TE Bvwg Erkenntnis 2021/10/18 W261 2246601-1

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Veröffentlicht am 18.10.2021
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Entscheidungsdatum

18.10.2021

Norm

BBG §40
BBG §41
BBG §43
BBG §45
B-VG Art133 Abs4

Spruch


W261 2246601-1/5E

IM NAMEN DER REPUBLIK!

Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die Richterin Mag.a Karin GASTINGER, MAS als Vorsitzende und die Richterin Mag.a Karin RETTENHABER-LAGLER sowie die fachkundige Laienrichterin Dr.in Christina MEIERSCHITZ als Beisitzerinnen über die Beschwerde von XXXX , geb. XXXX , gegen den Bescheid des Sozialministeriumservice, Landesstelle Wien, vom 30.08.2021, betreffend die Abweisung des Antrages auf Neufestsetzung des Grades der Behinderung im Behindertenpass zu Recht erkannt:

A)

Die Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen.

B)

Die Revision ist nicht zulässig.


Text


Entscheidungsgründe:

I.       Verfahrensgang:

1. Der Beschwerdeführer ist seit 30.03.2017 Inhaber eines Behindertenpasses mit einem Gesamtgrad der Behinderung von 60 von Hundert (v.H.). Der Beschwerdeführer leidet seit Kindheit an einem Poland-Syndrom, welches nach Position 02.02.03 eine Stufe über dem unteren Rahmensatz dieser Positionsnummer der Einschätzungsverordnung mit einem Grad der Behinderung von 60 v.H. eingestuft worden war.

2. Der Beschwerdeführer stellte am 27.05.2021 beim Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (auch Sozialministeriumservice, in der Folge belangte Behörde) einen Antrag auf Neufeststellung des Grades der Behinderung in seinem Behindertenpass und legte ein Konvolut an medizinische Befunden bei.

3. Die belangte Behörde holte zur Überprüfung des Antrages ein Sachverständigengutachten einer Fachärztin für Unfallchirurgie und Ärztin für Allgemeinmedizin ein. In dem auf Grundlage einer persönlichen Untersuchung des Beschwerdeführers am 12.07.2021 erstatteten Gutachten vom selben Tag stellte die medizinische Sachverständige beim Beschwerdeführer die Funktionseinschränkungen Poland-Syndrom, Position 02.02.03 mit einem Grad der Behinderung von 60 % und Überlastungssyndrom am linken Unterarm, Position 02.02.01 mit einem Grad der Behinderung von 10 %, und einen Gesamtgrad der Behinderung in Höhe von 60 von Hundert (in der Folge vH) fest.

4. Die belangte Behörde übermittelte dem Beschwerdeführer dieses Sachverständigengutachten mit Schreiben vom 13.07.2021 im Rahmen des Parteiengehörs und räumte diesem eine Frist zur Abgabe einer Stellungnahme ein. Der Beschwerdeführer gab keine Stellungnahme ab.

5. Mit Schreiben vom 18.07.2021 informierte die belangte Behörde den Beschwerdeführer darüber, dass der (neue) unbefristete Behindertenpass in Scheckkartenformat in den nächsten Tagen übermittelt werde.

6. Mit dem angefochtenen Bescheid vom 30.08.2021 wies die belangte Behörde den Antrag auf Neufestsetzung des Grades der Behinderung im Behindertenpass gemäß §§ 41, 43 und 45 Bundesbehindertengesetz (BBG) ab und stellte einen Grad der Behinderung in Höhe von 60 v.H. fest. Die belangte Behörde legte dem Bescheid das eingeholte Sachverständigengutachten in Kopie bei.

7. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer fristgerecht Beschwerde und brachte zusammengefasst vor, dass es laut dem mainzischen Sachverständigengutachten keinen Zusammenhang zwischen dem Poland-Syndrom und der Abnützung der linken Hand gebe. Dies stimme nicht, denn dadurch, dass der Beschwerdeführer in der rechten Hand eingeschränkt sei, müsse er die linke Hand vermehrt benützen, was zu den Einschränkungen geführt habe. Zudem sei sein rechter Arm verkürzt, was im Gutachten nicht erwähnt werde. Er habe bei der Untersuchung über Schmerzen im Knie geklagt, die Sachverständige habe gemeint, dass von den Bändern her alles in Ordnung sei. Da die Schmerzen nicht aufgehört hätten sei er zum Hausarzt gegangen, welcher ein Röntgen gemacht und festgestellt habe, dass der Beschwerdeführer an einer incipienten varus betonten Gonarthrose leide, wobei vermutet werde, dass der Zustand durch die vordere Kreuzbandplastik-OP entstanden sei. Der Beschwerdeführer legte der Beschwerde einen Röntgenbefund vom 23.08.2021 bei.

