Entscheidungsdatum
20.08.2021Norm
AsylG 2005 §10 Abs1 Z3Spruch
W195 2142025-2/7E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Vizepräsidenten Dr. Michael SACHS als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX, StA. Bangladesch, vertreten durch XXXX , gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 08.10.2020, XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 18.08.2021 zu Recht erkannt:
A)
Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
I.1. Der Beschwerdeführer (BF), ein bengalischer Staatsangehöriger, brachte nach illegaler Einreise in das Bundesgebiet am 04.02.2016 den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz ein.
Bei einer Erstbefragung am Tag der Antragstellung gab der BF zu Protokoll, aufgrund der politischen Lage sein Herkunftsland verlassen zu haben. Er sei Anhänger der oppositionellen BNP und werde von der Regierungspartei Awami League (AL) verfolgt. Er sei wegen Mordes angezeigt, attackiert und geschlagen worden.
I.2. Bei der Einvernahme vor dem BFA gab der BF am 22.06.2016 zu Protokoll: Er gehöre der Volksgruppe der XXXX und dem Hinduismus an. Seine Eltern als auch ein Bruder und zwei Schwestern sowie weitere Verwandte leben in Bangladesch.
Er sei ledig und habe keine Kinder. Er habe eine zehnjährige Schulausbildung, danach sei er aufs College gegangen. Von 2003 bis 2015 habe er sich als Koch verdingt.
Zu seinem Fluchtgrund befragt gab der BF an, er sei seit 2002 Mitglied der BNP gewesen. Er habe Probleme gehabt, weil er Hindu sei. Er sei von Mitgliedern der AL geschlagen worden und gegen ihn bestünde ein Haftbefehl. Er sei wegen Mordes angezeigt worden. Einen Anwalt habe er deshalb nicht kontaktiert. Das Mordopfer sei im April oder Mai 2015 verstorben.
Der BF erzählte weiters, dass eine Fabrik, welche neben seinem Wohnhaus situiert gewesen sei, hätte vergrößert werden sollen und sei er dagegen gewesen. Mitglieder der AL hätten daraufhin gemeint, er sei Hindu und solle wegziehen. Im März 2014 sei er mit einer Schlagwaffe von hinten angegriffen worden und sei dann im Krankenhaus gewesen.
In Österreich lebe er von der Grundversorgung und lerne Deutsch. Er würde sich mit niemanden treffen und treibe auch keinen Sport.
I.3. Ohne weitere Erhebungen entschied das BFA mit Bescheid vom 08.11.2016, dass der Antrag auf internationalen Schutz abgewiesen werde.
I.4. Dagegen erhob der BF, vertreten durch die XXXX , Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht.
I.5. Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 16.10.2019, XXXX wurde der Bescheid des BFA vom 08.11.2016 behoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs 3 VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides zurückverwiesen.
I.6. Am 07.11.2019 erfolgte eine neuerliche Einvernahme vor dem BFA. Neben der Vorlage zahlreicher Dokumente gab der BF über Befragung – zusammengefasst – an:
Der gesunde BF verkauft die Zeitschrift „ XXXX “ und erhält dafür € 250 monatlich.
Zu den vorgelegten Unterlagen und den Behauptungen des BF ergaben sich Differenzen (s insbesondere AS 393): Er habe Bangladesch im Mai 2014 verlassen. Nachgefragt, weshalb dann der Haftbefehl vom 04.01.2015 stamme, meinte der BF, „der Haftbefehl sollte mit 2014 und nicht mit 2015 datiert sein“. Konfrontiert damit, dass der Entlassungsbrief des Krankenhauses das Datum 02.03.2015 aufweise, meinte der BF, „das Krankenhaus hat sicher ein falsches Datum geschrieben“. Darauf hingewiesen, dass er einen Auszug aus einer Zeitung „ XXXX “ vom 01.04.2015 vorgelegt habe, meinte der BF, die Zeitung sei nach dem Verlassen der Heimat erschienen. Auch die Parteibestätigung habe ihm sein Vater nach Verlassen der Heimat organisiert.
Hinsichtlich seiner Beschäftigung als Koch in Bangladesch meinte der BF zuerst, er habe „bis zum letzten Tag meiner Ausreise“ Mitte Mai 2014 gearbeitet und habe diesen Arbeitsplatz gekündigt, weil er Probleme hatte. In der folgenden Antwort meinte der BF jedoch, dass er im Juni 2013 gekündigt wurde. Er habe sodann – wegen seines Engagements für die BNP - keine Arbeit gefunden, sei arbeitslos gewesen und wurde vom Vater bis zu seiner Ausreise im Mai 2014 unterstützt worden.
Sein Vater hatte einen landwirtschaftlichen Betrieb mit Reis, Kartoffeln und Gemüseanbau. Er habe zuletzt 2018 mit seinem Vater telefoniert, er wisse die Telefonnummer seines Vaters nicht mehr. Sein Vater sei aus dem Haus geworfen worden. Dies habe ihm ein hinduistischer Freund mitgeteilt.
Die vom BF übergebenen Beweismittel habe er von einem Freund in Bangladesch erhalten, zu dem er jedoch keine weiteren substantiellen Angaben machen konnte.
Nochmals zu seiner beruflichen Tätigkeit befragt gab der BF an, er habe sich „beruflich … als Koch von 2003 bis 2015 verdingt“.
Er sei im Heimatland nie inhaftiert oder vorbestraft gewesen oder vor Gericht gestanden.
Jedoch würden die Behörden den BF seit April 2014 suchen. Er sei lediglich Mitglied der BNP gewesen, und hatte nie eine Funktion in der Partei.
Der BF habe Schwierigkeiten gehabt seine Religion auszuüben. Auch die anderen Verwandten, welche allesamt Hindus seien, hätten Probleme.
Zu den konkreten Fluchtgründen befragt führte der BF aus: „Ich bin Hindu und in meiner Heimatregion leben Moslems, die uns nicht akzeptieren. In der Nachbarschaft ist eine Ziegelfabrik und der Eigentümer der Ziegelfabrik, ein Moslem, wollte mein Elternhaus in Besitz übernehmen und hat mich und meine Familie bedroht. Er forderte uns auf, mein Elternhaus zu verlassen. … Mein Leben war deswegen unsicher und ich habe meine Heimat verlassen. Das ist mein Fluchtgrund.“
In Österreich lebe der BF allein, er habe hier keine Verwandten. Er lebe von der Grundversorgung und verkaufe die Zeitschrift XXXX .
I.7. Mit Stellungnahme des BF vom 15.11.2019, nunmehr vertreten durch XXXX , fasste dieser das Fluchtvorbringen aus Sicht des BF zusammen (AS 423).
I.8. Hinsichtlich der vorgelegten Dokumente wurde über die Staatendokumentation eine spezifische Recherche vor Ort durch einen Vertrauensanwalt veranlasst. Das Ergebnis dieser Recherche war dahingehend zu verstehen, dass das Hauptbüro des Studentenzweiges der BNP schon seit längerem geschlossen sei und derzeit kein Mitgliedschaftsformular verwendet werde.
Hinsichtlich des § 138 Strafgesetzbuch von Bangladesch wurde mitgeteilt, dass sich dieser auf die Anstiftung von Mitgliedern der Streitkräfte zum Ungehorsam beziehe.
Weiters wurde ein Muster eines Haftbefehls des XXXX übermittelt.
I.9. Am 07.09.2020 konfrontierte das BFA den BF mit dem Ergebnis der Recherche der Staatendokumentation. Der BF gab dazu an, dass er nur im Heimatdorf aktiv bei der XXXX war. Dokumente, die seine Identität beweisen, könne er nicht vorlegen. An seinem Privatleben habe sich nichts Relevantes verändert, er hätte früher eine Freundin gehabt, welche er jedoch seit März nicht mehr getroffen habe. Danach wurden noch diverse Empfehlungsschreiben näher erläutert.
