Entscheidungsdatum
15.09.2021Norm
AsylG 2005 §3 Abs1Spruch
W109 2217312-1/20E
IM NAMEN DER REPUBLIK!
Das Bundesverwaltungsgericht erkennt durch den Richter Mag. BÜCHELE über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX (alias XXXX ), StA. Afghanistan, vertreten durch WEH Rechtsanwalt GmbH, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Burgenland, vom 14.03.2019, Zl. XXXX - XXXX , nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 12.07.2021 zu Recht:
A)
I. Die Beschwerde wird hinsichtlich Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.
II. Der Beschwerde wird hinsichtlich der Spruchpunkt II. bis VI. des angefochtenen Bescheides stattgegeben und XXXX gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 der Status des subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Afghanistan zuerkannt.
III. Gemäß § 8 Abs. 4 AsylG 2005 wird XXXX eine befristete Aufenthaltsberechtigung als subsidiär Schutzberechtigter für ein Jahr erteilt.
B)
Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Am 23.09.2016 stellte der Beschwerdeführer, ein afghanischer Staatsangehöriger und Angehöriger der Volksgruppe der Hazara, einen Antrag auf internationalen Schutz.
Am 24.09.2016 gab der Beschwerdeführer im Rahmen der Erstbefragung im Wesentlichen an, er sei afghanischer Staatsangehöriger, zuletzt in Kabul gelebt und habe neun Jahre die Schule besucht. Zum Fluchtgrund befragt führte er aus, sein Vater habe ihm ein Haus vererbt. Sein Onkel habe ihn bedroht, wenn er ihm das Haus nicht gebe, würde er ihn töten. Er habe den Vertrag nicht unterschrieben und sei geflohen. Er fürchte um sein Leben.
Am 08.02.2019 führte der Beschwerdeführer in der niederschriftlichen Videoeinvernahme gemäß § 51a AVG vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zu seinen Fluchtgründen auf das Wesentliche zusammengefasst aus, der Onkel väterlicherseits habe nach dem Tod des Vaters ihr Haus haben wollen. Der Onkel habe Beziehungen zu Politikern, Kommandanten und Generälen. Der Vater sei an einer Gehirnblutung gestorben. Der Onkel habe in der Folge gefordert, dass das Haus auf ihn überschrieben werde, die Mutter sei allein und der Beschwerdeführer minderjährig, sie könnten sich nicht um das Haus kümmern. Sie hätten nicht gewollt, dass er das Haus bekomme und ihm nicht vertrauen können. Der Onkel des Beschwerdeführers habe ihn mehrmals aufgefordert, eines Tages sei der Beschwerdeführer am Heimweg von der Schule am Geschäft des Onkels vorbeigegangen. Der habe ihn zum Essen eingeladen, er habe nicht ablehnen können. Der Onkel habe wieder von dem Erbe angefangen. Der Beschwerdeführer habe ihm gesagt, es sei sein Erbe und er wolle das Haus behalten. Der Onkel habe gesagt, es sei in Ordnung und der Beschwerdeführer ihm geglaubt. Der Onkel habe gesagt, es solle bei ihm übernachten. Der Beschwerdeführer habe das Angebot angenommen, weil es schon spät und nachts allgemein unsicher sei. Nachts habe der Onkel versucht, ihn mit einem Kopfkissen zu ersticken. Er habe sich gewehrt und um Hilfe geschrien. Es habe an der Haustüre geklopft und der Onkel habe gewartet, dass die Leute gehen würden, aber sie hätten weiter geklopft. Der Onkel habe die Tür aufmachen müssen, da habe der Beschwerdeführer fliehen können. Er sei zu einem Schulfreund und habe von dort seine Mutter angerufen und ihr erzählt, was passiert sei und gesagt, sie solle dem Onkel die Tür nicht öffnen. Am nächsten Vormittag sei die Mutter ebenso zum Schulfreund gekommen und habe erzählt, dass es am Morgen um fünf Uhr geklopft, sie aber nicht geöffnet habe. Die Mutter habe einen Bekannten angerufen, zu dem der Beschwerdeführer mit dem öffentlichen Bus gefahren sei. Die Mutter sei wieder nach Hause und der Onkel sei am Nachmittag gekommen und habe den Beschwerdeführer gesucht. Er habe auch in der Arbeit des Beschwerdeführers gefragt und zur Mutter und dem Arbeitgeber gesagt, er werde den Beschwerdeführer töten. Die Mutter habe den Beschwerdeführer angerufen und ihm gesagt, dass es ernst sei. Zwei Tage später hätten sie ein Haus zur Miete gefunden und seien umgezogen. Sie seien zur Polizei gegangen, sie hätten gesagt, sie würden ermitteln. Nach einem Monat hätten sie nichts von der Polizei gehört. Der Beschwerdeführer sei in den Iran geflüchtet. Außerdem sei er Hazara und Schiit und werde deshalb von den Paschtunen und den Taliban verfolgt. Das Haus sei vermietet. Die Taliban würden ihn töten, weil er von einem nichtmuslimischen Land zurückkehre.
Am 07.03.2019 langte eine Stellungnahme des Beschwerdeführers bei der belangten Behörde ein
2. Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom 14.03.2019, zugestellt am 18.03.2019, wies die belangte Behörde den Antrag des Beschwerdeführers hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 (Spruchpunkt I.) sowie hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten § 8 Abs. 1 AsylG 2005 iVm § 2 Abs. 1 Z 13 AsylG 2005 ab (Spruchpunkt II.), erteilte dem Beschwerdeführer keinen Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG 2005 (Spruchpunkt III.), erließ gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG (Spruchpunkt IV.) und stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei (Spruchpunkt V.). Die Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkt VI.). Begründend führte die belangte Behörde aus, das Vorbringen sei nicht glaubhaft bzw. nicht asylrelevant. Eine Gruppenverfolgung schiitischer Hazara sei nicht gegeben. Allein der Aufenthalt in Europa Der Beschwerdeführer könne nach Kabul zurückkehren.
3. Am 03.04.2019 langte die vollumfängliche Beschwerde des Beschwerdeführers gegen den oben dargestellten Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl bei der belangten Behörde ein in der im Wesentlichen ausgeführt wird, das Vorbringen sei glaubhaft. Der Beschwerdeführer werde wegen der Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe durch nichtstaatliche Akteure verfolgt und habe seinen Heimatstaat mangels dessen Fähigkeit, ihn vor dieser Verfolgung zu schützen, verlassen. Schiitische Hazara seien ständiger Verfolgung ausgesetzt. Die Sicherheitslage sei schlecht.
Mit Schriftsatz vom 12.09.2019 ergänzte der Beschwerdeführer sein Beschwerdevorbringen. Der Beschwerdeführer habe bei der Videoeinvernahme den Beamten nicht zu Gesicht bekommen, auf dem Bildschirm seien nur Schreibkraft und Dolmetscher zu sehen gewesen. Die Einvernahme habe laut Protokoll sieben Stunden gedauert, es habe nur zwei kurze Pausen gegeben. Als der Beschwerdeführer bei der Rückübersetzung Protokollierungsfehler beanstandet und Ausbesserungen beantragt habe, sei ihm mitgeteilt worden, dass dies nicht möglich sei, weil „Eisenstadt nicht mehr online“ sei. Der Ton sei wiederholt auf stumm geschalten worden. Die Einvernahme über Videokonferenz sei unzulässig und nichtig. Sie sei eine Schikane. Das Protokoll weise Unrichtigkeiten auf, sei nicht unterschrieben und unbrauchbar. Beantragt wurde, dass das Ergebnis der Videokonferenz für nichtig erklärt und eine neuerliche Anhörung in Feldkirch vor lebenden Menschen durchgeführt werde. Die Regionaldirektion Burgenland sei für den Beschwerdeführer unzuständig. Nach § 3 Z 3 AVG sei die Behörde am Wohnort der Partei zuständig, es gebe keinerlei sachliche Rechtfertigung, warum das im Fremdenrecht anders sein solle. Beantragt wurde, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und den Akt dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion Vorarlberg, zur neuerlichen Vernehmung und Behandlung abzutreten. Hazara würden verfolgt. Die Existenz des Beschwerdeführers in Afghanistan sei gefährdet. Der Beschwerdeführer sei hervorragend integriert.