8. Die belangte Behörde legte den Aktenvorgang dem Bundesverwaltungsgericht mit Schreiben vom 21.09.2021 vor, wo dieser am selben Tag einlangte.

9. Das Bundesverwaltungsgericht führte am 22.09.2021 eine Abfrage im Zentralen Melderegister durch, wonach der Beschwerdeführer österreichischer Staatsbürger ist, und seinen ordentlichen Wohnsitz im Inland hat.

II.     Das Bundesverwaltungsgericht hat erwogen:

1.       Feststellungen:

Der Beschwerdeführer ist seit 30.03.2017 Inhaber eines Behindertenpasses mit einem Gesamtgrad der Behinderung von 60 v.H.

Der Antrag auf Ausstellung Neufeststellung des Grades der Behinderung im Behindertenpass langte am 27.05.2021 bei der belangten Behörde ein.

Der Beschwerdeführer erfüllt die allgemeinen Voraussetzungen für die Ausstellung eines Behindertenpasses. Der Beschwerdeführer hat seinen Wohnsitz im Inland.

Ausmaß der Funktionseinschränkungen:

Anamnese:

Letzte Begutachtung 22.05.2017: Poland-Syndrom GdB 60%; Ges. GdB 60%

Zwischenanamnese seit 2017:

6/2017 Leistenbruchoperation rechts

Derzeitige Beschwerden:

„Beschwerden habe ich im Bereich des Nackens, der Halswirbelsäule und Lendenwirbelsäule und im Bereich des linken Unterarms. Durch die vermehrte Belastung des linken Arms habe ich immer wieder eine Schwellung und Schmerzen im Bereich des linken Unterarms, Ergotherapie hilft nur kurz."

Behandlung(en) / Medikamente / Hilfsmittel:

Medikamente: Schmerzmittel gegen Kopfschmerzen bei Bedarf

Allergie: 0 Nikotin: 0 Hilfsmittel: 0

Laufende Therapie bei Hausarzt Dr. XXXX , 1210

Berufsanamnese: Lagerarbeiter, Vollzeit

Zusammenfassung relevanter Befunde (inkl. Datumsangabe):

Entlassungsbericht St. XXXX , am 24.03.2021

Chronisches Zervikalsyndrom bei Poland-Syndrom rechts ohne Gehbehelfe mobil. Das Gangbild harmonisch. Beschwerden wurden vom Patienten bei Aufnahme in Ruhe mit VAS 0 angegeben. Beschwerden gab der Patient bei länger dauernder Belastung sowie beim Aufstehen nach dem Sitzen im Bereich der LWS- sowie der HWS- Region mit VAS 4-5 an. Poland-Syndrom rechts, durch einseitige Belastung durch Muskelinbalance gegeben. Bei ebenfalls bestehender Fehlbildung der rechten Hand war hier die Funktion beim Entkleiden des Oberkörpers bzw. das Ausziehen der Jacke möglich. Einschränkung gab der Patienten vor allem bei Rotation im BWS-Bereich rechts an. Beschwerden werden noch im Bereich links gluteal sowie linkes Handgelenk mit VAS 3-4 angegeben.

Entlassungsbericht Chirurgische Abteilung 09.06.2017

Hernia inguinaiis lateralis dextra Transabdominale Endoskopische Präperitoneale Plastik.

Untersuchungsbefund:

Allgemeinzustand: gut, 36 Jahre.

Ernährungszustand: gut.

Größe: 185,00 cm Gewicht: 80,00 kg

Klinischer Status - Fachstatus:

Caput/Collum: klinisch unauffälliges Hör- und Sehvermögen, sichtbare Schleimhautpartien unauffällig, Pupillen rund, isocor. Halsvenen nicht gestaut.

Thorax: asymmetrisch, ventral im Seitenvergleich im oberen Drittel deutlich eingesunken, Clavikula symmetrisch. Atemexkursion seitengleich, VA. HAT rein, rhythmisch. Keine Dyspnoe, keine Zyanose. Abdomen: klinisch unauffällig, keine pathologischen Resistenzen tastbar. Integument: unauffällig.

