TE Bvwg Erkenntnis 2021/10/8 W217 2244351-1

JUSLINE Entscheidung

Veröffentlicht am 08.10.2021
beobachten
merken

Entscheidungsdatum

08.10.2021

Norm

Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen §1
BBG §42
BBG §45
B-VG Art133 Abs4

Spruch


W217 2244351-1/13 E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag. Julia STIEFELMEYER als Vorsitzende und die Richterin Mag. Ulrike LECHNER LL.M sowie den fachkundigen Laienrichter Franz GROSCHAN als Beisitzer über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , vertreten durch den Kriegsopfer- und Behindertenverband für Wien, NÖ und Bgld., gegen den Bescheid des Sozialministeriumservice, Landesstelle Niederösterreich, vom 27.05.2021, OB: XXXX , betreffend die Abweisung des Antrages auf Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ in den Behindertenpass, zu Recht erkannt:

A)

I.       Der Beschwerde wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid ersatzlos behoben.

Die Voraussetzungen für die Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung auf Grund einer Behinderung" in den Behindertenpass liegen vor.

II. Die Eintragung des Zusatzvermerkes ist befristet bis 31.12.2023 vorzunehmen.

B)

Die Revision ist gemäß Art 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I.       Verfahrensgang:

1.       Der Beschwerdeführer begehrte am 28.01.2021 beim Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (Kurzbezeichnung: Sozialministeriumservice; in der Folge „belangte Behörde“ genannt) einlangend unter Vorlage eines Befundkonvolutes die Ausstellung eines Behindertenpasses, die Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ sowie die Ausstellung eines Ausweises gem. § 29b StVO.

1.1.    Im daraufhin eingeholten Sachverständigengutachten vom 06.04.2021, wurden von Dr. XXXX , Facharzt für Orthopädie, basierend auf der persönlichen Untersuchung des Beschwerdeführers, folgende Funktionseinschränkungen, welche voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden, festgestellt:

1

Knietotalendoprothese rechts, Kniegelenksabnützung links.

 

2

Mehrsegmental degenerativer Bandscheibenschaden.

 

3

Diabetes mellitus Typ II.

 

4

Hypertonie

 

5 Chronischer Weichteilreizzustand der rechten Schulter.

 

Der Gesamtgrad der Behinderung wurde mit 50% festgelegt.

Betreffend die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wurde Nachstehendes ausgeführt:

„Welche der festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen lassen das Zurücklegen einer kurzen Wegstrecke, das Ein- und Aussteigen sowie den sicheren Transport in einem öffentlichen Verkehrsmittel nicht zu und warum?

Keine. Der Bewegungsumfang der großen Gelenke der unteren Extremität, Kraft und Koordination sind ausreichend, um kurze Wegstrecken zu überwinden und Niveauunterschiede zu bewältigen. In der oberen Extremität finden sich keine höhergradigen Funktionsbehinderungen, somit sind Haltegriffe und Aufstiegshilfen problemlos benützbar.“ Ebenso liege kein Immundefekt vor im Rahmen dessen trotz Therapie erhöhte Infektanfälligkeit und wiederholt außergewöhnliche Infekte wie atypische Pneumonien auftreten würden.

1.2.    Im Rahmen des hierzu erteilten Parteiengehörs brachte der Beschwerdeführer vor, er leide unter hochgradigen Abnützungserscheinungen des rechten Knies sowie der Wirbelsäule. Die maximale Gehstrecke unter Zuhilfenahme einer Unterarmstutzkrücke betrage 50-70m, danach benötige er eine Sitzgelegenheit aufgrund der auftretenden Schmerzen. Auch ein freihändiges Stehen (ohne beidhändiges Abstützen) sei ihm für höchstens 5 Minuten möglich, da ansonsten die Schmerzen zu stark würden. Es seien ihm daher weder die Bewältigung der Anmarschwege noch ein sicherer Transport in den öffentlichen Verkehrsmitteln möglich.

1.3.    Der bereits befasste Facharzt für Orthopädie führt in seiner Stellungnahme vom 21.05.2021 hierzu aus:

„Antwort(en):

Stellungnahme 26.4.2021

Es wird angeführt, dass hochgradige Abnützungserscheinungen im rechten Knie sowie in der Wirbelsäule vorliegen und daher eine maximale Gehstrecke von 50 bis 70m nur unter Zuhilfenahme von Unterarmstützkrücken möglich ist.

Aus der Befundlage sind diese Funktionsbehinderungen nicht ableitbar.

Im Bereich der Wirbelsäule fand sich eine mittelgradige Abnützung insbesondere der Lendenwirbelsäule bei Fehlen von Lähmungserscheinungen. Die Gelenke der oberen Extremität waren frei beweglich, Kraft-Koordination der oberen Extremität uneingeschränkt.

In beiden Kniegelenken fand sich eine endlagige Einschränkung des Bewegungsumfanges, rechts war die Gelenkkontur plump.

