TE Vwgh Beschluss 2021/10/13 Ra 2021/14/0305

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Veröffentlicht am 13.10.2021
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Index

10/01 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG)
10/07 Verwaltungsgerichtshof
19/05 Menschenrechte

Norm

B-VG Art133 Abs4
MRK Art3
VwGG §28 Abs3
VwGG §34 Abs1

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Thienel und die Hofrätinnen Mag. Schindler und Dr.in Sembacher als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Gnilsen, in der Revisionssache des XY, vertreten durch Mag.rer.soc.oec.Dr. Helmut Blum, Rechtsanwalt in 4020 Linz, Mozartstraße 11/6, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom 22. Juli 2021, L502 2154306-1/27E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), den Beschluss gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Begründung

1        Der Revisionswerber, ein Staatsangehöriger des Irak, stellte am 29. Oktober 2015 einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz (AsylG 2005).

2        Mit Bescheid vom 23. März 2017 wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl diesen Antrag ab, erteilte dem Revisionswerber keinen Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005, erließ gegen ihn eine Rückkehrentscheidung und stellte fest, dass seine Abschiebung in den Irak zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise legte die Behörde mit zwei Wochen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.

3        Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die dagegen erhobene Beschwerde nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung als unbegründet ab und sprach aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

4        Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

5        Nach § 34 Abs. 1 VwGG sind Revisionen, die sich wegen Nichtvorliegens der Voraussetzungen des Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zur Behandlung eignen, ohne weiteres Verfahren mit Beschluss zurückzuweisen.

6        Nach § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden. Die Zulässigkeit einer außerordentlichen Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG hat der Verwaltungsgerichtshof im Rahmen der dafür in der Revision vorgebrachten Gründe (§ 28 Abs. 3 VwGG) zu überprüfen.

7        In der Revision wird zu ihrer Zulässigkeit vorgebracht, dass das späte Vorbringen der Homosexualität des Revisionswerbers nicht gegen das Neuerungsverbot verstoße, weil hierfür die missbräuchliche Verlängerung des Asylverfahrens Voraussetzung sei. Zudem sei die Beweiswürdigung unvertretbar vorgenommen worden, weil sowohl der Revisionswerber als auch sein Lebenspartner unzureichend zur sexuellen Orientierung befragt worden seien und die vom UNHCR erstellten „SOGI-Richtlinien“ keine Berücksichtigung gefunden hätten. Weiters bestehe zum Verhältnis von Art. 3 EMRK und § 20 BFA-VG keine gesicherte Rechtsprechung. Dem BVwG seien zudem Feststellungsmängel zur Situation von Homosexuellen im Irak und zur Situation im Heimatort des Revisionswerbers für den Fall seiner Rückkehr unterlaufen.

8        Soweit die Revision vermeint, das BVwG habe zu Unrecht das Vorbringen in einer Beschwerdeergänzung dem Neuerungsverbot des § 20 BFA-VG 2014 unterworfen, übersieht sie, dass das BVwG sich im Rahmen einer Alternativbegründung auch inhaltlich im Rahmen seiner Beweiswürdigung mit dem Vorbringen der Homosexualität des Revisionswerbers auseinandergesetzt hat.

9        Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist dieser als Rechtsinstanz tätig und im Allgemeinen nicht zur Überprüfung der Beweiswürdigung im Einzelfall berufen. Im Zusammenhang mit der Beweiswürdigung liegt eine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung nur dann vor, wenn das Verwaltungsgericht die Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hat (vgl. VwGH 3.9.2021, Ra 2020/14/0282, mwN). Im vorliegenden Fall stützte das BVwG seine Beweiswürdigung entgegen dem Vorbringen in der Revision nicht allein darauf, dass der Revisionswerber seine behauptete sexuelle Ausrichtung nicht bei der ersten ihm gegebenen Gelegenheit zur Darlegung der Verfolgungsgründe geltend gemacht habe, sondern zusätzlich auch auf weitere Argumente, insbesondere auf Widersprüche zwischen den Angaben des Revisionswerbers und dem - nach dem Vorbringen als sein Partner bezeichneten - Zeugen. Die Revision vermag mit ihrem pauschal gehaltenen Vorbringen nicht darzulegen, dass das BVwG seine Beweiswürdigung in einer die Rechtssicherheit beeinträchtigenden, unvertretbaren Weise vorgenommen hätte. Daher widerstreiten die Erwägungen des BVwG auch nicht den in der Revision angeführten SOGI-Richtlinien des UNHCR zur Beurteilung der Glaubhaftigkeit einer vorgebrachten Homosexualität.

