TE Bvwg Erkenntnis 2021/9/8 W287 2176672-3

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 08.09.2021
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

08.09.2021

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §8 Abs1
AVG §68 Abs1
BFA-VG §9
B-VG Art133 Abs4
FPG §46
FPG §52 Abs2 Z2
FPG §52 Abs9
FPG §55 Abs1a
VwGVG §28 Abs2 Z1

Spruch


W287 2176672-3/4E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch die Richterin MMag. Dr. Julia KUSZNIER als Einzelrichterin über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , StA. Afghanistan, vertreten durch die BBU Bundesagentur für Betreuungs- und Unterstützungsleistungen GmbH gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom XXXX , Zl. XXXX , zu Recht:

A)

I. Die Beschwerde wird gemäß § 28 Abs. 2 Z. 1 VwGVG iVm. § 68 Abs. 1 AVG hinsichtlich Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides als unbegründet abgewiesen.

II. Der Beschwerde wird hinsichtlich der Spruchpunkte II. bis VI. des angefochtenen Bescheides stattgegeben und es werden diese gemäß § 28 Abs. 2 Z. 1 VwGVG iVm. § 68 Abs. 1 AVG behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang

1. Der Beschwerdeführer reiste unter Umgehung der Grenzvorschriften in das Bundesgebiet ein und stellte am 07.07.2016 einen ersten Antrag auf internationalen Schutz. Bei der Erstbefragung am selben Tag vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab der Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen Folgendes an: „Ich hatte ein familiäres Problem mit meinem Onkel. Er war drogensüchtig und Spieler. Vor 3 Jahren hat mein Onkel meinen Vater immer wieder unter Druck gesetzt, dass er sein Haus verkaufen solle. Vor kurzem hat mein Onkel alles verspielt und der drohte meinem Vater, dass er mich umbringen würde, wenn er das Haus nicht verkauft. Mein Vater bekam Angst und sagte, dass ich das Land verlassen solle. Das habe ich getan. Das ist mein Fluchtgrund.“ Befragt zur Rückkehr gab er an: „Ich habe vor meinem Onkel Angst, dass er mich umbringt.“

2. Am 11.08.2016 wurde nach Durchführung eines medizinischen Altersfeststellungsverfahrens per Verfahrensanordnung die Volljährigkeit des Beschwerdeführers festgestellt und dessen Geburtsdatum fiktiv mit XXXX als spätest möglich festgesetzt.

3. Am 12.08.2016 wurde ein Dublin-Konsultationsverfahren mit Ungarn eingeleitet. Am 28.11.2016 erfolgte die niederschriftliche Einvernahme des Beschwerdeführers hinsichtlich der Zuständigkeit Ungarns vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (in der Folge ‚belangte Behörde‘ bzw. BFA oder Bundesamt genannt). Mit Bescheid vom 03.01.2017 wurde der Antrag auf internationalen Schutz vom 07.07.2016 zurückgewiesen, die Zuständigkeit Ungarns festgestellt und die Außerlandesbringung angeordnet.

Mit Erkenntnis vom 07.03.2017, GZ XXXX gab das Bundesverwaltungsgericht der dagegen eingebrachten Beschwerde statt und hob den Bescheid vom 03.01.2017 auf.

4. Am 07.08.2017 erfolgte neuerlich eine niederschriftliche Einvernahme des Beschwerdeführers vor der belangten Behörde. Der Beschwerdeführer brachte zu seinen Fluchtgründen im Wesentlichen zusammengefasst vor, es bestünden einerseits Grundstücksstreitigkeiten seiner Familie mit dem mächtigen Onkel. Andererseits befürchte er im Falle der Rückkehr von diesem Onkel ermordet zu werden, weil der Beschwerdeführer mit dessen Tochter eine Beziehung und auch Geschlechtsverkehr gehabt habe und das Verhältnis nicht beendet habe, obwohl er deswegen von einem Bruder des Mädchens gewarnt und geschlagen worden sei.

