Index
27 RechtspflegeNorm
B-VG Art7 Abs1 / VerwaltungsaktLeitsatz
Keine Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte durch die Versagung der Wiederaufnahme von Disziplinarverfahren gegen einen Rechtsanwalt sowie durch die Verhängung einer Disziplinarstrafe über einen Rechtsanwalt wegen einer unsachlichen und ausländerfeindlichen Äußerung; keine Verletzung der grundgesetzlich gewährleisteten Aufhebung jedes Hörigkeits- und Untertänigkeitsverhältnisses; keine Verletzung des Gleichheitsrechtes und der Meinungsäußerungsfreiheit; keine Verletzung des Art6 EMRK durch die KostenentscheidungSpruch
Der Beschwerdeführer ist durch die angefochtenen Bescheide weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.
Die Beschwerden werden abgewiesen.
Begründung
Entscheidungsgründe:
1.1. Mit Bescheid der Obersten Berufungs- und Disziplinarkommission für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter (im folgenden: OBDK) vom 12. Juli 1993, Z10 Bkd 7/93-7, wurde ein Beschluß des Disziplinarrates der Oberösterreichischen Rechtsanwaltskammer vom 19. April 1993 mit der Maßgabe bestätigt, daß dem Antrag des Beschwerdeführers - eines Rechtsanwaltes - auf Wiederaufnahme der Verfahren zu D 51/88 (verbunden mit D 7/89) keine Folge gegeben und der Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens DV 31/92 zurückgewiesen wurde.
Diese Entscheidung begründete die OBDK damit, daß einerseits keine Wiederaufnahmsgründe im Sinne des gemäß §77 Abs1 DSt 1990 anzuwendenden §353 StPO geltend gemacht worden seien. Andererseits sei die Wiederaufnahme des Verfahrens D 5/92 (DV 31/92) schon deshalb nicht möglich, weil die rechtskräftige Beendigung dieses Verfahrens noch ausstehe.
1.2. Mit Erkenntnis des Disziplinarrates der Oberösterreichischen Rechtsanwaltskammer vom 25. Jänner 1993 wurde der nunmehrige Beschwerdeführer als Disziplinarbeschuldigter im Verfahren D 5/92, DV 31/92 schuldig erkannt, in einer näher bezeichneten Gerichtsverhandlung anläßlich der Vernehmung eines ausländischen Zeugen durch die an diesen gerichteten Worte "Er ist ja erst relativ kurz in Österreich, hoffe auch nicht allzu lange" eine unsachliche Äußerung gemacht zu haben, die auf eine ausländerfeindliche Gesinnung schließen lasse, wodurch er das Disziplinarvergehen der Berufspflichtenverletzung und der Verletzung von Ehre und Ansehen des Standes begangen habe. Hiefür wurde er zur Disziplinarstrafe einer Geldbuße in der Höhe von S 10.000,-- und zum Ersatz der Verfahrenskosten verurteilt.
Den gegen diese Entscheidung erhobenen Berufungen des Beschuldigten und des Kammeranwaltes gab die OBDK mit Bescheid vom 4. Oktober 1993, Z10 Bkd 4/93, keine Folge. Sie bestätigte das angefochtene Erkenntnis mit der Maßgabe, daß an die Stelle der Worte "eine unsachliche Äußerung getätigt, die auf eine ausländerfeindliche Gesinnung schließen läßt" die Worte "eine unsachliche und ungehörige Äußerung gemacht" zu treten haben. Außerdem wurde der Disziplinarbeschuldigte zum Ersatz der Kosten des Berufungsverfahrens verurteilt.
2. Gegen die genannten Bescheide der OBDK vom 12. Juli 1993 und vom 4. Oktober 1993 richtet sich die vorliegende, der Sache nach auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde des Disziplinarbeschuldigten, in der die Verletzung in mehreren (einfachgesetzlichen) Rechten gemäß der RAO, des DSt 1990 und der StPO sowie die Verletzung der verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechte gemäß Art7 und 13 StGG, gemäß Art6 und 10 EMRK sowie des Art7 B-VG behauptet und die kostenpflichtige Aufhebung der angefochtenen Bescheide begehrt wird.