Mit Beschluss des Geschäftsverteilungsausschusses vom 15.04.2020 wurde die gegenständliche Rechtssache der bis dahin zuständigen Gerichtsabteilung abgenommen und in der Folge der nunmehr zuständigen Gerichtsabteilung neu zugewiesen.
Am 06.07.2021 langte eine Stellungnahme des Beschwerdeführers am Bundesverwaltungsgericht ein, in der im Wesentlichen ausgeführt wird, der Beschwerdeführer sei ausgezeichnet integriert. Die Sicherheitslage sei schlecht, es drohe eine humanitäre Katastrophe. Rückkehrer seien gefährdet.
Am 12.07.2021 führte das Bundesverwaltungsgericht zur Ermittlung des entscheidungswesentlichen Sachverhaltes eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an der der Beschwerdeführer, sein bevollmächtigter Rechtsvertreter, ein Vertreter der belangten Behörde und ein Dolmetscher für die Sprache Dai teilnahmen.
In der mündlichen Verhandlung wurde der Beschwerdeführer zu seinen Fluchtgründen befragt und hielt sein Vorbringen, ihm drohe im Herkunftsstaat die Ermordung durch seinen Onkel, aufrecht. Zudem gab der Beschwerdeführer an, er beabsichtige, zum Christentum zu konvertieren.
Am 13.07.2021 langte eine Stellungnahme der belangten Behörde am Bundesverwaltungsgericht ein, in der diese ausführt, das Vorbringen sei nicht glaubhaft und liege kein GFK-relevanter Sachverhalt vor. Zur behaupteten westlichen Lebenseinstellung wird ausgeführt, es sei nicht ersichtlich, inwiefern der Beschwerdeführer mit seiner Einstellung nicht zurückkehren könne und nicht bereits sei, diese unter andernfalls drohendem Druck an die Moralanschauung des Herkunftsstaates anzupassen bzw. stelle diese keinen deutlichen und nachhaltigen Bruch mit den allgemein verbreiteten gesellschaftlichen Werten dar. Sie sei auch nicht bedeutsam für Identität oder Gewissen. Im Hinblick auf Männer gebe es nur sehr wenige Vorfälle im Zusammenhang mit Verwestlichung. Von einer pauschalen Verfolgung wegen der ethnischen Zugehörigkeit gehe die laufende Rechtsprechung nicht aus. Der Beschwerdeführer verfüge über soziale Anknüpfungspunkte, Berufserfahrung, Ortskenntnisse in Kabul und habe sich in Österreich weitere Kenntnisse angeeignet. Er könne seine Existenz sichern.
Am 23.08.2021 langte eine Erledigungsbitte des Beschwerdeführers ein, in der ausgeführt wird, seit der mündlichen Verhandlung habe sich die Sicherheitslage massiv verschlechtert, jede Rückkehrentscheidung sei unzulässig.
Am 09.09.2021 langte eine neuerliche Erledigungsbitte des Beschwerdeführers ein.
Der Beschwerdeführer legte im Lauf des Verfahrens folgende Dokumente vor:
? Teilnahmebestätigungen für Kurse und Projekte
? Mehrere Empfehlungsschreiben
? Medizinische Unterlagen
? Bewerbungsunterlagen
? Mehrere Fotos
? Zeugnisse zum Pflichtschulabschluss
? Besitzurkunde
? Polizeibericht
? Integrationsprüfungszeugnis B1
? Bestätigung über gemeinnützige Tätigkeit
? Lehrvertrag
? Dokumentenkonvolut zur Mitgliedschaft bei der freiwilligen Feuerwehr
? Einstellungszusage
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
1.1. Zu Person und Lebensumständen Beschwerdeführers
Der Beschwerdeführer trägt den im Spruch angeführten Namen, wurde spätestens am XXXX geboren und ist Staatsangehöriger der Islamischen Republik Afghanistan und Angehöriger der Volksgruppe der Hazara. Er bekennt sich zur schiitischen Glaubensrichtung des Islam. Die Muttersprache des Beschwerdeführers ist Dari. Er spricht auch Englisch und Deutsch zumindest auf dem Niveau B1 des gemeinsamen europäischen Referenzrahmens für Sprachen.
Der Beschwerdeführer leidet an einer Anpassungsstörung. Er ist in Österreich strafgerichtlich unbescholten.
Der Beschwerdeführer wurde in XXXX , Provinz Parwan geboren und lebte ab dem fünften Lebensjahr in Kabul, wo er neun Jahre die Schule besucht und daneben als KFZ-Mechaniker gearbeitet hat. Der Vater des Beschwerdeführers hatte ein Lebensmittelgeschäft. Die Familie lebte im eigenen Haus.
Der Vater des Beschwerdeführers verstarb einige Monate vor der Ausreise an einer Gehirnblutung. Sein Lebensmittelgeschäft wurde zur Finanzierung der Ausreise verkauft. Die Mutter des Beschwerdeführers lebt nach wie vor in Kabul in einer Mietwohnung, ihren Lebensunterhalt bestreitet sie aus Mieteinkünften für das Haus der Familie. Kontakt besteht.
Der Beschwerdeführer hat keine Geschwister. Ein Onkel väterlicherseits und ein Onkel mütterlicherseits leben ebenso in Kabul. Sie sind verheiratet und haben Kinder.
Der Beschwerdeführer reiste im September 2016 in das Bundesgebiet ein. Er hat zahlreiche Kurse und Workshops besucht und im Jahr 2019 die Pflichtschulabschlussprüfung und die Integrationsprüfung für das Niveau B1 des gemeinsamen europäischen Referenzrahmens für Sprachen bestanden. Zuletzt hat der Beschwerdeführer eine HAK besucht.
Seit Mai 2018 ist der Beschwerdeführer bei der Ortsfeuerwehr Wolfurt aktiv und hat dort diverse Schulungen und Ausbildungen absolviert und nimmt auch an deren Einsätzen und gesellschaftlichen Ereignissen teil. Der Beschwerdeführer hat außerdem gemeinnützige Arbeit geleistet. Der Beschwerdeführer verfügt über eine Einstellungszusage für ein Lehrverhältnis.
Der Beschwerdeführer hat sich im Bundesgebiet einen großen Freunde- und Bekanntenkreis aufgebaut. Er hat seit vier Jahren eine Freundin und pflegt auch ein enges Verhältnis zu deren Eltern. Der Beschwerdeführer und seine Freundin wollen eine gemeinsame Wohnung beziehen und sind auf Wohnungssuche.
1.2. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers
Eine konkrete Konversionsabsicht des Beschwerdeführers wird nicht festgestellt.
Der Vater des Beschwerdeführers verstarb im Jahr 2015 an einer Gehirnblutung, wodurch der Beschwerdeführer dessen Haus erbte.
Er wurde in der Folge von seinem Onkel väterlicherseits unter Druck gesetzt, er solle ihm das Haus überschreiben. Der Beschwerdeführer und seiner Mutter wollten dieser Forderung nicht nachkommen.
Eines Tages wurde der Beschwerdeführer als er am Heimweg von der Schule an dessen Geschäft vorrüberkam von seinem Onkel zum Abendessen eingeladen. Er kam dieser Einladung aus Gründen des Anstandes nach. Beim Essen kam der Onkel erneut auf das Haus zu sprechen und der Beschwerdeführer lehnte erneut ab, ihm das Haus zu überlassen. Weil es schon spät war nahm er die Einladung seines Onkels, über Nacht zu bleiben, an. In der Nacht versuchte der Onkel den Beschwerdeführer mit einem Kissen zu ersticken. Der Beschwerdeführer wurde hiervon wach, wehrte sich und schrie um Hilfe, bis es an der Tür klopfte und der Onkel schließlich die Türe öffnen musste. Dadurch gelang dem Beschwerdeführer die Flucht und er ging zu einem Schulfreund. Von dort rief er seine Mutter an und schilderte den Vorfall. In derselben Nacht erschien der Onkel auch beim Beschwerdeführer zuhause und klopfte an die Tür. Die Mutter öffnete ihm jedoch nicht. Der Beschwerdeführer reiste schließlich aus.
Das Haus steht weiterhin im Eigentum des Beschwerdeführers und ist vermietet. Die Mutter des Beschwerdeführers lebt von diesen Einkünften.
