karte zu erhalten, müssen die Personen sich mit einer Erklärung zur finanziellen Notlage, einer Erklärung, dass er/sie sich nicht beim nationalen Gesundheitsdienst (SSN) registrieren kann, sowie Identitätsdokumenten bei einer Büro des lokalen Gesundheitsdienstes melden. Die STP-Karte ist sechs Monate in ganz Italien gültig (SFH 1.2020).

MedCOI bearbeitet grundsätzlich keine medizinischen Anfragen zu EU-Mitgliedsstaaten, da die medizinischen Mitarbeiter von MedCOI (Ärzte) davon ausgehen, dass medizinische Behandlungsmöglichkeiten in der EU generell in ausreichendem Maße verfügbar sind. Ausnahmen von dieser Regel sind nur in sehr spezifischen Einzelfällen möglich (MedCOI 14.12.2016).

Quellen:

?        AIDA - Asylum Information Database (5.2020): Association for Legal Studies on Immigration (ASGI) / European Council on Refugees and Exiles (ECRE): Country Report: Italy, https://www.asylumineurope.org/sites/default/files/report-download/aida_it_2019update.pdf, Zugriff 28.10.2020

?        CILD - Coalizione Italiana Libertà e Diritti Civili (1.2.2019): ANAGRAFE E DIRITTI: COSA CAMBIA COL DECRETO SALVINI. Know Your Rights, https://immigrazione.it/docs/2019/know-your-rights.pdf, Zugriff 30.10.2020

?        MedCOI – Medical Country of Origin Information (14.12.2016): Auskunft MedCOI, per E-Mail

?        RW – Raphaelswerk (6.2020): Italien: Informationen für Geflüchtete, die nach Italien rücküberstellt werden, https://www.raphaelswerk.de/cms/contents/raphaelswerk.de/medien/dokumente/information-italien/i_rueckueberstellung_info_raphaelswerk_ev_ii_neuaufl_v11.pdf?d=a&f=pdf, Zugriff 7.10.2020

?        SFH – Schweizerische Flüchtlingshilfe (1.2020): Aufnahmebedingungen in Italien. Aktualisierter Bericht zur Lage von Asylsuchenden und Personen mit Schutzstatus, insbesondere Dublin-Rückkehrenden, in Italien, https://www.ecoi.net/en/file/local/2034578/200121-italien-aufnahmebedingungen-de.pdf.pdf, Zugriff 8.10.2020

?        VB des BM.I Italien (19.2.2019): Bericht des VB, per E-Mail
Zur COVID-19 Pandemie

Derzeit herrscht weltweit die als COVID-19 bezeichnete Pandemie. COVID-19 wird durch das Corona- Virus SARS-CoV-2 verursachte. In Italien wurden bisher 4.263.797 Fälle von mit diesem Corona-Virus infizierten Personen nachgewiesen, wobei bisher 127.680 diesbezügliche Todesfälle bestätigt wurden (https://coronavirus.jhu.edu/map.html, abgerufen am 06.07.2021.

Wie gefährlich der Erreger SARS-CoV-2 ist, kann derzeit noch nicht genau beurteilt werden. Man geht aber von einer Sterblichkeitsrate von bis zu drei Prozent aus, wobei v.a. alte Menschen und immungeschwächte Personen betroffen sind (https://www.sozialministerium.at/Informationen-zum-Coronavirus/Coronavirus---Haeufig-gestellte-Fragen.html, abgerufen am 06.07.2021).

