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10/07 Verfassungs- und VerwaltungsgerichtsbarkeitNorm
B-VG Art138b Abs1 Z7Leitsatz
Keine Verletzung von Persönlichkeitsrechten der – als Aufsichtsratsmitglied einer staatsnahen GmbH bestellten – Beschwerdeführerin durch die Befragung zweier Auskunftspersonen durch ein Mitglied des Ibiza-Untersuchungsausschusses; zulässige Kritik der Meinungsäußerung über die Qualifikation der Beschwerdeführerin bei der Befragung des damals zuständigen Bundesministers im Lichte des Auftrages der parlamentarischen Kontrolle; Mitglieder von Aufsichtsräten haben weitergehende Kritik bzw kritische Fragestellungen hinsichtlich Ausbildung, Kompetenz und Eignung für die Funktion als Mitglied eines Aufsichtsrates hinzunehmen als Privatpersonen; keine Kreditschädigung und kein wirtschaftlicher Nachteil der Beschwerdeführerin durch den Verweis auf die Arbeitslosigkeit und die 6-monatige Tätigkeit als Geschäftsführerin; keine Verletzung im Recht auf Datenschutz und auf Achtung des Privat- und Familienlebens durch die Aufzählung der Schul- und BerufsausbildungRechtssatz
Der alleinige Umstand, dass das wörtliche Protokoll der Sitzung des Ibiza-Untersuchungsausschusses vom 02.07.2020 mittels Kommuniqué auf der Website des Parlaments am 16.07.2020 veröffentlicht und in Medien über die Befragung von Ing. Norbert Hofer berichtet wurde, vermag die Kenntnisnahme der Äußerungen eines konkreten Mitgliedes des Ibiza-Untersuchungsausschusses in der Sitzung des Ibiza-Untersuchungsausschusses vom 02.07.2020 durch die Beschwerdeführerin vor dem 09.01.2021 nicht zu begründen. Es ist für den VfGH nicht ersichtlich, dass die Beschwerdeführerin den Inhalt des wörtlichen Protokolls über die Befragung des Ing. Norbert Hofer auf Grund von dessen Veröffentlichung auf der Website des Parlaments am 16.07.2020 kannte oder kennen musste. Die Beschwerde ist somit hinsichtlich der Äußerungen eines konkreten Mitgliedes des Ibiza-Untersuchungsausschusses sowohl im Rahmen der Befragung von Ing. Nobert Hofer am 02.07.2020 als auch im Zuge der Befragung der Beschwerdeführerin in der Sitzung des Ibiza-Untersuchungsausschusses am 12.01.2021 innerhalb der sechswöchigen Beschwerdefrist gemäß §56i Abs2 VfGG eingebracht und damit rechtzeitig. Die Beschwerdeführerin legt in ihrer Beschwerde im Einzelnen dar, durch welches Verhalten eines konkreten Mitgliedes des Ibiza-Untersuchungsausschusses sich die Beschwerdeführerin in ihren Persönlichkeitsrechten (§16 ABGB und §1330 ABGB) verletzt erachtet. Die Beschwerde ist ausschließlich gegen das Verhalten dieses konkreten Mitgliedes des Ibiza-Untersuchungsausschusses und nicht gegen das Verhalten anderer Mitglieder bzw Funktionäre des Ibiza-Untersuchungsausschusses gerichtet. Die Beschwerdeführerin stellt den Sachverhalt betreffend die Befragung von Ing. Norbert Hofer sowie ihre Befragung als Auskunftsperson im Ibiza-Untersuchungsausschuss am 02.07.2020 bzw am 12.01.2021 schlüssig und nachvollziehbar dar und bezeichnet jene Persönlichkeitsrechte, in denen sie sich als verletzt erachtet. Die Beschwerdeführerin begehrt die Feststellung des VfGH, dass das in der Beschwerde dargestellte Verhalten eines konkreten Mitgliedes des Ibiza-Untersuchungsausschusses durch Vornahme einer die Persönlichkeitsrechte der Beschwerdeführerin verletzenden Befragung im Hinblick auf im Antrag genau bezeichnete Äußerungen rechtswidrig war. Das Beschwerdevorbringen ist damit hinreichend konkretisiert und erfüllt die Anforderungen des §56i Abs3 und §15 Abs2 VfGG.