5. Mit Bescheid vom 13.10.2017 wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz zur Gänze ab (Spruchpunkte I. und II.). Es wurde dem Beschwerdeführer kein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen erteilt, eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkte III.). Die Frist für die freiwillige Ausreise wurde mit 2 Wochen ab Rechtskraft der Entscheidung festgesetzt (Spruchpunkt IV.).

Begründend wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass der Beschwerdeführer seine Fluchtgründe nicht habe glaubhaft machen können. Es drohe dem Beschwerdeführer auch keine Gefahr, die die Zuerkennung eines subsidiären Schutzes rechtfertigen würde. Er könne eine innerstaatliche Fluchtalternative in Anspruch nehmen. Der Beschwerdeführer verfüge in Österreich zudem über kein schützenswertes Privat- und Familienleben, das einer Rückkehrentscheidung entgegenstünde. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer im Wege der bevollmächtigten Vertretung fristgerecht Beschwerde in vollem Umfang.

6. Mit Urteil des Landesgerichtes Linz vom 23.08.2018, Zl. 37 Hv 92/18g-6, rechtskräftig seit 28.08.2018, wurde der Beschwerdeführer unter Anwendung der § 28 Abs. 1 StGB und § 19 Abs. 1 JGG nach dem Strafsatz des § 27 Abs. 4 SMG zu einer Freiheitstrafe von fünf Monaten, davon fünf bedingt auf eine Probezeit von 3 Jahren verurteilt.

7. Mit Verfahrensanordnung vom 05.09.2018 wurde dem Beschwerdeführer der Verlust seines Aufenthaltsrechts im Bundesgebiet gemäß § 13 AsylG wegen Straffälligkeit (§ 2 Abs. 3 AsylG) mitgeteilt.

8. Mit Bescheid vom 18.09.2018 änderte die belangte Behörde gemäß § 68 Abs. 2 AVG den unter Punkt 5. genannten Bescheid dahingehend ab, dass eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Absatz 2 Ziffer 2 FPG erlassen wurde (Spruchpunkt I.). Ferner wurde gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass eine Abschiebung nach Afghanistan zulässig ist (Spruchpunkt II.) und dass der Beschwerdeführer gemäß § 13 Abs. 2 Z.1 AsylG das Recht zum Aufenthalt im Bundesgebiet ab dem 23.08.2018 verloren habe (Spruchpunkt III.). Es wurde ein auf die Dauer von 6 Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt IV.), einer Beschwerde die aufschiebende Wirkung aberkannt (Spruchpunkt V.) und festgestellt, dass gemäß § 55 Abs. 1a FPG keine Frist für die freiwillige Ausreise besteht (Spruchpunkt VI.). Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde.

9. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 25.10.2018, XXXX wurde der Beschwerde stattgegeben und der Bescheid vom 18.09.2018 ersatzlos behoben.

10. Mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 18.06.2021 ( XXXX ) wurde die Beschwerde abgewiesen. Das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts erwuchs am 22.06.2021 in Rechtskraft.

11. Der Beschwerdeführer stellte am 14.07.2021 einen Folgeantrag und gab dazu am selben Tag bei der Erstbefragung an, dass die Schwierigkeiten, die er hatte, nach wie vor aufrecht seien. Seine Familie habe aufgrund der Schwierigkeiten durch ihn fliehen müssen, dies wisse er seit ca 2 Jahren. Ferner habe er Depressionen, die sich im Falle einer Rückkehr nach Afghanistan verschlimmern würden, weil er dort niemanden habe, der sich um ihn kümmern könne, und die Sicherheitslage in Afghanistan sei sehr schlecht.

12. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid des BFA vom 08.08.2021 wurde der Antrag auf internationalen Schutz hinsichtlich des Status des Asylberechtigten (Spruchpunkt I.) und dieser Antrag auch hinsichtlich des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurückgewiesen (Spruchpunkt II.) Dem Beschwerdeführer wurde gemäß §§ 57 AsylG ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt (Spruchpunkt III.). Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG wurde gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkt IV.) und weiters gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.). Ferner wurde ausgeführt, dass gemäß § 55 Abs. 1a FPG keine Frist für die freiwillige Ausreise des Beschwerdeführers bestehe (Spruchpunkt VI.) und ein auf die Dauer von 6 Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt VII.).

In der Begründung dieses Bescheides wurde der bisherige Verfahrensgang dargestellt und Feststellungen zur Lage in Afghanistan einschließlich aktueller Auswirkungen der COVID-19-Pandemie mit Stand 01.09.2020 (letzte Änderungen vom 10. bzw. 11.06.2021) getroffen. Es wurde weiters festgestellt, dass der Beschwerdeführer im Verfahren keinen Sachverhalt vorgebracht habe, der nach dem rechtskräftigen Abschluss des Erstverfahrens entstanden sei.

13. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer fristgerecht mit Schriftsatz seiner Rechtsvertretung vom 23.08.2021 Beschwerde. Darin wurde vorgebracht, dass seit Rechtskraft des Erstverfahrens Änderungen im Hinblick auf die allgemeine Lage in Afghanistan und auf die persönliche Situation des Beschwerdeführers eingetreten seien. Die radikal-islamistischen Taliban hätten zwischenzeitig die Macht in Afghanistan übernommen und es sei die allgemeine Lage nunmehr anders zu bewerten als zum Zeitpunkt der Rechtskraft des Erstverfahrens des Beschwerdeführers. Weiters sei der Beschwerdeführer zwischenzeitig vom islamischen Glauben abgefallen und dadurch verstärkt einer asylrelevanten Verfolgung durch die Taliban ausgesetzt. Das Bundesamt habe es unterlassen, den Beschwerdeführer dahingehend zu befragen, daher sei das Verfahren mangelhaft gewesen. Die Situation in Afghanistan habe sich zwischen dem 18.06.2021 und dem 08.08.2021 erheblich geändert. Dies habe das Bundesamt in seiner Entscheidung nicht berücksichtigt.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der Beschwerdeführer ist afghanischer Staatsangehöriger und gehört der Volksgruppe der Tadschiken an, seine Muttersprache ist Dari. Seine Identität steht nicht fest. Der Beschwerdeführer wurde in Afghanistan geboren. Er ist sunnitischer Moslem. Er stellte im Juli 2016 nach illegaler Einreise in Österreich einen ersten Asylantrag.

Der erste Asylantrag des Beschwerdeführers wurde mit Erkenntnis des BVwG vom 18.06.2021 rechtskräftig sowohl bezüglich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten und auch bezüglich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan abgewiesen.

Die zur Begründung seines Folgeantrags behaupteten Bedrohungen wegen der schlechten Sicherheitslage und aufgrund der Tatsache, dass seine Familie vor zwei Jahren wegen seiner behaupteten Probleme Afghanistan verlassen musste, stellen keine neu entstandenen konkreten Tatsachen dar.

Asylrelevante Gründe für das Verlassen des Herkunftsstaates bzw. derartige Gründe, die eine Rückführung des Beschwerdeführers in den Herkunftsstaat unzulässig machen würden, liegen auch sonst nicht vor.

