TE Bvwg Erkenntnis 2021/8/23 W272 2202211-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 23.08.2021
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

23.08.2021

Norm

AsylG 2005 §2 Abs1 Z13
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §18 Abs2 Z1
BFA-VG §18 Abs5
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1a

Spruch


W272 2202211-1/13Z

Teilerkenntnis

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. Alois BRAUNSTEIN, MBA als Einzelrichter über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , StA. Russische Föderation, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 27.06.2018, Zl. XXXX , zu Recht:

A)

I. Gemäß § 18 Abs. 5 BFA-VG wird der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuerkannt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Der Beschwerdeführer, Staatsangehöriger der Russischen Föderation, reiste unter Umgehung der Grenzkontrollen in das österreichische Bundesgebiet ein und stellte am 10.05.2016 einen Antrag auf internationalen Schutz. Bei der Erstbefragung durch die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am selben Tag, gab der Beschwerdeführer als Fluchtgrund im Wesentlichen an, dass er in Russland politisch verfolgt werde, weil er im ersten Tschetschenien Krieg mitgekämpft habe und im zweiten humanitärer Helfer gewesen sei. Im Jahr 2014 als er in Frankreich gewesen sei, sei ihm mitgeteilt worden, dass Russland alle Vorwürfe fallen lasse. Er sei deshalb nach Russland zurück gegangen und sei mit Rippenbrüchen und Schädelfrakturen im Krankenhaus gelandet. Er sei wieder nach Frankreich geflüchtet und weiter nach Österreich gefahren.

Bei der erkennungsdienstlichen Behandlung ergab sich, dass der Beschwerdeführer am 12.04.2012 in Frankreich im Zuge einer Asylantragstellung erkennungsdienstlich behandelt worden sei. Es wurden Konsultationen gemäß der Dublin-VO mit Frankreich geführt.

Der Beschwerdeführer wurde im Rahmen des Zulassungsverfahrens am 17.10.2016 vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in Folge: Bundesamt) niederschriftlich einvernommen. Dabei gab er zusammengefasst an, dass seine Schwester in Österreich als anerkannter Flüchtling schon länger als 12 Jahre aufhältig sei. Er sei von seiner Schwester finanziell abhängig und er bekomme bei regelmäßigen Besuchen von ihr Bekleidung, Lebensmittel und auch Taschengelt. Er lebe in keiner Lebensgemeinschaft. Er könne nicht nach Frankreich zurück, weil es dort für ihn riskant und gefährlich sei und er bedroht worden sei. Leute vom russischen Geheimdienst haben nach ihm gefragt und bei einem Zusammentreffen sei es zu einem gewalttätigen Konflikt gekommen. Es gebe eine Zusammenarbeit zwischen dem russischen und französischen Geheimdienst. Der Beschwerdeführer habe die Annahme, dass sein Verfahren in Frankreich nicht objektiv untersucht werde, er sei nie einvernommenn noch nach Beweismittel gefragt worden und die Lebensqualität sei sehr schlecht. Der Beschwerdeführer legte eine französische Vital Karte einen französischen Bescheid sowie eine Ausreiseverpflichtung und eine Diebstahlanzeige vor.

Mit Bescheid vom 17.10.2016 wies das Bundesamt den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 zurück und stellte fest, dass für die Prüfung des Antrages auf internationalen Schutz Frankreich zuständig sei. Es ordnete gemäß § 61 Abs. 1 FPG gegen den Beschwerdeführer die Außerlandesbringung an und seine Abschiebung nach Frankreich sei gemäß § 61 Abs. 2 FPG zulässig. Begründend führte das Bundesamt aus, dass ein Dublin-Tatbestand vorliege, weil der Beschwerdeführer am 12.04.2012 in Frankreich einen Asylantrag gestellt habe und sich Frankreich mit Schreiben vom 20.05.2016 für die Führung des Asylverfahrens des Beschwerdeführers zuständig erklärt habe. Es bestehe zu seiner volljährigen, in Österreich seit über 12 Jahren als anerkannter Flüchtling lebenden Schwester, kein Abhängigkeitsverhältnis und auch keine besondere Integrationsverfestigung in Österreich.

Der Bescheid wurde durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes am 19.10.2016 samt Anhang zugestellt.

Dagegen erhob der Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 03.11.2016 (eingebracht am 03.11.2016) das Rechtsmittel der Beschwerde.