Rumpfstabilität, Bewegungsumfang der großen Gelenke sind ausreichend öffentliche Verkehrsmittel zu benützen.

Aus orthopädischer Sicht keine Änderung der Beurteilung.“

2.       Mit Bescheid vom 27.05.2021 wies die belangte Behörde den Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ in den Behindertenpass ab. Begründend wurde ausgeführt, dass die ärztliche Begutachtung ergeben habe, dass die Voraussetzungen für die Zusatzeintragung nicht vorliegen würden.

3.       Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde und brachte unter Vorlage zweier neuer Befunde vor, das eingeholte Gutachten erschöpfe sich im Wesentlichen in der (unzutreffenden) Stellungnahme, dass die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel anhand der festgestellten Bewegungsumfänge möglich sei, treffe jedoch keine Aussage zu den damit verbundenen Schmerzzuständen. Beim Beschwerdeführer würden neben den hochgradigen Veränderungen der Lendenwirbelsäule eine schwere subluxierte Varusgonarthrose des linken Knies mit TEP-Indikation vorliegen, welche massive Schmerzen bereits bei kleinster Belastung verursache. Die Zurücklegung der Anmarschwege zu öffentlichen Verkehrsmitteln sei hierdurch in angemessener Zeit nicht möglich, da bereits nach 50-70 m aufgrund der auftretenden Schmerzen eine Sitzpause eingelegt werden müsse. Die Stehleistung sei schmerzbedingt ebenfalls auf maximal 5 Minuten eingeschränkt, sodass ein Transport in öffentlichen Verkehrsmitteln nur sitzend durchgeführt werden könnte. Weiters sei die Überwindung von Niveauunterschieden schmerzbedingt erschwert.

4.       Am 14.07.2021 langte die Beschwerde samt Fremdakt beim Bundesverwaltungsgericht ein.

5.       Dieses holte ein weiteres Sachverständigengutachten ein. Dr. XXXX , Facharzt für Unfallchirurgie, führt in seinem Gutachten vom 19.09.2021, basierend auf einer persönlichen Untersuchung des Beschwerdeführers aus:

„(…)

Vorgelegte, neue orthopädisch/unfallchirurgisch relevante Befunde:

Keine; im Akt: Abl. 26 (Röntgenbefund) und 27 (orthopäd. Befundbericht).

Relevante Anamnese:

2016 KTEP rechts

Zustand nach septischer Arthritis linke Schulter

Arthroskopie linkes Knie.

Jetzige Beschwerden: Das linke Knie macht immer mehr Beschwerden, die Beweglichkeit wird schlechter, beim Gehen ist es nicht stabil.

Es schmerzt auch der linke Fuß.

Ich muss schon nach kurzer Zeit Pause machen.

Stiegen steigen ist sehr schwer möglich.

Der geplante Eingriff 8/2021 ist wegen des Zuckers verschoben worden.‘

Medikation: Pantoprazol, Amlodibene, Ramipiril, Diclofenac, Metformin, Lilmedin

Sozialanamnese: verheiratet, zwei erwachsene Kinder; in Pension

Allgemeiner Status:

180 cm grosser und 180 kg schwerer Mann in gutem Allgemein- und sehr gutem Ernährungszustand.

Thorax symmetrisch. Abdomen adipös.

Relevanter Status:

Wirbelsäule im Lot. HWS in R 40-0-40, F 10-0-10, KJA 1 cm, Reklination 14 cm.

Normale Brustkyphose, BWS-drehung 20-0-25,

FKBA 20 cm, Seitneigung bis 10 cm ober Patella.

Obere Extremitäten:

Schultern in S rechts 40-0-170 zu links 30-0-130, F rechts 160-0-50 zu links 130-0-45, R rechts 80-0-80 zu links 45-0-45, Ellbögen 0-0-130, Handgelenke 50-0-50, Faustschluß beidseits möglich.

Nacken- und Kreuzgriff durchführbar.

Untere Extremitäten:

Hüftgelenke in S 0-0-100, F 25-0-15, R 25-0-10, Kniegelenke in S rechts 0-0-125 zu links 0-0-100, deutlich verdickt, deutlich medial aufklappbar, links nicht reizfrei.

Sprunggelenke 10-0-35 rechts zu 5-0-30; linker Fuß verdickt und im

Mittelfußbereich druckschmerzhaft.

Lasegue negativ.

Gangbild/MobiIität:

Gang in Strassenschuhen mit einer Unterarmstützkrücke linkshinkend, kleinerschrittig möglich. Zehenspitzen- und Fersenstand mit Anhalten rechts gut möglich, links erschwert.

Mitgebrachte Röntgenaufnahmen aus 2/2021 zeigen eine deformierende Gonarthrose links mit Teilverrenkung des Oberschenkels.

BEURTEILUNG

Ad1) Es liegen die Voraussetzungen für die Zusatzeintragung bezüglich der ÖVM vor.

