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E000 EU- Recht allgemeinNorm
AVG §56Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Schick sowie Hofrätin Mag.a Nussbaumer-Hinterauer, Hofrat Mag. Feiel, Hofrätin MMag. Ginthör und Hofrat Mag. Cede, als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers MMag. Dr. Gotsbacher, in der Revisionssache des Personalamts Wien der Österreichischen Post AG in Wien, vertreten durch die CMS Reich-Rohrwig Hainz Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Gauermanngasse 2, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 7. April 2020, W244 2200358-1/7E, betreffend Verfall von Erholungsurlaub nach § 69 BDG 1979 (mitbeteiligte Partei: G Ö in S, vertreten durch Dr. Anton Ehm und Mag. Thomas Mödlagl, Rechtsanwälte in 1050 Wien, Schönbrunnerstraße 42/6), zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird stattgegeben und das angefochtene Erkenntnis dahin abgeändert, dass die Beschwerde mit der Maßgabe abgewiesen wird, dass gemäß § 42 Abs. 4 VwGG iVm. § 69 BDG 1979 festgestellt wird, dass der Erholungsurlaub der mitbeteiligten Partei aus dem Jahr 2015 im Umfang von 56 Stunden mit Ablauf des 31. Dezember 2017 verfallen ist.
Begründung
1 Der Mitbeteiligte steht in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis zum Bund und ist der Österreichischen Post AG zur Dienstleistung zugewiesen.
2 Mit Bescheid vom 25. Mai 2018 wies das Personalamt Wien der Österreichischen Post AG den Antrag des Mitbeteiligten vom 29. Dezember 2017 „auf Fristerstreckung für den Verfall von 56 Stunden Erholungsurlaub aus dem Jahr 2015“ ab.
3 Begründend wurde ausgeführt, der Mitbeteiligte habe grundsätzlich Anspruch auf insgesamt 240 Stunden Erholungsurlaub pro Jahr. Bis 2014 habe er sämtliche Erholungsurlaubsstunden verbraucht. Vom Kontingent aus dem Jahr 2015 seien 184 Stunden verbraucht, weshalb es richtig sei, dass aus diesem Jahr ursprünglich noch insgesamt 56 Stunden offen gewesen seien. In der Zeit von 22. September 2015 bis 21. Oktober 2016 sei der Mitbeteiligte zum Dienst nicht zugelassen gewesen. Von 22. Oktober bis 15. November 2016 habe er sich im Krankenstand befunden. In der Zeit von 16. November 2016 bis 28. Jänner 2018 sei er weiterhin nicht zum Dienst zugelassen gewesen. Ab 29. Jänner 2018 habe der Mitbeteiligte wieder Dienst versehen. In rechtlicher Hinsicht vertrat die Dienstbehörde zusammengefasst den Standpunkt, die noch offen gewesenen 56 Urlaubsstunden aus dem Jahr 2015 seien gemäß § 69 Beamten-Dienstrechtsgesetz 1979 (BDG 1979) grundsätzlich bis 31. Dezember 2016 zu verbrauchen gewesen. Da ein Verbrauch des Resturlaubs aus dienstlichen Gründen bzw. auf Grund des Krankenstandes des Mitbeteiligten nicht möglich gewesen sei, sei der Verfall des nicht verbrauchten Urlaubes nach den eindeutigen Bestimmungen des § 69 BDG 1979 erst mit Ablauf des folgenden Kalenderjahres, also mit Ablauf des 31. Dezember 2017 eingetreten.
4 In der dagegen erhobenen Beschwerde brachte der Revisionswerber im Wesentlichen vor, ein Verfall seines restlichen Erholungsurlaubs aus dem Jahr 2015 sei deshalb nicht eingetreten, weil es ihm nicht möglich gewesen sei, den Resturlaub zu verbrauchen.
5 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde des Mitbeteiligten ab und bestätigte den Spruch des angefochtenen Bescheids mit der Maßgabe, dass er zu lauten habe:
„Ihr Antrag vom 29.12.2017 auf Fristerstreckung für den Verfall von 56 Stunden Erholungsurlaub aus dem Jahr 2015 wird mangels Eintritt eines Verfalls gemäß §§ 69 Abs. 3 iVm 45 Abs. 1a BDG 1979 idF BGBl. I 112/2019 als unbegründet abgewiesen.“
6 Die Revision erklärte das Bundesverwaltungsgericht gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für zulässig.
7 Zusätzlich zu dem von der Dienstbehörde festgestellten Sachverhalt hielt das Bundesverwaltungsgericht weiters fest, der Vorgesetzte des Mitbeteiligten habe nicht rechtzeitig, unmissverständlich und nachweislich auf die Inanspruchnahme der hier in Rede stehenden 56 Stunden Erholungsurlaub aus dem Jahr 2015 durch den Mitbeteiligten hingewirkt.
8 In rechtlicher Hinsicht führte das Bundesverwaltungsgericht aus, angesichts der Inkrafttretensbestimmung des § 284 Abs. 104 BDG 1979 seien die §§ 45 und 69 BDG 1979 idF BGBl. I Nr. 112/2019 auch auf den vorliegenden Fall anzuwenden: Es sei nicht erkennbar, dass - insbesondere angesichts der Materialien zur 3. Dienstrechts-Novelle 2019, BGBl. I Nr. 112, IA 46/A 27. GP, 15f, die vor dem Hintergrund der Judikatur des Gerichtshofes der Europäischen Union (EuGH) von einer bloßen Klarstellung der Rechtslage ausgingen - diese Bestimmungen in der novellierten Fassung nicht auch auf in der Vergangenheit verwirklichte Sachverhalte anzuwenden seien.
9 Die mündliche Verhandlung habe im vorliegenden Fall klar ergeben, dass der Vorgesetzte des Mitbeteiligten nicht rechtzeitig, unmissverständlich und nachweislich darauf hingewirkt habe, dass der Mitbeteiligte die hier gegenständlichen 56 Stunden Erholungsurlaub aus dem Jahr 2015 in Anspruch nehme. Auf Grund der dargelegten klaren Rechtslage sei daher insoweit kein Verfall eingetreten.
10 Da kein Verfall des Urlaubsanspruchs eingetreten sei, sei auch ein Antrag auf „Fristerstreckung“ - allerdings mit vom angefochtenen Bescheid abweichender Begründung - abzuweisen gewesen.
11 Die Revision sei gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig, weil die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage abhänge, der grundsätzliche Bedeutung zukomme, weil es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu §§ 69 Abs. 3 und 45 Abs. 1a BDG 1979 idF der 3. Dienstrechts-Novelle 2019, BGBl. I Nr. 112, fehle.
12 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Amtsrevision, in der beantragt wird, das angefochtene Erkenntnis wegen Unzuständigkeit und wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes zur Gänze aufzuheben.
13 Der Mitbeteiligte erstattete eine Revisionsbeantwortung, in der er beantragte, die Revision zurückzuweisen, in eventu der Revision keine Folge zu geben.
14 Art. 1 der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung sieht Folgendes vor:
„Gegenstand und Anwendungsbereich
(1) Diese Richtlinie enthält Mindestvorschriften für Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Arbeitszeitgestaltung.
(2) Gegenstand dieser Richtlinie sind
a) ... der Mindestjahresurlaub ...
...“
15 Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie lautet:
„Jahresurlaub
(1) Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, damit jeder Arbeitnehmer einen bezahlten Mindestjahresurlaub von vier Wochen nach Maßgabe der Bedingungen für die Inanspruchnahme und die Gewährung erhält, die in den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder nach den einzelstaatlichen Gepflogenheiten vorgesehen sind.“
16 § 45 Abs. 1a und § 69 Beamten-Dienstrechtsgesetz 1979 (BDG 1979), BGBl. Nr. 333/1979 idF BGBl. I Nr. 112/2019 lauten:
„Dienstpflichten des Vorgesetzten und des Dienststellenleiters
§ 45. ...
(1a) Die oder der Vorgesetzte hat im Falle eines drohenden Verfalles des Erholungsurlaubes gemäß § 69 oder eines absehbaren Ausscheidens einer Mitarbeiterin oder eines Mitarbeiters aus dem Dienststand oder aus dem Dienstverhältnis rechtzeitig, unmissverständlich und nachweislich darauf hinzuwirken, dass ihre oder seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter den Erholungsurlaub in Anspruch nehmen können und auch in Anspruch nehmen.
...
Verfall des Erholungsurlaubes
§ 69. (1) Der Anspruch auf Erholungsurlaub verfällt, wenn die Beamtin oder der Beamte den Erholungsurlaub nicht bis zum 31. Dezember des dem Urlaubsjahr folgenden Kalenderjahres verbraucht hat. Ist der Verbrauch bis zu diesem Zeitpunkt aus dienstlichen Gründen, einem der Gründe des § 51 Abs. 2 erster Satz oder auf Grund eines Beschäftigungsverbotes nach dem MSchG nicht möglich, so tritt der Verfall erst mit Ablauf des folgenden Kalenderjahres ein.
(2) Wurde eine Karenz nach dem MSchG oder VKG in Anspruch genommen, so wird der Verfallstermin um den Zeitraum der Karenz hinausgeschoben.
(3) Der Verfall tritt nicht ein, wenn es die oder der Vorgesetzte unterlassen hat, entsprechend dem § 45 Abs. 1a rechtzeitig, unmissverständlich und nachweislich auf die Inanspruchnahme des Erholungsurlaubes durch die jeweilige Beamtin oder den jeweiligen Beamten hinzuwirken.“
17 Gemäß § 284 Abs. 104 Z 3 treten § 45 Abs. 1a und § 69 BDG 1979 idF der 3. Dienstrechts-Novelle 2019, BGBl. I Nr. 112, mit dem der Kundmachung folgenden Tag in Kraft.
18 Die Materialien zur 3. Dienstrechts-Novelle 2019, BGBl. I Nr. 112, IA 46/A 27. GP, 15 f, enthalten dazu folgende Erläuterungen:
„Zu Art. 1 Z 5 und 6 (§ 45 Abs. 1 und 1a):
Am 6. November 2018 führte der Europäische Gerichtshof in den Urteilen zu den Rs. C-619/16 und C-684/16 aus, dass eine Arbeitnehmerin oder ein Arbeitnehmer die ihr oder ihm gemäß dem Unionsrecht zustehenden Urlaubstage und den entsprechenden Anspruch auf eine finanzielle Vergütung für den nicht genommenen Urlaub nicht allein schon deshalb verlieren darf, weil sie oder er vor der Beendigung des Arbeitsverhältnisses (oder im Bezugszeitraum) keinen Urlaub beantragt hat. Dies gilt insbesondere dann, wenn der Verlust des Anspruchs automatisch und ohne vorherige Prüfung erfolgt, ob sie oder er vom Arbeitgeber z.B. durch angemessene Aufklärung tatsächlich in die Lage versetzt wurde, diesen Anspruch vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses wahrzunehmen.
Der Europäische Gerichtshof hielt außerdem fest, dass der Arbeitgeber verpflichtet ist, konkret und in völliger Transparenz dafür zu sorgen, dass die Arbeitnehmerin oder der Arbeitnehmer tatsächlich in der Lage ist, ihren oder seinen bezahlten Jahresurlaub zu nehmen, indem er sie oder ihn - erforderlichenfalls förmlich - auffordert, dies zu tun. Damit sichergestellt ist, dass der Urlaub der Arbeitnehmerin oder dem Arbeitnehmer noch die Erholung und Entspannung bieten kann, zu denen er beitragen soll, hat der Arbeitgeber rechtzeitig und unmissverständlich mitzuteilen, dass der Urlaub, wenn sie oder er ihn nicht nimmt, am Ende des Bezugszeitraumes oder eines zulässigen Übertragungszeitraumes verfallen wird (Rz 45 des Urteils C-619/16). Die Beweislast trägt insoweit der Arbeitgeber (Rz 46 des Urteils C-619/16).
Zwar normierte § 45 Abs. 1 BDG 1979 in der bisherigen Fassung (sowie Verweise auf diesen in Bestimmungen besonderer Dienstrechte, z.B. § 206 RStDG) bereits jetzt schon im Rahmen einer Fürsorgepflicht die ausdrückliche Dienstpflicht der oder des Vorgesetzten, darauf hinzuwirken, dass ihre oder seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter den Erholungsurlaub in Anspruch nehmen können und auch in Anspruch nehmen.
In Anbetracht der aktuellen Judikatur des Europäischen Gerichtshofs erscheinen jedoch Klarstellungen erforderlich, die vor allem die Bestimmungen zum Urlaubsverbrauch und -verfall verfahrensrechtlich, insbesondere hinsichtlich der Rechtzeitigkeit des Hinweises auf den Verfall des Anspruchs auf Erholungsurlaub oder im Falle des absehbaren Ausscheidens der Beamtin oder des Beamten aus dem Dienststand oder aus dem Dienstverhältnis auf den Verfall des Anspruchs auf die Urlaubsersatzleistung sowie dessen Nachweisbarkeit näher determinieren.
Da den Dienstgeber eine Beweislast trifft, ist er durch die aktuelle Judikatur des Europäischen Gerichtshofs aufgefordert, Verfahren vorzusehen, die ein nachweisliches Hinwirken auf den Urlaubsverbrauch dokumentieren, sei es z.B. durch Aktenvermerke, entsprechende Formulare zur Vorlage an die oder den Bediensteten oder andere geeignete Arten einer nachweisbaren Dokumentation. Dies umfasst die Aufforderung, den Erholungsurlaub in Anspruch zu nehmen und auch die tatsächliche, faktische Möglichkeit der Inanspruchnahme. In diesem Zusammenhang ist die oder der Bedienstete über die ansonsten drohende Konsequenz des Verfalls des Anspruchs auf Erholungsurlaub bzw. auf Urlaubsersatzleistung aufzuklären.
Zu Art. 1 Z 7 (§ 69 samt Überschrift):
Entsprechend der Judikatur des EuGH in den Rs. C-619/16 und C-684/16 tritt ein Verfall des Anspruchs auf Erholungsurlaub gem. § 69 Abs. 3 nunmehr nur für jenen Teil des Erholungsurlaubes ein, der trotz rechtzeitigem, unmissverständlichem und nachweislichem Hinwirken durch die Vorgesetzte oder den Vorgesetzten nicht verbraucht wurde.
Die Rechtzeitigkeit der Aufforderung im Sinne des § 45 Abs. 1a wird in der Praxis vom jeweiligen Einzelfall und dem bestehenden Urlaubskontingent abhängen. Jedenfalls muss der Hinweis auf den drohenden Verfall so rechtzeitig erfolgen, dass unter Berücksichtigung der Einteilungen in den Dienstplänen und unter Bedachtnahme auf allfällige Abwesenheiten der Verbrauch der Urlaubskontingente zeitlich und organisatorisch noch im jeweils aktuellen Kalenderjahr möglich ist, ohne dass die Urlaubskontingente gemäß § 69 Abs. 1 mit Ablauf des betreffenden Kalenderjahres gekappt werden würden.“
19 Die Zulässigkeitsbegründung der Revision beruft sich ua. auf die Zulassungsbegründung des Bundesverwaltungsgerichts. Schon aus dem dort genannten Grund ist die Revision zulässig. Sie ist auch berechtigt.
20 Zunächst ist festzuhalten, dass die im Spruch des angefochtenen Erkenntnisses des Bundesverwaltungsgerichts erfolgte Abweisung des Antrags des Mitbeteiligten auf Fristerstreckung für den Verfall von 56 Stunden Erholungsurlaub aus dem Jahr 2015 mangels Eintritt eines Verfalles gemäß §§ 69 Abs. 3 iVm. 45 Abs. 1a BDG 1979 idF BGBl. I Nr. 112/2019 im Sinne einer bescheidmäßigen Feststellung, wonach der Verfall des Resturlaubs aus dem Jahr 2015 nicht eingetreten sei, umzudeuten ist (vgl. dazu auch VwGH 22.4.2009, 2008/12/0214; 20.11.2009, 2009/12/0022). Dem entsprechend ist auch der dienstbehördliche Bescheid vom 25. Mai 2018 als Feststellungsbescheid zu verstehen.
21 Das Bundesverwaltungsgericht vertrat im angefochtenen Erkenntnis den Standpunkt, dass vor dem Hintergrund der Judikatur des EuGH von einer bloßen Klarstellung der Rechtslage auszugehen sei und daher § 69 Abs. 3 BDG 1979 auch auf in der Vergangenheit verwirklichte Sachverhalte anzuwenden sei.
22 Zunächst ist daher zu prüfen, ob § 69 Abs. 3 BDG 1979 idF der 3. Dienstrechts-Novelle 2019, BGBl. I Nr. 112, im Revisionsfall anzuwenden ist.
23 Gemäß § 69 Abs. 3 BDG 1979 idF der 3. Dienstrechts-Novelle 2019, BGBl. I Nr. 112, tritt der Verfall des Erholungsurlaubes nicht ein, wenn es die oder der Vorgesetzte unterlassen hat, entsprechend der in § 45 Abs. 1a BDG 1979 idF der 3. Dienstrechts-Novelle 2019 normierten Dienstpflicht rechtzeitig, unmissverständlich und nachweislich auf die Inanspruchnahme des Erholungsurlaubes durch die jeweilige Beamtin oder den jeweiligen Beamten hinzuwirken. Sowohl § 69 Abs. 3 BDG 1979 als auch § 45 Abs. 1a BDG 1979, jeweils idF der 3. Dienstrechts-Novelle 2019, traten am 28. Dezember 2019 in Kraft, eine Rückwirkung dieser Bestimmungen wurde nicht angeordnet. Entgegen den Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts ist auch den oben wiedergegebenen Gesetzesmaterialien zur 3. Dienstrechts-Novelle 2019 nichts zu entnehmen, was für eine rückwirkende Anwendung dieser Bestimmungen spricht. Auch die Ausführungen zu § 69 BDG 1979, wonach „entsprechend der Judikatur des EuGH in den Rs. C-619/16 und C-684/16 ein Verfall des Anspruchs auf Erholungsurlaub gem. § 69 Abs. 3 nunmehr nur für jenen Teil des Erholungsurlaubes eintritt, der trotz rechtzeitigem, unmissverständlichem und nachweislichem Hinwirken durch die Vorgesetzte oder den Vorgesetzten nicht verbraucht wurde“ [Anm: Unterstreichung durch den Verwaltungsgerichtshof], spricht gegen die vom Bundesverwaltungsgericht vertretene Auffassung. Eine Anwendung des § 69 Abs. 3 BDG 1979 idF der 3. Dienstrechts-Novelle 2019 kam daher im Revisionsfall, in dem der allfällige Verfall von Erholungsurlaub des Jahres 2015 zu beurteilen war, nicht in Betracht.
24 Das Recht jedes Arbeitnehmers auf bezahlten Jahresurlaub ist nach ständiger Rechtsprechung des EuGH als ein besonders bedeutsamer Grundsatz des Sozialrechts der Union anzusehen, von dem nicht abgewichen werden darf und den die zuständigen nationalen Stellen nur in den Grenzen umsetzen dürfen, die in der Richtlinie 2003/88/EG selbst ausdrücklich gezogen werden. Das Recht auf bezahlten Jahresurlaub als Grundsatz des Sozialrechts der Union hat zudem nicht nur besondere Bedeutung, sondern ist auch in Art. 31 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, der nach Art. 6 Abs. 1 EUV der gleiche rechtliche Rang wie den Verträgen zukommt, ausdrücklich verbürgt (vgl. etwa EuGH 6. November 2018, C-619/16, Kreuziger, Rn. 28 und 29, mwN).
25 Auch unter Berücksichtigung dieser unionsrechtlichen Bestimmungen wäre es im vorliegenden Revisionsfall allerdings nicht erforderlich, davon auszugehen, dass mangels Hinwirken im Sinne des § 45 Abs. 1a BDG 1979 ein Verfall des restlichen Urlaubs aus dem Jahr 2015 nicht eingetreten sei:
26 Der EuGH hat in seinem Urteil Kreuziger ausgesprochen, dass der Arbeitgeber in Anbetracht des zwingenden Charakters des Rechts auf bezahlten Jahresurlaub und angesichts des Erfordernisses, die praktische Wirksamkeit von Art. 7 der Richtlinie 2003/88 zu gewährleisten, ua. verpflichtet ist, konkret und in völliger Transparenz dafür zu sorgen, dass der Arbeitnehmer tatsächlich in der Lage ist, seinen bezahlten Jahresurlaub zu nehmen, indem er ihn - erforderlichenfalls förmlich - auffordert, dies zu tun, und ihm, damit sichergestellt ist, dass der Urlaub ihm noch die Erholung und Entspannung bieten kann, zu denen er beitragen soll, klar und rechtzeitig mitteilt, dass der Urlaub, wenn er ihn nicht nimmt, am Ende des Bezugs- oder eines zulässigen Übertragungszeitraums oder am Ende des Arbeitsverhältnisses, wenn dies in einen solchen Zeitraum fällt, verfallen wird (Rn. 52). Denselben Standpunkt nahm der EuGH in Rn. 45 seines Urteils vom 6. November 2018, C-684/16, Max Planck-Gesellschaft, ein.
27 Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG verpflichtet die Mitgliedstaaten allerdings nur, die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, damit jeder Arbeitnehmer einen bezahlten Mindestjahresurlaub von vier Wochen erhält, worauf in der Revision zutreffend hingewiesen wurde. Das heißt, dass lediglich ein jährlicher Erholungsurlaub in der von der genannten Richtlinie gewährleisteten Mindestdauer von vier Wochen unter Einhaltung des Unionsrechts zu gewähren ist (vgl. EuGH 3.5.2012, C-337/10, Neidel, Rn. 36; sowie vom 20.7.2016, C-341/15, Maschek, Rn. 39). Nach den unionsrechtlichen Vorschriften dürfen daher lediglich die in Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG genannten vier Wochen bezahlten Erholungsurlaubes pro Jahr bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen nicht verfallen (vgl. das Urteil des EuGH 20.1.2009, C-350/06 und C-520/06, Schultz-Hoff und Stringer, Rz 45, 48 und 54). Im vorliegenden Revisionsfall hat der Mitbeteiligte allerdings unbestritten 184 Stunden seines Erholungsurlaubes aus dem Jahr 2015 - und somit mehr als vier Wochen - verbraucht, sodass es auf Grundlage des Art. 7 der Richtlinie 2003/88 nicht geboten ist, dass ein Verfall der 56 Stunden Resturlaub aus dem Jahr 2015 unterbleibt.
28 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bestehen grundsätzlich auch keine Anhaltspunkte für eine planwidrige Regelungslücke der Hemmungstatbestände des § 69 BDG 1979 nach Ablauf einer zweijährigen Übertragungszeit (siehe VwGH 13.9.2017, Ra 2017/12/0081, Rn. 10, mwN; 9.3.2020, Ra 2020/12/0001, Rn. 15). Dieses Ergebnis wurde im Erkenntnis vom 4. September 2014, Ro 2014/12/0008, schon unter Zugrundelegung der innerstaatlichen Rechtslage und ohne dass es des Anwendungsvorranges des Unionsrechtes bedürfte, erzielt. Weiters wurde in diesem Erkenntnis unter Hinweis ua. auf das Urteil des EuGH vom 22. November 2011, C-214/10, KHS AG, dargelegt, dass der Verfall eines Erholungsurlaubes nach Ablauf eines zweijährigen Übertragungszeitraumes, wiewohl keine Möglichkeit bestand, diesen Erholungsurlaub tatsächlich in Anspruch nehmen, nicht dem Unionsrecht widerspricht.
29 Für den Revisionsfall folgt daraus, dass der Resturlaub des Mitbeteiligten aus dem Jahr 2015 von 56 Stunden daher mit Ablauf des 31. Dezember 2017 verfallen ist.
30 Das angefochtene Erkenntnis, das demgegenüber davon ausging, dass der restliche Urlaubsanspruch von 56 Stunden aus dem Jahr 2015 nicht verfallen sei, erweist sich daher als inhaltlich rechtswidrig. Dies eröffnet es dem Verwaltungsgerichtshof, gemäß § 42 Abs. 4 VwGG in der Sache selbst zu entscheiden und dessen Verfall festzustellen.
31 Von der Durchführung der von der revisionswerbenden Partei beantragten Verhandlung konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 6 VwGG abgesehen werden. Art. 6 EMRK und Art. 47 GRC standen dem nicht entgegen, weil einerseits lediglich Rechtsfragen zu klären waren und andererseits die Parteien schon Gelegenheit hatten, ihren Standpunkt im Rahmen einer mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht vorzutragen (vgl. VwGH 4.9.2014, Ro 2014/12/0008; 30.4.2019, Ro 2019/04/0013).
Wien, am 11. Oktober 2021
Gerichtsentscheidung
EuGH 62006CJ0350 Schultz-Hoff VORABSchlagworte
Anspruch auf bescheidmäßige Erledigung und auf Zustellung, Recht der Behörde zur Bescheiderlassung Feststellungsbescheide Anzuwendendes Recht Maßgebende Rechtslage VwRallg2 Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Analogie Schließung von Gesetzeslücken VwRallg3/2/3 Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Verhältnis der wörtlichen Auslegung zur teleologischen und historischen Auslegung Bedeutung der Gesetzesmaterialien VwRallg3/2/2 Besondere Rechtsgebiete Gemeinschaftsrecht Auslegung des Mitgliedstaatenrechtes EURallg2 Gemeinschaftsrecht Richtlinie richtlinienkonforme Auslegung des innerstaatlichen Rechts EURallg4/3 Gemeinschaftsrecht Richtlinie Umsetzungspflicht EURallg4/2 Gemeinschaftsrecht Richtlinie unmittelbare Anwendung EURallg4/1 Individuelle Normen und Parteienrechte Rechtsanspruch Antragsrecht Anfechtungsrecht VwRallg9/2European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2021:RO2020120013.J00Im RIS seit
08.11.2021Zuletzt aktualisiert am
15.11.2021