TE Bvwg Erkenntnis 2021/9/28 W119 2183113-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 28.09.2021
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

28.09.2021

Norm

AsylG 2005 §3
AsylG 2005 §54
AsylG 2005 §55
AsylG 2005 §8
BFA-VG §9 Abs3
B-VG Art133 Abs4
FPG §52
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2

Spruch


W119 2183113-1/21E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag.a Eigelsberger als Einzelrichterin über die Beschwerde der XXXX , StA: Georgien, vertreten durch Rechtsanwältin Mag. Susanne SINGER, gegen den Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl vom 28. 11. 2017, Zl 1131055807/161315930, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt:

A)

I. Die Beschwerde wird hinsichtlich der Spruchpunkte I. und II. des bekämpften Bescheides gemäß §§ 3, 8 AsylG 2005 als unbegründet abgewiesen.

II. In Erledigung der Beschwerde gegen den Spruchpunkt III. wird ausgesprochen, dass eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG iVm § 9 Abs. 3 BFA VG auf Dauer unzulässig ist.

III. Gemäß §§ 54 und 55 AsylG 2005 wird XXXX der Aufenthaltstitel "Aufenthaltsberechtigung“ für die Dauer von zwölf Monaten erteilt.

IV. In Erledigung der Beschwerde wird der Spruchpunkt V des angefochtenen Bescheides gemäß § 28 Abs. 1 und 2 VwGVG ersatzlos behoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Die Beschwerdeführerin stellte gemeinsam mit ihrem minderjährigen Sohn (Zl W119 2183109) und ihrer bereits volljährigen Tochter (Zl W119 2183111) am 30. 9. 2016 jeweils Anträge auf internationalen Schutz.

Anlässlich ihrer am selben Tag erfolgten Erstbefragung nach dem AsylG gab die Beschwerdeführerin an, dass sie sowohl die Grundschule als auch die Universität besucht habe. In Georgien würden ihre Eltern, ihre Schwester und ihr Bruder leben. Ihren Fluchtgrund begründete sie damit, dass sie ab XXXX im georgischen Verteidigungsministerium beschäftigt gewesen sei, XXXX sei sie Mitglied der Kommunistischen Partei geworden. Zwei Monate vor ihrer Ausreise sei sie von Mitgliedern der georgischen Regierung bedroht worden, indem ihr kriminelle Handlungen unterstellt worden seien, um sie verhaften zu können. Zudem habe sie Probleme mit ihrem Ex-Ehemann gehabt, der 2009 zum Islam konvertiert sei. Deswegen habe sie sich scheiden lassen.

Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (Bundesamt) wurde der Antrag der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz jeweils ohne in die Sache einzutreten gemäß § 5 Abs. 1 AsylG 2005 als unzulässig zurückgewiesen und ausgesprochen, dass Ungarn für die Prüfung ihres Antrages gemäß Art. 12 Abs. 2 Dublin III-VO zuständig sei (Spruchpunkt I.). Gleichzeitig wurde gegen die Beschwerdeführerin gemäß § 61 Abs. 1 FPG die Außerlandesbringung angeordnet und festgestellt, dass demzufolge ihre Abschiebung nach Ungarn gemäß § 61 Abs. 2 FPG zulässig sei (Spruchpunkt II.).

Gegen diesen Bescheid richtete sich die fristgerecht eingebrachte Beschwerde.

Mit Schriftsatz (E-Mail) vom 21.06.2017 teilte das Bundesamt mit, dass die Frist zur Überstellung der Beschwerdeführer mit Ablauf des 19.06.2017 abgelaufen sei.

Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 27. 6. 2017, Zl W233 2149878-1/6E, wurde der Beschwerde gemäß § 21 Abs. 3 1. Satz BFA-VG stattgegeben, das Verfahren über den Antrag auf internationalen Schutz zugelassen und der bekämpfte Bescheid behoben.

Am 21. 9. 2017 wurde die Beschwerdeführerin beim Bundesamt niederschriftlich einvernommen, wobei sie zunächst ihre Scheidungsurkunde, ihre Gewerbeberechtigung, die Geburtsurkunden und Schulbesuchsbestätigungen ihres Sohnes sowie zahlreiche Empfehlungsschreiben vorlegte. Weiters führte sie aus, dass sie am 25. 8. 2009 von ihrem Ehemann einvernehmlich geschieden worden sei, wobei ihr das alleinige Sorgerecht für ihre beiden Kinder zugesprochen worden sei. Sie habe ihren früheren Ehemann zuletzt am 20. 5. 2016 gesehen. Sie habe von 1982 bis 1993 die Grundschule und im Anschluss daran von 1993 bis 1998 die Wirtschaftsuniversität besucht. Zur schulischen Ausbildung ihres Sohnes befragt, gab sie an, dass dieser ein privates Gymnasium besucht habe.

Zu ihrem beruflichen Werdegang brachte sie vor, nach dem Abschluss der Universität beim georgischen Verteidigungsministerium bis März XXXX gearbeitet und sich danach im Karenzurlaub befunden zu haben. Parallel zu ihrer Tätigkeit im Verteidigungsministerium habe sie bis XXXX für das abchasische Bildungsministerium in der Zweigstelle in Tiflis gearbeitet. XXXX habe sie ein XXXX eröffnet. Im XXXX habe sie begonnen für die Vereinigte Kommunistische Partei Georgiens zu arbeiten. Im April XXXX habe sie den Namen ihres XXXX auf ihren eigenen Namen geändert und das Unternehmen bis zum Tag vor ihrer Ausreise geführt. Für die Vereinigte Kommunistische Partei Georgiens habe sie ebenfalls bis zu ihrer Ausreise gearbeitet. Am 27. 9. 2016 sei sie ausgereist. In ihrem XXXX habe sie sich mit der Beschaffung von Visa für die Russische Föderation, aber auch für andere Länder beschäftigt. Nach ihrer Ausreise habe niemand dieses Unternehmen weitergeführt, die Gewerbeberechtigung sei aber noch aufrecht. Im Rahmen ihrer Tätigkeit für die Vereinigte Kommunistische Partei Georgiens habe sie am Parteisitz ein eigenes Büro besessen, wo sie Leute getroffen habe und auch Versammlungen oder Konferenzen abgehalten worden seien. Die Adresse habe XXXX , gelautet.

Ihre Mutter besitze ein Hotel, zudem würden ihre Eltern eine staatliche Pension beziehen. Ihre beiden Geschwister seien in Georgien verheiratet.

Zu ihrem Fluchtgrund führte sie aus, dass sie zwei Monate vor ihrer Ausreise Drohungen von unbekannten Personen erhalten habe. Diese hätten wollen, dass sie ihre Tätigkeit für die Vereinigte Kommunistische Partei Georgiens beenden hätte sollen. Sie könne dazu nichts Konkretes sagen. Anfang April 2016 sei sie festgenommen worden. Es sei ihr vorgeworfen worden, ein falsches Dokument unterschrieben zu haben. Es seien ihr Notebook und verschiedene Dokumente beschlagnahmt worden, die ihr jedoch drei Wochen später von der Polizei retourniert worden seien. Sie sei ca fünf Mal von der Polizei vorgeladen worden. Sie habe jedoch niemals eine schriftliche Ladung erhalten, sondern sie sei immer telefonisch kontaktiert worden. Das erste Mal sei sie im Juni 2015 bis zu ihrer Ausreise bedroht worden. Sogar ihrer Mutter und ihrem Bruder sei dasselbe widerfahren. Sie habe den Anführer der Vereinigten Kommunistischen Partei Georgiens von diesen Vorfällen informiert, sie hätten jedoch keine Anzeige erstattet. Auf die Frage, warum gerade die Beschwerdeführerin und nicht der Anführer der Partei bedroht worden sei, gab sie an, dass sie ihren großen Freundeskreis dahinter vermute. Zudem habe ihr geschiedener Ehemann, der zum Islam konvertiert sei, gewollt, dass ihr gemeinsamer Sohn ebenfalls einen Glaubenswechsel vollziehe.

Die Beschwerdeführerin legte ein Schreiben der Vereinigten Kommunistischen Partei Georgiens vor, aus dem hervorgeht, dass sie deren Mitglied sei. Zudem legte sie Schulbesuchsbestätigungen ihres Sohnes, ihre Bestätigung über eine ausgeübte gemeinnützige Tätigkeit sowie Empfehlungsschreiben vor.