Die Minderheit der schiitischen Hazara macht etwa 9-10% der Bevölkerung aus, Die Hazara besiedelten traditionell das Bergland in Zentralafghanistan, das sich zwischen Kabul im Osten und Herat im Westen erstreckt; der Hazaradjat umfasst die Provinzen Bamyan, Ghazni, Daikundi und den Westen der Provinz Maidan Wardak sowie Teile der Provinzen Ghor, Uruzgan, Parwan, Samangan, Baghlan, Balkh, Badghis, und Sar-e Pul. Jahrzehntelange Kriege und schwierige Lebensbedingungen haben viele Hazara aus ihrer Heimatregion in die afghanischen Städte, insbesondere nach Kabul, getrieben. Wichtige Merkmale der ethnischen Identität der Hazara sind ihr ethnisch-asiatisches Erscheinungsbild. Ethnische Hazara sind mehrheitlich Zwölfer-Schiiten. Die schiitische Religionszugehörigkeit gehört zum ethnischen Selbstverständnis der Hazara, Ethnien- und Religionszugehörigkeit sind in Afghanistan häufig untrennbar verbunden.
Hazara werden am Arbeitsmarkt diskriminiert. Soziale Diskriminierung gegen schiitische Hazara, basierend auf Klasse, Ethnie oder religiösen Ansichten, finden ihre Fortsetzung in Erpressung (illegale Steuern), Zwangsrekrutierung, Zwangsarbeit, physischer Misshandlung und Inhaftierung.
Die Hazara wurden während der Taliban-Herrschaft 1996-2001 besonders verfolgt. Seit 2001 hat sich ihre Lage grundsätzlich verbessert und Hazara bekleideten zunehmend prominente Stellen in Regierung und öffentlichem Leben. Die traditionell marginalisierte schiitische muslimische Minderheit, zu der die meisten ethnischen Hazara gehören, genießt seit 2001 eine zunehmende politische Repräsentation und Beteiligung an nationalen Institutionen. Hazara waren in der öffentlichen Verwaltung unterrepräsentiert.
Der ISKP verfügt in Afghanistan über sehr begrenzte territoriale Kontrolle, ist jedoch in der Lage, in unterschiedlichen Teilen des Landes Angriffe durchzuführen. Es kommt zu Angriffen durch den ISKP auf schiitische Hazara, etwa in Kabul und Herat. Ziel sind insbesondere Orte, an denen Schiiten zusammenkommen, etwa Moscheen, politische Demonstrationen oder Hazara-dominierte Wohnviertel. Diese Angriffe stehen im Zusammenhang mit der schiitischen Glaubenszugehörigkeit der Hazara sowie mit deren – nach Wahrnehmung des ISKP – Nähe und Unterstützung des Iran und des Kampfes gegen den IS in Syrien.
Es kam in der Vergangenheit auch zu Entführungen und Tötungen von Angehörigen der Volksgruppe der Hazara auf den Straßen durch regierungsfeindliche Kräfte, insbesondere durch die Taliban. Es gibt Vorfälle, bei denen Hazara-Reisende ausgesondert und getötet oder entführt werden. Hierfür konnte jedoch häufig ein anderer Grund als deren Religions- oder Volksgruppenzugehörigkeit identifiziert werden, etwa als ANSF-Angehöriger, NGO- oder Regierungsmitarbeiter. Eine systematische Vorgehensweise der Taliban gegen schiitische Hazara bzw. vermehrte Übergriffe sind aktuell nicht dokumentiert.
„Erfolglosen“ Rückkehrern aus Europa haftet oft das Stigma des „Versagens“ an. Sie werden von der afghanischen Gesellschaft häufig misstrauisch wahrgenommen, was zu Diskriminierung und Isolierung führt. Wirtschaftlich befinden sich viele der Rückkehrer in einer schlechteren Situation als vor ihrer Flucht nach Europa.
Es kam in der Vergangenheit zu Übergriffen regierungsfeindlicher Gruppen auf aus westlichen Ländern nach Afghanistan zurückgekehrte Personen, diese wurden bedroht, gefoltert oder getötet, weil sie sich vermeintlich die diesen Ländern zugeschriebenen Werte zu eigen gemacht hätten, „Ausländer“ geworden seien oder als Spione oder auf andere Weise ein westliches Land unterstützten.
1. 3. Zur Rückkehr in den Herkunftsstaat
Die Taliban sind seit Jahrzehnten in Afghanistan aktiv und haben Afghanistan von 1996 bis 2001 regiert. Seit 2001 haben sie einige Grundprinzipien bewahrt, u. a. eine strenge Auslegung des Scharia-Rechts in den von ihr kontrollierten Gebieten. Sie haben sich als Schattenregierung positioniert, deren Kommissionen und leitenden Organe den Verwaltungsstellen einer typischen Regierung entsprechen. Sie haben im Land verschiedene Territorien erobert und in Besitz genommen und eine gewisse Verantwortung für das Wohlergehen der örtlichen Gemeinschaften übernommen.
Der Taliban-Führungsrat besteht aus einer Gruppe der 20 wichtigsten Führer der Taliban. Höchster Führer der Bewegung ist Mullah Hibatullah Akhundzada, der auch dem Führungsrat, der Justiz- und der Exekutivkommission sowie „anderen Verwaltungsorganen“ vorsteht. Stellvertretende Führer sind der Erste Vertreter Sirajuddin Jallaloudine Haqqani (Führer des Haqqani-Netzwerks) und zwei weitere Führer: Mullah Mohammad Yaqoob [Mullah Mohammad Yaqub Omari] und Mullah Abdul Ghani Baradar Abdul Ahmad Turk.
In Gebieten unter ihrer Kontrolle haben die Taliban ein paralleles Justizsystem etabliert, das auf einer strengen Auslegung der Scharia basiert. Die Taliban-Gerichte werden als „Kangaroo Courts“ (Schnellverfahren) beschrieben. Viele Taliban-Kommandanten verhängen eigenmächtig Strafen. Die von den Taliban-Gerichten verhängten Strafen umfassen Hinrichtungen (öffentlich durch Steinigung und Erschießung), Verstümmelung, Amputation, Schläge und Auspeitschung. UNAMA dokumentiert für das Jahr 2019 vier Fälle, in denen die Taliban Frauen wegen Ehebruch oder unmoralischer Beziehungen bestraften, darunter eine Hinrichtung und drei Auspeitschungen. AIHRC dokumentiert für das Jahr 2019 13 Verfahren gegen „flüchtige“ Frauen. Quellen berichten auch von Frauen, die geschlagen wurden, weil sie ohne männliche Begleitung hinausgegangen sind oder weil ihr Gesicht nicht bedeckt war. Ebenso berichtet wird von einer schwangeren Frau, die hingerichtet wurde, weil sie den Krieg der Taliban als „illegitim“ bezeichnet hatte. Generell droht für Äußerungen gegen die Taliban die Hinrichtung.
Seit dem Beginn des Abzuges internationaler Truppen am 01.05.2021 konnten die Taliban ihre Gebietskontrolle zunehmend ausweiten. So standen am 03.06.2021 90 Distrikte unter ihrer Kontrolle, während sich mit Stand 19.07.2021 229 Distrikte in Händen der Taliban befanden. Im Juli wurden auch wichtige Grenzübergänge erobert. Ende Juli/Anfang August kämpfte die Regierung gegen Angriffe der Taliban auf größere Städte, darunter Herat, Lashkar Gar und Kandahar. Im August 2021 beschleunigte sich der Vormarsch der Taliban, als sie 26 von 34 Provinzhauptstädten innerhalb von zehn Tagen einnahmen. Am 15.08.2021 haben die Taliban größtenteils friedlich Kabul eingenommen, alle Regierungsgebäude und Checkpoints der Stadt besetzt, den Krieg für beendet erklärt und das Islamische Emirat Afghanistan ausgerufen. Der afghanische Präsident war zuvor außer Landes geflohen.