Schultergürtel und beide oberen Extremitäten:

Rechtshänder. Der Schultergürtel steht rechts höher, Verschmächtigung der Bemuskelung des rechten Arms. Die Durchblutung ist ungestört, Radialispulse beidseits tastbar, die Sensibilität wird im linken Unterarm beugeseitig als gestört angegeben.

Schulter rechts: höherstehend, nicht verkürzt, nicht verbacken.

Ellbogen rechts: verschmächtigt, aber nicht verplumpt.

Handgelenk rechts verschmächtigt.

Hand rechts: Daumen zur Gänze erhalten, Beweglichkeit jedoch nur im Daumensattelgelenk möglich, die weiteren Gelenke in Streckstellung versteift. Mittelhandknochen 3 nicht angelegt, Mittelhandknochen 2 wurde nach lateral versetzt, Naben unauffällig, Zeigefinger und Mittelfinger fehlen. Ringfinger und Kleinfinger auf 1/3 der Länge gekürzt, Nagel zum Teil erhalten, geringgradige Bewegung im Grundgelenk möglich, sonst versteift. Sämtliche weiteren Gelenke sind bandfest und klinisch unauffällig.

Aktive Beweglichkeit: Schultern rechts endlagig eingeschränkt, links frei, Ellbogengelenke rechts endlagig eingeschränkt links frei, Unterarmdrehung rechts Pronation/Supination 10/0/30, links frei, Handgelenke rechts zur Hälfte eingeschränkt, links frei, Daumen und Langfinger rechts siehe oben, links frei. Grob- und Spitzgriff sind rechts nicht möglich, links durchführbar. Der Faustschluss ist rechts nicht möglich, links komplett, Fingerspreizen links unauffällig. Nacken- und Schürzengriff sind uneingeschränkt durchführbar.

Becken und beide unteren Extremitäten:

Freies Stehen sicher möglich, Zehenballengang und Fersengang beidseits ohne Anhalten und ohne Einsinken durchführbar. Der Einbeinstand ist ohne Anhalten möglich. Hocken ist möglich. Die Beinachse ist im Lot. Seitengleich mittelkräftig entwickelte Muskelverhältnisse. Beinlänge ident. Die Durchblutung ist ungestört, keine Ödeme, keine Varizen, die Sensibilität wird als ungestört angegeben. Die Beschwielung ist in etwa seitengleich.

Kniegelenk links: Narbe nach vorderer Kreuzbandplastik, Patella geringgradig verbacken, keine Krepitation, sonst unauffälliges Gelenk, keine vordere Instabilität.

Sämtliche weiteren Gelenke sind bandfest und klinisch unauffällig.

Aktive Beweglichkeit: Hüften frei, Knie beidseits frei, Sprunggelenke und Zehen sind seitengleich frei beweglich.

Das Abheben der gestreckten unteren Extremität ist beidseits bis 60° bei KG 5 möglich.

Wirbelsäule:

Schultergürtel rechts höherstehend, Becken steht horizontal, in etwa im Lot, großbogige Skoliose mit linkskonvexer Krümmung im Bereich von BWS und LWS und geringgradig ausgeprägtem langstreckigem Thoraxbuckel links. Mäßig Hartspann. Kein Klopfschmerz über der Wirbelsäule, ISG und Ischiadicusdruckpunkte sind frei.

Aktive Beweglichkeit:

HWS: in allen Ebenen endlagig eingeschränkt beweglich. BWS/LWS: FBA: 20 cm, in allen Ebenen endlagig eingeschränkt. Lasegue bds. negativ, geprüfte Muskeleigenreflexe seitengleich mittellebhaft auslösbar.

Gesamtmobilität - Gangbild:

Kommt selbständig gehend mit Halbschuhen ohne Hilfsmittel, das Gangbild hinkfrei und unauffällig. Bewegungsabläufe nicht eingeschränkt. Das Aus- und Ankleiden wird selbständig im Sitzen durchgeführt.

Status Psychicus:

Allseits orientiert; Merkfähigkeit, Konzentration und Antrieb unauffällig; Stimmungslage ausgeglichen.