Mit Schreiben vom 21. 9. 2017 richtete das Bundesamt eine Anfrage an die Staatendokumentation, um Auskunft darüber zu erhalten, ob es an der von der Beschwerdeführerin genannten Adresse ein Büro der Vereinigten Kommunistischen Partei Georgiens gebe, ob das behauptete XXXX tatsächlich bestehe, ob der vorgelegte Parteiausweis echt sei, welche Funktion die Beschwerdeführerin bei der Vereinigten Kommunistischen Partei Georgiens ausgeübt habe und ob es Hinweise für eine landesweite Gruppenverfolgung von Mitgliedern bzw Funktionären gebe.

Mit Anfragebeantwortung vom 13. 11. 2017 teilte die Staatendokumentation mit, dass die von der Beschwerdeführerin genannte Adresse zu ihrem Büro nicht existiere.

Weiters gebe es keine Firmen mit den Namen XXXX . Die Beschwerdeführerin habe am 21. 10. 2008 ein Einzelunternehmen registrieren lassen, als Betätigungsfeld seien die Unterstützung und Erlangung von Visa genannt worden. Nachdem es dort keine Mitarbeiter gegeben habe oder gebe, würden nach vorliegenden Informationen auch keine Geschäftstätigkeiten stattfinden.

Ob der vorgelegte Parteiausweis echt sei, könne nicht eindeutig abgeklärt werden. Ein von einem Museumsbetreiber der Vereinigten Kommunistischen Partei Georgiens vorgelegte Parteiausweis sei nicht in roter Farbe gehalten gewesen.

Es habe auch nicht festgestellt werden können, ob die Beschwerdeführerin die von ihr behauptete Tätigkeit für die Vereinigten Kommunistischen Partei Georgiens ausgeübt habe, da die von ihr genannte Adresse nicht existiere.

Es gebe auch keine gesicherten Erkenntnisse über eine landesweite Verfolgung von Mitgliedern bzw Funktionären der Vereinigten Kommunistischen Partei Georgiens.

Am 28. 11. 2017 wurde die Beschwerdeführerin beim Bundesamt neuerlich geladen und diese Ermittlungsergebnisse erörtert. Dazu gab sie an, dass sich das Büro der Vereinigten Kommunistischen Partei Georgiens an der in der Anfragebeantwortung genannten Adresse bis April 2015 befunden habe. Das Büro der abchasischen Abteilung der Partei habe sich in der XXXX befunden.

Ende 2008 habe sie ihr Unternehmen registrieren lassen. Zunächst habe es XXXX geheißen, danach ihren Namen getragen.

Zu dem Parteiausweis führte sie an, dass sie mit dem Museum nichts zu tun habe und ersuche um neuerliche Überprüfung.

Mit Bescheid des Bundesamtes vom 28. 11. 2017, Zl 1131055807/161315930, wurde der Antrag der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status der Asylberechtigten gemäß § 3 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkt I.). Weiters wurde der Antrag der Beschwerdeführerin auf internationalen Schutz bezüglich der Zuerkennung des Status der subsidiär Schutzberechtigten in Bezug auf ihren Herkunftsstaat Georgien gemäß § 8 Abs 1 iVm § 2 Abs 1 Z 13 AsylG 2005 ebenfalls abgewiesen (Spruchpunkt II.). Der Beschwerdeführerin wurde ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen gemäß § 57 AsylG nicht erteilt und gegen sie gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG iVm § 9 BFA-Verfahrensgesetz eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG erlassen. Gemäß § 52 Abs. 9 FPG wurde festgestellt, dass die Abschiebung der Beschwerdeführerin gemäß § 46 FPG nach Georgien zulässig sei (Spruchpunkt III). Im Spruchpunkt IV wurde einer Beschwerde gegen diese Entscheidung über den Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 18 Abs 1 Z 1 BFA-Verfahrensgesetz die aufschiebende Wirkung aberkannt. Gemäß § 53 Abs 1 iVm Abs 2 FPG wurde gegen die Beschwerdeführerin ein auf die Dauer von 5 Jahren befristetes Einreiseverbot erlassen (Spruchpunkt V).

Mit Verfahrensanordnung vom 29. 11. 2017 wurde der Beschwerdeführerin die ARGE-Rechtsberatung Volkshilfe Flüchtlings- und MigrantInnenbetreuung amtswegig als Rechtsberaterin zur Seite gestellt.

Dagegen erhob die Beschwerdeführerin durch ihren rechtsfreundlichen Vertreter mit Schriftsatz vom 2. 1. 2018 Beschwerde.

Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom 23. 1. 2018 wurde der Beschwerde gemäß § 18 Abs 5 BFA-VG die aufschiebende Wirkung zuerkannt.

Mit Schriftsatz vom 22. 10. 2018 übermittelte der rechtsfreundliche Vertreter der Beschwerdeführerin ihre Rotes Kreuz Mitgliedskarte, die Zertifikate A1 und A2, eine Bestätigung über die Freiwilligenarbeit vom 30. 9. 2018, eine Teilnahmebestätigung über den Werte- und Orientierungskurs und eine Bescheinigung über den Erste Hilfe Grundkurs. Mit Schriftsatz vom 29. 5. 2020 übermittelte der rechtsfreundliche Vertreter der Beschwerdeführerin das B2 Zertifikat, ein Einweisungsprotokoll ÖRK, eine Zwischenprüfung zur Rettungssanitäterausbildung sowie eine Teilnahmebestätigung an einem Verkaufsförderungsseminar.

Mit Schriftsatz vom 22. 3. 2021 teilte die Landespolizeidirektion Oberösterreich mit, dass bei der Beschwerdeführerin der Verdacht bestehe, eine Aufenthaltsehe eingehen zu wollen.

Mit Schreiben der Staatsanwaltschaft Steyr vom 30. 3. 2021 wurde mitgeteilt, dass das Verfahren wegen des Verdachtes des Vergehens nach § 117 FPG (Vermittlung und Eingehen von Aufenthaltsehen und Aufenthaltspartnerschaften) eingestellt worden sei.

Mit Schriftsatz vom 2. 6. 2021 übermittelte die nunmehrige rechtsfreundliche Vertreterin der Beschwerdeführerin eine Kursbestätigung für die Bildungsveranstaltung XXXX sowie Empfehlungsschreiben.

Weiters wurde darin ausgeführt, dass die Beschwerdeführerin eine Beziehung zu einem österreichischen Staatsangehörigen führe, eine Eheschließung solle demnächst erfolgen. Der minderjährige Sohn der Beschwerdeführerin besuche derzeit eine Höhere Technische Lehranstalt, die er jedoch nicht fortsetzen wolle, da diese nicht seinem Interessensspektrum entspreche.

Am 8. 6. 2021 führte das Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an der das Bundesamt als Verfahrenspartei nicht teilnahm. Die Beschwerdeführerin legte zunächst zahlreiche Empfehlungsschreiben vor. Weiters befragt, gab sie an, dass ihre Eltern, ihr Bruder und ihre Schwester weiterhin in Georgien leben würden. Der Beschwerdeführerin wurde vorgehalten, dass die Anfragebeantwortung der Staatendokumentation vom 13. 11. 2017 zu dem von ihr gegründeten Unternehmen keine Geschäftstätigkeit aufgewiesen habe. Dem entgegnete die Beschwerdeführerin, dass das Unternehmen auf ihren Namen registriert gewesen sei. Die Firma habe XXXX geheißen.

Weiters wurde der Beschwerdeführerin vorgehalten, dass sie beim Bundesamt angegeben habe, ein eigenes Büro besessen zu haben. Dem widersprach sie, als sie anführte, dass sich ihre XXXX in den Räumlichkeiten der Russischen Botschaft befunden hätten. Von diesem Büro aus habe sie auch ihre Arbeit für die Kommunistische Partei ausgeführt.

Weiters wurde der Beschwerdeführerin vorgehalten, dass sie beim Bundesamt erklärt habe, das Büro der Kommunistischen Partei befände sich in der XXXX , obwohl diese Adresse nicht existiere. Dazu gab sie an, dass sie es nicht mehr wisse. Auf die Frage, warum gerade sie verfolgt werden sollte, während der Vorsitzende der Kommunistischen Partei Georgiens keine Verfolgungen habe befürchten müssen, führte sie aus, dass auch er verfolgt worden sei. Ihretwegen sei auch ihr Bruder verfolgt worden und für ein Jahr eingesperrt gewesen. Dabei habe es sich um ein Druckmittel gegen sie gehandelt.

