TE Bvwg Erkenntnis 2021/9/28 W226 2010437-2

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 28.09.2021
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Entscheidungsdatum

28.09.2021

Norm

AsylG 2005 §10 Abs1 Z3
AsylG 2005 §3 Abs1
AsylG 2005 §54 Abs1 Z1
AsylG 2005 §55 Abs1 Z2
AsylG 2005 §57
AsylG 2005 §58 Abs2
AsylG 2005 §8 Abs1
BFA-VG §9 Abs3
B-VG Art133 Abs4
FPG §52

Spruch


W226 2010437-2/18E

W226 2010435-2/14E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. WINDHAGER als Einzelrichter über die Beschwerden von 1.) XXXX , geb. XXXX und 2.) mj. XXXX , geb. XXXX , beide StA: Kasachstan, beide vertreten durch RA Mag. Martin SAUSENG, gegen die Bescheide des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 17.10.2018, Zlen. 831099207-160301400 (ad 1.) und (ad 2.) 831099305-160301388 nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am 20.05.2021 zu Recht erkannt:

A)

I. Die Beschwerden gegen die Spruchpunkte I. und II. und III. der angefochtenen Bescheide werden gemäß §§ 3 Abs. 1, 8 Abs. 1 und 57 AsylG 2005 idgF als unbegründet abgewiesen.

II. In Erledigung der Beschwerde gegen die Spruchpunkte IV., V. und VI. wird ausgesprochen, dass eine Rückkehrentscheidung gegen 1.) XXXX und 2.) mj. XXXX gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 idgF iVm § 52 FPG 2005 idgF iVm § 9 Abs. 3 BFA-VG idgF auf Dauer unzulässig ist.

XXXX wird eine „Aufenthaltsberechtigung plus" für die Dauer von zwölf Monaten gemäß § 54 Abs. 1 Z 1 und § 58 Abs. 2 iVm § 55 Abs. 1 Z 2 AsylG erteilt. XXXX wird gemäß § 54 Abs. 1 Z 2 und § 58 Abs. 2 iVm § 55 Abs. 1 Z 1 AsylG der Aufenthaltstitel „Aufenthaltsberechtigung“ für die Dauer von zwölf Monaten erteilt.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang und Sachverhalt:

1. Verfahren auf internationalen Schutz:

1.1 Die Erstbeschwerdeführerin (im Folgenden BF1) gelangte gemeinsam mit ihrem minderjährigen Sohn, dem Zweitbeschwerdeführer (im Folgenden BF2) unrechtmäßig in das österreichische Bundesgebiet und brachten beide Beschwerdeführer (im Folgenden: BF) am 29.07.2013 jeweils einen Antrag auf internationalen Schutz ein, wobei sich die BF1 mit einer notariell beglaubigten Kopie ihres Reisepasses auswies und betreffend den BF2 eine kasachische Geburtsurkunde in Vorlage gebracht wurde.

1.2 Am selben Tag wurde die BF1 vor einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes einer Erstbefragung unterzogen, wobei die BF1 zu ihren persönlichen Verhältnissen ausführte, sie sei in XXXX (Kasachstan) geboren und ledig. Ihre Muttersprache sei Kasachisch, sie spreche auch Russisch. Die BF1 bekenne sich zum Islam und gehöre der Volksgruppe der Kasachen an. Sie habe von 1991 bis 2002 die Grundschule und von 2002 bis 2008 eine Universität besucht. Ihre Eltern sowie zwei Brüder würden noch in Kasachstan ( XXXX ) leben. Dort habe auch sie vor ihrer Ausreise gelebt.

Zu ihren Gründen für das Verlassen ihres Herkunftsstaates führte die BF1 aus, sie habe zu Hause Waschpulver, Seife und andere Dinge verkauft. Eines Tages seien maskierte Banditen gekommen und hätten Schutzgeld gefordert, sie habe einmal ca. € 500 und ein weiteres Mal ca. € 700,- bezahlt. Beim dritten Mal habe sie sich jedoch geweigert und sei deswegen „krankenhausreif“ geschlagen worden. Sie habe fast alle ihre Zähne verloren und sei einen Tag in einer Krankenanstalt erstversorgt worden. Auch eine Anzeige bei der Polizei habe sie erstattet. Sie könne jedoch nicht mehr angeben, wann dies alles war, da sie ihr Gedächtnis verloren habe und sich fast nicht zurück erinnern könne. Die Maskierten hätten ihr auch damit gedroht, ihren Sohn zu vergewaltigen, falls sie nicht weiter Schutzgeld zahlen würde. Aus Angst um ihr Leben und das Leben ihres Sohnes habe sie ihren Herkunftsstaat verlassen.

Der BF2 habe keine eigenen Fluchtgründe.

1.3 Nach Zulassung des Verfahrens wurde die BF1 am 20.05.2014 vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) niederschriftlich einvernommen und gab eingangs an, sie sei psychisch und physisch in der Lage, Angaben zu ihrem Asylverfahren zu erstatten.

Zu Beginn der Einvernahme legte die BF1 eine Bestätigung einer Krankenanstalt in Faxkopie vor, wonach sie am XXXX chirurgisch infolge einer Prellung und Wunde am behaarten Kopfteil, Prellung des Brustkorbes und des Halses auf der rechten Seite und einer Prellung der Weichteile des linken Beines behandelt wurde. Nachgefragt gab die BF1 an, an keinen Folgen dieser Verletzungen mehr zu leiden; lediglich ihre Zähne seien stabilisiert und reguliert worden. Nunmehr stehe sie nicht in ärztlicher Behandlung, sie sei gesund.

Zu ihren persönlichen Verhältnissen gab sie an, ihre Eltern hätten im Herkunftsstaat ein Haus und eine Wohnung und seien - so wie die BF1 und ihre Brüder - hin und her gependelt. Zuletzt habe sie in der Wohnung gelebt. Vor ihrer nunmehrigen Ausreise habe sie ihren Herkunftsstaat bereits einmal verlassen, sie sei zwei Wochen in Tschetschenien gewesen. Sie sei ständig angerufen worden; der kasachische Geheimdienst habe ihr gedroht, sie einzusperren, da davon ausgegangen worden sei, dass sie in die Berge gehe. Zu Ihren Angehörigen in ihrem Herkunftsstaat habe sie nun über Computer Kontakt, ihr Vater sei Feuerwehrmann und ihre Mutter besitze ein kleines Lebensmittelgeschäft. Ihre Brüder würden nicht offiziell arbeiten, lediglich Gelegenheitsarbeiten verrichten. Sie selbst habe ein eigenes Geschäft betrieben und so ihre Ausreise finanziert. Sie habe einen Raum gemietet und dort Haushaltsartikel, Spielzeug und Telefonwertkarten verkauft.

Jeder, der ein eigenes Geschäft betreibe sei gezwungen, an bestimmte Leute Schutzgeld zu bezahlen. Zuerst hätte man von ihr ca. 200 € verlangt, im nächsten Monat ca. 400 € und am Ende des Monats nochmals 400 €. Das habe sie alles bezahlt, dann jedoch mitgeteilt, sie würde sich weigern, weitere Zahlungen zu leisten. Ihr sei gedroht worden ihr Kind zu vergewaltigen und habe sie eines Tages, als sie nach Hause zurückgekehrt sei, das Auto der Erpresser gesehen. Sie hätten lange gehupt, gleichzeitig sei ihr ein maskierter Mann entgegengekommen und habe begonnen sie zu schlagen. Als sie geschrien hätte, sei sie gewürgt worden. Mit einem metallenen Gegenstand habe er auf ihren Kopf geschlagen und ihr diesen Gegenstand an den Rücken gedrückt; sie könne nicht sagen, ob es sich hierbei um eine Pistole gehandelt habe, jedenfalls habe er gedroht zu schießen. Er habe ihr ins Gesicht geschlagen und als er ihren Mund etwas ausgelassen hätte, habe sie ihm ihren Laptop angeboten und um ihr Leben gefleht, sie habe auch einen Sohn. Der Maskierte habe ihre Geldtasche genommen und sei weggelaufen, alle ihre Sachen seien am Boden zerstreut gewesen. Die BF1 sei nach Hause zu ihrer Mutter gelaufen, sie habe am Kopf stark geblutet und habe ihre Mutter die Rettung gerufen, die sodann die Polizei alarmiert hätte. Die Rettung habe sie zu einem Chirurgen gebracht, die diesbezügliche Bestätigung habe sie heute vorgelegt und sei sie am Kopf genäht worden. Am nächsten Tag sei sie zum Zahnarzt gegangen, um die unteren Zähne, welche locker gewesen seien, untersuchen zu lassen. Sie habe sich alleine nicht mehr aus dem Haus getraut, habe ihr Handy immer bei sich getragen, um die Polizei zu alarmieren und habe das Haus nur mehr in Begleitung ihrer Eltern verlassen. Um von der Arbeit nach Hause zu gelangen, habe sie einen Wächter angestellt, der sie auf dem Weg immer begleitet habe. Eines Tages hätten sie zwei Männer bemerkt und hätte sie ihrem Wächter vorgeschlagen, umzukehren und die Polizei zu verständigen. Sie habe den Wächter gebeten, sich zu verstecken und hätten sie von ihrem Versteck aus beobachtet, wie die beiden Männer nähergekommen seien, nach ihr gesucht hätten und sodann wieder gegangen seien. Ein weiteres Mal hätten diese Männer ihren Wächter verfolgt, sodass dieser gekündigt hätte. Sie habe dann ein paar Mal die Polizei gerufen und habe sie diese sogar nach Hause begleitet, wenn sie sich verfolgt gefühlt hätte.