Am 29.11.2016 beantragte der Beschwerdeführer schriftlich beim Bundesamt die Führung des Verfahrens betreffend den Antrag auf internationalen Schutz, weil die Zuständigkeit mit Ablauf der Überstellungsfrist von 6 Monaten am 20.11.2016 auf Österreich übergegangen sei, sodass der Asylantrag in Österreich zuzulassen sei.

Mit Beschluss vom 09.12.2016 wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde als verspätet zurück. Das Verfahren erwuchs in Rechtskraft in I. Instanz.

Gegenständliches Verfahren:

Am 27.01.2017 stellte der Beschwerdeführer erneut einen Antrag auf internationalen Schutz (Folgeantrag) und wurde durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes erstbefragt. Hierbei gab er an, dass die Gründe, die er im ersten Verfahren angegeben habe, aufrecht bleiben. Die Fluchtgründe haben sich nicht geändert, im Gegenteil sie seien noch schlimmer geworden. Im Falle einer Rückkehr in sein Heimatland habe er Angst um sein Leben.

Der Beschwerdeführer wurde am 29.03.2018 vom Bundesamt niederschriftlich einvernommen. Dabei gab der Beschwerdeführer an, dass seine Muttersprache Tschetschenisch sei, er aber auch sehr gut Russisch, etwas Französisch und Deutsch spreche. Außerdem sei er wegen XXXX in ärztlicher Behandlung und nehme ein Medikament. Der Beschwerdeführer sei in XXXX , Tschetschenien geboren und aufgewachsen, aber seine identitätsbezeugenden Dokumente seien in Frankreich gestohlen worden. Er wurde vom Bundesamt aufgefordert seinen Führerschein alsbald vorzulegen. In seinem Heimatstaat habe er eine Ausbildung als Bauingenieur gemacht und die Wirtschafts- und Finanzakademie abgeschlossen. Er sei geschieden und habe drei Kinder. In Österreich besuche er einen Deutschkurs und mache Sport auf Anraten seines Psychologen, weil er eine Alkoholsucht gehabt habe und in einer Entzugsklinik gewesen sei. Seit Mai 2017 trinke er keinen Alkohol mehr. In Österreich lebe nur seine Schwester, die ihm ab und zu finanziell unterstütze. Zu seiner Familie in Tschetschenien habe er bis auf seine Schwester und seinen älteren Sohn keinen Kontakt.

Zu seinen Fluchtgründen befragt brachte der Beschwerdeführer zusammengefasst vor, dass er im Heimatland politisch tätig und Mitglied der Partei XXXX von 1991 bis 1994 gewesen sei. Seine Familienmitglieder haben dadurch auch Probleme gehabt, seien behördlich verfolgt und zur Staatsanwaltschaft vorgeladen worden. Als seine jüngere Schwester im Jahr 2014 nach Tschetschenien zu Besuch gekommen sei, sei sie umgebracht worden. Da er mit einer Menschenrechtsorganisation namens „ XXXX “ zusammengearbeitet habe, die nach verschollenen Leuten gesucht und auch gefallene Leute gefunden/ausgegraben habe, habe er vor Gericht Aussagen machen müssen und weil er sich weigerte Falschaussagen zu machen, sei er verfolgt worden. Er sei 2011 zu Hause auch verhaftet und vier Monate festgehalten worden sowie seine Schwester sei getötet worden. Im Jahr 2005 habe er in der Nähe vom Friedhof Leichen mit Schusswunden gefunden, aber die alarmierte Polizei habe ihn weggeschickt und es sei kein Verfahren eingeleitet worden. Er sei in diesem Zusammenhang zur Staatsanwaltschaft vorgeladen worden und habe den Verdacht, dass die Täter Kadirows Leute seien. Folglich sei er ca. jeden 2. Monat von der Staatsanwaltschaft geladen worden. Im Jahr 2007 sei ein Verfahren wegen Lebensbedrohung gegen den Beschwerdeführer eingeleitet worden. Das erste Mal sei er im Jahr 2011 und das zweite Mal im Jahr 2015 verhaftet worden. Seine Familie habe ihn freigekauft. Daraufhin habe er im August 2011 sein Heimatland verlassen, sei bis 2014 in Frankreich aufhältig gewesen und wieder zurück nach XXXX gereist, weil seine Schwester getötet worden sei und ihm gesagt worden sei, dass er nicht mehr verfolgt und nicht nach ihm gefahndet werde. Zurück in XXXX sei er im Jänner 2015 erneut festgenommen und geschlagen worden und er sei wieder nach Frankreich geflüchtet. Bei einer Rückkehr fürchte der Beschwerdeführer verfolgt, gefoltert und umgebracht zu werden.