Es besteht eine schwere Varusgonarthrose links mit Teilverrenkung im Gelenk bei fast als morbid zu bezeichnender Adipositas und einem Diabetes mellitus.

Derzeit besteht links auch ein Fußschmerz und eine Druckdolenz (keine Befunde) und eine deutliche Schwellung.

Als therapeutische Option gibt es prinzipiell eine Knieendoprothese links zu nennen, auch eine Gewichtsabnahme und eine Blutzuckereinstellung. Allerdings Ist die Operation aus diesen Gründen derzeit nicht möglich.

Ad2) 1) deformierende Gonarthrose links
2) Aufbraucherscheinungen der Wirbelsäule

3) Rotatorenmanschettendefektarthropathie linke Schulter, Zustand nach septischer Revision
3) Diabetes mellitus Typ Il
4) Hypertonie

Leiden 1 ist schwerwiegend und kann starke Schmerzen verursachen. Die übrigen Leiden können leichte, geringzeitig bis zu mittlere Schmerzen hervorrufen.

Ad3) Es bestehen keine erheblichen Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit.

Ad4) Es bestehen erhebliche Einschränkungen der Funktionen der unteren Extremitäten.

Nicht alle Gelenke sind stabil und ausreichend beweglich, ein relevantes Muskeldefizit findet sich zwar nicht, auch keine relevante peripherere Nervenschädigung. Es besteht aber eine deutliche Einschränkung des linken Kniegelenkes, auch eine geringe des rechten Kniegelenkes nach Endoprothetik.

Das vermehrte Gelenksspiel am linken Knie ist neu.

Ein relevantes sensomotorisches Defizit der Extremitäten ist weder klinisch erhebbar noch befundmäßig ableitbar, allerdings ergibt sich schon eine Wechselwirkung.

Ad5)    Es bestehen keine erheblichen Einschränkungen der Funktionen der oberen Extremitäten.

Ad6) Meines Erachtens ist die Gehstrecke eventuell erbringbar, bei der Bewältigung von Niveauunterschieden und dem Sitzplatzsuchen habe ich Zweifel.

Ad7) Die nachgereichten Berichte Abl. 26/27 dokumentieren dies.

Ad8) Die Zunahme der Fehlstellung links und die Teilverrenkung im linken Knie begründen eine andere Einschätzung.
Das linke Knie wäre derzeit mit 40% und schwer einzuschätzen.

Ad9)    Eine ärztliche Nachuntersuchung ist erforderlich, ich würde sie in zwei Jahren ansetzen.“

II.      Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1.       Feststellungen:

Der Beschwerdeführer ist am XXXX geboren, besitzt die österreichische Staatsbürgerschaft und hat seinen Wohnsitz im Inland.

Der Beschwerdeführer begehrte am 28.01.2021 bei der belangten Behörde einlangend die Ausstellung eines Behindertenpasses, die Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung“ sowie die Ausstellung eines Ausweises gem. § 29b StVO.

Seit 28.01.2021 liegt beim Beschwerdeführer ein Gesamtgrad der Behinderung von 50% vor.

Beim Beschwerdeführer liegen folgende Funktionseinschränkungen, die voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden, vor:

Lfd. Nr.

 

1

deformierende Gonarthrose links 

2

Aufbraucherscheinungen der Wirbelsäule

3

Rotatorenmanschettendefektarthropathie linke Schulter, Zustand nach septischer Revision

4

Diabetes mellitus Typ Il

5

Hypertonie

Hinsichtlich der beim Beschwerdeführer festgestellten Gesundheitsschädigungen, ihrer Art und Schwere sowie ihrer Auswirkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel werden die diesbezüglichen Beurteilungen aus dem Gutachten vom 19.09.2021 eines Facharztes für Unfallchirurgie der nunmehrigen Entscheidung zugrunde gelegt.

Zu den Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel: Mag auch eine Gehstrecke von 300 – 400 Meter eventuell erbringbar sein, so lässt sich aus den aktuellen Untersuchungsergebnissen jedenfalls eine maßgebliche Einschränkung der Funktionen der unteren Extremitäten ableiten, welche das Bewältigen von Niveauunterschieden und die Sitzplatzsuche erheblich erschweren würde. Nicht alle Gelenke sind stabil und ausreichend beweglich, ein relevantes Muskeldefizit findet sich zwar nicht, auch keine relevante periphere Nervenschädigung, es besteht aber eine deutliche Einschränkung des linken Kniegelenkes, auch eine geringe des rechten Kniegelenkes nach Endoprothetik. Neu ist das vermehrte Gelenksspiel am linken Knie. Wenngleich ein relevantes sensomotorisches Defizit der Extremitäten weder klinisch erhebbar noch befundmäßig ableitbar ist, so ergibt sich eine Wechselwirkung. Darüber hinaus ist Leiden 1, deformierende Gonarthrose links, schwerwiegend und kann starke Schmerzen verursachen. Die übrigen Leiden können leichte, geringzeitig bis zu mittlere Schmerzen hervorrufen.