I.10. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid des BFA vom 08.10.2020, wies das BFA den Antrag des BF auf internationalen Schutz gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Bangladesch ab (Spruchpunkt II.). Ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 wurde dem BF nicht erteilt, gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG wurde gegen den BF eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und darüber hinaus wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung nach Bangladesch gemäß § 46 FPG zulässig sei (Spruchpunkt III. bis Spruchpunkt V.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG betrage die Frist für die freiwillige Ausreise 2 Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt VI.).
Die Abweisung des Antrages auf internationalen Schutz bezüglich des Status eines Asylberechtigten begründete das BFA im Wesentlichen damit, der BF habe eine Verfolgung in Bangladesch nicht glaubhaft machen können, weswegen dem BF nicht mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit die Gefahr, aus den in der Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründen verfolgt zu werden, drohe. Unter Berücksichtigung der individuellen (persönlichen) Umstände des BF sei nicht davon auszugehen, dass der BF im Falle einer Rückkehr in sein Heimatland in eine ausweglose Situation gerate, weswegen auch keine Anhaltspunkte für die Gewährung subsidiären Schutzes vorliegen würden. Ebenso wenig lägen Anhaltspunkte für die Erteilung einer „Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz“ vor und zudem würden die öffentlichen Interessen an einem geordneten Vollzug des Fremdenwesens gegenüber den privaten Interessen des BF an einem Verbleib im Bundesgebiet überwiegen, weswegen eine Rückkehrentscheidung zu erlassen sei. Die Abschiebung des BF sei als zulässig zu bewerten.
I.11. Mit Schriftsatz vom 20.11.2020 wurde dieser Bescheid des BFA seitens des durch XXXX , vertretenen BF wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit infolge unrichtiger rechtlicher Beurteilung und Verletzung von Verfahrensvorschriften zur Gänze angefochten.
Neben Wiedergabe des bisherigen Verfahrensverlaufes, der behaupteten Fluchtgründe und Zitierung von Länderberichten führt die Beschwerde im Wesentlichen aus, das BFA habe ein mangelhaftes Ermittlungsverfahren geführt. Der Sachverhalt sei ergänzungsbedürftig, weil die Ermittlungspflicht vom BFA nicht wahrgenommen wurde. Die Behörde sei nicht ausreichend auf das konkrete Vorbringen des BF eingegangen.
Darüber hinaus drohe dem BF im Falle seiner Rückkehr ins Heimatland Verfolgung und Inhaftierung. Eine innerstaatliche Fluchtalternative stünde nicht zur Verfügung.
Die belangte Behörde habe auch die zahlreichen vorgelegten Beweise unzulänglich gewürdigt und ihre Begründungspflicht verletzt.
Die vom BFA getroffene Beweiswürdigung sei mangelhaft, unschlüssig und verletze § 60 AVG. Daraus resultiere eine falsche rechtliche Beurteilung.
Die Beschwerde stellt die Anträge, eine mündliche Verhandlung gem. § 24 VwGVG durchzuführen, den Bescheid hinsichtlich Spruchpunkt I. zu beheben und dem BF Asyl zuzuerkennen, in eventu, den Bescheid hinsichtlich Spruchpunkt II. zu beheben und dem BF subsidiären Schutz zu gewähren, in eventu, festzustellen, dass seine Abschiebung nach Bangladesch auf Dauer unzulässig sei, sowie, die erlassene Rückkehrentscheidung ersatzlos zu beheben
I.12. Mit Schreiben vom 30.11.2020 legte das BFA die Beschwerde und die Akten des Verwaltungsverfahrens dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vor, welche am 03.12.2020 einlangten.
I.13. Mit Schreiben vom 03.08.2021 wurde zur Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht geladen und damit dem BF auch das aktuelle Länderinformationsblatt der Staatendokumentation zu Bangladesch (Stand Juni 2021) zur allfälligen Stellungnahme bis längstens im Rahmen der für den 18.08.2021 angesetzten mündlichen Beschwerdeverhandlung, übermittelt.
I.14. Am 18.08.2021 führte das Bundesverwaltungsgericht in Anwesenheit des BF, eines Dolmetschers für die Sprache Bengali und des ausgewiesenen Rechtsvertreters des BF eine öffentliche mündliche Beschwerdeverhandlung durch, im Zuge derer der BF ausführlich u.a. zu seinen Fluchtgründen, seinen Rückkehrbefürchtungen, seinen Familienverhältnissen und seinen Lebensverhältnissen in Österreich befragt wurde.
Der gesunde BF legte am Beginn der Verhandlung zahlreiche Unterlagen vor, welche sich jedoch zu einem großen Teil bereits im Administrativakt wiederfanden. Diese Unterlagen betrafen seine Deutschkurse, den Zeitungsverkauf für „ XXXX “, Vorverträge als Küchenhilfe bzw. Hilfsarbeiter, diverse Bestätigungen über zahlreiche soziale Hilfstätigkeiten, Empfehlungsschreiben sowie Belege seiner sportlichen Aktivitäten, wie Badminton, Wandern, Cricket.
Der BF habe Kontakt zu seiner Familie, konkret zu seinen Eltern, und dies zweimal monatlich (VS 4). Zu seinen Geschwistern habe er keinen Kontakt. Der Familie ginge es finanziell nicht sehr gut.
Der BF und die gesamte Familie seien Hindu (VS 10). Sie hatten zu Hause einen Tempel und haben dort gebetet. Sie hätte auch Leute eingeladen (VS 13). Aber Muslime und ein Mann, der eine Ziegelaufbereitungsanlage hatte, belästigten die Familie, „sie ließen es nicht zu“ (VS 13).
In Österreich habe der BF keine Verwandten, keine Kinder und auch keine Beziehung.
Als Schulbildung hat der BF „SSC“ (College) abgeschlossen; damals sei er ca 18 Jahre alt gewesen.
Er habe danach in einem Restaurant gearbeitet, er glaube „1 oder 2 Jahre“ (VS 5). Nachgefragt, von wann bis wann genau er in einem Restaurant gearbeitet habe, gab der BF später in der Beschwerdeverhandlung an „ich kann mich jetzt nicht erinnern“ (VS 13), um sich danach wieder zu verbessern und „zwei Jahre“ angab (VS 13). Jedenfalls habe er gleich nach der Schule zu arbeiten begonnen.
Danach habe er „nichts gemacht“ (VS 6).
Bangladesch habe der BF „im Mai 2014“ verlassen (VS 6, VS 9).
Zuletzt habe der BF „in Comilla“ gewohnt (VS 6, VS 9).
Zu seinen Deutschkenntnissen konnte im Zuge der Verhandlung festgestellt werden, dass eine Konversation mit dem BF durchaus möglich war, auch wenn der Sprachwortschatz begrenzt war und die Antworten nicht in ganzen Sätzen erfolgten. Das zertifizierte Sprachniveau entspricht A2.
Der BF lebe von der Unterstützung durch die Volkshilfe (€ 180) und dem Zeitungsverkauf. Er habe keine Mietkosten. Er habe sonst keine Arbeit, er wolle Pfleger werden und wisse, dass er dafür drei Jahre benötigen würde. Der BF legte einen aktuellen Arbeitsvorvertrag als Küchenhilfe vor.
Der BF habe viele Freunde, welche ihn unterstützen würden.
Zu seinen Fluchtgründen gab der BF an, dass er bei der oppositionellen BNP politisch als stellvertretender Vorsitzender tätig gewesen sei (VS 9). Nach den Zielen der Partei befragt konnte der BF keine (einzige) Antwort geben (VS 10). Er sei „bei der BNP, in einem Club unserer Ortschaft“ stellvertretender Vorsitzender gewesen (VS 15). Bei der BNP sei der BF „seit 2002“ gewesen (VS 17). „2015 bin ich bei der Haupt-BNP involviert gewesen“, berichtete der BF (VS 17), er habe „seit 2015 begonnen, seit Jänner oder Februar“. Er könne sich nicht erinnern, begonnen habe er „2002, aber 2005, nicht 2015“ (VS 17).