Der Beschwerdeführer legte zwei polizeiliche Ladungen vom 18.03.2015 und 27.01.2015 sowie einen russischen Krankenhausbefund sowie zwei Fahndungsbelege vom 26.10.2001 und 06.04.2015 sowie weitere Integrationsunterlagen sowie eine französische Verlustanzeige sowie später seinen russischen Führerschein vor.

In der Gutachterlichen Stellungnahme im Zulassungsverfahren vom 08.04.2018 wurde angegeben, dass beim Beschwerdeführer keine krankheitswertige psychische Störung vorliege, aber er sonstige psychische Krankheitssymptome – Zustand nach Alkoholabhängigkeit – zeige. Der Beschwerdeführer gebe zwar im Zeitpunkt der Befundaufnahme an nicht zu trinken, jedoch gelegentlich das Verlangen danach zu haben. Da bereits eine alkoholische Fettleber vorliege, sei darauf zu schließen, dass der Beschwerdeführer nicht erst wie angegeben im Jahr 2012 zu trinken begonnen habe. Eine strikte Alkoholkarenz sei anzuraten sowie die medikamentöse Behandlung wie bisher. Bei einer Überstellung könne eine Verschlechterung des psychischen und physischen Zustandes des Beschwerdeführers nicht sicher ausgeschlossen werden, aber eine akute vitale Gefährdung sei nicht erkennbar.

Das Bundesamt wies den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz vom 27.01.2017 mit Bescheid vom 27.06.2018 (zugestellt am 04.07.2018) sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG (Spruchpunkt I.), als auch bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation (Spruchpunkt II.) ab. Unter einem erteilte es ihm keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG (Spruchpunkt III.), erließ gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG gegen ihn (Spruchpunkt IV.) und stellte gemäß § 52 Abs. 9 fest, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG in die Russische Föderation zulässig ist (Spruchpunkt V.). Einer Beschwerde gegen diese Entscheidung erkannte das Bundesamt gemäß § 18 Abs. 1 Z 5 BFA-VG die aufschiebende Wirkung ab und besteht gemäß § 55 Abs. 1a FPG keine Frist für die freiwillige Ausreise.

Begründend führte das Bundesamt aus, dass es sich beim Beschwerdeführer um einen Staatsangehörigen der Russischen Föderation handle, dessen Identität feststehe. Er sei geschieden und habe drei Kinder. Es bestehe beim Beschwerdeführer ein Zustand nach Alkoholabhängigkeit F 10.21 nach ICD-10, aber es liege keine belastungsabhängige krankheitswertige psychische Störung noch eine physische oder psychologische Erkrankung vor. Dem Vorbringen des Beschwerdeführers sei nicht glaubhaft zu entnehmen, dass er aus den in der GFK genannten Gründen im Heimatland verfolgt werde; sein Vorbringen sei nicht glaubhaft. Mangels glaubwürdiger und nachvollziehbarer Angaben sei eine Gefährdungssituation des Beschwerdeführers im Herkunftsland nicht feststellbar. Der Beschwerdeführer habe keine Beweismittel vorgebracht, die sein Fluchtvorbringen bestärken würden und habe sein Fluchtvorbringen sehr vage und inhaltslos bzw. wenig detailtreu der Behörde geschildert.

Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 25.07.2018 fristgerecht Beschwerde. Dabei wird im Wesentlichen zusammengefasst ausgeführt, dass die belangte Behörde ihre Ermittlungspflicht nicht voll wahrgenommen und das Verfahren damit mit groben Mängel belastet habe. Hätte die belangte Behörde die in der Beschwerde angeführten öffentlich zugänglichen Berichte berücksichtigt, hätte sie auch zum Schluss kommen müssen, dass das Vorbringen des Beschwerdeführers in Einklang mit den aktuellen Länderberichten stehe und ihm im Falle einer Rückkehr asylrelevante Verfolgung drohe. Es sei unrichtig, dass das Vorbringen des Beschwerdeführers nicht glaubhaft sei, weil diese Feststellung auf einer unschlüssigen Beweiswürdigung basiere. Der Beschwerdeführer sei als Mitarbeiter der NGO XXXX als Kritiker von Kadirow anzusehen und deshalb einer Verfolgung ausgesetzt. Die belangte Behörde habe es unterlassen einen Abgleich mit den einschlägigen Länderberichten in der Beweiswürdigung vorzunehmen. Dass es immer wieder zu willkürlichen Verhaftungen und zum Verschwinden von Personen komme, sei in den ausgeführten Länderinformationen beschrieben worden. Zum Beweis, dass der Beschwerdeführer sowohl 2011, als auch 2015 zur Fahndung ausgeschrieben gewesen sei, legte der Beschwerdeführer Fahndungspapiere mit Foto vom 06.04.2015 und 26.10.2011 vor. Der Beschwerdeführer habe entgegen der Ansicht der belangten Behörde sein Vorbringen sehr detailliert und lebensnah gestaltet und die Ausführungen der belangten Behörde im Rahmen der Beweiswürdigung seien insgesamt unschlüssig und mangelhaft. Schließlich habe die belangte Behörde die aufschiebende Wirkung aberkannt, aber es seien keine Ausführungen zu finden aufgrund welcher Umstände das Vorbringen des Beschwerdeführers offensichtlich nicht den Tatsachen entspreche. Es wurde beantragt, das Bundesverwaltungsgericht möge der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuerkennen und eine mündliche Verhandlung durchführen.

Am 02.10.2018 wurden beim Bundesverwaltungsgericht aktuelle Fahndungsausschreibungen nachgereicht.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Die Identität des Beschwerdeführers steht fest. Der am XXXX geborene Beschwerdeführer ist Staatsangehöriger der Russischen Föderation und reiste im Jahr 2016 illegal in Österreich ein und stellte am 27.01.2017 erneut beim Bundesamt den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz.

Das Bundesamt wies den Antrag auf internationalen Schutz mit Bescheid vom 27.06.2018 (zugestellt am 04.07.2018) sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten, als auch bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Russische Föderation ab. Unter einem erteilte es keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen, erließ gegen den Beschwerdeführer eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers in die Russische Föderation zulässig ist. Einer Beschwerde gegen diese Entscheidung erkannte das Bundesamt die aufschiebende Wirkung ab. Dagegen erhob der Beschwerdeführer rechtzeitig das Rechtsmittel der Beschwerde.

Der Beschwerdeführer verfügt über einen durchgehenden Hauptwohnsitz im Bundesgebiet und ist aktuell in einer Privatunterkunft in XXXX WIEN gemeldet.

2. Beweiswürdigung:

Die Feststellungen zu seiner Antragstellung sowie zur Verfahrenszulassung und zum weiteren Verfahrensgang ergeben sich aus dem unstrittigen Akteninhalt.

Die Identität des Beschwerdeführers steht aufgrund der Vorlage seines Führerscheins und der gleichbleibenden Angaben im behördlichen Verfahren fest.

Die Feststellungen zum Wohnsitz des Beschwerdeführers beruhen auf einem aktuellen ZMR-Auszug.

3. Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 BFA-VG entscheidet über Beschwerden gegen Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl das Bundesverwaltungsgericht.

Gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG erkennen die Verwaltungsgerichte über Beschwerden gegen den Bescheid einer Verwaltungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit.

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Da im vorliegenden Verfahren keine Entscheidung durch Senate vorgesehen ist, liegt gegenständlich Einzelrichterzuständigkeit vor.

Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen (§ 28 Abs. 1 VwGVG).

Zu A) Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung

Die Beschwerde richtet sich ausdrücklich auch gegen Spruchpunkt VI. erster Satz des angefochtenen Bescheides, mit dem die aufschiebende Wirkung aberkannt wurde. Das BVwG hat über eine derartige Beschwerde gemäß § 18 Abs. 5 BFA-VG binnen einer Woche ab Vorlage der Beschwerde in Form eines (Teil-)Erkenntnisses zu entscheiden (vgl VwGH 19.06.2017, Fr 2017/19/0023; 13.09.2016, Fr 2016/01/0014).

Vorab ist festzuhalten, dass Gegenstand der vorliegenden Entscheidung nur jener Spruchteil des mit der Beschwerde angefochtenen Bescheides ist, mit dem gemäß § 18 Abs. 1 Z. 5 BFA-VG die aufschiebende Wirkung der Beschwerde aberkannt wurde, weshalb sich die Prüfung auf jene Teile des Beschwerdevorbringens beschränkt (§ 27 VwGVG), welche sich gegen die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung richtet.

