TE Bvwg Erkenntnis 2021/10/4 W198 2243668-1

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Veröffentlicht am 04.10.2021
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Entscheidungsdatum

04.10.2021

Norm

ASVG §18a
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §28 Abs3 Satz2

Spruch


W198 2243668-1/13E

BESCHLUSS

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Karl SATTLER als Einzelrichter über die Beschwerde der XXXX , gegen den Bescheid der Pensionsversicherungsanstalt, Hauptstelle Wien, vom 02.04.2021, Zl. XXXX , beschlossen:

A)

Der angefochtene Bescheid wird gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) behoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die belangte Behörde zurückverwiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Begründung:

I. Verfahrensgang:

1. Am 06.07.2020 beantragte XXXX (im Folgenden: Beschwerdeführerin) die Selbstversicherung in der Pensionsversicherung für Zeiten der Pflege ihres behinderten Kindes XXXX , geb. XXXX , ab dem frühestmöglichen Zeitpunkt bis 30.11.2017.

2. Mit Bescheid vom 02.04.2021, Zl. XXXX , hat die Pensionsversicherungsanstalt, Hauptstelle Wien (im Folgenden: PVA), dem Antrag der Beschwerdeführerin vom 06.07.2020 auf Selbstversicherung in der Pensionsversicherung für Zeiten der Pflege ihres behinderten Kindes ab 01.09.2017 bis 30.11.2017 stattgegeben. Weiters wurde festgestellt, dass für die Zeit vom 01.05.2012 bis 31.08.2017 die Berechtigung zur Selbstversicherung in der Pensionsversicherung nicht gegeben ist. Begründend wurde ausgeführt, dass bis 01.10.2013 kein Bezug einer erhöhten Familienbeihilfe vorliege. Aufgrund des allgemeinen Entwicklungsrückstandes und der Tatsache des Besuchs des heilpädagogischen Kindergartens ab 2016 sei für die Zeit vom 01.10.2013 bis 31.08.2017 die Selbstversicherung nicht gerechtfertigt. Ab 01.12.2017 liege die Selbstversicherung gemäß
§ 18b ASVG vor.

3. Gegen diesen Bescheid hat die Beschwerdeführerin mit Schreiben vom 22.04.2021 fristgerecht Beschwerde erhoben. Begründend führte sie aus, dass sie seit Oktober 2013 die erhöhte Familienbeihilfe für ihren Sohn beziehe und sei dies daher der frühestmögliche Zeitpunkt für die Selbstversicherung in der Pensionsversicherung. Im Oktober 2013 habe sie begonnen, aufgrund der Entwicklungsprobleme ihres Sohnes mit ihm verschiedenste Therapien zu absolvieren. Ihr Sohn habe aufgrund seiner Entwicklungsprobleme eine Mikado Tagesmutter sowie einen heilpädagogischen Kindergarten besucht. Erst im August 2017 habe ein Facharzt die Beschwerdeführerin darauf hingewiesen, dass die Ursache für die Entwicklungsprobleme ihres Sohnes in der Genetik liege. Im Februar 2019 habe die Humangenetik die Ursache für die schweren Beeinträchtigungen ihres Sohnes gefunden, nämlich den seltenen Gendefekt Angelman Syndrom. Der Beschwerdeführerin sei bewusst, dass erst ab Bezug der erhöhten Familienbeihilfe (ab Oktober 2013) ein Anspruch auf die Selbstversicherung gegeben sei. Sie könne jedoch die Ablehnung für den Zeitraum Oktober 2013 bis September 2017 nicht nachvollziehen. Leider sei die Diagnose nicht bereits zu einem früheren Zeitpunkt von einem Facharzt festgestellt worden, aber der Gendefekt sei ja bereits seit Geburt ihres Sohnes vorhanden.

4. Die gegenständliche Beschwerde samt (Anmerkung: unvollständigem) Verwaltungsakt wurde dem Bundesverwaltungsgericht samt Äußerung der PVA vom 22.06.2021 am 23.06.2021 vorgelegt.

5. Am 28.06.2021 erfolgte eine Urkundenvorlage der PVA. Dabei wurden fehlende Aktenbestandteile des Verwaltungsaktes vorgelegt (unter anderem der beschwerdegegenständliche Antrag vom 06.07.2020 sowie die Beilagen der Beschwerde).

6. Das Bundesverwaltungsgericht hat mit Schreiben vom 20.07.2021 der Beschwerdeführerin die Äußerung der PVA vom 22.06.2021 samt dazugehöriger Beilagen übermittelt und wurde aufgetragen, zum Ergebnis der Beweisaufnahme eine Stellungnahme abzugeben. Es wurde darauf hingewiesen, dass die Beschwerdeführerin dem bisherigen Ermittlungsstand nur insofern entgegentreten kann, als sie ein fachärztliches Gutachten, sohin ein auf gleicher fachlicher Ebene gehaltenes Beweismittel, vorlegt, welches belegt, dass ihr Kind im beschwerdegegenständlichen Zeitraum - 01.10.2013 bis 31.08.2017 - entgegen dem Arztbrief vom 13.02.2014 und der Chefärztlichen Stellungnahme vom 26.11.2020 doch einer ständigen persönlichen Hilfe und Pflege bedurft hat.

7. Am 16.08.2021 langte eine mit 13.08.2021 datierte Stellungnahme der Beschwerdeführerin beim Bundesverwaltungsgericht ein. Mit der Stellungnahme wurden diverse medizinische Unterlagen betreffend ihren Sohn übermittelt.

8. Das Bundesverwaltungsgericht hat mit Schreiben vom 26.08.2021 der Beschwerdeführerin Parteiengehör gewährt.

9. Das Bundesverwaltungsgericht hat mit Schreiben vom 26.08.2021 der PVA die Stellungnahme der Beschwerdeführerin vom 13.08.2021 samt Beilagen sowie das Parteiengehör an die Beschwerdeführer vom 26.08.2021 übermittelt und wurde die PVA aufgefordert, bis 23.09.2021 eine Stellungnahme dazu abzugeben.

10. Am 02.09.2021 langte eine mit 01.09.2021 datierte Stellungnahme der Beschwerdeführerin zum Parteiengehör vom 26.08.2021 beim Bundesverwaltungsgericht ein. Darin wurde die Zeugeneinvernahme des Dr. XXXX (Kinderarzt des Sohnes der Beschwerdeführerin) beantragt.

11. Das Bundesverwaltungsgericht hat mit Schreiben vom 06.09.2021 der PVA die Stellungnahme der Beschwerdeführerin vom 01.09.2021 übermittelt und wurde die bereits festgelegte Frist zur Abgabe einer schriftlichen Stellungnahme bis spätestens 23.09.2021 aufrechterhalten.

Es langte keine Stellungnahme der PVA beim Bundesverwaltungsgericht ein.

12. Am 30.09.2021 legte die PVA, nach entsprechender Aufforderung durch das Bundesverwaltungsgericht, das ärztliche Gutachten der PVA vom 28.09.2017 bezüglich des Antrages der Beschwerdeführerin auf Zuerkennung des Pflegegeldes vor.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Am 06.07.2020 beantragte die Beschwerdeführerin die Selbstversicherung in der Pensionsversicherung für Zeiten der Pflege ihres behinderten Kindes XXXX , geb. XXXX , ab dem frühestmöglichen Zeitpunkt bis 30.11.2017.

Für den im gemeinsamen Haushalt lebenden Sohn der Beschwerdeführerin, XXXX , bestand ab Oktober 2013 ein Anspruch auf erhöhte Familienbeihilfe gemäß § 8 Abs. 4 FLAG 1967.

Der Sohn der Beschwerdeführerin litt im beschwerdegegenständlichen Zeitraum an einem allgemeinen Entwicklungsrückstand, insbesondere mit sprachlichen Defiziten und Störung der Feinmotorik sowie Gefahrenverkennung. Er bedurfte keiner ständigen persönlichen Hilfe bzw. besonderer Pflege.

Ermittlungen und darauf basierende Feststellungen zur Frage, ob die Arbeitskraft der Beschwerdeführerin trotz Verneinung eines ständigen Betreuungs- und Pflegebedarfs überwiegend in Anspruch genommen wurde, traf die belangte Behörde nicht, obwohl dies, wie der rechtlichen Würdigung weiter unten zu entnehmen ist, erforderlich gewesen wäre.

2. Beweiswürdigung:

Der Zeitpunkt der Antragstellung, der Zeitraum, in dem erhöhte Familienbeihilfe gewährt wurde, sowie der gemeinsame Haushalt stehen aufgrund der Aktenlage als unstrittig fest.

Die Art der Behinderung des Sohnes der Beschwerdeführerin sowie das Ausmaß der behinderungsbedingt erforderlichen persönlichen Hilfe und besonderen Pflege ergeben sich aus der chefärztlichen Stellungnahme vom 26.11.2020, welche auf dem ärztlichen Gutachten vom 28.09.2017 zum Antrag auf Zuerkennung des Pflegegeldes, auf einem Arztbrief der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendheilkunde vom 13.02.2014 sowie auf einem Befundbericht des Kinderarztes Dr. XXXX vom 06.05.2016 beruht. Das Gutachten vom 28.09.2017, welches nach einer persönlichen Untersuchung des Sohnes der Beschwerdeführerin ergangen ist, sowie die darauf basierende chefärztliche Stellungnahme vom 26.11.2020 sind schlüssig, nachvollziehbar und weisen keine Widersprüche auf. Das Gutachten vom 28.09.2017 geht auf die Art der Leiden und die damit im Zusammenhang stehenden notwendigen Pflege-und Hilfeleistungen ein. Damit erfüllt es die an ein ärztliches Sachverständigengutachten gestellten Anforderungen.

Die Beschwerdeführerin ist dem ärztlichen Gutachten vom 28.09.2017 zum Antrag auf Zuerkennung des Pflegegeldes sowie der darauf basierenden chefärztlichen Stellungnahme vom 26.11.2020 nicht auf der gleichen fachlichen Ebene entgegengetreten, zumal sie ein fachärztliches Gutachten - sohin ein auf gleicher fachlicher Ebene gehaltenes Beweismittel - welches belegt, dass ihr Kind im beschwerdegegenständlichen Zeitraum 01.10.2013 bis 31.08.2017 doch einer ständigen persönlichen Hilfe und Pflege bedurft hat, nicht vorgelegt hat.

Das Fehlen von Ermittlungen und darauf basierenden Feststellungen zu der Frage, ob die Arbeitskraft der Beschwerdeführerin nicht auf andere Weise überwiegend in Anspruch genommen wurde, steht aufgrund der Aktenlage fest. So unterließ es die belangte Behörde, die Beschwerdeführerin dahingehend zu befragen, wie sich ihre zeitliche Beanspruchung durch die Behinderung ihres Sohnes – im Sinne einer Darstellung des täglichen Ablaufs der Pflege- und Betreuungsleistungen – konkret darstellt.

3. Rechtliche Beurteilung:

§ 414 Abs. 1 ASVG normiert die Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts zur Entscheidung über Beschwerden gegen Bescheide eines Versicherungsträgers.

Nach § 9 Abs. 2 Z 1 VwGVG ist belangte Behörde in den Fällen des Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG jene Behörde, die den angefochtenen Bescheid erlassen hat.

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. In Ermangelung einer entsprechenden Anordnung der Senatszuständigkeit im ASVG liegt im gegenständlichen Fall Einzelrichterzuständigkeit vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Absehen von einer Beschwerdeverhandlung:

Gemäß § 24 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht auf Antrag oder, wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen. Gemäß Abs. 4 kann, soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrages, der gegenständlich nicht vorliegt, von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 entgegenstehen.

Da bereits aufgrund der Aktenlage feststand, dass der angefochtene Bescheid zu beheben war, konnte eine öffentliche mündliche Verhandlung sohin gemäß § 24 VwGVG unterbleiben.

Zu A) Zurückverweisung der Beschwerde:

Vorliegend gelangen folgende maßgebende Bestimmungen zur Anwendung:

§ 18a ASVG idF BGBl. I Nr. 2/2015:

„Selbstversicherung in der Pensionsversicherung für Zeiten der Pflege eines behinderten Kindes

§ 18a. (1) Personen, die ein behindertes Kind, für das erhöhte Familienbeihilfe im Sinne des § 8 Abs. 4 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967, BGBl. Nr. 376, gewährt wird, unter überwiegender Beanspruchung ihrer Arbeitskraft in häuslicher Umgebung pflegen, können sich, solange sie während dieses Zeitraumes ihren Wohnsitz im Inland haben, längstens jedoch bis zur Vollendung des 40. Lebensjahres des Kindes, in der Pensionsversicherung selbstversichern. Der gemeinsame Haushalt besteht weiter, wenn sich das behinderte Kind nur zeitweilig wegen Heilbehandlung außerhalb der Hausgemeinschaft aufhält. Eine Selbstversicherung in der Pensionsversicherung für Zeiten der Pflege eines behinderten Kindes kann jeweils nur für eine Person bestehen.

(2) Die Selbstversicherung ist für eine Zeit ausgeschlossen, während der

1. (Anm.: aufgehoben durch BGBl. I Nr. 2/2015)

2. eine Ausnahme von der Vollversicherung gemäß § 5 Abs. 1 Z 3 besteht oder auf Grund eines der dort genannten Dienstverhältnisse ein Ruhegenuß bezogen wird oder

3. eine Ersatzzeit gemäß § 227 Abs. 1 Z 3 bis 6 oder § 227a vorliegt.

(3) Eine überwiegende Beanspruchung der Arbeitskraft im Sinne des Abs. 1 wird jedenfalls dann angenommen, wenn und so lange das behinderte Kind

1. das Alter für den Beginn der allgemeinen Schulpflicht (§ 2 des Schulpflichtgesetzes 1985, BGBl. Nr. 76/1985) noch nicht erreicht hat und ständiger persönlicher Hilfe und besonderer Pflege bedarf,

2. während der Dauer der allgemeinen Schulpflicht wegen Schulunfähigkeit (§ 15 des Schulpflichtgesetzes 1985) entweder von der allgemeinen Schulpflicht befreit ist oder ständiger persönlicher Hilfe und besonderer Pflege bedarf,

3. nach Vollendung der allgemeinen Schulpflicht und vor Vollendung des 40. Lebensjahres dauernd bettlägrig ist oder ständiger persönlicher Hilfe und besonderer Pflege bedarf.

(4) Die Selbstversicherung ist in dem Zweig der Pensionsversicherung nach diesem Bundesgesetz zulässig, in dem der (die) Versicherungsberechtigte zuletzt Versicherungszeiten erworben hat. Werden keine Versicherungszeiten in der Pensionsversicherung nach diesem Bundesgesetz nachgewiesen oder richtet sich deren Zuordnung nach der ersten nachfolgenden Versicherungszeit, so ist die Selbstversicherung in der Pensionsversicherung der Angestellten zulässig.

(5) Die Selbstversicherung beginnt mit dem Zeitpunkt, den der (die) Versicherte wählt, frühestens mit dem Monatsersten, ab dem die erhöhte Familienbeihilfe (Abs. 1) gewährt wird, spätestens jedoch mit dem Monatsersten, der auf die Antragstellung folgt.

(6) Die Selbstversicherung endet mit dem Ende des Kalendermonates,

1. in dem die erhöhte Familienbeihilfe oder eine sonstige Voraussetzung (Abs. 1) weggefallen ist,

2. in dem der (die) Versicherte seinen (ihren) Austritt erklärt hat.

Ab dem erstmaligen Beginn der Selbstversicherung (Abs. 5) gelten die Voraussetzungen bis zum Ablauf des nächstfolgenden Kalenderjahres als erfüllt; in weiterer Folge hat der Versicherungsträger jeweils jährlich einmal festzustellen, ob die Voraussetzungen für die Selbstversicherung nach Abs. 1 gegeben sind. Der Versicherte ist verpflichtet, den Wegfall der erhöhten Familienbeihilfe dem Träger der Pensionsversicherung binnen zwei Wochen anzuzeigen.

(7) Das Ende der Selbstversicherung steht hinsichtlich der Berechtigung zur Weiterversicherung in der Pensionsversicherung dem Ausscheiden aus der Pflichtversicherung im Sinne des § 17 Abs. 1 Z 1 lit. a gleich.“

§ 669 Abs. 3 ASVG idF BGBl. I Nr. 125/2017:

„Schlussbestimmungen zu Art. 5 des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 3/2013 (78. Novelle):

§ 669. (1) bis (2) …

(3) Die Selbstversicherung in der Pensionsversicherung nach § 18a kann auf Antrag von Personen, die irgendwann in der Zeit seit dem 1. Jänner 1988 die zum Zeitpunkt der Antragstellung geltenden Voraussetzungen für diese Selbstversicherung erfüllt haben nachträglich beansprucht werden, und zwar für alle oder einzelne Monate, längstens jedoch für 120 Monate, in denen die genannten Voraussetzungen vorlagen. § 18 Abs. 2 ist sinngemäß anzuwenden.

(4) bis (8) …“

Fallbezogen ergibt sich daraus Folgendes:

Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn 1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder 2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer eheblichen Kostenersparnis verbunden ist. Gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen, wenn die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhaltes unterlassen hat.

Diese Voraussetzungen treffen im gegenständlichen Fall zu.

Die Beschwerdeführerin beantragte am 06.07.2020 die Anerkennung des Anspruchs auf Selbstversicherung in der Pensionsversicherung für Zeiten der Pflege ihres behinderten Kindes XXXX , geb. XXXX , ab dem frühestmöglichen Zeitpunkt bis 30.11.2017.

Im vorliegenden Fall wurde ab Oktober 2013 erhöhte Familienbeihilfe für den im gemeinsamen Haushalt lebenden Sohn der Beschwerdeführerin gewährt. Es kommt daher eine Anerkennung des Anspruches für die Zeit ab Oktober 2013 in Betracht.

Nach § 18a Abs. 1 ASVG muss die Arbeitskraft überwiegend beansprucht werden, um den Anspruch anerkennen zu können. Dies ist gemäß § 18a Abs. 3 Z 1 ASVG jedenfalls dann der Fall, wenn und so lange das behinderte Kind das Alter für den Beginn der allgemeinen Schulpflicht (§ 2 des Schulpflichtgesetzes 1985, BGBl. Nr. 76/1985) noch nicht erreicht hat und ständiger persönlicher Hilfe und besonderer Pflege bedarf.

Der Sohn der Beschwerdeführerin ist am XXXX geboren. Demnach hat er im verfahrensrelevanten Zeitraum Oktober 2013 bis November 2017 das Alter für den Beginn der allgemeinen Schulpflicht noch nicht erreicht. Somit war im vorliegenden Fall im Wege eines Sachverständigengutachtens zu klären, ob (und in welchem Umfang) unter Berücksichtigung des Alters und der spezifischen Behinderung des Kindes dessen ständige Betreuung erforderlich war und ob bei Unterbleiben dieser Betreuung die Entwicklung des Kindes im Verhältnis zu einem ähnlich behinderten Kind, dem diese Zuwendung zuteil wird, benachteiligt oder gefährdet war.

Ein derartiger ständiger Bedarf persönlicher Hilfe und besonderer Pflege ist laut chefärztlicher Stellungnahme vom 26.11.2020, welche unter anderem auf dem ärztlichen Gutachten vom 28.09.2017 zum Antrag auf Zuerkennung des Pflegegeldes beruht, zu verneinen. Wie der Beweiswürdigung zu entnehmen ist, kommt die chefärztliche Stellungnahme vom 26.11.2020 schlüssig und nachvollziehbar zu dem Schluss, dass unter Berücksichtigung des Alters und der spezifischen Behinderung des Kindes dessen ständige persönlich Hilfe und besondere Pflege nicht erforderlich war.

Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. VwGH 28.06.2017, Ra 2016/09/0091) hat das Verwaltungsgericht dem Gutachten eines Amtssachverständigen, sofern es nicht unschlüssig ist oder mit den ersichtlichen Tatsachen nicht übereinstimmt, solange zu folgen, als dessen Richtigkeit nicht durch fachlich fundierte Gegenausführungen und Gegenbeweise von vergleichbarem Aussagewert widerlegt wurde.

Die Beschwerdeführerin ist dem vorliegenden Sachverständigenbeweis, der den oben angeführten Anforderungen entspricht, - trotz entsprechendem Hinweis durch das Bundesverwaltungsgericht mit Schreiben vom 20.07.2021 - nicht auf gleicher fachlicher Ebene entgegengetreten und hat auch sonst kein Vorbringen erstattet, das darauf schließen ließe, dass das Begutachtungsergebnis nicht mit den im vorliegenden Fall gegebenen Tatsachen übereinstimmt.

Somit ist das Erfordernis ständiger persönlicher Hilfe und besonderer Pflege zu verneinen.

Mit dem Wort „jedenfalls“ im Einleitungssatz des § 18a Abs. 3 ASVG idF BGBl. I Nr. 2/2015 hat der Gesetzgeber jedoch zum Ausdruck gebracht, dass neben den in Z 1 bis 3 aufgezählten Fällen eine überwiegende Beanspruchung der Arbeitskraft auch auf andere Weise gegeben sein kann.

Die Legaldefinition des § 18 Abs. 3 ASVG stellt somit nicht (primär) auf eine zeitliche Inanspruchnahme durch die Pflege, sondern auf speziell für behinderte Kinder zugeschnittene andere Kriterien ab. Eine überwiegende Beanspruchung der Arbeitskraft ist einem durchschnittlichen Pflegeaufwand ab 21 Stunden wöchentlich bzw. ab 90 Stunden monatlich (entspricht mehr als der halben Normalarbeitszeit) anzunehmen (VwGH 19.01.2017, Ro 2014/08/0084) (vgl. Zehetner in Sonntag (Hrsg) ASVG10 § 18a Rz 4a).

Die belangte Behörde hat es jedoch verabsäumt, die Beschwerdeführerin dahingehend zu befragen, wie sich ihre zeitliche Beanspruchung durch die Behinderung ihres Sohnes – im Sinne einer Darstellung des täglichen Ablaufs der Pflege- und Betreuungsleistungen – konkret darstellt, sondern stützte die belangte Behörde ihre Entscheidung ausschließlich auf die chefärztliche Stellungnahme, die den Bedarf ständiger persönlicher Hilfe bzw. besonderer Pflege verneinte.

Weil die PVA diesbezüglich jegliche Ermittlungstätigkeit unterließ, hat sie keine für eine Entscheidung in der Sache nach § 28 Abs. 2 VwGVG ausreichenden brauchbaren Ermittlungsergebnisse geliefert, die im Zusammenhalt mit einer allenfalls durchzuführenden mündlichen Verhandlung im Sinne des § 24 VwGVG bloß zu vervollständigen gewesen wären. Dies berechtigt das Verwaltungsgericht, von einer Entscheidung in der Sache abzusehen und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die belangte Behörde zurückzuverweisen (vgl. VwGH 20.10.2015, Ra 2015/09/0088).

Die belangte Behörde wird in weiterer Folge die Beschwerdeführerin zu ihren von ihr im verfahrensrelevanten Zeitraum durchgeführten Pflege- und Betreuungsleistungen zu befragen haben. Überdies wird die belangte Behörde den Kinderarzt Dr. XXXX als Zeugen einzuvernehmen haben und auf Basis der Ergebnisse des fortgeführten Ermittlungsverfahrens einen neuen Bescheid zu erlassen haben.

Abschließend ist festzuhalten, dass die belangte Behörde ihrer Mitwirkungspflicht im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht nicht nachgekommen ist. So hat das Bundesverwaltungsgericht mit Schreiben vom 26.08.2021 und vom 06.09.2021 der PVA diverse Eingaben der Beschwerdeführerin übermittelt und wurde die PVA jeweils aufgefordert, bis 23.09.2021 eine Stellungnahme dazu abzugeben. Die belangte Behörde ist diesen Aufforderungen jedoch nicht nachgekommen.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Arbeitskraft Ermittlungspflicht Kassation mangelnde Sachverhaltsfeststellung Pflege Selbstversicherung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W198.2243668.1.00

Im RIS seit

08.11.2021

Zuletzt aktualisiert am

08.11.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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