10       Die Alternativbegründung des BVwG erweist sich somit als tragfähig. Der Verwaltungsgerichtshof hat bereits wiederholt zum Ausdruck gebracht, dass eine Revision nicht zulässig ist, wenn das angefochtene Erkenntnis auf einer tragfähigen Alternativbegründung beruht und dieser Begründung keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des Art. 133 Abs. 4 B-VG zugrunde liegt (vgl. zur Unzulässigkeit einer Revision bei einer tragfähigen Alternativbegründung etwa VwGH 13.11.2019, Ra 2019/01/0326, mwN).

11       Werden Verfahrensmängel - wie hier Feststellungs- und Ermittlungsmängel - als Zulassungsgründe ins Treffen geführt, so muss auch schon in der abgesonderten Zulässigkeitsbegründung die Relevanz dieser Verfahrensmängel, weshalb also bei Vermeidung des Verfahrensmangels in der Sache ein anderes, für den Revisionswerber günstigeres Ergebnis hätte erzielt werden können, dargetan werden (vgl. VwGH 12.3.2021, Ra 2021/14/0064). Dies setzt voraus, dass - auf das Wesentliche zusammengefasst - jene Tatsachen dargestellt werden, die sich bei Vermeidung des behaupteten Verfahrensfehlers als erwiesen ergeben hätten (vgl. VwGH 24.6.2021, Ra 2021/14/0180, mwN). Eine diesen Anforderungen entsprechende Relevanzdarlegung lässt die Revision mit ihrem pauschalen Vorbringen, dass der Revisionswerber unzureichend zum Thema Homosexualität befragt worden wäre - ohne darzulegen, was der Revisionswerber oder der einvernommene Zeuge bei näherer Befragung konkret ausgesagt hätten - und das Tragen einer FFP2-Maske der Gewinnung eines persönlichen Eindrucks von ihm geschadet hätte, ebenso vermissen wie zu den Ermittlungs- und Feststellungsmängeln zur Situation in der Heimatregion des Revisionswerbers. Hinsichtlich des Vorbringens zu den mangelhaften Länderfeststellungen zur Situation von Homosexuellen im Irak übersieht die Revision, dass das BVwG dem zugrundeliegenden Vorbringen vertretbar die Glaubwürdigkeit abgesprochen hat.

12       Der Verwaltungsgerichtshof hat zudem bereits wiederholt festgehalten, dass für die Gewährung von subsidiärem Schutz die bloße Möglichkeit einer durch die Lebensumstände bedingten Verletzung des Art. 3 EMRK nicht ausreichend ist. Vielmehr ist es zur Begründung einer drohenden Verletzung von Art. 3 EMRK notwendig, detailliert und konkret darzulegen, dass exzeptionelle Umstände vorliegen (vgl. VwGH 11.11.2020, Ra 2020/14/0390, mwN).

13       Das BVwG hat im vorliegenden Fall seiner Entscheidung die aktuellen EASO-Leitlinien zum Irak vom Jänner 2021 zugrunde gelegt. Es ging auch davon aus, dass der Revisionswerber an keiner gravierenden oder lebensbedrohlichen Erkrankung leide, arbeitsfähig sei, über einen Schulabschluss und familiäre Anknüpfungspunkte im Irak verfüge. Dem hält die Revision nichts Stichhaltiges entgegen.

14       Soweit die Revision im Zusammenhang mit einer Rückkehr in die Herkunftsprovinz des Revisionswerbers die Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofes vom 11. Dezember 2020, E 2912/2020, und vom 8. Juni 2020, E 883/2020, ins Treffen führt, ist zu entgegnen, dass die diesen Verfahren zugrundeliegenden Fallkonstellationen betreffend zum Zeitpunkt der Entscheidung in den dortigen Verfahren minderjährige Antragsteller, mit dem vorliegenden Verfahren nicht zu vergleichen sind.

15       In der Revision werden keine Rechtsfragen aufgeworfen, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukäme. Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 VwGG zurückzuweisen.

Wien, am 13. Oktober 2021

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:2021:RA2021140305.L00

Im RIS seit

08.11.2021

Zuletzt aktualisiert am

08.11.2021
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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