Die im angefochtenen Bescheid getroffenen Feststellungen über die Lage im Herkunftsstaat beruhen auf dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation. Allfällige Auswirkungen des notorisch mit Mai 2021 erfolgten Abzuges der Koalitionstruppen und Sicherheitskräfte und der seither intensivierten Offensive von regierungsfeindlichen Kräften in Afghanistan wurden im angefochtenen Bescheid lediglich auf den Seiten 20 sowie 58/59 hinsichtlich Ereignissen im Mai/Anfang Juni 2021 und mit Bezug auf einige näher genannte Distrikte von Afghanistan getroffen. Die Länderfeststellungen des angefochtenen Bescheids über die Sicherheitslage in Kabul stützen sich auf Quellen aus den Jahren 2017 bis 2020 und lediglich vereinzelt aus dem Jahr 2021 und weisen daher keine Aussagekraft darüber aus, ob dem Beschwerdeführer im Hinblick auf die jeweilige Sicherheitslage tatsächlich im Entscheidungszeitpunkt eine Rückkehr nach Kabul bzw. Herat oder Mazar-e Sharif zumutbar ist.

2. Beweiswürdigung:

Die Feststellungen zur persönlichen Situation des Beschwerdeführers ergeben sich aus seinen Angaben in den Verfahren über seine Anträge auf internationalen Schutz.

Dass der Beschwerdeführer sunnitischer Moslem ist, ergibt sich aus seinen eigenen durchgehend gleichbleibenden Aussagen (zuletzt am 06.08.2021, Niederschrift S 4).

Die Feststellungen über den Verfahrensgang und den rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens über den ersten Antrag des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz ergeben sich aus den Verwaltungsakten und den Akten des Bundesverwaltungsgerichts.

Die zur Begründung seines Folgeantrages vorgebrachten Behauptungen des Beschwerdeführers, dass er wegen der schlechten Sicherheitslage, seiner psychischen Erkrankung und aufgrund der Tatsache, dass seine Familie vor zwei Jahren wegen seiner behaupteten Probleme Afghanistan verlassen musste, bilden keine Neuerungen und es lässt sich daraus keine konkrete Verfolgungsgefahr ableiten. Dies ergibt sich aus der schlüssigen Beweiswürdigung des angefochtenen Bescheids.

3. Rechtliche Beurteilung:

3.1. Rechtliche Grundlagen

Gemäß § 68 Abs. 1 AVG sind Anbringen von Beteiligten, die außer den Fällen der §§ 69 und 71 AVG die Abänderung eines der Beschwerde nicht oder nicht mehr unterliegenden Bescheides begehren, wegen entschiedener Sache zurückzuweisen, wenn die Behörde nicht Anlass zu einer Verfügung gemäß § 68 Abs. 2 bis 4 AVG findet.

Nach der Rechtsprechung zu dieser Bestimmung liegen verschiedene „Sachen“ im Sinne des § 68 Abs. 1 AVG vor, wenn in der für den Vorbescheid (für das Vorerkenntnis) maßgeblichen Rechtslage oder in den für die Beurteilung des Parteibegehrens im Vorbescheid (Vorerkenntnis) als maßgeblich erachteten tatsächlichen Umständen eine Änderung eingetreten ist, oder, wenn das neue Parteibegehren von dem früheren abweicht. Eine Modifizierung, die nur für die rechtliche Beurteilung der Hauptsache unerhebliche Nebenumstände betrifft, kann an der Identität der Sache nichts ändern. Es kann aber nur eine solche behauptete Änderung des Sachverhaltes die Behörde zu einer neuen Sachentscheidung - nach etwa notwendigen amtswegigen Ermittlungen - berechtigen und verpflichten, der für sich allein oder in Verbindung mit anderen Tatsachen rechtlich Asylrelevanz zukäme; eine andere rechtliche Beurteilung des Antrages darf nicht von vornherein ausgeschlossen sein (vgl. etwa VwGH vom 04.11.2004, Zl. 2002/20/0391, mwN).

Eine neue Sachentscheidung ist, wie sich aus § 69 Abs. 1 Z 2 AVG ergibt, auch im Fall desselben Begehrens aufgrund von Tatsachen und Beweismitteln, die schon vor Abschluss des vorangegangenen Verfahrens bestanden haben, ausgeschlossen, sodass einem Asylfolgeantrag, der sich auf einen vor Beendigung des Verfahrens über den ersten Asylantrag verwirklichten Sachverhalt stützt, die Rechtskraft des über den Erstantrag absprechenden Bescheides entgegensteht (vgl. VwGH vom 25.04.2007, Zl. 2004/20/0100, mwN).

