TE Vwgh Erkenntnis 1996/12/17 96/05/0202

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Veröffentlicht am 17.12.1996
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Index

L37153 Anliegerbeitrag Aufschließungsbeitrag Interessentenbeitrag
Niederösterreich;
L81703 Baulärm Umgebungslärm Niederösterreich;
L82003 Bauordnung Niederösterreich;

Norm

BauO NÖ 1976 §21 Abs4;
BauO NÖ 1976 §4;

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Degischer und die Hofräte Dr. Giendl, Dr. Kail, Dr. Pallitsch und Dr. Bernegger als Richter, im Beisein der Schriftführerin Oberkommissärin Dr. Gritsch, über die Beschwerde der H in T, vertreten durch Dr. P, Rechtsanwalt in S, gegen den Bescheid der Niederösterreichischen Landesregierung vom 24. Juni 1996, Zl. R/1-V-95213/00, betreffend Einwendungen gegen ein Bauvorhaben (mitbeteiligte Parteien: 1. Marktgemeinde T, vertreten durch Dr. P, Rechtsanwalt in B, 2. Herbert B, 3. Renate B, beide in T), zu Recht erkannt:

Spruch

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

Die Beschwerdeführerin hat dem Land Niederösterreich Aufwendungen in der Höhe von S 4.565,-- und der erstmitbeteiligten Gemeinde Aufwendungen in der Höhe von S 12.500,-- jeweils binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

Mit Eingabe vom 27. Juli 1994 beantragten die zweit- und drittmitbeteiligten Bauwerber die Errichtung eines Mehrfamilienwohnhauses auf dem Grundstück Nr. 1019/7 der KG T. Das zu bebauende Grundstück grenzt im Norden an die öffentliche Verkehrsfläche S-Straße und im Osten an das Grundstück Nr. 1019/1 der Beschwerdeführerin über eine Länge von rund 30,90 m. An der Nordseite ist das zu bebauende Grundstück 20 m, im Süden 21 m breit. Plangemäß soll ein Mehrfamilienwohnhaus mit rund 16,50 m Länge und 11,50 m Breite in gekuppelter Bauweise derart errichtet werden, daß an das bestehende Gebäude auf dem Grundstück der Beschwerdeführerin und an die Grenze zur öffentlichen Verkehrsfläche hin angebaut wird. Das bestehende Gebäude auf dem Grundstück der Beschwerdeführerin ist über rund 9,50 m an die gemeinsame Grundstücksgrenze angebaut, sodaß das beschwerdegegenständliche Gebäude rund 2 m weiter südlich als das bestehende Gebäude der Beschwerdeführerin an die gemeinsame Grundstücksgrenze angebaut werden soll.

Nach dem bestehenden Flächenwidmungs- und Bebauungsplan der erstmitbeteiligten Gemeinde vom 16. Februar 1993 liegen die vorerwähnten Grundstücke im Bauland-Kerngebiet, Bauklasse I. Die Bebauungsdichte ist mit 35 % vorgeschrieben, die Bebauungsweise entweder offen oder gekuppelt. Zur öffentlichen Verkehrsfläche S-Straße im Norden besteht die Pflicht zum Anbau an die Straßenfluchtlinie. Die südliche Grundstücksgrenze ist gleichzeitig die Abgrenzung der Baulandfläche mit derselben Bebauungsweise, -höhe und -dichte.

In der mündlichen Verhandlung vom 14. November 1994 wendete die Beschwerdeführerin - soweit für das Beschwerdeverfahren entscheidungswesentlich - ein, "durch den Umstand, daß das Projekt über die Bebauungsbreite des Hauses S-Straße 12 hinausragt, kommt es bei Bauführung auf der Liegenschaft H zu einer Beeinträchtigung des Lichteinfalles zumindest auf der Terrasse. Selbst bei Annahme der Zulässigkeit einer gekuppelten Bauweise wird durch das Projekt im Bereich der Terrasse der gesetzliche Bauwich bzw. auch die gesetzlich zulässige Bebauungshöhe verletzt".