Mitglieder der Awami-League hätten den BF auch am Bein geschlagen, er sei dann in einem Spital in XXXX gewesen. Es sei dies „im März, April 2014“ gewesen (VS 16).
Hinsichtlich eines Zeitungsartikels, welcher über den BF geschrieben worden sei, wurde festgehalten, dass dieser am 01.04.2015 erschien (VS 16). Befragt, wieso dieser Artikel im April 2015 erschien, meinte der BF, „sie können das zu jeder Zeit in eine Zeitung geben, da es das Problem mit der Familie und dem Grundstück gibt.“ Journalisten hätten dies, als sie in das von der Stadt weit entfernte Dorf gekommen seien, berichtet (VS17).
Er sei in den Fokus der regierenden AWAMI-League geraten, als ein Unternehmer seine Ziegelaufbereitungsanlage vergrößern wollte und auf das Grundstück des BF greifen wollte (VS 10). Über Nachfrage gestand der BF ein, dass das Grundstück seinem Vater gehöre (VS VS 11). Seine Eltern hätten dort bis Dezember 2020 gewohnt, danach seien sie nach Indien „als Flüchtlinge“ gegangen (VS 11).
Der BF wurde nicht verhaftet (VS 10). Er sei aber von Personen, die die Ziegelaufbereitungsanlage vergrößern wollten, damit bedroht worden (VS 10). Die Familie habe sich mit einem Anwalt verständigt und wollten sie eine Anzeige einbringen, aber die Polizei habe diese nicht aufgenommen (VS 10).
Die „Belästigungen“ durch den Nachbarn mit der Ziegelaufbereitungsanlage hätten 2014 begonnen, konkret „im Mai“ (VS 12). Sie hätten versucht das Grundstück zu besetzen, dies sei ihnen aber nicht gelungen. Erst im Dezember 2020 hätten die Eltern auf Grund der ständigen Belästigungen das Grundstück aufgegeben und seien nach Indien gezogen (VS 15). Seine Eltern würden jetzt als Flüchtlinge in einem Lager leben (VS 18). Wenn es möglich wäre würde er seine Eltern nach Österreich bringen (VS 19).
Der BF sei im Mai 2014 in den Irak gereist, wobei er über Dubai geflogen sei. Er hätte einen gültigen Reisepass besessen, diesen aber im Irak im August, September 2015 verloren. Er habe auch eine Votar-Card (Identitätskarte) besessen, diese habe er aber in Bangladesch bei seinen Eltern gelassen (VS 19).
Befragt, ob er weitere Fluchtgründe habe, meinte der BF wiederholend, dass er Hindu sei und er deshalb in Bangladesch kein Recht auf Leben habe (VS 14). Dies wiederholte der BF mit allgemeinen Angaben zum Verhältnis zwischen Moslems und Hindu (VS 17). Der Tempel zu Hause sei zerstört worden, zwei- bis dreimal wurde Pooja nicht zugelassen, die Familie sei sehr misshandelt worden (VS 17). Diese Misshandlungen hätten „Muslime“ durchgeführt. Nachgefragt, ob alle Muslime ihn verfolgt hätten, meinte der BF „Ja, alle. In unserer Ortschaft gab es sonst niemanden und wegen dem Eigentümer der Ziegelaufbereitungsanlage“ (VS 17).
In der abschließenden, umfassenden Stellungnahme verwies die Vertreterin des BF auf die letztlich „außergewöhnlich gelungene Integration“ und ersuchte im Falle einer Asylabweisung zumindest die Rückkehrentscheidung auf Dauer für unzulässig zu erklären.
Gegen den BF gäbe es eine Mordanzeige vom 04.01.2015. Die Anzeige sei erfolgt, weil der BF nicht nach Hause kommen solle (VS 14). Die Anzeige sei erstattet worden, nachdem der BF das Land verließ.
Nachgefragt, wieso der BF „gemäß § 138 Strafgesetzbuch von Bangladesch“ angezeigt worden sei, meinte der BF, dies sei über Veranlassung des Mannes, der die Ziegelaufbereitungsanlage besitze, erfolgt. Da es im § 138 um die Anstiftung der Mitglieder der Streitkräfte zu Ungehorsam gehe, wurde der BF auch gefragt, ob er Kontakte zu den Streitkräften gehabt habe, welches er verneinte. Nachgefragt, wie sich der BF gegen die Anzeige gewehrt habe, meinte dieser, er habe seinen Vater ersucht, einen Anwalt damit zu betrauen. Es habe aber „nichts funktioniert“ (VS 15).
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
II.1. Feststellungen:
II.1.1. Zur Person des BF, seinen Familienverhältnissen und seinen Lebensumständen in Österreich:
Der volljährige BF ist Staatsangehöriger von Bangladesch und der hinduistischen Glaubensgemeinschaft zugehörig. Seine Muttersprache ist Bengali (gleichlautende Angaben).
Der BF ist in Bangladesch geboren und lebte bis zu seiner Ausreise in seinem Heimatdorf im XXXX
Der BF hat in seinem Heimatland die Schule besucht und einen SSC (College) Abschluss „mit 18 Jahren“ (geboren 1987, somit 2005; widersprüchliche Angaben) erworben.
Der BF hat in einem Restaurant als Koch (sowohl in Bangladesch als auch später im Irak) gearbeitet; nach dieser Tätigkeit war der BF offensichtlich arbeitslos.
Der BF gab zuletzt regelmäßigen Kontakt zu seiner Familie an, wobei seine Eltern mittlerweile in Indien leben würden; zahlreiche Verwandte befinden sich im Herkunftsland.
Der BF hat keine Verwandten in Österreich und auch keine Beziehung (übereinstimmende Antworten).
Der BF hat zahlreiche sozialen Dienste wahrgenommen und dabei auch Freunde gewonnen (nachgewiesen durch Belege, Fotos, Empfehlungsschreiben).
Der BF wird von der Unterstützung durch die Volkshilfe versorgt und verkauft gelegentlich eine Zeitschrift (Belege). Der BF legte einen Arbeitsvorvertrag als Küchenhilfe vor (Beleg).
Der BF zahlt keine Mietkosten (Aussage BF).
Der BF betreibt sportliche Aktivitäten, wie Wandern, Badminton und Cricket (Aussage, Belege, Fotos).
Der BF ist im Februar 2016 illegal in das Bundesgebiet eingereist. Mit dem BF ist eine Konversation in deutscher Sprache, zertifiziert A2, durchaus möglich. Der Sprachwortschatz ist ausreichend. Die Antworten erfolgen nicht mit vollen Sätzen, aber der BF ist bemüht, gut zu sprechen.
Der BF ist strafrechtlich unbescholten.
Der BF ist gesund. Er nimmt keine Medikamente.
I.1.2. Zum Fluchtvorbringen des BF:
Nicht festgestellt werden kann eine konkrete Verfolgung des BF in Bangladesch.
Festgestellt wird, dass der BF in seinem Heimatland weder vorbestraft noch inhaftiert war (Aussage BF; AAS 65; gleiche Aussage BVwG VS 11).
Festgestellt wird, dass der BF aussagte, er habe keine Probleme auf Grund einer Mitgliedschaft in einem Club (AAS 67; anders BVwG VS 15).
Festgestellt wird, dass der BF unterschiedliche Fluchtgeschichten erzählt; diese Unterschiede betreffen insbesondere die zeitlichen Abläufe.
Festgestellt wird, dass sich eine Grundstücksstreitigkeit mit einem Nachbarn, der eine Ziegelaufbereitungsanlage hatte und diese vergrößern wollte, in den Fluchtgeschichten als Hauptmotiv darstellt. Festgestellt wird, dass das besagte Grundstück dem Vater gehörte (BVwG VS 11; andere Aussage BF: „Das Haus gehört mir, ich besitze auch Grundstücke“ AAS 397).