Mit dem Vormarsch der Taliban haben Kampfhandlungen und konfliktbedingte Todesopfer drastisch zugenommen. Zwischen 01.01.2021 und 30.06.2021 dokumentierte UNAMA 5.183 zivile Opfer und fast eine Verdreifachung der zivilen Opfer durch den Einsatz von improvisierten Sprengsätzen durch regierungsfeindliche Kräfte. Zwischen Mai und Mitte August wurden über 3.750 zivile Opfer dokumentiert. Im Mai und Juli führte die Zunahme von Kampfhandlungen zu über 23.000 konfliktbezogenen Vorfällen, das sind beinahe doppelt so viele wie im Zeitraum Jänner bis April. Im Jahr 2021 wurden 550.000 Menschen intern vertrieben, 400.000 davon zwischen 01.05.2021 und Mitte August.
Teile der afghanischen Streitkräfte und talibanfeindliche Milizen haben sich unter der Führung von unter anderem Amrullah Saleh (Vizepräsident der afghanischen Regierung) und Ahmad Massoud im Panjshir-Tal gesammelt. Es kam zu Kämpfen, zuletzt gaben die Taliban die Eroberung auch der Provinz Panjshir bekannt.
Das tatsächliche Ausmaß der Kontrolle der Taliban in ländlichen Gebieten ist unbekannt. Es ist mit lokal auftretenden Konflikten zu rechnen. Im Nordosten des Landes kam es zu Kämpfen der Taliban gegen lokale Milizen. Es kam zu Anti-Taliban-Protesten in Kabul und anderen Städten. Die Taliban gehen mit Gewalt gegen Proteste und Personen, die versuchen, aus Afghanistan zu flüchten, vor. Die Taliban haben Checkpoints im Land errichtet und verstärken die Suche nach „Kollaborateuren“.
In von den Taliban eingenommenen Gebieten wird von gezielten Tötungen, Verschwindenlassen, Gewalt gegen Frauen und Kinder, Zwangsehen und Angriffen auf zivile Infrastruktur (darunter Wohnstätten, Gesundheitseinrichtungen und Schulen) berichtet.
Der rasche Kollaps der afghanischen Regierung und die Machtübernahme durch die Taliban haben zu einer Fragmentierung des Landes mit einer instabilen Verwaltung, deren zivile Mitarbeiter Vergeltung fürchten, geführt. Einerseits haben die Taliban Amnestien für Regierungsmitarbeiter ausgesprochen, um diese zu überzeugen, ihre Arbeit fortzusetzen. Andererseits kommt es zu Missbrauch, Bestrafung und Hinrichtungen in einigen Gebieten. Die Taliban verfügen wahrscheinlich nicht über Kapazitäten und Kompetenz, um die Grundversorgung sicherzustellen. Ein politisches Konzept für das ganze Land wurde noch nicht bekanntgegeben. Diesbezüglich scheint es innerhalb der Bewegung unterschiedliche Ansätze zu geben. Die Taliban haben vorerst eine „Übergangsregierung“ gebildet.
Chaotische Szenen haben sich am Flughafen in Kabul abgespielt, von wo diplomatisches Personal verschiedener westlicher Länder, sowie afghanische Ortskräfte evakuiert wurde als auch viele Afghanen versuchten, außer Landes zu gelangen. Der Abzug internationaler Truppen und die militärisch unterstützen Evakuierungen wurde am 31.08.2021 abgeschlossen. Am 28.08.2021 kam es zu einem Selbstmordanschlag auf den Kabuler Flughafen, mindestens 95 Menschen starben, 150 wurden verletzt.
Vor den Taliban in Afghanistan flüchtende Menschen sind in wachsender medizinischer Not. In Kliniken in Kabul und anderen afghanischen Städten treten immer mehr Fälle von Durchfallerkrankungen, Mangelernährung, Bluthochdruck und Corona-Symptomen auf. Dazu kommen vermehrt Schwangerschaftskomplikationen.
IOM muss aufgrund der aktuellen Sicherheitslage in Afghanistan die Unterstützung der freiwilligen Rückkehr und Reintegration mit sofortiger Wirkung weltweit aussetzen.
Die Auswirkungen der Machtübernahme durch die Taliban auf die humanitäre Lage sind noch nicht klar. Bedingt durch im Jahr 2021 signifikant höhere Anzahl ziviler Opfer und Vertreibungen ist mit höherem humanitärem Bedarf zu rechnen. UN-Generalsekretär Guterres spricht von einer humanitären und ökonomischen Krise und warnt vor dem Zusammenbruch der Grundversorgung.
Bereits die erhöhte Konfliktintensität der letzten Monate hat zu Störungen in der Gesundheitsversorgung und gleichzeitig zu höherem Bedarf unter Verwundeten und intern Vertriebenen geführt. Die Konflikteskalation hat in Kombination mit Dürre und Überflutungen, der Coronavirus-Pandemie und konfliktbedingten Störungen des Zugangs zu humanitärer Hilfe die Lage im Hinblick auf die Lebensmittelversorgung verschlechtert, über 9,1 Millionen Menschen sind akut von Mangelernährung betroffen. Der Zugang zu humanitärer Unterstützung bleibt weiter schwierig. Humanitäre Organisationen fürchten um die Sicherheit ihrer Mitarbeiter*innen, weswegen mit einer Unterbrechung ihrer Arbeit zu rechnen ist, bis Bedingungen mit den Taliban verhandelt sind.
2. Beweiswürdigung:
2.1. Zu Person und Lebensumständen des Beschwerdeführers
Die Feststellungen zu Identität, Staatsangehörigkeit, Volksgruppenzugehörigkeit, Herkunft, Lebenswandel und Muttersprache des Beschwerdeführers beruhen auf seinen gleichbleibenden und plausiblen Angaben im Lauf des Verfahrens. Die Feststellung zum spätestmöglichen fiktiven Geburtsdatum beruht auf dem von der belangten Behörde eingeholten medizinischen Sachverständigengutachten zur sachverständigen Tatsachenfeststellung bezüglich Unterscheidung von Minder- vs. Volljährigkeit (AS 93 ff.), dem der Beschwerdeführer nicht auf gleicher fachlicher Ebene entgegengetreten ist. So wurde ihm dessen Ergebnis mittels Verfahrensanordnung vom 16.11.2016 mitgeteilt, das Geburtsdatum festgesetzt und ihm die Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben (AS 179). Eine Stellungnahme langte in der Folge nicht ein. Zu seinen Deutschkenntnissen hat der Beschwerdeführer sein Integrationsprüfungszeugnis für das Niveau B1 des gemeinsamen europäischen Referenzrahmens für Sprachen in Vorlage gebracht. Im Hinblick auf die Religionszugehörigkeit des Beschwerdeführers wird auf die Beweiswürdigung zum Fluchtvorbringen unter 2.2. verwiesen.
Zu seinem Gesundheitszustand hat der Beschwerdeführer ein Schreiben seines behandelnden Arztes aus dem Jahr 2017 und weitere medizinische Unterlagen in Vorlage gebracht, aus denen hervorgeht, dass er an einer Anpassungsstörung leidet, deshalb Medikamente erhält (AS 257-263). Aktuellere Unterlagen wurden nicht vorgelegt, der Beschwerdeführer gab allerdings in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht im Wesentlichen an, er leide noch an Schlafstörungen und erhalte Medikamente (OZ 15, S. 4).
Die Feststellung, dass der Beschwerdeführer unbescholten ist, beruht auf dem im Akt einliegenden aktuellen Auszug aus dem Strafregister.
Verbleib und Lebenssituation seiner Angehörigen hat der Beschwerdeführer im Zuge der niederschriftlichen Einvernahme durch das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl am 08.02.2019 detailliert dargestellt (AS 278) und im Zuge der mündlichen Verhandlung am12.07.2021 bestätigt (OZ 15, S. 5-6).
Zu den wahrgenommenen Bildungsangeboten hat der Beschwerdeführer zahlreiche Bestätigungen vorgelegt (AS 191, 217-245; OZ 6). Außerdem sind seine Pflichtschulabschlussprüfungszeugnisse (OZ 6), sein Integrationsprüfungszeugnis für das Niveau B1 (OZ 6) und eine Schulbesuchsbestätigung für die HAK aktenkundig (OZ 11).
Zur Feuerwehr sind umfangreiche Unterlagen aktenkundig (AS 273-275; 785; OZ 11; OZ 6). Zudem wurde der Beschwerdeführer vom Feuerwehrkommandanten auch in die mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht begleitet. Auch sind Fotos aktenkundig (AS 281 ff; OZ 11; Beilagen zu OZ 15). Auch Unterlagen zur gemeinnützigen Tätigkeit hat der Beschwerdeführer vorgelegt (OZ 6), ebenso seine Einstellungszusage ab September 2021 (OZ 14).