Diese Menschen würden viele Verbrechen machen, ohne bestraft zu werden. Auch auf den Vater ihres Sohnes sei geschossen und dieser verletzt worden, aber es sei kein Gerichtsverfahren eingeleitet worden. Auch in der Wohnung habe sie in ständiger Angst gelebt. Einmal, als ihr Sohn im Hof gespielt habe und sie ihn eine halbe Stunde nicht finden habe können, habe sie bereits an eine Entführung gedacht und die Polizei gerufen. Seit sie in Österreich sei, hätten sich ihre Träume über Überfälle deutlich gebessert. Über Vorhalt, wonach sich der geschilderte Vorfall laut vorgelegter Bestätigung am XXXX ereignet hätte und befragt, wo sie bis zu ihrer Ausreise gelebt hätte, antwortete die BF1, sie sei angerufen worden und sei ihr mitgeteilt worden, dass diese Personen auf Geld warten würden. Immer wieder sei sie bedroht worden. Zwar kenne sie diese Personen, doch könne sie nichts beweisen, da sie maskiert gewesen seien. Es sei zwar ein Verfahren eingeleitet worden, jedoch weiters nichts geschehen. Ein exaktes Datum der ersten Geldforderung könne sie nicht angeben, es sei irgendwann im Sommer gewesen.

Befragt, weshalb ihr eine Niederlassung in einem anderen Teil ihres Herkunftsstaates nicht möglich gewesen sei, um den Problemen zu entgehen, führte die BF1 aus, diese Leute seien überall in Kasachstan. Sie habe überall Angst gehabt, man habe ihr daher empfohlen, nach Österreich auszureisen. Auch ihr Sohn habe nach dem Vorfall Angst bekommen. Der BF2 habe keine eigenen Fluchtgründe. Von dessen Vater sei sie seit sieben Jahren geschieden und stehe sie mit diesem seit Jahren nicht mehr in Kontakt, auch habe er ihr nie geholfen oder sich für das Kind interessiert. Befragt, ob die BF1 im Falle ihrer Rückkehr mit der Unterstützung ihrer Eltern rechnen könne, antwortete diese, sie wisse dies nicht, sie habe diese nie um Unterstützung gefragt.

Zu ihrem Leben in Österreich gab die BF1 an, sie lebe mit ihrem Sohn in einem Asylheim. Sie habe zwei Deutschkurse besucht, ein Mitglied von Vereinen oder Organisationen sei sie nicht.

Weiters wurde eine Stellungnahme des Leiters des Asylheimes vorgelegt, wonach die BF1 regelmäßig den Deutschkurs im Heim besuche und sie andere Bewohner als Dolmetscherin bei Arzt- und Krankenhausterminen unterstütze.

1.4 Mit Bescheiden des BFA vom 10.07.2014 wurden die Anträge der BF auf internationalen Schutz gemäß § 3 Absatz 1 iVm § 2 Absatz 1 Ziffer 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status von Asylberechtigten abgewiesen (Spruchpunkt I.). Weiters wurden die Anträge auf internationalen Schutz gemäß § 8 Absatz 1 iVm § 2 Absatz 1 Ziffer 13 AsylG, bezüglich der Zuerkennung des Status von subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Kasachstan abgewiesen (Spruchpunkt II.) Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §§ 57 und 55 AsylG wurden nicht erteilt, sondern gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG gegen die BF1 und den BF2 jeweils eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Kasachstan zulässig ist, Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde die Frist zur freiwilligen Rückkehr mit vierzehn Tagen festgesetzt (Spruchpunkt III.).

In der Entscheidungsbegründung betreffend die Nichtzuerkennung des Asylstatus wurde seitens der belangten Behörde im Bescheid der BF1 im Wesentlichen ausgeführt, dass diese eine ihr im Herkunftsstaat drohende asylrelevante Gefährdung nicht habe glaubhaft machen können. Dass die staatlichen Behörden des Herkunftsstaates nicht in der Lage oder willens gewesen wären, ihr Schutz vor Verfolgung zu gewähren, habe sich schon aus dem Vorbringen der BF1 ergeben. Der Wunsch nach besseren, geordneten und gesicherten Lebensverhältnissen sei durchaus verständlich, eine aktuell drohende individuelle Gefahr einer asylrelevanten Bedrohung habe sie hingegen nicht glaubhaft vorgebracht. Es gäbe auch keine Anhaltspunkte auf das Vorliegen von Gefahren, welche die Erteilung subsidiären Schutzes rechtfertigen würden und sei auch eine Rückkehrentscheidung zu erlassen gewesen.

Im Bescheid des BF2 wurde ausgeführt, dass für ihn keine eigenen Fluchtgründe geltend gemacht worden seien und auf den Bescheid seiner Mutter verwiesen.

1.5 Gegen diese Bescheide brachten die BF eine gleichlautende Beschwerde ein, worin zusammengefasst vorgebracht wurde, die BF1 habe mit ihrer Familie große Probleme gehabt, da sie sich einer strengeren Form des Islam zugewandt habe und ihren Glauben durch ihre Kleidung und regelmäßige Gebete Ausdruck verliehen habe. Die BF1 sei von ihrer Mutter auch geschlagen worden, einmal habe diese eine Decke, in welche die BF1 gehüllt gewesen sei, mit Öl übergossen und angezündet. Die BF1 sei bisher nicht in der Lage gewesen, über die Vorfälle innerhalb ihrer Familie zu sprechen. Auch von ihrem Ex-Mann sei die BF1 bedroht und misshandelt worden. Zum vermeintlichen Schutz wurde vorgebracht, es sei zwar richtig, dass die BF1 oftmals nach Hause begleitet worden sei und derart Schutz durch die Exekutive erhalten habe, jedoch seien die Möglichkeiten von Beamten in Kasachstan eingeschränkt. Allein die Tatsache, dass es für diese die Möglichkeit, Fingerabdrücke abzunehmen nicht gebe oder eine Anrufrückverfolgung nicht durchführbar sei, spreche für die beschränkten Mittel und stelle einen Personenschutz im Gesamten in Frage. Die BF1 sei eindringlich darauf hingewiesen worden, die Polizei nicht jeden Tag anzurufen. All dies lasse fraglich erscheinen, inwieweit die Behörden gewillt seien, der BF1 Schutz zu gewähren. Eine IFA stelle keine Option dar, da die Verfolger über ein Netzwerk verfügen würden und sie überall finden würden. Auch sei seitens der Behörde nicht hinterfragt worden, inwieweit eine solche für die BF1 als alleinerziehende Mutter ohne familiärer Unterstützung zumutbar wäre.

Der Beschwerde wurden folgende Unterlagen beigefügt:

-        Befund eines Facharztes für Neurologie und Psychiatrie vom 10.06.2014, wonach bei der BF1 eine „posttraumatische Belastungsstörung, Angststörung, unsystematischer Schwindel und eine mögliche Somatisierungsstörung“ diagnostiziert wurden. Als Therapie wurden Sertralin 50mg, Trittico 150mg und eine Psychotherapie empfohlen;

-        Psychotherapeutische Stellungnahme vom 24.07.2014 betreffend die BF1;

-        Schreiben eines Allgemeinmediziners vom 21.07.2014, wonach bestätigt werde, dass die BF1 am rechten Hinterkopf eine 3 cm lange Narbe aufweise;

-        Schulbesuchsbestätigung des BF2 für das Schuljahr 2013/14 (2. Klasse Volksschule), wonach eine Beurteilung mangels Sprachkenntnisse nicht möglich sei;

-        Empfehlungsschreiben des Heimleiters für die BF1;

-        Teilnahmebestätigung der BF1 für einen Deutschkurs.

1.6. In weiterer Folge wurde betreffend die BF1 ein Deutschzeugnis (Niveau A1.2) sowie ein Arztbrief des BF2 in Vorlage gebracht.

1.7 Am 09.09.2015 fand eine mündliche Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht statt, in welcher die BF1 zu ihren Fluchtgründen, ihrem Familien- und Privatleben und allfälligen Integrationsaspekten sowie ihrem Gesundheitszustand befragt wurde.