Die festgestellten Funktionseinschränkungen des Bewegungsapparates wirken sich in erheblichem Ausmaß negativ auf die Benutzung der öffentlichen Verkehrsmittel aus, da der Beschwerdeführer nicht in der Lage ist, in öffentliche Verkehrsmittel einzusteigen bzw. darin einen Sitzplatz zu suchen.

Als therapeutische Option ist zwar prinzipiell eine Knieendoprothese links zu nennen, auch eine Gewichtsabnahme und eine Blutzuckereinstellung, allerdings ist die Operation aus diesen Gründen derzeit nicht möglich, weshalb eine Nachuntersuchung in zwei Jahren anzusetzen ist.

Dem Beschwerdeführer ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel derzeit nicht zumutbar.

2.       Beweiswürdigung:

Die Feststellungen zu den allgemeinen Voraussetzungen, dem Wohnsitz des Beschwerdeführers im Inland und zum Grad der Behinderung ergeben sich aus dem diesbezüglich unbedenklichen, widerspruchsfreien und unbestrittenen Akteninhalt.

Die Feststellungen zu Art, Ausmaß und Auswirkungen der Funktionseinschränkungen auf die Zumutbarkeit zur Benützung öffentlicher Verkehrsmittel gründen sich – in freier Beweiswürdigung – in nachstehend ausgeführtem Umfang auf die vorgelegten und eingeholten Beweismittel:

Das vom Bundesverwaltungsgericht eingeholte Sachverständigengutachten eines Facharztes für Unfallchirurgie vom 19.09.2021, basierend auf einer persönlichen Untersuchung des Beschwerdeführers am 15.09.2021, ist hinsichtlich der Diagnosen und deren Auswirkungen auf die Fortbewegungsmöglichkeit des Beschwerdeführers vollständig, schlüssig, nachvollziehbar und frei von Widersprüchen. Es wurde auf die Art der Leiden und deren Ausmaß ausführlich eingegangen. Hinsichtlich der Beurteilung der Möglichkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel kann dem Sachverständigengutachten voll inhaltlich gefolgt werden.

Hinsichtlich des linken Knies legte der Beschwerdeführer den Patientenbrief von Dr. XXXX vom 14.06.2021 vor, wonach bei einem Zustand nach Re-ASK rechts (6/14 und 1992), eine schwere subluxierte Varusgonarthrose links mit TEP-Indikation, dtl. FP-Arthrose re., Z.n. Knie-TEP rechts (Evolution, 6/2016), chron. Lumbalsyndrom, schwere Osteochondrose L4-S1, DM Typ II, besteht. Weiters legte er ein Röntgen vom 31.05.2021 betreffend LWS a.p. und seitlich, Beckenübersicht a.p. im Stehen im Raster, sowie beide Knie a.p. und seitlich, vor.

Diese Befunde bilden – neben der persönlichen Untersuchung des Beschwerdeführers am 15.09.2021 – die Grundlage für das medizinische Sachverständigengutachten vom 19.09.2021. Darin führt der medizinische Sachverständige aus, dass die Voraussetzungen für die Zusatzeintragung vorliegen, da eine schwere Varusgonarthrose links mit Teilverrenkung im Gelenk bei fast als morbid zu bezeichnender Adipositas und einem Diabetes mellitus besteht. Auch besteht derzeit links ein Fußschmerz und eine Druckdolenz, wenngleich hierzu keine Befunde vorliegen würden, sowie eine deutliche Schwellung.

Dieses Leiden (Leiden 1) ist schwerwiegend und kann starke Schmerzen verursachen. Daraus folgernd wies der medizinische Sachverständige darauf hin, dass beim Beschwerdeführer jedenfalls das sichere Ein- und Aussteigen und der sichere Transport nicht gewährleistet sind.

Wenngleich als therapeutische Option prinzipiell eine Knieendoprothese links zu nennen ist, ebenso wie eine Gewichtsabnahme und eine Blutzuckereinstellung, so ist die Operation aus diesen Gründen derzeit nicht möglich. Es ist nicht ausgeschlossen, dass die Mobilität des Beschwerdeführers bei Ausnutzung der Therapieoptionen, nach etwa zwei Jahren wiederhergestellt sein könnte. Es wäre sodann eine Nachuntersuchung vorzunehmen.

Die Angaben des Beschwerdeführers sind somit, auch in Verbindung mit dem Sachverständigenbeweis, geeignet, die angefochtene Beurteilung zu entkräften.

3.       Rechtliche Beurteilung:

Zuständigkeit und anzuwendendes Recht:

Gemäß § 6 des Bundesgesetzes über die Organisation des Bundesverwaltungsgerichtes (Bundesverwaltungsgerichtsgesetz – BVwGG), BGBl. I Nr. 10/2013 idgF, entscheidet das Bundesverwaltungsgericht durch Einzelrichter, sofern nicht in Bundes- oder Landesgesetzen die Entscheidung durch Senate vorgesehen ist.

