TE Bvwg Erkenntnis 2021/10/18 W164 2211255-1

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Veröffentlicht am 18.10.2021
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Entscheidungsdatum

18.10.2021

Norm

AlVG §10
AlVG §38
B-VG Art133 Abs4
VwGVG §28 Abs1
VwGVG §28 Abs2
VwGVG §28 Abs5

Spruch


W164 2211255-1/11E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Dr. Rotraut LEITNER als Vorsitzende sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Felix SPEISS (aus dem Kreis der ArbeitgeberInnen) und Mag. Wolfgang SCHIELER (aus dem Kreis der ArbeitnehmerInnen) als Beisitzer über die Beschwerde von XXXX , geboren am XXXX , vertreten durch RA Dr. Peter Zawodsky, gegen den Bescheid des Arbeitsmarktservice vom 24.08.2018, AMS 317-Melk, in der Fassung der Beschwerdevorentscheidung vom 22.10.2018, GZ RAG/05661/2018, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung und nicht öffentlichen Beratung vom 12.10.2021 zu Recht erkannt:

A)

Der angefochtene Bescheid wird gemäß § 28 Abs 1, Abs 2 und Abs 5 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) aufgehoben.

B)

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.



Text


Entscheidungsgründe:

I. Verfahrensgang:

Mit dem angefochtenen Bescheid sprach das Arbeitsmarktservice (im Folgenden: AMS) aus, dass der Beschwerdeführer (im folgenden BF) den Anspruch auf Notstandshilfe gem. § 38 iVm § 10 AlVG für die Zeit von 21.08.2018 bis 15.10.2018 verloren habe. Dieser Zeitraum verlängere sich um in ihm liegende Zeiträume, während derer Krankengeld bezogen wurde. Zur Begründung führte das AMS aus, der BF habe an der Maßnahme Arbeitstraining beim sozialökonomischen Betrieb XXXX (im Folgenden Verein T), nicht teilgenommen. Gründe für eine Nachsicht der Rechtsfolgen würden nicht vorliegen bzw. könnten nicht berücksichtigt werden.

Gegen diesen Bescheid erhob der BF fristgerecht Beschwerde und führte aus, er habe am 20.08.2018 ein Telefonat mit Herrn XXXX (im Folgenden R), dem Standortleiter des Vereins T in XXXX geführt und habe sich erkundigt, welche Sachen er für den Arbeitsantritt benötigen würde. Herr R habe geantwortet, der BF solle Sicherheitsschuhe mitbringen. Der BF habe dem entgegnet, dass er aus medizinischen Gründen keine Sicherheitsschuhe tragen dürfe und dass er darüber ein ärztliches Attest vorlegen könne. Auf Wunsch von Herrn R habe er diesem am 21.08.2018 ein diesbezügliches ärztliches Attest persönlich vorgelegt. Daraufhin habe ihn dieser mit den Worten, dass er den Betrieb ohne Sicherheitsschuhe nicht betreten dürfe, nach Hause geschickt. Der BF habe daraufhin Herrn R gefragt, ob er nun Probleme mit dem AMS bekommen würde. Dies habe Herr R verneint.

Der BF legte seiner Beschwerde einen Befund des Arztes für Allgemeinmedizin, Dr. XXXX , vom 07.09.2018 bei, mit dem bestätigt wird, dass der BF an multiplen Arthrosen an den Zehengrundgelenken und Zehenendgelenken sowie an den Sprunggelenken beiderseits leide. Es hätten sich Exostosen gebildet, sodass feste Schuhe in Form von Sicherheitsschuhen nicht getragen werden dürfen. Der BF legte seiner Beschwerde ferner ein Schreiben von Dr. XXXX , Facharzt für innere Medizin, bei, mit dem bestätigt wird, dass der BF an chronischer Gicht, Hypertonie, Aorteninsuffizienz, Hyperuricämie und Tachykardie leide, und eine entsprechende Medikation empfohlen werde.

Mit Beschwerdevorentscheidung vom 22.11.2018 hat das AMS die Beschwerde des BF als unbegründet abgewiesen. Zur Begründung wurde ausgeführt, der BF beziehe seit 29.11.2011 Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung unterbrochen durch Krankengeldbezüge.