Aus dem Verfahrensgang ergibt sich, dass die deutschen Behörden am 05.07.2021 ein Konsultationsverfahren mit Österreich eingeleitet haben. Mit Schreiben vom 06.07.2021 lehnte Österreich seine Zuständigkeit mit Hinweis auf die Zuständigkeit Italiens ab. Im Bescheid wurde dann weiter festgehalten, dass der Beschwerdeführer nicht zur Einvernahme vor dem Bundesamt erschienen sei. Die Identität des Beschwerdeführers stehe fest (Anm: richtig: stehe nicht fest). Der Beschwerdeführer leide an keinen schweren, lebensbedrohenden Krankheiten und sei nicht immungeschwächt. Der Beschwerdeführer sei in Italien erkennungsdienstlich behandelt worden. Die italienischen Behörden hätten der Aufnahme des Beschwerdeführers am 23.06.2021 durch Verfristung zugestimmt. Besonders enge familiäre oder andere enge private Anknüpfungspunkte bzw Abhängigkeiten zu in Österreich aufenthaltsberechtigten Personen hätten nicht festgestellt werden können. Eine Abhängigkeit bzw besonders enge Beziehung zu der in Österreich aufhältigen Schwester habe nicht festgestellt werden können. Eine besondere Integrationsverfestigung des Beschwerdeführers sei nicht zu erkennen. Soziale Kontakte, welche den Beschwerdeführer an Österreich binden würden, seien nicht ersichtlich. Italien habe während der COVID-19-Krise die Registrierung neuer Asylanträge formell nicht suspendiert, jedoch seien die Quästuren in der Praxis geschlossen gewesen. Einige Gerichte, etwa in Rom, hätten Quästuren jedoch angewiesen, Asylanträge zu registrieren. Die Versorgungsmaßnahmen seien bis zum Ende der Pandemie verlängert worden, auch für Personen, die das Recht auf Unterstützung eigentlich verloren hätten. Gesundheitskarten mit Gültigkeitsende vor dem 30. Juni 2020 seien bis zum 30. Juni verlängert worden. Aufenthaltsberechtigungen, einschließlich solcher von Asylwerbern und Schutzberechtigten, mit Ablaufdatum zwischen 31. Jänner und 15. April 2020 seien bis zum 31. August verlängert worden. Dublin-Überstellungen von und nach Italien seien derzeit suspendiert. Während der COVID-Situation hätten manche Gemeinden den Zugang zu bestimmten ergänzenden sozialen Leistungen an bisweilen mehrjährige Meldeerfordernisse gebunden, die von Asylwerbern bzw. Schutzberechtigten oft nicht zu erfüllen sind (ECRE 28.5.2020). Nach einer Unterbrechung aufgrund der COVID-19-Pandemie hätten alle Territorialkommissionen der nationalen Asylbehörde mit Ausnahme derjenigen in Foggia und Udine im September (2020) die persönlichen Asylinterviews wieder aufgenommen. Verzögerungen beim Zugang zu Asylverfahren seien an verschiedenen Orten gemeldet worden (UNHCR 9.2020). In Italien seien bisher 4.263.797 Fälle von mit dem Corona-Virus infizierten Personen nachgewiesen, wobei bisher 127.680 diesbezügliche Todesfälle bestätigt worden seien (Stand 06.07.2021). Man gehe von einer Sterblichkeitsrate von bis zu 3 % aus, wobei va alte Menschen und immungeschwächte Menschen betroffen seien. Was die Beziehung des Beschwerdeführers zu seiner hier aufhältigen Schwester betreffe, sei Folgendes festzuhalten: Es liege diesbezüglich kein iSd Art 8 EMRK schützenswertes Familienleben vor. Zwar habe in Österreich ein gemeinsamer Haushalt bestanden und habe der Beschwerdeführer dafür auch auf Leistungen aus der Grundversorgung verzichtet; es sei jedoch anzumerken, dass der Beschwerdeführer die Wohnung seiner Schwester freiwillig verlassen habe und nach Deutschland ausgereist sei. Beim Vorliegen einer tatsächlichen Abhängigkeit hätte der Beschwerdeführer nicht so gehandelt; vielmehr wäre zu erwarten gewesen, dass dieser so lange wie möglich bei seiner Schwester geblieben wäre. Es könne gegenständlich kein spezielles Nahe- bzw Abhängigkeitsverhältnis zu seiner Schwester erkannt werden, das eine ausreichende Beziehungsintensität begründen würde. Eine besondere Hilfs- bzw Pflegebedürftigkeit sei im Verfahren nicht hervorgekommen. Familiäre Beziehungen unter Erwachsenen würden nur dann unter den Schutz des Art 8 Abs 1 EMRK fallen, wenn zusätzliche Merkmale der Abhängigkeit hinzutreten würden. Aus der Aktenlage sei nicht ersichtlich, dass enge familiäre Anknüpfungspunkte zu einem dauernd aufenthaltsberechtigten Fremden in Österreich oder österreichischen Staatsbürger vorliegen würden. Es sei daher davon auszugehen, dass die Anordnung der Außerlandesbringung nicht zu einer relevanten Verletzung der Dublin III-VO sowie von Art. 7 GRC bzw. Art. 8 EMRK führe und die Zurückweisungsentscheidung daher unter diesen Aspekten zulässig sei. In Italien sei Refoulementschutz gewährleistet. Die Feststellungen zur COVID-19-Pandemie würden sich aus dem Amtswissen und die konkreten Daten aus den Angaben der Johns Hopkins University in Baltimore ergeben, welche Daten rund um die Pandemie sammle, auswerte und zur Verfügung stelle. Die Feststellungen zum Virus SARS-CoV-2 würden sich aus den vom BM für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz als oberste Gesundheitsbehörde veröffentlichten Informationen ergeben. Der Beschwerdeführer habe nicht vorgebracht, in Italien Misshandlung, Verfolgung oder einer unmenschlichen Behandlung ausgesetzt zu sein. Aus den Angaben des Beschwerdeführers seien keine stichhaltigen Gründe für die Annahme glaubhaft gemacht worden, dass dieser tatsächlich konkret Gefahr liefe, in Italien Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen zu werden oder dass diesem eine Verletzung seiner durch Art. 3 EMRK gewährleisteten Rechte dadurch drohen könnte. Die Regelvermutung des § 5 Abs. 3 AsylG habe bei Abwägung aller Umstände nicht erschüttert werden können. Ein zwingender Grund für die Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art 17 Abs 1 Dublin III-VO habe sich nicht ergeben.