Gemäß § 45 Abs. 3 BBG hat in Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen. Gegenständlich liegt somit Senatszuständigkeit vor.

Das Verfahren der Verwaltungsgerichte mit Ausnahme des Bundesfinanzgerichtes ist durch das Bundesgesetz über das Verfahren der Verwaltungsgerichte (Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz - VwGVG), BGBl. I Nr. 33/2013 idgF, geregelt (§ 1 leg.cit.). Gemäß § 58 Abs. 2 VwGVG bleiben entgegenstehende Bestimmungen, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Bundesgesetzes bereits kundgemacht wurden, in Kraft.

Gemäß § 17 VwGVG sind, soweit in diesem Bundesgesetz nicht anderes bestimmt ist, auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG die Bestimmungen des AVG mit Ausnahme der §§ 1 bis 5 sowie des IV. Teiles, die Bestimmungen der Bundesabgabenordnung (BAO), BGBl. Nr. 194/1961, des Agrarverfahrensgesetzes (AgrVG), BGBl. Nr. 173/1950, und des Dienstrechtsverfahrensgesetzes 1984 (DVG), BGBl. Nr. 29/1984, und im Übrigen jene verfahrensrechtlichen Bestimmungen in Bundes- oder Landesgesetzen sinngemäß anzuwenden, die die Behörde in dem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangegangenen Verfahren angewendet hat oder anzuwenden gehabt hätte.

Gemäß § 27 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, soweit nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben ist, den angefochtenen Bescheid auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und 4) oder auf Grund der Erklärung über den Umfang der Anfechtung (§ 9 Abs. 3) zu überprüfen.

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Verwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

Zu Spruchpunkt A)

Unter Behinderung im Sinne dieses Bundesgesetzes ist die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden körperlichen, geistigen oder psychischen Funktionsbeeinträchtigung oder Beeinträchtigung der Sinnesfunktionen zu verstehen, die geeignet ist, die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft zu erschweren. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von mehr als voraussichtlich sechs Monaten. (§ 1 Abs. 2 BBG)

Der Behindertenpass hat den Vornamen sowie den Familiennamen, das Geburtsdatum eine allfällige Versicherungsnummer und den festgestellten Grad der Behinderung oder der Minderung der Erwerbsfähigkeit zu enthalten und ist mit einem Lichtbild auszustatten. Zusätzliche Eintragungen, die dem Nachweis von Rechten und Vergünstigungen dienen, sind auf Antrag des behinderten Menschen zulässig. Die Eintragung ist vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen vorzunehmen. (§ 42 Abs. 1 BBG)

Der Behindertenpass ist unbefristet auszustellen, wenn keine Änderung in den Voraussetzungen zu erwarten ist. (§ 42 Abs. 2 BBG)

Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme einer Zusatzeintragung oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind unter Anschluß der erforderlichen Nachweise bei dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen einzubringen. (§ 45 Abs. 1 BBG)

Auf Antrag des Menschen mit Behinderung ist u.a. jedenfalls einzutragen:

3.       die Feststellung, dass dem Inhaber/der Inhaberin des Passes die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung nicht zumutbar ist; die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist insbesondere dann nicht zumutbar, wenn das 36. Lebensmonat vollendet ist und

-        erhebliche Einschränkungen der Funktionen der unteren Extremitäten oder

-        erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit oder

-        erhebliche Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Fähigkeiten, Funktionen oder

-        eine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems oder

-        eine hochgradige Sehbehinderung, Blindheit oder Taubblindheit nach § 1 Abs. 4 Z 1 lit. b oder d

vorliegen.

(§ 1 Abs. 4 Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen auszugsweise)

Grundlage für die Beurteilung, ob die Voraussetzungen für die in Abs. 4 genannten Eintragungen erfüllt sind, bildet ein Gutachten eines/einer ärztlichen Sachverständigen des Sozialministeriumservice. Soweit es zur ganzheitlichen Beurteilung der Funktionsbeeinträchtigungen erforderlich erscheint, können Experten/Expertinnen aus anderen Fachbereichen beigezogen werden. Bei der Ermittlung der Funktions-beeinträchtigungen sind alle zumutbaren therapeutischen Optionen, wechselseitigen Beeinflussungen und Kompensationsmöglichkeiten zu berücksichtigen.

(§ 1 Abs. 5 Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen)

In den Erläuterungen zur Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen BGBl. II 495/2013 wird Folgendes ausgeführt:

Zu § 1 Abs. 2 Z 3 (auszugsweise):

Mit der vorliegenden Verordnung sollen präzisere Kriterien für die Beurteilung der Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel festgelegt werden. Die durch die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes bisher entwickelten Grundsätze werden dabei berücksichtigt.