Zu ihren integrativen Bemühungen befragt, gab sie an, dass sie ein Praktikum bei einem Architekten absolviere, dort könnte sie auch einen Arbeitsplatz erhalten. Weiters wolle sie mit ihrem Partner eine gemeinsame Wohnung beziehen. Zu ihren Deutschkenntnissen befragt, gab sie an, die B1-Prüfung bestanden zu haben.

Der Sohn der Beschwerdeführerin, dessen Befragung ebenfalls in deutscher Sprache erfolgte, gab an, dass er sechs Jahre in Georgien in die Schule gegangen sei. Derzeit besuche er die erste Klasse der HTL, welche er jedoch nicht fortsetzen wolle. Er wolle eine Lehre beginnen. Er habe in Österreich zahlreiche Freunde. Seine Hobbies bestünden in Basketball, Boxen und Chillen. Sein Vater rufe ihn gelegentlich an, er hebe jedoch seit zwei bis drei Jahren nicht ab.

Es erfolgte auch die zeugenschaftliche Befragung des Partners der Beschwerdeführerin, in der dieser angab, die gemeinsame Beziehung intensivieren zu wollen. Er verstehe sich mit den Kindern seiner Partnerin sehr gut.

Im Anschluss an diese Verhandlung wurden der rechtsfreundlichen Vertreterin der Beschwerdeführerin die Länderfeststellungen zur Situation in Georgien übergeben und ihr eine zweiwöchige Frist zur Abgabe einer Stellungnahme gewährt.

Mit Schriftsatz vom 9. 9. 2021 legte die rechtsfreundliche Vertreterin der Beschwerdeführerin das Jahres- und Abschlusszeugnis der Neuen Mittelschule den Sohn der Beschwerdeführerin betreffend vor. In den beiden vorgelegten Zeugnissen finden sich positive Beurteilungen in Bezug auf die deutsche Sprache.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Die Beschwerdeführerin ist georgische Staatsangehörige. Sie besuchte die Grundschule und im Anschluss daran die Wirtschaftsuniversität.

Die Beschwerdeführerin stellte gemeinsam mit ihrem minderjährigen Sohn und ihrer bereits volljährigen Tochter am 30. 9. 2016 jeweils Anträge auf internationalen Schutz.

Die Beschwerdeführerin war im georgischen Verteidigungsministerium bzw im abchasischen Bildungsministerium in der Zweigstelle Tiflis beschäftigt.

Die Beschwerdeführerin konnte nicht glaubhaft machen, dass sie Mitglied der Vereinigten Kommunistischen Partei war und deshalb Verfolgungshandlungen ausgesetzt war. Ebenso wenig konnte sie glaubhaft darlegen, dass sie ein Unternehmen, das der Unterstützung und Erlangung von Visa diente, geführt hat. Dies gilt auch für die Behauptung der Beschwerdeführerin, dass ihr Bruder wegen ihrer Aktivitäten festgenommen und ein Jahr inhaftiert gewesen sein soll.

In Georgien leben die Eltern und Geschwister der Beschwerdeführerin. Die Beschwerdeführerin ist seit dem 25. 8. 2009 von ihrem Ehemann geschieden.

Die Beschwerdeführerin leidet weder an einer schweren körperlichen noch an einer schweren psychischen Erkrankung und es besteht auch kein längerfristiger Pflege- oder Rehabilitationsbedarf. Die Beschwerdeführerin ist gesund und gehört mit Blick auf ihr Alter und das Fehlen physischer (chronischer) Vorerkrankungen keiner spezifischen Risikogruppe betreffend COVID-19 an.

Die Beschwerdeführerin und ihr Sohn führen im Bundesgebiet seit fünf Jahren ein schützenswertes Privat- und Familienleben. Die Beschwerdeführerin führt eine Beziehung zu einem österreichischen Staatsbürger, den sie zu ehelichen beabsichtigt. Die Beschwerdeführerin und ihr Sohn sind in das Gemeindeleben bestens integriert.

Die Beschwerdeführerin absolvierte die ÖSD-Sprachzertifikate A2 am 29. 6. 2018 bzw B2 am 25. 7. 2019 und strebt eine Ausbildung zur Rettungssanitäterin an, wobei sie bereits die Zwischenprüfung mit Erfolg bestanden hat. Sie leistete freiwillige Tätigkeiten und absolvierten einen Kurs für die Bildungsveranstaltung XXXX . Aus diesem Grund legte sie ein Praktikum in einem Architekturbüro ab, in dem sie auch eine Beschäftigungsmöglichkeit finden könnte, um ihre finanzielle Unabhängigkeit unter Beweis zu stellen.

Der Sohn der Beschwerdeführerin besuchte ab dem September 2016 drei Jahre die Neue Mittelschule, die er positiv abschloss und zuletzt die 1. Klasse einer Höheren Technischen Lehranstalt, für die er keine Schulzeugnisse vorlegte. Da diese Ausbildung nicht seinem Interesse entspricht, strebt er nun eine Lehre an. Er verfügt über einen großen Freundeskreis, spielt Basketball und geht gerne Boxen. Er lehnt den Kontakt zu seinem Vater ab. Er verfügt über sehr gute Deutschkenntnisse.

Die Beschwerdeführerin und ihr Sohn unterhalten intensiv und regelmäßig gepflegte freundschaftliche Beziehungen zu österreichischen Staatsbürgern und Staatsbürgerinnen.

Das Verfahren wegen des Verdachtes des Vergehens nach § 117 FPG (Eingehen einer Aufenthaltsehe) wurde von der Staatsanwaltschaft eingestellt.

Aufgrund des aufrechten Familienlebens zwischen der Beschwerdeführerin und des im Bundesgebiet befindlichen Familienangehörigen, würde eine Rückkehrentscheidung einen ungerechtfertigten Eingriff in das Privat- und Familienleben der Beschwerdeführerin darstellen.

Zur Situation in Georgien:

Zur maßgeblichen Situation in Georgien:

Als örtliche Gegebenheiten im Herkunftsstaat werden folgende Kapitel des Länderinformationsblattes der Staatendokumentation zu Georgien in der Fassung der Gesamtaktualisierung vom 02.12.2020 festgestellt:

„2 COVID-19

Letzte Änderung: 01.12.2020

Georgien hat die Verbreitung von COVID-19 im Frühling 2020 durch strenge Maßnahmen weitgehend eingedämmt. Nachdem im Sommer 2020 die strengen Regeln aufgehoben, die Einreisebestimmungen an den Grenzen gelockert und Inlandstourismus beworben wurde, kam es ab Ende August 2020 zu einem exponentiellen Anstieg der positiven Tests. Bis Mitte September 2020 stieg die Zahl der täglichen positiven Testergebnisse von niedrigen zweistelligen Zahlen auf etwa 150 (Eurasianet 18.9.2020) und um Mitte Oktober auf ungefähr 1000 (Jam 16.10.2020). Gegen Ende November 2020 lag die tägliche Zahl positiver Tests um die 4.000 und die der Verstorbenen an oder mit SARS-CoV-2 bei 35-50 Personen (Agenda 26.11.2020; vgl. WOM 30.11.2020). COVID-19-Infektionen kommen in allen Regionen des Landes vor; und es kommt landesweit zu unkontrollierter Übertragung von COVID-19 (USEMB 30.11.2020a).

Tagesaktuelle Zahlen zu bestätigten Infektionen, Genesungen, Todesfällen und Hospitalisierungen werden von der Regierung auf der Webseite https://stopcov.ge/en/ veröffentlicht (Stop-CoV.ge o.D.).

Aufgrund der steigenden Zahlen wurden mit Wirkung vom 28.11.2020 unter anderem folgende Beschränkungen landesweit, vorerst bis 31.1.2021, in Kraft gesetzt: Während der nächtlichen Ausgangssperre zwischen 21 und 5 Uhr sind öffentliche und private Verkehrsbewegungen, einschließlich zu Fuß gehen, sowie der Aufenthalt im öffentlichen Raum nicht gestattet. Der öffentliche Überlandverkehr einschließlich Bahn, Bus und Kleinbus ist ganztägig eingestellt. Reisen in Kleinfahrzeugen (einschließlich Taxis) sind – außerhalb der nächtlichen Ausgangssperre – zulässig. Es herrscht eine Tragepflicht von Gesichtsmasken im Freien sowie in allen geschlossenen öffentlichen Räumen. Personen über 70 Jahren wird empfohlen, zu Hause zu bleiben (USEMB 30.11.2020b; vgl. Agenda 26.11.2020).

