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10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)Norm
AsylG 2005 §55Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Sulzbacher sowie die Hofräte Dr. Pfiel und Dr. Chvosta als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Eraslan, über die Revision des F S, vertreten durch Dr. Gerhard Mory, Rechtsanwalt in 5020 Salzburg, Wolf-Dietrich-Straße 19/5, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom 9. Juli 2019, L525 2146510-1/15E, betreffend Erlassung einer Rückkehrentscheidung samt Nebenaussprüchen (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1 Der 1996 geborene Revisionswerber, ein pakistanischer Staatsangehöriger, stellte nach illegaler Einreise am 15. August 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz.
2 Diesen Antrag wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) mit Bescheid vom 5. Jänner 2017 sowohl hinsichtlich der Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch hinsichtlich der Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten ab (Spruchpunkte I. und II.) und sprach aus, dass ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt, eine Rückkehrentscheidung erlassen und festgestellt werde, dass die Abschiebung des Revisionswerbers nach Pakistan zulässig sei (Spruchpunkt III.). Des Weiteren wurde eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt (Spruchpunkt IV.).
3 Die dagegen erhobene Beschwerde zog der Revisionswerber im Rahmen der am 11. März 2019 durchgeführten Beschwerdeverhandlung vor dem Bundesverwaltungsgericht (BVwG) im Hinblick auf die Spruchpunkte I. und II. zurück. Die Beschwerde gegen die Spruchpunkte III. und IV. wies das BVwG sodann mit dem angefochtenen Erkenntnis vom 9. Juli 2019 (mit der Maßgabe der Verlängerung der festgelegten Frist für die freiwillige Ausreise) als unbegründet ab. Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG sprach das BVwG aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
4 Gegen dieses Erkenntnis erhob der Revisionswerber zunächst Beschwerde vor dem Verfassungsgerichtshof, der deren Behandlung mit Beschluss VfGH 5.3.2020, E 3034/2019, ablehnte und die Beschwerde mit weiterem Beschluss vom 7. April 2020 dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.
5 Die in der Folge ausgeführte Revision erweist sich als unzulässig.
6 Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen das Erkenntnis eines Verwaltungsgerichtes die Revision (nur) zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
7 An den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision unter dem genannten Gesichtspunkt nicht gebunden (§ 34 Abs. 1a erster Satz VwGG). Zufolge § 28 Abs. 3 VwGG hat allerdings die außerordentliche Revision gesondert die Gründe zu enthalten, aus denen entgegen dem Ausspruch des Verwaltungsgerichtes die Revision für zulässig erachtet wird. Im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe hat der Verwaltungsgerichtshof dann die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zu überprüfen (§ 34 Abs. 1a zweiter Satz VwGG).
8 In dieser Hinsicht macht die Revision zusammengefasst das Fehlen „eindeutiger Judikatur“ des Verwaltungsgerichtshofes zur Bedeutung einer fast vierjährigen Aufenthaltsdauer und der ebenso langen unverhältnismäßigen Verfahrensdauer im Rahmen der Interessenabwägung nach § 9 BFA-VG geltend. Im Übrigen wendet sich der Revisionswerber gegen diese Abwägungsentscheidung auch noch unter Hinweis auf seine Deutschkenntnisse auf dem Niveau B1, auf die bestehenden familiären Anknüpfungspunkte und auf die in Form der Gründung eines Unternehmens (Betrieb eines kleinen Speiselokals) erlangte Selbsterhaltungsfähigkeit. Außerdem habe das BVwG amtswegige Ermittlungen zur Intensität der Beziehungen des Revisionswerbers zu seiner österreichischen Lebensgefährtin sowie zu seinem Bruder und dessen Familie unterlassen. Schließlich sei die Annahme zu einer möglichen Reintegration und zu Beschäftigungsmöglichkeiten bei einer Rückkehr nach Pakistan vom BVwG nicht nachvollziehbar begründet worden, und sie stehe auch im Widerspruch zu den Länderfeststellungen zum Vorliegen einer hohen Jugendarbeitslosigkeit, einer großen Unterbeschäftigung und einer Verarmung von einem Drittel der Bevölkerung. Demnach wären vom BVwG bei der Interessenabwägung die zu erwartenden Schwierigkeiten beim Wiederaufbau einer Existenz zu berücksichtigen gewesen.
9 Entgegen diesen Ausführungen hat der Verwaltungsgerichtshof schon klargestellt, dass von einem durch die Rückkehrentscheidung bewirkten unverhältnismäßigen Eingriff in das Recht auf Privat- und Familienleben nach Art. 8 EMRK bei einem viereinhalbjährigen Aufenthalt nur dann auszugehen ist, wenn in Bezug auf die Integration des Fremden eine „außergewöhnliche Konstellation“ vorliegt (siehe VwGH 27.8.2020, Ra 2020/21/0156, und die dort unter Rn. 9 genannten weiteren Entscheidungen). Das gilt umso mehr bei einem wie hier - bezogen auf den maßgeblichen Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses - noch nicht ganz vierjährigen Aufenthalt des Revisionswerbers in Österreich.
10 Darüber hinaus ist nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes eine unter Bedachtnahme auf die jeweiligen Umstände des Einzelfalles in Form einer Gesamtbetrachtung durchgeführte Interessenabwägung nach Art. 8 EMRK im Allgemeinen - wenn sie (wie hier) auf einer verfahrensrechtlich einwandfreien Grundlage erfolgte und in vertretbarer Weise im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde - nicht revisibel (vgl. aus jüngerer Zeit etwa VwGH 11.5.2021, Ra 2021/21/0107, Rn. 8).
11 Das vom BVwG nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung erzielte Ergebnis - Fehlen einer „außergewöhnlichen Konstellation“ im Sinne der Ausführungen in Rn. 9 - ist aber vertretbar. Es berücksichtigte dabei ohnehin zu Gunsten des Revisionswerbers insbesondere seine Selbsterhaltungsfähigkeit durch den Betrieb eines eigenen Lokals mit zwei Angestellten, die Beziehung zu seiner österreichischen Lebensgefährtin, mit der er jedoch nicht in einem gemeinsamen Haushalt lebt, und auch die Beziehung zu seinem rechtmäßig in Österreich lebenden Bruder, der mit seiner österreichischen Lebensgefährtin zwei Kinder hat, und in deren Haus der Revisionswerber wohnt. Zu Recht hat das BVwG diese integrationsbegründenden Umstände aber im Sinne der Z 8 des § 9 Abs. 2 BFA-VG insofern für relativiert erachtet, als sie in einem Zeitraum entstanden, in dem sich der Revisionswerber - insbesondere nach erstinstanzlicher Abweisung seines Antrags auf internationalen Schutz im Jänner 2017 - seines unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst sein musste.
12 Im Hinblick auf die in der Revision ins Treffen geführte rund vierjährige Verfahrensdauer ist es zwar richtig, dass nach § 9 Abs. 2 Z 9 BFA-VG den Behörden zurechenbare überlange Verzögerungen dem Betroffenen zu Gute gehalten werden müssen, wenn ihn daran kein Verschulden trifft. Im vorliegenden Fall erreicht die Verfahrensdauer allerdings noch nicht ein solches Ausmaß, dass deshalb das Interesse des Revisionswerbers am Verbleib in Österreich die öffentlichen Interessen an der Aufenthaltsbeendigung überwiegt.
13 Unter dem Gesichtspunkt der Z 5 des § 9 Abs. 2 AsylG 2005 berücksichtigte das BVwG zutreffend, dass der Revisionswerber den Großteil seines bisherigen Lebens in seinem Heimatstaat verbrachte und dort nach wie vor über maßgebliche Bindungen zu seiner Kernfamilie verfügt. Aus diesen Umständen sowie aus der - in der Revision unbestrittenen - Einschätzung vom Revisionswerber als gesunden und uneingeschränkt erwerbsfähigen jungen Mann durfte das BVwG trotz der in den Länderfeststellungen zum Ausdruck kommenden schwierigen wirtschaftlichen Lage Pakistans vertretbar den Schluss ziehen, dass es dem Revisionswerber möglich sein werde, bei einer Rückkehr in seine Heimat sowohl sozial als auch beruflich wieder Fuß zu fassen. Besondere Umstände, die die Annahme gerechtfertigt hätten, dass der Revisionswerber von den wirtschaftlichen Verhältnissen in Pakistan auch individuell außergewöhnlich hart getroffen würde, wären von ihm vorzubringen gewesen, wozu er insbesondere in der mündlichen Verhandlung ausreichend Gelegenheit gehabt hatte (vgl. VwGH 14.11.2017, Ra 2017/21/0153, Rn. 8, mwN).
14 Soweit die Revision die Unterlassung amtswegiger Ermittlungen rügt, lässt sie offen, welche konkreten und entscheidungswesentlichen Tatsachen sich bei der Befragung der Lebensgefährtin des Revisionswerbers oder seines Bruders und dessen Lebensgefährtin ergeben hätten.
15 Der Verwaltungsgerichtshof hat - wie abschließend noch anzumerken ist - bereits mehrfach darauf hingewiesen (siehe etwa VwGH 27.8.2020, Ra 2020/21/0156, Rn. 12), es möge rechtspolitisch als Manko empfunden werden, dass der Gesetzgeber für Fälle einer gelungenen Integration wie den vorliegenden kein humanitäres Aufenthaltsrecht vorgesehen habe. Das kann aber - wie neuerlich zu wiederholen ist - nicht dazu führen, dass die - im Vergleich zum „Aufenthaltstitel in besonders berücksichtigungswürdigen Fällen“ nach § 56 AsylG 2005 - strengeren Voraussetzungen für die nach § 9 Abs. 3 BFA-VG vorzunehmende Feststellung der dauernden Unzulässigkeit einer Rückkehrentscheidung und die inhaltsgleichen Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 AsylG 2005 unterlaufen werden.
16 In der Revision werden somit keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
Wien, am 7. Oktober 2021
European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2021:RA2020210195.L00Im RIS seit
08.11.2021Zuletzt aktualisiert am
12.11.2021