Zu ihrem Leben in Österreich gab die BF1 in der Verhandlung an, sie sei in Österreich als Dolmetscherin tätig, wofür sie etwa 200 € bekomme. Sie habe einen Deutschkurs gemacht und habe sie Freunde in der Pension wo sie lebe, von den Kursen und bei der Caritas.

Zu ihren Verwandten in der Heimat gab sie an, ihre Eltern und zwei Brüder würden dort leben. Mit ihrem Bruder stehe sie in Kontakt. Sie habe ihren Eltern damals nicht gesagt, dass sie wegfahre, weshalb ihre Familie eine Vermisstenanzeige aufgegeben hätte. Die Familie habe geglaubt, dass sie – weil sie ein Kopftuch trage – nach Syrien gefahren sei. Nunmehr werde nach der BF1 aber nicht mehr gesucht, sondern habe sie die Angelegenheit betreffend die Vermisstenanzeige mit der kasachischen Polizei geregelt. Betreffend die Übergriffe habe sie eine Anzeige bei der Polizei gemacht.

Zu chronischen Krankheiten befragt, führte die BF1 aus, ihre Hand habe gezittert und habe sie Tabletten eingenommen, welche ihr der Psychiater verschrieben habe. Sie habe Herzschmerzen, aber der Arzt habe gemeint, dass alles okay sei. Zudem nehme sie Tabletten wegen der Schilddrüse ein.

Hinsichtlich der Krankheiten des BF2 befragt, gab sie an, dieser könne nur bis 10 zählen, habe ergrautes Haar und sei nachts Bettnässer. Er sei schon in der Heimat Bettnässer gewesen und habe in der ersten Klasse nicht auf den Lehrer reagiert, weshalb man ihm dann gesagt habe, dass er mit „geistig zurückgebliebenen“ Kindern weiterlernen werde. Aus diesem Grund sei sie aber nicht nach Österreich gekommen, sondern weil die Leute sie bedroht und nicht in Ruhe gelassen hätten. Wegen dem Problem des BF2 habe sie nichts unternommen, sondern habe sie geglaubt, dass es vorbeigehe. Freunde habe ihr Sohn in Österreich nicht, er unterhalte sich aber mit zwei Schülern aus seiner Klasse auf Deutsch. Auch in der Pension habe er einen Freund aus dem Kindergarten.

Befragt, was passieren würde, wenn sie mit dem BF2 nach Kasachstan zurückkehre, gab die BF1 an, dort in Gefahr zu sein und habe sie Angst, dass ihrem Sohn etwas passieren werde. Dies deshalb, weil die Leute sie zusammengeschlagen und ihr gesagt hätten, dass man sie und ihren Sohn vergewaltigt würde. Nach Vorhalt, sie habe bei der Behörde nur davon gesprochen, dass man ihr Kind vergewaltigen werde, beharrte sie darauf, ihr sei auch gesagt worden, dass man sie vergewaltigen werde. Sie sei tatsächlich vergewaltigt worden, aber nicht von diesen Leuten und habe dies auch nichts mit ihrer Ausreise zu tun, da dies schon lange her sei. Sie habe vieles nicht gesagt, auch nicht, dass ihre Mutter sie geschlagen habe.

Zu ihren Fluchtgründen befragt, bejahte die BF1 auf Nachfrage des Richters, dass sie eine Verfolgung durch Privatpersonen, aber keine Verfolgung durch staatliche Behörden fürchte. Die Rettung sei gekommen und man habe dann die Polizei angerufen, welche das aufgenommen habe. Es sei auch richtig, dass sie sich teilweise durch Polizeischutz innerhalb ihres Wohnortes bewegt habe. Sie habe zuerst einen Wachmann beauftragt, wobei man hinter diesem hergerannt sei. Der Wachmann habe dann Angst um seine Familie bekommen und ihr dann gesagt, dass er das nicht mehr machen könne. Immer wenn sie gesehen habe, dass jemand hinter ihr her sei, habe sie schnell die Polizei gerufen, welche sie bis zum Haus begleitet habe. Sie habe immer das Handy in der Hand gehalten, falls etwas passiere. Eigentum habe sie in Kasachstan nicht mehr. Sie habe mit dem BF2 und ihren Eltern zusammengelebt. Ihren Wohnort innerhalb von Kasachstan habe sie nicht verlegt, weil man erfahren hätte, wo sie sich befinde. Wenn die Leute die Polizisten bestochen hätten, hätte man erfahren, wo sie sich befinde. Nach Vorhalt, dass die kasachische Polizei wisse, wo sich die BF1 jetzt befinde, antwortete diese, dass sie (gemeint: die Leute/Verfolger) nicht hierherkommen könnten, da es hier eine andere Polizei gebe, welche man nicht bestechen könne bzw. sie (gemeint: die Leute/Verfolger) nicht erfahren könnten, wo sie sich befinde. Diesen könnten nicht wissen, in welcher Stadt sie sich befinde und habe ihr der Leiter der Polizei seine Telefonnummer gegeben und ihr gesagt, dass sie jederzeit persönlich anrufen könne.

Nach dem unmittelbaren Anlass für das Verlassen des Herkunftsstaates befragt, antwortete die BF1, dass sie zusammengeschlagen und jedes Mal verfolgt worden sei. Sie habe große Angst um ihren Sohn und würde sie es nicht überleben, wenn ihm etwas zustoßen sollte.

Die Rechtsvertreterin legte in der Verhandlung zwei ärztliche Bestätigungen (vom 07.08.2015 und 01.08.2015), ein Nervenärztliches Attest vom 03.09.2015, einen HNO-Befundbericht vom 04.09.2015, Bestätigungen vom 07.07.2015 über laufende Psychotherapien betreffend die BF1 und den BF2 sowie Deutschprüfungszertifikate der BF1 vor.

Über Befragung der Rechtsvertreterin gab die BF1 weiters an, sie wisse nicht, ob sie familiäre Unterstützung habe, wenn sie nach Kasachstan zurückkehren würde. Kontakt mit ihrem Exmann habe sie nicht und habe dieser auch keine Ansprüche auf seinen Sohn gestellt.

Abschließend wurden dem Verfahren das Länderinformationsblatt zu Kasachstan (Stand 23.02.2015) sowie drei Anfragebeantwortungen der Staatendokumentation (zur Situation alleinerziehender Frauen, psychotherapeutischer Versorgung von Kindern in und dem Obsorgeverfahren) zu Grund gelegt und der BF1 die Möglichkeit eingeräumt eine Stellungnahme abzugeben. Von dieser Möglichkeit machte die BF1 Gebrauch und brachte sie am 02.10.2015 eine Stellungahme zu den in der Beschwerdeverhandlung ausgehändigten Länderfeststellungen ein.

1.8 Mit Erkenntnissen des BVwG vom 27.10.2015, GZ: W147 2010437-1/15E und W147 2010435-1/8E, wurden die Beschwerden der BF hinsichtlich aller Spruchpunkte der Bescheide als unbegründet abgewiesen und die Revision jeweils für nicht zulässig erklärt.

Der erkennende Richter führt im Erkenntnis der BF1 in der Entscheidungsbegründung hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Asylstatus insbesondere wie folgt aus:

„Zutreffend kam die belangte Behörde im gegenständlichen Fall im Rahmen der Beweiswürdigung des angefochtenen Bescheides zum Ergebnis, dass die Beschwerdeführerin kein asylrelevantes Vorbringen glaubhaft darzustellen vermochte.

Erst im Beschwerdeschriftsatz wird überraschend vorgebracht, Grund für ihre Ausreise seien nicht nur der von ihr geschilderte Vorfall mit Schutzgelderpressern sondern weiters auch innerfamiliäre Probleme mit ihrer Mutter, die ebenso wie ihr Ex-Gatte Gewalt gegen sie angewendet hätte, gewesen.

