TE Vwgh Erkenntnis 1996/12/16 95/10/0025

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Veröffentlicht am 16.12.1996
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Index

L55003 Baumschutz Landschaftsschutz Naturschutz Niederösterreich;
L55053 Nationalpark Biosphärenpark Niederösterreich;
40/01 Verwaltungsverfahren;

Norm

AVG §38;
NatSchG NÖ 1977 §18 Abs2;
NatSchG NÖ 1977 §18 Abs7;

Beachte

Serie (erledigt im gleichen Sinn):95/10/0027 E 16. Dezember 1996 95/08/0026 9. Februar 1995

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Jabloner und die Hofräte Dr. Novak, Dr. Mizner

Dr. Bumberger und Dr. Stöberl als Richter, im Beisein des Schriftführers Mag. Suda, über die Beschwerde des F C und der M C in M, beide vertreten durch Dr. L, Rechtsanwalt in W, gegen den Bescheid der Niederösterreichischen Landesregierung vom 12. Dezember 1994, Zl. II/3-E-3/4-1994, betreffend Aussetzung eines Entschädigungsverfahrens, zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Bescheid wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Das Land Niederösterreich hat den Beschwerdeführern Aufwendungen in der Höhe von S 12.770,-- binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Am 5. April 1994 stellten die Beschwerdeführer bei der belangten Behörde unter Hinweis auf die Verordnung der Niederösterreichischen Landesregierung "vom 10. April 1992, LGBl. 5500/13, mit der das Thayatal südlich und westlich von Hardegg zum Naturschutzgebiet erklärt wurde," den Antrag, die aus den Nutzungseinschränkungen entstehenden vermögensrechtlichen Nachteile, die ihnen als Eigentümer von ins Naturschutzgebiet einbezogenen Grundflächen entstünden, durch eine angemessene Entschädigung zu vergüten.

Mit dem angefochtenen Bescheid setzte die belangte Behörde - dem Wortlaut des Spruches zufolge - "das gemäß § 18 des Niederösterreichischen Naturschutzgesetzes, LGBl. 5500-3, beim Amt der Niederösterreichischen Landesregierung anhängige Entschädigungsverfahren betreffend Ihre Grundstücke im Naturschutzgebiet Thayatal II bis zum Vorliegen der Entscheidung des Gerichtes hinsichtlich der Entschädigungsverfahren Thayatal I" gemäß § 38 AVG aus. Begründend wurde dargelegt, die belangte Behörde habe mit Bescheid vom 24. Juni 1992 "über die Entschädigungsansprüche (Thayatal I) der Eigentümer der drei Gutsbetriebe abgesprochen". Diese Entschädigungsverfahren seien bei Gericht anhängig; es seien Sachverständige für Jagdwirtschaft und Landwirtschaft bestellt worden. Mittlerweile sei das Naturschutzgebiet durch Verordnung der Niederösterreichischen Landesregierung vom 10. April 1992, LGBl. 5500/13-18, erweitert worden (Thayatal II); "für dieses" seien ebenfalls Entschädigungsanträge eingebracht worden. Da offensichtlich wesentliche Fragen in dem bei Gericht anhängigen Verfahren noch ungeklärt seien, die für das "Entschädigungsverfahren Thayatal II" von wesentlicher Bedeutung seien, sehe sich die belangte Behörde außerstande, "ohne Kenntnis aller Gutachten über die Entschädigungsforderungen (Thayatal II)" zu entscheiden. Dies schon deswegen, weil den "Großgrundbesitzern" zugesichert worden sei, im Verfahren Thayatal II die gleichen Berechnungsgrundlagen für die Entscheidungen heranzuziehen. "Im Interesse des Gleichheitsgrundsatzes" seien für alle Grundeigentümer die gleichen Berechnungsgrundlagen anzuwenden.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde, die Rechtswidrigkeit des Inhaltes geltend macht.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Das Naturschutzgebiet "Thayatal" wurde mit Verordnung der Niederösterreichischen Landesregierung vom 12. Juli 1988, LGBl. 5500/13-13, errichtet. Es umfaßte nach § 2 Abs. 41 der Verordnung über die Naturschutzgebiete zunächst die in der Anlage ausgewiesenen Grundflächen (Gebiete A, B, C und D) in den Katastralgemeinden Hardegg, Merkersdorf, Umlauf und Niederfladnitz (alle Stadtgemeinde Hardegg). Durch Verordnung der Niederösterreichischen Landesregierung vom 1. Oktober 1991, LGBl. 5500/13-18, wurde die oben angeführte Verordnung u.a. in § 2 Abs. 41 (und der Anlage hiezu) geändert; das Naturschutzgebiet umfaßt danach die Thaya im Gemeindegebiet von Hardegg und die in der Anlage ausgewiesenen Grundflächen (Gebiete A, A 1, B, C und D) in den Katastralgemeinden Hardegg, Merkersdorf, Umlauf und Niederfladnitz (alle Stadtgemeinde Hardegg).