Als Vergleichsbescheid (Vergleichserkenntnis) ist der Bescheid (das Erkenntnis) heranzuziehen, mit dem zuletzt in der Sache entschieden wurde. Dem neuen Tatsachenvorbringen muss eine Sachverhaltsänderung zu entnehmen sein, die - falls feststellbar - zu einem anderen Ergebnis als im ersten Verfahren führen kann, wobei die behauptete Sachverhaltsänderung zumindest einen „glaubhaften Kern“ aufweisen muss, dem Asylrelevanz zukommt und an den die oben erwähnte positive Entscheidungsprognose anknüpfen kann (vgl. VwGH vom 12.10.2016, Ra 2015/18/0221, vom 25.02.2016, Ra 2015/19/0267 und vom 19.02.2009, Zl. 2008/01/0344). Die Behörde hat sich insoweit bereits bei der Prüfung der Zulässigkeit des (neuerlichen) Asylantrages mit der Glaubwürdigkeit des Vorbringens des Beschwerdeführers (und gegebenenfalls mit der Beweiskraft von Urkunden) auseinander zu setzen. Ergeben die Ermittlungen der Behörde, dass eine Sachverhaltsänderung, die eine andere Beurteilung nicht von vornherein ausgeschlossen erscheinen ließe, entgegen den Behauptungen der Partei in Wahrheit nicht eingetreten ist, so ist der Asylantrag gemäß § 68 Abs. 1 AVG zurückzuweisen. (VwGH vom 21.10.1999, Zl. 98/20/0467; vgl. auch VwGH vom 17.09.2008, Zl. 2008/23/0684 und vom 19.02.2009, Zl. 2008/01/0344).

Wird die seinerzeitige Verfolgungsbehauptung aufrechterhalten und bezieht sich der Asylwerber auf sie, so liegt nicht ein wesentlich geänderter Sachverhalt vor, sondern es wird der Sachverhalt bekräftigt (bzw. sein „Fortbestehen und Weiterwirken“ behauptet; vgl. VwGH vom 20.03.2003, Zl. 99/20/0480), über den bereits rechtskräftig abgesprochen worden ist. Mit einem solchen Asylantrag wird daher im Ergebnis die erneute sachliche Behandlung einer bereits rechtskräftig entschiedenen Sache bezweckt (vgl. VwGH vom 07.06.2000, Zl. 99/01/0321).

Ein auf das AsylG 2005 gestützter Antrag auf internationalen Schutz ist nicht bloß auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, sondern hilfsweise - für den Fall der Nichtzuerkennung dieses Status - auch auf die Gewährung von subsidiärem Schutz gerichtet. Dies wirkt sich ebenso bei der Prüfung eines Folgeantrages nach dem AsylG 2005 aus; Asylbehörden sind verpflichtet, Sachverhaltsänderungen nicht nur in Bezug auf den Asylstatus, sondern auch auf den subsidiären Schutzstatus zu prüfen (vgl. VfGH vom 29.06.2011, U 1533/10, und VwGH vom 19.02.2009, Zl. 2008/01/0344 mwN).

„Sache“ des vorliegenden Beschwerdeverfahrens im Sinne des § 28 Abs. 2 VwGVG ist nur die Frage, ob das BFA zu Recht den neuerlichen Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 68 Abs. 1 AVG zurückgewiesen hat (vgl. dazu VwGH vom 13.11.2014, Ra 2014/18/0025).