Festgestellt wird, dass sich der BF massiv widerspricht
- Hinsichtlich der zeitlichen Abläufe, insbesondere der Ausreise aus Bangladesch
- Zur politischen Karriere und seine Mitgliedschaft zur BNP bzw. einem Zweig der BNP
- Zu politischen Zielen, Parlamentssitzen, Symbolen
- Einem angeblich durch Schläge von Awami-Mitgliedern verursachten Spitalsaufenthalt in Dhaka, insbesondere Datum
- Einem Festnahmeauftrag wegen Anstiftung zum Ungehorsam für Streitkräfte, insbesondere Kontakte zu Streitkräften und Datum
- Kontakte zu einem Anwalt zur Hilfestellung
- Zur religiösen Verfolgung, insbesondere Durchführung von Riten
Festgestellt werden widersprüchliche Angaben des BF über den Zeitpunkt des Verlassens seines Herkunftslandes: der BF behauptet Bangladesch „im Mai 2015“ verlassen zu haben (AAS 65); anders: „im Mai 2014“ (BVwG VS 6, VS 9).
Festgestellt wird, dass der BF zu einer behaupteten Mitgliedschaft zur oppositionellen Partei BNP widersprüchliche Angaben macht; Festgestellt wird somit, dass der BF weder Mitglied noch stellvertretender Vorsitzender der oppositionellen BNP, auch nicht eines Zweiges der BNP, ist oder war.
Es wird festgestellt, dass der BF keine politische oder religiöse Verfolgung in Bangladesch hatte. Es wird festgestellt, dass der BF in Bangladesch nicht misshandelt wurde.
Es wird festgestellt, dass der BF im Falle einer Rückkehr nach Bangladesch keine wie auch immer geartete Verfolgung zu gewärtigen hätte. Allfälligen Behelligungen wird sich der BF durch eine Niederlassung in anderen Landesteilen entziehen können.
II.1.3. Zur maßgeblichen Lage in Bangladesch:
COVID-19:
Letzte Änderung: 08.06.2021
Der Regierung wird vorgeworfen, dass die Vorbereitung auf die Viruserkrankung im Inland inadäquat gewesen sind. COVID-19-Testungen waren zunächst nur in der Hauptstadt Dhaka möglich gewesen. Anfang April 2020 nahmen Diagnostikeinrichtungen am Rajshahi Medical College und am Cox's Bazar Medical College ihre Tätigkeiten auf und testen seitdem Bewohner ihrer jeweiligen Regionen auf eine Infektion mit COVID-19. Mit Ende März 2020 erließ die Regierung weitreichende Einschränkungen der Bewegungsfreiheit. Das Transportwesen, Einkaufsmöglichkeiten, behördliche Dienste und anderes wurden auf das nötigste reduziert. Von den erlassenen Kontakt- und Arbeitsbeschränkungen ist ein Großteil der bangladeschischen Bevölkerung betroffen. Viele stehen dadurch vor unmittelbar existenzbedrohenden finanziellen Risiken. Viele Großaufträge beispielsweise im Bereich der Textilindustrie wurden zurückgezogen. Diese Maßnahmen bedeuteten einen Wegfall der Einkommensgrundlage von 4,1 Millionen Textilarbeitern, die zu den Geringverdienern in Bangladesch zählen. Einige Textilfabriken stellten jedoch ihre Produktion teilweise auf die Herstellung von Atemschutzmasken und Schutzanzügen um. Lokale Initiativen von einkommensstärkeren Personen versuchen, die Grundversorgung von einkommensschwächeren Familien durch die Verteilung von Lebensmitteln in den jeweiligen Anwohnergebieten aufrecht zu erhalten. Auch die Regierung hat erste staatliche Entlastungsprogramme in die Wege geleitet. Darunter Programme zur finanziellen Unterstützung der in der Landwirtschaft Tätigen oder für Personen, die in extremer Armut leben (GIZ 11.2020; vgl. ÖB 9.2020). Im Zuge der COVID-Krise 2020 verloren nach Schätzungen der Bangladesh Economic Association etwa 36 Millionen Menschen während des Lockdowns ihre Arbeit, 25 Millionen rutschen zurück in die absolute Armut (ÖB 9.2020).
Die bangladeschische Regierung hat im April 2020 Hilfspakete mit einem Volumen in Höhe von 12 Milliarden USD beschlossen. Die Konjunkturmaßnahmen zielen unter anderem auf eine Stützung von für die Wirtschaft bedeutende Industriezweige wie die Textil- und Bekleidungsherstellung sowie den Agrar- und Nahrungsmittelsektor ab (GTAI 21.9.2020a). Der durch die Regierung verhängte umfassende Lockdown war de facto jedoch immer brüchig und wurde einmal mehr und einmal weniger eingehalten. Am 30.5.2020 wurde der Lockdown wieder aufgehoben, da eine weiter Fortsetzung wirtschaftlich nicht mehr vertretbar war (ÖB 9.2020).
Das ohnehin schwache Gesundheitssystem Bangladeschs ist mit der Pandemie völlig überlastet (ÖB 9.2020). Angesichts der historisch niedrigen Ausgaben für die öffentliche Gesundheitsversorgung im Land erwiesen sich die Einrichtungen als unzureichend, schlecht vorbereitet und schlecht ausgerüstet, um die Krise zu bewältigen (AI 7.4.2021). Die Versorgung von Covid-19-Patienten stößt an ihre Grenzen. Landesweit sind etwas mehr als knapp 1.000 Intensivbetten verfügbar. Davon sind 400 für die Behandlung von Patienten mit schweren Atemwegserkrankungen ausgerüstet. Während es in der Hauptstadt Dhaka 400 Intensivbetten gibt, stehen in 47 der insgesamt 64 Verwaltungsbezirke überhaupt keine zur Verfügung (GTAI 21.9.2020b).
Eine weitere Problemstellung für das Land stellen die zahlreichen Rückkehrer aus den Ländern des Nahen Ostens aufgrund des mit COVID verbundenen weltweiten Wirtschaftsabschwungs dar. Viele bringen so das Virus auf ihrem Heimweg mit ins Land. Da viele Migranten aus Bangladesch im Nahen Osten im Zuge der COVID-Krise ihre Arbeit verloren haben und ausgewiesen wurden, ist in den kommenden Jahren mit einem vermehrten Aufkommen von AsylwerberInnen aus Bangladesch in (West-)Europa zu rechnen (ÖB 9.2020).
COVID-19 erhöht Risiken im Zusammenhang mit geschlechtsspezifischer Gewalt und setzen Frauen und Kinder zusätzlichen Bedrohungen aus (iMMAP 3.2021).
Die Behörden gehen gegen Journalisten und Medien vor, die kritisch über die Reaktion der Regierung auf die COVID-19-Pandemie berichten (HRW 20.5.2021; vgl. AI 19.5.2021). Kritische Journalisten sehen sich systematischen Verleumdungsklagen ausgesetzt (ÖB 9.2020). Eine Überwachung von Personen, die "Gerüchte" über die Covid-19-Pandemie verbreiten könnten, wird verstärkt, die Medienzensur verschärft (HRW 20.5.2021).
Nachdem die Zahl der Neuinfektionen im April 2021 Tagen stark angestiegen, wurden die Anfang April 2021 eingeführten Abriegelungsmaßnahmen, die auch die Schließung von Geschäften beinhaltet, aufgrund der sich verschlechternden Situation weiter verschärft (BAMF 12.4.2021).
Das Außenministerium des Landes bestätigt Schwierigkeiten bei der Umsetzung des Massenimpfprogrammes wegen einem Fehlen an den dafür notwendigen Impfstoff-Dosen. Bisher hat Bangladesch erst 7 Millionen Dosen (darüber hinaus schenkte Indien 3,2 Millionen Dosen separat) einer vertraglich mit Indien vereinbarten Menge von 30 Millionen Dosen des vom Serum Institute of India hergestellten Oxford AstraZeneca-Impfstoffs erhalten (AnAg 22.5.2021).
Um eine Übertragung von den als ansteckender eingestuften Varianten des COVID-19-Virus aus Indien zu verhindern, wurden Flüge abgesagt und Grenzen geschlossen (TG 5.5.2021).