In diesem Zusammenhalt ist der Beschwerdeführerin jedoch grundsätzlich das "Neuerungsverbot" entgegenzuhalten. Im neuen Vorbringen in ihrem Beschwerdeschriftsatz ist der Versuch einer Steigerung des bisher Erstatteten zu sehen, um im Hinblick auf die begründete abweisende Entscheidung der belangten Behörde einen anderen, allfällig möglichen asylrelevanten Sachverhalt zu konstruieren. Derartige Angaben hat die Beschwerdeführerin im erstinstanzlichen Verfahren nie getätigt, obwohl sie aufgefordert wurde, sämtliche Fluchtgründe anzugeben. Es sind diesbezüglich auch keine Anhaltspunkte hervorgekommen, dass die Beschwerdeführerin im Verfahren vor der belangten Behörde nicht in der Lage gewesen wäre, diese Angaben zu tätigen. Soweit im Beschwerdeschriftsatz auf eine psychische Erkrankung der Beschwerdeführerin hingewiesen wird, ist zu entgegnen, dass diese für sich allein nicht nachvollziehbar erklärt, weshalb die Beschwerdeführer diese angeblichen Probleme im gesamten behördlichen Verfahren gänzlich unerwähnt lässt, sondern dezidiert angab, sogar bei ihren Eltern Schutz gesucht zu haben und nur mehr in Begleitung mit diesen das Haus verlassen hätte. In der Beschwerdeverhandlung seitens ihrer Vertretung dezidiert befragt, ob sie im Falle einer Rückkehr mit familiärer Unterstützung rechnen können, verneinte dies die Beschwerdeführerin nicht, sondern gab an, sie wisse es nicht. Ebenfalls in der Verhandlung führte die Beschwerdeführerin aus, mit einem ihrer Brüder in Kontakt zu stehen und gemeinsam mit ihrem Sohn bei ihren Eltern gewohnt zu haben. Eine Vermisstenanzeige ihrer Familie habe sie von Österreich aus telefonisch mit den Behörden ihres Herkunftsstaates aufgeklärt. Unter Berücksichtigung der insbesondere im Kulturkreis der Beschwerdeführerin bestehenden engen Familienbande ist daher sehr wohl davon auszugehen, dass die Beschwerdeführerin – unbeschadet des oben angesprochenen Versuchs der Steigerung und Abänderung ihres Vorbringens in der Beschwerde – im Falle ihrer Rückkehr auf eine Unterstützung seitens ihrer Familie zurückgreifen kann.

Im verwaltungsbehördlichen Verfahren brachte die Beschwerdeführerin somit für das nunmehrige Beschwerdeverfahren von Relevanz eine Verfolgung durch Privatpersonen vor. Unbeschadet der in der Darstellung des Ablaufes widersprüchlichen Angaben der Beschwerdeführerin, so gab sie im Zuge der Erstbefragung zwei, im Rahmen der niederschriftlichen Einvernahme vor der belangten Behörde drei erfolgte Schutzgeldzahlungen unterschiedlicher Höhen an, gestand sie sowohl vor der belangten Behörde als auch in der mündlichen Beschwerdeverhandlung ein, polizeilichen Schutz in Anspruch genommen und diesen auch erhalten zu haben. Dem erkennenden Richter zeigte sie sogar die private Nummer des Leiters der zuständigen Polizeiabteilung, welcher ihr eine jederzeitige Kontaktaufnahme zu ihrem Schutze angeboten hätte.

Nach der ständigen Rechtsprechung des VwGH liegt eine dem Staat zuzurechnende Verfolgungshandlung zwar nicht nur dann vor, wenn diese unmittelbar von staatlichen Organen aus Gründen der Konvention gesetzt wird, sondern es kann eine dem Staat zuzurechnende asylrelevante Verfolgungssituation auch dann gegeben sein, wenn der Staat nicht gewillt oder nicht in der Lage ist von Privatpersonen ausgehende Handlungen mit Verfolgungscharakter zu unterbinden, sofern diesen – würden sie von staatlichen Organen gesetzt – Asylrelevanz zukommen sollte (VwGH 21 .9. 2000, 98/20/0434; VfGH 3. 9. 2009, U 591/08). Auf die Frage, ob der Staat „seiner Schutzpflicht nachkommen kann“, kommt es im Zusammenhang mit einer drohenden Privatverfolgung, die in keinem Zusammenhang mit einem Konventionsgrund steht, jedoch nur an, wenn die staatlichen Einrichtungen diesen Schutz wiederum aus Konventionsgründen nicht gewähren (VwGH 24. 6. 1999, 98/20/574; dazu auch VwGH 13. 11. 2001, 2000/01/0098; 23. 11. 2006, 2005/20/0406).

Selbst bei Wahrunterstellung des seitens der Beschwerdeführerin vorgebrachten Sachverhaltes ist festzuhalten, dass die Verfolgung durch Privatpersonen weder auf Konventionsgründen beruhte noch ein staatlicher Schutz aus eben diesen Gründen verwehrt wurde.

Unter Verweis auf die oben zitierte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, wonach gerade der persönliche Eindruck für die Bewertung der Glaubwürdigkeit der Angaben von Wichtigkeit ist, ist festzuhalten, dass die Beschwerdeführerin im Zuge der Beschwerdeverhandlung zur medizinischen Vorgeschichte der Beschwerden ihres Sohnes vorbrachte, dieser habe bereits im Herkunftsstaat Lernschwächen gezeigt und sei „Bettnässer“ gewesen und befragt zu ihren weiteren Bemühungen als besorgte Mutter angab, nichts, denn sie habe geglaubt, dass es vorbeigehen würde, dann seien sie nach Österreich gekommen. Vielmehr ist daher menschlich verständlich vielmehr eine aus diesen Gründen motivierte bewusste Ausreise der Beschwerdeführerin mit ihrem Son zu vermuten.

Eine direkte unmittelbare individuelle asylrelevante Bedrohung hat die Beschwerdeführerin somit glaubwürdig nicht vorgebracht und liegt eine solche zum Entscheidungszeitpunkt nicht vor. „

Die Nichtzuerkennung von subsidiärem Schutz an die BF1 wurde zusammengefasst damit begründet, dass diese an keinen chronischen oder lebensbedrohlichen Krankheiten leide, welche einer Rückkehr in ihren Herkunftsstaat entgegenstehen würden und sei ihr eine Teilnahme am Erwerbsleben prinzipiell möglich. Sie verfüge über Berufserfahrung, könne auch auf familiäre Unterstützung zurückgreifen und zudem staatliche Unterstützung/Hilfe durch NGOs in Anspruch nehmen.

Hinsichtlich der Rückkehrentscheidung kam das erkennende Gericht betreffend die BF1 zum Schluss, dass sich diese zwar Deutschkenntnisse angeeignet habe, aber von Mitteln aus der Grundversorgung lebe und sich ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst hätte sein müssen. Gesamtbetrachtend hätten vor dem Hintergrund der relativ kurzen Aufenthaltsdauer keine nennenswerten Anknüpfungspunkte wirtschaftlicher oder sozialer Natur im Bundesgebiet festgestellt werden können und sei eine Rückkehrentscheidung daher zulässig.

Im Erkenntnis des BF2 wird darauf hingewiesen, dass ein Familienverfahren vorliege und die BF1 für den BF2 keine individuellen Gründe für die Gewährung von Asyl oder subsidiärem Schutz vorgebracht habe bzw. diese auch von Amts wegen nicht hervorgekommen seien. Die von der BF1 vorgebrachten Gründe für das Verlassen der Heimat seien insgesamt nicht glaubwürdig bzw. asylrelevant. Der BF2 leide an keinen relevanten (schwerwiegenden bzw. chronischen) Erkrankungen, eine Behandlung seiner psychischen Beeinträchtigungen sei im Herkunftsstaat möglich. Die BF1 sei zur Teilnahme am Erwerbsleben fähig und würden auch Verwandte im Herkunftsstaat leben bzw. staatliche Unterstützung zur Verfügung stehen. Der BF2 besuche in Österreich die Volksschule, sei aber anpassungsfähig und könne er durch die BF1 und die Verwandten im Herkunftsstaat Hilfe bei der Wiedereingliederung erhalten, weshalb eine Rückkehrentscheidung insgesamt zulässig sei.

1.9 Gegen diese Erkenntnisse des BVwG brachten die BF jeweils das Rechtsmittel der außerordentlichen Revision ein, welche mit Beschluss des VwGH vom 19.01.2016 zurückgewiesen wurden. Der VwGH ging davon aus, dass sich die beweiswürdigenden Überlegungen des BVwG in ihrer Gesamtheit als nachvollziehbar und schlüssig darstellen würden.

2. Zweites Verfahren auf internationalen Schutz:

2.1 Am 26.02.2016 stellte die BF1 erneut einen Antrag auf internationalen Schutz.

2.2 Am selben Tag fand vor Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes die Erstbefragung der BF1 statt. Diese gab auf die Frage, was sich seit Abschluss des rechtskräftig entschiedenen Verfahrens konkret geändert habe, an, dass die Leute, die auf ihren Mann geschossen und sie geschlagen hätten, weiterhin nach ihr und ihrem Mann suchen würden. Ihre Angaben zum Erstantrag hätten sich nicht geändert. Sie habe in der Zwischenzeit die fehlenden Beweismittel per Post zugesandt bekommen. Diese habe sie zum Zeitpunkt des Erstantrages noch nicht zur Verfügung gehabt. Es handle sich dabei um medizinische Bestätigungen, welche die Schussverletzungen ihres Mannes belegen würden und um medizinische Bestätigungen zu ihren Verletzungen, welche durch die Schläge im Gesicht, am Kopf und am Körper entstanden seien. Auch habe ihr ihr Bruder per WhatsApp mitgeteilt, dass sie weiterhin von diesen Leuten gesucht werde. Sie habe die Beweismittel nicht vorher vorlegen können, da ihr Bruder ihren Ex-Mann - der die Beweismittel bei sich gehabt habe und sich in einer anderen Stadt aufgehalten habe - eine Zeit lang nicht auffinden habe können.