Am 30.11.2017 habe der BF einen Antrag auf Invaliditätspension gestellt. Am 08.01.2018 sei er im Kompetenzzentrum der Pensionsversicherungsanstalt (PVA) untersucht worden und sei ein orthopädisches Gutachten erstellt worden. Danach sei der BF in der Lage, leichte und mittelschwere Tätigkeiten im ständigen Sitzen, Stehen und Gehen, fallweise über Kopf, halbzeitig kniend und überwiegend vorgebeugt, gebückt möglich. Auch Nacht- und Schichtarbeit sei möglich. Der BF habe Berufserfahrung als Montagetischler. Nach einem Arbeitsunfall 2009 könne er gemäß eigener Aussage die rechte Hand nicht mehr über dem Kopf bewegen. Der BF suche eine Stelle als Lagerarbeiter bzw. Maschinenarbeiter in der Holzverarbeitung. Der Beruf als produzierender Tischler sei ihm nicht mehr zumutbar.

Mit Bescheid vom 02.05.2018 habe das AMS dem BF der Bezug von Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung für die Zeit von 23.04.2018 bis 03.06.2018 entzogen. Dieser Bescheid sei rechtskräftig geworden.

Am 17.08.2018 sei dem BF die nun gegenständliche Maßnahme mit Antrittsdatum 21.08.2018 zugewiesen worden. Der BF habe diese Maßnahme nicht angetreten. Daher habe das AMS am 22.08.2018 eine Niederschrift mit dem BF aufgenommen worden. Der BF habe zu diesem Termin einen Befund von Dr. XXXX , Arzt für Allgemeinmedizin, vom 21.08.2021 mitgebracht. Dieser enthalte die Diagnose chronische Gichtarthritis der Großzehengrundgelenke, und die Anamnese: „wegen der bestehenden Diagnose sollte vom Tragen von Arbeitsschuhen Abstand genommen werden, aus medizinischen Gründen“.

Im Zuge des Beschwerdevorverfahrens habe das AMS bei der PVA formlos die ergänzende Information eingeholt, ob dem BF das Tragen von Sicherheitsschuhen möglich wäre. Dies sei seitens der PVA bejaht worden. Diese ergänzende Aussage der PVA sei dem BF zur Kenntnis gebracht worden.

Der BF sei am 21.08.2018 nicht krank gemeldet gewesen. Bis dato habe der BF keine vollversicherungspflichtige Beschäftigung aufgenommen.

Gegen diesen Bescheid erhob der BF fristgerecht einen Vorlageantrag und legte diesem einen ärztlichen Entlassungsbericht der REHA-Klinik XXXX , nach einem Reha-Aufenthalt von 23.10.2018 bis 13.11.2018 bei. Daraus geht soweit hier wesentlich hervor, dass der BF etwa drei Wochen vor diesem Aufenthalt akute massive Schmerzen in beiden Kniegelenken, Sprunggelenken und Großzehengrundgelenken hatte. Es sei ein akuter Gichtschub festgestellt worden. Die Schmerzen hätten sich gebessert; der Patient sei im Alltag belastbarer und mobiler. Empfohlen wurde eine Weiterführung der im Rahmen der Reha erlernten Übungen und physikalische Therapie im niedergelassenen Bereich. Das Tragen von Sicherheitsschuhen sei für die Dauer der Schmerzen nicht möglich.

Das AMS legte den Akt dem Bundesverwaltungsgericht vor (Einlangen 14.12.2018) und hielt dem Schreiben der Rehaklinik XXXX mit ergänzender Stellungnahme vom 30.04.2019 entgegen, dass dieser Entlassungsbericht das Tragen von Sicherheitsschuhen nur für die Zeit der Schmerzen ausschließe. Der BF hätte sich für die Dauer von Schmerzen krank zu schreiben gehabt. Zum hier relevanten Datum 21.08.2018 sei der BF jedoch nicht krank gemeldet gewesen.

Mit 12.10.2021 wurde beim Bundesverwaltungsgericht eine mündliche Verhandlung abgehalten, an der der BF im Beisein seines Rechtsvertreters und das AMS als Parteien des Beschwerdeverfahrens teilnahmen.

Die ebenfalls zur Verhandlung geladene Gutachterin der Pensionsversicherungsanstalt, die das medizinische Gutachten vom 08.01.2018 erstellt hatte und die spätere Anfrage des AMS dahingehend, ob der BF Sicherheitsschuhe tragen könne, aus orthopädischer Sicht bejaht hatte, blieb der Verhandlung entschuldigt fern.

Der BF machte zusammengefasst die folgenden Angaben: Grund seines Antrages auf Invaliditätspension im Spätherbst 2017 sei seine Schulterverletzung gewesen. Der BF habe 2009 einen Arbeitsunfall gehabt, sei mehrmals operiert worden und habe die Schulter in der Folge nicht mehr bewegen können.