Mit E-Mail vom 07.07.2021 teilte RA Dr Hans Jalovetz dem Bundesamt mit, dass er seit Wochen keinen Kontakt mehr zum Beschwerdeführer habe; angeblich halte sich der Genannte in Deutschland auf. Aus diesem Grund könne er die Übernahmsbestätigung betreffend den Bescheid nicht unterfertigen.

Mit Schreiben vom 14.07.2021 teilte die Deutsche Dublinbehörde mit, dass sich der Beschwerdeführer noch bis 29.07.2021 in Abschiebehaft auf einem (namentlich angeführten) Flughafen in Deutschland befinde. Der Bescheid wurde dem Beschwerdeführer an der bekannt gegebenen Adresse in Deutschland nachweislich zugestellt.

Am 19.07.2021 langte fristgerecht eine Beschwerde, verfasst durch die BBU GmbH, beim Bundesamt ein. Darin wird zusammengefasst ausgeführt, dass der Beschwerdeführer nicht zu der am 06.07.2021 angesetzten Einvernahme erschienen sei, da dieser kurz davor nach Deutschland gereist sei. Hiezu sei jedoch anzumerken, dass der Beschwerde aus Angst, unmittelbar nach seiner Einvernahme verhaftet und abgeschoben zu werden, nach Deutschland „weitergereist“ sei. Die Behörde hätte jedoch die Schwester des Beschwerdeführers einvernehmen können, um beurteilen zu können, ob ein iSd Art 8 EMRK schützenswertes Privat- und Familienleben gegeben sei. Während seines Aufenthalts in Österreich habe der Beschwerdeführer mit seiner Schwester und deren Familie zusammen gewohnt. Da der Mann seiner Schwester an Lymphdrüsenkrebs leide, sei die Familie auf die Hilfe des Beschwerdeführers angewiesen. Der Beschwerdeführer habe im Haushalt ausgeholfen und sich untertags um seinen Neffen gekümmert. Seine Schwester würde dem Beschwerdeführer eine Wohnmöglichkeit zur Verfügung stellen und ihn finanziell unterstützen, falls das Verfahren ihres Bruders hier zugelassen würde. Der Beschwerdeführer habe auch bereits einen Deutschkurs absolviert. Es werde die zeugenschaftliche Einvernahme der Schwester des Beschwerdeführers beantragt. Die Abschiebung des Beschwerdeführers nach Italien würde eine Verletzung seiner durch Art 8 EMRK gewährleisteten Rechte darstellen, weshalb vom Selbsteintrittsrecht Gebrauch zu machen gewesen wäre. Der Beschwerdeführer bereue zutiefst, dass er illegal nach Deutschland weitergereist sei. Die Familie der Schwester sei, wie gesagt, aufgrund der Erkrankung des Mannes der Schwester auf die Hilfe des Beschwerdeführers angewiesen. Es bestünde eine besondere Beziehungsintensität. In Italien habe der Beschwerdeführer keinen Asylantrag gestellt; er habe dort auch weder Angehörige noch Verwandte. Beantragte wurden die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der Beschwerdeführer, ein volljähriger Staatsangehöriger aus Tunesien, reiste nach eigenen Angaben mit einem Schiff nach Italien, wo er am 26.03.2021 erkennungsdienstlich behandelt wurde, jedoch nicht um Asyl ansuchte (IT“2“). In der Folge begab sich der Beschwerdeführer irregulär nach Österreich und stellte hier am 14.04.2021 den vorliegenden Antrag auf internationalen Schutz.