3. Die belangte Behörde hat die Akten vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der sie die Abweisung der Beschwerde begehrt.
4. Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:
4.1. Zum Bescheid vom 12. Juli 1993:
4.1.1. Zu diesem Bescheid wird in der Beschwerde lediglich ausgeführt, daß der Verweis der belangten Behörde auf die im Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 30. September 1991, B1361/90 (= VfSlg. 12796/1991), vertretene Rechtsauffassung entgegen der Ansicht der belangten Behörde den Wiederaufnahmeantrag gerechtfertigt habe, weil der Verfassungsgerichtshof seine Rechtsansicht nach Meinung des Beschwerdeführers mit Erkenntnis vom 24. Juni 1992, B13/92 (= VfSlg. 13122/1992), geändert hätte.
4.1.2. Diese Beschwerdeausführungen sind jedoch nicht geeignet aufzuzeigen, daß der angefochtene Bescheid den Beschwerdeführer in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht verletzt. Der Beschwerdeführer behauptet gar nicht, durch den in Rede stehenden Bescheid in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht oder wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden zu sein. Auch dem Verfassungsgerichtshof ist die Verletzung eines verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes nicht erkennbar. Bedenken gegen die den angefochtenen Bescheid tragenden Rechtsgrundlagen sind aus der Sicht des vorliegenden Falles nicht entstanden.
Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid sohin nicht in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten oder wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden. Ob das Gesetz richtig angewendet wurde, hat der Verfassungsgerichtshof nicht zu prüfen.
4.2. Zum Bescheid vom 4. Oktober 1993:
4.2.1. Der Beschwerdeführer behauptet zunächst, daß entgegen Art7 StGG, wonach jedes Hörigkeits- und Untertänigkeitsverhältnis aufgehoben ist, der Eindruck entstehe, daß offensichtlich die Anzeige eines Richters bereits genüge, um zu einer Verurteilung und Bestrafung zu führen.
Der Verfassungsgerichtshof vermag diese Beschwerdebehauptung nicht nachzuvollziehen. Es ist schlechthin unerfindlich, wie durch das gegenständliche Disziplinarerkenntnis in das durch Art7 StGG verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht eingegriffen werden kann.
4.2.2. Der Beschwerdeführer wirft der belangten Behörde weiters Willkür vor. Diese erblickt er in der Verurteilung aufgrund der Anzeige eines Richters und in der Abänderung des Spruches des Straferkenntnisses. Vor dem Hintergrund des Erkenntnisses VfSlg. 13122/1992, in dem der Verfassungsgerichtshof einen dem vorliegenden vergleichbaren Sachverhalt rechtlich anders beurteilt habe als die OBDK, verstoße der angefochtene Bescheid gegen den Gleichheitssatz. Außerdem werde der Gleichheitsgrundsatz dadurch verletzt, daß allein der Beschwerdeführer in den Ersatz der Kosten des Berufungsverfahrens verfällt worden sei, obwohl auch der Kammeranwalt mit seiner Berufung keinen Erfolg gehabt habe.
Eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz kann nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (zB VfSlg. 10413/1985, 11682/1988) nur vorliegen, wenn der angefochtene Bescheid auf einer dem Gleichheitsgebot widersprechenden Rechtsgrundlage beruht, wenn die Behörde der angewendeten Rechtsvorschrift fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt oder wenn sie bei Erlassung des Bescheides Willkür geübt hat.
Ein willkürliches Verhalten kann der Behörde unter anderem dann vorgeworfen werden, wenn sie den Beschwerdeführer aus unsachlichen Gründen benachteiligt hat oder aber, wenn der angefochtene Bescheid wegen gehäuften Verkennens der Rechtslage in einem besonderen Maße mit den Rechtsvorschriften in Widerspruch steht (zB VfSlg. 10337/1985, 11436/1987).
Daß die belangte Behörde auf der Basis einer dem Gleichheitsgebot widersprechenden Rechtsgrundlage entschieden habe, wird gar nicht behauptet. Bedenken gegen die den angefochtenen Bescheid tragenden Normen sind aus der Sicht des konkreten Falles keine entstanden. Auch ist nicht erkennbar, daß die belangte Behörde den angewendeten Rechtsvorschriften fälschlicherweise einen gleichheitswidrigen Inhalt unterstellt hat, ist doch gemäß §54 Abs5 DSt 1990 auf eine nicht erfolgreiche Berufung des Kammeranwaltes bei der Kostenentscheidung nicht Bedacht zu nehmen. Auch darin, daß die OBDK bei der Subsumtion eines konkreten Sachverhaltes unter eine gesetzliche Vorschrift zu einem anderen Ergebnis gekommen ist, als der Verfassungsgerichtshof bei der Beurteilung eines zwar prinzipiell vergleichbaren, sich im Detail aber sehr wohl unterscheidenden Falles, liegt kein Verstoß gegen den Gleichheitssatz.
Auch der Vorwurf der Willkür ist unbegründet. Der Verfassungsgerichtshof sieht nicht, daß die belangte Behörde die Rechtslage gehäuft verkannt, den Beschwerdeführer aus unsachlichen Gründen benachteiligt oder den konkreten Sachverhalt außer acht gelassen hätte.
Eine Verletzung des verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz liegt demnach nicht vor.
4.2.3. Auch das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht der freien Meinungsäußerung wird durch den angefochtenen Bescheid nicht verletzt. Ein Verwaltungsakt, der in die Freiheit der Meinungsäußerung eingreift, ist nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes u.a. dann verfassungswidrig, wenn ein verfassungsmäßiges Gesetz denkunmöglich angewendet wurde (VfSlg. 3762/1960, 6166/1970 und 6465/1971). Eine denkunmögliche Gesetzesanwendung liegt auch vor, wenn die Behörde dem Gesetz fälschlich einen verfassungswidrigen, hier also: die besonderen Schranken des Art10 EMRK mißachtenden, Inhalt unterstellt (VfSlg. 10700/1985, 12086/1989).
Eine denkunmögliche Gesetzesanwendung im gegenständlichen Fall vermag der Verfassungsgerichtshof aber nicht zu erkennen. Der belangten Behörde kann nicht entgegengetreten werden, wenn sie die inkriminierte Aussage als unsachlich und ungehörig qualifiziert. Wenngleich ein Rechtsanwalt gemäß §9 Abs1 RAO befugt und verpflichtet ist, alles, was er nach dem Gesetz zur Vertretung seiner Partei für dienlich erachtet, unumwunden vorzubringen, ihre Angriffs- und Verteidigungsmittel in jeder Weise zu gebrauchen, welche seinem Auftrag, seinem Gewissen und den Gesetzen nicht widerstreiten, so ist nicht ersichtlich, wie die inkriminierte Äußerung durch die zitierte Gesetzesbestimmung gerechtfertigt werden könnte.
Der Beschwerdeführer ist daher durch den angefochtenen Bescheid nicht im verfassunsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Freiheit der Meinungsäußerung verletzt worden.
4.2.4. Da der Verfassungsgerichtshof nicht sieht, worin der behauptete Verstoß der Kostenentscheidung gegen Art6 EMRK liegen soll, ist festzustellen, daß auch die Verletzung dieses verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechtes nicht stattgefunden hat.
5. Ob das Gesetz richtig angewendet wurde, hat der Verfassungsgerichtshof nicht zu prüfen, und zwar auch dann nicht, wenn, wie hier, die Anrufung des Verwaltungsgerichtshofes gemäß Art133 Z4 B-VG nicht zulässig ist (zB VfSlg. 10565/1985, 10659/1985, 11754/1988).
Die Beschwerde war daher abzuweisen.
6. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 Z1 und 2 VerfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.
Schlagworte
Rechtsanwälte, Disziplinarrecht Rechtsanwälte, MeinungsäußerungsfreiheitEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:1995:B1966.1993Dokumentnummer
JFT_10049773_93B01966_00