Die Rechtsmittelbehörde darf nur über die Frage entscheiden, ob die Zurückweisung (wegen entschiedener Sache) durch die Vorinstanz zu Recht erfolgt ist und hat dementsprechend entweder - im Falle des Vorliegens entschiedener Sache - das Rechtsmittel abzuweisen oder - im Falle der Unrichtigkeit dieser Auffassung - den bekämpften Bescheid ersatzlos mit der Konsequenz zu beheben, dass die erstinstanzliche Behörde in Bindung an die Auffassung der Rechtsmittelbehörde den gestellten Antrag jedenfalls nicht neuerlich wegen entschiedener Sache zurückweisen darf. Es ist der Rechtsmittelbehörde aber verwehrt, über den Antrag selbst meritorisch zu entscheiden (VwSlg 2066A/1951, VwGH vom 30.05.1995, Zl. 93/08/0207; Walter/Thienel, Verwaltungsverfahren², 1433 mwH).

Es ist Sache der Partei, die in einer rechtskräftig entschiedenen Angelegenheit eine neuerliche Sachentscheidung begehrt, dieses Begehren zu begründen (VwGH vom 08.09.1977, Zl. 2609/76). Die Prüfung der Zulässigkeit einer Durchbrechung der Rechtskraft aufgrund geänderten Sachverhaltes darf ausschließlich anhand jener Gründe erfolgen, die von der Partei in erster Instanz zur Begründung ihres Begehrens auf neuerliche Entscheidung geltend gemacht werden (VwGH vom 23.05.1995, Zl 94/04/0081).

Der Begriff Identität der Sache muss in erster Linie aus einer rechtlichen Betrachtungsweise heraus beurteilt werden. Dies bedeutet, dass den behaupteten geänderten Umständen Entscheidungsrelevanz zukommen muss (VwGH vom 30.01.1995, 94/10/0162 ua). Einer neuen Sachentscheidung steht die Rechtskraft eines früher in der gleichen Angelegenheit ergangenen Bescheides gemäß § 68 Abs. 1 AVG nur dann nicht entgegen, wenn in den für die Entscheidung maßgebenden Umständen eine Änderung eingetreten ist (VwGH 07.12.1988, 86/01/0164). Die Beantwortung der Frage, ob sich die nach dem früheren Bescheid maßgeblich gewesene Sachlage derart geändert hat, dass die Erlassung eines neuen Bescheides in Betracht kommt, setzt voraus, dass der bestehende Sachverhalt an der diesen Bescheid zu Grunde liegenden Rechtsanschauung und ihrem normativen Hintergrund gemessen wird, und zwar nach der selben Methode, mit der er im Falle einer neuen Sachentscheidung an der Norm selbst zu messen wäre (Hauer/Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens, fünfte Auflage, E 19 b zu § 68 AVG).

3.2. Zu Spruchpunkt I.

Wie bereits oben ausgeführt bringt der Beschwerdeführer im gegenständlichen Verfahren lediglich Fluchtgründe, die sich vor Rechtskraft des Erkenntnisses des Bundesverwaltungsgerichtes vom 18.06.2021 ereignet hätten, vor, die zudem, wie im ursprünglichen Verfahren dargestellt, keinen glaubhaften Kern aufweisen, weswegen sich auf Grund des individuellen Vorbringens des Beschwerdeführers eine neuerliche Sachentscheidung verbietet. Auch die nunmehr behauptete Flucht der Familie des Beschwerdeführers aus Afghanistan ist dem Beschwerdeführer bereits seit zwei Jahren bekannt.