Die österreichische Dublin-Behörde leitete am 22.04.2021 ein Konsultationsverfahren mit Italien ein (Aufnahmegesuch nach Art 13 Abs 1 Dublin III-VO). Mit Schreiben vom 23.06.2021 wurde Italien auf die Verfristung aufmerksam gemacht und darauf hingewiesen, dass Italien gemäß Art 22 Abs 7 Dublin III-VO zur Prüfung des Asylantrags des Beschwerdeführers zuständig ist.

Das Bundesverwaltungsgericht schließt sich den oben wiedergegebenen Feststellungen des angefochtenen Bescheides zur Allgemeinsituation im Mitgliedstaat Italien an.

Konkrete, in der Person des Beschwerdeführers gelegene Gründe, welche für die reale Gefahr des fehlenden Schutzes vor Verfolgung im zuständigen Mitgliedstaat sprechen, liegen nicht vor.

Es kann nicht festgestellt werden, dass der Beschwerdeführer im Falle einer Überstellung nach Italien Gefahr liefe, einer unmenschlichen Behandlung oder Strafe oder der Todesstrafe bzw. einer sonstigen konkreten individuellen Gefahr unterworfen zu werden.

Der Beschwerdeführer ist nicht lebensbedrohlich erkrankt; er leidet nicht an akuten Erkrankungen, die eine Überstellung nach Italien unzulässig machen würden. In Italien sind alle Krankheiten behandelbar und alle gängigen Medikamente erhältlich. In Italien ist ausreichende medizinische Versorgung für Asylwerber gewährleistet, welche auch in der Praxis zugänglich ist.

Die aktuelle Situation hinsichtlich der Covid-19-Pandemie begründet keine Unmöglichkeit einer Rückkehr des Beschwerdeführers nach Italien. Die sehr schweren Krankheitsverläufe treten am häufigsten in den Risikogruppen der älteren und ungeimpften Personen sowie der Personen mit Vorerkrankungen (wie z.B. Diabetes, Herzkrankheiten und Bluthochdruck) auf. Mit Stichtag 12.08.2021 hat es in Italien insgesamt 4.413.167 bestätigte Fälle von mit dem Corona-Virus infizierten Personen, 118.763 aktive Fälle und 128.304 Todesfälle gegeben.

In Österreich befindet sich eine (erwachsene) Schwester des Beschwerdeführers und deren Familie (Mann und ein Kind). Diese befindet sich seit dem Jahr 2011 in Österreich und hat den Aufenthaltsstitel „Daueraufenthalt EU“. Seit Ende April 2021 bestand – bis zur Ausreise des Beschwerdeführers nach Deutschland – ein gemeinsamer Haushalt mit der genannten Schwester (und deren Familie). Der Beschwerdeführer wurde aufgrund des Privatverzugs aus der Grundversorgung abgemeldet. Ein unzulässiger Eingriff in das Recht auf Privat- und Familienleben im Falle einer Rückführung des Beschwerdeführers nach Italien kann nicht erkannt werden. Eine besondere Beziehungsintensität zur legal in Österreich aufhältigen Schwester konnte nicht festgestellt werden. Die Erkrankung des Gatten der Schwester des Beschwerdeführers wurde nicht nachgewiesen, ein Pflegebedarf nur unsubstantiiert in den Raum gestellt.

Weitere familiären oder verwandtschaftliche Anknüpfungspunkte hat der Beschwerdeführer in Österreich nicht.