Zu seinem Freundes- und Bekanntenkreis hat der Beschwerdeführer unzählige Empfehlungsschreiben (AS 251-255, 277-279, 289; OZ 6; Beilagen zu OZ 15) Und zahlreiche Fotos (AS 293-305; OZ 6; OZ 11, Beilagen zu OZ 15) vorgelegt. Die Freundin des
Beschwerdeführers hat den Beschwerdeführer in die mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht begleitet und wurde dort auch als Zeugin einvernommen (OZ 15, S. 12-13). Außerdem sind auch zahlreiche Fotos von gemeinsamen Aktivitäten aktenkundig, Kontounterlagen der Freundin des Beschwerdeführers und weitere Dokumente und wird die Beziehung in mehreren Empfehlungsschreiben thematisiert. Auch eine Wohnungsanmeldung ist aktenkundig (Beilage zu OZ 15).
2.2. Zu den Fluchtgründen des Beschwerdeführers
Zu seiner Religionszugehörigkeit hat der Beschwerdeführer zunächst gleichbleibend angegeben, der schiitischen Glaubensrichtung des Islam anzugehören (AS 1; 369) und brachte auch vor, verfolgt zu werden, weil er Schiit seit (383).
Im Zuge der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 12.07.2021 gab der Beschwerdeführer zu seiner Religionszugehörigkeit befragt schließlich an, er sei in einer islamischen Familie geboren, bete und faste nicht und feiere die christlichen Feste. Er wolle später zum Christentum konvertieren, da er seine Freundin heiraten wolle (OZ 15, S. 4). Hierzu ist zunächst auszuführen, dass der Beschwerdeführer damit noch keine konkrete Konversionsabsicht äußert, sondern lediglich eine vage Absicht in ungewisser Zukunft behauptet und diese im Zuge der mündlichen Verhandlung noch weiter relativierte. So gab er an, er sei bis jetzt kein Christ, werde aber in Zukunft Christ sein und bestätigt, er sei „vom Namen her“ noch Moslem, bete und faste nicht, trinke Alkohol, feiere christliche Feste und wolle seine Freundin kirchlich und standesamtlich heiraten. Vom Vertreter der belangten Behörde nach dem „Maßgeblichen“ in der christlichen Lehre befragt, kann der Beschwerdeführer jedoch lediglich floskelhafte Angaben machen und behauptet lediglich, er müsse weiter recherchieren und beschäftige sich deshalb mit dem Christentum (OZ 15, S. 6). In den Angaben des Beschwerdeführers ist jedoch nicht ersichtlich, dass er sich tatsächlich mit dem Christentum oder seinem Glauben auseinandergesetzt hat und eine neue religiöse Überzeugung verinnerlicht hätte. Damit ist nicht glaubhaft, dass der Beschwerdeführer sich vom Islam abgewandt hat bzw. ernstlich zum Christentum konvertieren will.
Die Feststellungen zum ausreiseauslösenden Vorfall beruhen auf den im Kern gleichbleibenden Angaben des Beschwerdeführers, die auch vor dem Hintergrund der Länderberichte plausibel erscheinen.
So bestätigt der mit Ladung des Bundesverwaltungsgerichts vom 07.06.2021 in das Verfahren eingebrachte EASO COI Report: Afghanistan. Gezielte Gewalt gegen Individuen aufgrund gesellschaftlicher und rechtlicher Normen von Dezember 2017, dass Landstreitigkeiten in Afghanistan generell weit verbreitet sind und führt hierfür zahlreiche Gründe an, darunter auch Eigentumsstreitigkeiten zwischen Einzelpersonen und Familienangehörigen beispielsweise im Zusammenhang mit Erbschaften (Kapitel 6. Landstreitigkeiten, S. 80-82). Auch bestätigt der Bericht, dass Landstreitigkeiten ein wichtiger Grund für individuelle und kommunale Konflikte sind und schnell eskalieren und in Gewalt umschlagen können. 25 % der Landstreitigkeiten würden Feindseligkeiten und Blutfehden nach sich ziehen, etwa 70 % der schweren Gewaltverbrechen, wie beispielsweise Morde, seien auf Landstreitigkeiten zurückzuführen. Vorwiegend seien Einzelpersonen und Familien sowie mächtige Eliten beteiligt. 2015 bis 2017 habe es in unterschiedlichen Regionen zahlreich Land- und Eigentumskonflikte zwischen Familien und Einzelpersonen gegeben, bei denen es auf beiden Seiten Todesopfer und Verletze gegeben habe (Kapitel 6.1 Gewaltbereitschaft, S. 82-83).
Zudem hat der Beschwerdeführer Dokumente vorgelegt, um sein Vorbringen zu belegen, nämlich eine Urkunde über den Verkauf des Grundstückes und einen Polizeibericht über Aufnahme der Anzeige. Zu deren Echtheit führt die belangte Behörde aus, es sei amtsbekannt, dass in Ländern wie Afghanistan jegliche Urkunde und alle Arten von gefälschten Dokumenten verfügbar seien und somit die vorgelegten Dokumente nicht geeignet sein könnten, einen Beleg/Beweis dafür zu erbringen, dass die darin „bestätigten Angaben“ den Tatsachen entsprechen. Hierzu ist auszuführen, dass der bereits zitierte EASO COI Report: Afghanistan. Gezielte Gewalt gegen Individuen aufgrund gesellschaftlicher und rechtlicher Normen von Dezember 2017 zwar bestätigt, dass auch fehlende und gefälscht Dokumente im Zusammenhang mit Landstreitigkeiten häufig auftreten (Kapitel 6.4.1 Formelle Mechanismen, S. 86-87). Hieraus kann jedoch noch nicht, wie die belangte Behörde vermeint, zwanglos abgeleitet werden, dass der Beschwerdeführer ebenso gefälschte Dokumente vorgelegt hat und ist diesen auch nicht von vornherein jede Eignung zur Glaubhaftmachung des Fluchtvorbringens abzusprechen. Insbesondere scheint die Annahme der belangten Behörde, der Beschwerdeführer habe statt einer aktuellen Urkunde auf seinen eigenen Namen einen Kaufvertrag auf den Namen seines Vaters aus dem Jahr 2004 fälschen lassen, wenig nachvollziehbar.
Die inhaltlichen Einwände der Behörde gegen die Authentizität der vorgelegten Dokumente erweisen sich dagegen als oberflächlich und nicht haltbar. So wendet sie hinsichtlich der Besitz-Urkunde ein, der Vertrag sei auf das Jahr 1383 (2004) datiert, während der Amtsstempel am Ende der Urkunde die Jahreszahl 1381 (2002) aufweise. Die Behörde legt jedoch nicht dar, warum sie davon ausgeht, dass im Stempel das Jahr des Vertragsabschlusses abgebildet wäre. Der Stempel trägt allerdings neben der Behörde auch einen Namen, weswegen eine Interpretation der Jahreszahl als Jahr der Ausgabe des Stempels an die genannte Amtsperson schlüssiger erscheint. Soweit die belangte Behörde nicht nachvollziehen kann, dass der Beschwerdeführer keine aktuelle Besitzurkunde vorgelegt hat, ist auszuführen, dass aus dem bereits zitierten Bericht hervorgeht, dass der Landbesitz in Afghanistan weitgehend auf Gebräuchen, Traditionen und lokalen Gewohnheiten beruht und komplexe institutionelle und administrative Strukturen und die Korruption dazu führen, dass Grundbesitz selten ordnungsgemäß eingetragen werde, was Streitigkeiten Vorschub leiste. Häufig würden keine Grundstücksdokumente vorliegen (Kapitel 6. Landstreitigkeiten, S. 80). Demnach ist vor dem Hintergrund der Länderberichte nicht zu erwarten, dass der Beschwerdeführer über eine Urkunde verfügt, die ihn als nunmehrigen Eigentümer des Hauses nach dem Tod des Vaters ausweisen. Soweit die belangte Behörde dem Beschwerdeführer als vermeintlichen Widerspruch vorhält, er habe angegeben, dass das Haus ihm gehöre und sein Name auch auf der Besitzurkunde stehen würde, ist anzumerken, dass dies den Angaben des Beschwerdeführers so nicht zu entnehmen ist. So gibt der Beschwerdeführer auf die Frage, ob er Besitzdokumente für das Haus habe an: „Ja, meine Mutter.“ Er gibt jedoch nicht an, um welche konkreten Dokumente es sich handelt und beantwortet die Frage, ob das Haus noch in seinem Besitz sei, mit „Ja, auf meinem Namen.“ Nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts handelt es sich um eine schlicht unverständliche Aussage, deren Gehalt die belangte Behörde durch weitere Nachfragen hätte ergründen müssen.