Bei einer Rückkehr habe sie Angst vor den Banditen und dass der BF2 getötet werde.

Auf Nachfrage, seit wann ihr die Änderungen der Situation bzw. ihrer Fluchtgründe bekannt sei, führte die BF1 aus, ihr Bruder habe ihr die Beweismittel im November 2015 geschickt. Sie habe diese am 25.11.2015 erhalten. Einen weiteren Teil der Dokumente habe der Bruder am 07.12.2015 geschickt.

Sie wolle auch für den BF2 einen Asylantrag stellen.

2.3 Am 23.03.2016 fand vor dem BFA eine Einvernahme der BF1 statt.

Die BF1 gab an, es sei von der Behörde notiert worden, dass sie Kontakt zu ihren Eltern habe, aber sie wolle angeben, dass sie nur Kontakt mit ihrem Bruder in Kasachstan habe. Sie wolle keinen Kontakt mehr zu ihrer Mutter, da sie von ihren Eltern geschlagen worden sei, weil sie ein Kopftuch trage. Ihr Vater sei Alkoholiker gewesen und habe sie nicht vor ihrer Mutter schützen können.

Zu ihrem Leben in Österreich führte sie aus, sie habe einen Deutschkurs besucht und habe sie eine Bestätigung betreffend die freiwillige Unterstützung in der Unterkunft mit.

Die Frage, ob sie neue Fluchtgründe habe, verneinte die BF1 und gab sie an, Beweise für ihre Fluchtgründe zu haben. Sie habe eine (schon im ersten Verfahren vorgelegte) Bestätigung von einem Chirurgen aus Kasachstan, wonach sie auf der linken Seite des Kopfes genäht worden sei. Zudem habe sie blaue Flecken gehabt. Sie habe aber noch weitere Beweise, welche sie im ersten Verfahren nicht vorgelegt habe, sondern ihr nun von ihrem Bruder aus Kasachstan per Post geschickt worden seien. Es handle sich dabei um eine Bestätigung eines Krankenhauses vom XXXX . Diese beweise, dass ihr Ex-Mann wegen einer Schussverletzung mit der Rettung eingeliefert worden sei. Zudem habe sie eine weitere ärztliche Bestätigung, welche zeige, dass sie lockere Zähne habe. Ihre Zähne seien wegen der Vorfälle aus dem Jahr 2012 locker, die Lockerung sei aber erst jetzt festgestellt worden, da sie nun Schmerzen gehabt habe und ein spezielles Röntgenbild durchgeführt worden sei. Weiters habe sie Fotos von dem damaligen Unfall, den Zulassungsschein ihres Autos, in welchem ihr Ex-Mann unterwegs gewesen und angeschossen worden sei, den Leasing-Vertrag ihres Autos sowie die monatliche Zahlbestätigung mit. Dies alles habe sie bis jetzt nicht vorlegen können.

Ihr Ex-Mann sei immer mit ihrem Auto gefahren. Sie habe sich am XXXX von ihm scheiden lassen. Auch die Scheidungspapiere habe sie mit. Am XXXX habe sie einen Antrag auf Zahlung von Alimente gestellt.

Befragt, warum sie erst jetzt alle Beweismittel vorlege, führte die BF1 aus, dass ihr Ehemann erst jetzt gefunden worden sei. Er habe in einer anderen Stadt in Kasachstan gelebt und habe der Bruder daher erst jetzt die Beweismittel per Post schicken können. Zudem sei ihr Bruder dauernd krank gewesen, sei an TBC erkrankt und invalide. Mittlerweile gehe es ihm aber besser. Sie habe auch dazu eine ärztliche Bestätigung sowie eine handgeschriebene Bestätigung ihres Bruders, dass er dies alles per Post geschickt habe.

Auf die Frage, ob sich an den Gründen, weshalb sie ihren Herkunftsstaat verlassen habe, konkret etwas geändert habe, gab die BF1 erneut an, dass sie die Beweismittel für die alten Fluchtgründe von ihrem Bruder per Post erhalten habe und deswegen den neuerlichen Asylantrag stelle. Sie werde noch immer von den Personen verfolgt, die ihren Exmann verletzt hätten. Deshalb könne sie auch nicht in ihre Heimat zurück.

Zum Gesundheitszustand des BF2 führte sie aus, dieser bekomme nun eine Psychotherapie und wolle sie auch zwei weitere Befunde für ihn vorlegen.

Abschließend verzichtete die BF1 auf die Einbringung einer Stellungahme zu den Länderberichten und wurden die von der BF1 vorgelegten Beweismittel dem Verwaltungsakt beigefügt.

2.4 Am 04.09.2017 fand eine weitere Einvernahme der BF1 vor dem BFA statt.

Die BF1 gab an, gesund zu sein und Tabletten wegen ihrer Schilddrüse sowie Eisentabletten einzunehmen. Sie werde deshalb seit ca. zwei Jahren behandelt. Zuerst habe sie das Medikament „Nervenruh“ eingenommen, nun habe der Arzt gesagt, sie müsse Sertralin nehmen. Sie nehme die Tabletten bei Bedarf, wenn sie sich aufregen müsse. Diesbezüglich sei sie erst in Österreich in Behandlung.

Betreffend den BF2 führte sie aus, dieser gehe jeden Montag zur Therapie beim Verein XXXX . Er habe Probleme in Mathe, zähle noch mit den Fingern und werde er nachts hin und wieder wach. Er bekomme in der Schule spezielle Unterstützung. Tabletten nehme er derzeit nicht. Der BF2 trainiere Taekwondo.

Zu ihrer Scheidung befragt, gab die BF1 an, sie wisse nicht, ob sie Unterlagen vorgelegt habe, sie habe einfach alles vorgelegt, was sie habe. Die Scheidung sei in XXXX gewesen, wann genau, wisse sie nicht, ungefähr sei es 2011 gewesen. Sie habe das alleinige Sorgerecht für den BF2. Ihr Ex-Mann hätte zahlen müssen, es aber nie gemacht. Er habe nur Hilfsarbeiten ausgeführt, nicht offiziell gearbeitet. Als sie mit dem Mann zusammengelebt habe, habe dieser mit Kriminellen zu tun gehabt. Er sei in anderen Städten gewesen, sie habe nichts zu essen zu Hause gehabt und oft Hunger gehabt. Später hätten ihre Eltern auf den BF2 geschaut und sie habe etwa als Sekretärin, Kellnerin gearbeitet. Das Geld habe nicht für die Wohnung gereicht, daher sei sie zu den Eltern gezogen. Ca. ein Jahr nach der Scheidung habe sie angefangen selbstständig zu arbeiten. Sie habe im Haus/Geschäft der Eltern einen Verkaufsstand erhalten und diverse Waren verkauft. Dies habe sie bis zu ihrer Ausreise gemacht und davon leben können. Als sie bei den Eltern gelebt habe, hätten sie sich gemeinsam ernährt. Aktuell habe sie selten Kontakt zu den Eltern, zuletzt vor zwei Wochen. Ihre Mutter hätte berichtet, der jüngere Bruder sei vor ca. einem halben Jahr oder früher mitgenommen, geschlagen und verhört worden. Dies weil ein Freund nach Syrien gefahren sei. Er habe dann jemand einflussreichen angerufen, welcher ihm geholfen habe und nun sei der Bruder wieder zu Hause und es gehe ihm gut.

Befragt, wie der ältere Bruder zu den Unterlagen gekommen sei, gab die BF1 an, der Arzt, welcher den Ex-Mann operiert habe, habe ihm gesagt, dass er zum Archiv fahren müsse. Dort habe er die medizinischen Unterlagen erhalten. Es habe niemand Kontakt zum Ex-Mann und wisse auch niemand, wo sich dieser aufhalte.

Nach Vorhalt, dass sie in der Erstbefragung angegeben habe, dass ihr Bruder den Ex-Mann nicht finden habe können, da er sich in einer anderen Stadt versteckt gehabt habe, gab die BF1 an, es sei richtig, dass er sich in einer anderen Stadt verstecke. Der Bruder ihres Ex-Mannes arbeite beim KNB, ob dies jetzt noch so sei, wisse sie nicht. Befragt, woher sie dann wisse, dass sich ihr Ex-Mann in einer anderen Stadt verstecke, gab die BF1 an, er habe sich in einer anderen Stadt versteckt, als sie noch verheiratet gewesen wären. Sie wisse, dass er dorthin flüchte, wenn etwas geschehe. Aber sie könne nicht genau sagen, wo diese sei, es sei aber in der Stadt XXXX . Von ihrem Ex-Mann habe sie zuletzt beim Gericht wegen der Alimente gehört.

Befragt, warum sie erst am 26.02.2016 einen Asylantrag gestellt habe, sie die Unterlagen aber schon im Dezember 2015 erhaltenen habe, gab die BF1 an, dass dies nach der negativen Entscheidung gekommen seien.