Für die Großstädte Tiflis, Batumi, Kutaissi, Rustawi, Poti, Sugdidi und Telawi sowie die Wintersportorte Bakuriani, Gudauri, Goderdzi und Mestia gelten zusätzlich u.A. folgende Einschränkungen: Der innerstädtische öffentliche Verkehr ist vollständig eingestellt. Geschäfte sind geschlossen, mit Ausnahme von Lebensmittelgeschäften, Apotheken, Hygieneprodukten und Kiosken für Printmedien. Agrarmärkte, Schönheitssalons, Friseurläden und Zentren für ästhetische Medizin sind weiterhin in Betrieb. Kindergärten sind geschlossen, Schulen und Universitäten bieten ausschließlich Fernlehre an (USEMB 30.11.2020b; vgl. Agenda 26.11.2020).

Für die Periode Neujahr-Weihnachten (24.12.2020 bis 15.1.2021) werden einzelne Beschränkungen gelockert (USEMB 30.11.2020b; vgl. Agenda 26.11.2020).

Die Einschränkungen von Linienflügen nach Georgien wurden mit 1.11.2020 gelockert, seither sind auch wieder Linienflüge nach Tiflis ex Wien erlaubt (GCAA 21.10.2020). Diese Flüge werden Stand Ende November 2020 einmal wöchentlich von Georgian Airways durchgeführt (F24 30.11.2020; vgl. VIE 30.11.2020).

Bei der Einreise aus dem Ausland müssen sich georgische Staatsangehörige sowie ihre Familienangehörigen für 8 Tage in Selbstisolation begeben, wenn sie an der Grenzübertrittsstelle einen negativen PCR-Test nicht älter als 72 Stunden vorweisen können. Sollte ein solcher Test nicht vorgewiesen werden, wird eine obligatorische Quarantäne verhängt (MoF o.D.; vgl. StopCoV.ge o.D.) und die Person wird in eine Quarantänezone verbracht (StopCoV.ge o.D.). In den Wintersportorten Bakuriani, Gudauri, Goderdzi und Mestia werden Hotels ausschließlich als Quarantäne- oder COVID-Unterkünfte betrieben (USEMB 30.11.2020b; vgl. Agenda 26.11.2020).

Trotz der Zugangsbeschränkungen unterstützt die georgische Regierung die separatistische Region Abchasien bei der Bekämpfung von COVID-19 materiell und fachlich. Auch die Behandlung von abchasischen COVID-19-Patienten in Kern-Georgien wurde ermöglicht (CW 27.11.2020; vgl. Jam 16.10.2020). Internationale Hilfe in Südossetien ist auf das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) beschränkt. Die georgische Zentralregierung hat Zchinwali ebenfalls humanitäre Hilfe angeboten, aber der Vorschlag wurde nicht weiterverfolgt (CW 27.11.2020). Dennoch werden auch COVID-Patienten aus Südossetien in Georgien behandelt, wenn auch in geringerem Ausmaße als aus Abchasien (Jam 16.10.2020).

Quellen:

?        Agenda.ge (26.11.2020): Georgian gov’t introduces further coronavirus restrictions until Jan. 31, https://agenda.ge/en/news/2020/3722, Zugriff 30.11.2020

?        CW - Caucasus Watch (27.11.2020): Council of Europe reports on Abkhazia and Tskhinvali, https://caucasuswatch.de/news/3289.html, Zugriff 30.11.2020

?        Eurasianet (18.9.2020): Georgia experiences its first wave of COVID-19, https://eurasianet.org/georgia-experiences-its-first-wave-of-covid-19, Zugriff 30.11.2020

?        F24 – Flightradar24 (30.11.2020): TBS/UGTB Tbilisi International Airport, Georgia - Routes Tbilisi, https://www.flightradar24.com/data/airports/tbs/routes, Zugriff 30.11.2020

?        GCAA – Georgian Civil Aviation Agency (21.10.2020): News and Statements - 21 Oct. ’20 | Information for Passengers, http://www.gcaa.ge/eng/news.php?id=6285, Zugriff 30.11.2020

?        Jam News (16.10.2020): Georgia: coronavirus patients from the other side of territorial conflict, https://jam-news.net/coronavirus-georgia-treatment-abkhazia-south-ossetia, Zugriff 30.11.2020

?        MoF – Ministry of Foreign Affairs of Georgia (o.D.): Regulations for Crossing the Georgian Border in connection with the COVID-19 pandemic, https://mfa.gov.ge/MainNav/CoVID-19-sakitkhebi/sazgvris-kvetis-regulaciebi.aspx?fbclid=IwAR0PQsqZ2jc22Etm9gyMDFzetGwWktKodcpXUVW4Op1HEZImKTEXi4SyUbU&lang=en-US%20%20, Zugriff 30.11.2020

?        StopCoV.ge (o.D.): Prevention of Coronavirus Spread in Georgia, https://stopcov.ge/en/ , Zugriff 30.11.2020

?        USEMB – U.S. Embassy in Georgia (30.11.2020a): COVID-19 Information for Georgia (November 30), https://ge.usembassy.gov/covid-19-information-on-georgia/, Zugriff 30.11.2020

?        USEMB – U.S. Embassy in Georgia (30.11.2020b): Measures to control the spread of COVID-19 in Georgia, https://ge.usembassy.gov/u-s-citizen-services/measures-to-control-the-spread-of-covid-19-in-georgia/, Zugriff 30.11.2020

?        VIE – Flughafen Wien-Schwechat / Vienna International Airport (30.11.2020): Routes - Vienna International Airport (VIE), http://tracker.flightview.com/customersetup/viennaairport/routemapper/, Zugriff 30.11.2020

?        WOM – Worldometer (30.11.2020): Coronavirus – Georgia, https://www.worldometers.info/coronavirus/country/georgia/, Zugriff 30.11.2020

3 Politische Lage

Letzte Änderung: 01.12.2020

In Georgien finden regelmäßig kompetitive Wahlen statt. Nachdem der Demokratisierungsprozess in den Jahren 2012-13 an Dynamik gewonnen hatte, kam es in den letzten Jahren zu einer Stagnation der Fortschritte. Oligarchen haben übergroßen Einfluss auf Politik und politische Entscheidungen und die Rechtsstaatlichkeit wird nach wie vor durch politische Interessen behindert. Das politische Leben in Georgien ist lebendig. Neue politische Parteien können in der Regel ohne Behinderungen gegründet werden und zu den Wahlen antreten. Allerdings war die politische Landschaft von der Dominanz abwechselnd einer Partei geprägt, was die Entwicklung und Stabilität konkurrierender Gruppen gehemmt hat (FH 10.3.2020).

Georgien hat eine doppelte Exekutive, wobei der Premierminister als Regierungschef und der Präsident als Staatsoberhaupt fungiert. Der Präsident wurde bis 2018 durch Direktwahl für maximal zwei Amtszeiten von je fünf Jahren gewählt. Aufgrund einer Verfassungsänderung wird der Präsident in Zukunft indirekt für sechs Jahre von einem Gremium, bestehend aus nationalen, regionalen und lokalen Gesetzgebern, gewählt werden. Der Präsident ernennt formal den Premierminister, der vom Parlament nominiert wird (FH 10.3.2020).

Die ehemalige Außenministerin Salome Zurabishvili wurde am 28.11.2018 zur Präsidentin des Landes gewählt. Offiziell als unabhängige Kandidatin, jedoch unterstützt von der Regierungspartei „Georgischer Traum“, setzte sie sich in der Stichwahl mit fast 60% gegen ihren Konkurrenten Grigol Vashadze durch, welcher insbesondere von der oppositionellen Vereinigten Nationalen Bewegung von Ex-Präsident Saakashvili unterstützt wurde (FAZ 29.11.2018; vgl. CW 29.11.2018). Die OSZE beurteilte den Wahlgang als kompetitiv und gut administriert, wobei der Wahlkampf von einer scharfen Rhetorik und Demonstrationen begleitet war. Hauptkritikpunkte waren allerdings die einseitige Verwendung staatlicher Verwaltungsressourcen sowie die Berichterstattung des öffentlichen Rundfunks zugunsten von Zurabishvili (OSCE/ODIHR 29.11.2018). Am 1.12.2018 demonstrierten rund 25.000 Menschen in Tiflis und warfen der von der Regierungspartei unterstützten neuen Präsidentin Zurabishvili Wahlbetrug vor und forderten vorgezogene Parlamentswahlen (Standard 2.12.2018).

Das Parlament Georgiens hat 150 Sitze, wovon 120 über Parteienlisten und 30 über Direktmandate in Wahlkreisen vergeben werden. Bei den Wahlen 2016 wurden noch 72 Direktmandate vergeben (KP 26.11.2020). Die Änderungen zu einem reinen Verhältniswahlrecht wurden vom Parlament für die nächsten, planmäßig 2024 stattfindenden Wahlen, beschlossen (KP 23.11.2019; vgl. RFE/RL 28.11.2019).

Die Wahlhürde für die Verhältniswahl ist auf 1% der Stimmen festgelegt. Es besteht ein Begrenzungsmechanismus, der vorsieht, dass keine einzelne Partei, die weniger als 40% der abgegebenen Stimmen erhält, die Mehrheit der Sitze im Parlament erhalten darf. Im Falle einer vorgezogenen Neuwahl zwischen 2020 und 2024 wird diese nach demselben Wahlsystem wie im Jahr 2020 durchgeführt. Alle nachfolgenden Wahlen werden jedoch auf der Grundlage des vollständig proportionalen Wahlsystems durchgeführt, wie es für die Parlamentswahlen 2024 vorgesehen ist (civil 8.3.2020; vgl. KP 11.4.2020).

Bei den trotz COVID-Panedmie am 31.10.2020 durchgeführten Parlamentswahlen erzielte die bisherige Regierungspartei Georgischer Traum 48% der Stimmen und mit 91 Sitzen erneut eine satte Mehrheit von 60% der Mandate (KP 26.11.2020; vgl. EN 2.11.2020). Das größte Oppositionsbündnis, die Vereinigte Nationale Bewegung, erhielt 26,9% der Stimmen zugeschrieben (EN 2.11.2020). Insgesamt haben neun Parteien den Sprung ins Parlament geschafft (KP 26.11.2020); vgl. Jam 26.11.2020.

Die unterlegene Opposition prangerte erhebliche Wahlmanipulationen an und mobilisierte ihre Anhänger auf der Straße. Die Sicherheitskräfte setzten Schlagstöcke und Wasserwerfer ein (KP 26.11.2020; vgl. EN 2.11.2020). Gemäß OSZE waren die Parlamentswahlen kompetitiv und insgesamt wurden die Grundfreiheiten respektiert. Dennoch haben weit verbreitete Vorwürfe von der Ausübung von Druck auf die Wähler und der unklaren Abgrenzung zwischen der Regierungspartei und dem Staat das Vertrauen der Öffentlichkeit in einige Aspekte des Wahlvorganges unterminiert. Der grundlegend überarbeitete Rechtsrahmen bot eine solide Grundlage für die Abhaltung demokratischer Wahlen und die technischen Aspekte der Wahlen wurden trotz der Herausforderungen durch die COVID-19-Pandemie effizient gehandhabt. Jedoch hat sich die Dominanz der Regierungspartei in den Wahlkommissionen negativ auf die Wahrnehmung ihrer Unparteilichkeit und Unabhängigkeit ausgewirkt, insbesondere auf den unteren Ebenen (OSCE/ODIHR 1.11.2020).

In Folge rief die Opposition zum Boykott der Stichwahl am 21.11.2020 in 17 Direktwahlkreisen auf, wodurch sich alle Kandidaten des Georgischen Traums sich bei einer Wahlbeteiligung von 26% durchsetzen konnten (KP 26.11.2020); vgl. Eurasianet 27.11.2020). Die Oppositionsparteien planen aus Protest, ihre Parlamentssitze nicht zu besetzen (KP 26.11.2020; vgl. Eurasianet 27.11.2020, Jam 26.11.2020).

Laut Gesetz muss die Zentrale Wahlkommission bis spätestens 19. Dezember 2020 das endgültige Wahlergebnisse bekannt geben und das neue Parlament muss spätestens zehn Tage nach der offiziellen Bekanntgabe der Wahlergebnisse zusammentreten. Die 90 Abgeordneten der Regierungspartei sind ausreichend, damit das Parlament seine Arbeit aufnehmen kann - um Gesetze zu verabschieden, die Abgeordneten auf die Parlamentsausschüsse zu verteilen und eine Regierung zu ernennen. Das Parlament wird jedoch nicht in der Lage sein, die Verfassung zu ändern oder die Präsidentin abzusetzen (Jam 26.11.2020).

Stand Ende November 2020 ist es weder durch die Intervention von US-Botschafter Kelly Degnan noch durch andere internationale Moderatoren gelungen, die politische Krise in Georgien zu lösen und die Opposition davon zu überzeugen, den Parlamentsboykott aufzugeben. Im Extremfall könnte die politische Krise nur durch vorgezogene Neuwahlen im Frühling 2021 gelöst werden (Jam 26.11.2020).

Quellen:

?        civil.ge (8.3.2020): Georgian Dream, Opposition Reach Consensus over Electoral Reform, https://civil.ge/archives/341385, Zugriff 9.3.2020

?        CW - Caucasus Watch (29.11.2018): Surabischwili gewinnt Wahl: Georgien bekommt erstmals eine Präsidentin, http://caucasuswatch.de/news/1190.html, Zugriff 12.8.2019

?        DW – Deutsche Welle (24.6.2019): Proteste in Tiflis trotz Zugeständnissen, https://www.dw.com/de/proteste-in-tiflis-trotz-zugest%C3%A4ndnissen/a-49339505, Zugriff 13.8.2019

?        EN – Euronews (2.11.2020): Georgia’s ruling party wins parliamentary vote, opposition calls for protests, https://www.euronews.com/2020/10/31/georgia-s-ruling-party-claims-victory-in-parliamentary-vote, Zugriff 30.11.2020

?        Eurasianet (27.11.2020): Georgian politics still deadlocked after runoff polls, https://eurasianet.org/georgian-politics-still-deadlocked-after-runoff-polls , Zugriff 30.11.2020

?        FAZ – Frankfurter Allgemeine Zeitung (29.11.2018): Georgien bekommt eine Präsidentin, https://www.faz.net/aktuell/salome-surabischwili-wird-neue-praesidentin-in-georgien-15915289.html, Zugriff 12.8.2019

?        FH - Freedom House (10.3.2020): Freedom in the World 2020 - Georgia, https://freedomhouse.org/country/georgia/freedom-world/2020, Zugriff 11.3.2020

?        Jam News (26.11.2020): Georgia: can a single-party parliament function?, https://jam-news.net/georgia-can-a-single-party-parliament-work-function/, Zugriff 30.11.2020

?        KP – Kaukasische Post (11.4.2020): Neues Wahlrecht mit Virus infiziert? in: Kaukasische Post Ausgabe März 2020, Seiten 1,2.

?        KP – Kaukasische Post (23.11.2019): Vorhängeschlösser und Wasserwerfer ersetzen den politischen Diskurs, http://www.kaukasische-post.com/?p=3078, Zugriff 17.1.2020

?        KP – Kaukasische Post (26.11.2020): Alle Wahlen wieder, in: Kaukasische Post Ausgabe Oktober/November 2020. Seiten 1,2.