Grundsätzlich ist eine Beurteilung nur im Zuge einer Untersuchung des Antragstellers/der Antragstellerin möglich. Im Rahmen der Mitwirkungspflicht des Menschen mit Behinderung sind therapeutische Möglichkeiten zu berücksichtigen. Therapierefraktion – das heißt keine therapeutische Option ist mehr offen – ist in geeigneter Form nachzuweisen. Eine Bestätigung des Hausarztes/der Hausärztin ist nicht ausreichend.

Durch die Verwendung des Begriffes „dauerhafte Mobilitätseinschränkung“ hat schon der Gesetzgeber (StVO-Novelle) zum Ausdruck gebracht, dass es sich um eine Funktionsbeeinträchtigung handeln muss, die zumindest 6 Monate andauert. Dieser Zeitraum entspricht auch den grundsätzlichen Voraussetzungen für die Erlangung eines Behindertenpasses.

Die Begriffe „erheblich“ und „schwer“ werden bereits jetzt in der Einschätzungsverordnung je nach Funktionseinschränkung oder Erkrankungsbild verwendet und sind inhaltlich gleich bedeutend.

Nachfolgende Beispiele und medizinische Erläuterungen sollen besonders häufige, typische Fälle veranschaulichen und richtungsgebend für die ärztlichen Sachverständigen bei der einheitlichen Beurteilung seltener, untypischer ähnlich gelagerter Sachverhalte sein. Davon abweichende Einzelfälle sind denkbar und werden von den Sachverständigen bei der Beurteilung entsprechend zu begründen sein.

Unter erheblicher Einschränkung der Funktionen der unteren Extremitäten sind ungeachtet der Ursache eingeschränkte Gelenksfunktionen, Funktionseinschränkungen durch Erkrankungen von Knochen, Knorpeln, Sehnen, Bändern, Muskeln, Nerven, Gefäßen, durch Narbenzüge, Missbildungen und Traumen zu verstehen. Zusätzlich vorliegende Beeinträchtigungen der oberen Extremitäten und eingeschränkte Kompensations-möglichkeiten sind zu berücksichtigen. Eine erhebliche Funktionseinschränkung wird in der Regel ab einer Beinverkürzung von 8 cm vorliegen.

Erhebliche Einschränkungen der körperlichen Belastbarkeit betreffen vorrangig cardiopulmonale Funktionseinschränkungen. Bei den folgenden Einschränkungen liegt jedenfalls eine Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel vor:

-        arterielle Verschlusskrankheit ab II/B nach Fontaine bei fehlender therapeutischer Option

-        Herzinsuffizienz mit hochgradigen Dekompensationszeichen

-        hochgradige Rechtsherzinsuffizienz

-        Lungengerüsterkrankungen unter Langzeitsauerstofftherapie

-        COPD IV mit Langzeitsauerstofftherapie

-        Emphysem mit Langzeitsauerstofftherapie

-        mobiles Gerät mit Flüssigsauerstoff muss nachweislich benützt werden

Erhebliche Einschränkungen psychischer, neurologischer oder intellektueller Funktionen umfassen im Hinblick auf eine Beurteilung der Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel folgende Krankheitsbilder:

-        Klaustrophobie, Soziophobie und phobische Angststörungen als Hauptdiagnose nach ICD 10 und nach Ausschöpfung des therapeutischen Angebotes und einer nachgewiesenen Behandlung von mindestens 1 Jahr

-        hochgradige Entwicklungsstörungen mit gravierenden Verhaltensauffälligkeiten

-        schwere kognitive Einschränkungen, die mit einer eingeschränkten Gefahreneinschätzung des öffentlichen Raumes einhergehen

-        nachweislich therapierefraktäres, schweres, cerebrales Anfallsleiden – Begleitperson ist erforderlich

Eine schwere anhaltende Erkrankung des Immunsystems, die eine Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel wegen signifikanter Infektanfälligkeit einschränkt, liegt vor bei:

-        anlagebedingten, schweren Erkrankungen des Immunsystems (SCID – sever combined immundeficiency),

-        schweren, hämatologischen Erkrankungen mit dauerhaftem, hochgradigem Immundefizit (z.B: akute Leukämie bei Kindern im 2. Halbjahr der Behandlungsphase, Nachuntersuchung nach Ende der Therapie),

-        fortgeschrittenen Infektionskrankheiten mit dauerhaftem, hochgradigem Immundefizit,

-        selten auftretenden chronischen Abstoßungsreaktion nach Nierentransplantationen, die zu zusätzlichem Immunglobulinverlust führen.

Bei Chemo- und/oder Strahlentherapien im Rahmen der Behandlung onkologischer Erkrankungen, kommt es im Zuge des zyklenhaften Therapieverlaufes zu tageweisem Absinken der Abwehrkraft. Eine anhaltende Funktionseinschränkung resultiert daraus nicht.