Beim Beschwerdeführer bestehen folgende Funktionseinschränkungen, die voraussichtlich länger als sechs Monate andauern werden:

1.       Poland-Syndrom

2.       Überlastungssyndrom linker Unterarm

Der Gesamtgrad der Behinderung beträgt 60 v.H.

Leiden 1 wird durch Leiden nicht erhöht, da kein maßgebliches ungünstiges Zusammenwirken vorliegt.

Der Zustand nach Leistenbruchoperation rechts erreicht keinen Grad der Behinderung.

2.       Beweiswürdigung:

Die Feststellungen hinsichtlich der Antragsstellung basieren auf dem Akteninhalt.

Die Feststellungen zum Wohnsitz bzw. gewöhnlichen Aufenthalt des Beschwerdeführers im Inland basieren auf dem vom Bundesverwaltungsgericht eingeholten Auszug aus dem Zentralen Melderegister.

Der Gesamtgrad der Behinderung gründet sich auf das seitens der belangten Behörde eingeholte Sachverständigengutachten einer Fachärztin für Unfallchirurgie und Ärztin für Allgemeinmedizin vom 12.07.2021, basierend auf einer persönlichen Untersuchung des Beschwerdeführers am selben Tag.

Darin wird auf die Art der Leiden des Beschwerdeführers und deren Ausmaß vollständig, nachvollziehbar und widerspruchsfrei eingegangen. Die medizinische Gutachterin setzt sich auch umfassend und nachvollziehbar mit den vorgelegten Befunden sowie mit der Frage der wechselseitigen Leidensbeeinflussungen und dem Zusammenwirken der zu berücksichtigenden Gesundheitsschädigungen auseinander. Die getroffenen Einschätzungen, basierend auf den im Rahmen einer persönlichen Untersuchung erhobenen Befunden, entsprechen auch den festgestellten Funktionsbeeinträchtigungen; die Gesundheitsschädigungen sind nach der Einschätzungsverordnung richtig eingestuft.

Neu ist das Leiden 2 des Beschwerdeführers hinzugekommen, ein Überlastungssyndrom des linken Unterarms mit einem Grad der Behinderung von 10%. Es liegen bei diesem Leiden zwar belastungsabhängige Beschwerden vor, jedoch bestehen keine Einschränkungen des Bewegungsumfanges.

Der Beschwerdeführer rügt in seiner Beschwerde, dass dieses Leiden nicht bei Leiden 1 mitberücksichtigt wurde, weil es einen klaren Zusammenhang mit seiner Grunderkrankung, dem Poland-Syndrom gebe. Durch diese Erkrankung ist der Beschwerdeführer in seinen rechten oberen Extremitäten eingeschränkt, was zur Folge hat, dass die linke Hand dadurch mehr in Anspruch genommen wird, was zu dieser Überbeanspruchung der linken Hand geführt hat. Dazu ist festzuhalten, dass die medizinische Sachverständige dieses neue Leiden 2 feststellte, und damit auch dokumentiert ist, dass beim Beschwerdeführer eine Funktionseinschränkung der linken Hand besteht. Dies ist ein eigenes Leiden, welches richtig festgestellt und nach der Einschätzungsverordnung richtig eingeschätzt wurde. Es ist zwar richtig, dass die Beschwerden in der linken Hand eine Auswirkung der Grunderkrankung sind, jedoch verschlechtert dieses Leiden 2 im linken Unterarm das Poland-Syndrom, damit das Leiden 1 des Beschwerdeführers, nicht. Daher konnte diesem Argument nicht gefolgt werden.