Am 01.07.2021 ist der Beschwerdeführer illegal nach Deutschland weitergereist, wo sich seinen Angaben zufolge zwei seiner Onkel aufhalten. Deutschland hat am 05.07.2021 ein Konsultationsverfahren mit Österreich eingeleitet; Österreich lehnte die Aufnahme des Beschwerdeführers mit Schreiben vom 06.07.2021 mit dem Hinweis auf die vorliegende Zuständigkeit Italiens ab.

Bis zum 29.07.2021 befand sich der Beschwerdeführer in Abschiebehaft an einem (namentlich angeführten) Flughafen in Deutschland; der Bescheid des Bundeamtes wurde dem Beschwerdeführer dort nachweislich zugestellt.

2. Beweiswürdigung:

Die festgestellten Tatsachen hinsichtlich der illegalen Einreise des Beschwerdeführers in das Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten über Italien ergeben sich aus den diesbezüglichen Angaben des Beschwerdeführers in Zusammenschau mit der Eurodac-Treffermeldung der Kategorie „2“ mit Italien vom 26.03.2021. Dieser Meldung ist auch zu entnehmen, dass der Beschwerdeführer in Italien nicht um Asyl angesucht hat, was sich auch mit dessen Angaben deckt.

Die Feststellung hinsichtlich der Zustimmung Italiens zur Übernahme des Beschwerdeführers durch Verfristung ergibt sich aus dem durchgeführten Konsultationsverfahren zwischen der österreichischen und der italienischen Dublin-Behörde. Der diesbezügliche Schriftwechsel ist im Akt dokumentiert.

Dass sich eine erwachsene Schwester des Beschwerdeführers seit 2011 legal in Österreich befindet und diese über den Titel „Daueraufenthalt EU“ verfügt, ergibt sich unzweifelhaft aus den Angaben des Beschwerdeführers, den Auszügen aus dem Zentrales Melderegister, GVS und IZR sowie den Mails, die die Genannte an das Bundesamt gerichtet hat. Dass die volljährige Schwester verheiratet ist und ein Kind hat ist den Angaben des Beschwerdeführers zu entnehmen; die Schwester selbst hat weder Gatten noch Sohn in ihren Schreiben erwähnt. Ebenso wenig hat diese von einer schweren Erkrankung ihres Gatten und eines Pflegebedarfs nicht berichtet. Nachweise wurden nicht in Vorlage gebracht.

Der gemeinsame Haushalt des Beschwerdeführers mit seiner Schwester in Wien seit Ende April 2021 und der daraus folgende Leistungsverzicht aus der Grundversorgung, ergeben sich aus den Angaben der Parteien im Verfahren, aus einem Auszug aus dem Zentralen Melderegister und einem diesbezüglichen Schreiben des Bundesamtes vom 26.04.2021.

Dass der Beschwerdeführer am 01.07.2021 illegal nach Deutschland ausgereist ist ergibt sich aus den entsprechenden Ausführungen seiner Schwester, den Angaben in der Beschwerde und implizit auch aus dem von Deutschland am 05.07.2021 eingeleiteten Konsultationsverfahren mit Österreich (welches nicht im Akt dokumentiert ist).

Dass sich der Beschwerdeführer bis 29.07.2021 auf einem deutschen Flughafen in Abschiebehaft befand sowie die im Spruch angeführten Aliasdaten ergeben sich aus dem Schreiben der deutschen Dublinbehörde vom 14.07.2021.

Das Nichtbestehen einer besonderen Beziehungsintensität des Beschwerdeführers mit seiner Schwester und deren Familie ergibt sich daraus, dass ein gemeinsamer Haushalt erst in Österreich begründet wurde, nachdem ein solcher zumindest 10 Jahre nicht bestanden hatte und zeigt sich auch darin, dass der Beschwerdeführer den gemeinsamen Haushalt am 01.07.2021 freiwillig verlassen hat und (illegal) nach Deutschland weitergereist ist, was auch den behaupteten, jedoch nicht nachgewiesenen Pflegebedarf des Schwagers des Beschwerdeführers „relativiert“ (hiezu auch weiter unten).

Die Gesamtsituation des Asylwesens im zuständigen Mitgliedstaat resultiert aus den umfangreichen und durch hinreichend aktuelle Quellen belegten Länderfeststellungen des angefochtenen Bescheides, welche auf alle entscheidungsrelevanten Fragen eingehen. Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hat in seiner Entscheidung neben Ausführungen zur Ver

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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