Mit Bescheid des Bürgermeisters der erstmitbeteiligten Gemeinde vom 27. Juli 1995 wurde den mitbeteiligten Bauwerbern die baubehördliche Bewilligung zur Errichtung eines Mehrfamilienwohnhauses und die Abtragung des bestehenden Wohnhauses auf ihrem Grundstück Nr. 1019/7, S-Straße 10, unter Auflagen erteilt. Die Beschwerdeführerin wurde mit ihren Einwendungen teilweise auf den Zivilrechtsweg verwiesen, teilweise wurden ihre Einwendungen zurück- bzw. abgewiesen. Da das Gebäude der Beschwerdeführerin unmittelbar an der Grundstücksgrenze stehe und somit das Wahlrecht zwischen offener und gekuppelter Verbauung bereits verbraucht sei, sei eine Bebauung des Grundstückes der mitbeteiligten Bauwerber nur in gekuppelter Bauweise möglich und planlich auch vorgesehen.

§ 47 der NÖ Bauordnung diene nur der Sicherung einer ausreichenden Belichtung der neu zu schaffenden Räume; gleiches gelte für die Sollvorschriften des § 54 Abs. 4 der NÖ Bauordnung. Die Vorschriften der NÖ Bauordnung betreffend Lichteinfall gewährten sohin keine subjektiv-öffentlichen Rechte der Anrainer.

Die dagegen erhobene Berufung der Beschwerdeführerin wurde mit Bescheid des Gemeinderates der mitbeteiligten Gemeinde vom 26. September 1995 abgewiesen. Im Bebauungsplan seien weder seitliche, hintere oder innere Baufluchtlinien festgelegt. Demnach betrage der Bauwich jeweils die Hälfte der Gebäudehöhe, mindestens aber 3 m. In der gekuppelten Bebauungsweise könne dies daher nur für den seitlichen Bauwich, welcher an der Grundgrenze liege, an die nicht gekuppelt werde, sowie für den hinteren Bauwich gelten. Es würde dem Sinn der gekuppelten Bauweise widersprechen, an jener Grundstücksgrenze, an der gekuppelt werden müsse, einen seitlichen Bauwich festzulegen. Hätte der Verordnungsgeber die Absicht gehabt, Teile der seitlichen Grundstücksgrenze zwischen den Grundstücken Nr. 1019/7 und Nr. 1019/1 nicht bebauen zu lassen, hätte er dies mit einer seitlichen oder hinteren Baufluchtlinie kennzeichnen müssen. Da dies nicht der Fall sei, dürften beide Grundstücke an der gemeinsamen Grenze fast zur Gänze (mit Ausnahme eines 3 m breiten Streifens im Bereich des hinteren Bauwichs) bebaut werden, sofern die Bebauungshöhe bzw. Bebauungsdichte nicht überschritten werde.

Mit Bescheid der Niederösterreichischen Landesregierung vom 24. Juni 1996 wurde die dagegen erhobene Vorstellung der Beschwerdeführerin als unbegründet abgewiesen. Auf dem an das zu bebauende Grundstück westlich angrenzenden Grundstück Nr. 1019/5 sei bereits die offene, auf dem Grundstück der Bauwerber hingegen die gekuppelte Bauweise zum Grundstück der Bauwerber verwirklicht. Für das Grundstück der mitbeteiligten Bauwerber sei eben durch den angrenzenden Baubestand nur mehr die Anbaupflicht zum Grundstück Nr. 1019/1 offen. Eine Tiefenbeschränkung der bebaubaren Fläche durch Eintragung einer hinteren Baufluchtlinie fehle im Bebauungsplan. Eine Einschränkung erfahre die Bebaubarkeit des Grundstückes nur durch die Festlegung der Bebauungsdichte. Innerhalb dieser vorgegebenen Schranken könne eine begehrte Baubewilligung aber nicht versagt werden.

Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde. Die Beschwerdeführerin erachtet sich durch den angefochtenen Bescheid offenkundig in dem Recht auf Nichtbewilligung des gegenständlichen Bauvorhabens verletzt. Das Bauvorhaben greife in ihre subjektiven öffentlichen Rechte ein, da die gesamte Grundfläche mit Ausnahme eines 3 m Abstandes von der hinteren Grundstücksgrenze verbaut werden dürfte. Dies würde bedeuten, daß mangels Anordnung einer hinteren Baufluchtlinie im Bebauungsplan mit Ausnahme der Beschränkung durch die Bebauungsdichte das Grundstück von "vorne bis hinten" verbaut werden könne. Damit würden aber die Regeln der NÖ Bauordnung über die Einhaltung von Abstandsvorschriften ad absurdum geführt werden.

Die belangte Behörde legte die Akten des Verwaltungsverfahrens vor und erstattete, ebenso wie die mitbeteiligte Gemeinde, eine Gegenschrift mit dem Antrag, die Beschwerde kostenpflichtig abzuweisen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

Gemäß § 118 Abs. 9 der NÖ Bauordnung 1976 (BO) werden subjektiv-öffentliche Rechte der Anrainer durch jene Vorschriften begründet, welche nicht nur den öffentlichen Interessen dienen, sondern im Hinblick auf die räumliche Nähe auch dem Anrainer. Hiezu gehören u.a. insbesondere die Bestimmungen über

4. die Bebauungsweise, die Bebauungshöhe und die Abstände der Fluchtlinien zur Erzielung einer ausreichenden Belichtung.

Gemäß § 21 Abs. 4 BO beträgt, wenn im Bebauungsplan nicht durch eine Baufluchtlinie ein größerer seitlicher oder hinterer Bauwich festgelegt ist (§ 4 Abs. 2 Z. 3) und der hintere Bauwich auch nicht gemäß § 5 Abs. 7 aufgehoben ist, der Bauwich jeweils die Hälfte der Gebäudehöhe, mindestens aber 3 m. Ab der Bauklasse III und einer Gebäudelänge von 15 m beträgt der Bauwich die volle Gebäudehöhe. Sind zwei Bauklassen wahlweise festgelegt, dann gilt ab der Bauklasse III der seitliche und hintere Bauwich entsprechend der höheren Bauklasse.

Gemäß Abs. 7 dieses Paragraphen darf der Bauwerber ein Wahlrecht zwischen offener und gekuppelter Bebauungsweise nur unter Bedachtnahme auf die bereits bestehenden und bewilligten Gebäude ausüben, sofern das Wahlrecht nicht schon durch frühere Bauvorhaben verbraucht ist.

Gemäß Abs. 9 dieser Gesetzesstelle darf im Bauland u.a. mit der Nutzungsart Kerngebiet ein Gebäude im hinteren Bauwich errichtet werden, wenn keine hintere Baufluchtlinie festgelegt ist, die Voraussetzungen des Abs. 1 sowie des § 47 erfüllt sind, die Bebauungsdichte nicht überschritten und das Ortsbild nicht beeinträchtigt wird. Gemäß § 2 Z. 3 BO sind Baufluchtlinien die Abgrenzungen innerhalb eines Grundstückes, welche, unbeschadet der Bestimmungen des § 21 Abs. 8 und 11 sowie des § 23, bei einer Bebauung nicht überschritten werden dürfen. Demnach gibt es vordere, hintere, seitliche und innere Baufluchtlinien.

Gemäß § 2 Z. 8 BO ist der Bauwich der dem Gesetz entsprechende Mindestabstand eines Gebäudes zu den seitlichen und hinteren Grundstücksgrenzen.

Gemäß § 5 Abs. 2 Z. 2 liegt gekuppelte Bebauung vor, wenn die Gebäude auf je zwei Bauplätzen an derselben Grundstücksgrenze anzubauen sind und an allen anderen Grundstücksgrenzen ein Bauwich einzuhalten ist.