?        OSCE/ODIHR - Organization for Security and Co-operation in Europe/Office for Democratic Institutions and Human Rights, European Parliament, OSCE Parliamentary Assembly, Parliamentary Assembly of the Council of Europe (1.11.2020): International Election Observation Mission Georgia

?        Parliamentary Elections, 31 October 2020 – Statement of Preliminary Findings and Conclusions, https://www.osce.org/files/f/documents/a/d/469005.pdf, Zugriff 30.11.2020

?        OSCE/ODIHR - Organization for Security and Co-operation in Europe/Office for Democratic Institutions and Human Rights, European Parliament, OSCE Parliamentary Assembly, Parliamentary Assembly of the Council of Europe (29.11.2018): International Election Observation Mission, Georgia – Presidential Election, Second Round, 28 November 2018 - Statement of Preliminary Findings and Conclusions, Preliminary Conclusions, https://www.osce.org/odihr/elections/georgia/404642?download=true, Zugriff 12.8.2019

?        RFE/RL– Radion Free Europe/Radion Liberty (28.11.2019): Georgian Police Cordon Off Parliament Building To Prevent Opposition Rally, https://www.rferl.org/a/georgian-police-cordon-off-parliament-building-to-prevent-opposition-rally/30297334.html, Zugriff 2.12.2019

?        Standard, der (2.12.2018): 25.000 Georgier wegen angeblichen Wahlbetrugs auf den Straßen – https://derstandard.at/2000092965067/25-000-Georgier-wegen-angeblichen-Wahlbetrugs-auf-den-Strassen?ref=rec, Zugriff 12.8.2019

4 Sicherheitslage

Letzte Änderung: 02.09.2020

Die Lage kann in den meisten Landesteilen als stabil bezeichnet werden. Die Konflikte um die beiden separatistischen georgischen Regionen Abchasien und Südossetien sind indes ungelöst und verursachen Spannungen. (EDA 23.3.202013.8.2019; vgl. BMEIA 13.5.2020). Die Kriminalität ist gering (MSZ 25.5.2020; vgl. EDA 23.3.2020).

Die EU unterstützt durch dieArbeit des EU-Sonderbeauftragten für den Südkaukasus und die EU- Beobachtermission (EUMM) aktiv die Bemühungen um Konfliktlösung. 2009 wurde der Incident Prevention and Response Mechanism (IPRM) geschaffen, der Risiko- und Sicherheitsfragen der Gemeinden in den abtrünnigen Regionen Abchasiens und Südossetens erörtern soll (EC 30.1.2019).

Quellen:

?        BMEIA – Bundesministerium für Europäische und Internationale Angelegenheiten der Republik Österreich (13.5.2020): Reiseinformation Georgien, https://www.bmeia.gv.at/reise-aufenthalt/reise information/land/georgien/ , Zugriff 10.6.2020

?        EC - European Commission (30.1.2019): Association Implementation Report on Georgia [SWD (2019) 16 final], https://eeas.europa.eu/sites/eeas/files/2019_association_implementation_repor t_georgia.pdf , Zugriff 30.1.2019

?        EDA - Eidgenössisches Departement für auswärtige Angelegenheiten (13.8.2019): Reisehinweise für Georgien, https://www.eda.admin.ch/eda/de/home/laender-reise-information/georgien/reisehinweise-georgien.html , Zugriff 23.3.2020

?        MSZ – Ministerstwo Spraw Zagranicznych Rzeczypospolitej Polskiej (25.5.2020): Informacje dla podró?uj?cych – Gruzja, https://www.gov.pl/web/dyplomacja/gruzja , Zugriff 10.6.2020

[…]

4.2 Südossetien

Letzte Änderung: 02.09.2020

Südossetien – amtliche Bezeichnung in Georgien auch: Region Tskhinvali – hat eine Fläche von ca. 3.900 km² (gov.ge o.D.) und eine Bevölkerung von ca. 53.000 (Jam 20.2.2016). Große Teile Südossetiens wurden nach dem Ende eines Bürgerkriegs 1992 de facto unabhängig. Der Krieg im Jahr 2008 führte zum Einmarsch russischer Truppen und zur Vertreibung der zuvor noch bestehenden georgischen Regierungspräsenz sowie etlicher ethnischer Georgier. Nur Russland und eine Handvoll anderer Staaten haben seither die Unabhängigkeit Südossetiens anerkannt. Das Territorium bleibt fast vollständig von Russland abhängig und Moskau übt einen entscheidenden Einfluss auf die Politik und die Regierungsführung aus (FH FH 4.3.2020s).

Im März 2019 drückte eine Resolution des UN-Menschenrechtsrates erneut große Besorgnis über die Menschenrechtssituation in Südossetien aus, wobei insbesondere Entführungen, willkürliche Festnahmen, Verletzung von Eigentumsrechten, das Fehlen muttersprachlichen Schulunterrichts, mangelnde Freizügigkeit und Diskriminierung aufgrund ethnischer Herkunft und Verweigerung des Rückkehrrechts für die geflüchtete georgische Bevölkerung genannt werden. Die Diskriminierung dieser Bevölkerungsteile kann als zielgerichtet bewertet werden, um diese zur Abwanderung zu bewegen. Dagegen ist die Anwesenheit der im Gebiet von Akhalgori [Leningor] lebenden Georgier gegenwärtig akzeptiert (AA 19.10.2019, vgl. FH 4.3.2020s). Die südossetischen de facto-Behörden verweigern den meisten wegen des Konflikts von 2008 vertriebenen ethnischen Georgiern die Rückkehr nach Südossetien und erlauben den meisten internationalen Organisationen keinen regelmäßigen Zugang nach Südossetien zur Leistung humanitärer Hilfe (USDOS 11.3.2020).

Die russische ’Grenzverfestigung’ (borderization) der administrativen Grenze (ABL) geht weiter, sodass Anrainer von ihren Gemeinden bzw. Lebensgrundlagen getrennt werden (USDOS 11.3.2020, vgl. AI 7.2019). Die Dorfbewohner - einige leben in den ärmsten Teilen des Landes verlieren Zugang zu Weiden, Ackerland und Obstgärten, zu Wasserquellen und Brennholz. Sie sind von ihren Verwandten und Einkommensgrundlagen ebenso abgeschnitten wie vom kulturellen und sozialen Leben. Jedes Jahr werden Hunderte von Menschen willkürlich festgehalten, während sie versuchen, die ABL zu überqueren (AI 7.2019).

Die Parlamentswahlen fanden im Juni 2019 statt. Trotz besserer Gesetze konnten sich viele Regierungskritiker und Anhänger der Opposition nicht zur Kandidatur anmelden, was der Regierungspartei half, ihre Dominanz im Parlament aufrechtzuerhalten. Moskau übt einen entscheidenden Einfluss auf Politik und Regierungsführung aus und schränkt die Möglichkeiten politischer Parteien erheblich ein, sich außerhalb eines engen politischen Spektrums frei zu betätigen (FH 4.3.2020s).

Die Einschränkungen der Bewegungsfreiheit zwischen Südossetien und Georgien wurden 2019 verschärft. Wie in den vergangenen Jahren wurden Dutzende georgischer Bürger von südossetischen Grenzschutzbeamten in der Nähe der administrativen Grenze zum Rest Georgiens festgehalten und gegen Zahlung einer Geldstrafe freigelassen. Im Gegensatz zu vorangegangenen Jahren wurden die Grenzübergänge zu Kerngeorgien 2019 ohne Vorankündigung für längere Zeit geschlossen (FH 4.3.2019s).

Die lokalen Medien stehen weitgehend unter Kontrolle der Behörden, Die Redefreiheit wird unterdrückt und ein Klima von Angst und Einschüchterung ist weit verbreitet (AI 8.4.2020). Die lokalen Medien stehen weitgehend unter Kontrolle der Behörden, Selbstzensur ist weit verbreitet und gegen kritische Medien werden häufig Verläumdungsklagen eingebracht. Aufgrund des erheblichen russischen Einflusses auf die Innenpolitik und Entscheidungsfindung arbeitet die Regierung Südossetiens nicht transparent. Behörden-Korruption ist weit verbreitet. Ein systematischer Zugang diese zu bekämpfen besteht nicht. Die Justiz ist nicht unabhängig. Sie unterliegt politischer Einflussnahme und Manipulation und dient zur Bestrafung vermeintlicher politischer Gegner. Körperliche Übergriffe und schlechte Bedingungen sind Berichten zufolge in Gefängnissen und Haftanstalten weit verbreitet (FH 4.3.2019s).

Die Bewohner demonstrieren gelegentlich gegen Umweltzerstörung, das schleppende Tempo des Wiederaufbaus nach dem Krieg und seltener gegen politische Missstände. Die Versammlungsfreiheit ist jedoch stark eingeschränkt. Teilnehmer an nicht genehmigten Versammlungen laufen Gefahr, angeklagt zu werden (FH 4.3.2019s).