Die Entscheidung des erkennenden Gerichts in der Hauptsache, das heißt hinsichtlich aller übrigen mit der gegenständlichen Beschwerde angefochtenen Spruchpunkte des Bescheides, ergeht zu einem späteren Zeitpunkt gesondert.

Gemäß § 18 Abs. 5 BFA-VG hat das Bundesverwaltungsgericht der Beschwerde, der die aufschiebende Wirkung vom Bundesamt aberkannt wurde, binnen einer Woche ab Vorlage der Beschwerde von Amts wegen die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, wenn anzunehmen ist, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 EMRK, Art. 3 EMRK, Art. 8 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten würde oder für ihn als Zivilperson eine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde. In der Beschwerde gegen den in der Hauptsache ergangenen Bescheid sind die Gründe, auf die sich die Behauptung des Vorliegens einer realen Gefahr oder einer ernsthaften Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit gemäß Satz 1 stützt, genau zu bezeichnen. § 38 VwGG gilt.

Das BVwG hat über eine Beschwerde gegen die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung nach § 18 BFA-VG (oder gegen einen derartigen trennbaren Spruchteil eines Bescheids) gemäß § 18 Abs. 5 BFA-VG binnen einer Woche ab Vorlage der Beschwerde in Form eines (Teil-) Erkenntnisses zu entscheiden (vgl VwGH vom 19.06.2017, Fr 2017/19/0023; vom 13.09.2016, Fr 2016/01/0014)

Gemäß § 18 Abs. 6 BVwG steht ein Ablauf der Frist nach Abs. 5 der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung nicht entgegen.

Die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung nach § 18 Abs. 1 BFA-VG ist - anders als jene nach § 18 Abs. 2 BFA-VG- nicht zwingend, sondern sie setzt eine Abwägung der für und gegen die zu treffende Anordnung sprechenden Interessen voraus. Dabei ist das öffentliche Interesse an einer raschen Aufenthaltsbeendigung von Asylwerbern, den im Einzelfall allenfalls entgegenstehenden privaten Interessen dieser Personen gegenüberzustellen (vgl Böckmann-Winkler in Schrefler-König/Szymanski, Fremdenpolizei- und Asylrecht, § 18 BFA-VG mit Verweis auf VwGH vom 28.04.2015, Ra 2014/18/0146).

Die Entscheidung über die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung ist nicht als Entscheidung in der Sache selbst zu werten; vielmehr handelt es sich dabei um eine der Sachentscheidung vorgelagerte (einstweilige) Verfügung, die nicht geeignet ist, den Ausgang des Verfahrens vorwegzunehmen. Es ist in diesem Zusammenhang daher lediglich darauf abzustellen, ob es - im Sinne einer Grobprüfung - von vornherein ausgeschlossen erscheint, dass die Angaben des Beschwerdeführers als "vertretbare Behauptungen" zu qualifizieren sind, die in den Schutzbereich der hier relevanten Bestimmungen der EMRK reichen.

Das Bundesamt hat die aufschiebende Wirkung gemäß § 18 Abs. 1 Z 5 BFA-VG – „das Vorbringen des Asylwerbers zu seiner Bedrohungssituation offensichtlich nicht den Tatsachen entspricht“ – aberkannt.

Nach der Rechtsprechung des VwGH kann der Tatbestand des § 6 Z 3 AsylG 1997 (nunmehr wortident mit § 18 Abs 1 Z 5 BFA-VG) nur dann als erfüllt angenommen werden, wenn Umstände vorliegen, die besonders deutlich die Unrichtigkeit der erstatteten Angaben vor Augen führen. Es muss unmittelbar einsichtig („eindeutig“, „offensichtlich“) sein, dass die abgegebene Schilderung tatsächlich wahrheitswidrig ist. Dieses Urteil muss sich quasi „aufdrängen“, der (die) dazu führende(n) Gesichtspunkt(e) muss (müssen) klar auf der Hand liegen, sei es allenfalls auch deshalb, weil nach einem Ermittlungsverfahren „Hilfstatsachen“ (zB fehlende Kenntnis der behaupteten Stammessprache) substantiell unbestritten bleiben. Im Ergebnis setzt die erforderliche „qualifizierte Unglaubwürdigkeit“ somit voraus, dass es weder weitwendiger Überlegungen noch einer langen Argumentationskette bedarf, um zu erkennen, dass das Vorbringen eines Asylwerbers nicht den Tatsachen entspricht. Insoweit stellt die Regelung des Gesetzgebers, der (ua) für die Fälle offensichtlich unbegründeter Asylanträge ein abgekürztes Berufungsverfahren vorsieht (§ 32 AsylG 1997), eine adäquate Reaktion dar, weil es dann bei der Entscheidung über die Asylgewährung typischerweise nur um die Klarstellung einfacher Fragen, nicht aber um diffizile Beweiswürdigungsprobleme gehen kann. Dem entspricht – bezogen auf die rechtliche Würdigung des Sachverhaltes – die Rsp des VwGH, wonach das Erfordernis einer Beurteilung komplexer asylrechtlicher Zusammenhänge die Abweisung eines Asylantrages als offensichtlich unbegründet ausschließt (VwGH vom 21. 10. 1999, 98/20/0196 und vom 21.08. 2001, 2000/01/0214).