Quellen:
? AnAg – Anadolu Agency (22.5.2021): Bangladesh extends border lockdown with India, https://www.aa.com.tr/en/asia-pacific/bangladesh-extends-border-lockdown-with-india/2251062, Zugriff 25.5.2021
? AI – Amnesty International (19.5.2021): Bangladesh: Rozina Islam must not be punished for her journalistic work, Zugriff 19.5.2021
https://www.ecoi.net/de/dokument/2051859.html, Zugriff 1.6.2021
? AI – Amnesty International (7.4.2021): Bangladesh 2020, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048635.html, Zugriff 18.5.2021
? BAMF – Bundesamt für Migration und Flüchtlinge [Deutschland] (12.4.2021): Briefing Notes, https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/EN/Behoerde/Informationszentrum/BriefingNotes/2021/briefingnotes-kw15-2021.pdf?__blob=publicationFile&v=4, Zugriff 17.5.2021
? GIZ – Deutsche Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit GmbH (11.2020a): Bangladesch, Geschichte & Staat, https://www.liportal.de/bangladesch/geschichte-staat/, Zugriff 17.5.2021
? GTAI - Germany Trade and Invest (21.9.2020a): Covid-19: Maßnahmen der Regierung, https://www.gtai.de/gtai-de/trade/specials/special/bangladesch/covid-19-massnahmen-der-regierung-260866, Zugriff 5.11.2020
? GTAI - Germany Trade and Invest [Deutschland] (21.9.2020b): Covid-19: Gesundheitswesen in Bangladesch: https://www.gtai.de/gtai-de/trade/specials/special/bangladesch/bangladeschs-wirtschaft-behauptet-sich-trotz-coronakrise-260868, Zugriff 5.11.2020
? HRW – Human Rights Watch: Bangladesh (20.5.2021): Arrest of Journalist Investigating Corruption, https://www.ecoi.net/de/dokument/2052025.html, Zugriff 1.6.2021
? iMMAP – Information Management and Mine Action Programs (Autor), veröffentlicht von ReliefWeb (3.2021): COVID-19 Situation Analysis , https://reliefweb.int/sites/reliefweb.int/files/resources/iMMAP_COVID-19_Bangladesh_Analysis%20Report_032021.pdf, Zugriff 17.5.2021ÖB – Österreichische Botschaft Neu Delhi [Österreich] (9.2020): Asylländerbericht zu Bangladesch, https://www.ecoi.net/en/file/local/2052061/BANG_%C3%96B_BERICHT_2020_09.pdf, Zugriff 28.5.2021
? ÖB – Österreichische Botschaft Neu Delhi [Österreich] (9.2020): Asylländerbericht zu Bangladesch,
https://www.ecoi.net/en/file/local/2052061/BANG_%C3%96B_BERICHT_2020_09.pdf, Zugriff 28.5.2021
? TG – The Guardian (5.5.2021): India’s neighbours close borders as Covid wave spreads across region, https://www.theguardian.com/world/2021/may/05/indias-neighbours-close-borders-as-covid-wave-spreads-across-region, Zugriff 25.5.2021
Politische Lage
Letzte Änderung: 08.06.2021
Bangladesch ist seit 1991 eine parlamentarische Demokratie (GIZ 11.2019a). Die Unabhängigkeit und der Übergang zur Demokratie brachten ein Einparteiensystem, mehrere Militärputsche (1975 und 1982), zwei Übergangsregierungen, Ausnahmezustände und Machtkämpfe zwischen den beiden großen Parteien, der Bangladesh Nationalist Party (BNP) und der Awami-Liga (AL). Die beiden Parteien regieren Bangladesch seit 1991 abwechselnd (OMCT 7.2019).
Der Verwaltungsaufbau von Bangladesch ist zentralistisch. Im Gebiet der Chittagong Hill Tracts gilt eine besondere Verwaltung, die der lokalen (indigenen), nicht-bengalischen Bevölkerung verstärkte Mitwirkungsmöglichkeiten einräumen soll (ÖB 9.2020). Das Staatsoberhaupt ist der Präsident, der vom Parlament alle fünf Jahre gewählt wird. Eine einmalige Wiederwahl ist möglich. Er übt größtenteils zeremonielle Funktionen aus, während die Macht in den Händen des Premierministers als Regierungschef liegt. Dieser wird von der stärksten im Parlament vertretenen Partei nominiert und vom Präsidenten formell ernannt. Zusätzlich obliegt dem Premierminister die Kontrolle der Geheimdienste, der Streitkräfte und der paramilitärischen Einheiten (GIZ 11.2019a).
Das Parlament (National Parliament oder Jatiya Sangsad) besteht aus einer Kammer mit 300 direkt gewählten Abgeordneten (ÖB 9.2020) sowie zusätzlichen 50 Sitzen, die nur für Frauen reserviert sind (USDOS 30.3.2021; vgl. GIZ 11.2019a). Das Mehrheitswahlrecht führt zu stabilen Mehrheiten im Parlament und hat die Herausbildung der BNP und der AL als dominierende und konkurrierende Parteien begünstigt. Die erste Verfassung trat 1972 in Kraft und setzte neben der demokratischen Staatsform auch Säkularismus, Sozialismus und Nationalismus als Ziele fest. Nach zahlreichen Verfassungsänderungen wurde 1988 der Islam als Staatsreligion eingeführt bei gleichzeitiger verfassungsrechtlicher Verankerung des Rechts auf friedliche Ausübung anderer Religionen (ÖB 9.2020).
Das politische Leben wird durch die beiden dominierenden und konkurrierenden größten Parteien AL und BNP bestimmt (ÖB 9.2020; vgl. AA 21.6.2020, BS 29.4.2020). Klientelismus und Korruption sowie mafiöse Strukturen sind weit verbreitet. Gewerkschaften, Studentenorganisationen, Polizei und Verwaltung sind parteipolitisch durchdrungen (AA 21.6.2020). Beide Parteien haben keine demokratische interne Struktur und werden von Familien geführt, die Bangladesch seit der Unabhängigkeit um die Führung des Landes konkurriert haben. Unterstützt werden die beiden Parteien von einem kleinen Kreis von Beratern (FH 3.3.2021). Wie in der Region üblich, geht es bei politischen Parteien weniger um Ideologie, als um einzelne Persönlichkeiten und deren Netzwerke, die im Falle eines Wahlsieges auch finanziell profitieren, in dem sie mit wichtigen Staatsposten versorgt werden (ÖB 9.2020).
Bei den Parlamentswahlen vom 30.12.2018 erzielte die "Große Allianz" um die regierende AL einen überragenden Sieg (ÖB 9.2020) mit 96 Prozent der Stimmen und 289 der 300 zur Wahl stehenden Parlamentssitzen (Guardian 30.12.2018; vgl. DT 27.1.2019, DW 14.2.2019). Diese waren durch Übergriffe auf Oppositionelle, willkürliche Verhaftungen und Einschüchterungen der Stimmberechtigten gekennzeichnet (HRW 14.1.2020).
Infolge der Dominanz der AL und der fehlenden innerparteilichen Demokratie hat de facto die exekutive Spitze das ausschließliche Sagen bei Gesetzesentwürfen. Wie schon die Vorgängerregierungen baut auch die gegenwärtige AL-Regierung ihre Netzwerke in Verwaltung, Rechtswesen und Militär aus. Verschärfend kommt hinzu, dass die BNP als vormals größte Oppositionspartei das Wahlergebnis angefochten hatte und nun nicht mehr im Parlament vertreten ist. Die oppositionelle BNP hat aufgrund ihrer starken gesellschaftlichen Verankerung das Potenzial, durch Generalstreiks großen außerparlamentarischen Druck zu erzeugen (GIZ 11.2019a). Die rivalisierenden Parteien AL und BNP dominieren die Politik und schränken die politischen Handlungsmöglichkeiten für diejenigen ein, die parteiinterne Strukturen oder Hierarchien in Frage stellen oder alternative Parteien oder politische Gruppierungen gründen wollen, Animositäten zwischen den Parteispitzen von AL und BNP die sich bis in die Kader der unteren Ebenen ziehen, haben zu andauernder politischer Gewalt beigetragen (FH 3.3.2021).
