Entscheidungsdatum
18.10.2021Norm
ASVG §4Spruch
W151 2225247-1/59Z
BESCHLUSS
Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. Doris KOHL, MCJ als Vorsitzende und die fachkundige Laienrichterin Mag. Manuela ECKERSDORFER und den fachkundigen Laienrichter Christian KAUER als Beisitzer über die Beschwerde der XXXX , vertreten durch Mag. Robert CHARVAT, Liechtensteinstraße 12/2/6, 1090 Wien, und Dr. Thomas WIESINGER, Rechtsanwalt, Wickenburggasse 3, 1080 Wien, gegen den Bescheid der Wiener Gebietskrankenkasse (nunmehr Österreichische Gesundheitskasse, Landesstelle Wien) vom 30.09.2019, GZ: XXXX , beschlossen:
A)
Das Verfahren wird gemäß § 17 VwGVG iVm § 38 AVG bis zu den jeweils rechtskräftigen Entscheidungen
1. des Bundesfinanzgerichts, Außenstelle Wien, XXXX , hinsichtlich des Bescheides des Finanzamtes Wien 12/13/14 Purkersdorf (FA 08) vom 28.01.2019, Geschäftszahl XXXX , für den Zeitraum 01.01.2011 bis 31.12.2013 und
2. des Finanzamtes Wien 2/20/21/22 im Lohnsteuerprüfungsverfahren aufgrund des Bescheides vom 15.10.2021 betreffend die Beschwerdeführerin zur Abgabenkontonummer XXXX für den Zeitraum 01.01.2015 bis 31.12.2017,
ausgesetzt.
B)
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG unzulässig.
Text
Entscheidungsgründe:
I. Verfahrensgang:
1. Frau XXXX (in der Folge mitbeteiligte Partei oder mbP) stellte am 25.04.2018 bei der Sozialversicherung der gewerblichen Wirtschaft (SVA) einen Antrag auf Prüfung ihrer Versicherungszuordnung gemäß § 412e ASVG.
2. Mit Bescheid der belangten Behörde vom 30.09.2019 stellte diese fest, dass die mbP auf Grund ihrer Beschäftigung bei der Beschwerdeführerin (in der Folge BF) im Zeitraum von 01.06.2013 bis 26.09.2018 der Voll-(Kranken-, Unfall- und Pensions-)versicherungspflicht gemäß § 4 Abs. 1 Z 1 in Verbindung mit Abs. 2 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG) und der Arbeitslosenversicherungspflicht gemäß § 1 Abs. 1 lit a Arbeitslosenversicherungsgesetz 1977 (AlVG) unterliegt.
3. Gegen diesen Bescheid erhob die BF fristgerecht Beschwerde und beantragte die erstatzlose Aufhebung des angefochtenen Bescheides sowie eine Entscheidung durch Senat gemäß § 414 Abs. 2 ASVG.
4. Die Beschwerde sowie der bezughabende Akt wurden dem Bundesverwaltungsgericht (BVwG) am 11.11.2019 zur Entscheidung vorgelegt.
5. Mit Schreiben vom 11.02.2021 erstattete die BF ein ergänzendes Vorbringen und stellte Beweisanträge, unter anderem auf Einvernahme der Zeugen XXXX , XXXX , XXXX , XXXX , XXXX , XXXX , Mag. XXXX und Mag. XXXX .
6. Am 19.02.2021 führte das BVwG eine mündliche Verhandlung durch, in der Herr XXXX in seiner Funktion als Geschäftsführer der BF einvernommen wurde. Die Verhandlung wurde zum Zweck der Einvernahme der Zeugin XXXX sowie der mbP vertragt.
7. Mit Schreiben vom 08.04.2021 gab die BF bekannt, dass in Angelegenheiten des verfahrensgegenständlichen Vertragsverhältnisses zwischen der mbP und der BF nachstehende abgabenrechtliche Finanzverfahren anhängig bzw. angekündigt seien:
? Beschwerdeverfahren vor dem Bundesfinanzgericht, Außenstelle Wien, zu GZ XXXX , hinsichtlich des Bescheids des Finanzamtes Wien 12/13/14 Purkersdorf (FA 08) vom 28.01.2019, Geschäftszahl XXXX , für den Zeitraum 01.01.2011 bis 31.12.2013,
? sowie eine angekündigte Lohnsteuerprüfung der BF zur Abgabenkontonummer XXXX für den Zeitraum 01.01.2015 bis 31.12.2017.
Beide Verfahren hätten die gleiche Vorfrage zum Gegenstand, nämlich die Rechtsfrage, ob die Vertragsverhältnisse der mbP mit der BF über die Erbringung von Reinigungsleistungen als selbstständige, unternehmerisch erbrachte Werkaufträge zu bewerten seien oder als unselbstständiges und damit vollversicherungs- und lohnsteuerpflichtiges Arbeitsverhältnis. Die Einstufung des Vertragsverhältnisses zwischen der BF und der mbP durch das das Bundesfinanzgericht sei daher für das vorliegende sozialversicherungsrechtliche Verfahren präjudiziell.
Die BF stelle daher den Antrag, das Verfahren vor dem BVwG bis zur rechtskräftigen Entscheidung des Verfahrens vor dem Bundesfinanzgericht, Außenstelle Wien, zur Geschäftszahl XXXX sowie des zugrundeliegenden Verfahrens des Finanzamtes Wien 12/13/14 Purkersdorf (FA 08) der entsprechenden Dienststelle des Finanzamtes Österreich zu unterbrechen.
8. Mit Schreiben vom 15.04.2021 gab die belangte Behörde bekannt, keine Einwendungen gegen eine etwaige Unterbrechung zu erheben.
9. In einer Stellungnahme vom 12.05.2021 beantragte die mbP, dem Antrag der BF vom 08.04.2021 auf Unterbrechung des Verfahrens nicht stattzugeben, und einen neuen Termin zur Durchführung einer mündlichen Verhandlung anzuberaumen und die Parteien vorzuladen. Begründend wurde ausgeführt, eine lohnsteuerrechtliche Bejahung entfalte keine Bindungswirkung im gegenständlichen Verfahren.
10. Mit Schreiben vom 28.05.2021 bekräftigte die belangte Behörde, dass eine Unterbrechung im Sinne der Verfahrensökonomie sei.
11. Die BF übermittelte mit Schreiben vom 21.06.2021 eine Replik, in der sie an ihrem Antrag auf Unterbrechung des Verfahrens festhielt.
12. Nach Ersuchen des erkennenden Gerichts gab die belangte Behörde mit Schreiben vom 01.10.2021 Auskunft über die abgeschlossenen und laufenden Lohnabgabenprüfungen der BF und übermittelte Auszüge aus dem Prüfbericht zur GPLA über den Zeitraum 01.01.2011 bis 31.12.2013.
13. Mit Schreiben vom 06.10.2021 nahm die BF hierzu Stellung und übermittelte mit Schreiben vom 11.10.2021 einen Bescheid des Finanzamtes 2/20/21/22 vom 15.10.2020 über einen Prüfungsauftrag für den Zeitraum 01.01.2015 bis 31.12.2017.
II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:
1. Feststellungen:
Mit Bescheid der belangten Behörde vom 30.09.2019, GZ: XXXX , stellte diese fest, dass die mbP auf Grund ihrer Beschäftigung bei der BF im Zeitraum von 01.06.2013 bis 26.09.2018 der Voll-(Kranken-, Unfall- und Pensions-)versicherungspflicht gemäß § 4 Abs. 1 Z 1 iVm Abs. 2 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz (ASVG) und der Arbeitslosenversicherungspflicht gemäß § 1 Abs. 1 lit a Arbeitslosenversicherungsgesetz 1977 (AlVG) unterliegt.
Die Beurteilung unter anderem der Lohnsteuerpflicht des Vertragsverhältnisses zwischen der mbP und der BF ist zum Entscheidungszeitpunkt Gegenstand eines anhängigen Beschwerdeverfahrens vor dem Bundesfinanzgericht, Außenstelle Wien, zu GZ XXXX , hinsichtlich des Bescheids des Finanzamtes Wien 12/13/14 Purkersdorf (FA 08) vom 28.01.2019, Geschäftszahl XXXX , für den Zeitraum 01.01.2011 bis 31.12.2013.
Weiters ist zum Entscheidungszeitpunkt aufgrund eines Bescheides über einen Prüfungsauftrag des Finanzamtes Wien 2/20/21/22 vom 15.10.2021 betreffend die BF zur Abgabenkontonummer XXXX eine Lohnsteuerabgabenprüfung der BF für den Zeitraum 01.01.2015 bis 31.12.2017 anhängig, in der ebenfalls das gegenständliche Vertragsverhältnis der mbP im genannten Zeitraum von der Finanzbehörde zu beurteilen ist.
Gemäß § 4 Abs. Abs. 2 dritter Satz ASVG gilt als Dienstnehmer jedenfalls auch eine Person, die nach § 47 Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 2 EStG 1988 lohnsteuerpflichtig ist.
Die in den o.a. Verfahren jeweils zu beurteilende Lohnsteuerpflicht der BF in den betreffenden Zeiträumen, welche sich überwiegend mit den hiesigen beschwerdegegenständlichen decken, stellt aufgrund der Bindung der Sozialversicherungspflicht an die nach § 47 Abs. 1 iVm Abs. 2 EStG 1988 mit Bescheid der Finanzbehörde festgestellte Lohnsteuerpflicht eine Vorfrage für die Beurteilung der Pflichtversicherung der mbP im beschwerdegegenständlichen Verfahren des BVwG dar.
Da somit die Beurteilung des gegenständlichen Sachverhalts von rechtskräftig festzustellenden Vorfragen abhängt, die Gegenstand derzeit anhängiger behördlicher bzw. gerichtlicher (Rechtsmittel-)Verfahren sind, liegen die Voraussetzungen des § 38 AVG iVm § 17 VwGVG zur Aussetzung des hiesigen Verfahrens vor.
2. Beweiswürdigung:
Der Sachverhalt und die Feststellungen ergeben sich aus dem vorgelegten Verwaltungsakt und dem Verfahren vor dem BVwG.
3. Rechtliche Beurteilung:
3.1. Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts:
§ 414 Abs. 1 ASVG normiert die Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts zur Entscheidung über Beschwerden gegen Bescheide eines Versicherungsträgers.
Gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG erkennen die Verwaltungsgerichte über Beschwerden gegen den Bescheid einer Verwaltungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit.
Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.
Gemäß § 414 Abs. 2 ASVG entscheidet in Angelegenheiten nach § 410 Abs. 1 Z 1, 2 und 6 bis 9 das Bundesverwaltungsgericht auf Antrag einer Partei durch einen Senat.
Gegenständlich wurde ein Antrag auf Senatsentscheidung gestellt. Somit obliegt die Entscheidung der vorliegenden Beschwerdesache dem nach der jeweils geltenden Geschäftsverteilung des Bundesverwaltungsgerichtes zuständigen Senat.
3.2. Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht:
Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I 2013/33 idF BGBl. I 2013/122, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.
Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.
Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist.
Gemäß § 31 Abs. 1 VwGVG erfolgen, soweit nicht ein Erkenntnis zu fällen ist, die Entscheidungen und Anordnungen durch Beschluss.
Zu A)
3.3. Gemäß § 38 AVG ist die Behörde, sofern die Gesetze nicht anderes bestimmen, berechtigt, im Ermittlungsverfahren auftauchende Vorfragen, die als Hauptfragen von anderen Verwaltungsbehörden oder von den Gerichten zu entscheiden wären, nach der über die maßgebenden Verhältnisse gewonnenen eigenen Anschauung zu beurteilen und diese Beurteilung ihrem Bescheid zugrunde zu legen. Sie kann aber auch das Verfahren bis zur rechtskräftigen Entscheidung der Vorfrage aussetzen, wenn die Vorfrage schon den Gegenstand eines anhängigen Verfahrens bei der zuständigen Verwaltungsbehörde bzw. beim zuständigen Gericht bildet oder ein solches Verfahren gleichzeitig anhängig gemacht wird.
Gemäß § 17 VwGVG ist diese Bestimmung auch auf das Verfahren vor dem Verwaltungsgericht anzuwenden.
Die gegenständlich maßgebliche Bestimmung des ASVG in der hier anzuwendenden Fassung lautet wie folgt:
Gemäß § 4 Abs. Abs. 2 dritter Satz ASVG gilt als Dienstnehmer jedenfalls auch eine Person, die nach § 47 Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 2 EStG 1988 lohnsteuerpflichtig ist.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes liegt die wesentliche Bedeutung der Verweisung auf die Lohnsteuerpflicht nach dem EStG 1988 in § 4 Abs. 2 dritter Satz ASVG darin, dass für jene Zeiträume, für welche die Lohnsteuerpflicht der betreffenden Person nach § 47 Abs. 1 iVm Abs. 2 EStG 1988 mit Bescheid der Finanzbehörde festgestellt ist, auch die Sozialversicherungspflicht nach § 4 Abs. 1 Z 1 iVm Abs. 2 ASVG bindend feststeht (vgl VwGH vom 13.11.2013, Zl. 2011/08/0165 und vom 19.12.2012, Zl. 2010/08/0240).
Für die Beurteilung der Pflichtversicherung nach § 4 Abs. 2 dritter Satz ASVG ist also als Vorfrage entscheidend, ob Lohnsteuerpflicht bei der mbP rechtskräftig festgestellt wird und daher vorliegt, d.h. wird die Lohnsteuerpflicht bzw. die Haftung für die Lohnsteuer bejaht, ist auch die Pflichtversicherung nach dieser Norm zu bejahen. Wie festgestellt sind solche Vorfragen Gegenstand eines beim Bundesfinanzgerichts anhängigen Beschwerdeverfahrens bzw. einer laufenden Lohnabgabenprüfung des Finanzamtes Wien 2/20/21/22.
Da somit die Beurteilung des gegenständlichen Sachverhalts von Vorfragen abhängt, die Gegenstand derzeit anhängiger behördlicher bzw. gerichtlicher (Rechtsmittel-)Verfahren sind und diese im Wesentlichen die beschwerdegegenständlichen Zeiträume abdecken, liegen die Voraussetzungen des § 38 AVG zur Aussetzung des Verfahrens bis zur rechtskräftigen Entscheidung über diese Vorfrage daher vor, weshalb spruchgemäß zu entscheiden war.
Zu B) Unzulässigkeit der Revision:
Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.
Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.
Schlagworte
Aussetzung Lohnsteuerpflicht VorfrageEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:BVWG:2021:W151.2225247.1.00Im RIS seit
08.11.2021Zuletzt aktualisiert am
08.11.2021