Der hier anzuwendende Bebauungsplan der mitbeteiligten Gemeinde sieht ein Wahlrecht des Bauwerbers zwischen offener und gekuppelter Bebauungsweise vor. Die belangte Behörde ist aufgrund der bestehenden und bewilligten Gebäude ohne Rechtsirrtum davon ausgegangen, daß das Wahlrecht der mitbeteiligten Bauwerber im gegenständlichen Fall gemäß § 21 Abs. 7 BO bereits verbraucht ist. Auch die Beschwerdeführerin geht vom Vorliegen einer gekuppelten Bebauungsweise für das hier zu beurteilende Bauvorhaben aus.

§ 21 Abs. 4 BO bestimmt, welche Mindestbreite ein Bauwich aufweisen muß, wenn nach der im Bebauungsplan festgesetzten Bauweise ein Bauwich einzuhalten ist (vgl. das hg. Erkenntnis vom 22. November 1971, Slg. Nr. 8.114/A). Wo ein Bauwich einzuhalten ist, ergibt sich aus der Festlegung der Bebauungsweise, eventuell auch von Baufluchtlinien, im Bebauungsplan (siehe hiezu die Erläuterungen zu § 21 Abs. 4, abgedruckt bei Hauer-Zaussinger, NÖ Bauordnung, 4. Auflage, Seite 148). § 21 Abs. 4 BO enthält die Regelung des Ausmaßes des Bauwichs. Bei gekuppelter Bauweise kommt ex definitione des § 5 Abs. 2 Z. 2 BO nur ein Bauwich an den Grundstücksgrenzen in Betracht, an welche nicht anzubauen ist. Sofern - wie im vorliegenden Fall - im Bebauungsplan nichts anderes angeordnet ist, beträgt demnach gemäß § 21 Abs. 4 BO der hintere Bauwich - vom Fall des § 5 Abs. 7 BO abgesehen - die Hälfte der Gebäudehöhe, mindestens aber 3 m (im Hinblick auf die bestehende Bauklasse I kommen die weiteren Bestimmungen des § 21 Abs. 4 BO im vorliegenden Fall nicht in Betracht). Im Hinblick auf die projektierte Gebäudehöhe des hier zu beurteilenden Bauvorhabens (unter 9 m) konnte die belangte Behörde ohne Rechtsirrtum davon ausgehen, daß der hintere Bauwich durch das gegenständliche Projekt jedenfalls eingehalten wird (zwischen südlicher Grundstücksgrenze und zu errichtendem Gebäude verbleiben mehr als 19 m). Daß die 35 %ige Bebauungsdichte eingehalten wird, wird nicht einmal von der Beschwerdeführerin angezweifelt und ist durch die im vorgelegten Verwaltungsakt ersichtlichen Urkunden als gegeben anzunehmen. Die Beschwerdeführerin wurde somit durch den angefochtenen Bescheid in dem vom Beschwerdepunkt umschriebenen subjektiv-öffentlichen Recht nicht verletzt; der Bescheid erweist sich somit frei von Rechtsirrtum.

Der Bebauungsplan der mitbeteiligten Gemeinde ist bezüglich der Anordnung der Bebauungsweisen und der Baufluchtlinien entgegen dem Beschwerdevorbringen auch nicht mangelhaft im Sinne einer behaupteten Gesetzwidrigkeit. Der Verwaltungsgerichtshof vermag nicht zu erkennen, inwiefern dieser Bebauungsplan in das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht der Beschwerdeführerin auf Gleichheit eingreifen sollte. Es besteht daher keine Veranlassung, diesen Bebauungsplan beim Verfassungsgerichtshof auf seine Gesetzmäßigkeit überprüfen zu lassen.

Die Beschwerde war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der Verordnung BGBl. Nr. 416/1994.

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:VWGH:1996:1996050202.X00

Im RIS seit

20.11.2000

Zuletzt aktualisiert am

08.08.2009
Quelle: Verwaltungsgerichtshof VwGH, http://www.vwgh.gv.at
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