Auf die Frage, warum sie den Folgeantrag gestellt habe bzw. immer noch eine Verfolgung vorliege, führte die BF1 aus, die Menschen, welche sie überfallen und verfolgt hätten, würden vor dort stammen, wo ihre Verwandten leben. Auch wenn sie in eine andere Stadt fahre, würden diese Menschen es erfahren. Man hätte sie umbringen wollen und würde man sie umbringen, wenn sie zurückkehre. Sie sei bereits von ihnen geschlagen und ihr Ex-Mann überfallen worden. Befragt, woher sie wisse, dass es sich dabei um die gleichen Männer handle, gab die BF1 an, es sei – als sie nach Hause zurückgekommen sei – ein Auto gestanden. Sie habe gewusst, dass sie hier stehen und habe sie gedacht, dass der Mensch, den sie gesehen habe, vorbeigehen würde. Dann habe er sie plötzlich überfallen, angefangen sie zu schlagen und zu würgen. Sie habe keine Luft bekommen und habe er ihr mit etwas aus Metall auf den Kopf geschlagen. Die BF1 glaube, dass er eine Pistole auf ihren Rücken gehalten habe. Der Vorfall sei am Tag des Überfalles, im Jahr 2012, gewesen. Es sei kalt gewesen. Befragt, ob jemals herausgefunden worden sei, wer dies gewesen sei, gab sie an, sie hätte ihn nicht identifizieren können. Bei der Polizei habe man gefragt, ob ihr Mann sie überfallen habe. Auf die Frage, ob es richtig sei, dass sie damals Kontakt zur Polizei bzw. mit höheren Beamten gehabt habe, gab die BF1 an, sie habe jemanden gehabt, der sie geholt und gebracht habe. Seine Frau sei schwanger gewesen und sei auch er bedroht worden, weshalb er sie nicht mehr beschützen habe können. Der Polizeichef oder sein Stellvertreter habe ihr seine Nummer gegeben und ihr gesagt, er könne sie anrufen. Sie habe ihn aber nicht angerufen, da sie ihm nicht vertraut habe.

Befragt, ob sie wisse, wer sie überfallen habe, gab die BF1 an, sie kenne nur die Familiennamen von deren Chefs, welche ihnen Anweisungen gegeben hätten. Alle würden wissen, dass sie örtliche Banditen seien. Es sei allgemein bekannt, dass sie Leute bedrohen würden. Auf die Frage, warum sie diese Personen in Zusammenhang bringe, gab die BF1 an, sie habe damals erzählt, dass diese das Geld genommen hätten. Sie habe 250 gegeben, 50, dann 100. Die Frage, ob sie Schutzgeld meine, bejahte sie und gab sie an, insgesamt seien es 250 gewesen. Nach Vorhalt, dass sie, obwohl sie nicht wisse, wer dies gewesen sei, noch immer eine Bedrohung fürchte, gab die BF1 an, es sei ein langes Signal gewesen und sei ein Auto dort gestanden. Sie wisse, dass es diese Menschen gewesen seien. Da man sie umbringen habe wollen und diese es beenden würden, fürchte sie auch aktuell noch eine Bedrohung. Sie habe keine Informationen darüber, ob sich diese Menschen noch immer dort aufhalten würden.

Zu ihrem Bruder befragt, gab die BF1 an, sie habe noch immer Kontakt mit ihm. Beide Brüder würden in XXXX leben und nicht arbeiten. Befragt, was sie mit den Fotos der zerstörten Autos beweisen wolle, gab die BF1 an, diese sollen belegen, dass man auf ihren Ex-Mann geschossen habe. Sie denke, dass dies etwas mit ihrem Vorfall zu tun habe. Nach Vorhalt, dass der Vorfall ihren Ex-Mann betreffend 2009 gewesen sei, ihr Vorfall 2012 und befragt, warum sie glaube, dass dies nach so langer Zeit gewesen sei, gab die BF1 an: „Diese Menschen tun was sie wollen.“ Der Vorfall mit ihrem Ex-Mann sei in derselben Stadt gewesen, sie sei damals nicht dabei gewesen. Nach Vorhalt, dass sie 2012 schon geschieden gewesen sei und befragt, warum sie den Zusammenhang vermute, gab die BF1 an, sie könne nicht genau sagen, ob es einen Zusammenhang gegeben habe.

Befragt, ob sie für den BF2 neue Fluchtgründe vorzubringen habe, führte die BF1 aus, dass dieser zur Therapie gehe, einen Betreuer habe und Ausflüge mache. Erneut befragt, ob sie für den BF2 eigene Fluchtgründe vorbringen wolle, gab die BF1 an, sie träume ständig davon, dass der BF2 entführt oder vergewaltigt werde. Sie sei wegen ihrem Sohn gekommen. Befragt, warum sie glaube, dass ihr Sohn entführte werden sollte, gab die BF1 an, die Leute, die sie bezahlt habe, hätten damit gedroht. Sie habe auch den Betreuern in Österreich nicht getraut und Angst gehabt, dass ihrem Sohn etwas geschehen könnte. Jetzt vertraue sie den Betreuern und wisse sie, dass es so etwas hier nicht gebe, aber habe sie trotzdem schlechte Gedanken.

Zu ihrem Leben in Österreich befragt, gab die BF1 an, sie arbeite in einem Asylheim als Dolmetscherin. Sie helfen den kranken Menschen im Quartier. Sie bekomme 3,50 €/Stunde, ca. 150 €/Monat. Sie habe auch Häuser gereinigt und bei Hochzeiten gekellnert. Zudem habe sie einer Frau geholfen, welche Deutschkurse mache. Sie selbst habe die Diplome B1.1 und B1.2 abgeschlossen.

Auf Nachfrage gab die BF1 an, sie hätte bei einer Rückkehr seitens der Regierung nichts zu befürchten.

Abschließend führte die BF1 – nach Befragung des Rechtsvertreters - aus, dass die Mutter ihre beiden Brüder erhalten würde. Der Vater arbeite nicht, er trinke. Sie sei von der Polizei beschützt bzw. begleitet worden. In Österreich habe sie sich zweimal wegen einem Job vorgestellt, sei aber nicht genommen worden, weil diese gemeint hätten, dass sie Strafe zahlen müssten.

Im Zuge der Einvernahme legte die BF1 ua. folgende Unterlagen vor:

-        Foto der Fahrgestellnummer des Autos der BF1 sowie der Zulassungsschein;

-        Bestätigung des Bruders der BF1 betreffend dessen Invalidität;

-        Leasing Vertrag des Autos der BF1 sowie Bestätigung der monatlichen Leasingrate;

-        Einlieferungsbestätigung eines Krankenhauses betreffend den Ex-Mann der BF1;

-        Krankenhausbestätigung des Bruders der BF1;

-        Bestätigung des Bruders der BF1, wonach er per WhatsApp Unterlagen geschickt habe;

-        Kuverts, adressiert an die BF1;

-        Zahnärztlicher Kurzbericht betreffend die BF1 vom 21.01.2016, darauf wurden „Schmerzen, Wurzelapexfraktur, V+, Vitaleetirpation“ vermerkt;

-        Unterlagen betreffend die Scheidung der BF1;

-        Antrag betreffend Alimente für den BF2;

-        Bestätigungen für den Besuch von Deutschkursen für die BF1 (Niveaus B1.1, B1.2, B2.1);

-        Ärztlicher Befundbericht einer Fachärztin für Kinder- und Jugendheilkunde vom 21.08.2015 betreffend den BF2, wonach bei ihm die Diagnose „Enuresis nocturna prim. Sprachentw.verzögerung b. 2-Sprachigkeit Rechenschwäche Posttraumatische Belastungsstörung“ erstellt wurden;

-        Stellungnahme eines Krankenhauses vom 31.08.2017, wonach die BF1 Kinder und Jugendliche begleite und für diese in Bezug auf medizinische/psychosoziale Probleme dolmetsche;

-        Empfehlungsschreiben für die BF vom 28.08.2017;

-        Bestätigung eines Taekwondo Vereines, wonach der BF2 seit 2016 aktives Mitglied sei;

-        Stellungnahme eines Psychotherapeuten vom 14.08.2017, wonach der BF2 seit 23.08.2016 im Verein XXXX in Therapie sei, und die Symptome „Schlafstörungen/Albträume, Angst- Panikattacken, eingeschränkte Aufmerksamkeit, Desorientiertheit, Konzentrationsschwierigkeiten, Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen sind beeinträchtigt“ erhoben worden seien und der BF2 Anzeichen einer „Posttraumatischen Belastungsstörung (F43.1)“ aufweise;

-        Befundbericht eines Facharztes für HNO-Krankheiten vom 05.08.2015, wonach beim BF2 die Diagnosen „Rhinitis, Epistaxis, Ghg.ekzem“ erstellt und Therapien empfohlen worden seien;

-        Befund eines Facharztes für Neurologie vom 19.04.2016, wonach bei der BF1 die Diagnose „Posttraumatische Belastungsstörung“ erstellt worden sei und ihr als Therapie Sertralin 50mg und bei Anhalten der Schlafstörungen Trittico 50-100mg empfohlen wurden;

-        Befund eines Facharztes für Orthopädie und orthopädische Chirurgie vom 09.06.2016, wonach bei der BF1 die Diagnose „Cervicobrachialgie re und Belastungsabhängige Lumbalgie“ erstellt und mehrere Therapien empfohlen worden seien;

-        Befund eines Facharztes für Lungenheilkunde vom 11.04.2016, wonach bei der BF1 die Diagnosen „Asthma bronchiale bei respirat. Allergie, Depressio, Thyreopathie“ erstellt und mehrere Therapien empfohlen worden seien;

-        Befund eines Facharztes für Radiologie und Nuklearmedizin vom 15.07.2015 betreffend den Schilddrüsenstatus der BF1.