Weiter hält die belangte Behörde dem Beschwerdeführer im Wesentlichen vor, die Urkunden seien optisch in einem sehr guten Zustand und würden keinerlei Abnutzungserscheinungen aufweisen, wovon allerdings auszugehen sei, wenn diese tatsächlich vor mehr als 15 bzw. mehr als drei Jahren ausgestellt worden seien. Hierzu ist anzumerken, dass im Hinblick auf den Kaufvertrag wohl anzunehmen ist, dass er einem wichtigen Dokument angemessen sorgfältig verwahrt worden und auch nicht ersichtlich ist, warum dieses Dokument häufig gebraucht worden und deshalb abgenutzt sein sollte. Gleiches gilt für die Anzeigebestätigung.
Weiter schilderte der Beschwerdeführer die Umstände um seine Ausreise im Zuge der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht am 12.07.2021 lebendig und detailliert und beantwortete auch Nachfragen konkret und nicht ausweichend. Dass seine Mutter nach wie vor in Kabul lebt und die Mieteinkünfte erhält, hat der Beschwerdeführer selbst angegeben. Zudem hat der Beschwerdeführer keinerlei Übergriffe des Onkels gegen seine Mutter geschildert, obgleich durchgehend Kontakt bestand. So gab er in der niederschriftlichen Einvernahme am 08.02.2019 lediglich floskelhaft an, seine Mutter lebe in einem Mietshaus in Kabul und müsse wieder umziehen, wenn sie merke, dass der Onkel sie gefunden habe (AS 384). Diese floskelhaften Angaben stehen allerdings in auffallendem Gegensatz zu den sonstigen, sehr detaillierten und lebendigen Schilderungen des Beschwerdeführers und erweisen sich aufgrund ihrer Vagheit als nicht glaubhaft.
Auf die vom Beschwerdeführer behaupteten Verbindungen des Onkels zu einem Politiker braucht mit Blick auf die Machtergreifung der Taliban mangels Aktualität nicht mehr eingegangen zu werden.
Die Feststellungen zu den schiitischen Hazara und ihrer gesellschaftlichen Lage beruhen auf dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Stand 11.06.2021 (in der Folge: Länderinformationsblatt), Kapitel Hazara, das das Bundesverwaltungsgericht im Zuge der mündlichen Verhandlung am 12.07.2021 in das Verfahren eingeführt hat, auf der EASO Country Guidance: Afghansitan von Dezember 2020 (in der Folge: EASO Country Guidance; Abschnitt Common analysis: Afghansitan, Kapitel 2.17.1 Individuals of Hazara ethnicity, S. 85-86, sowie Kapitel 2.17.2 Shia, including Ismaili, S. 87) und den UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender von August 2018 (in der Folge: UNHCR-Richtlinien; Abschnitt III. Internationaler Schutzbedarf, Kapitel A. Risikoprofile, Unterkapitel 13. Angehörige ethnischer (Minderheiten-)Gruppen, Buchstabe b) Hazara, S. 106-107), beide mit Ladung vom 07.06.2021 in das Verfahren eingebracht.
Die Feststellungen zum ISKP und dessen Angriffe auf die Hazara beruhen auf der EASO Country Guidance (Abschnitt Common analysis: Afghansitan, Kapitel 2.17.1 Individuals of Hazara ethnicity, S. 85-86 sowie Kapitel 2.17.2 Shia, including Ismaili, S. 87), wobei auch das Länderinformationsblatt im Wesentlichen übereinstimmend von Angriffen auf schiitische Hazara durch den ISKP berichtet (Kapitel 18. Relevante ethnische Minderheiten, Unterkapitel 18.3. Hazara). Dieses berichtet auch, dass der ISKP den Großteil seines Territoriums verloren hat (Kapitel 5. Sicherheitslage, Abschnitt Islamischer Staat (IS/ISIS/ISIL/Daesh), Islamischer Staat Khorasan Provinz (ISKP)). Diesbezüglich sind auch seit der Machtergreifung durch die Taliban Änderungen nicht bekannt.
Die UNHCR-Richtlinien berichten allgemein von Fällen von Schikanen, Einschüchterung, Entführung und Tötung durch die Taliban, den Islamischen Staat und andere regierungsfeindliche Kräfte, wobei den Fußnoten im Hinblick auf konkrete Vorfälle zu entnehmen ist, dass dem IS insbesondere Terror-Anschläge auf die schiitische Minderheit zuzurechnen sind. Im Hinblick auf die Taliban werden insbesondere Entführungen erwähnt, ihnen werden jedoch auch Anschläge zugeschrieben (Abschnitt III. Internationaler Schutzbedarf, Kapitel A. Risikoprofile, Unterkapitel 13. Angehörige ethnischer (Minderheiten-)Gruppen, Buchstabe b) Hazara, S. 107, sowie Unterkapitel 5. Angehörige religiöser Minderheiten und Personen, die angeblich gegen die Scharia verstoßen, Buchstabe a) Religiöse Minderheiten, Abschnitt Schiiten, S. 69.-70). Die EASO Country Guidance berichtet im Hinblick auf Entführungen konkret, es würde Vorfälle geben, wo Hazara-Zivilisten auf Reisen entlang der Straßen entführt und getötet würden, jedoch, dass dies häufig auch mit anderen Motiven als der Religions- oder Volksgruppenzugehörigkeit in Zusammenhang stehe, etwa als ANSF-Angehöriger, NGO- oder Regierungsmitarbeiter (Abschnitt Common analysis: Afghansitan, Kapitel Kapitel 2.17.1 Individuals of Hazara ethnicity, S. 85-86). Eine systematische Vorgehensweise der Taliban gegen schiitische Hazara ist jedoch nicht dokumentiert. Auch der relativ aktuelle EASO COI Report, Afghanistan: Regierungsfeindliche Elemente (AGE) von August 2020 führt schiitische Hazara nicht als Angriffsziele an. Auch seit der Machtergreifung der Taliban gibt es (noch) keine Hinweise, auf vermehrte Übergriffe gegen schiitische Hazara.
Die Feststellungen zur Situation von Rückkehrenden aus westlichen Ländern beruhen auf dem Länderinformationsblatt, Kapitel Rückkehrer, den UNHCR-Richtlinien (Abschnitt III. Internationaler Schutzbedarf, Kapitel A. Risikoprofile, Unterkapitel 1. Personen, die tatsächlich oder vermeintlich mit der Regierung und der internationalen Gemeinschaft einschließlich der internationalen Streitkräfte verbunden sind oder diese tatsächlich oder vermeintlich unterstützen, Buchstabe i) Als „verwestlicht“ wahrgenommene Personen, S. 52-53) und der EASO Country Guidance (Abschnitt Common analysis: Afghansitan, Kapitel 2.13 Individuals perceived as ‘Westernised’, S. 80-82). Soweit der Beschwerdeführer zudem mit Stellungnahme vom 06.07.2021 (OZ 6) die Studie Erfahrungen und Perspektiven Abgeschobener Afghanen im Kontext aktueller politischer und wirtschaftlicher Entwicklungen Afghanistans von Juni 2021 vorlegt, ist anzumerken, dass der Beschwerdeführer hier einen konkreten Bezug zu seiner Situation nicht aufzeigt und insbesondere im Zusammenhang mit dem Vorbringen einer Nichtverfügbarkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative in Herat oder Mazar-e Sharif einführt. Im Hinblick auf ein allfälliges Risiko im Fall der Rückkehr an den Herkunftsort Kabul, wo der Beschwerdeführer über Ortskenntnisse, Angehörige und Grundbesitz verfügt, wird keinerlei Vorbringen erstattet. Im Übrigen geht aus der Studie hervor, dass – wie auch festgestellt – Rückkehrer Gewalterfahrungen gemacht haben, die fallweise im Zusammenhang mit ihrem Aufenthalt in Europa stehen.