Der erstmals in der Beschwerde aufgestellten Behauptung einer Apostasie des Beschwerdeführers ist entgegen zu halten, dass die Prüfung der Zulässigkeit einer Durchbrechung der Rechtskraft aufgrund geänderten Sachverhaltes ausschließlich anhand jener Gründe erfolgen darf, die von der Partei in erster Instanz zur Begründung ihres Begehrens auf neuerliche Entscheidung geltend gemacht werden (VwGH vom 23.05.1995, Zl 94/04/0081). Der Beschwerdeführer sagte in der Erstbefragung auf die Frage nach der Religionszugehörigkeit aus, dass er sunnitischer Moslem sei (Protokoll Erstbefragung S 2). Am 06.08.2021 wurde er vor dem Bundesamt einvernommen und beantwortete die Frage „Welchen Glauben haben Sie?“ mit „Ich bin sunnitischer Moslem“ (Niederschrift S 4). Es kann daher kein Verfahrensmangel darin erblickt werden, wenn das Bundesamt keine weiteren Nachforschungen in Hinblick auf einen Abfall vom islamischen Glauben angestellt hat. Im Fall hinreichend deutlicher Hinweise im Vorbringen eines Asylwerbers auf einen Sachverhalt, der für die Glaubhaftmachung wohl begründeter Furcht vor Verfolgung im Sinn der Flüchtlingskonvention in Frage kommt, hat die Behörde zwar gemäß § 28 AsylG in geeigneter Weise auf eine Konkretisierung der Angaben des Asylwerbers zu dringen. Aus dieser Gesetzesstelle kann jedoch keine Verpflichtung der Behörde abgeleitet werden, Asylgründe, die der Asylwerber gar nicht behauptet hat, zu ermitteln (VwGH vom 14. Oktober 1998, Zl. 98/01/0222).

Der Folgeantrag ist daher zurecht hinsichtlich der Zuerkennung des Status eines Asylberechtigten zurückgewiesen worden.

3.3. Zu Spruchpunkt II.

In den persönlichen Verhältnissen des Beschwerdeführers sind keinerlei Umstände eingetreten, die eine Rückkehr nach Afghanistan im Gegensatz zur ursprünglichen Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes vom 18.06.2021 nicht mehr für möglich und zumutbar erscheinen ließe.

Zwar hat der Beschwerdeführer eine psychische Erkrankung geltend gemacht, doch ergibt sich aus den Feststellungen, dass diese nicht lebensbedrohlich ist, und auch nicht erkannt werden kann, dass der Beschwerdeführer in seiner Erwerbsfähigkeit in relevanter Weise eingeschränkt wäre, weswegen insofern auch keine maßgebliche Sachverhaltsänderung erkannt werden kann. Der BF leidet an keiner die hohe Schwelle des Art. 3 EMRK überschreitenden, lebensbedrohlichen Krankheit und es ist nicht davon auszugehen, dass sein Gesundheitszustand wegen seiner Rückkehr nach Afghanistan lebensbedrohend beeinträchtigt wird oder der Beschwerdeführer durch die Abschiebung einem realen Risiko ausgesetzt würde, unter qualvollen Umständen zu sterben. Zudem hat der BF auch nicht dargetan, dass er hiedurch etwa nicht erwerbsfähig wäre.

Der angefochtene Bescheid enthält jedoch keine aktuellen Feststellungen über die allgemeine Sicherheitslage im Herkunftsstaat, insbesondere in der als Ziel einer zumutbaren Rückkehr des Beschwerdeführers bezeichneten Städte Kabul bzw. Herat oder Mazar-e Sharif, wo er zufolge der rechtskräftigen Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 18.06.2021 Sicherheit finden könne. Er vermag daher den Abspruch nicht zu tragen, dass hinsichtlich der Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten kein neuer Sachverhalt eingetreten sei, da die jüngsten notorischen Entwicklungen mit dem Abzug der internationalen Sicherheitskräfte, der verstärkten Offensive regierungsfeindlicher Gruppierungen sowie der schrittweisen Eroberung durch die Taliban nicht berücksichtigt wurden.

Spruchpunkt II. des angefochtenen Bescheids ist daher zu beheben. Dies bedeutet, dass auch die weiteren Spruchpunkte des angefochtenen Bescheids , die dessen Bestehen voraussetzen, zu beheben sind.

3.4. Entfall der mündlichen Verhandlung

Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag, oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen.