Der Beschwerdeführer legte mit seiner Beschwerde einen Röntgenbefund vom 23.08.2021 vor, wonach bei ihm eine incipiente varus betonte Gonarthrose, dh eine beginnende Arthrose im linken Knie aufgrund einer Fehlstellung, festgestellt wird. Dieser Röntgenbefund steht nicht im Widerspruch mit dem von der medizinischen Sachverständigen erhobenen Befund vom 12.07.2021. Zum linken Knie stellte die medizinische Sachverständige fest, dass beim linken Knie eine Narbe nach vorderer Kreuzbandplastik zu sehen ist, die Patella ist geringgradig verbacken, es besteht keine Krepitation (das ist Knirschen im Knie). Sonst ist das Kniegelenk unauffällig, es besteht auch keine vordere Instabilität. Das Gangbild wird von der medizinischen Sachverständigen als hinkfrei und unauffällig beschrieben. Dies alles bestätigt, dass beim Beschwerdeführer derzeit keine Funktionseinschränkungen des linken Knies vorliegen, welche einen Grad der Behinderung erreichen. Dazu ist auch zu bemerken, dass in den im medizinischen Sachverständigengutachten angeführten Beschwerden die Schmerzen im Knie nicht erwähnt werden, dies bringt der Beschwerdeführer erstmals dokumentiert in der Beschwerde vor. Zudem gab der Beschwerdeführer bei der Untersuchung am 12.07.2021 an, dass er Schmerzmittel lediglich gelegentlich bei Kopfschmerzen nehme. Nachdem die Gonarthorse laut Befund vom 23.08.2021 als „incipient – dh beginnend“ – attestiert wird, steht damit auch fest, dass bisher keine maßgeblichen Funktionseinschränkungen im linken Knie verbunden sind. Daher kann diesem Vorbringen des Beschwerdeführers nicht gefolgt werden.

Der Beschwerdeführer ist damit den Ausführungen der medizinischen Sachverständigen nicht und damit insbesondere auch nicht auf gleicher fachlicher Ebene entgegengetreten, steht es dem Antragsteller, so er der Auffassung ist, dass seine Leiden nicht hinreichend berücksichtigt wurden, nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes doch frei, das im Auftrag der Behörde erstellte Gutachten durch die Beibringung eines Gegengutachtens eines Sachverständigen seiner Wahl zu entkräften (vgl. etwa VwGH 27.06.2000, 2000/11/0093).

Seitens des Bundesverwaltungsgericht bestehen folglich keine Zweifel an der Richtigkeit, Vollständigkeit, Widerspruchsfreiheit und Schlüssigkeit des vorliegenden Sachverständigengutachtens vom 12.07.2021. Es wird daher in freier Beweiswürdigung der gegenständlichen Entscheidung zu Grunde gelegt.

3.       Rechtliche Beurteilung:

Zu A)

1.       Zur Entscheidung in der Sache

Die gegenständlich maßgeblichen Bestimmungen des Bundesbehindertengesetzes (BBG) lauten:

„§ 40 (1) Behinderten Menschen mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt im Inland und einem Grad der Behinderung oder einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 50% ist auf Antrag vom Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen (§ 45) ein Behindertenpass auszustellen, wenn

1. ihr Grad der Behinderung (ihre Minderung der Erwerbsfähigkeit) nach bundesgesetzlichen Vorschriften durch Bescheid oder Urteil festgestellt ist oder

2.       sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften wegen Invalidität, Berufsunfähigkeit, Dienstunfähigkeit oder dauernder Erwerbsunfähigkeit Geldleistungen beziehen oder

3.       sie nach bundesgesetzlichen Vorschriften ein Pflegegeld, eine Pflegezulage, eine Blindenzulage oder eine gleichartige Leistung erhalten oder

5.       sie dem Personenkreis der begünstigten Behinderten im Sinne des Behinderteneinstellungsgesetzes, BGBl. Nr. 22/1970, angehören.

(2) Behinderten Menschen, die nicht dem im Abs. 1 angeführten Personenkreis angehören, ist ein Behindertenpaß auszustellen, wenn und insoweit das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen auf Grund von Vereinbarungen des Bundes mit dem jeweiligen Land oder auf Grund anderer Rechtsvorschriften hiezu ermächtigt ist.

§ 41 (1) Als Nachweis für das Vorliegen der im § 40 genannten Voraussetzungen gilt der letzte rechtskräftige Bescheid eines Rehabilitationsträgers (§ 3) oder ein rechtskräftiges Urteil eines Gerichtes nach dem Arbeits- und Sozialgerichtsgesetz, BGBl. Nr. 104/1985, ein rechtskräftiges Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes oder die Mitteilung über die Gewährung der erhöhten Familienbeihilfe gemäß § 8 Abs. 5 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967, BGBl. Nr. 376. Das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen hat den Grad der Behinderung nach der Einschätzungsverordnung (BGBl. II Nr. 261/2010) unter Mitwirkung von ärztlichen Sachverständigen einzuschätzen, wenn

1.       nach bundesgesetzlichen Vorschriften Leistungen wegen einer Behinderung erbracht werden und die hiefür maßgebenden Vorschriften keine Einschätzung vorsehen oder

2. zwei oder mehr Einschätzungen nach bundesgesetzlichen Vorschriften vorliegen und keine Gesamteinschätzung vorgenommen wurde oder

3.       ein Fall des § 40 Abs. 2 vorliegt.