2.5 Am 26.09.2017 langte eine durch den Rechtsvertreter verfasste Stellungnahme ein, wonach – abgesehen der vorgebrachten Fluchtgründe – die BF1 als alleinerziehende Mutter in Kasachstan den relevanten Fluchtgrund der „Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe“ erfülle. Sie sei vom Kindesvater geschieden, dieser habe zu keinem Zeitpunkt Alimente bezahlt. Die BF1 habe durch ihre Gelegenheitsbeschäftigungen nicht das Auslangen gefunden, sei ins Elternhaus gezogen, habe dann im Geschäft der Mutter Waren veräußert und sich durch den Zwischenhandel ein bescheidenes Überleben gesichert. Ein Überleben der BF sei letztendlich nur durch Unterstützung der Mutter möglich gewesen und beschreibe die BF1 die wirtschaftliche Situation der Eltern mit „es gehe“. Ebenso habe die BF1 in der Einvernahme darauf hingewiesen, dass ihre beiden Brüder keiner Beschäftigung nachgehen und auch diese von der Mutter finanziert werden würden. Unter Zugrundlage der im Herkunftsstaat bestehenden familiären/wirtschaftlichen Verhältnisse sowie den staatlichen Sozialleistungen wäre bei einer allfälligen Rückkehr der BF mit der notwendigen Wahrscheinlichkeit nicht gewährleistet, dass ihr Überleben im Sinne des Art. 2 sowie 3 EMRK hinreichend gesichert sei. Eine wirtschaftliche Absicherung durch die ausschließlich erwerbstätige Mutter der BF1 scheide unter Berücksichtigung der Krankheit des Vaters und der bereits bestehenden Unterstützungsleistung für die beiden Brüder aus. Auch aus den Länderberichten lasse sich nicht mit der notwendigen Sicherheit entnehmen, dass das Überleben der BF bei einer Rückkehr durch staatliche soziale Leistungen hinreichend gesichert sei, zumal daraus hervorgehe, dass die Lage von Zuwanderern prekär sei und die wirtschaftliche Versorgung bereits für die sich gegenwärtig im Herkunftsland aufhaltenden Bewohner unzureichend sei. Aufgrund der jahrelangen Abwesenheit aus ihrem Herkunftsstaat und der daher seit Jahren nicht ausgeübten Erwerbstätigkeit der BF1 in Kasachstan, würden die BF nicht in den Genuss von staatlicher Unterstützung wie Arbeitslosengeld oder Kinderbeihilfe kommen. Es sei nach den Länderberichten auch nicht damit zu rechnen, dass die BF1 in absehbarer Zeit einer Beschäftigung nachkommen könnte, welche den Lebensunterhalt sichern könnte. Bei einer Rückkehr liege somit insgesamt eine Situation vor, welche nicht mit der notwendigen Wahrscheinlichkeit eine Verletzung gemäß Art. 2, 3 EMRK ausschließen würde.

2.6 Am 12.09.2018 wurde die BF1 neuerlich vor dem BFA einvernommen.

Dabei gab die BF1 an, sie sei gesund, nehme aber das Medikament „Montelukast Genericon 10mg“ ein. Ihr sei gesagt worden, sie solle bei Bedarf „Sultanol“ einnehmen. Der Hausarzt habe es verschrieben. Das Medikament solle bewirken, dass sie besser Luft bekomme. Ansonsten nehme sie bei Bedarf „Mexalen“ gegen Kopfschmerzen bzw. etwas, wenn sie schlecht schlafe, dies aber nicht regelmäßig. Betreffend die Schilddrüse nehme sie derzeit keine Medikamente ein.

Zum BF2 gab sie an, dass es ihm besser gehe. Seine schulischen Leistungen seien besser und verbringe er 2 Mal pro Woche Zeit mit einem Betreuer. Er stehe nicht in ärztlicher Behandlung, gehe einmal in der Woche zur Therapie ins psychologische Zentrum XXXX und müsse keine Medikamente einnehmen.

Zu ihrem Leben in Österreich führte die BF1 aus, sie wohne in einer Pension, 3-4 Mal pro Woche dolmetsche sie bei Arztterminen. Sie verbringe viel Zeit mit ihrem Sohn, dieser gehe 3 Mal pro Woche Taekwondo, sie gehe ins Fitnessstudio. Sie habe auch Freunde und verbringe mit Zeit mit ihnen. Sie habe die A2-Deutschprüfung abgelegt.

Betreffend ihre Angehörigen in Kasachstan führte die BF1 aus, ihre Eltern und ihre Brüder würden in der Stadt XXXX leben. Die Adresse kenne sie nicht, die Angehörigen seien vor 1 oder 2 Jahren umgezogen. Ein Bruder lebe bei den Eltern, der andere sei verheiratet und lebe bei seiner Familie, seine Adresse kenne sie. Mit ihrer Mutter habe die BF1 Kontakt, der Familie gehe es „normal“. Sie würden vom Geschäft der Mutter leben, der Vater arbeite nicht. Das Geschäft sei in einer anderen Stadt. Der Bruder arbeite nicht, er sei wahrscheinlich auf der Uni und studiere. Zum verheirateten Bruder habe sie seit etwa einem halben Jahr keinen Kontakt mehr.

Befragt, ob ihre Eltern zwischenzeitlich bedroht oder belästigt worden seien, führte die BF1 aus, dass man ihr nichts von Bedrohungen erzählt habe. Sie habe auch keine neuen Informationen über den Verbleib des Ex-Mannes und habe sie zu niemanden sonst in Kasachstan Kontakt. Zu ihren früheren Angaben, wonach der Bruder des Ex-Mannes beim KNB arbeiten würde, befragt, gab die BF1 an, ihr sei gesagt worden, dass dieser sei als Staatsanwalt tätig gewesen sei und danach bei KNB gearbeitet habe.

Auf die Frage, ob sie zu ihren Fluchtgründen aktuell etwas ergänzen wolle, antwortete die BF1, sie habe schon erzählt, ständig verfolgt worden zu sein. Sie habe Angst um dem BF2 und habe sie dort immer in Angst gelebt. Seit sie hier lebe, habe sie keiner belästigt und könne sie ruhig leben. Nach Vorhalt, dass ihre Probleme schon viele Jahre zurückliegen würden und befragt, weshalb sie aktuell noch Probleme zu befürchten habe, gab die BF1 an, sie habe erst seit dem Angriff große Angst. Sie habe Alpträume gehabt, diese hätten nun wieder angefangen, als sie von der Einvernahme erfahren habe. Zudem sei ihr Vater Alkoholiker. Wenn er trinke, wisse er nicht, was er mache, er werfe Sachen hinaus. Ihre Mutter habe ihn beruhigen können. Wenn diese nicht da gewesen sei, hätten sie und der BF2 abgewartet, bis er sich beruhigt habe. Der Vater sei auch in der Entzugsklinik gewesen, habe zwischenzeitig mit dem Trinken aufgehört, dann wieder angefangen. Seit sie sich erinnern könne, trinke der Vater Alkohol. Dies sei nicht gut für den BF2, manchmal ziehe er sich zurück. Der Psychologe habe gesagt, dies sei posttraumatisch bedingt.

Weiters gab die BF1 an, sie habe vergessen zu sagen, dass sie in den letzten drei Monaten Schmerzen in der rechten Körperseite gehabt habe. Sie habe eine Physiotherapie gehabt, danach sei es ihr bessergegangen. Sobald sie nervös sei, schmerze die rechte Seite. Für ihre Tätigkeit als Dolmetscherin bekomme sie 3,60 €/Stunde. Sie verdiene ca. 100 €/Monat, manchmal mehr, manchmal weniger. Sie werde von niemanden finanziell unterstützt. Die Aushilfstätigkeiten etwa bei Hochzeiten mache sie nun nicht mehr, sondern widme sie die Zeit dem BF2. Ansonsten habe sie keine Fortbildungen oder Kurse gemacht, sie sei nicht Mitglied in einem Verein. In Österreich gebe es auch niemandem, zu dem ein besonderes Abhängigkeitsverhältnis bestehe. Sie würde aber Leute besuchen, Besuch bekommen, an Veranstaltungen teilnehmen und habe sie etwa geholfen Blumen zu pflanzen.