Da die Politik in Bangladesch generell extrem korrupt ist, sind die Grenzen zwischen begründeter Strafverfolgung und politisch motivierter Verfolgung fließend. Sicherheitskräfte sind in jüngster Vergangenheit sowohl bei Demonstrationen von Anhängern der beiden Großparteien, als auch bei islamistischen oder gewerkschaftlichen Protesten mit Brutalität vorgegangen. Im Zuge des Wahlkampfes Ende 2018 wurden gegen Anhänger und KandidatInnen der oppositionellen BNP durch die Sicherheitsbehörden falsche Anzeigen verfasst (ÖB 9.2020).
Mehrere Menschenrechtsgruppen haben seit Anfang 2018 einen dramatischen Anstieg von fingierten Klagen gegen Gegner der Regierungspartei festgestellt. Unter den Verhafteten befinden sich prominente Führer des Oppositionsbündnisses (FIDH 29.12.2018). Die BNP-Vorsitzende, Khaleda Zia, war von März 2018 bis März 2020 aufgrund von Korruptionsvorwürfen im Gefängnis (AA 21.6.2020; vgl. NAU 25.3.2020). Seit diese auf freiem Fuß ist, sind praktisch keine Aktivitäten der BNP mehr wahrnehmbar (ÖB 9.2020).
Nachdem die oppositionelle BNP nunmehr nicht existent ist und im politischen Prozess kaum bis gar keine Rolle mehr spielt, ist eine Verfolgung, bzw. Unterdrückung ihrer AnhängerInnen aus Sicht der Regierung offenbar nicht mehr nötig. Anzumerken ist, dass seit März 2020 das politische Geschehen vollständig von der COVID-Krise überlagert wird (ÖB 9.2020; vgl. HRW 13.1.2021).
Von einer staatlichen Überwachung der politischen Opposition ist auszugehen (ÖB 9.2020).
Quellen:
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? BS - Bertelsmann Stiftung (29.4.2020): BTI 2020 Country Report Bangladesh, https://www.ecoi.net/en/file/local/2029402/country_report_2020_BGD.pdf, Zugriff 10.11.2020
? DT – Dhaka Tribune (27.1.2019): Ruling party's Dr Younus Ali Sarker wins Gaibandha 3 by-polls, https://www.dhakatribune.com/bangladesh/election/2019/01/27/voting-in-gaibandha-3-by-polls-underway, Zugriff 10.11.2020
? DW – Deutsche Welle (14.2.2019): Bangladesh PM Sheikh Hasina hints at last term as prime minister, https://www.dw.com/en/bangladesh-pm-sheikh-hasina-hints-at-last-term-as-prime-minister/a-47513555, Zugriff 10.11.2020
? FH – Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2021 - Bangladesh, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048581.html, Zugriff 28.5.2021)
? FIDH - International Federation for Human Rights (29.12.2018): Joint statement on the undemocratic electoral environment in Bangladesh, https://www.fidh.org/en/region/asia/bangladesh/joint-statement-on-the-undemocratic-electoral-environment-in, Zugriff 10.11.2020
? GIZ – Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (11.2019a): Bangladesch – Geschichte & Staat, https://www.liportal.de/bangladesch/geschichte-staat/, Zugriff 10.11.2020
? OMCT – World Organisation Against Torture (7.2019): Cycle of Fear - Combating Impunity for Torture and Strengthening the Rule of Law in Bangladesh, https://www.omct.org/files/2019/07/25475/cycleoffear_bangladesh_report_omct.pdf, Zugriff 1.6.2021
? HRW – Human Rights Watch (13.1.2021): World Report 2021 - Bangladesh, https://www.ecoi.net/de/dokument/2043519.html, Zugriff 28.5.2021
? HRW – Human Rights Watch (14.1.2020): World Report 2020 – Bangladesh, https://www.ecoi.net/de/dokument/2022700.html, Zugriff 11.11.2020
? NAU – Schweizer Nachrichtenportal (25.3.2020): Bangladeschs Oppositionsführerin Zia aus Haft entlassen, https://www.nau.ch/politik/international/bangladeschs-oppositionsfuhrerin-zia-aus-haft-entlassen-65684195, Zugriff 10.11.2020
? ÖB – Österreichische Botschaft Neu Delhi [Österreich] (9.2020): Asylländerbericht zu Bangladesch,
https://www.ecoi.net/en/file/local/2052061/BANG_%C3%96B_BERICHT_2020_09.pdf, Zugriff 28.5.2021
? USDOS – US Department of State [USA] (30.3.2021): 2020 Country Reports on Human Rights Practices: Bangladesh, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048142.html, Zugriff 28.5.2021
Sicherheitslage
Letzte Änderung: 08.06.2021
Die Sicherheitslage in Bangladesch ist volatil und kann sich kurzfristig deutlich verschlechtern (EDA 27.5.201; vgl. DFAT 22.8.2019). Zwischen religiösen beziehungsweise ethnischen Gemeinschaften bestehen latente Spannungen, die sich teilweise ohne grosse Vorwarnung in lokalen, gewaltsamen Zusammenstössen entladen können (EDA 27.5.2021). Terroristische Anschläge islamistischer Extremistengruppen verfügen über ein Gefährdungspotential gegenüber dem Staat (DFAT 22.8.2019). 2017 kam es im Land zu mehreren Selbstmordattentaten (SATP 26.5.2021a). Der "Islamische Staat" ruft zu weiteren Attentaten auf (BMEIA 27.5.2021).
Die Regierungen Bangladeschs stehen vor der Herausforderung, mit extremistischen islamistischen Gruppen umzugehen, die Gewalt gegen eine Vielzahl von staatlichen und zivilen Zielen planen oder ausführen können. Von den Behörden wurde auf solche Angriffe stets robust reagiert. Wichtige militante Gruppen wurden verboten und Hunderte von Kämpfern verhaftet. Menschenrechtsgruppen berichten, dass Sicherheitsoperationen gegen militante Gruppen zu einer hohen Zahl von außergerichtlichen Tötungen führen (DFAT 22.8.2019).
Es wird davon ausgegangen, dass Operationen gegen terroristische Gruppen, zusammen mit der sich allmählich verbessernden Koordination der Regierung bei der Terrorismusbekämpfung, die Fähigkeiten militanter Gruppen verringert haben. Trotzdem kann das Risiko weiterer Anschläge nicht ausgeschlossen werden (DFAT 22.8.2019). Es gibt radikale islamistische Gruppen wie die Mujahideen Bangladesh (JMB) und Ansarullah Bangla Team (ABT). Sowohl der Islamische Staat (IS) und Al Qaeda in the Indian Subcontinent (AQIS) geben an, in Bangladesch aktiv zu sein, was von der Regierung jedoch dementiert wird (ACLED 9.11.2018). Das South Asia Terrorism Portal (SATP) verzeichnet in einer Aufstellung für das Jahr 2019 insgesamt 99 Vorfälle terrorismusrelevanter Gewalt im Land. Im Jahr 2020 wurden 88 solcher Vorfälle, bis zum 26.5.2021 wurden insgesamt 35 Vorfälle terroristischer Gewaltanwendungen registriert (SATP 28.5.2021b).
Bangladesch hat seine Ansprüche an den Seegrenzen zu Myanmar und Indien an den Internationalen Seegerichtshof herangetragen; der Besuch des indischen Premierministers Singh im September 2011 in Bangladesch führte zur Unterzeichnung eines Protokolls zum Landgrenzenabkommen zwischen Indien und Bangladesch von 1974, das die Beilegung langjähriger Grenzstreitigkeiten über nicht abgegrenzte Gebiete und den Austausch von territorialen Enklaven vorsah, aber nie umgesetzt wurde (CIA 4.5.2021). An der Grenze zu Indien kommt es immer wieder zu Schusswechseln zwischen indischen und bangladeschischen Grenzsicherungsorganen. Regelmäßig werden dabei Menschen getötet, die versuchen, illegal die Grenze zu überqueren oder sich im Nahbereich der Grenze befinden (DT 22.12.2020).
Der inter-ethnische Konflikt in Myanmar wirkt sich auf Bangladesch aus. Er hat politische und soziale Spannungen, insbesondere aufgrund der Ankunft von rund einer Million Rohingya-Flüchtlingen seit August 2017 verstärkt (EDA 27.5.2021; vgl. CIA 4.5.2021). Die Rohingya werden von den Behörden Bangladeschs als zusätzlichen Sicherheitsbedrohung in Cox's Bazar mit möglichen Auswirkungen auf kommunale Gewalt, Menschenschmuggel, Drogen- und Menschenhandel und einhergehenden möglichen Radikalisierungen wahrgenommen (DFAT 22.8.2019). Durch die myanmarischen Grenzbehörden wurde eine 200 km langer Drahtsperranlage, der illegale Grenzübertritte und Spannungen durch die militärische Aufrüstung entlang der Grenze verhindern soll, errichtet (CIA 24.5.2021).
Potential für Bedrohungen mit Bezug auf die Sicherheitslage haben ebeno politisch motivierte Gewalt (insbesondere im Vorfeld von Wahlen) (DFAT 22.8.2019). Der Hass zwischen den politischen Parteien, insbesondere der Awami League (AL) und der Bangladesh Nationalist Party (BNP), ist für den größten Teil der Gewalt im Land verantwortlich. Die Animositäten zwischen den beiden Parteien sowie zwischen den Kadern der unteren Ebenen haben zu andauernder politischer Gewalt beigetragen (HRW 13.1.2021; vgl. ACLED 9.11.2018). Die regierende AL hat ihre politische Macht durch anhaltende Schikanen gegenüber der Opposition und den als mit ihr verbündet wahrgenommenen Personen sowie gegenüber kritischen Medien und Stimmen in der Zivilgesellschaft gefestigt (FH 3.3.2021). Beide Parteien sind – gemeinsam mit unidentifizierten bewaffneten Gruppen – in Vandalismus und gewalttätige Auseinandersetzungen verwickelt und greifen auch friedliche Zivilisten an (ACLED 9.11.2018). Im Jahr 2020 wurden 73 Tote und 2.883 Verletzte aufgrund politischer Gewalt sowie 2.339 Verletzte bei innerparteilichen Zusammenstößen registriert. Gewaltsame politische Proteste und wahlbezogene Gewalt hielten auch 2020 an (HRW 13.1.2021; vgl. ODHIKAR 25.1.2021).
Von nichtstaatlichen Akteuren (insbesondere der Opposition, Islamisten, Studenten) geht in vielen Fällen nach wie vor Gewalt aus. Die öffentliche Sicherheit ist fragil. Das staatliche Gewaltmonopol wird durchbrochen. Es kommt häufig zu Morden und gewalttätigen Auseinandersetzungen aufgrund politischer (auch innerparteilicher) oder krimineller Rivalitäten. Eine Aufklärung erfolgt selten. Die großen Parteien verfügen über eigene "Studentenorganisationen". Mit dem stillschweigenden Einverständnis der Mutterparteien fungieren diese bewaffneten Organisationen als deren Schild und Schwert. Ihr Mitwirken im politischen Prozess ist eine der wichtigsten Ursachen für die politische Gewalt in Bangladesch (AA 21.6.2020).
Es kommt zu Fällen krimineller Gewalt, sowie zu sporadische Zusammenstößen in den Chittagong Hill Tracts (CHT) zwischen indigenen Gruppen und bengalischen Siedlern wegen Landbesitz und -nutzung (DFAT 22.8.2019). Spontane Streiks und Kundgebungen können jederzeit stattfinden und sich in gewalttätige Auseinandersetzungen entladen (UKFCO 27.5.2021; vgl. AA 28.7.2020, AI 1.4.2021). In vielen Fällen ist nicht eindeutig differenzierbar, ob religiöse Motive oder säkulare Interessen, wie etwa Racheakte oder Landraub, Grund für solche Vorfälle sind (AA 21.6.2020).
Die Schutzfähigkeit staatlicher Behörden ist grundsätzlich gering. Die Behörden sind in der Regel keine neutralen Akteure, sondern unterstützen die politischen Ziele der jeweiligen Machthaber (ÖB 9.2020).
Quellen:
? AA – Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland [Deutschland] (28.7.2020): Bangladesch: Reise- und Sicherheitshinweise, https://www.auswaertiges-amt.de/de/aussenpolitik/laender/bangladesch-node/bangladeschsicherheit/206292, Zugriff 9.11.2020
? AA – Auswärtiges Amt [Deutschland] (21.6.2020): Auswärtiges Amt_Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Volksrepublik Bangladesch (Stand: Mai 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2033573/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Volksrepublik_Bangladesch_%28Stand_Mai_2020%29%2C_21.06.2020.pdf, Zugriff 9.11.2020
? ACLED – Armed Conflict Location & Event Data Project (9.11.2018): The Anatomy of Violence in Bangladesh, https://www.acleddata.com/2018/11/09/the-anatomy-of-violence-in-bangladesh/, Zugriff 5.11.2020
? AI – Amnesty International (1.4.2021): Bangladesh authorities must conduct prompt, thorough, impartial, and independent investigations into the death of protesters and respect people’s right to peaceful assembly, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048271.html, Zugriff 27.4.2021
? BMEIA – Bundesministerium Europa, Integration und Äußeres [Österreich] (27.5.2021) (Unverändert gültig seit: 26.05.2021): Bangladesch (Volksrepublik Bangladesch) – Sicherheit & Kriminalität, https://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reiseinformation/land/bangladesch/, Zugriff 27.5.2021
? CIA – Central Intelligence Agency [USA] (24.5.2021): The World Factbook – Bangladesh, https://www.cia.gov/the-world-factbook/countries/bangladesh/, Zugriff 28.5.2021
? DT – DhakaTribune (22.12.2020): Bangladesh sees highest border deaths in 10 years, https://www.dhakatribune.com/bangladesh/2020/12/22/bangladesh-sees-highest-border-deaths-in-10-years, Zugriff 25.5.2021
? EDA - Eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten [Schweiz] (27.05.2021) (publiziert am 14.08.2020): Bangladesch, Spezifische regionale Risiken, https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/vertretungen-und-reisehinweise/bangladesch/reisehinweise-fuerbangladesch.html#par_textimage, Zugriff 27.5.2021
? FH – Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2021 - Bangladesh, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048581.html, Zugriff 19.5.2021
? HRW – Human Rights Watch (13.1.2021): World Report 2021 - Bangladesh, https://www.ecoi.net/de/dokument/2043519.html, Zugriff 28.5.2021
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https://www.ecoi.net/en/file/local/2052061/BANG_%C3%96B_BERICHT_2020_09.pdf, Zugriff 28.5.2021
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? SATP – South Asia Terrorism Portal (26.5.2021b): Data Sheet – Bangladesh, Yearly Sucide Attacks, Advance Search 2000 - 2021, https://www.satp.org/datasheet-terrorist-attack/incidents-data/bangladesh, Zugriff 28.5.2021
? UKFCO – UK Foreign and Commonwealth Office [UK] (27.5.2021) (erstellt am: 24.5.2021): Foreign travel advice Bangladesh - Safety and security, Political violence, Safety and security, https://www.gov.uk/foreign-travel-advice/bangladesh/safety-and-security, Zugriff 27.5.2021
Rechtsschutz / Justizwesen
Letzte Änderung: 16.06.2021
Die Politisierung der Justiz und der Druck auf sie halten an (FH 3.3.2021). Seit die Awami-Liga (AL) im Jahr 2009 an die Macht kam, hat die von ihr geführte Regierung begonnen, erheblichen Einfluss auf die Justiz auszuüben (FIDH 25.1.2021). Vorwürfe des politischen Drucks auf Richter sind üblich, ebenso wie der Vorwurf, dass unqualifizierte AL-Loyalisten in Gerichtspositionen berufen werden (FH 3.3.2021). Wie die meisten Beobachter übereinstimmend angeben, stellen Korruption, Ineffizienz der Justiz, gezielte Gewalt gegen Richter und ein gewaltiger Rückstau an offenen Fällen große Probleme dar (ÖB 8.2019). Die schiere Zahl der gegen die politische Opposition eingeleiteten Klagen im Vorfeld zur 11. Parlamentswahl vom Dezember 2018, deutet auf ein ungehindertes Spielfeld und die Kontrolle der Regierungspartei über die Justiz- und Sicherheitsinstitutionen hin (FIDH 29.12.2018). Strafanzeigen gegen Mitglieder der Regierungspartei werden regelmäßig aus "politischer Rücksichtnahme" zurückgezogen (FH 3.3.2021).