Um die Frage der Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel beurteilen zu können, hat die Behörde zu ermitteln, ob der Antragsteller dauernd an seiner Gesundheit geschädigt ist und wie sich diese Gesundheitsschädigung nach ihrer Art und ihrer Schwere auf die Zumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auswirkt. Sofern nicht die Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel auf Grund der Art und der Schwere der Gesundheitsschädigung auf der Hand liegt, bedarf es in einem Verfahren über einen Antrag auf Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung" regelmäßig eines ärztlichen Sachverständigengutachtens, in dem die dauernde Gesundheitsschädigung und ihre Auswirkungen auf die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel in nachvollziehbarer Weise dargestellt werden. Nur dadurch wird die Behörde in die Lage versetzt, zu beurteilen, ob dem Betreffenden die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauernder Gesundheitsschädigung unzumutbar ist (vgl. VwGH vom 23.05.2012, Zl. 2008/11/0128, und die dort angeführte Vorjudikatur sowie vom 22. Oktober 2002, Zl. 2001/11/0242, vom 27.01.2015, Zl. 2012/11/0186).

Nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zu dieser Zusatzeintragung ist die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel dann unzumutbar, wenn eine kurze Wegstrecke nicht aus eigener Kraft und ohne fremde Hilfe, allenfalls unter Verwendung zweckmäßiger Behelfe ohne Unterbrechung zurückgelegt werden kann oder wenn die Verwendung der erforderlichen Behelfe die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel in hohem Maße erschwert. Die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel ist auch dann nicht zumutbar, wenn sich die dauernde Gesundheitsschädigung auf die Möglichkeit des Ein- und Aussteigens und die sichere Beförderung in einem öffentlichen Verkehrsmittel unter Berücksichtigung der beim üblichen Betrieb dieser Verkehrsmittel gegebenen Bedingungen auswirkt (VwGH 22.10.2002, 2001/11/0242).

Betreffend das Kalkül „kurze Wegstrecke“ wird angemerkt, dass der Verwaltungsgerichtshof von einer unter Zugrundelegung städtischer Verhältnisse durchschnittlich gegebenen Entfernung zum nächsten öffentlichen Verkehrsmittel von 300 - 400 m ausgeht (vgl. u.a. VwGH 27.05.2014, Ro 2014/11/0013).

Zu prüfen ist die konkrete Fähigkeit öffentliche Verkehrsmittel zu benützen. Zu berücksichtigen sind insbesondere zu überwindende Niveauunterschiede beim Aus- und Einsteigen, Schwierigkeiten beim Stehen, bei der Sitzplatzsuche, bei notwendig werdender Fortbewegung im Verkehrsmittel während der Fahrt. (VwGH 22.10.2002, Zl. 2001/11/0242; 14.05.2009, 2007/11/0080)

Mit dem Vorliegen der beim Beschwerdeführer objektivierten aktuellen Funktionsbeeinträchtigungen vermag dieser, wie in seiner Beschwerde richtig angeführt und wie durch das vom Bundesverwaltungsgericht eingeholte Sachverständigengutachten eines Facharztes für Unfallchirurgie vom 19.09.2021 bestätigt, die Überschreitung der Schwelle der Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel im Sinne der Bestimmung des § 1 Abs. 4 Z 3 der Verordnung über die Ausstellung von Behindertenpässen und von Parkausweisen darzutun.

Da festgestellt worden ist, dass die dauernden Gesundheitsschädigungen ein Ausmaß erreichen, welches die Vornahme der Zusatzeintragung „Unzumutbarkeit der Benützung öffentlicher Verkehrsmittel wegen dauerhafter Mobilitätseinschränkung aufgrund einer Behinderung" in den Behindertenpass rechtfertigt, war spruchgemäß zu entscheiden und der angefochtene Bescheid ersatzlos zu beheben.

Die belangte Behörde wird dem Beschwerdeführer einen neuen Behindertenpass mit der beantragten Zusatzeintragung auszustellen haben.

Ein Behindertenpass ist nach § 42 Abs. 2 BBG nur dann unbefristet auszustellen, wenn keine Verbesserung des Leidenszustandes zu erwarten ist. Nachdem im Fall des Beschwerdeführers zwar grundsätzlich mit einer Knieendoprothese links, auch einer Gewichtsabnahme und einer Blutzuckereinstellung, eine wesentliche Verbesserung des Zustandes und der Mobilität bei Ausnützung aller Therapieoptionen zu erwarten sein würde, eine Operation derzeit aber nicht möglich ist, wird dieser Behindertenpass befristet bis zum 31.12.2023 auszustellen sein.

Zum Entfall einer mündlichen Verhandlung

Das Verwaltungsgericht hat auf Antrag, oder wenn es dies für erforderlich hält, von Amts wegen eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen (§ 24 Abs. 1 VwGVG).

Die Verhandlung kann entfallen, wenn der das vorangegangene Verwaltungsverfahren einleitende Antrag der Partei oder die Beschwerde zurückzuweisen ist oder bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben, die angefochtene Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt oder die angefochtene Weisung für rechtswidrig zu erklären ist oder die Säumnisbeschwerde zurückzuweisen oder abzuweisen ist (§ 24 Abs. 1 VwGVG).