Gemäß § 21 Abs. 7 BFA-VG kann eine mündliche Verhandlung unterbleiben, wenn der Sachverhalt aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt erscheint oder sich aus den bisherigen Ermittlungen zweifelsfrei ergibt, dass das Vorbringen nicht den Tatsachen entspricht.

Der Verwaltungsgerichtshof hat sich grundlegend mit Erkenntnis vom 28.05.2014, Ra 2014/20/0017 (vgl. zur seitdem ständigen Rechtsprechung zuletzt etwa VwGH vom 01.03.2018, Ra 2017/19/0410; 20.09.2018, Ra 2018/20/0173), mit der Frage des Entfalls einer mündlichen Verhandlung unter Auslegung des § 21 Abs. 7 BFA-VG befasst, wobei dem Grunde nach die zuvor zitierte Judikaturlinie der Höchstgerichte beibehalten wird. Daraus resultierend ergeben sich für die Auslegung des § 21 Abs. 7 BFA-VG folgende maßgeblichen Kriterien: Der für die rechtliche Beurteilung entscheidungswesentliche Sachverhalt muss von der Verwaltungsbehörde vollständig in einem ordnungsgemäßen Ermittlungsverfahren erhoben worden sein und bezogen auf den Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes immer noch die gesetzlich gebotene Aktualität und Vollständigkeit aufweisen. Die Verwaltungsbehörde muss die die entscheidungsmaßgeblichen Feststellungen tragende Beweiswürdigung in gesetzmäßiger Weise offengelegt haben und das Bundesverwaltungsgericht diese tragenden Erwägungen der verwaltungsbehördlichen Beweiswürdigung teilen. In der Beschwerde darf kein dem Ergebnis des behördlichen Ermittlungsverfahrens entgegenstehender oder darüberhinausgehender für die Beurteilung relevanter Sachverhalt behauptet werden, wobei bloß unsubstantiiertes Bestreiten ebenso außer Betracht bleibt wie ein Vorbringen, das gegen das in § 20 BFA-VG festgelegte Neuerungsverbot verstößt.

Im vorliegenden Fall hat das Bundesverwaltungsgericht keine neuen Beweismittel beigeschafft und sich in seiner Beurteilung der Richtigkeit der von der Behörde vorgenommenen Zurückweisung des Folgeantrags des Beschwerdeführers auf internationalen Schutz hinsichtlich des Status eines Aslyberechtigten wegen entschiedener Sache gemäß § 68 AVG ausschließlich auf die nachvollziehbaren Ausführungen im angefochtenen Bescheid gestützt. Die Behörde hat im angefochtenen Bescheid dargetan, dass das nunmehrige Vorbringen des Beschwerdeführers keine Neuerung hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten darstellt. Das nunmehr neue Vorbringen, der Beschwerdeführer sei vom Islam abgefallen und die belangte Behörde sei der amtswegigen Ermittlungspflicht nicht entsprechend nachgekommen, konnte aufgrund der Aktenlage als unbeachtlich beurteilt werden.

Die mangelnde Aktualität der Feststellungen des angefochtenen Bescheids über die Lage im Herkunftsstaat hinsichtlich der Frage der Zuerkennung des Status eines subsidiär Schutzberechtigten liegt angesichts der notorischen Entwicklungen auf der Hand.
Sohin ist der gegenständliche Sachverhalt iSd § 21 Abs. 7 BFA-VG aus der Aktenlage in Verbindung mit der Beschwerde geklärt und konnte trotz des diesbezüglich in der Beschwerde gestellten Antrages des Beschwerdeführers eine mündliche Verhandlung unterbleiben.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Die ordentliche Revision war somit nicht zuzulassen.

Schlagworte

aktuelle Länderfeststellungen Behebung der Entscheidung entschiedene Sache Glaubwürdigkeit individuelle Verhältnisse Kassation Voraussetzungen

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W287.2176672.3.00

Im RIS seit

08.11.2021

Zuletzt aktualisiert am

08.11.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten