TE Bvwg Erkenntnis 2021/10/11 W209 2240212-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 11.10.2021
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Entscheidungsdatum

11.10.2021

Norm

AlVG §24
AlVG §25
AlVG §38
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §15
VwGVG §28

Spruch


W209 2240212-1/8E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch den Richter Mag. Reinhard SEITZ als Vorsitzenden und die fachkundigen Laienrichter Mag. Gabriele STRAßEGGER und Peter STATTMANN als Beisitzer über die Beschwerde der XXXX , XXXX , XXXX , vertreten durch Mag. Petra LABACK, Rechtsanwältin in 1010 Wien, Rotenturmstraße 27/5/6, gegen den Bescheid des Arbeitsmarktservice Wien Esteplatz vom 27.01.2021 betreffend die Zurückweisung des Vorlageantrages vom 07.12.2020 nach am 11.10.2021 durchgeführter mündlicher Verhandlung zu Recht erkannt:

A)

I. Der Beschwerde gegen die Zurückweisung des Vorlageantrages vom 07.12.2020 wird Folge gegeben und der Bescheid vom 27.01.2021 ersatzlos behoben.

II. Die Beschwerde gegen den Bescheid vom 19.08.2020 betreffend den Widerruf des Anspruches auf Notstandshilfe für die Zeit von 01.01.2018 bis 26.06.2018 und von 29.06.2018 bis 30.06.2018 sowie die Verpflichtung zur Rückzahlung der unberechtigt empfangenen Notstandshilfe in Höhe von € 6.324,07 wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

1. Mit Bescheid vom 19.08.2020 sprach die belangte Behörde (im Folgenden: AMS) gegenüber der Beschwerdeführerin gemäß § 38 iVm § 25 Abs. 1 Arbeitslosenversicherungsgesetz 1977 (AlVG) für die Zeit von 01.01.2018 bis 26.06.2018 und von 29.06.2018 bis 30.06.2018 den Verlust des Anspruches auf Notstandshilfe aus und verpflichtete sie zur Rückzahlung der unberechtigt empfangenen Notstandshilfe in Höhe von € 6.324,07. Begründend wurde ausgeführt, dass laut vorliegendem Einkommensteuerbescheid 2018 das Einkommen der Beschwerdeführerin die Geringfügigkeitsgrenze überstiegen habe und daher Arbeitslosigkeit nicht vorgelegen sei. Dies unbeschadet des Umstandes, dass das Einkommen zu einem Zeitpunkt erzielt worden sei, in dem die Beschwerdeführerin keine Bezüge vom AMS erhalten habe, zumal die Beschwerdeführerin bereits seit 2012 mit Gewerbeschein selbständig tätig sei und daher die Beurteilung das gesamte Wirtschaftsjahr umfasse.

2. Die von der Beschwerdeführerin dagegen rechtzeitig erhobene Beschwerde, in der sie im Wesentlichen einwendete, dass sie ab 22.06.2018 einen einzigen zeitlich klar abgegrenzten Werkvertrag eingegangen sei, ihr davor kein Geld zugeflossen sei und sie auf das Erkenntnis des VwGH vom 29.03.2006, 2003/08/0152, verweise, wonach eine Abgrenzung möglich sei, wurde mittels Beschwerdevorentscheidung vom 13.11.2020 abgewiesen und dies im Wesentlichen damit begründet, dass der Einkommensteuerbescheid 2018 der Beschwerdeführerin ein Einkommen aus Gewerbebetrieb in der Höhe von € 24.448,36 ausweise, wodurch die Geringfügigkeitsgrenze überschritten werde. Die gewünschte Abgrenzung des erzielten Einkommens sei nicht möglich, weil die Beschwerdeführerin seit 2012 im Besitz einer Gewerbeberechtigung für jene Tätigkeit sei, die sie nach dem Leistungsbezug ausgeübt habe. Eine Trennung der Einkünfte in das erste und das zweite Halbjahr 2018 sei dem Arbeitsmarktservice gesetzlich verwehrt, zumal die Versicherungspflicht durch die SVS dahingehend korrigiert worden sei, dass auch das erste Halbjahr 2018 davon umfasst sei.

3. Am 07.12.2020 beantragte die Beschwerdeführerin per eAMS-Konto die Vorlage der Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht. Darin führte sie aus, dass ihr Antrag rechtzeitig sei, da die Beschwerdevorentscheidung des AMS vom 13.11.2020 nicht ordnungsgemäß zugestellt worden sei und ihr deren Existenz deshalb erst am 05.12.2020 bekannt geworden sei. Obwohl sie ihr Postfach regelmäßig entleere, habe sie die Benachrichtigung von der Hinterlegung ("gelber Zettel") erst diesen Samstag (05.12.2020) vorgefunden. Sie nehme an, dass die Benachrichtigung im falschen Postfach gelandet, von einem Nachbarn gefunden und von diesem freundlicherweise in ihr Postfach eingeworfen worden sei. Sie wohne in einem Haus mit über 200 Wohnparteien, so etwas passiere dort immer wieder. Deshalb habe als tatsächliches Abholdatum des Schreibens der 07.12.2020 zu gelten.

4. Mit beschwerdegegenständlichem Bescheid vom 27.01.2021 wies das AMS den Vorlageantrag als verspätet zurück und begründete dies damit, dass die Beschwerdevorentscheidung vom 13.11.2020 mittels RSb-Brief an die aktuelle Wohnadresse der Beschwerdeführerin gesandt worden sei. Am 16.11.2020 sei laut Rückschein ein Zustellversuch erfolgt, am 17.11.2020 sei die Briefsendung schlussendlich beim Postamt hinterlegt und die Verständigung über die Hinterlegung in die Abgabeeinrichtung der Beschwerdeführerin eingelegt worden, wodurch der Bescheid mit 17.11.2020 als zugestellt gelte. Der Vorlageantrag sei per eAMS-Nachricht am 07.12.2020 eingelangt. Auf die Einwendungen der Beschwerdeführerin hin, dass sich die Hinterlegungsanzeige nicht bereits am 16.11.2020 in ihrem Postfach befunden habe, sondern diese vermutlich durch den Mitarbeiter der Österreichischen Post AG in ein falsches Postfach eingelegt worden sei und in weiterer Folge wohl ein Nachbar diese erst zu einem späteren Zeitpunkt in das Postfach der Beschwerdeführerin gelegt habe, sei die Österreichische Post AG um diesbezügliche Stellungnahme ersucht worden. Die Österreichische Post AG habe eine Stellungnahme übermittelt, wonach die zuständige Zustellbasis mitgeteilt habe, dass keine bekannten Zustellprobleme an dieser Adresse vorlägen, auch keine beschädigten Postkästen gemeldet worden seien und die Zustellung durch Stammpersonal erfolgt sei. Es müsse daher davon ausgegangen werden, dass die Zustellung korrekt erfolgt sei. Dies sei der Beschwerdeführerin zur Kenntnis gebracht worden und sei von ihr binnen offener Frist keine Stellungnahme eingelangt, weswegen das AMS vom oben angeführten Sachverhalt ausgehe. Der Bescheid vom 13.11.2020 (Beschwerdevorentscheidung) gelte mit der Hinterlegung am 17.11.2020 als zugestellt, wodurch die zweiwöchige Frist zur Stellung eines Vorlageantrags gemäß § 15 Abs. 1 VwGVG am 01.12.2020 geendet habe. Der Vorlageantrag vom 07.12.2020 sei daher gemäß § 15 Abs. 3 VwGVG als verspätet zurückzuweisen.

5. Am 08.03.2021 einlangend wurde die rechtzeitig dagegen erhobene Beschwerde vom 22.02.2021 unter Anschluss der Akten des Verwaltungsverfahrens dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vorgelegt. Darin führte die Beschwerdeführerin aus, dass sie entgegen den Angaben des AMS am 12.01.2021 eine Stellungnahme abgegeben habe und es im „Hochhaus XXXX “ Zustellungsprobleme gebe. Sie habe in ihrem Vorlageantrag glaubhaft gemacht, dass sie ohne ihr Verschulden erst am 05.12.2020 von der Zustellung Kenntnis erlangt habe. Das AMS hätte eventual auch einen Antrag auf Wiedereinsetzung zu prüfen gehabt, zumal für einen solchen die Glaubhaftmachung genüge. Denn sie habe in ihrem Vorlageantrag glaubhaft gemacht, dass sie ohne ihr Verschulden erst am 05.12.2020 von der Zustellung Kenntnis erlangt habe. Demnach erfülle ihr Vorbringen vom 07.12.2020 alle Voraussetzungen für einen Eventualantrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, ja entspreche es sogar exakt dem exemplarischen Einschub in § 33 Abs. 1 erster Satz VwGVG. Der Antrag auf Wiedereinsetzung sei auch fristgerecht eingebracht worden (nämlich nur 2 Tage nach der deklarierten Kenntnisnahme am 05.12.2020).

6. Am 26.04.2021 wurde das als Wiedereinsetzungsantrag zu wertende Anbringen vom 22.02.2021 seitens des Bundesverwaltungsgerichtes gemäß § 6 AVG zuständigkeitshalber an das AMS weitergeleitet, zumal der Wiedereinsetzungsantrag vor der Beschwerdevorlage bei diesem eingebracht worden war.

7. Mit Bescheid vom 12.05.2021 wies das AMS den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ab und begründete dies damit, dass aus den Ausführungen der Beschwerdeführerin weder ein unvorhersehbares noch ein unabwendbares Ereignis dargetan worden sei. Die Voraussetzungen zur Bewilligung der Wiedereinsetzung seien somit nicht erfüllt. Auch stelle der – behauptete – Zustellmangel keinen Wiedereinsetzungsgrund dar.

8. In der dagegen binnen offener Rechtsmittelfrist erhobenen Beschwerde brachte die Beschwerdeführerin erneut vor, dass es sich aufgrund des von ihr angenommenen Sachverhaltes um einen Zustellmangel handle. Ein persönlicher Zustellversuch sei nicht erfolgt und trotz regelmäßiger Entleerung ihres Postfachs habe sie die Benachrichtigung über die Hinterlegung erst am 05.12.2020 darin vorgefunden. Sie könne nur darüber spekulieren, wo die Benachrichtigung zwischen dem 16.11.2020 und 05.12.2020 gewesen sei. Sie vermute, dass sie in ein fremdes Postfach gelegt und erst später vom Inhaber dieses Postfachs bei ihr eingeworfen worden sei. Es liege ihrer Ansicht nach ein Zustellmangel vor. Der Sachverhalt beinhalte jedoch genauso die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung, für welche lediglich die Glaubhaftmachung notwendig sei.

9. Am 01.07.2021 einlangend legte das AMS die Beschwerde gegen die Abweisung des Wiedereinsetzungsantrages unter Anschluss der Akten des Verwaltungsverfahrens dem Bundesverwaltungsgericht zur Entscheidung vor.

10. Am 11.10.2021 fand im Beisein der Beschwerdeführerin und ihres Rechtsvertreters und eines Vertreters des AMS vor dem Bundesverwaltungsgericht eine öffentliche mündliche Verhandlung statt, im Zuge derer die Beschwerdeführerin und der von ihr namhaft gemachte Zeuge XXXX zu ihrem Beschwerdevorbringen sowie dem Antrag auf Wiedereinsetzung befragt wurde.

11. Mit zu W209 2244041-1/12E ergangenem Erkenntnis vom heutigen Tag wurde die Beschwerde gegen die Abweisung des Wiedereinsetzungsantrages mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, dass der Wiedereinsetzungsantrag zurückgewiesen wird.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der Entscheidung wird folgender Sachverhalt zugrunde gelegt:

Die Beschwerdevorentscheidung vom 13.11.2020 wurde mittels RSb-Brief an die laut ZMR aktuelle Wohnadresse der Beschwerdeführerin versandt. Am 16.11.2020 erfolgte ein Zustellversuch. Am 17.11.2020 wurde die Briefsendung beim zuständigen Postamt hinterlegt, der 17.11.2020 als Beginn der Abholfrist vermerkt, die Verständigung darüber jedoch nicht in die Abgabeneinrichtung der Beschwerdeführerin eingelegt, sodass die Beschwerdeführerin erst am 05.12.2020 von der Beschwerdevorentscheidung Kenntnis erlangte, welche sie sogleich am 07.12.2020 beim zuständigen Postamt abholte.

Am 07.12.2020 beantragte die Beschwerdeführerin per eAMS-Konto die Vorlage ihrer Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht.

Die Beschwerdeführerin verfügt seit 2012 über einen Gewerbeschein für Dienstleistungen in der automatischen Datenverarbeitung und Informationstechnik und seit 2013 über einen Gewerbeschein für Unternehmensberatung einschließlich der Unternehmensorganisation, eingeschränkt auf Marketing und Organisation.

Der Einkommensteuerbescheid 2018 der Beschwerdeführerin weist ein Einkommen aus Gewerbebetrieb in der Höhe von € 24.448,36 aus.

Die Beschwerdeführerin bezog im Zeitraum von 01.01.2018 bis 26.06.2018 und von 29.06.2018 bis 30.06.2018 Notstandshilfe in Höhe von € 6.324,07.

2. Beweiswürdigung:

Die Zustellung der Beschwerdevorentscheidung ist im vorliegenden RSb-Rückschein dokumentiert. Dieser stellt eine öffentliche Urkunde dar, die den Beweis dafür erbringt, dass die Zustellung vorschriftsmäßig erfolgt ist. Der Gegenbeweis gemäß § 47 AVG iVm § 292 Abs. 2 ZPO ist offen. Wird behauptet, es würden Zustellmängel vorliegen, so ist diese Behauptung auch entsprechend zu begründen und sind Beweise dafür anzuführen, die die vom Gesetz aufgestellte Vermutung zu widerlegen geeignet erscheinen lassen. Die Beweislast trifft denjenigen, der die Unrichtigkeit (z.B. des Zustellvorgangs oder des in der Niederschrift [VwGH 21.10.1994, 94/11/0132; 31.08.1999, 99/05/0055] bezeugten Vorgangs) behauptet. Dieser darf sich also nicht darauf beschränken, auf Mutmaßungen gegründete Zweifel (vgl. VwGH 27.06.1997, 97/05/0027; 26.05.2004, 2001/08/0026) oder unsubstantiierte Behauptungen (z.B. die Rechtswidrigkeit des Zustellvorgangs betreffend) zu äußern, sondern hat vielmehr konkret jene Tatsachen und Beweismittel anzuführen, welche geeignet erscheinen, die vom Gesetz aufgestellte Vermutung zu widerlegen (VwGH 17.09.1986, 86/03/0100; 27.09.1989, 89/02/0112; 19.03.2003, 2002/08/0061; vgl. auch OGH 22.02.1989, 3 Ob 185/88). Die bloße Behauptung, keine Hinterlegungsanzeige vorgefunden zu haben, ist nicht als Angebot eines Gegenbeweises anzusehen (vgl. VwGH 19.03.2003, 2002/08/0061).

Dieser Gegenbeweis ist der Beschwerdeführerin gelungen. Sie legte im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht WhatsApp-Nachrichten vor, denen zufolge sie einem Nachbarn, mit welchem sie sich bereits am 03.12.2020 über Zustellprobleme ausgetauscht hatte, am 05.12.2020 ein Foto von der verfahrensgegenständlichen Hinterlegungsanzeige schickte und ihn fragte, ob sie die Sendung am Montag noch abholen könne.

Daraus erschließt sich, dass sie die Hinterlegungsanzeige – wie behauptet – tatsächlich erst am 05.12.2020 in ihrem Postfach vorgefunden hat, zumal sich sonst nicht erklären ließe, warum sie den Nachbarn erst am 05.12.2020 und nicht bereits am 03.12.2020 bezüglich der Abholmöglichkeit der Sendung um Rat fragte.

Der Besitz der oben angeführten Gewerbeberechtigungen sowie die Höhe des im Einkommensteuerbescheid ausgewiesenen Einkommens und der im maßgeblichen Zeitraum bezogenen Notstandshilfe stehen unstrittig fest.

3. Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 6 des Bundesverwaltungsgerichtsgesetzes (BVwGG), BGBl. I. Nr. 10/2013, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

§ 56 Abs. 2 AlVG normiert, dass über Beschwerden gegen Bescheide der Geschäftsstellen des Arbeitsmarktservice das Bundesverwaltungsgericht durch einen Senat zu entscheiden hat, dem zwei fachkundige Laienrichter, je einer aus dem Kreis der Arbeitgeber und einer aus dem Kreis der Arbeitnehmer angehören. Gegenständlich liegt daher Senatszuständigkeit mit Laienrichterbeteiligung vor.Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Zu A)

Zu Spruchpunkt A.I.

Den Feststellungen zufolge erlangte die Beschwerdeführerin erst am 05.12.2020 von der Zustellung der Beschwerdevorentscheidung Kenntnis, indem sie die Hinterlegungsanzeige erst zu diesem Zeitpunkt in ihrem Postfach vorfand, wo sie erst kurz davor von einer unbekannten Person eingelegt worden war.

Damit liegt ein Zustellmangel vor, der gemäß § 7 ZustG zur Folge hatte, dass die Zustellung erst mit der Abholung der Sendung am 07.12.2020 bewirkt wurde (vgl. zur Heilung von Zustellmängeln durch Übergabe des Schriftstücks an den Postbevollmächtigten VwGH 19.02.2003, 2002/08/0207; 24.01.2000, 99/17/0260).

Dementsprechend erweist sich der am 07.12.2020 bei der belangten Behörde per eAMS-Konto eingelangte Vorlageantrag als rechtzeitig, weswegen der Beschwerde gegen die Zurückweisung des Vorlageantrages Folge zu geben und der Bescheid vom 27.01.2021 ersatzlos zu beheben war.

Damit hatte der erkennende Senat inhaltlich über die Beschwerde gegen den Bescheid vom 19.08.2020 betreffend den Widerruf des Anspruches auf Notstandshilfe für die Zeit von 01.01.2018 bis 26.06.2018 und von 29.06.2018 bis 30.06.2018 sowie die Verpflichtung zur Rückzahlung der unberechtigt empfangenen Notstandshilfe in Höhe von € 6.324,07 zu entscheiden.

Zu Spruchpunkt A.II.

Gemäß § 38 in Verbindung mit § 24 Abs. 2 AlVG ist die Zuerkennung der Notstandshilfe zu widerrufen, wenn die Zuerkennung gesetzlich nicht begründet war.

Gemäß § 12 Abs. 1 AlVG ist das Vorliegen von Arbeitslosigkeit an drei kumulative Voraussetzungen geknüpft: Beendigung einer (unselbständigen oder selbständigen) Erwerbstätigkeit (Z 1), kein Unterliegen der Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung – mit Ausnahme der Zeiträume nach § 16 Abs. 1 lit. k und l bzw. des Bestehens der Pflichtversicherung ausschließlich auf Grund eines Einheitswertes, der kein Einkommen über der Geringfügigkeitsgrenze erwarten lässt (Z 2) und keine Ausübung einer neuen oder weiteren (unselbständigen oder selbständigen) Erwerbstätigkeit (Z 3).

Nach § 12 Abs. 1 Z 2 AlVG führt somit nur eine solche Beendigung der Erwerbstätigkeit iS des § 2 Abs. 1 Z 1 GSVG zur Arbeitslosigkeit, die auch zur Beendigung der Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung iS der Ausnahmetatbestände des § 4 Abs. 1 GSVG führt (vgl. VwGH 07.09.2011, 2009/08/0195).

Den Feststellungen folgend verfügt die Beschwerdeführerin seit 2012 über einen Gewerbeschein für Dienstleistungen in der automatischen Datenverarbeitung und Informationstechnik und seit 2013 über einen Gewerbeschein für Unternehmensberatung einschließlich der Unternehmensorganisation, eingeschränkt auf Marketing und Organisation. Sie war daher in den beschwerdegegenständlichen Zeiträumen berechtigt, ein Unternehmen des Gewerbes zu betreiben und dementsprechend Mitglied einer Kammer der gewerblichen Wirtschaft iSd § 2 Abs. 1 WKG, was gemäß § 2 Abs. 1 Z 1 GSVG (u.a.) die Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung nach sich zieht.

Soweit die Beschwerdeführerin vorbrachte, sie sei in den beschwerdegegenständlichen Zeiträumen gar nicht erwerbstätig gewesen, ist darauf hinzuweisen, dass die Pflichtversicherung nach § 2 Abs. 1 Z 1 GSVG allein auf Grund der Mitgliedschaft in einer Kammer der gewerblichen Wirtschaft – und somit grundsätzlich unabhängig von der tatsächlichen Ausübung einer Erwerbstätigkeit – eintritt (vgl. VwGH 14.03.2013, 2012/08/0025).

Daran ändert auch der Umstand nichts, dass die Beschwerdeführerin – wie sie in der mündlichen Verhandlung ausführte – zunächst eine Ausnahme von der Pflichtversicherung gemäß § 4 Abs. 1 Z 7 GSVG erwirkte, räumte sich doch zugleich ein, dass sie aufgrund der Überschreitung der Einkommensgrenze des § 4 Abs. 1 Z 7 GSVG rückwirkend wieder in die Pflichtversicherung gemäß § 2 Abs. 1 Z 1 GSVG einbezogen wurde.

Auch das in ihrer Stellungnahme vom 20.07.2020 sowie in der mündlichen Verhandlung geäußerte Argument, dass es sich bei der in Rede stehenden Tätigkeit in Wahrheit um ein Dienstverhältnis im Sinne des § 4 Abs. 1 Z 1 iVm Abs. 2 ASVG gehandelt habe, geht ins Leere, zumal dies nichts daran ändern würde, dass aufgrund der im Einkommensteuerbescheid ausgewiesenen Einkünfte die Ausnahme von der Pflichtversicherung weggefallen ist und daher im gesamten Kalenderjahr 2018 eine – der Arbeitslosigkeit entgegenstehende – Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung bestand.

Von der Möglichkeit gemäß § 293a BAO, eine mittels Steuerbescheid falsch angegebene Einkunftsart auf Antrag berichtigen zu lassen, wurde – wie die Beschwerdeführerin in der mündlichen Verhandlung angab – bislang noch nicht Gebrauch gemacht. Voraussetzung dafür wäre, dass die Partei durch die falsche Einkunftsart in ihren rechtlichen Interessen verletzt wurde, was der Fall ist, wenn aus der Qualifikationsänderung ein Wegfall der Pflichtversicherung nach § 2 Abs. 1 Z 1 GSVG resultieren würde. Der Antrag auf Berichtigung unterliegt nicht der Frist nach § 302 Abs. 1 BAO und ist daher zeitlich unbegrenzt möglich (vgl. Neumann in Mosler/Müller/Pfeil, Der SV-Komm § 2 GSVG Rz 59).

Mangels Vorliegens von Arbeitslosigkeit iSd § 7 AlVG erfolgte daher der Widerruf der Notstandshilfe in den beschwerdegegenständlichen Zeiträumen zu Recht.

Gemäß § 38 in Verbindung mit § 25 Abs. 1 AlVG ist im Falle des Widerrufs einer Leistung der Empfänger der Notstandshilfe zum Ersatz des unberechtigt Empfangenen zu verpflichten, wenn sich ohne dessen Verschulden auf Grund eines nachträglich vorgelegten Einkommensteuer- oder Umsatzsteuerbescheides ergibt, dass die Leistung nicht oder nicht in diesem Umfang gebührte.

Die Beschwerdeführerin wurde aufgrund des Einkommensteuerbescheides 2018, der ein Einkommen aus Gewerbebetrieb über der Einkommensgrenze des § 4 Abs. 1 Z 7 GSVG ausweist, rückwirkend in die Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung nach § 2 Abs. 1 Z 1 GSVG einbezogen, weil die Voraussetzungen für die Ausnahme nicht mehr gegeben waren. Somit ergab sich aufgrund des nachträglich vorgelegten Einkommensteuerbescheides, dass die Leistung nicht gebührte, und liegen daher die Voraussetzungen für die verschuldensunabhängige Rückforderung gemäß § 25 Abs. 1 dritter Satz AlVG vor. Dementsprechend erfolgte die Rückforderung jedenfalls dem Grunde nach zu Recht, auch wenn der Beschwerdeführerin keine Meldepflichtverletzung (vgl. § 50 AlVG) zur Last gelegt werden kann.

Was die Höhe des Rückforderungsbetrages betrifft, ist jedoch zu berücksichtigen, dass der Rückforderungsbetrag das erzielte Einkommen nicht übersteigen darf (§ 25 Abs. 1 dritter Satz, zweiter Halbsatz AlVG). Daher war zunächst die Höhe des Einkommens in jenen Monaten zu ermitteln, in denen die Beschwerdeführerin Notstandshilfe bezog.

Gemäß § 36a Abs. 7 AlVG gilt als monatliches Einkommen bei durchgehender selbständiger Erwerbstätigkeit ein Zwölftel des sich ergebenden Jahreseinkommens, bei nur vorübergehender selbständiger Erwerbstätigkeit das anteilsmäßige Einkommen in den Monaten, in denen selbständige Erwerbstätigkeit vorlag.

Die Beschwerdeführerin brachte dazu vor, während der Zeit der Arbeitslosigkeit keiner selbstständigen Erwerbstätigkeit nachgegangen zu sein. Dabei übersieht sie aber, dass die Ausübung einer selbständigen Tätigkeit das Anbieten der Leistung am Markt ist, sodass die Tätigkeit nicht bereits durch das Ausbleiben von Aufträgen beendet wird, sondern der gesamte Zeitraum, während dessen eine selbständige Erwerbstätigkeit gegen Entgelt angeboten wird, als Zeitraum der selbständigen Erwerbstätigkeit anzusehen ist, unabhängig davon, an welchen Tagen Leistungen tatsächlich erbracht und honoriert worden sind (vgl. VwGH 29.10.2008, 2007/08/0058, mwN).

Die Beschwerdeführerin verfügte den ganzen beschwerdegegenständlichen Zeitraum hindurch über Gewerbeberechtigungen. Eine Ruhendstellung der Berechtigungen gemäß § 4 Abs. 1 Z 1 GSVG erfolgte nicht. Schon daraus ist ersichtlich, dass sie ihre diesbezüglichen Leistungen regelmäßig am Markt angeboten hat. Darüber hinaus ist selbst das bloße zeitweise Nichttätigsein, eine Betriebsunterbrechung, ja sogar die Stilllegung eines Betriebes nach der Rechtsprechung (VwGH 2010/08/0145) noch keine Beendigung der Erwerbstätigkeit, wenn noch weitere betriebliche Tätigkeiten beabsichtigt werden, wovon aufgrund der Tatsache auszugehen war, dass die Beschwerdeführerin nach dem Leistungsbezug wieder einer entsprechenden Tätigkeit nachgegangen ist.

Somit kann dem AMS nicht mit Erfolg entgegengetreten werden, wenn es von einem durchgehenden Tätigwerden der Beschwerdeführerin ausgegangen ist.

Was die in der mündlichen Verhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht aufgezeigte Ungleichbehandlung gegenüber unselbständig Erwerbstätigen betrifft, ist darauf hinzuweisen, dass dem Gesetzgeber bei der Ausgestaltung sozialrechtlicher Leistungen ein weiter rechtspolitischer Spielraum zukommt (vgl. VwGH 21.09.1999, 98/08/0170). Der Gleichheitssatz gestattet eine sachlich gerechtfertigte Differenzierung (vgl. die bei Mayer, B-VG4, S 570 zu Art. 2 StGG wiedergegebene Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs). Der Verwaltungsgerichtshof hatte in diesem Zusammenhang keine Zweifel an der Sachlichkeit der Bestimmungen des § 36a AlVG, welcher bei Durchgängigkeit der Tätigkeit auf das Einkommen aus selbständiger Erwerbstätigkeit des ganzen Jahres abstellt, nimmt diese Regelung doch auf das Wesen der selbständigen Erwerbstätigkeit und den – damit verbunden – im Vergleich zu unselbständigen Beschäftigungen oft unregelmäßigeren Zufluss von Einkünften Rücksicht. Im Übrigen hat der Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 5. März 1998, G 284/97, mit welchem Teile des § 36a Abs. 5 Z 1 AlVG idF BGBl. 411/1996 aufgehoben wurden, klargestellt, dass er grundsätzlich keine verfassungsrechtlichen Bedenken hinsichtlich des Abstellens auf das Einkommensteuerrecht bei der Ermittlung des maßgeblichen Einkommens aus selbständiger Erwerbstätigkeit hat (vgl. VwGH 17.02.2010, 2008/08/0054).

Ursprünglich war der Beschwerdeführerin für den verfahrensgegenständlichen Zeitraum Notstandshilfe in der Höhe von € 35,33 täglich bzw. € 6.324,07 insgesamt zuerkannt und ausbezahlt worden. Laut Einkommensteuerbescheid 2018 erzielte sie Einkünfte aus Gewerbebetrieb in Höhe von € 24.448,36 brutto; unter Berücksichtigung der Sonderausgaben in Höhe von € 60,00 ergeben sich somit Einkünfte in Höhe von € 2.032,36 brutto monatlich und unter Bedachtnahme auf die ausgewiesene Einkommensteuer in der Höhe von € 366,00 Einkünfte in der Höhe von € 65,81 netto täglich (€ 24.448,36 - € 60 - € 366 / 365 kaufmännisch gerundet). Die gesetzlich vorgesehene „Nettobegrenzung“ wirkt sich daher nicht aus, weil das Nettoeinkommen in Höhe von € 65,81 die tägliche Notstandshilfe in Höhe von € 35,33 überschreitet.

Damit war die Rückforderung auch der Höhe nach berechtigt, weswegen die Beschwerde gemäß § 28 Abs. 1 und 2 VwGVG als unbegründet abzuweisen war.

Zu B) Zulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Schlagworte

Einkommensgrenze Einkommenssteuerbescheid Gewerbeberechtigung Gewerbebetrieb Hinterlegung Kenntnisnahme Notstandshilfe Rückforderung Vorlageantrag Widerruf Zustellmangel

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W209.2240212.1.01

Im RIS seit

05.11.2021

Zuletzt aktualisiert am

05.11.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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