Die Mehrheit der Bevölkerung sind orthodoxe Christen. Es gibt aber auch eine beträchtliche muslimische Gemeinschaft. Ein Teil des Eigentums der georgisch-orthodoxen Kirche wird von der südossetisch-orthodoxen Kirche kontrolliert. Der Oberste Gerichtshof Südossetiens hat im Jahr 2017 die Zeugen Jehovas als extremistische Organisation verboten (FH 4.3.2019s).

Im Zuge der Eindämmung der COVID-19-Pandemie wurde Anfang April 2020 die Grenze zu Russland auch für den Güterverkehr geschlossen und somit Südossetien effektiv vom Rest der Welt isoliert (Eurasianet 19.4.2020; vgl. Sputnik 10.4.2020, 4.4.2020). Die Sperre bleibt bis zum 31. Juli aufrecht. Südossetische Staatsbürger, die von Russland nach Hause zurückkehren wollen, müssen zuerst einen Antrag beim südossetischen Konsulat in Nordossetien [Wladikawkas] stellen. Darüber hinaus haben die südossetischen Behörden die Grenze zu Georgien vollständig geschlossen (RES 6.7.2020; vgl. IWPR 30.5.2020).

Quellen:

?        AA – Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland (19.10.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Georgien (Stand: Juli 2019), https://www.ecoi.net/en/file/local/201 9042/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Georgien_%28Stand_Juli_2019%29%2C_19.10..pdf, Zugriff 30.1.2020

?        AI – Amnesty International (8.4.2020): South Ossetia/Tskhinvali Region: Persecution of Journalists who speak out [EUR 56/2112/2020], https://www.amnesty.org/download/Documents/EUR562112 2020ENGLISH.pdf, Zugriff 20.4.2020

?        AI – Amnesty International: Georgia: Behind barbed wire (7.2019): Human rights toll of ’borderization’ in Georgia [EUR 56/0581/2019], https://www.ecoi.net/en/file/local/2012567/EUR5605812019 ENGLISH.PDF , Zugriff am 20.8.2019

?        Eurasianet (19.4.2020): Dashboard: Coronavirus in Eurasia, https://eurasianet.org/dashboard-cor onavirus-in-eurasia , Zugriff 20.4.2020

?        FH – Freedom House (4.3.2020s): Freedom in the World 2020 - South Ossetia, https://freedomh ouse.org/country/south-ossetia/freedom-world/2020, Zugriff 16.6.2020

?        gov.ge – Government of Georgia (o.D.): http://www.gov.ge/index.php?lang_id=GEO&sec_id=214 , Zugriff 17.1.2020

?        IWPR – Institute for War & Peace Reporting (30.5.2020): South Ossetia Grapples with Covid-19, https://iwpr.net/global-voices/south-ossetia-grapples-covid-19 , Zugriff 5.6.2020

?        Jam News (20.2.2016): How many people live today in South Ossetia?, https://jam-news.net/how -many-people-live-today-in-south-ossetia/ , Zugriff 17.1.2020

?        RES - Staatliche Nachrichtenagentur ’Res’ der Republik Südossetien (6.7.2020): ??????????? ??? 85: ? ????? ?????? ?? ???????? ????? ??????? ??????????? ?????????????, http://co minf.org/node/1166530895 , Zugriff 10.7.2020

?        Sputnik News Južnaja Osetija (10.4.2020): ??????? ????? ?????? ? ??????? ????? ??????? ?? 1 ???, https://sputnik-ossetia.ru/South_Ossetia/20200410/10401609/Granitsa-Yuzhnoy-Osetii -s-Rossiey-budet-zakryta-do-1-maya-.html , Zugriff 20.4.2020

?        Sputnik News Južnaja Osetija (4.4.2020): ????? ?????? ????????? ?????????? ???????? ????????? ? ???????, https://sputnik-ossetia.ru/South_Ossetia/20200404/10371566/YuzhnayaOsetiya-polnostyu-prekratila-dorozhnoe-soobschenie-s-Rossiey.html , Zugriff 20.4.2020

?        USDOS – U.S. Department of State (11.3.2020): 2019 Country Reports on Human Rights Practices:

?        Georgia, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2020/03/GEORGIA-2019-HUMAN-RIGHTS-REPORT.pdf , Zugriff 12.3.2020

5 Rechtsschutz / Justizwesen

Letzte Änderung: 02.09.2020

Georgien hat bei der Reform des Justizsektors bescheidene Fortschritte erzielt. Es gibt noch immer wichtige Herausforderungen, um die erzielten Fortschritte zu konsolidieren und die Rechtsstaatlichkeit zu gewährleisten. Die Zivilgesellschaft hat Bedenken hinsichtlich einer möglichen politischen Einmischung in die Justiz und den Medienpluralismus. Die wirksame Umsetzung der Rechtsvorschriften zu Menschenrechten und Antidiskriminierung stellt nach wie vor eine Herausforderung dar. Am 23.3.2018 schloss das georgische Parlament den Prozess der Verfassungsreform ab. Die überarbeitete Verfassung enthält neue Bestimmungen über die Gleichstellung der Geschlechter, Antidiskriminierung und Kinderrechte (EC 30.1.2019).

Die Stärkung eines unabhängigen und nach rechtsstaatlichen Grundsätzen handelnden Justizwesens gehört zu den wichtigsten Zielen der Regierung und wird fortgesetzt. NGOs begleiten den Reformprozess sehr aktiv und sehr kritisch mit. Ungeachtet der institutionellen Unabhängigkeit der Justiz ist das Vertrauen der Bevölkerung in die Justiz wenig ausgeprägt. Politisch motivierte Strafverfolgung war bis [zum Regierungswechsel] 2012 erkennbar und erfolgte in der Regel durch fingierte Vorwürfe von Korruption, Amtsmissbrauch oder Steuervergehen. Seit 2012 laufende Ermittlungen oder mit rechtskräftigen Urteilen abgeschlossene Strafverfahren gegen hochrangige Mitglieder und nachgeordnete Mitarbeiter der ehemaligen Regierung werden von georgischen und ausländischen NGOs nicht als politisch motiviert eingeschätzt, sondern beruhen auf rechtswidrigen bzw. strafrechtlich relevanten Handlungen durch Amtsträger oder Parteifunktionäre der Vorgängerregierung. Die Tatsache, dass Gerichte hierbei nicht immer den Anträgen der Staatsanwaltschaft folgen, zeigt eine wachsende Unabhängigkeit der Justiz und Grenzen für eine etwaige politische Zielsetzung der Verfahren. Nach dem Regierungswechsel 2012/13 erfolgte eine kontinuierliche Liberalisierung des Strafrechts. Eine feststellbare niedrigere Verurteilungsrate ist auf eine stärkere Emanzipierung der Richterschaft von den Anträgen der Staatsanwaltschaft zurückzuführen, aber auch auf eine Stärkung der Rechte der Verteidigung im Strafprozess (AA 19.10.2019).

Trotz der laufenden Justizreformen bleiben die Einmischung der Exekutive und der Legislative in die Gerichte ein erhebliches Problem, ebenso wie die Korruption und der Mangel an Transparenz und Professionalität bei Gerichtsverfahren. Nach einem neuen verfassungsrechtlichen Rahmen, der nach den Präsidentschaftswahlen 2018 in Kraft trat, werden die Richter des Obersten Gerichtshofs nicht mehr vom Präsidenten, sondern vom Hohen Justizrat ernannt und vom Parlament gebilligt. Ein gerichtliches Selbstverwaltungsorgan wählt die Mehrheit der Mitglieder des Rates (FH 10.3.2020).

Quellen:

?        AA – Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland (19.10.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Georgien (Stand: Juli 2019), https://www.ecoi.net/en/file/local/201 9042/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Georgien_%28Stand_Juli_2019%29%2C_19.10..pdf, Zugriff 30.1.2020

?        EC - European Commission (30.1.2019): Association Implementation Report on Georgia [SWD (2019) 16 final], https://eeas.europa.eu/sites/eeas/files/2019_association_implementation_report_georgia.pdf, Zugriff 22.8.2019

?        FH - Freedom House (10.3.2020): Freedom in the World 2020 - Georgia, https://freedomhouse.org/country/georgia/freedom-world/2020, Zugriff 11.3.2020

6 Sicherheitsbehörden

Letzte Änderung: 02.09.2020

Das Innenministerium und der Staatssicherheitsdienst (SSSG) tragen die Hauptverantwortung für die Durchsetzung der Gesetze und die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung. Das Ministerium ist die primäre Organisation der Strafverfolgung und umfasst die nationale Polizei, die Grenzsicherheitsdienste und die georgische Küstenwache. Der SSSG ist der Inlandsnachrichtendienst, der für Spionageabwehr, Terrorismusbekämpfung und Korruptionsbekämpfung zuständig ist. Es gibt Anzeichen dafür, dass die zivilen Behörden zeitweise keine wirksame Kontrolle über die Sicherheitskräfte ausüben (USDOS 11.3.2020).