2.3. Zur Rückkehr in den Herkunftsstaat
Die Feststellungen zu den Taliban, ihrer Struktur, Vorgehensweise, etc. beruhen auf dem EASO COI Report: Afghanistan. Regierungsfeindliche Elemente (AGE) von August 2020, sowie dem Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: Afghanistan, Stand 11.06.2021, Kapitel Taliban. Der EASO COI Report: Afghanistan. Criminal law, customary justice and informal dispute resolution von Juli 2020 bietet in Kapitel 1.8. einen Überblick über die „Justiz“ der Taliban. Informationen zu Menschenrechtsverletzungen bzw. Lebensbedingungen in Gebieten unter Taliban-Kontrolle sind auch den UNHCR-Richtlinien zur Feststellung des internationalen Schutzbedarfs afghanischer Asylsuchender von August 2018, insbesondere Abschnitt II. Überblick über die Situation in Afghanistan, Kapitel C. Menschenrechtssituation, Unterkapitel 1. Menschenrechtsverletzungen, Buchstabe c) Menschenrechtsverletzungen durch regierungsfeindliche Kräfte (AGEs), S. 30-34) entnommen.
Die Feststellungen zu den jüngsten Entwicklungen beruhen auf:
? EASO, COI Report: Afghanistan. Security situation update von September 2021
? Kurzinformation der Staatendokumentation: Aktuelle Entwicklungen und Informationen in Afghanistan, Stand: 20.8.2021
? Sonderkurzinformation der Staatendokumentation: a) Aktuelle Lage in Afghanistan, b) Hinweise für die Benützung der aktuellen Länderinformationen zu Afghanistan vom 17.08.2021
? Kurzinformation der Staatendokumentation: Entwicklung der Sicherheitslage in Afghanistan, Stand: 2.8.2021
? Kurzinformation der Staatendokumentation: Entwicklung der Sicherheitslage in Afghanistan, Stand: 19.7.2021
? UNHCR-Position zur Rückkehr nach Afghanistan, August 2021
? LWR, Mapping Taliban Control in Afghanistan, https://www.longwarjournal.org/mapping-taliban-control-in-afghanistan (Zugriff am 01.09.2021)
? ACAPS Thematic Report: Afghanistan - Humanitarian impact and trends analysis, 23 August 2021 (https://reliefweb.int/report/afghanistan/acaps-thematic-report-afghanistan-humanitarian-impact-and-trends-analysis-23 (Zugriff am 27.08.2021)
? ORF-News: Arbeitende Frauen sollen zu Hause bleiben, 25.08.2021, https://orf.at/stories/3226226/, (Zugriff am 27.08.2021)
? ORF-News: UNO-Bericht: Sicherheitslage in Afghanistan weitgehend ruhig, 26.08.2021, https://orf.at/stories/3226246/ (Zugriff am 27.08.2021)
? ORF-News: Taliban verüben Hinrichtungen, 24.08.2021, https://orf.at/stories/3226011/ (Zugriff am 27.08.2021)
? ORF-News: Taliban wollen „gute Beziehungen“ zu USA, 31.08.2021, https://orf.at/stories/3226808/ (Zugriff am 31.08.2021)
? BBC-News: Anti-Taliban resistance group says it has thousands of fighters, 23.08.2021, https://www.bbc.com/news/world-asia-58239156 (Zugriff am 01.09.2021)
? Die Presse: Taliban greifen widerständige Provinz Pandschir an, 31.08.2021, https://www.diepresse.com/6027684/taliban-greifen-widerstandige-provinz-pandschir-an (Zugriff am 01.09.2021)
? BBC-News: Afghanistan: The 'undefeated' Panjshir Valley - an hour from Kabul, 26.08.2021, https://www.bbc.com/news/world-asia-58329527 (Zugriff am 01.09.2021)
? BBC-News: Kabul airport attack: What do we know? 28.08.2021, https://www.bbc.com/news/world-asia-58349010 (Zugriff am 01.09.2021)
? ORF-News: Menschen warten an den Grenzen, 01.09.2021, https://orf.at/stories/3226984/ (Zugriff am 01.09.2021)
? UNO, SECRETARY-GENERAL’S STATEMENT ON AFGHANISTAN, 31.08.2021, https://unama.unmissions.org/secretary-general%E2%80%99s-statement-afghanistan (Zugriff am 06.09.2021)
? Frankfurter Allgemeine Zeitung, Blockieren die Taliban humanitäre Hilfe? 28.08.2021, https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/wie-koennen-ngos-unter-den-taliban-arbeiten-17505216.html (Zugriff am 02.09.2021)
? Tagesschau, Taliban erobern offenbar Pandschir, 06.09.2021 https://www.tagesschau.de/ausland/asien/afghanistan-taliban-un-hilfsorganisationen-103.html (Zugriff am 06.09.2021)
? Zeit, Taliban unterbinden Protest von Frauen in Kabul, 04.09.2021, https://www.zeit.de/politik/ausland/2021-09/afghanistan-frauendemonstration-kabul-taliban-widerstand-verletzte (Zugriff am 06.09.2021)
? ORF-News, Besorgnis über Taliban-Übergangsregierung, 08.09.2021, https://orf.at/stories/3227819/ (Zugriff am 14.09.2021)
? ORF-News, Bruchlinien innerhalb der Taliban, 12.09.2021, https://orf.at/stories/3227976/ (Zugriff am 14.09.2021)
Zur Plausibilität und Seriosität der herangezogenen Länderinformationen zur Lage im Herkunftsstaat ist auszuführen, dass die im Länderinformationsblatt zitierten Unterlagen von angesehen Einrichtungen stammen. Es ist auch darauf hinzuweisen, dass die Staatendokumentation des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl nach § 5 Abs. 2 BFA-VG verpflichtet ist, gesammelte Tatsachen nach objektiven Kriterien wissenschaftlich aufzuarbeiten und in allgemeiner Form zu dokumentieren. Auch das European Asylum Support Office (EASO) ist nach Art. 4 lit. a Verordnung (EU) Nr. 439/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. Mai 2010 zur Einrichtung eines Europäischen Unterstützungsbüros für Asylfragen bei seiner Berichterstattung über Herkunftsländer zur transparent und unparteiisch erfolgende Sammlung von relevanten, zuverlässigen, genauen und aktuellen Informationen verpflichtet. Damit durchlaufen die länderkundlichen Informationen, die diese Einrichtungen zur Verfügung stellen, einen qualitätssichernden Objektivierungsprozess für die Gewinnung von Informationen zur Lage im Herkunftsstaat. Den UNHCR-Richtlinien ist nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes besondere Beachtung zu schenken („Indizwirkung"), wobei diese Verpflichtung ihr Fundament auch im einschlägigen Unionsrecht findet (Art. 10 Abs. 3 lit. b der Richtlinie 2013/32/EU [Verfahrensrichtlinie] und Art. 8 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 2011/95/EU [Statusrichtlinie]; VwGH 07.06.2019, Ra 2019/14/0114) und der Verwaltungsgerichtshof auch hinsichtlich der Einschätzung von EASO von einer besonderen Bedeutung ausgeht und eine Auseinandersetzung mit den „EASO-Richtlinien“ verlangt (VwGH 17.12.2019, Ra 2019/18/0405). Das Bundesverwaltungsgericht stützt sich daher auf die angeführten Länderberichte, wobei eine beweiswürdigende Auseinandersetzung im Detail oben erfolgt ist. Die jüngsten Entwicklungen im Herkunftsstaat sind zudem notorisch, entsprechende Feststellungen beruhen auf der allgemeinen, breitenwirksamen Berichterstattung, die das Bundesverwaltungsgericht weiter oben anführt.
3. Rechtliche Beurteilung:
3.1. Zur Abweisung der Beschwerde hinsichtlich Spruchpunkt I. des angefochtenen Bescheides (Asyl)
Gemäß § 3 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (in der Folge AsylG) ist einem Fremden, der in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat der Status des Asylberechtigten zuzuerkennen, wenn glaubhaft ist, dass ihm im Herkunftsstaat Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht, dem Fremden keine innerstaatliche Fluchtalternative gemäß § 11 AsylG offen steht und dieser auch keinen Asylausschlussgrund gemäß § 6 AsylG gesetzt hat.
Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht einer Person, wenn sie sich aus wohlbegründeter Furcht, aus Gründen der Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder der politischen Gesinnung verfolgt zu werden, außerhalb des Herkunftsstaates befindet und nicht in der Lage oder im Hinblick auf diese Furcht nicht gewillt ist, sich des Schutzes dieses Landes zu bedienen.
Art. 6 Statusrichtlinie definiert als Akteure, von denen die Verfolgung oder ein ernsthafter Schaden ausgehen kann, den Staat (lit. a), Parteien oder Organisationen, die den Staat oder einen wesentlichen Teil des Staatsgebiets beherrschen (lit. b) und nichtstaatlichen Akteuren, sofern die unter den Buchstaben a und b genannten Akteure einschließlich internationaler Organisationen erwiesenermaßen nicht in der Lage oder nicht willens sind, Schutz vor Verfolgung bzw. ernsthaftem Schaden im Sinne des Artikels 7 zu bieten.
Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bedeutet Staatlichkeit der Verfolgung den Missbrauch einer aus der Gebietshoheit folgenden Herrschaftsmacht zum Zweck der Verfolgung oder, bei Vornahme von Verfolgungshandlungen durch Private, die Nichtausübung der Gebietshoheit zum Schutz vor Verfolgung (VwGH 03.05.2000, 99/01/0359).
3.1.1. Zu den Streitigkeiten mit dem Onkel
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kommt einer von Privatpersonen bzw. privaten Gruppierung ausgehenden, auf einem Konventionsgrund beruhenden Verfolgung Asylrelevanz zu, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, diese Verfolgungshandlungen hintanzuhalten (VwGH 08.09.2015, Ra 2015/18/0010 mwN).
Entscheidungswesentlich ist nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zudem, auf welche Ursachen allenfalls fehlender staatlicher Schutz zurückzuführen ist. Nur wenn der Heimatstaat des Asylwerbers aus den in Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK genannten Gründen nicht bereit ist, Schutz zu gewähren, käme einer primär kriminell motivierten Verfolgung nämlich asylrelevanter Charakter zu (VwGH 08.09.2015, Ra 2015/18/0010).
Eine nur auf kriminellen Motiven beruhende Verfolgung kann nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes keinem der in Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention genannten Gründe zugeordnet werden und vermag eine Asylgewährung grundsätzlich nicht zu (VwGH 13.12.2018, Ra 2018/18/0336).
Gegenständlich bringt der Beschwerdeführer lediglich eine Besitzstreitigkeit mit seinem Onkel vor, der sich das Haus des Beschwerdeführers widerrechtlich aneignen wollte. Weitere Motive behauptet der Beschwerdeführer nicht. Auch im Hinblick darauf, dass ihm staatlicher Schutz verwehrt worden sei, macht der Beschwerdeführer keine mit einem Verfolgungsgrund der GFK in Zusammenhang stehenden Motive geltend, sondern gibt lediglich an, sein Onkel habe Verbindungen zu einem Politiker. Persönliche, über eine Bereicherung des Onkels hinausgehende Motive sind nicht ersichtlich.
Auch EASO stuft den Verlust von Land für sich nicht als Verfolgung ein und geht davon aus, dass im Zusammenhang mit Landstreitigkeiten auftretende Gewalt generell nicht mit einem Konventionsgrund verknüpft ist. Eine asylrelevante Verfolgungsgefahr ist damit selbst dann nicht ersichtlich (EASO Country Guidance: Afghanistan, Abschnitt Common analysis, Kapitel 2.18.2 Land disputes, S. 90-91).
3.1.2. Zur behaupteten Verfolgungsgefahr wegen der Volksgruppen- und Religionszugehörigkeit des Beschwerdeführers
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kann die Gefahr der Verfolgung im Sinne des § 3 Abs. 1 AsylG 2005 iVm Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK nicht nur ausschließlich aus individuell gegenüber dem Einzelnen gesetzten Verfolgungshandlungen abgeleitet werden, sondern auch darin begründet sein, dass regelmäßig Maßnahmen zielgerichtet gegen Dritte gesetzt werden und zwar wegen einer Eigenschaft, die der Betreffende mit diesen Personen teilt, sodass die begründete Annahme besteht, (auch) er könnte unabhängig von individuellen Momenten solchen Maßnahmen ausgesetzt sein. Droht den Angehörigen bestimmter Personengruppen eine über die allgemeinen Gefahren eines Bürgerkriegs hinausgehende „Gruppenverfolgung“, hat bei einer solchen, gegen eine ganze Personengruppe gerichteten Verfolgung jedes einzelne Mitglied schon wegen seiner Zugehörigkeit zu dieser Gruppe Grund, auch individuell gegen seine Person gerichtete Verfolgung zu befürchten. Diesfalls genügt für die geforderte Individualisierung einer Verfolgungsgefahr die Glaubhaftmachung der Zugehörigkeit zu dieser Gruppe (jüngst etwa VwGH 26.03.2020, Ra 2019/14/0450). Eine Eingriffsintensität im Sinne eines „Genozids“ muss nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes jedoch nicht vorliegen, um eine Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK zu bejahen (VwGH 03.08.2020, Ra 2020/20/0034).
Gegenständlich konnten die Beschwerdeführenden – wie festgestellt und beweiswürdigend ausgeführt – glaubhaft machen, dass sie den schiitischen Hazara angehören.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist zudem nicht jede diskriminierende Maßnahme gegen eine Person als „Verfolgung“ iSd Art. 1 Abschnitt A Z 2 GFK anzusehen, sondern nur solche, die in ihrer Gesamtheit zu einer schwerwiegenden Verletzung grundlegender Menschenrechte der Betroffenen führen (VwGH 14.08.2020, Ro 2020/14/0002).
Gegenständlich gibt es Hinweise auf Diskriminierungen der schiitischen Hazara etwa auf dem Arbeitsmarkt, soziale Diskriminierung, etc. jedoch wurde ebenso die Beteiligung von Hazara an nationalen Institutionen festgestellt, sowie wirtschaftliche und gesellschaftliche Fortschritte festgestellt. Diskriminierende Maßnahmen gegen alle Angehörigen der Volksgruppe der Hazara im Sinne einer „Verfolgung“ nach der oben zitierten Rechtsprechung sind damit nicht ersichtlich. Eine individuelle Betroffenheit der Beschwerdeführenden wurde dagegen nicht konkret vorgebracht.
Hinsichtlich des ISKP ist zwar – nachdem dieser Angriffe auf schiitische Hazara durchführt, die mit deren schiitischer Glaubenszugehörigkeit, sowie einer zumindest unterstellten Nähe und Unterstützung des Iran und des Kampfes gegen IS in Syrien in Zusammenhang stehen – ersichtlich, dass dieser zielgerichtete Maßnahmen gegen Schiiten und damit auch gegen schiitische Hazara setzt. Dem ISKP kommt jedoch lediglich eine beschränkte territoriale Reichweite zu.
Hinsichtlich der Taliban fand eine besondere Verfolgung während ihrer Herrschaft in den Jahren 1996 bis 2001 statt und kam es auch danach zu Entführungen und Tötungen von Angehörigen der Volksgruppe der Hazara auf den Straßen durch regierungsfeindliche Kräfte, insbesondere durch die Taliban. Es gibt Vorfälle, bei denen Hazara-Reisende ausgesondert und getötet oder entführt werden. Eine systematische Vorgehensweise der Taliban gegen schiitische Hazara bzw. vermehrte Übergriffe allein aufgrund ihrer Volksgruppen- bzw. Religionszugehörigkeit ist allerdings aktuell nicht dokumentiert. Damit ist gegenwärtig eine Gruppenverfolgung im Sinne der oben zitierten Rechtsprechung nicht ersichtlich.
3.1.3. Zur behaupteten Verfolgungsgefahr wegen Konversion
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist in Bezug auf die asylrechtliche Relevanz einer Konversion zum Christentum entscheidend, ob der Fremde bei weiterer Ausübung sei