Befragt zu seiner Gichterkrankung gab der BF an, diese habe bereits 2002 begonnen, allerdings habe er anfangs nur selten Schübe gehabt. 2018 habe er nur mehr wenige schmerzfreie Phasen gehabt. Seine Schübe seien wetterabhängig und würden sich plötzlich einstellen. Man gehe schmerzfrei schlafen und wache am nächsten Tag mit Schmerzen auf und umgekehrt. Man könne in seiner Situation nicht vorhersagen „was morgen sein würde.“ Auch in der Nacht vor der Entlassung aus der REHA-Klinik im November 2018 habe der BF wieder einen starken Schub gehabt- dies trotzt wochenlanger vorschriftsgemäßer Ernährung.

Befragt zur Zeit der Zuweisung der verfahrensgegenständlichen Maßnahme (August 2018) gab der BF an, er habe damals Schmerzen gehabt. Ein Gichtschub sei das seiner Meinung nach nicht gewesen. Der BF habe sich in diesem Zustand für arbeitsfähig gehalten und habe sich daher nicht krank schreiben lassen. Er habe geplant, mit dem Standortleiter der Maßnahme so zu verbleiben, dass er auf eigene Gefahr ohne Sicherheitsschuhe arbeiten und den Standortleiter durch eine entsprechende Unterschrift von seiner Verantwortung entlasten würde. Darauf sei der Standortleiter aber nicht eingegangen sondern habe den BF nach Hause geschickt, da er keine Sicherheitsschuhe tragen könne. Es sei auch besprochen worden, ob der BF nun beim AMS Probleme haben werde; dies habe der Standortleiter der Maßnahme verneint. Der BF habe im Laufe seines Berufslebens bei verschiedenen Firmen gearbeitet und von dort Sicherheitsschuhe erhalten. Er könne diese aber nicht mehr anziehen. Sie seien zu schwer. Derzeit trage der BF Sandalen. Der BF könne derzeit keine Halbschuhe tragen. Sobald Druckstellen auf den Füßen belastet würden, müsse ich damit rechnen, dass ärgere Schmerzen nachfolgen. Seitens des AMS habe man ihm vorgeschlagen orthopädische Sicherheitsschuhe anzuschaffen. Diese würden € 1200,-- bis 1600,-- kosten. Der BF habe einen Kostenvoranschlag eingeholt und diesen dem AMS vorgelegt. Das AMS habe die Bezahlung solcher Schuhe abgelehnt. Der BF habe in der fraglichen Zeit Mindestsicherung bezogen; er sei im Übrigen nicht überzeugt, dass man mit solchen Schuhen wirklich auf einer Baustelle oder in der Werkstatt arbeiten könne. Ein Freund habe ihm diesbezüglich versichert, dass man mit solchen Schuhen nur Arbeiten im Sitzen machen könne. Daher habe der BF von der Anschaffung solcher Schuhe Abstand genommen. Bezüglich seiner Schmerzen sei der BF ständig in Behandlung. Auch der Arzt könne nicht immer sagen, woher genau die jeweils aktuellen Schmerzen kommen.
Noch während seiner Berufstätigkeit als Tischler, vor seinem Arbeitsunfall, habe der BF in Schlapfen in der Werkstatt gearbeitet. Die Sicherheitsvorschriften seien damals noch nicht so streng gehandhabt worden. Seit 11.3.2019 arbeite der BF wieder am ersten Arbeitsmarkt als Tischler in einer Werkstatt. Auch dort trage er Schuhe, die er aushalten könne, keine Sicherheitsschuhe.

Das AMS verwies in der mündlichen Verhandlung auf die Vorgeschichte der gegenständlichen Vereitelung: Dem BF sei bereits von 23.04.2018 bis 03.06.2018 die Notstandshilfe entzogen worden. Der Vorwurf habe auch hier gelautet, dass er eine Maßnahme beim Verein T nicht angetreten habe. Dieser Bescheid sei rechtskräftig geworden. Der BF habe ferner im Jahr 2015 die Teilnahme an einer Maßnahme des Vereins T abgelehnt und auf dem Fragebogen vermerkt „kein Interesse/kein beruflicher Nutzen“. Im Laufe seiner Betreuung seien wiederholt Zweifel an seiner Arbeitswilligkeit aufgetreten. Eingeräumt wurde, dass in den elektronischen Aufzeichnungen des AMS auch die zunehmend schwere chronische Erkrankung des BF als Grund für nicht erfolgreiche Zuweisungen eingetragen sei.

Der BF hielt den eben genannten Vorwürfen entgegen, dass die von ihm 2015 abgelehnte Maßnahme ein Motivationstraining – und zwar gemäß seinem Eindruck für Haftentlassene – gewesen sei und dass den Anwesenden damals freigestellt worden sei, mitzumachen oder nicht. Der BF habe sich gegen eine Teilnahme entschieden denn er hätte ohnehin lieber wieder gearbeitet. Im April 2018 sei der BF am Tag des Antritts einer zugewiesenen Maßnahme beim Verein T wegen Schmerzen zum Arzt gegangen. Dieser habe im Einvernehmen mit dem BF erst ab dem Folgetag eine Krankschreibung vorgenommen. Der BF sei damals der Meinung gewesen, er wäre am Tag des Arztbesuches vom Antritt der Maßnahme entschuldigt. Das AMS habe ihm jedoch zur Last gelegt, dass er die Maßnahme noch im Laufe des Tages mit Verspätung hätte antreten können. Die diesbezügliche Entscheidung des AMS habe der BF nicht angefochten.

II. Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1. Feststellungen:

Der über 50 jährige BF ist ausgebildeter Tischler und war bis zu einem schweren Arbeitsunfall 2009 laufend in der Tischlereibranche beschäftigt. Seit Ende 2011 bezieht er Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung mit Unterbrechungen durch Krankengeldbezüge. Der BF hat ein langjähriges Gichtleiden. Die Schübe sind unterschiedlich stark und wurden mit den Jahren häufiger. Im Jahr 2018 waren schmerzfreie Phasen bereits selten.

Mit Bescheid des AMS vom 02.05.2018 hat das AMS dem BF den Bezug der Notstandshilfe für die Zeit von 23.04.2018 bis 03.06.2018 entzogen. Der BF hätte im Vorfeld dieser Entscheidung am 23.4.2018 eine Maßnahme „Arbeitstraining“ beim Verein T antreten sollen. Er war am 23.4.2018 wegen Schmerzen zum Arzt gegangen und von diesem nach Rücksprache mit dem BF erst ab dem Folgetag krank geschrieben worden. Der BF war nämlich der Meinung, er wäre für den 23.4.2018 wegen des Arztbesuches entschuldigt. Seitens des AMS wurde ihm vorgehalten, dass er (mangels Krankschreibung für diesen Tag) am 23.4.2018 mit Verspätung zum Arbeitstraining zu erscheinen gehabt hätte. Dieser Bescheid wurde rechtskräftig.

Am 17.08.2018 wurde dem BF erneut eine Maßnahme Arbeitstraining beim sozioökonomischen Betrieb Verein T zugewiesen. Der BF hatte auch zu dieser Zeit Schmerzen, jedoch nicht besonders stark. Er wollte sich nun auch keinesfalls dem Vorwurf der Arbeitsunwilligkeit aussetzen. Zur Vorbereitung seines geplanten Arbeitsantritts rief der BF beim Standortleiter der Maßnahme an und erfuhr, dass er Sicherheitsschuhe benötigen würde. Der BF – er hatte im Zuge seiner langjährigen Berufstätigkeit, die Erfahrung gemacht, dass nicht jeder Arbeitgeber auf das Tragen von Sicherheitsschuhen bestand - wendete ein, dass er aufgrund seiner gesundheitlichen Probleme keine Sicherheitsschuhe tragen könne, er werde sich dies ärztlich bestätigen lassen. Am Morgen des Arbeitsantritts besuchte der BF den Arzt für Allgemeinmedizin, Dr. XXXX . Dieser diagnostizierte chronische Gichtarthritis und führte aus: „wegen der bestehenden Diagnose sollte vom Tragen von Arbeitsschuhen Abstand genommen werden aus medizinischen Gründen.“ Der BF brachte dieses ärztliche Zeugnis zum Standortleiter der Maßnahme. Er war bereit, auf eigene Gefahr ohne Sicherheitsschuhe zu arbeiten. Der Standortleiter der Maßnahme wollte dieses Risiko nicht verantworten, schickte den BF heim und erstattete dem AMS Bericht. Seit 11.3.2019 arbeitet der BF wieder als Tischler in einem Betrieb am ersten Arbeitsmarkt. Er trägt keine Sicherheitsschuhe.

2. Beweiswürdigung:

Beweis wurde aufgenommen durch Einsichtnahme in den Akt der Verwaltungsbehörde, weiters durch Einsichtnahme in die im Beschwerdeverfahren vorgelegten Dokumente und durch Abhaltung der mündlichen Verhandlung vom 12.10.2021. Der BF hat in unbedenklicher Weise dargelegt, dass er am 21.08.2018 die Absicht hatte, das zugewiesene Arbeitstraining anzutreten. Der BF hat auch in lebensnaherweise geschildert, dass gemäß seiner Berufserfahrung nicht immer das Tragen von Sicherheitsschuhen in der Werkstatt gefordert wurde, sodass er den Plan entwarf, das Arbeitstraining gleichsam „auf eigene Gefahr“ ohne Sicherheitsschuhe anzutreten. Der Umstand, dass der BF seit 01.03.2019 wieder am ersten Arbeitsmarkt beschäftigt ist, unterstreicht diese beweiswürdigenden Erwägungen.

Soweit das AMS im Rahmen der mündlichen Verhandlung auf die Vorgeschichte des BF als Bezieher von Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung verweist, so konnte der BF in der mündlichen Verhandlung vom 12.10.2021 dazu spontan Stellung nehmen. Unter Einbeziehung dieser Aussagen des BF belegen die vom AMS vorgelegten Gesprächsprotokolle nicht, dass sich der BF etwa schon seit längerem immer wieder arbeitsunwillig gezeigt hätte.

Die medizinische Frage bzw. die Frage der Zumutbarkeit der verfahrensgegenständlichen Zuweisung muss angesichts dieses Beweisergebnisses nicht mehr geklärt werden.

3. Rechtliche Beurteilung:

Gemäß § 6 BVwGG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist. Gemäß § 56 Abs. 2 AlVG entscheidet das Bundesverwaltungsgericht über Beschwerden gegen Bescheide einer Geschäftsstelle durch einen Senat, dem zwei fachkundige Laienrichter angehören, je einer aus dem Kreis der Arbeitgeber und einer aus dem Kreis der Arbeitnehmer. Im vorliegenden Fall war daher Senatszuständigkeit gegeben.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das VwGVG, BGBl. I Nr. 33/2013, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung – BAO, BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes – AgrVG, BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 – DVG, BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Zu A)

Gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AlVG verliert die arbeitslose Person, wenn sie ohne wichtigen Grund die Teilnahme an einer Maßnahme zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt verweigert oder den Erfolg der Maßnahme vereitelt, für die Dauer der Weigerung, mindestens jedoch für die Dauer der auf die Pflichtverletzung gemäß Z 1 bis 4 folgenden sechs Wochen, den Anspruch auf Arbeitslosengeld. Die Mindestdauer des Anspruchsverlustes erhöht sich mit jeder weiteren Pflichtverletzung gemäß Z 1 bis 4 um weitere zwei Wochen auf acht Wochen. Die Erhöhung der Mindestdauer des Anspruchsverlustes gilt jeweils bis zum Erwerb einer neuen Anwartschaft. Die Zeiten des Anspruchsverlustes verlängern sich um die in ihnen liegenden Zeiträume, während derer Krankengeld bezogen wurde.

Die Vereitelung iSd § 10 Abs 1 AlVG verlangt ein vorsätzliches Handeln des Vermittelten, wobei bedingter Vorsatz (dolus eventualis) genügt. Ein bloß fahrlässiges Handeln, also die Außerachtlassung der gehörigen Sorgfalt, reicht zur Verwirklichung dieses Tatbestandes hingegen nicht hin. Geschäftszahl (vgl. VwGH 96/08/0042 vom 15.11.2000).

Um sich durch die Teilnahme an einer Maßnahme zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt arbeitswillig zu zeigen, bedarf es grundsätzlich einerseits eines auf die Teilnahme ausgerichteten aktiven Handelns des Arbeitslosen, andererseits aber auch der Unterlassung jedes Verhaltens, welches objektiv geeignet ist, den Erfolg der Maßnahme zu vereiteln. (vgl. VwGH 2001/08/0224 vom 21.04.2004).

Wie im Rahmen der Beweiswürdigung näher ausgeführt wurde, hat der BF glaubwürdig dargelegt, dass er - in der Meinung, er könnte, wie er es aus seiner bisherigen Berufstätigkeit am ersten Arbeitsmarkt kannte, auf eigenes Risiko ohne Sicherheitsschuhe arbeiten - die Absicht hatte, das ihm zugewiesene Arbeitstraining beim sozialökonomischen Betrieb Verein T anzutreten. Dem BF war kein Vereitelungsvorsatz (auch nicht im Sinne des bedingten Vorsatzes) vorzuwerfen. Der Vereitelungstatbestand des § 10 Abs 1 Z 3 AlVG ist nicht erfüllt.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Zu B) Unzulässigkeit der Revision:

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor, insbesondere da die Rechtslage eindeutig ist (VwGH 28.05.2014, Ro 2014/07/0053).

Schlagworte

Arbeitswilligkeit gesundheitliche Eignung Notstandshilfe Wiedereingliederungsmaßnahme

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W164.2211255.1.00

Im RIS seit

05.11.2021

Zuletzt aktualisiert am

05.11.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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