TE OGH 2021/9/15 7Ob144/21h

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Veröffentlicht am 15.09.2021
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Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und die Hofrätin und Hofräte Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich, Dr. Stefula und Dr. Weber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei I***** L*****, vertreten durch MMMag. Dr. Franz Josef Giesinger Rechtsanwalt GmbH in Götzis, gegen die beklagte Partei A***** GmbH, *****, vertreten durch Achammer & Mennel Rechtsanwälte OG in Feldkirch, wegen 30.000 EUR sA und Feststellung, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 17. Juni 2021, GZ 2 R 65/21g-63, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Der Antrag auf Zuspruch der Kosten der Revisionsbeantwortung wird gemäß § 508 Abs 2 Satz 2 ZPO abgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

[1]       1.1 Der Partei ist es grundsätzlich nicht verwehrt, in dem nach einem Aufhebungsbeschluss fortgesetzten Verfahren – das in der Regel in den Stand vor Schluss der Verhandlung erster Instanz zurücktritt – all ihre im erstgerichtlichen Verfahren bis dahin zustehenden Befugnisse wahrzunehmen. Dies gilt nur insoweit nicht, als die aufhebende Instanz einen bestimmten „Streitpunkt“ aufgrund des gegebenen Sachverhalts bereits abschließend entschieden hat (RS0042031 [T11]).

[2]            1.2 Mit Beschluss vom 27. 5. 2020 (7 Ob 218/19p) bestätigte der Oberste Gerichtshof den im ersten Rechtsgang vom Berufungsgericht gefassten Aufhebungsbeschluss. Dabei wurde die Haftung der beklagten Baustellenkoordinatorin für eine Vielzahl ihrem – für die Wahrnehmung der Baustellenkoordinationsaufgaben zuständigen – Geschäftsführer vorgeworfene Pflichtwidrigkeiten abschließend verneint; und zwar teils mangels schuldhafter Verletzung der Überwachungspflicht, teils aufgrund des Fehlens eines Kausalzusammenhangs zwischen den vom Kläger geltend gemachten Pflichtwidrigkeiten und seinem Absturz vom Dach.

[3]            1.3 Ergänzungsbedürftig blieb das Verfahren ausdrücklich nur zur Frage, ob – unabhängig von dem unfallkausalen von der Beklagten aber nicht zu vertretenden zu großen Abstand zwischen den Stehern des Dachfanggerüsts – eine unrichtige Befestigung des Fangnetzes an den Stehern vorlag, dies einen Sicherheitsmangel darstellte, der dem Geschäftsführer der Beklagten auffallen musste und ob er konkret (mit-)kausal für den Sturz des Klägers war.

[4]            2. Durch die Vorschriften des BauKG soll der Gefahr begegnet werden, die aufgrund der gleichzeitigen oder aufeinanderfolgenden Tätigkeit von Arbeitnehmern verschiedener Unternehmen infolge fehlender oder fehlerhafter Einrichtungen oder Sicherheitsvorkehrungen eines anderen auf der Baustelle tätigen Unternehmers entstehen (RS0119449 [insb T1]). Die Haftung für eine allfällige Pflichtverletzung des Baustellenkoordinators ist mangels besonderer Regelung nach allgemeinen Grundsätzen zu beurteilen. Demnach stellt sich der Pflichtenkatalog des BauKG als Schutzgesetz zugunsten der Arbeitnehmer – im Sinn des § 1311 ABGB – dar (RS0119450 [T1]).

[5]       3.1 Grundsätzlich hat der Geschädigte zunächst die Pflichtverletzung und dann den dadurch verursachten Schaden zu beweisen (RS0022686 [T16], RS0022664).

[6]       3.2 Bei Verletzung eines Schutzgesetzes – auch des BauKG – fordert die ständige Rechtsprechung keinen strengen Beweis des Kausalzusammenhangs (vgl RS0027462), spricht doch der Beweis des ersten Anscheins dafür, dass der von der Norm zu verhindernde Schaden durch das verbotene Verhalten verursacht wurde. Es obliegt dann dem Schädiger, die Kausalität der Pflichtwidrigkeit – durch Außerkraftsetzung des ihn belastenden Anscheinsbeweises – ernsthaft zweifelhaft zu machen (vgl RS0027640 [T6, T8, T9, T12]). Der wiederholt ausgesprochene Satz, dass es bei der Verletzung eines Schutzgesetzes des strengen Beweises des Kausalzusammenhangs nicht bedürfe, darf aber nicht dahin verstanden werden, dass im Fall einer Verletzung eines Schutzgesetzes iSd § 1311 ABGB die Vermutung bestehe, die Verletzung des Schutzgesetzes sei für den Eintritt des Schadens ursächlich gewesen. Es tritt auch bei Verletzung eines Schutzgesetzes keine Umkehr der Beweislast ein (vgl RS0027517, RS0027640 [T3], RS0022664 [T17]). Hat der Schädiger eine ernstlich in Betracht zu ziehende Möglichkeit einer anderen Schadensursache aufgezeigt, kann die Vermutung der adäquaten Kausalität nicht mehr Platz greifen. Damit trifft den Geschädigten die Beweislast, dass der Schädiger eine Bedingung zum Eintritt des ganzen Schadens gesetzt hat (RS0022561, RS0022664 [T17]).

[7]       3.3 Im vorliegenden Fall hat das Berufungsgericht den Anscheinsbeweis als entkräftet angesehen. Die Frage, ob der Anscheinsbeweis im konkreten Einzelfall erbracht werden konnte oder nicht, ist eine reine Frage der Beweiswürdigung und nicht revisibel (RS0040196).

[8]       3.4 Davon ausgehend erweist sich die Beurteilung des Berufungsgerichts, der Kläger habe den ihm daher weiterhin obliegenden Beweis der Kausalität des – als Pflichtverletzung des Geschäftsführers der Beklagten geltend gemachten – Sicherheitsmangels an der Befestigung des Sicherheitsnetzes nicht erbracht, weshalb die schadenersatzrechtliche Haftung der Beklagten ausscheide, als nicht korrekturbedürftig. Die Beurteilung steht auch nicht mit der Entscheidung 8 Ob 57/17s in Widerspruch.

[9]            4. Dieser Beschluss bedarf keiner weiteren Begründung (§ 510 Abs 3 ZPO).

Textnummer

E132992

European Case Law Identifier (ECLI)

ECLI:AT:OGH0002:2021:0070OB00144.21H.0915.000

Im RIS seit

04.11.2021

Zuletzt aktualisiert am

04.11.2021
Quelle: Oberster Gerichtshof (und OLG, LG, BG) OGH, http://www.ogh.gv.at
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