Im vorliegenden Fall konnte eine Entscheidung über die dem Bundesverwaltungsgericht vorliegende Beschwerde innerhalb der relativ kurzen Frist des § 18 Abs. 5 BFA-VG nicht getroffen werden. Der Beschwerdeführer macht in der Beschwerde ein reales Risiko einer Verletzung der hier zu berücksichtigenden Konventionsbestimmungen geltend, zumal auch ein Fahndungsschreiben aus der Russischen Föderation vorgelegt wurde. Bei einer Grobprüfung dieses Vorbringens kann nicht ausgeschlossen werden, dass es sich dabei um "vertretbare Behauptungen" handelt. Dies wird einer eingehenden Prüfung bedürfen und kann auf Grund der vorliegenden Aktenlage nicht davon ausgegangen werden, dass das Vorbringen des Beschwerdeführers zu seiner Bedrohungssituation offensichtlich nicht den Tatsachen entspricht. Insbesondere aufgrund der Tatsache, dass im vorliegenden Fall der Beschwerdeführer neue Beweismittel und Tatsachen vorbrachte (OZ 6) und die Länderfeststellungen zur Russischen Föderation mit 10.06.2021 gesamtaktualisiert wurden - kann aus dem Sachverhalt nicht ausgeschlossen werden, dass eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Beschwerdeführers in sein Herkunftsland eine reale Gefahr einer Verletzung der hier zu berücksichtigenden Bestimmungen bedeuten würde.

Darüber hinaus lassen sich in der angeführten Begründung des Bescheides zur Aberkennung der aufschiebenden Wirkung noch aus der Aktenlage konkrete Umstände entnehmen, die die sofortige Ausreise des Beschwerdeführers im Interesse der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich machen würden. Zum anderen finden sich in der rechtlichen Beurteilung des angefochtenen Bescheides, wie auch in der Beschwerde kritisiert, keine konkreten Ausführungen, weshalb die vorgebrachte Bedrohungssituation offensichtlich nicht den Tatsachen entspricht und somit im Fall des Beschwerdeführers eine über die „schlichte Unglaubwürdigkeit“ hinausgehende geforderte „qualifizierte Unglaubwürdigkeit“ des Beschwerdeführers angenommen wird.

Da der Fristablauf gemäß Abs. 5 leg cit nicht an einer zeitlich späteren Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung hindert, ist auch diese Entscheidung über die aufschiebende Wirkung zu einem deutlich späteren Zeitpunkt möglich bzw. sogar notwendig.

Da eine Gefährdung des Beschwerdeführers im Sinne des § 18 Abs. 5 BFA-VG derzeit nicht mit der in diesem Zusammenhang erforderlichen Sicherheit von vornherein auszuschließen ist und sein Vorbringen nicht offensichtlich bzw. „qualifiziert“ unglaubwürdig ist, war spruchgemäß zu entscheiden.

Die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 18 Abs. 1 Z 5 BFA-VG entfaltet daher keine Wirkung mehr und der erste Satz des Spruchpunkts VI. des angefochtenen Bescheides war insofern ersatzlos zu beheben.

Soweit sich die Beschwerde gegen die übrigen Spruchpunkte des angefochtenen Bescheides richtet, wird darüber gesondert entschieden werden.

Eine öffentliche mündliche Verhandlung zwecks Beurteilung der Frage der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung konnte gemäß § 21 Abs. 6a BFA - VG entfallen.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision gegen die gegenständliche Entscheidung ist gemäß Art 133 Abs 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen.

Schlagworte

aufschiebende Wirkung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W272.2202211.1.00

Im RIS seit

05.11.2021

Zuletzt aktualisiert am

05.11.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten