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40/01 Verwaltungsverfahren;Norm
AVG §63 Abs3;Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Jabloner und die Hofräte Dr. Novak und Dr. Mizner als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Suda, über die Beschwerde der M in L, vertreten durch Dr. R, Rechtsanwalt in L, gegen das Erkenntnis des Unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Oberösterreich vom 8. August 1996, VwSen-3000089/2/Gb/Shn, betreffend Zurückweisung einer Berufung, zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Das Land Oberösterreich hat der Beschwerdeführerin Aufwendungen in der Höhe von S 12.890,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft W. wurde die Beschwerdeführerin schuldig erkannt, sie habe am 15. April 1995 von 6.00 früh bis abends gegen 19.00 Uhr in ihrer im
4. Stockwerk des Mehrparteienwohnhauses L., K-Straße 27, situierten Wohnung durch wiederholtes lautstarkes Trommeln, Herumrollen einer harten Kugel und Klopfen an einen Heizkörper die Wohnungsnachbarn erheblich in ihrer Ruhe gestört und damit in ungebührlicher Weise störenden Lärm erregt. Sie habe hiedurch die Übertretung nach § 10 iVm § 3 Abs. 1
OÖ Polizeistrafgesetz, LGBl. Nr. 30/1995, begangen. Es wurde eine Geldstrafe von S 2.000,-- (Ersatzfreiheitsstrafe 134 Stunden) verhängt.
Mit Schreiben vom 28. Juni 1996 erhob die Beschwerdeführerin Berufung. Diese hat folgenden Wortlaut:
"Berufung
Ich lege Berufung gegen das Straferkenntnis-Verfahren:
Pol 96-85-1995 WIM/FF vom 13. Juni 1996 ein.
Berufungsantrag
Zu meiner Äußerung vom 18.10.1995 möchte ich hinzufügen, daß ich keinesfalls beabsichtige die Wohnungsnachbarn in ihrer Ruhe zu stören u. ihre Aussagen akzeptieren muß, wenn sie sich gestört fühlten.
Sie können jedoch überprüfen, daß ich gegen die Anschuldigung, eine Pauke zu schlagen, nachweisen kann, daß ich keine Besitze und auch zu diesem Zeitpunkt nicht besessen habe.
Zu der Zeugeneinvernahme von AS (22.11.1995) möchte ich hinzufügen, daß kein einziger Gendarmeriebeamter in meiner Wohnung für Ruhe u. Ordnung sorgen mußte. Die Aussage, derzeit herrsche Stille in meiner Wohnung hat Herr A vor Gericht so formuliert: Es ist, als ob sie nicht da wäre, obwohl ich normalen Alltagslärm u. Wohnungslärm verursache. Die Mieter würden ständig von mir beobachtet und fotografiert, diese Aussage kann ich widerlegen, genauso wie die folgenden Verleumdungen: daß ich die Wohnungstüre ständig offenlasse und ihnen nachgehe.
Ich habe weder Familie M noch Familie S auf diese Weise terrorisiert. Ein einziges Foto wollte ich machen u. zwar, als ich den Vorraum neu gestaltete, und auch die freie Fläche im Stiegenhaus, wenn das die Nachbarn auf diese Weise auslegen, bin ich sehr wohl berechtigt, gerichtliche Schritte gegen sie zu unternehmen.
Am 10.11.1995 hat sehr wohl eine Gerichtsverhandlung stattgefunden, wobei ich aber keine einzige Aussage über die Tatsachen, die ich vorzubringen habe, gemacht habe. Ich weiß sehr wohl, daß ich keine Aussage widerlegt habe, weil es Zeugeneinvernahmen waren, aber nicht von meiner Seite. Es wurden pure Verleumdungen aufgetischt, wobei ich noch keine Gelegenheit hatte, diese zu widerlegen."
Mit dem angefochtenen Bescheid wies die belangte Behörde die Berufung als unzulässig zurück. Begründend vertrat sie unter Hinweis auf § 63 Abs. 3 AVG iVm § 24 VStG die Auffassung, zwar bezeichne die Berufung den angefochtenen Bescheid ausreichend; ein Berufungsantrag und eine Berufungsbegründung lägen jedoch auch nicht ansatzweise vor. Die Beschwerdeführerin beziehe sich in keiner Weise auf die im angefochtenen Straferkenntnis konkret vorgeworfene Verwaltungsübertretung am ebenso konkret angeführten Zeitpunkt. Sie bringe lediglich vor, daß sie nicht beabsichtigt hätte, die Wohnungsnachbarn zu stören. Sie "bestreitet überdies lediglich, daß sie keine Pauke habe". Es werde "in der Berufung weiters eingegangen, daß kein einziger Gendarmeriebeamter in ihrer Wohnung für Ruhe und Ordnung Sorge hätten müssen und geht im weiteren auf Tatsachen ein, die mit der Verwaltungsübertretung am 15. April 1995 auch nicht ansatzweise in Verbindung stehen". Es sei somit nicht erkennbar, aus welchen Gründen die Beschwerdeführerin das angefochtene Straferkenntnis für nicht richtig halte. Sie beziehe sich auf allgemeine, das Zusammenwohnen im Mehrparteienwohnhaus betreffende Anliegen und gehe in keiner Weise auf ihr Verhalten am 15. April 1995 ein. Ob sie nun eine Pauke besitze, ob Gendarmen jemals für Ruhe und Ordnung in ihrer Wohnung sorgen mußten, sei für das Verfahren irrelevant; ebenso auch, aus welchen Gründen Fotos von Mitbewohnern gemacht worden seien. Überdies sei das Vorbringen hinsichtlich der Gerichtsverhandlung am 10. November 1995 unschlüssig und nicht nachvollziehbar.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, die Rechtswidrigkeit des Inhaltes geltend macht.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Nach § 63 Abs. 3 AVG (§ 24 VStG) hat die Berufung den Bescheid zu bezeichnen, gegen den sie sich richtet, und einen begründeten Berufungsantrag zu enthalten.
Im Beschwerdefall ist nicht strittig, daß der Berufungsschriftsatz die ausreichende Bezeichnung des Bescheides enthält, gegen den sich die Berufung richtet. Die Zurückweisung der Berufung entspricht somit nur dann dem Gesetz, wenn die Auffassung der belangten Behörde zutrifft, daß ein begründeter Berufungsantrag fehlt.
Das Fehlen eines ausdrücklich formulierten Berufungsantrages schadet nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bei einer Berufung gegen ein erstbehördliches Straferkenntnis schon deshalb nicht, weil schon die Erhebung der Berufung an sich - soweit dies, was hier nicht der Fall ist, durch die Berufungsausführungen nicht modifiziert wird - das Ziel des Berufungswerbers erkennen läßt, nicht der ihm im erstbehördlichen Straferkenntnis zur Last gelegten Übertretung schuldig erkannt und hiefür bestraft zu werden (vgl. z.B. das Erkenntnis vom 29. September 1993, Zl. 93/02/0129).
Die Entscheidung hängt somit davon ab, ob der Berufungsantrag "begründet" im Sinne des § 63 Abs. 3 AVG ist. Zu den Anforderungen, die an die Begründung einer Berufung zu stellen sind, hat der Verwaltungsgerichtshof ausgesprochen, daß die Unklarheit oder mangelnde Stichhältigkeit der Begründung einer Berufung nicht mit dem Fehlen einer Begründung gleichgesetzt werden kann (vgl. z.B. die Erkenntnisse vom 11. September 1985, Slg. 11.864/A, vom 23. Februar 1993, Zl. 92/08/0193, und vom 21. Dezember 1993, Zl. 93/08/0191). Selbst wenn die Annahme der belangten Behörde zuträfe, daß in der Berufung nicht auf das Verhalten der Beschwerdeführerin am 15. April 1995 eingegangen werde, könnte dies den angefochtenen Bescheid nicht tragen; diesfalls wäre die Begründung untauglich, was nach dem Gesagten aber nicht dem Fehlen einer Begründung gleichgesetzt werden darf. Im übrigen lassen die Darlegungen der Berufung noch erkennen, daß sich die Beschwerdeführerin gegen die Beweiswürdigung der ersten Instanz wendet; dabei schadet es nicht, daß die Beschwerdeführerin das ihr im Straferkenntnis vorgeworfene "lautstarke Trommeln" als "Schlagen einer Pauke" bezeichnet. Mit weiteren Darlegungen, die die belangte Behörde als "für das gegenständliche Verfahren irrelevant" bezeichnet (Einschreiten von Gendarmen in der Wohnung der Beschwerdeführerin, Anfertigen von Fotos von Mitbewohnern) nimmt die Berufung auf Umstände Bezug, die bei der Wiedergabe der Beweisergebnisse im Straferkenntnis der ersten Instanz erwähnt wurden. Es kann somit auch insoweit nicht gesagt werden, daß die erwähnten Darlegungen der Berufung in keinerlei Zusammenhang mit dem Straferkenntnis stünden.
Die belangte Behörde hat somit in der Frage des begründeten Berufungsantrages im Sinne des § 63 Abs. 3 AVG iVm § 24 VStG das Gesetz verkannt; der angefochtene Bescheid war gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben.
Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung, BGBl. Nr. 416/1994.
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:1996:1996100203.X00Im RIS seit
20.11.2000