Nach § 18 Abs. 2 des Niederösterreichischen Naturschutzgesetzes, LGBl. 5500-0 idF LGBl. 5500-3, ist, wenn sich aus dem Inhalt einer Verordnung oder eines Bescheides, denen Vorschriften dieses Gesetzes zugrunde liegen, für ein Grundstück oder eine schon vor der Erlassung der Verordnung oder des Bescheides errichtete Anlage eine erhebliche Minderung des Ertrages oder eine nachhaltige Erschwernis der Wirtschaftsführung oder die Unzulässigkeit oder wesentliche Einschränkung der Bewirtschaftungs- oder Nutzungsmöglichkeiten ergeben, dem Eigentümer auf Antrag eine Vergütung der hiedurch entstehenden vermögensrechtlichen Nachteile zu leisten. Nach Abs. 5 letzter Satz leg. cit. hat über das Bestehen des Anspruches und über die Höhe der Entschädigung oder des Einlösungsbetrages die Landesregierung mit Bescheid zu entscheiden.

Nach Abs. 7 leg. cit. kann der Berechtigte innerhalb von drei Monaten nach Rechtskraft eines gemäß Abs. 5 erlassenen Bescheides bei dem Bezirksgericht, in dessen Sprengel das Grundstück oder die Anlage gelegen ist, die Festsetzung der Höhe der Entschädigung oder des Einlösungsbetrages beantragen. Mit dem Einlangen des Antrages bei Gericht tritt der Bescheid der Landesregierung hinsichtlich der Festsetzung der Entschädigung oder des Einlösungsbetrages außer Kraft. Der Antrag kann nur mit Zustimmung der Landesregierung zurückgezogen werden. In diesem Falle gilt die im Bescheid bestimmte Entschädigung oder der Einlösungsbetrag als vereinbart. Die Stellung eines neuerlichen Antrages an das Gericht ist unzulässig.

Nach § 38 AVG ist, sofern die Gesetze nicht anderes bestimmen, die Behörde berechtigt, im Ermittlungsverfahren auftauchende Vorfragen, die als Hauptfragen von anderen Verwaltungsbehörden oder von den Gerichten zu entscheiden wären, nach der über die maßgebenden Verhältnisse gewonnenen eigenen Anschauung zu beurteilen und diese Beurteilung ihrem Bescheid zugrunde zu legen. Sie kann aber auch das Verfahren bis zur rechtskräftigen Entscheidung der Vorfrage aussetzen, wenn die Vorfrage schon den Gegenstand eines anhängigen Verfahrens bei der zuständigen Behörde bildet oder ein solches Verfahren gleichzeitig anhängig gemacht wird.

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist unter einer Vorfrage im Sinne des § 38 AVG eine für die Entscheidung der Verwaltungsbehörde präjudizielle Rechtsfrage zu verstehen, über die als Hauptfrage von anderen Verwaltungsbehörden oder von den Gerichten oder auch von derselben Behörde, jedoch in einem anderen Verfahren, zu entscheiden ist. Präjudiziell - und somit Vorfragenentscheidung in verfahrensrechtlich relevantem Sinn - ist nur eine Entscheidung, die 1. eine Rechtsfrage betrifft, deren Beantwortung für die Hauptfragenentscheidung unabdingbar, das heißt eine notwendige Grundlage, ist, und 2. die diese in einer die Verwaltungsbehörde bindenden Weise regelt (vgl. z.B. das Erkenntnis vom 15. September 1986, Zl. 86/10/0129, und die dort zitierte Vorjudikatur).

Die Begründung des angefochtenen Bescheides beschränkt sich im vorliegenden Zusammenhang auf den Hinweis, es seien "offensichtlich wesentliche Fragen in dem bei Gericht anhängigen Verfahren noch ungeklärt"; diese seien "für das verfahrensgegenständliche Entschädigungsverfahren Thayatal II von wesentlicher Bedeutung".

Diese Begründung läßt erkennen, daß die belangte Behörde nicht geprüft hat, ob die von ihr angeführten "wesentlichen Fragen in dem bei Gericht anhängigen Verfahren" für das vorliegende Verfahren "Vorfragen" im oben dargelegten Sinn darstellen. Soweit dies der Begründung des angefochtenen Bescheides entnommen werden kann, handelt es sich bei dem "bei Gericht anhängigen Verfahren" um ein gemäß § 18 Abs. 7 erster Satz NSchG bei Gericht anhängig gemachtes Verfahren, das Entschädigungsansprüche auf Grund der Einbeziehung von Grundflächen in ein Naturschutzgebiet durch die Verordnung LGBl. 5500/13-13, betrifft. In Ansehung dieses gerichtlichen Verfahrens kann von einem Verfahren, dessen Gegenstand - als Hauptfrage - die Lösung einer Rechtsfrage wäre, die für das vorliegende verwaltungsbehördliche Verfahren unabdingbar wäre und diese in einer für die belangte Behörde bindenden Weise regeln würde, nicht die Rede sein. Verfahrensökonomische Aspekte allein, die sich allenfalls daraus ergeben sollten, daß im vorliegenden Verfahren gleich oder ähnlich gelagerte Sachverhaltsfragen zu lösen sind wie im erwähnten gerichtlichen Verfahren, können eine Aussetzung gemäß § 38 AVG nicht tragen.

Die belangte Behörde hat daher den Inhalt des Gesetzes verkannt; der angefochtene Bescheid war gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung

BGBl. Nr. 416/1994.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1996:1995100025.X00

Im RIS seit

20.11.2000

Zuletzt aktualisiert am

19.07.2009
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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