(2) Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind ohne Durchführung eines Ermittlungsverfahrens zurückzuweisen, wenn seit der letzten rechtskräftigen Entscheidung noch kein Jahr vergangen ist. Dies gilt nicht, wenn eine offenkundige Änderung einer Funktionsbeeinträchtigung glaubhaft geltend gemacht wird.

§ 43 (1) Treten Änderungen ein, durch die behördliche Eintragungen im Behindertenpaß berührt werden, hat das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen diese zu berichtigen oder erforderlichenfalls einen neuen Behindertenpaß auszustellen. Bei Wegfall der Voraussetzungen ist der Behindertenpaß einzuziehen.

(2) Der Besitzer des Behindertenpasses ist verpflichtet, dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen binnen vier Wochen jede Änderung anzuzeigen, durch die behördliche Eintragungen im Behindertenpaß berührt werden, und über Aufforderung dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen den Behindertenpaß vorzulegen.

§ 45 (1) Anträge auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme einer Zusatzeintragung oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung sind unter Anschluss der erforderlichen Nachweise bei dem Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen einzubringen.

(2) Ein Bescheid ist nur dann zu erteilen, wenn einem Antrag gemäß Abs. 1 nicht stattgegeben, das Verfahren eingestellt (§ 41 Abs. 3) oder der Pass eingezogen wird. Dem ausgestellten Behindertenpass kommt Bescheidcharakter zu.

(3) In Verfahren auf Ausstellung eines Behindertenpasses, auf Vornahme von Zusatzeintragungen oder auf Einschätzung des Grades der Behinderung hat die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts durch den Senat zu erfolgen.

(4) Bei Senatsentscheidungen in Verfahren gemäß Abs. 3 hat eine Vertreterin oder ein Vertreter der Interessenvertretung der Menschen mit Behinderung als fachkundige Laienrichterin oder fachkundiger Laienrichter mitzuwirken. Die fachkundigen Laienrichterinnen oder Laienrichter (Ersatzmitglieder) haben für die jeweiligen Agenden die erforderliche Qualifikation (insbesondere Fachkunde im Bereich des Sozialrechts) aufzuweisen.

§ 46 Die Beschwerdefrist beträgt abweichend von den Vorschriften des Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetzes, BGBl. I Nr. 33/2013, sechs Wochen. Die Frist zur Erlassung der Beschwerdevorentscheidung beträgt 12 Wochen. In Beschwerdeverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht dürfen neue Tatsachen und Beweismittel nicht vorgebracht werden.“

Die maßgebenden Bestimmungen der Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz betreffend nähere Bestimmungen über die Feststellung des Grades der Behinderung (Einschätzungsverordnung, BGBl. II. Nr. 261/2010 idgF BGBl II. Nr. 251/2012) lauten auszugsweise wie folgt:

"Behinderung

§ 1 Unter Behinderung im Sinne dieser Verordnung ist die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden körperlichen, geistigen oder psychischen Funktionsbeeinträchtigung oder Beeinträchtigung der Sinnesfunktionen zu verstehen, die geeignet ist, die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft, insbesondere am allgemeinen Erwerbsleben, zu erschweren. Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von mehr als voraussichtlich sechs Monaten.

Grad der Behinderung

§ 2 (1) Die Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen sind als Grad der Behinderung zu beurteilen. Der Grad der Behinderung wird nach Art und Schwere der Funktionsbeeinträchtigung in festen Sätzen oder Rahmensätzen in der Anlage dieser Verordnung festgelegt. Die Anlage bildet einen Bestandteil dieser Verordnung.

(2) Bei Auswirkungen von Funktionsbeeinträchtigungen, die nicht in der Anlage angeführt sind, ist der Grad der Behinderung in Analogie zu vergleichbaren Funktionsbeeinträchtigungen festzulegen.

(3) Der Grad der Behinderung ist nach durch zehn teilbaren Hundertsätzen festzustellen. Ein um fünf geringerer Grad der Behinderung wird von ihnen mit umfasst. Das Ergebnis der Einschätzung innerhalb eines Rahmensatzes ist zu begründen.