Zur Befragung des für die Bestellung der Beschwerdeführerin als Mitglied des Aufsichtsrates der Austro Control GmbH damals zuständigen Bundesministers als Auskunftsperson zu den Themen "Managemententscheidungen bei der Casinos Austria AG, Reform und Vollziehung bestimmter Teile des Glücksspielgesetzes, Begünstigung von Dritten, Neustrukturierung der Finanzaufsicht, Ermittlungen in der Ibiza-Affäre, Beteiligungsmanagement des Bundes, Personalpolitik und Verdacht des Gesetzeskaufs" am 02.07.2020:
Ob eine Aussage, wie sie seitens eines Mitgliedes des Ibiza-Untersuchungsausschusses getätigt wurde, bei der nur bestimmte Aspekte der bisherigen Ausbildung und des bisherigen Erwerbsverlaufs einer Person im Zusammenhang mit der Qualifikation für die Funktion als Organ einer (staatsnahen) Gesellschaft angesprochen werden, überhaupt als unrichtige Tatsachenbehauptung qualifiziert werden könnte, kann nach Auffassung des VfGH dahinstehen: Die Verbreitung unwahrer Tatsachen stellt nämlich nur dann eine Kreditschädigung iSd §1330 Abs2 ABGB dar, wenn die Verbreitung dazu geeignet war, wirtschaftliche Nachteile für die Betroffene zur Folge zu haben. Es ist für den VfGH anhand des Beschwerdevorbringens nicht erkennbar, dass die in Beschwerde gezogene Äußerung, die Beschwerdeführerin sei "lange, lange arbeitsfrei und dann sieben Monate bei der *** GmbH Geschäftsführerin" gewesen, eine Gefährdung des Kredits oder Erwerbs oder Fortkommens der Beschwerdeführerin iSd §16 iVm §1330 ABGB darstellt.
Soweit die Beschwerdeführerin eine Verletzung in Persönlichkeitsrechten nach §1330 Abs1 ABGB und §16 ABGB darin erblickt, dass die Äußerung eines Mitgliedes des Ibiza-Untersuchungsausschusses der Beschwerdeführerin das Fehlen einer fachlichen Qualifikation für die Tätigkeit als Mitglied des Aufsichtsrates der Austro Control GmbH unterstellt, werden die Grenzen der zulässigen Kritik nach Auffassung des VfGH nicht überschritten. Der VfGH verkennt nicht, dass die Beschwerdeführerin im Rahmen der Befragung des damals zuständigen Bundesministers am 02.07.2020 nicht anwesend und es ihr damit nicht möglich war, auf sie betreffende Äußerungen unmittelbar zu replizieren. Dessen ungeachtet liegt das Werturteil des Mitgliedes des Ibiza-Untersuchungsausschusses, die Beschwerdeführerin bzw ihre bisherigen Tätigkeiten innerhalb des ***-Konzerns hätten sie für die Tätigkeit als Mitglied des Aufsichtsrates der Austro Control GmbH nicht hinreichend qualifiziert, im Lichte des Auftrages der parlamentarischen Kontrolle durch den Untersuchungsausschuss und des Gegenstandes des Ibiza-Untersuchungsausschusses im Spielraum zulässiger Kritik nach Art10 EMRK und ist nicht als ehrenrührig iSd §16 iVm 1330 Abs1 ABGB anzusehen. Im Übrigen musste der Beschwerdeführerin mit der Annahme ihrer Bestellung als Mitglied des Aufsichtsrates eines staatsnahen Unternehmens bewusst sein, dass ihre persönliche und fachliche Qualifikation Gegenstand einer öffentlichen Auseinandersetzung sein könnte.
Zur Befragung der Beschwerdeführerin am 12.01.2021 als Auskunftsperson zu den Themen "Begünstigung von Dritten, Ermittlungen in der Ibiza-Affäre, Beteiligungsmanagement des Bundes, Personalpolitik in staatsnahen Unternehmen und Verdacht des Gesetzeskaufs" insbesondere aus Anlass ihrer Bestellung als Mitglied des Aufsichtsrates der Austro Control GmbH:
1. Zu den Äußerungen eines Mitgliedes des Ibiza-Untersuchungsausschusses: "Ich lese nur für die Journalisten vor, da führen Sie aus: Ausbildung: Grundschule, Gymnasium, HBLA für Mode und Bekleidungstechnik, Gendarmeriegrundausbildung, Wifi-Berufsfortbildungslehrgänge, Vorbereitungslehrgang an der Uni Klagenfurt zur Studienberechtigungsprüfung. [...] Darf ich Sie fragen, welche dieser Ausbildungen Sie beendet haben? [...] Welche dieser Ausbildungspunkte in Ihrem Leben haben Sie nicht beendet? [...] weil sie vorhin schon gesagt hat, Gymnasium hat sie nicht beendet. [...] Na die Grundschule wird sie beendet haben. [...] Ich suche ihre Qualifikation."
Soweit es sich bei den in Rede stehenden Äußerungen um Tatsachenbehauptungen handelt, ist für den VfGH nicht hervorgekommen, dass das Mitglied des Untersuchungsausschusses eine unwahre Tatsache behauptet hätte und ein die Grenzen des Art10 EMRK überschreitendes Werturteil vorliegt:
Bei der Beschwerdeführerin handelt es sich zwar um keine - vergleichbar einem Politiker - im öffentlichen Leben stehende Person ("public figure"). Dennoch hat die Beschwerdeführerin in ihrer Funktion als Mitglied des Aufsichtsrates eines staatsnahen Unternehmens im Allgemeinen weiterreichende Kritik hinzunehmen als eine beliebige Privatperson. Die beanstandeten Äußerungen nehmen eine Bewertung der Qualifikation der Beschwerdeführerin für die Tätigkeit als Mitglied des Aufsichtsrates der Austro Control GmbH vor, wobei das Mitglied des Untersuchungsausschusses in ihren Äußerungen zumindest implizit suggeriert, die Beschwerdeführerin sei im Hinblick auf ihre Ausbildung für die Tätigkeit als Mitglied des Aufsichtsrates der Austro Control GmbH nicht qualifiziert. Vor dem Hintergrund der Aufklärungstätigkeit eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses, der unter anderem die Personalpolitik in staatsnahen Unternehmen zum Gegenstand hat, bewegt sich dieses Werturteil im Rahmen der zulässigen Kritik.
In diesem Zusammenhang ist auch die Aufzählung der im Lebenslauf der Beschwerdeführerin genannten Schul- und Berufsausbildung naheliegend. Eine hiedurch bewirkte Verletzung im Recht auf Datenschutz und auf Achtung des Privat- und Familienlebens der Beschwerdeführerin kommt nach Auffassung des VfGH bereits in Anbetracht des Umstandes, dass die Beschwerdeführerin ihren Lebenslauf dem Untersuchungsausschuss selbst vorgelegt hat, von vornherein nicht in Betracht.
2. Zu den Äußerungen eines Mitgliedes des Ibiza-Untersuchungsausschusses "Also nicht Hauptschule Villach, B-Zug? [...] Es geht um die Glaubwürdigkeit und nichts sonst. [...] Daran ist überhaupt nichts schlimm, es geht um die Glaubwürdigkeit, Herr Vorsitzender.":
Bei der in Beschwerde gezogenen Äußerung ("Also nicht Hauptschule Villach, B-Zug?") handelt es sich um keine "ergebnisoffene Frage", sondern um eine in Frageform angestellte Vermutung, die Beschwerdeführerin könnte - entgegen den eigenen Angaben in ihrem Lebenslauf - die Hauptschule besucht haben.
Ungeachtet der Frage, ob in der Äußerung eines Mitgliedes des Untersuchungsausschusses eine wertende Meinungsäußerung liegt, scheidet es aus, darin eine von der Beschwerdeführerin behauptete Verletzung ihrer Persönlichkeitsrechte anzunehmen: Zunächst ergibt sich aus dem wörtlichen Protokoll über die Befragung der Beschwerdeführerin, dass die Beschwerdeführerin die Möglichkeit hatte, der seitens eines Mitgliedes des Untersuchungsausschusses angestellten Vermutung, die Beschwerdeführerin habe in Wahrheit die Hauptschule in der Leistungsstufe "B-Zug" besucht, unmittelbar entgegenzutreten. Ferner ist in der erforderlichen Gesamtschau der Umstände auch der Kontext der in Beschwerde gezogenen Äußerung im Rahmen der Befragung der Beschwerdeführerin im Untersuchungsausschuss zu berücksichtigen. In diesem Zusammenhang ist zunächst darauf hinzuweisen, dass die Beschwerdeführerin auch neutral formulierte und einfach zu beantwortende (Tatsachen-)Fragen, die ihre Ausbildung und Kompetenz und somit ihre Eignung für die in Frage stehende Position eines Aufsichtsratsmitgliedes eines staatsnahen Unternehmens betroffen haben, nicht oder nur ausweichend beantwortete. Darüber hinaus ist auf den Umstand zu verweisen, dass die Beschwerdeführerin in ihrer Funktion als Mitglied eines solchen Aufsichtsrates im Allgemeinen weitergehende Kritik bzw kritische (oder sogar provokante) Fragestellungen hinzunehmen hat als eine beliebige Privatperson. Im Übrigen wurde die als Frage formulierte Vermutung eines Mitgliedes des Untersuchungsausschusses vom Vorsitzenden des Untersuchungsausschusses - wie auch von der Verfahrensanwalt-Stellvertreterin - in Wahrnehmung der Verpflichtung nach §41 Abs4 VO-UA unverzüglich unterbunden. In der Gesamtschau der Umstände und im Kontext der in Beschwerde gezogenen Äußerung liegt somit keine Verletzung der Persönlichkeitsrechte der Beschwerdeführerin vor.
Die Äußerungen eines Mitgliedes des Untersuchungsausschusses, wonach es ihr um die "Glaubwürdigkeit" der Beschwerdeführerin gehe, vermögen eine Verletzung der Persönlichkeitsrechte der Beschwerdeführerin ebenso wenig zu begründen. Es ist einem Mitglied des Untersuchungsausschusses zuzugestehen, Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Aussagen einer Auskunftsperson vor dem Untersuchungsausschuss zu hegen und diese auch - ungeachtet ihrer Berechtigung - zu äußern. Eine falsche Tatsachenbehauptung oder ein exzessives Werturteil liegt im Hinblick auf diese Äußerung nicht vor.
3. Zu den Äußerungen eines Mitgliedes des Ibiza-Untersuchungsausschusses "Haben Sie Stillhalteabkommen mit Personen aus Ihrem Umfeld abgeschlossen, um für sich zu gewährleisten, dass diese, falls sie Wahrnehmungen über Zahlungen an Politiker, wenn auch indirekt, durch Sie haben, nicht reden dürfen? [...] Und schließen Sie generell solche Stillhaltevereinbarungen, um sich abzusichern?":
Die in Rede stehenden Fragen, ob die Beschwerdeführerin Stillhaltevereinbarungen mit Politikern oder mit anderen Personen abschließe, sind nicht geeignet, eine Ehrenverletzung oder Rufschädigung der Beschwerdeführerin zu begründen. Die Äußerung eines Mitgliedes des Untersuchungsausschusses beinhaltet weder eine (unwahre) Tatsachenbehauptung noch ein (exzessives) Werturteil über die Beschwerdeführerin. Der Umstand, dass das Mitglied des Untersuchungsausschusses mehrmals dieselbe Frage stellt, ist für den VfGH nicht als Vorwurf der falschen Beweisaussage vor dem Untersuchungsausschuss zu verstehen.
Schlagworte
VfGH / Untersuchungsausschuss, Rechte höchstpersönliche, Meinungsäußerungsfreiheit, Nationalrat, Datenschutz, Privat- und Familienleben, EhrenbeleidigungEuropean Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VFGH:2021:UA2.2021Zuletzt aktualisiert am
30.11.2021