Index
001 Verwaltungsrecht allgemeinNorm
BAO §278 Abs1Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Mairinger und den Hofrat Dr. Thoma sowie die Hofrätin Dr. Reinbacher als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Galli, LL.M., über die Revision des damaligen Zollamts Linz Wels (nunmehr Zollamt Österreich) gegen den Beschluss des Bundesfinanzgerichts vom 15. Mai 2019, Zl. RV/5200027/2015, betreffend Eingangsabgaben samt Abgabenerhöhung (mitbeteiligte Partei: V GmbH in S, vertreten durch Mag. Rene Bauer, Rechtsanwalt in 4600 Wels, Karl-Loy-Straße 17), den Beschluss gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Der Bund hat der mitbeteiligten Partei Aufwendungen in Höhe von € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Mit dem angefochtenen Beschluss hob das Bundesfinanzgericht den mit Beschwerde der mitbeteiligten Gesellschaft (im Folgenden: Mitbeteiligte) bekämpften Bescheid des damaligen Zollamts Linz Wels vom 6. Oktober 2014, mit welchem der Mitbeteiligten die buchmäßige Erfassung näher angeführter Eingangsabgaben mitgeteilt und eine Abgabenerhöhung nach § 108 Abs. 1 ZollR-DG festgesetzt worden war, und die Beschwerdevorentscheidung dieses Zollamts vom 14. Jänner 2015 gemäß § 278 Abs. 1 BAO auf, verwies die Sache an die Abgabenbehörde zurück und sprach aus, dass eine Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.
2 Nach Schilderung des Verwaltungsgeschehens stellte das Bundesfinanzgericht fest, die Mitbeteiligte, ein Speditionsunternehmen, habe unter Verwendung ihrer in Österreich erteilten Sonder-UID als indirekte Vertreterin der tschechischen T s.r.o. in 63 Fällen Kupferkathoden und in acht Fällen Kupferabfälle oder Kupferschrott zur Überführung in den freien Verkehr mit anschließender innergemeinschaftlicher Lieferung erklärt. Die betreffenden 71 Zollanmeldungen seien zwischen dem 16. Oktober 2011 und dem 4. Februar 2012 angenommen worden. Nach den von der Mitbeteiligten vorgelegten Unterlagen stammten diese Waren von verschiedenen in Serbien ansässigen Unternehmen. Die Warenbewegungen seien von Serbien ausgehend im Versandverfahren nach Österreich erfolgt. Die „zollrechtliche Abwicklung“ sei beim (damaligen) Zollamt Nickelsdorf „im Verfahren 4200 unter Anwendung der Sonder-UID-Nr.“ der Mitbeteiligten durchgeführt worden. Die Warenbewegungen hätten bei näher angeführten Unternehmen mit Bestimmungsland in Tschechien, Deutschland oder Großbritannien enden sollen.
3 Nach zusammenfassender Wiedergabe der „Feststellungen und Erwägungen“ des Zollamts hielt das Bundesfinanzgericht fest, das Zollamt gehe davon aus, dass die T s.r.o. offensichtlich als Funktionsträger im Rahmen eines in Lieferketten organisierten Mehrwertsteuerbetrugs gehandelt habe.
4 Unter Auseinandersetzung mit den vom Zollamt herangezogenen, von den tschechischen Behörden mitgeteilten Ermittlungsergebnissen, welchen die Feststellungen des Zollamts nach Ansicht des Bundesfinanzgerichts aus näher angeführten Gründen nicht entsprächen, führte das Bundesfinanzgericht an, welche konkreten Sachverhaltsermittlungen es für erforderlich halte und welche Ermittlungen im Amtshilfeweg in Tschechien erforderlich seien. Unter Hinweis auf das Vorbringen der Mitbeteiligten (zur Entrichtung der Erwerbsteuer für die Waren der fraglichen Einfuhren durch den jeweiligen Erwerber) führte das Bundesfinanzgericht an, welche konkreten Ermittlungen (zur Verfügungsmacht über die in Rede stehenden Waren am Ende der Beförderung) es für erforderlich halte und welche bislang zur Gänze fehlten.
5 Da diese wesentlichen Sachverhaltsfeststellungen und die damit verbundenen vorher näher erläuterten Beweisaufnahmen fehlten, könne nicht beurteilt werden, ob eine Eingangsabgabenschuld für die Mitbeteiligte überhaupt entstanden sei.
6 Die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Bundesfinanzgericht selbst sei weder im Interesse der Raschheit gelegen noch mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden, sondern würde zu einer näher begründeten Verfahrensverzögerung führen.
7 Die dagegen vom damaligen Zollamt Linz Wels erhobene außerordentliche Revision legte das Bundesfinanzgericht unter Anschluss der Akten des Verfahrens dem Verwaltungsgerichtshof vor.
8 Der Verwaltungsgerichtshof leitete das Vorverfahren ein (§ 36 VwGG); die Mitbeteiligte reichte mit Schriftsatz vom 13. September 2019 eine Revisionsbeantwortung mit dem Antrag auf Zuerkennung von Aufwandersatz ein, welche sie mit Schriftsatz vom 10. Mai 2021 ergänzte.
9 Gemäß Art. 133 Abs. 4 und 9 B-VG ist gegen einen Beschluss des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil der Beschluss von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
10 Gemäß § 34 Abs. 1a VwGG ist der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichtes nicht gebunden und hat er diese Zulässigkeit im Rahmen der dafür gemäß § 28 Abs. 3 VwGG in der Revision gesondert vorgebrachten Gründe zu überprüfen.