Gesamtgrad der Behinderung

§ 3 (1) Eine Einschätzung des Gesamtgrades der Behinderung ist dann vorzunehmen, wenn mehrere Funktionsbeeinträchtigungen vorliegen. Bei der Ermittlung des Gesamtgrades der Behinderung sind die einzelnen Werte der Funktionsbeeinträchtigungen nicht zu addieren. Maßgebend sind die Auswirkungen der einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen zueinander.

(2) Bei der Ermittlung des Gesamtgrades der Behinderung ist zunächst von jener Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, für die der höchste Wert festgestellt wurde. In der Folge ist zu prüfen, ob und inwieweit dieser durch die weiteren Funktionsbeeinträchtigungen erhöht wird. Gesundheitsschädigungen mit einem Ausmaß von weniger als 20 v.H. sind außer Betracht zu lassen, sofern eine solche Gesundheitsschädigung im Zusammenwirken mit einer anderen Gesundheitsschädigung keine wesentliche Funktionsbeeinträchtigung verursacht. Bei Überschneidungen von Funktionsbeeinträchtigungen ist grundsätzlich vom höheren Grad der Behinderung auszugehen.

(3) Eine wechselseitige Beeinflussung der Funktionsbeeinträchtigungen, die geeignet ist, eine Erhöhung des Grades der Behinderung zu bewirken, liegt vor, wenn

-        sich eine Funktionsbeeinträchtigung auf eine andere besonders nachteilig auswirkt,

-        zwei oder mehrere Funktionsbeeinträchtigungen vorliegen, die gemeinsam zu einer wesentlichen Funktionsbeeinträchtigung führen.

(4) Eine wesentliche Funktionsbeeinträchtigung ist dann gegeben, wenn das Gesamtbild der Behinderung eine andere Beurteilung gerechtfertigt erscheinen lässt, als die einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen alleine.

Grundlage der Einschätzung

§ 4 (1) Die Grundlage für die Einschätzung des Grades der Behinderung bildet die Beurteilung der Funktionsbeeinträchtigungen im körperlichen, geistigen, psychischen Bereich oder in der Sinneswahrnehmung in Form eines ärztlichen Sachverständigengutachtens. Erforderlichenfalls sind Experten aus anderen Fachbereichen - beispielsweise Psychologen - zur ganzheitlichen Beurteilung heran zu ziehen.
(2) Das Gutachten hat neben den persönlichen Daten die Anamnese, den Untersuchungsbefund, die Diagnosen, die Einschätzung des Grades der Behinderung, eine Begründung für die Einschätzung des Grades der Behinderung innerhalb eines Rahmensatzes sowie die Erstellung des Gesamtgrades der Behinderung und dessen Begründung zu enthalten.

...“

Zunächst ist rechtlich festzuhalten, dass der Grad der Behinderung im Beschwerdefall - wie dies auch die belangte Behörde zu Recht annahm - nach der Einschätzungsverordnung einzuschätzen war, was im Verfahren auch unbestritten geblieben ist.

Beim Leiden 1 des Beschwerdeführers handelt es sich um ein Poland-Syndrom, welches die medizinische Sachverständige richtig eine Stufe über dem unteren Rahmensatz der Position 02.02.03 der Einschätzungsverordnung mit einem Grad der Behinderung von 60 % einstufte. Dabei berücksichtigte die medizinische Sachverständige, dass ein hochgradiger Funktionsverlust im Bereich der rechten oberen Extremität vorliegt und eine erhebliche Thoraxverziehung durch angeborenen Muskelschaden und Skoliose mit Cervikalsyndrom ohne relevante Einschränkungen der Wirbelsäulenfunktionen besteht.

Das Leiden 2 des Beschwerdeführers ist ein Überlastungssyndrom beim linken Unterarm, welches die medizinische Sachverständige richtig im unteren Rahmensatz der Position 02.02.01 der Einschätzungsverordnung mit einem Grad der Behinderung von 10 % einschätze, weil keine belastungsabhängigen Beschwerden ohne Einschränkung des Bewegungsumfanges vorliegen.