Gemäß § 24 Abs. 3 VwGVG hat der Beschwerdeführer die Durchführung einer Verhandlung in der Beschwerde oder im Vorlageantrag zu beantragen. Den sonstigen Parteien ist Gelegenheit zu geben, binnen angemessener, zwei Wochen nicht übersteigender Frist einen Antrag auf Durchführung einer Verhandlung zu stellen. Ein Antrag auf Durchführung einer Verhandlung kann nur mit Zustimmung der anderen Parteien zurückgezogen werden.

Nach § 24 Abs. 4 VwGVG kann, soweit durch Bundes- oder Landesgesetz nicht anderes bestimmt ist, das Verwaltungsgericht ungeachtet eines Parteiantrags von einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (MRK), BGBl. Nr. 210/1958, noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRC), ABl. Nr. C 83 vom 30.03.2010 S. 389 entgegenstehen. Eine Verhandlung ist demnach in jenen Fällen durchzuführen, wenn ‚civil rights‘ oder ‚strafrechtliche Anklagen‘ iSd Art. 6 MRK oder die Möglichkeit der Verletzung einer Person eingeräumter Unionsrechte betroffen sind und eine inhaltliche Entscheidung in der Sache selbst getroffen wird (VwGH 9.9.2014, Ro 2014/09/0049).

Weiters kann das Verwaltungsgericht gemäß § 24 Abs. 5 VwGVG von der Durchführung (Fortsetzung) einer Verhandlung absehen, wenn die Parteien ausdrücklich darauf verzichten. Ein solcher Verzicht kann bis zum Beginn der (fortgesetzten) Verhandlung erklärt werden.

Der EGMR hat in seinen Entscheidungen vom 10. Mai 2007, Nr. 7401/04 (Hofbauer/Österreich Nr. 2), und vom 3. Mai 2007, Nr. 17.912/05 (Bösch/Österreich), unter Hinweis auf seine frühere Rechtsprechung dargelegt, dass der Beschwerdeführer grundsätzlich ein Recht auf eine mündliche Verhandlung vor einem Tribunal hat, außer es lägen außergewöhnliche Umstände vor, die eine Ausnahme davon rechtfertigten.

Der EGMR hat das Vorliegen solcher außergewöhnlichen Umstände angenommen, wenn das Verfahren ausschließlich rechtliche oder "hoch-technische" Fragen ("exclusively legal or highly technical questions") betrifft. Der Gerichtshof verwies im Zusammenhang mit Verfahren betreffend ziemlich technische Angelegenheiten ("rather technical nature of disputes") auch auf das Bedürfnis der nationalen Behörden nach zweckmäßiger und wirtschaftlicher Vorgangsweise, das angesichts der sonstigen Umstände des Falles zum Absehen von einer mündlichen Verhandlung berechtige (VwGH 03.10.2013, Zl. 2012/06/0221).

In seinem Urteil vom 18. Juli 2013, Nr. 56.422/09 (Schädler-Eberle/Liechtenstein) hat der EGMR in Weiterführung seiner bisherigen Judikatur dargelegt, dass es Verfahren geben würde, in denen eine Verhandlung nicht geboten sei, etwa wenn keine Fragen der Beweiswürdigung auftreten würden oder die Tatsachenfeststellungen nicht bestritten seien, sodass eine Verhandlung nicht notwendig sei und das Gericht auf Grund des schriftlichen Vorbringens und der schriftlichen Unterlagen entscheiden könne (VwGH 03.10.2013, Zl. 2012/06/0221).

Im gegenständlichen Fall bildet die Grundlage für die Beurteilung, ob dem Beschwerdeführer die Benützung öffentlicher Verkehrsmittel zumutbar ist, das Gutachten vom 19.09.2021 eines medizinischen Sachverständigen. Zur Klärung des Sachverhaltes wurde daher ein ärztliches Sachverständigengutachten eingeholt. Wie oben bereits ausgeführt, wurde dieses als nachvollziehbar, vollständig und schlüssig erachtet. Sohin erscheint der Sachverhalt geklärt und konnte die Durchführung einer mündlichen Verhandlung unterbleiben.

Zu Spruchpunkt B) Unzulässigkeit der Revision

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Vielmehr hängt die Entscheidung von Tatsachenfragen ab. Maßgebend sind die Art des Leidens und das festgestellte Ausmaß der Funktionsbeeinträchtigung.

Es handelt sich um eine einzelfallbezogene Beurteilung, welche im Rahmen der von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze vorgenommen wurde.

Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf eine ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen.

Schlagworte

Befristung Behindertenpass Sachverständigengutachten Unzumutbarkeit Zusatzeintragung

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W217.2244351.1.00

Im RIS seit

04.11.2021

Zuletzt aktualisiert am

04.11.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
Zurück Haftungsausschluss Vernetzungsmöglichkeiten

Sofortabfrage ohne Anmeldung!

Jetzt Abfrage starten