11 Gemäß § 278 Abs. 1 BAO kann das Verwaltungsgericht mit Beschluss die Beschwerde durch Aufhebung des angefochtenen Bescheids und allfälliger Beschwerdevorentscheidungen unter Zurückverweisung der Sache an die Abgabenbehörde erledigen, wenn Ermittlungen unterlassen wurden, bei deren Durchführung ein anderslautender Bescheid hätte erlassen werden oder eine Bescheiderteilung hätte unterbleiben können. Eine solche Aufhebung ist unzulässig, wenn die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.
12 Die Ausnahmebestimmung des § 278 Abs. 1 BAO erfordert, dass das Verwaltungsgericht im Rahmen seiner Ermessensentscheidung über die Aufhebung und Zurückverweisung die von ihm vermissten und ins Auge gefassten Ermittlungsschritte im Hinblick auf die Zielsetzungen des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens bezeichnet und beurteilt sowie die Frage beantwortet, ob die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Gericht selbst nicht im Interesse der Raschheit des Verfahrens oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden wäre (vgl. etwa VwGH 9.9.2015, Ra 2015/16/0037). Dieser Anforderung ist das Bundesfinanzgericht im Revisionsfall nachgekommen.
13 Im Übrigen berührt die einzelfallbezogene Anwendung des § 278 Abs. 1 BAO unter Berücksichtigung der vom Verwaltungsgerichtshof vorgegebenen Auslegung dieser Bestimmung dann keine grundsätzliche Rechtsfrage, wenn sich das vom Verwaltungsgericht erzielte Ergebnis als vertretbar erweist (vgl. zur insoweit vergleichbaren Bestimmung des § 28 Abs. 3 VwGVG etwa VwGH 30.6.2021, Ra 2018/16/0033, mwN). Ob das Verwaltungsgericht die Rechtsprechung für ein Vorgehen nach § 278 Abs. 1 BAO angesichts der einzelfallbezogenen Verfahrenskonstellation in jeder Hinsicht korrekt angewendet hat, stellt keine grundsätzliche Rechtsfrage dar (vgl. zur insoweit vergleichbaren Bestimmung des § 28 Abs. 3 VwGVG etwa VwGH 22.10.2018, Ra 2018/16/0142, mwN).
14 Das Zollamt trägt zur Zulässigkeit seiner Revision vor, es stelle sich die Frage, ob in einem Fall, bei dem sich erst im Verfahren vor dem Bundesfinanzgericht eine geänderte Rechtsauffassung oder Rechtsauslegung durch den EuGH und in weiterer Folge durch das Bundesfinanzgericht ergebe, eine Aufhebung nach § 278 Abs. 1 BAO zulässig sei, insbesondere wenn das Bundesfinanzgericht ganz genaue Vorstellungen habe, welche Ermittlungsschritte zu setzen wären.
15 Angesichts des Grundsatzes, dass das Bundesfinanzgericht nach der Sach- und Rechtslage zu entscheiden hat, welche im Zeitpunkt seiner Entscheidung vorliegt (vgl. etwa VwGH 22.12.2016, Ro 2016/16/0020), kommt es nicht darauf an, ob eine Rechtsansicht oder Rechtsauslegung der Abgabenbehörde schon im Zeitpunkt deren Entscheidung bekannt gewesen ist.
16 Soweit das Zollamt in der Begründung der Zulässigkeit seiner Revision dem Bundesfinanzgericht vorwirft, den angefochtenen Beschluss zu Unrecht auf ein Fehlen einer Bescheidbegründung gestützt zu haben, ist ihm entgegenzuhalten, dass das Bundesfinanzgericht die Begründung des vor ihm bekämpften Bescheids wiedergibt, jedoch erläutert, weshalb diese nicht ausreiche und auf welche Gesichtspunkte sie nicht eingehe.
17 Schließlich fragt das Zollamt, ob es rechtlich vertretbar und zulässig sei, eine Entscheidung aufzuheben und die Sache an die Abgabenbehörde zurückzuverweisen, wenn von dieser im verbleibenden Zeitraum bis zur Verjährung die Ermittlungen nicht zu bewältigen seien. Welche konkreten Ermittlungen innerhalb welchen konkreten Zeitraums vor dem Hintergrund der Bestimmung des Art. 221 Abs. 3 zweiter Satz der im Revisionsfall noch maßgeblichen Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften, ABl. L 302 vom 19. Oktober 1992, in der Fassung der Verordnung (EG) Nr. 2700/2000 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. November 2000, ABl. L 311 vom 12. Dezember 2000, (Zollkodex - ZK) nicht bewältigt werden könnten, lässt das Zollamt allerdings offen.
18 Insgesamt wirft das Zollamt somit keine Rechtsfrage auf, welcher grundsätzliche Bedeutung im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zukäme.
19 Die Revision war daher gemäß § 34 Abs. 1 und 3 VwGG mit Beschluss zurückzuweisen.
20 Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff, insbesondere auf § 51 VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am 15. Oktober 2021
Schlagworte
Anzuwendendes Recht Maßgebende Rechtslage VwRallg2 Ermessen VwRallg8European Case Law Identifier (ECLI)
ECLI:AT:VWGH:2021:RA2019160136.L00Im RIS seit
05.11.2021Zuletzt aktualisiert am
06.12.2021