Die Ermittlung des Gesamtgrades der Behinderung hat bei mehreren Funktionsbeeinträchtigungen nicht im Wege der Addition der einzelnen Werte der Funktionsbeeinträchtigungen zu erfolgen, sondern es ist bei Zusammentreffen mehrerer Leiden zunächst von der Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, für welche der höchste Wert festgestellt wurde, und dann ist zu prüfen, ob und inwieweit durch das Zusammenwirken aller zu berücksichtigenden Funktionsbeeinträchtigungen eine höhere Einschätzung des Grades der Behinderung gerechtfertigt ist (vgl. den eindeutigen Wortlaut des § 3 der Einschätzungsverordnung, sowie die auf diese Rechtslage übertragbare Rechtsprechung, VwGH 17.07.2009, 2007/11/0088; 22.01.2013, 2011/11/0209 mwN).

Wie oben unter Punkt 2. (Beweiswürdigung) ausgeführt, wird der gegenständlichen Entscheidung das seitens der belangten Behörde eingeholte Sachverständigengutachten einer Fachärztin für Unfallchirurgie und Ärztin für Allgemeinmedizin vom 12.07.2021, beruhend auf einer persönlichen Untersuchung des Beschwerdeführers am selben Tag zu Grunde gelegt.

Der medizinische Sachverständige stellt in diesem Sachverständigengutachten fest, das Leiden 1 durch das Leiden 2 nicht erhöht wird, da kein maßgebliches ungünstiges Zusammenwirken besteht. Hinzu kommt, dass ein Leiden mit einem Grad der Behinderung von 10 % ein anderes Leiden nicht erhöhen kann.

Der vom Beschwerdeführer im Rahmen der Beschwerde vorgelegte Röntgenbefund war nicht geeignet, die durch die medizinischen Sachverständige getroffenen Beurteilungen zu widerlegen oder zusätzliche Dauerleiden bzw. eine zwischenzeitlich eingetretene Verschlechterung des Zustandes zu belegen.

Daher steht fest, dass die Voraussetzungen für eine Neufestsetzung des Gesamtgrades der Behinderung im Behindertenpass nicht vorliegen.

Im Übrigen ist aber auch darauf hinzuweisen, dass bei einer späteren Verschlechterung des Leidenszustandes die neuerliche Einschätzung des Grades der Behinderung nach Maßgabe des § 41 Abs. 2 BBG in Betracht kommt.

Die Beschwerde war daher spruchgemäß abzuweisen.

2.       Zum Entfall einer mündlichen Verhandlung

Der im Beschwerdefall maßgebliche Sachverhalt ergibt sich aus dem Akt der belangten Behörde und insbesondere auf das von der belangten Behörde eingeholte medizinische Sachverständigengutachten, das auf einer persönlichen Untersuchung beruht, auf alle Einwände und die im Verfahren vorgelegten Atteste des Beschwerdeführers in fachlicher Hinsicht eingeht, und welchem der Beschwerdeführer nicht substantiiert entgegengetreten ist. Die strittige Tatsachenfrage, genauer die Art und das Ausmaß der Funktionseinschränkungen des Beschwerdeführers sind einem Bereich zuzuordnen, der von einem Sachverständigen zu beurteilen ist. Beide Parteien haben keinen Verhandlungsantrag gestellt. All dies lässt die Einschätzung zu, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und eine Entscheidung ohne vorherige Verhandlung im Beschwerdefall nicht nur mit Art. 6 EMRK und Art. 47 GRC kompatibel ist, sondern der Zweckmäßigkeit, Raschheit, Einfachheit und Kostenersparnis (§ 39 Abs. 2a AVG) gedient ist, gleichzeitig aber das Interesse der materiellen Wahrheit und der Wahrung des Parteiengehörs nicht verkürzt wird.

Zu Spruchteil B)

Gemäß § 25a Abs. 1 VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses oder Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist. Der Ausspruch ist kurz zu begründen.

Die Revision ist gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig, weil die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung; weiters ist die vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Auch liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

Konkrete Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung sind weder in der gegenständlichen Beschwerde vorgebracht worden noch im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht hervorgekommen. Das Bundesverwaltungsgericht konnte sich bei allen erheblichen Rechtsfragen auf Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes bzw. auf eine ohnehin klare Rechtslage stützen.

Schlagworte

Behindertenpass Grad der Behinderung Neufestsetzung Sachverständigengutachten

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:BVWG:2021:W261.2246601.1.00

Im RIS seit

04.11.2021

Zuletzt aktualisiert am

04.11.2021
Quelle: Bundesverwaltungsgericht BVwg, https://www.bvwg.gv.at
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