Über Befragung durch ihre Rechtsvertretung führte die BF1 noch aus, dass der Bruder, welcher eine Behinderung habe, nicht arbeite, an TBC leide und von der Mutter unterstützt werde. Die Mutter habe Kredite, wobei das Geld kaum für die Kredite ausreiche. Auf die Frage, ob sie in der Zwischenzeit Alimente vom Ex-Mann erhalten habe, gab die BF1 an, dieser habe nichts bezahlt, sie hätten damals eine Gerichtsverhandlung gehabt. Er habe damals auf den BF2 verzichtet. Für ihren Verkaufsstand im Laden der Mutter bzw. für den Wohnraum habe sie keine Miete bezahlen müssen. Auf die Frage, ob ihre Mutter sie bei einer derzeitigen Rückkehr mitfinanzieren könne, führte die BF1 aus, ihre Mutter habe sie nicht finanziell unterstützt, als sie ein Kind bekommen habe. Diese habe ihr gesagt, dass sie kaum Geld habe, um die Kredite zu tilgen. Zudem wolle sie nicht bei ihren Eltern leben, da sie nicht wolle, dass der BF2 sehe, wie sich der Großvater verhalte. Vor der Flucht sei sie selbstständig tätig gewesen und habe sie Steuern bezahlt. Der BF2 spreche Kasachisch, Russisch und am besten Englisch. Russisch könne er schreiben.

Im Zuge der Einvernahme wurden für den BF2 ein Zertifikat betreffend den positiven Abschluss einer Prüfung in Taekwondo sowie der Taekwondo-Vereinsausweis vorgelegt.

2.7 Am 27.09.2018 wurde durch den Rechtsvertreter eine weitere Stellungnahme eingebracht, worin anfangs auf den Inhalt der Stellungnahme vom 26.09.2017 bzw. der letzten Einvernahme der BF1 verwiesen wurde. Weiters wurde ausgeführt, dass die BF1 nach wie vor keinen Kontakt zum Kindesvater habe und auch keine Alimente von diesem erhalte. Die BF1 sei eine alleinstehende/alleinerziehende Frau. Sie verfüge über geringe familiäre Bindungen im Herkunftsstaat, diese seien jedoch dadurch zu relativieren, als der Vater der BF1 zu dieser aufgrund seiner Alkoholerkrankung ein mehr als geschwächtes Verhältnis gehabe habe bzw. der BF2 nach wie vor wegen der erlittenen Umstände (Alkoholisierung des Großvaters sowie hiermit einhergehende Übergriffe) bis dato leide und sich in regelmäßiger psychologische Behandlung befinde. Die BF1 habe auch nicht mit der notwendigen finanziellen Unterstützung zu rechnen, zumal ihre Mutter als einziges Familienmitglied einer geregelten, selbstständigen Beschäftigung nachgehe und auch den Lebensunterhalt des Vaters sowie der Geschwister sichere. Zudem müsse die Mutter ihren monatlichen Kreditverbindlichkeiten nachkommen. Eine Wohnversorgung der beiden BF im Elternhaus sei ausgeschlossen, da dadurch eine Gefährdung des Kindeswohles vorliege. Der Umstand, dass der BF2 bis dato an den Geschehnissen im Herkunftsstaat leide und eine regelmäßige psychologische Betreuung bedürfe, sei auch bei der Erlassung einer Rückkehrentscheidung zu berücksichtigen, zumal die BF über keinerlei weiteren familiären oder sozialen Bindungen verfügen würden. Die BF würden sich schon über 5 Jahre in Österreich befinden. Die BF1 beherrsche Deutsch auf dem A2-Niveau und könne durch ihre Dolmetschertätigkeiten zumindest einen Beitrag zur Sicherung des Lebensunterhaltes leisten. Der BF2 komme seiner Schulpflicht nach, könne als guter Schüler bezeichnet werden, sei in einem österreichischen Sportverein aktiv und bestreite Wettkämpfe. Seine Schulzeugnisse würden Deutschkenntnisse auf Muttersprachenniveau zeigen und befinde er sich auch nicht mehr im anpassungsfähigen Alter. Vor allem der BF2 sei in Österreich überdurchschnittlich gut integriert und würde – sollte Asyl oder subsidiärer Schutz nicht gewährt werden – jedenfalls die Erlassung einer Rückkehrentscheidung unzulässig sein und Art. 8 EMRK verletzen.

2.8 Mit gegenständlichen Bescheiden des BFA vom 17.10.2018 wurden die Anträge der BF auf internationalen Schutz gemäß § 3 Absatz 1 iVm § 2 Absatz 1 Ziffer 13 AsylG 2005 bezüglich der Zuerkennung des Status von Asylberechtigten abgewiesen (Spruchpunkte I.). Weiters wurden die Anträge auf internationalen Schutz gemäß § 8 Absatz 1 iVm § 2 Absatz 1 Ziffer 13 AsylG, bezüglich der Zuerkennung des Status von subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf den Herkunftsstaat Kasachstan abgewiesen (Spruchpunkte II.). Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß §§ 57 AsylG wurden nicht erteilt (Spruchpunkte III.), sondern gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-VG gegen die BF1 und den BF2 jeweils eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen (Spruchpunkte IV.) und gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt, dass die Abschiebung gemäß § 46 FPG nach Kasachstan zulässig ist (Spruchpunkte V.). Gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG wurde die Frist zur freiwilligen Rückkehr mit 2 Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung festgesetzt (Spruchpunkte VI.).

Hinsichtlich der Nichtzuerkennung des Asylstatus führte das BFA begründend aus, es sei seltsam, dass die BF1 mehrfach behaupte, seit vielen Jahren keinen Kontakt und keine Information über den Exmann gehabt zu haben, der Bruder aber die Unterlagen des Exmannes im Jahr 2016 nach Österreich übermitteln habe können. Wegen der großen zeitlichen Abstände sei auch nicht glaubhaft, dass der Bruder der BF1 die Nachricht geschickt habe, dass die Männer noch immer nach ihr suchen würden. In diesem Fall würden die Verfolger dem Bruder und den anderen Angehörigen persönlich bekannt sein, die Angehörigen würden aber trotzdem unbehelligt im Herkunftsstaat leben können. Vielmehr sei glaubhaft, dass die BF1 zufällig ein Opfer eines Übergriffes von Privatpersonen geworden sei. Ein Zusammenhang mit dem Vorfall des Exmannes sei nicht glaubhaft und habe die BF1 auch nicht nachweisen können. Der Vorfall des Exmannes habe sich bereits im Jahr XXXX ereignet, jener der BF1 im Jahr 2012, weshalb auch daher nicht von einer aktuellen Gefährdung ausgegangen werden könne. Dem Exmann sei es möglich in Kasachstan zu leben. Die BF1 habe auch nicht plausibel erklären können, weshalb sie die im Folgeantrag vorgelegten Unterlagen bereits im Dezember 2015 erhalten habe, diese aber erst Ende Februar 2016 vorgelegt habe. Auch der Richter des BVwG sei zum Ergebnis gekommen, dass es sich bei dem geschilderten Vorfall aus dem Jahr 2012 um eine Verfolgung durch Privatpersonen handle und der Staat nicht schutzunfähig oder schutzunwillig sei. Die Verfolgung durch Privatpersonen beruhe selbst im Wahrheitsfall weder auf Konventionsgründen, noch sei ihr ein staatlicher Schutz verwehrt worden. Insgesamt seien im Vorbringen der BF1 Widersprüche hervorgekommen und die Verhältnisse im Herkunftsland erneut gesteigert geschildert worden, zumal die BF1 im September 2018 erstmals vorgebracht habe, dass der Vater schon lange vor der Ausreise alkoholabhängig gewesen sei und sie deswegen auch nicht bei den Eltern wohnen wolle. Eine unmittelbare, asylrelevante Bedrohung habe sie daher nicht glaubhaft machen können.

Zur Nichtzuerkennung von subsidiärem Schutz wurde ausgeführt, dass der BF1 im Herkunftsstaat keine Verfolgung drohe, sie weder an einer lebensbedrohenden Erkrankung leide und auch auf ihre Person bezogen keine „außergewöhnlichen Umstände“ behauptet oder bescheinigt habe, weshalb die Behörde davon ausgehe, dass ihr in Kasachstan keine Gefahren drohen, die eine Erteilung des subsidiären Schutzes rechtfertigen würden. Selbst bei Annahme, dass die Probleme mit Privatpersonen wahr seien, würden diese nicht als aktuell eingestuft werden können. Wirtschaftlich gesehen sei es der BF1 durchaus möglich wi

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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