Seit dem Regierungswechsel im Oktober 2012 ist von Machtmissbrauch von Amtsträgern nicht mehr die Rede. Bis 2012 waren Exekutivorgane, z.B. Staatsanwaltschaft, Polizei oder Finanzbehörden, als Machtinstrument oder als Mittel zur rechtswidrigen Erlangung wirtschaftlicher Vorteile von Regierungsangehörigen oder ihnen nahestehenden Personen missbraucht worden. Bestechung bzw. Bestechlichkeit von Polizisten sind allgemein nicht mehr zu verzeichnen. In ihrer Rolle als Hüter des Gesetzes werden sie öffentlich als zurückhaltend, aber auch als untätig wahrgenommen. Die Geheim- und Nachrichtendienste treten nicht als Repressionsinstrumente auf. NGOs fordern jedoch eine organisatorische Trennung der Sicherheitsdienste vom Innenministerium (AA 19.10.2019).

Die Wirksamkeit der staatlichen Mechanismen zur Untersuchung und Bestrafung von Missbrauch durch Strafverfolgungsbehörden und Sicherheitskräfte ist begrenzt (USDOS 11.3.2020) und Straffreiheit bei Misshandlungsfällen bleibt ein anhaltendes Problem (HRW 14.1.2020; vgl. USDOS 11.3.202013.3.2019).

Das 2018 geschaffene Büro der staatlichen Inspektoren (State Inspector‘s Office) nahm seine Arbeit am 1.11.2019 auf (HRW 14.1.2020). Neben der Beobachtung etwa der gesetzeskonformen Verarbeitung von personenbezogenen Daten ist eine weitere Hauptaufgabe des State Inspector‘s Service die unparteiische und wirksame Untersuchung schwerer Verbrechen (inklusive Folter), die von Vertretern der Strafverfolgungsbehörden gegen die Menschenrechte und Freiheiten verübt werden, sowie Untersuchung von Straftaten, die unter Anwendung von Gewalt oder unter Verletzung der persönlichen Würde eines Opfers begangen wurden (SIS 22.8.2019; vgl. HRW 14.1.2020).

Quellen:

?        AA – Auswärtiges Amt der Bundesrepublik Deutschland (19.10.2019): Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Georgien (Stand: Juli 2019), https://www.ecoi.net/en/file/local/201 9042/Ausw%C3%A4rtiges_Amt%2C_Bericht_%C3%Bcber_die_asyl-_und_abschiebungsrelevante_Lage_in_Georgien_%28Stand_Juli_2019%29%2C_19.10.pdf, Zugriff 30.1.2020

?        Eurasianet (19.4.2020): Dashboard: Coronavirus in Eurasia, https://eurasianet.org/dashboard-coronavirus-in-eurasia, Zugriff 20.4.2020

?        HRW – Human Rights Watch (14.1.2020): World Report 2020 – Georgia, https://www.hrw.org/worl d-report/2020/country-chapters/georgia , Zugriff 17.1.2020

?        SIS - State Inspector‘s Service (22.8.2019): Who we are? https://personaldata.ge/en/about-us# , Zugriff 22.8.2019

?        USDOS – U.S. Department of State (11.3.2020): 2019 Country Reports on Human Rights Practices: Georgia, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2020/03/GEORGIA-2019-HUMAN-RIGHTS-R EPORT.pdf , Zugriff 12.3.2020

[…]

8 Korruption

Letzte Änderung: 02.09.2020

In Bezug auf die Prävention und Bekämpfung von Korruption hat Georgien seine Antikorruptionsstrategie und den mit den Verpflichtungen der EU-Assoziationsagenda im Einklang stehenden Aktionsplan weiter umgesetzt. Allerdings bestehen nach wie vor einige Bedenken hinsichtlich Korruption auf hoher Ebene (EC 30.1.2019; vgl. SWP 5.2020).

Während das Land bei der Bekämpfung der kleinen Korruption erhebliche Fortschritte gemacht hat, bleibt die Korruption innerhalb der Regierung ein Problem (FH 10.3.2020; vgl. USDOS 11.3.2020; SWP 5.2020). In einigen Fällen hat sie bei der staatlichen Postenbesetzung angeblich die Form von Vettern- und Günstlingswirtschaft angenommen. Die wirksame Anwendung von Antikorruptionsgesetzen und -vorschriften wird durch die mangelnde Unabhängigkeit sowohl der Strafverfolgungsbehörden als auch der Justiz beeinträchtigt (FH 10.3.2020; vgl. SWP 5.2020). Erfolgreiche Klagen gegen hochrangige Beamte, die mit der Führung der Regierungspartei „Georgischer Traum“ in gutem Einvernehmen stehen, sind selten (FH 10.3.2020).

Im ’Corruption Perceptions Index 2019’ von Transparency International erreichte Georgien 56 von 100 [bester Wert] Punkten und lag damit auf Rang 44 von 180 Ländern (TI 31.1.2020). (2018: 58 Punkte und Rang 41 von 180 Ländern) (TI 29.1.2019). Das Land steht vor einem Rückfall in der Demokratieentwicklung, was es anfällig für Korruption auf hoher Ebene macht. Dieser Rückwärtstrend ist unter anderem auf die mangelnde Rechenschaftspflicht bei der Strafverfolgung, Korruption und politische Einmischung in die Justiz und von der Regierung unterstützte Angriffe auf die unabhängige Zivilgesellschaft zurückzuführen. Trotz der dringenden Notwendigkeit, Fälle von Korruption und Fehlverhalten in der Regierung zu untersuchen, hat Georgien es versäumt, unabhängige Stellen einzurichten, die dieses Mandat übernehmen. Straflosigkeit trägt zum öffentlichen Misstrauen bei. Laut einer 2018 von Transparency International Georgia durchgeführten Umfrage glauben 36% der Bürger, dass Beamte ihre Macht zum persönlichen Vorteil missbrauchen. Das ist ein Anstieg des Wertes verglichen mit nur 12% im Jahr 2013 (TI 5.2019).

Quellen:

?        EC - European Commission (30.1.2019): Association Implementation Report on Georgia [SWD (2019) 16 final], https://eeas.europa.eu/sites/eeas/files/2019_association_implementation_report_georgia.pdf, Zugriff 22.8.2019

?        FH - Freedom House (10.3.2020): Freedom in the World 2020 - Georgia, https://freedomhouse.o rg/country/georgia/freedom-world/2020, Zugriff 11.3.2020

?        SWP - Stiftung Wissenschaft und Politik / Uwe Halbach (5.2020): SWP-Studie 8 - Korruption und Korruptionsbekämpfung im Südkaukasus, https://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/studien/2020S08_suedkaukasus.pdf , Zugriff 9.6.2020

?        TI - Transparency International (29.1.2019): Corruption Perceptions Index 2018, https://www.transparency.org/country/GEO , Zugriff 22.8.2019

?        TI - Transparency International (23.1.2020): Corruption Perceptions Index 2019 – Full Data Set, https://files.transparency.org/content/download/2450/14822/file/2019_CPI_FULLDATA.zip, Zugriff 11.2.2020

?        TI - Transparency International (29.15.2019b): Eastern Europe & Central Asia: weak checks and balances threaten anti-corruption efforts, https://www.transparency.org/news/feature/weak_check s_and_balances_threaten_anti_corruption_efforts_across_eastern_eu, Zugriff 5.3.2020

?        USDOS – U.S. Department of State (11.3.2020): 2019 Country Reports on Human Rights Practices: Georgia, https://www.state.gov/wp-content/uploads/2020/03/GEORGIA-2019-HUMAN-RIGHTS-REPORT.pdf, Zugriff 12.3.2020

9 NGOs und Menschrechtsaktivisten

Letzte Änderung: 02.09.2020

Nichtregierungsorganisationen (NGOs) können sich in der Regel ohne Probleme registrieren und ihre Arbeit durchführen. Sie werden in der Öffentlichkeit gut wahrgen

Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten