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001 Verwaltungsrecht allgemeinNorm
AsylG 2005 §58 Abs10Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pelant sowie die Hofräte Dr. Mayr und Mag. Berger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Thaler, in der Revisionssache des K M, vertreten durch Mag. Dr. Helmut Blum, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Mozartstraße 11/6, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 21. Juli 2017, L519 2135510-1/12E, betreffend Zurückweisung eines Antrags auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 55 AsylG 2005 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Begründung
1. Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichts die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung nicht einheitlich beantwortet wird.
Gemäß § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegen der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.
Gemäß § 34 Abs. 1a VwGG ist die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.
2.1. Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger Pakistans, stellte nach illegaler Einreise in das Bundesgebiet am 21. April 2004 erstmals einen Antrag auf internationalen Schutz (damals noch: Asylantrag). Das Bundesasylamt wies den Antrag mit Bescheid vom 7. Oktober 2004 ab und sprach die Ausweisung nach Pakistan aus. Der dagegen erhobenen Berufung des Revisionswerbers gab der unabhängige Bundesasylsenat mit Bescheid vom 30. August 2005 nicht Folge. Die Behandlung der gegen diese Entscheidung erhobenen Beschwerde des Revisionswerbers lehnte der Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 24. November 2005 ab.
2.2. Ab Oktober 2010 hielt sich der Revisionswerber wieder in Pakistan auf, am 26. Dezember 2012 reiste er neuerlich illegal in Österreich ein.
2.3. Am 30. Dezember 2012 stellte der Revisionswerber einen weiteren Antrag auf internationalen Schutz. Das Bundesasylamt wies den Antrag mit Bescheid vom 23. April 2013 ab und sprach die Ausweisung nach Pakistan aus. Die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers wies der Asylgerichtshof mit Erkenntnis vom 30. Oktober 2013 als unbegründet ab. Die Behandlung der gegen diese Entscheidung erhobenen Beschwerde des Revisionswerbers lehnte der Verfassungsgerichtshof mit Beschluss vom 26. Februar 2014 ab.
2.4. Am 17. April 2014 beantragte der Revisionswerber erstmals die Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK gemäß § 55 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005). Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: Behörde) wies den Antrag mit Bescheid vom 14. September 2015 gemäß § 58 Abs. 11 Z 2 AsylG 2005 zurück. Unter einem erließ die Behörde gegen den Revisionswerber eine Rückkehrentscheidung, stellte fest, dass seine Abschiebung nach Pakistan zulässig sei und setzte eine Frist für die freiwillige Ausreise von 14 Tagen fest. Die dagegen erhobene Beschwerde des Revisionswerbers wies das Bundesverwaltungsgericht mit Erkenntnis vom 11. Dezember 2015 ab. Die gegen diese Entscheidung erhobene außerordentliche Revision des Revisionswerbers wies der Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 25. Februar 2016, Ra 2016/21/0043, zurück.
3. Am 14. April 2016 stellte der Revisionswerber den hier gegenständlichen weiteren Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels aus Gründen des Art. 8 EMRK gemäß § 55 AsylG 2005.
Die Behörde wies den Antrag mit Bescheid vom 23. August 2016 gemäß § 58 Abs. 10 AsylG 2005 als unzulässig zurück, weil eine maßgebliche Änderung des relevanten Sachverhalts seit der rechtskräftigen Rückkehrentscheidung vom 11. Dezember 2015 nicht eingetreten sei, sodass eine erneute Abwägung nach Art. 8 EMRK nicht erforderlich sei.
Der Revisionswerber erhob gegen den Bescheid Beschwerde mit dem wesentlichen Vorbringen, er habe seit dem Abschluss des vorangehenden Verfahrens (mit rechtskräftiger Entscheidung vom 11. Dezember 2015) seinen Freundes- und Bekanntenkreis erheblich vergrößert, er habe die Deutschprüfung auf B1-Niveau am 6. Juni 2016 erfolgreich absolviert, was zu seiner Integrationsverfestigung beitrage, er verfüge über eine (auch im Verfahren vorgelegte) Beschäftigungszusage eines Chinarestaurants und sei ferner aktives Mitglied in einem Cricketverein.
4.1. Mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis vom 21. Juli 2017 wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde - nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung - als unbegründet ab.
Das Verwaltungsgericht traf Feststellungen zur Herkunft des Revisionswerbers, zu seinen Bezugspersonen und seiner Existenzgrundlage in Pakistan. Es hielt ferner fest, der Revisionswerber habe Deutschprüfungen auf dem Niveau A2 und (am 6. Juni 2016) auch auf dem Niveau B1 abgelegt. Er gehe in Österreich einer sozialversicherungspflichtigen Tätigkeit nach, indem er als Zusteller auf selbstständiger Basis arbeite, und verfüge über eigene (seinen Lebensunterhalt deckende) finanzielle Mittel. Zudem habe er eine Einstellungszusage eines Chinarestaurants. Er halte sich seit insgesamt etwa neuneinhalb Jahren im Bundesgebiet auf und sei sozial vielfältig vernetzt.
Rechtlich folgerte das Verwaltungsgericht - soweit hier von Bedeutung -, der Sachverhalt habe sich seit der rechtskräftigen Rückkehrentscheidung im vorangehenden Verfahren nicht maßgeblich geändert, sodass eine ergänzende oder neue Abwägung nach Art. 8 EMRK nicht erforderlich sei. Neu sei lediglich, dass der Revisionswerber trotz Ausreiseverpflichtung weiterhin im Bundesgebiet verblieben sei, was die verlängerte Aufenthaltsdauer relativiere. In Bezug auf das Privat- und Familienleben habe sich nur geändert, dass er seine Sprachkenntnisse verbessert und seine sozialen Kontakte vertieft habe. Auch die Einstellungszusage eines Chinarestaurants sei nicht neu, sondern bereits im vorangehenden Verfahren vorgelegt worden. In einem Cricketverein sei der Revisionswerber - nach eigenen Angaben in der mündlichen Verhandlung - seit dem Jahr 2010 nicht mehr aktiv. Insgesamt sei daher die Entscheidung der Behörde, wonach der gegenständliche Antrag mangels einer maßgeblichen Sachverhaltsänderung zurückzuweisen sei, nicht zu beanstanden.
4.2. Das Bundesverwaltungsgericht sprach ferner aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
5.1. Gegen dieses Erkenntnis erhob der Revisionswerber zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der deren Behandlung mit Beschluss vom 22. September 2017, E 3069/2017-5, ablehnte und in der Folge die Beschwerde über Antrag des Revisionswerbers dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.
5.2. Daraufhin erhob der Revisionswerber die hier gegenständliche außerordentliche Revision, zu der - im eingeleiteten Vorverfahren - keine Revisionsbeantwortung erstattet wurde.
Der Revisionswerber führt - unter dem Gesichtspunkt eines Abweichens von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs - aus, das Verwaltungsgericht hätte den Antrag nicht zurückweisen dürfen. Vielmehr hätte es auf Grund der eingetretenen wesentlichen Änderung des maßgeblichen Sachverhalts eine neue Gesamtabwägung nach Art. 8 EMRK vornehmen und den beantragten Aufenthaltstitel erteilen müssen. Das Verwaltungsgericht hätte dabei insbesondere berücksichtigen müssen, dass der Revisionswerber bereits seit neuneinhalb Jahren in Österreich aufhältig sei. Auch hätte es darauf Bedacht nehmen müssen, dass er inzwischen tiefer sozial verwurzelt bzw. vielfältig vernetzt sei und die B1-Prüfung abgelegt habe. Ferner verfüge er über einen österreichischen Führerschein, gehe einer sozialversicherungspflichtigen Tätigkeit nach und habe eine Einstellungszusage eines Chinarestaurants.
5.3. Mit diesem Vorbringen zeigt der Revisionswerber freilich keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG auf.
6.1. Gemäß § 58 Abs. 10 AsylG 2005 ist ein Antrag nach § 55 AsylG 2005 als unzulässig zurückzuweisen, wenn gegen den Antragsteller eine Rückkehrentscheidung rechtskräftig erlassen wurde und aus dem begründeten Antragsvorbringen unter Berücksichtigung des Privat- und Familienlebens gemäß § 9 Abs. 2 BFA-Verfahrensgesetz ein geänderter Sachverhalt, der eine ergänzende oder neue Abwägung gemäß Art. 8 EMRK erforderlich macht, nicht hervorgeht.
6.2. Wie der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung vertritt, ist die Zurückweisung gemäß § 58 Abs. 10 AsylG 2005 jener wegen entschiedener Sache nachgebildet, sodass die diesbezüglichen - zu § 68 Abs. 1 AVG entwickelten - Grundsätze herangezogen werden können (vgl. VwGH 26.6.2020, Ra 2017/22/0183, Pkt. 6.2.).
Demnach ist eine Sachverhaltsänderung dann wesentlich, wenn sie den Schluss zulässt, dass nunmehr - unter Bedachtnahme auf die damals als maßgebend erachteten Erwägungen - eine andere Beurteilung jener Umstände, die den Grund für die seinerzeitige rechtskräftige Entscheidung gebildet haben, nicht von vornherein als ausgeschlossen gelten kann. Die Erlassung eines inhaltlich anders lautenden Bescheids muss zumindest möglich sein (vgl. VwGH 29.3.2021, Ra 2017/22/0196, Pkt. 9.3.).
Im Hinblick darauf liegt ein maßgeblich geänderter Sachverhalt, der einer Antragszurückweisung gemäß § 58 Abs. 10 AsylG 2005 entgegensteht, nicht erst dann vor, wenn der neue Sachverhalt konkret dazu führt, dass der beantragte Aufenthaltstitel zu erteilen ist (vgl. VwGH 12.11.2015, Ra 2015/21/0101, Pkt. 3.5.1.). Eine maßgebliche Sachverhaltsänderung ist vielmehr schon dann gegeben, wenn die geltend gemachten Umstände nicht von vornherein eine neue Beurteilung aus dem Blickwinkel des Art. 8 MRK ausgeschlossen erscheinen lassen (vgl. VwGH 23.1.2020, Ra 2019/21/0356, Rz 10). Wesentlich für die Prüfung sind nur jene Umstände, die bis zum erstinstanzlichen Zurückweisungsbescheid eingetreten sind (vgl. VwGH 10.12.2013, 2013/22/0362).
7.1. Vorliegend ist die Frage entscheidend, ob der der rechtskräftigen Rückkehrentscheidung vom 11. Dezember 2015 zugrunde gelegte Sachverhalt im Vergleich zu dem der hier angefochtenen Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt eine maßgebliche Änderung im soeben erörterten Sinn erfahren hat. Diese Frage wurde vom Bundesverwaltungsgericht jedenfalls nicht unvertretbar verneint.
7.2. Soweit sich der Revisionswerber auf seine selbständige Erwerbstätigkeit als Zusteller und die damit verbundene Sozialversicherung, die Erlangung eines österreichischen Führerscheins sowie das Vorliegen einer Einstellungszusage eines Chinarestaurants beruft, sind darin keine neuen - erstmals im nunmehrigen Verfahren zugrunde gelegten - Tatsachen zu erblicken. Vielmehr wurden die betreffenden Umstände bereits im vorangehenden Verfahren geltend gemacht und folglich der rechtskräftigen Rückkehrentscheidung vom 11. Dezember 2015 zugrunde gelegt.
Was die im Verfahren behauptete Mitgliedschaft und Betätigung in einem Cricketverein betrifft, so stellte das Verwaltungsgericht - im Revisionsverfahren unbekämpft - fest, dass der Revisionswerber laut eigenen Angaben in der mündlichen Verhandlung seit dem Jahr 2010 in dem Verein nicht mehr aktiv (gewesen) sei. Folglich kann auch in diesem Punkt kein im Vergleich zum vorangehenden Verfahren maßgeblich geänderter Sachverhalt erblickt werden.
7.3. Wenn der Revisionswerber mit seiner langen Aufenthaltsdauer und seiner weiter fortgeschrittenen Integration (mit tiefer sozialer Verwurzelung und vielfältiger Vernetzung) sowie mit der Verbesserung seiner Sprachkenntnisse (Ablegung der B1-Prüfung im Juni 2016) argumentiert, so zeigt er auch insoweit keine im Vergleich zum vorangehenden Verfahren maßgebliche Sachverhaltsänderung auf, die eine Neubeurteilung im Sinn des Art. 8 EMRK erforderlich machen könnte.
Zwischen der rechtskräftigen Rückkehrentscheidung des Verwaltungsgerichts vom 11. Dezember 2015 im vorangehenden Verfahren und dem Zurückweisungsbescheid der Behörde vom 23. August 2016 im nunmehrigen Verfahren sind nämlich nur rund achteinhalb Monate gelegen. Im Hinblick darauf ist jedoch eine erhebliche Verlängerung der Aufenthaltsdauer und damit einhergehend eine wesentliche Vertiefung der sozialen Integration nicht zu sehen.
Der Revisionswerber hat auch kein konkretes gegenteiliges Vorbringen erstattet, inwiefern in der aufgezeigten kurzen Zeitspanne eine maßgeblich fortgeschrittene Integration eintreten hätte können. Seine diesbezügliche (oben wiedergegebene) Argumentation beschränkt sich auf allgemein und pauschal gehaltene Behauptungen, ohne eine maßgebliche Sachverhaltsänderung fallbezogen konkret und nachvollziehbar darzutun.
Was die behauptete Verbesserung der Deutschkenntnisse betrifft, so musste auch das in einer Konstellation wie der vorliegenden nicht zu der Beurteilung führen, es liege eine maßgebliche Sachverhaltsänderung vor (vgl. VwGH 27.1.2015, Ra 2014/22/0094; abermals Ra 2017/22/0183, Pkt. 6.3.; Ra 2017/22/0196, Pkt. 9.4.).
7.4. Nach dem Vorgesagten erweist sich die Beurteilung des Verwaltungsgerichts, wonach ein geänderter Sachverhalt, der eine neuerliche Abwägung nach Art. 8 EMRK erfordern würde, nicht hervorgekommen sei, und deshalb der gegenständliche Antrag gemäß § 58 Abs. 10 AsylG 2005 zurückzuweisen sei, als jedenfalls nicht unvertretbar.
8. In der Revision wird daher keine Rechtsfrage aufgeworfen, der im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war deshalb gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG zurückzuweisen.
Wien, am 11. Oktober 2021
Schlagworte
Anzuwendendes Recht Maßgebende Rechtslage VwRallg2 Individuelle Normen und Parteienrechte Rechtswirkungen von Bescheiden Rechtskraft VwRallg9/3European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2021:RA2018220002.L00Im RIS seit
08.11.2021Zuletzt aktualisiert am
30.11.2021