Das Gerichtssystem besteht aus zwei Instanzen, den untergeordneten Gerichten (Magistrates, Session- und District Judges) und dem Obersten Gerichtshof (Supreme Court). Beide verhandeln Zivil- und Strafrechtssachen. Das Rechtssystem beruht weitgehend auf dem englischen Common Law. Die erstinstanzlichen Gerichte bestehen aus "Magistrates", die der Exekutive zuzurechnen sind, sowie Session und District Judges, die der Judikative angehören. Der Oberste Gerichtshof besteht aus zwei Abteilungen, dem High Court, der Verfassungsfragen verhandelt und als Berufungsinstanz zu den erstinstanzlichen Gerichten fungiert, sowie dem Appellate Court, dessen Entscheidungen alle übrigen Gerichte, einschließlich des High Court, binden. Die Richter beider Abteilungen werden gemäß der Verfassung vom Präsidenten ernannt (ÖB 9.2020).
Die Unabhängigkeit der Richter wird von der Verfassung garantiert. In der Praxis unterstellt allerdings eine schon lange geltende temporäre Bestimmung der Verfassung die erstinstanzlichen Richter der Exekutive. Auch ihre Ernennung und Remuneration ist Sache der Exekutive. Demgegenüber haben die Richter des Obersten Gerichtshofs des Öfteren ihre Unabhängigkeit demonstriert und gegen die Regierung entschieden. Dennoch wird diese Unabhängigkeit der Justiz durch Überlastung, überlange Verfahrensdauern, Korruption und politische Einflussnahme behindert (ÖB 9.2020). Die Einflussnahme der Regierungspartei auf Parlament und Justiz haben deren Unabhängigkeit inzwischen weitgehend beseitigt (AA 21.6.2020).
Auf Grundlage des "Public Safety Act", des „Law and Order Disruption Crimes Speedy Trial Act”, “Women and Children Repression Prevention Act” sowie des "Special Powers Act" wurden Sondertribunale errichtet, die Fälle innerhalb eines festgesetzten Zeitrahmens erledigen müssen – es fehlen allerdings Vorschriften für den Fall, dass sie dieser Verpflichtung nicht nachkommen. Speedy Trial Tribunals haben Medienberichten zufolge in den vergangenen Jahren mehrere Hundert Personen zu Tode verurteilt (ÖB 9.2020).
Zwei Drittel aller Streitfälle erreichen nicht das formelle Justizsystem, sondern werden von informellen Dorfgerichten oder bedeutenden Persönlichkeiten der lokalen Gemeinschaften entschieden (ÖB 9.2020). In ländlichen Gebieten kommt es zu Verurteilungen durch unbefugte Dorfälteste oder Geistliche nach traditionellem, islamischem "Scharia Recht". Die islamische Scharia ist zwar nicht formell als Gesetz eingeführt, spielt aber insbesondere in den Bereichen des Zivilrechts (Erbschaft, Grunderwerb, Heirat und Scheidung etc.) eine große Rolle (ÖB 9.2020). Nicht immer greifen die Behörden ein (AA 21.6.2020). Obwohl diese "Gerichte" eine durch Tradition legitimierte, schnellere und günstigere Alternative zu ordentlichen Gerichten darstellen, sind sie hinsichtlich der Einflussnahmemöglichkeiten durch lokal bedeutsame Persönlichkeiten sowie der gesellschaftlichen Stellung von Frauen nicht unproblematisch (ÖB 9.2020).
Quellen:
? AA - Auswärtiges Amt [Deutschland] (21.6.2020): Auswärtiges Amt_Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Volksrepublik Bangladesch (Stand: Mai 2020), https://www.ecoi.net/en/file/local/2033573/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_der_Volksrepublik_Bangladesch_%28Stand_Mai_2020%29%2C_21.06.2020.pdf, Zugriff 5.8.2020
? FH - Freedom House (3.3.2021): Freedom in the World 2021 - Bangladesh, https://www.ecoi.net/de/dokument/2048581.html, Zugriff 19.5.2021
? FIDH -International Federation for Human Rights (Autor), ODHIKAR (Autor) (25.1.2021): Annual Human Rights Report 2020 Bangladesh, https://www.fidh.org/IMG/pdf/annual-hr-report-2020_eng.pdf, Zugriff 19.5.2021
? FIDH - International Federation for Human Rights (Hg.) (29.12.2018): Joint statement on the undemocratic electoral environment in Bangladesh, https://www.fidh.org/en/region/asia/bangladesh/joint-statement-on-the-undemocratic-electoral-environment-in, Zugriff 3.4.2020
? ÖB - Österreichische Botschaft Neu Delhi [Österreich] (9.2020): Asylländerbericht zu Bangladesch, https://www.ecoi.net/en/file/local/2052061/BANG_%C3%96B_BERICHT_2020_09.pdf, Zugriff 28.5.2021
Korruption
Letzte Änderung: 16.06.2021
Korruption ist in Bangladesch weit verbreitet und hat alle Teile der Gesellschaft durchdrungen (AA 21.6.2020; vgl. ODHIKAR 25.1.2021, LIFOS 25.2.2019), die Bemühungen zur Korruptionsbekämpfung werden durch die politische Umsetzung geschwächt. Endemische Korruption und Kriminalität, schwache Rechtsstaatlichkeit, begrenzte bürokratische Transparenz und politische Polarisierung haben lange Zeit die staatliche Rechenschaftspflicht untergraben (FH 3.3.2021). Auf dem Korruptionsindex von Transparency International belegte Bangladesch im Jahr 2020 den 146. Rang unter 180 Staaten (vgl. 2019: 146/180) (TI 28.1.2021; vgl. TI 23.1.2020).
Das Strafgesetzbuch von 1860 verbietet es Beamten, Bestechungsgelder anzunehmen [Absatz 161, 165] oder Beihilfe zur Bestechung zu leisten [Absatz 165 A] (TI 1.2019), doch die Regierung setzt das Gesetz nicht effektiv um. Beamte verüben häufig ungestraft korrupte Praktiken (UDOS 30.3.2021). Als korrupteste Behörden werden die Migrationsbehörden, die Polizei sowie die Rechtspflege genannt. NGOs und Militär genießen den besten Ruf (AA 21.6.2020).
Aufgrund der weit verbreiteten Korruption in Justiz und Polizei ist es eine nahe liegende Vermutung, dass es auch zu ungerechtfertigten Anschuldigungen kommt, nicht notwendiger Weise auf staatliches Betreiben, sondern von Privatpersonen mit wirtschaftlichen oder persönlichen Motiven (ÖB 9.2020).
Vor allem im Bereich der erstinstanzlichen Gerichte, der Gerichtsbediensteten, der öffentlichen Ankläger, der Magistrate und der Anwälte wird Korruption als ein weit verbreitetes Problem angesehen. Wohlhabenden oder in den großen Parteien verankerten Personen stehen die Möglichkeiten des ineffizienten und korrupten Justizsystems offen. Das Ausmaß der Korruption stellt jedoch sicher, dass auch Opfer staatlicher Verfolgung davon profitieren können. Waren es während der Zeit des Ausnahmezustandes vor allem Angehörige der beiden politisch dominanten Parteien, die einer intensiven Antikorruptionskampagne du